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Humboldt kannte keine Massenunis

  • 13.07.2012, 18:18

Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle im Gespräch mit dem PROGRESS über Studiengebühren, die Finanzierung der österreichischen Hochschulen und die Uni-Brennt-Bewegung.

PROGRESS: Hannes Androsch hat vor kurzem gemeint, dass sowohl die Politik als auch die Zivilbevölkerung in Österreich von Feig- und NeidbürgerInnen bestimmt werden. Hat er Recht?

Töchterle:

Nein, ich finde nicht, dass er Recht hat. Ich verwahre mich dagegen, dass man ständig in dieses Lamentieren ausbricht. Für mich ist das ein Gejammere auf hohem Niveau. Was die Hochschulen betrifft: Da geht Vieles weiter. Ich sehe den Stillstand, der hier zum Teil herbeigeredet wird, nicht. Aber natürlich haben wir auch Einiges zu tun.

Vor kurzem fanden die ÖH-Wahlen statt, eine neue Exekutive wird bald im Amt sein. Wie bewerten Sie die Arbeit der auslaufenden Exekutive?

Auf jeden Fall positiv. Wie Sie ja wissen, war ich mit der Uni-Brennt-Bewegung von Anfang an dialogbereit. Ich habe diese Bewegung als einen wichtigen Beitrag zur Diskussion gesehen. Natürlich ist dieser Beitrag nicht direkt von der ÖH gekommen, sondern von woanders und es war anfangs gar nicht leicht für die ÖH, mit dieser Bewegung umzugehen. Das habe ich in Innsbruck live mitbekommen. Dort war das für die ÖH ziemlich schwierig.

Inwiefern?

Weil die ÖH in Innsbruck sich in einem gewissen Gegensatz befunden hat zur Uni-Brennt-Bewegung. Die ÖH-Exekutive in Innsbruck war damals ja von der AG dominiert und hat diese Uni-Brennt-Bewegung teilweise als Versuch gesehen, die ÖH-Wahl umzuschreiben. So ganz zusammengefunden hat man dort nie. Ich habe das Gefühl, dass dies in Wien besser funktioniert hat. Sigrid Maurer hat es dort schneller geschafft, mit der Bewegung zu verschmelzen. Andererseits ist es natürlich nicht nur diese Bewegung, die die Politik der ÖH in den vergangenen Jahren getrieben hat, sondern auch viele andere Dinge. Die ÖH hatte mit Sigrid Maurer in den vergangenen zwei Jahren eine eloquente und starke Wortführerin. Sie war sehr sichtbar und hörbar. Wir alle wissen aber auch, dass wir bei zwei Kernthemen unterschiedlicher Meinung sind...

Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen...

Genau, das ist ja bekannt. Man kann sich darüber ärgern, dass ich nicht von meinen Positionen abrücke. Ich kann mich aber auch darüber wundern, dass die andere Seite nicht von ihren Positionen abrückt.

Was erwarten Sie sich von der Zusammenarbeit mit der kommenden ÖH-Exekutive?

Ich wünsche mir natürlich eine gute Zusammenarbeit. Am Wahlabend war ich auf der Bundesvertretung und habe mit allen FraktionsvertreterInnen gesprochen und das Gefühl gehabt, dass die Gesprächsbereitschaft gegeben ist.

Wäre Ihnen eine schwarz-gelbe Koalition auf der ÖH-Bundesvertretung lieber als Rot-Grün? Immerhin hätten Sie damit bei einigen Anliegen, wie etwa Studiengebühren oder Zugangsbeschränkungen, weitere BündnispartnerInnen.

Die Jungen Liberalen waren die einzige Fraktion, die offensiv für Studiengebühren im Wahlkampf eingetreten ist – und sie haben ein beachtliches Ergebnis eingefahren.

Seit 2005 können Studierende ihre Bundesvertretung ja nicht mehr direkt wählen, das bedeutet unter anderem auch, dass die Stimmen von kleineren Universitäten mehr Gewicht haben als die von größeren. Sie haben sich vor kurzem bezüglich des ÖH-Wahlmodus gesprächsbereit erklärt. Sind Sie für eine Wiedereinführung der Direktwahl?

Ich bin absolut gesprächsbereit was eine Änderung des Wahlrechts betrifft. Ich kenne die Argumentation und viele Argumente für die Direktwahl erscheinen mir plausibel.

Was sind Ihrer Meinung nach derzeit die größten Baustellen im Hochschulsektor?

Ich rede lieber von Konzepten. Aber wenn ich in der Terminologie von Baustellen bleiben soll, dann habe ich ja einige begonnene Projekte von Beatrix Karl übernommen. Zum einen wäre da die Studienplatzfinanzierung, zum anderen der Hochschulplan, wobei man den Hochschulplan als Dach über allem anderen sehen kann. Das sind jetzt einmal die größten Konzepte, die zur Realisierung anstehen. Bei beidem bin ich optimistisch und denke, dass wir noch in diesem Jahr wesentliche Schritte machen werden.

Seit Jahren gibt es in Österreich das Ziel, zwei Prozent des BIP für den Hochschulsektor zu verwenden. Derzeit sind wir immer noch bei 1,3 Prozent. Wie und bis wann, glauben Sie, kann dieses Ziel erreicht werden?

Bekannt ist, dass der öffentliche Anteil an diesen 1,3 Prozent deutlich höher ist als in anderen Ländern. Bei uns ist der private Anteil an der Hochschulfinanzierung immer noch sehr niedrig. Dieser könnte von Drittmittelfinanzierung durch Unternehmen gedeckt werden. Aber auch Studiengebühren könnten hier einen Beitrag leisten. Mir ist klar, dass dieser nur einen geringen Anteil im Gesamtbudget ausmachen würde, aber auch das wäre eine Möglichkeit, dem angestrebten Budget näherzukommen. Geplant ist, das zwei- Prozent-Ziel bis 2020 zu erreichen. Das ist sehr ambitioniert. Die Krise hat uns auch hier zurückgeworfen. Die Konsolidierungsmaßnahmen im Wissenschafts- und Unterrichtsministerium sind zwar die geringsten, aber auch hier mussten wir Einsparungen tätigen.

Manche Länder haben hier einen ganz anderen Weg eingeschlagen. In Deutschland wurden beispielsweise umfangreiche Investitionen in Milliardenhöhe in die Bildung getätigt. In Österreich wird dagegen weiter gespart.

Diese Entscheidungen sind vor meiner Zeit als Minister getroffen worden. Man kann aber sicher positiv vermerken, dass im Bildungsbereich hierzulande am wenigsten eingespart wurde. Die neue Finanzministerin hat aber auch schon mehrmals gesagt, dass sie weiterhin einen Sparkurs fahren möchte, mit den Ausnahmen: Familie, Bildung, Wissenschaft und Forschung.

Im Herbst stehen die Budgetverhandlungen für die nächste Leistungsvereinbarungsperiode an. Die RektorInnenkonferenz etwa fordert zumindest 300 Millionen Euro mehr, allein um den Status Quo aufrecht erhalten zu können. Werden Sie diese Mittel bekommen?

Auf Zahlen kann ich mich jetzt klarerweise nicht einlassen. Die Forderung ist natürlich berechtigt, wenn man sich ansieht, wie sehr die Studierendenzahlen steigen. Wir haben zwischen 2005 und 2010 eine Anstieg von etwa 50.000 Studierenden gehabt und die Studierendenzahlen werden auch weiter steigen. Von daher ergibt sich natürlich ein wachsender Finanzbedarf. Ob es jetzt genau die dreihundert Millionen sind, darüber kann man streiten.

Mit welchem Ziel gehen Sie in die Verhandlungen?

Das Ziel muss sein, mehr Geld für den Hochschulsektor bereitzustellen, wobei man auch die Studienplatzfinanzierung mitdenken muss. Wir planen diese mit der kommenden Leistungsvereinbarungsperiode ebenfalls zu implementieren. Da zeigen uns Berechnungen einen Mehrbedarf. Das wird natürlich eine Rolle bei den Budgetverhandlungen spielen.

Wie wird das Modell der Studienplatzfinanzierung ungefähr aussehen – wie wird ein Studienplatz künftig berechnet werden?

Erste Eckpunkte wird es Ende Juni geben. Deswegen bitte ich Sie um Verständnis, dass ich jetzt keine wirklichen Details bekannt gebe. Ich kann nur so viel sagen, dass wir derzeit in Fächergruppen und auf der Basis internationaler Vergleichsstudien rechnen. Man kann verschiedene Modelle in Betracht ziehen. Eine Frage ist natürlich, welche Studierendenzahlen man annimmt. Die Frage ist, ob die Inskriptionszahlen oder die Zahl der aktiven Studierenden in die Rechnung einfließen sollen?

Werden bei dem neuen Modell die Betreuungsverhältnisse berücksichtigt?

Ja, das Betreuungsverhältnis ist eine entscheidende Größe bei den Berechnungen. Wir streben ein ideales Betreuungsverhältnis an, jedoch sind wir in vielen Fächern weit davon entfernt.

Was ist aus Ihrer Sicht ein ideales Betreuungsverhältnis?

Das ist natürlich von Fach zu Fach unterschiedlich.

Eine ungefähre Richtgröße muss es doch geben?

Die einzelnen Zahlen habe ich nicht im Kopf. Derzeit könnte man die Idealzahlen jedoch nur finanzieren, wenn man entweder radikal begrenzt oder radikal das Budget ausweitet. Beides ist unrealistisch. Man muss sich also irgendwo dazwischen bewegen.

Sie sind ja bekanntlich für Studiengebühren. Warum eigentlich?

Studiengebühren eröffnen die Möglichkeit, dass die Studierenden einen Beitrag zur Finanzierung des Hochschulsystems tätigen können. Das soll in Österreich jeder tun, der es sich leisten kann. Zumal viele Studierende es auch akzeptieren!

Die Argumente rund um die Studiengebührendebatte lassen sich grob in drei Gruppen einteilen: Einmal eine Humboldt’sche humanistische Argumentation, dass Bildung für alle zugänglich und kostenlos sein soll. Dann die Wirtschafts-Liberalen, die meinen, Bildung müsse einen monetären Wert besitzen. Und dann die PragmatikerInnen, für die Gebühren das Unibudget abdecken sollen. Wo sehen Sie sich?

Ich bin eher der auf der Seite der Pragmatiker. Denn das Ideal, dass jegliche Bildung kostenlos sein soll, ist ein sehr schönes, aber eben unrealistisch. Deswegen das Pragmatische. Wobei man über das Humboldt’sche streiten könnte. Humboldt ist natürlich von ganz anderen Voraussetzungen ausgegangen und hat ganz andere Zahlen im Blick gehabt. Die Massenuni von heute kannte er nicht.

2008 wurde von SPÖ und ÖVP ein Entschließungsantrag zur direkten Auszahlung der Familienbeihilfe beschlossen. Dies betrifft Studierende ab dem 18. Lebensjahr. Aus dem Entschließungsantrag ist bisher aber noch nichts geworden. Warum?

Das ist mir entgangen.

Es kommt ja immer wieder zu Fällen, bei denen Eltern die Familienbeihilfe ihrer studierenden Kinder einbehalten. Würden Sie sich grundsätzlich dahinterstellen zu sagen, Studierende sollen die Familienbeihilfe direkt ausbezahlt bekommen?

Natürlich sollte es nicht so sein, dass die Jungen davon nichts spüren. Das ist eine grundsätzliche Position, die man vertreten und diskutieren kann. Aber wie man das jetzt in ein Gesetz gießt, das fällt nicht in mein Ressort.

Nach dem neuen Budgetgesetzes bekommen Studierende, die älter als 24 Jahre sind, keine Familienbeihilfe mehr ausbezahlt. Auch die Zuschüsse für die Studierendenheime wurden gekürzt. Das Studentenwerk in Salzburg hat vor kurzem bekannt gegeben, dass seine Mietpreise in Folge dessen ab dem nächsten Jahr um 30 bis 40 Euro ansteigen werden.

Ja, da müssen wir einen Weg finden, um sozial Bedürftigen eine Unterstützung zu geben. Ich kann das Loipersdorfer-Paket vom vergangenen Herbst nicht wieder aufschnüren. Was ich tun kann, ist, gewisse Härten zu mildern.


Das Interview führten Georg Sattelberger und Ann-Kathrin Slupek.

Den Leuten nicht den Bauch pinseln

  • 13.07.2012, 18:18

Heribert Prantl, einer der renommiertesten Journalisten Deutschlands, hat im Sommersemester eine Vorlesung im Rahmen der Theodor-Herzl-Dozentur an der Universität Wien gehalten. Mit PROGRESS spricht er über Radikaldemokratie, sein journalistisches Credo und den politischen Wert guter Kommentare.

PROGRESS: Herr Prantl, der Chefredakteur der österreichischen Zeitung Die Presse hat Sie jüngst einen „jakobinischen Moralisten“ genannt. Die Jakobiner stehen für Tugendterror und Massenmord. Was sagen Sie zu dieser Anschuldigung?

Prantl:

Ich glaube nicht, dass der Kollege das so gemeint hat. Gleichwohl: Manche Kritik muss man nicht kommentieren, sie spricht gegen sich selbst. Abgesehen von Übertreibungen kann man aber sagen: Wer hart kommentiert, der muss mit harten Reaktionen rechnen. Es kann dabei ein demokratischer Mehrwert entstehen.

Warum kommt die Kritik an Ihnen zumeist von rechter Seite?

Weil die mich anscheinend für links hält. Links nennen mich die, denen ich zu viel von sozialer Gerechtigkeit schreibe. Rechts nennen mich die, die meinen, dass man mir den Katholiken zu sehr anmerkt. Das ist eher das Problem der Kritiker als meines. Wenn jemand mich für links hält, weil ich mich für die Schwachen in der Gesellschaft einsetze und fordere, dass Reichtum stärker besteuert wird – dann bin ich halt in Gottes Namen links. Und wenn jemand mich für rechts hält, weil ich glaube, dass Kirchen eine wichtige Aufgabe haben – bitte schön! Wichtig ist für einen Kommentator, dass er überhaupt eine Haltung hat. Darüber hinaus gilt der alte Satz: Viel Feind, viel Ehr.

Was würden Sie als Ihre Haltung bezeichnen?

Ein Kollege hat einmal geschrieben, wenn wir das Jahr 1848 hätten, würde der Prantl auf den Barrikaden stehen und für die Demokratie streiten. Das hat mir gefallen. Wenn das Wort radikal heute nicht so negativ konnotiert wäre, würde ich mich als Radikaldemokraten sehen. Auf Wikipedia nennen sie meine Haltung linksliberal. Meinetwegen. Andererseits bin ich sehr katholisch aufgewachsen, was man, wie gesagt, bei religiösen Fragen merkt. Mein soziales Engagement wurzelt letztlich in dieser christlichen Substanz, und mein Schreiben für die Freiheitsrechte kommt von der Juristerei. Wenn das den Leuten, die als Konservative rumlaufen, nicht passt, dann haben die einfach nicht kapiert, was konservativ bedeutet. Ich kann mich auch gut als Konservativer definieren, in dem Sinne, dass ich die freiheitlichen Grundrechte verteidige.

Wie würden Sie den „Radikaldemokraten“ definieren, der in Ihnen schlummert?

Der schlummert nicht, sondern ist wach. Meine Vorstellung von einem guten Gemeinwesen sieht so aus: Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat sind Partner. Das ist eigentlich gar nicht radikal, sondern notwendig. Demokratie ist eine Gemeinschaft, die ihre Mitglieder achtet und schützt. Demokratische Entscheidungen sind daher nicht automatisch rechtsstaatliche Entscheidungen. Ein Land wäre gewiss keine beispielhafte Demokratie, wenn es per Plebiszit Menschen und Freiheitsrechte missachtet.

Ihr Credo hat nach dem Zweiten Weltkrieg das Fundament des erfolgreichen Neuanfangs in Österreich und Deutschland gebildet. In jüngster Zeit erleben wir aber, dass sich die Demokratie und der Sozialstaat in der Krise befinden. Darunter scheint vor allem die Legitimation des Parlamentarismus zu leiden. Wie sehen Sie das?

Die Stärke eines Volkes misst sich am Wohl der Schwachen, steht in der Präambel der Schweizer Verfassung. Das ist ein guter Satz. Wenn immer mehr Leute nicht mehr zum Wählen gehen, weil sie sich nicht mehr vertreten fühlen, wenn sie sich ausklinken aus der Demokratie, dann ist das gefährlich. Das ist das eine. Das andere: Wenn im Parlament wesentliche Fragen nicht mehr ordentlich diskutiert werden, weil der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin die Sachen schon entschieden hat, bevor irgendjemand Muh und Mäh sagen konnte, dann ist das ein Problem. Das Parlament ist die zentrale Einrichtung der Demokratie, und eben keine Quatsch und Quasselbude. Die Abgeordneten müssen also ihre Rechte wieder lauter einfordern, ob es um Europa oder um Milliardenhilfe für die Banken geht. Die Abgeordneten sind die Gestalter der Demokratie. Der legislativen Macht fehlt es an Selbstbewusstsein.

Führt diese Schwäche der Legislative zu einem autoritären Politikstil?

Wir erleben zur Zeit eine neue Superexekutive, darin steckt eine Tendenz zum Autoritären. Die Regierung wird im System zu stark und sie erhält von der Öffentlichkeit zu viel Beachtung. Das geht zu Lasten der Parlamente. An dieser Entwicklung trägt auch die Mediendemokratie Schuld. Wir Journalisten lassen den Parlamentariern in unserer Berichterstattung zu wenig Platz. Gleichzeitig beklagen wir, Politik sei langweilig, weil immer nur die gleichen Köpfe auftauchen würden.

JournalistInnen sind mittlerweile ähnlich unbeliebt wie PolitikerInnen, beide Berufsgruppen werden vielfach als Teil einer Klasse mit gemeinsamen Interessen betrachtet. Scheitern die Medien daran, die Menschen auf die Probleme ihrer Zeit hinzuweisen?

Journalismus soll den Leuten nicht den Bauch pinseln. Journalisten haben die Aufgabe, die Problemthemen, die sie für gesellschaftlich wichtig halten, den Bürgerinnen und Bürgern so zu vermitteln, dass diese die Probleme auch erkennen können. Das ist die demokratische Aufgabe der Presse. Seit einiger Zeit erleben wir aber eine Zunahme an Personality-Geschichten, was oft vor allem ein Ausdruck journalistischer Bequemlichkeit ist. Flockige Stories schreiben sich leichter als klare Berichte, als aufwändige Analysen oder substanzielle Leitartikel. Die sind aber unglaublich wichtig für das demokratische System, weil sie den Menschen dabei helfen, Entscheidungen zu fällen. Und Politik besteht immer aus Entscheidungen.

Wie schreibt man einen guten Kommentar?

Idealiter macht ein guter Kommentar auch demjenigen Leser Freude, der ganz anderer Meinung ist als der Schreiber. Ein guter Kommentar kitzelt und kratzt, er lässt jedenfalls den Leser nicht kalt. Wenn ich an einem Kommentar arbeite, dann versuche ich, mit dem Schreiben erst dann zu beginnen, wenn ich das Thema strukturiert und mir im Kopf zurechtgelegt habe. Danach geht es fast wie von selbst. Das Jus-Studium bietet für diese Art des Denkens eine gute Schule, vielleicht besser als die Journalismus-Akademie. Und eine der großen juristischen Reden aus dem alten Rom zu lesen, ist ein ähnliches Gefühl wie einen Michelangelo anzuschauen.



Das Gespräch führte Wolfgang Zwander.

Die Hälfte der Hochschulen – die Hälfte der Macht?

  • 13.07.2012, 18:18

Die Liste der Problemfelder an den Hochschulen ist lang und länger. Manche werden dabei intensiv debattiert, andere, wie die Frage nach der Gleichstellung von Frauen an den Hochschulen, werden wiederum zum Nebenschauplatz erklärt.

Die Liste der Problemfelder an den Hochschulen ist lang und länger. Manche werden dabei intensiv debattiert, andere, wie die Frage nach der Gleichstellung von Frauen an den Hochschulen, werden wiederum zum Nebenschauplatz erklärt.

Die Hochschulen waren immer auch Spiegel aktueller Verhältnisse in der Gesellschaft. Durch ihre bewusste VorreiterInnenposition bilden und beeinflussen sie gesellschaftliche Diskurse und tragen als AkteurInnen zu Fortschritt oder Regress bei. Verschleiert werden dabei die Mechanismen, die darüber entscheiden, wer das Recht zur Artikulation im wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Diskurs erhält. Kommen ganze Gruppen hier nicht zur Geltung, wird deren Realität faktisch negiert. Exklusionsmechanismen kennen bekanntlich viele Attribute. Der öffentliche und mediale Diskurs hält sich dabei gern kleinlaut. Gerade Fragen der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männer werden somit zu einem beliebten Nebenwiderspruch. Wie steht es also um die Gleichberechtigung der Geschlechter an den Hochschulen?
Frauen wurden lange Zeit vom universitären Raum ausgeschlossen. Auf den österreichischen Universitäten wurden Frauen erstmals ab 1897 zu Studien an der philosophischen Fakultät zugelassen. Erst seit 1993 regelt das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz, dass Studentinnen keine Benachteiligung bei der Zulassung zum Studium oder während des Studierens erfahren dürfen. Die Zahl an Studentinnen hat seither durchaus einen rasanten Zuwachs erfahren. Im Durchschnitt machen Frauen mittlerweile 54,2 Prozent aller Studierenden an einer hochschulischen Einrichtung aus. Dies als ein Zeichen für die vermeintliche Gleichstellung an den Hochschulen zu werten wäre aber weit verfehlt. Zum einen variiert die Geschlechterverteilung von Studierenden je nach Fachgebiet stark. „Typisch“ weiblich besetzte Studienrichtungen sind immer noch Veterenärmedizin (in Wien bei ca. 82 Prozent Frauenanteil) oder die Geisteswissenschaften. Dagegen sind an der Montanuniversität Leoben und den beiden technischen Universitäten in Graz und Wien nur 25 Prozent weibliche Studierende inskribiert. Zum anderen muss ein umfassendes Bild, das den Status Quo der Geschlechter-Gleichberechtigung an den Unis umfassend abbilden will, auch jene Strukturen betrachten, in denen geforscht und entschieden wird: Den Rektoraten, Senaten und dem Kollegium der ProfesorInnenschaft.

Bewegung oder Stillstand? Auf den Ebenen von Lehre und Forschung sind Frauen nach wie vor stark unterrepräsentiert. Gemeinhin beschreibt die Metapher der gläsernen Decke diesen Umstand. Unter dieser wird verstanden, dass viele hochqualifizierte Frauen im unteren Bereich der Karriereleiter hängen bleiben und es nicht schaffen bis in die Führungsetagen vorzudringen. So führen die seit Jahrzehnten steigenden Studentinnen- und Absolventinnen-Zahlen bis heute nicht zu wesentlich mehr Assistentinnen auf den Unis. Das Verhältnis beträgt dort 40 Prozent Frauen zu 60 Prozent Männer. Noch drastischer bei den ProfessorInnen. Derzeit sind rund 16,85 Prozent aller ProfessorInnen in Österreich Frauen. Zudem ist die Zahl an Professorinnen, selbst in typisch weiblich konnotierten Bereichen, wie zum Beispiel an der Universität für angewandte Kunst mit nur ca. 23 Prozent oder der Veterinärmedizinischen Universität mit gar nur 10 Prozent, sehr gering. Diese Zahlen belegen, dass es auch in Fachgebieten, in denen eindeutig genug  Studentinnen vorhanden wären, um später auch Führungspositionen übernehmen zu können, Frauen in höheren Etagen die Ausnahme von der Regel sind. Je weiter es nach oben geht in der universitären Hierarchie, desto weniger Frauen sind zu finden. Unter den RektorInnen an öffentlichen Universitäten ist aktuell Sonja Hammerschmid an der Veterinärmedizinischen Universität Wien die einzige Rektorin.
Die Praxis des wissenschaftlichen Alltags begünstigt und fördert die Schräglage an den Unis. Frauen sind nach wie vor für einen Großteil der unbezahlten Arbeit, sprich Kinderbetreuung, Pflege oder Haushalt, verantwortlich. Männer in diesem Bereich unterliegen dieser Doppelbelastung in der Regel nicht. Ihnen fällt es somit auch leichter die Anforderungen, die eine solche Kariere verlangt, gerecht zu werden. Sheila Jasanoff, von der Universität Harvard bekräftigte dies vor Kurzem in einem Interview: „Ich glaube nicht, dass meine Studentinnen mit Kindern nach acht, neun Uhr abends noch die Energie zum Lesen und Arbeiten aufbringen. Sie haben kaum persönliche Kontakte, können nicht zu Konferenzen fahren und keine Forschungen präsentieren. All diese gesellschaftlichen Verpflichtungen in der professionellen Welt der Wissenschaft kann man nicht von der Ferne machen oder in Halbtagsbeschäftigung“, gibt die Juristin zu bedenken. Die formale Gleichstellung per Gesetz ist somit zwar eine wichtige Voraussetzung, aber noch lange nicht das Ende des Weges. Mechanismen, die sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte in den wissenschaftlichen Habitus der Universitäten eingeprägt haben, dauern an.

Vorwärts schreiten? Obwohl die Position von Frauen mittlerweile rechtlich klar abgesichert ist und die Universitäten laut Universitätsgesetz sogar eindeutig zur Erstellung eines Frauenförderungsplans und der Etablierung eines Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen (AKG) verpflichtet sind, hat sich nur bedingt etwas verbessert. Das Universitätsgesetz (2002) hat mit seiner Novellierung im Herbst 2009 die Verpflichtung zu einer 40prozentigen Frauenquote in allen Kollegialorganen der Universitäten geschaffen.
Gleichzeitig wurden die Kompetenzen des Arbeitskreises für Gleichbehandlung an Universitäten ausgebaut. Sollte die 40 Prozent-Quote nicht eingehalten werden, hat der AKG die Möglichkeit, Einspruch wegen ungemäßer Zusammensetzung des Gremiums einzulegen. An der Medizinischen Universität Wien konnte seit der neuen Zusammenstellung des Senats (= eines der universitären Entscheidungsgremien) tatsächlich eine beträchtliche Steigerung des Frauenanteils, von 37 Prozent auf 50 Prozent beobachtet werden. Inwieweit dieser jedoch auf die Frauenquote zurückzuführen ist, ist schwer auszumachen. An der Uni Graz hat sich hingegen mit Einführung der Quote nichts verändert, der Frauenanteil blieb vorerst konstant auf 25 Prozent, wobei die Studierendenkurie ihre VertreterInnen noch nicht beschickt hat. Seitens der ProfessorInnen wird die Verantwortung für eine quotengerechte Besetzung der Senate gerne auch auf die Studierenden abgewälzt. Es ist höchst fraglich, ob dies eine zielführende Praxis darstellt.
Die öffentliche Debatte, die sich gerade zum wiederholten Mal über Zugangsbeschränkungen, Studiengebühren und Studienqualität dreht, betrachtet die Gleichbehandlung an den Unis auch weiterhin als Stiefkind. Ob letzteres in absehbarer Zeit erwachsen wird und damit zu einem ernst zu nehmenden Gegenüber, bleibt abzuwarten.

Ich werde zurückkehren

  • 13.07.2012, 18:18

Shirin Ebadi eröffnete mit ihrer Rede das diesjährige Forum Alpbach. Die Friedensnobelpreisträgerin und Menschenrechtlerin spricht über ihre Arbeit, wegen der sie ihre Heimat verlassen musste, über europäische Firmen im Iran und die Stabilität des Regimes.

Shirin Ebadi eröffnete mit ihrer Rede das diesjährige Forum Alpbach. Die Friedensnobelpreisträgerin und Menschenrechtlerin spricht über ihre Arbeit, wegen der sie ihre Heimat verlassen musste, über europäische Firmen im Iran und die Stabilität des Regimes.

Zur Person

Shirin Ebadi (1947), die erste Richterin in der Geschichte des Irans, hat 2003 den Friedensnobelpreis bekommen, der mittlerweile aus ihrem Schließfach in Oslo verschwunden ist. Nach der Revolution 1979 wurde sie gezwungen, ihr Amt niederzulegen – weil sie eine Frau ist. Seit dem Ende der 90er Jahre übernahm sie als Anwältin im Zuge einer Mordserie an Intellektuellen immer mehr Fälle von politischen AktivistInnen. 2005 wurde sie trotz internationalem Protest vor das iranische Revolutionsgericht geladen. Ihr Menschenrechtszentrum in Teheran wurde 2008 von der Regierung wegen „Propaganda gegen das Regime“ geschlossen, kurz darauf musste sie den Iran verlassen.

PROGRESS: Frau Ebadi, fühlen Sie sich in Europa sicher?

Ebadi: Wieso stellen Sie mir diese Frage?

Weil in der Vergangenheit auch in Europa immer wieder iranische AktivistInnen ermordet wurden, die als KritikerInnen der Regierung aufgetreten sind.

Ich denke nicht sehr viel an Gefahren. Wenn ich mich zu sehr darauf konzentrieren würde, könnte ich meine Arbeit nicht fortsetzen.

Könnten Sie in den Iran heimkehren?

Ich werde dann, wenn ich mich dazu entscheide, in den Iran zurückkehren. Niemand kann mich daran hindern! Aber aufgrund der starken Zensur im Iran will ich jetzt nicht zurück, meine Stimme würde dort nicht gehört werden. Mein Büro wurde geschlossen und mein persönliches Hab und Gut beschlagnahmt. Im Iran kann ich im Moment für mein Volk nicht viel tun. Unter
diesen Umständen bin ich in Europa viel besser aufgehoben.

Wann mussten Sie erkennen, dass ihre Arbeit im Iran keinen Sinn mehr macht?

Die Lage für Menschenrechtsaktivisten war im Iran nie einfach. Aber seit den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 ist sie fast unmöglich geworden.

Wie gestaltet sich Ihre politische Arbeit fern Ihrer Heimat?

Ich sehe meine Hauptaufgabe darin, Informationen zur Verfügung zu stellen. Ich möchte, dass die Weltöffentlichkeit weiß, unter welchen Umständen und Zuständen meine Landsleute im Iran leben. Ich nehme an Seminaren teil, schreibe Artikel und Bücher. Mein letztes Buch mit dem Titel Der goldene Käfig beginnt mit dem Zitat: „Wenn du das Unrecht nicht aus dem Weg
schaffen kannst, dann stell die Verursacher des Unrechts bloß.“

Haben Europa und die USA im Umgang mit dem Iran zu sehr auf das Atomprogramm geachtet und die Reformbewegung zu wenig unterstützt?

Europa und die USA haben sich bislang im Umgang mit dem Iran nur auf ihre eigene Sicherheit konzentriert. Dabei haben sie vergessen, dass im Iran Menschen getötet werden. Ich möchte, dass den Menschenrechten in meiner Heimat mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Was halten Sie von europäischen Firmen, die Geschäfte mit dem Iran machen?

Eine Reihe von europäischen Firmen unterstützt den iranischen Staat bei der Zensur und der Überwachung. Das bekannteste Beispiel ist Eutelsat. Ich denke, dass die EU solche Firmen unter Aufsicht stellen müsste. Nicht nur Staaten, sondern auch private Firmen müssen Menschenrechte beachten. Eutelsat hat ja nicht nur in den Iran Überwachungstechnik geliefert, sondern auch nach Russland.

Wie sehr stehen beim Umgang Europas mit dem Iran humanitäre Werte im Vordergrund und welche Rolle spielen im Vergleich dazu die Geschäftskontakte?

Beides spielt eine Rolle, aber die wirtschaftlichen Kontakte sind bei den Beziehungen zum Iran zweifellos sehr wichtig. Für die Menschenrechte sehe ich da leider nicht so viel Interesse. Wäre das anders, würden die Europäer ja etwas gegen die Geschäfte von Eutelsat und Nokia machen. Nokia hat dem Iran eine Software zur Verfügung gestellt, mit der Mobiltelefone und auch das Internet zensuriert und überwacht werden können. Lassen Sie mich Ihnen noch ein anderes Beispiel geben: Von allen europäischen Staaten ist es Deutschland, das den Iran am stärksten kritisiert. Die deutsche Bundeskanzlerin nimmt sich da kein Blatt vor den Mund. Gleichzeitig hat der Handel zwischen Iran und Deutschland im Jahr 2009 floriert und ist im Vergleich zu den Vorjahren stark gewachsen. Fast das Gleiche gilt leider auch für Österreich. Wenn es um Geschäfte geht, werden die Menschenrechte schnell vergessen.

Würden Sie die Firmen wie Eutelsat und Nokia für die Verletzung und den Tod von Oppositionellen verantwortlich machen?

Diese Ausdrucksweise gefällt mir nicht. Ich bevorzuge, einfach nur zu sagen, dass diese Firmen den Iran bei der Zensur unterstützen.

Wegen der repressiven Stimmung wird die Arbeit für NGOs im Iran immer schwieriger. Die EU unterstützt sie dennoch mit Geldern. Wie viel Sinn hat das?

Die Arbeit der NGOs ist schwierig wenn nicht sogar zur Unmöglichkeit geworden. Der iranische Staat hat mittlerweile aber selber welche ins Leben gerufen. Das sind staatliche Organisationen, die sich als nicht-staatliche tarnen. Und ich weiß, dass die EU diesen Organisationen Gelder gegeben hat, damit sie rechtliche Bildung und Beratung im Iran durchführen. Echte NGOs würden sich nie trauen, diese Gelder aus dem Ausland anzunehmen. Es wird ihnen ja ohnehin schon vorgeworfen, dass sie Spionage für ausländische Mächte betreiben. Jeder Euro, den die EU investiert, geht an diese „staatlichen“ Organisationen.
 
Wie stabil ist das Regime heute?

Es gibt zur Zeit keine Stabilität. Der Abstand zwischen Regierung und Volk wird täglich größer und die Unterstützer sind gespalten. Viele der früheren Sympathisanten sind heute Kritiker. Das System ist heute seit seinem Bestehen in seiner schwächsten Phase.

Wie viel Zeit geben Sie ihm noch, ehe es zerbricht?

Politische Angelegenheiten kann man nicht mit Zeit messen.

Wie gefährlich wäre ein Iran mit Atomwaffen für den Rest der Welt?

Für den Weltfrieden und die politische Sicherheit der Welt ist ein undemokratischer Staat noch gefährlicher als eine Atombombe. Frankreich und England haben auch Atombomben, ist das etwa eine Bedrohung für die Welt? Was ist aber mit Pakistan, fühlen wir uns dort etwa sicher? Vor dieser Bombe scheint auch niemand besonders große Angst zu haben.

Hat die Revolution von 1979 dem Iran auch etwas Positives gebracht?

Vor der Revolution war der Staat sehr abhängig, vor allem von den USA. Diese Abhängigkeit ist heute nicht mehr vorhanden. Das heißt aber nicht, dass sich die wirtschaftliche Lage verbessert hat.

Was sind denn die Konzepte und wer sind die TheoretikerInnen der Grünen Bewegung im Iran?

Das ist eine demokratische Bewegung, keine ideologische Bewegung. Sie besitzt nicht die Struktur einer politischen Bewegung oder einer Partei. Das heißt, es gibt da keine Spitze, die Entscheidungen trifft. Das ist eine horizontale Netzwerkbewegung. Mussavi (Ex-Ministerpräsident Mir-Hossein Mussavi, Anm.) und Karrubi (Mehdi Karroubi, hoher shiitischer Kleriker, Anm.) sind Teil dieser Bewegung und verstärken sie durch ihre Teilnahme. Sie sind  aber keinesfalls die Führer der Bewegung. Die Bewegung wird durch die Netzwerke koordiniert.

Gibt es VordenkerInnen, die jetzt brauchbar für die Grüne Bewegung sind?

Wie gesagt, das ist eine demokratische und keine ideologische Bewegung, die vor allem ein Ziel hat: Demokratie. Deshalb kann es in dieser Bewegung auch keine Vordenker und Masterminds geben. Denken Sie zum Beispiel an den letzten Marsch: Mussavi und Karrubi haben die Menschen dazu aufgefordert, nicht auf die Straße zu gehen, nachdem die Demonstration vom Regime nicht bewilligt wurde. An diesem Tag sind die Menschen aber trotzdem auf die Straßen gegangen, und der Staat hat von 150 Festnahmen berichtet. Alleine diese Berichterstattung, dass 150 Menschen festgenommen wurden, ist ein Beweis dafür, dass die Menschen trotzdem auf die Straßen gegangen sind. Es gibt keinen Vordenker, es gibt keine Führer, es sind die Menschen, die da am Werk sind. Und das macht die Bewegung stärker.

Wie kann eine Bewegung, die so aufgebaut ist, wie Sie das beschrieben haben, die Regierenden zu Eingeständnissen bewegen?

Eine friedliche Bewegung erlaubt keine Gewaltanwendung von Seiten der Regierung. Die Grüne Bewegung ist eigentlich gut verbunden, was die Kommunikation untereinander anbelangt. Per Internet können sie gut kommunizieren. Das ist der Unterschied zwischen einer Bewegung und einer politischen Partei. Eine Bewegung stirbt nicht ab, die hat Höhen und Tiefen, aber sterben tut sie nicht. Die Grüne Bewegung im Iran lässt sich mit der Bewegung der Farbigen in den USA vergleichen. Angefangen hat das in den USA mit Martin Luther King, aber nach Martin Luther Kings Tod, war die Bewegung nicht am Ende. Wer war dort der Führer? Alle Farbigen! Und wie lange hat die Bewegung gedauert? Bis Präsident Obama ins weiße Haus einzog. So wird das auch mit der Grünen Bewegung im Iran sein, vielleicht dauert das viele Jahre, aber sie werden siegreich sein – ohne Führer.

Haben Sie einen Rat für die jungen IranerInnen, die aufbegehren?

Die iranische Jugend weiß sehr gut, was sie zu tun hat. Sie soll ihren Kampf fortsetzen. Ich bin stolz auf die iranische Jugend.

Was bedeutet für Sie Freiheit?

Das heißt, seine Meinung frei äußern zu können, ohne Angst vor dem Gefängnis haben zu müssen. Und dass man bei den Wahlen jeden wählen kann und dass man so leben kann, wie man es selbst für richtig hält. Dass man frei wie ein Vogel leben kann (lacht).

Leere statt Lehre

  • 13.07.2012, 18:18

Die Proteste im vergangenen Jahr haben die Aufmerksamkeit zwar auch auf die Situation vieler präkarisierter Lehrender gelenkt. Geändert hat sich bislang jedoch nichts. Für 2011/12 droht nun die große Leere an den Unis.

Die Proteste im vergangenen Jahr haben die Aufmerksamkeit zwar auch auf die Situation vieler präkarisierter Lehrender gelenkt. Geändert hat sich bislang jedoch nichts. Für 2011/12 droht nun die große Leere an den Unis.

Seit dem Universitätsgesetz (UG) 2002 hat sich die Situation des so genannten Mittelbaus an den österreichischen Universitäten dramatisch verändert. Statt meist beamteter, jedenfalls aber unbefristeter Stellen, werden nun nur noch auf einige Jahre befristete Stellen vergeben, für die an manchen Universitäten auch so gut wie keine Chance auf eine Entfristung besteht. Heute ist der gesamte neue Mittelbau, die verschiedenen Preund Postdoc-Stellen, zu einer zeitlich befristeten Angestelltengruppe geworden, die durch die so genannte „Kettenvertragsregelung“, die die Aneinanderreihung kurzfristiger Arbeitsverträge zeitlich begrenzt, im Normalfall keine Chance auf langfristige Verlängerung ihrer befristeten Anstellungen hat. Die Verantwortung dafür liegt jedoch nur teilweise beim Gesetzgeber. Während einzelne Universitäten, wie die Universität Innsbruck, durchaus eine größere Zahl an Laufbahnstellen, so genannte Tenure-Track-Stellen, geschaffen haben, hinkt etwa Österreichs größte Universität, die Universität Wien, auch in absoluten Zahlen vielen kleineren Universitäten hinterher. 2008/09 wurden 39 MitarbeiterInnen entfristet, davon im Studienjahr 2009/10 13 Personen.
Bereits vor dem UG 2002 stellten allerdings die Verträge für LektorInnen die prekärste Beschäftigungsform des wissenschaftlichen Personals an den Universitäten dar. Ursprünglich nur als Übergangslösung gedacht, bekommen sie bis heute nur schlecht dotierte Semesterverträge. In den letzten Jahren hat sich diese Situation für viele Betroffene jedoch insofern verschärft, als immer mehr LektorInnen auch außerhalb der Universitäten nur ähnlich prekäre Beschäftigungsverhältnisse vorfinden wie innerhalb der Unis. So gibt es heute immer mehr LektorInnen, die entweder (fast) nur davon leben, mehrere Lehraufträge parallel – manchmal auch an mehreren Universitäten – zu halten, oder sich von einem Projekt zum nächsten durchzuwurschteln.

Unis lehren kein Lehren. LektorInnen, früher externe LektorInnen genannt, sind zwar nur für einzelne Lehraufträge an Universitäten angestellt und müssen jedes Semester erneut um ihre Lehrveranstaltungen ansuchen, allerdings hat dieser Status – so prekär er in vielen Fällen auch ist – durchaus auch Vorteile für alle Beteiligten. Wer nicht ausschließlich von den kümmerlich bezahlten Lehraufträgen leben muss, sondern aus der beruflichen Praxis oder der außeruniversitären Forschung kommt, kann so nebenbei an der Universität lehren und erweitert damit wesentlich das thematische Spektrum der Lehre. In vielen Studienrichtungen wird mehr als die Hälfte der Lehre von LektorInnen geleistet, die dadurch eine inhaltliche Breite an die Universität bringen, die nur mit Vollzeitstellen nicht zu erreichen wäre. Zugleich kann auch eine relativ große Gruppe an NachwuchswissenschafterInnen als LektorInnen erste Lehrerfahrung erhalten. Und auch wenn viele dieser jungen LektorInnen nach wenigen Jahren aufgrund fehlender Perspektiven wieder aufgeben, so lernen eben auch viele, die in Lehre und Forschung bleiben, das Handwerkszeug der Lehre – für die die Universitäten ja so gut wie keinerlei Ausbildung anbieten.
Kaum eine/r der LektorInnen hat an der Universität einen Arbeitsplatz, für immer höhere Studierendenzahlen gibt es gleichbleibend wenig Gehalt und niemand weiß wie lange ein Lehrauftrag erhalten bleibt. Angesichts solcher Bedingungen ist es allerdings primär die Universität, die von den LektorInnen profitiert. An vielen Instituten könnten ganze Themenbereiche nicht abgedeckt werden, würden nicht engagierte Lehrende, die ihr Wissen durch eigene Forschungen erworben haben, dieses in die Lehre einbringen.

AMS statt Anstellung. Für LektorInnen und andere Angehörige des neuen Mittelbaus wird dabei der Umgang mit der „Kettenvertragsregelung“ zum immer drängenderen Problem. Immer mehr Angehörige des wissenschaftlichen Personals erreichen derzeit und in den nächsten zwei Jahren jene Anstellungsdauer, die ihnen nach der Kettenvertragsregelung eine weitere befristete Beschäftigung an derselben Universität untersagt. Ab 2011/12 werden erstmals auch Tausende LektorInnen davon betroffen sein, weil die Frist mit dem Inkrafttreten des Universitätsgesetzes per 1. Jänner 2004 zu laufen begonnen hat und LektorInnen maximal acht Jahre lang mit befristeten Verträgen beschäftigt werden dürfen. Als Schutz für die ArbeitnehmerInnen gedacht, sollte die Kettenvertragsregelung eben vor solchen Kettenverträgen schützen und eigentlich dazu führen, dass solche ArbeitnehmerInnen in ein unbefristetes Anstellungsverhältnis übernommen werden. An den meisten Universitäten wird hingegen anders auf die Kettenvertragsregelung reagiert: Um niemanden unbefristet anstellen zu müssen, werden stattdessen nach Ablauf der Frist keine Lehraufträge beziehungsweise andere zeitlich befristete Anstellungen mehr vergeben. Für die Lehre bedeutet dies, dass spätestens 2011/12 in vielen Studienrichtungen die Lehre nicht mehr aufrecht zu erhalten sein wird – sofern sich nicht der Umgang mit der Kettenvertragsregelung ändert. Für die betroffenen LektorInnen führt dies zu massiven Härtefällen, insbesondere bei jenen, die bis zu acht Semesterwochenstunden lehren und fast ausschließlich von der Lehre leben. Gerade bei älteren LektorInnen sind die Chancen gering, eine andere Anstellung oder an einer anderen Universität genug Lehraufträge zu finden. Für LektorInnen mit Familie und/oder Betreuungspflichten ist es zudem oft nicht zumutbar, einfach ein Jahr an eine Uni irgendwohin zu verschwinden. Besonders betroffen davon sind aufgrund der in unserer Gesellschaft immer noch ungleich aufgeteilten Betreuungsarbeit in besonderem Ausmaß Wissenschafterinnen. Damit wartet für mach hochqualifizierte Wissenschafterin am Ende der Kettenvertragsregelung nicht die feste Anstellung, sondern das AMS und die bedarfsorientierte Mindestsicherung.

Der Autor ist Lektor am Institut für Politikwissenschaft, Ersatzmitglied des Betriebsrats und des Senats der Universität Wien und 2010/11 Research Fellow an der University of Minnesota (US).

Buchrezension: Metaphysik der Gewalt

  • 13.07.2012, 18:18

„Literaturwissenschaftler gegen Hitler“

„Literaturwissenschaftler gegen Hitler“ klingt nach dem Namen einer eher verwegenen Studiengruppe. Im Zweiten Weltkrieg war es aber ein reales Programm des britischen Geheimdienstes MI6. Gegen die Gräuel und das Lügen könne nur ankämpfen, wer selbst das Gespür für Geschichten und das Geschichten-Erzählen besäße, so dachten die Schlapphüte, und heuerten GeisteswissenschaftlerInnen und LiteratInnen an. Eine Geschichte solcher Figuren erzählt der spanische Großschriftsteller Javier Marías im heuer erschienenen dritten und letzten Teil seines Romans Dein Gesicht morgen.
Als der Romanist Jaime Deza wegen Streitereien mit seiner Frau aus dem Madrid der Gegenwart f lüchtet, ahnt er nicht, dass die Tradition der Geistesmenschen undercover nicht vorbei ist. Überzeugt, dass Jaime tief in die Seele anderer Menschen zu blicken vermag und ihre Absichten erraten kann, heuert ihn ein Mann namens Tupra an, vermittelt von seinem väterlichen Freund Wheeler, der einst im Krieg gegen die Nazis selbst für den Geheimdienst arbeitete. Wofür die Psychogramme dienen, die er für Tupra erstellt, erfährt Jaime jedoch nur selten.
Schon bald wird sein gutes Gewissen auf die Probe gestellt. In der ansonsten verwaisten Behindertentoilette einer Diskothek muss er zusehen, wie sein Chef einen spanischen Diplomaten brutal verprügelt und foltert. Später stellt sich heraus, dass ihm dies nicht nur sardonisches Vergnügen bereitet, sondern Teil seines Jobs ist.Videoaufnahmen dieser entmenschlichten Folterszenen, in die er reiche Geschäftsleute und PolitikInner hineinzwingt, schaffen für Tupra eine psychische Abhängigkeit bei seinen Opfern. Sie werden zu seinen willfährigen Instrumenten.
Dieses Wissen verändert Jaime. „Vielleicht empfindet man nie völlig ehrlichen Abscheu gegen sich selbst, und eben das ermöglicht uns, alles zu tun, sobald wir uns an die Gedanken gewöhnen, die in uns aufkommen“, räsoniert er, nachdem er der Disko-Szene passiv beiwohnt. Sein Schrecken lähmt ihn, hindert ihn am Eingreifen. Wenig später ist die Gewalt auch in ihn eingedrungen, wie eine Infektionskrankheit. Er terrorisiert und verprügelt einen Liebhaber seiner Frau, wird selbst zur Bestie.
In mäandernden, sich windenden Sätzen, die so typisch sind für Marías, beschreibt er die Indifferenz der menschlichen Empfindsamkeit gegenüber der Grausamkeit. Jaime Deza bleibt nicht bis zum Ende des Buches im Dienste des Folterknechts Tupra, aber lange genug, um mit Faustischer Rücksichtslosigkeit mehr über das Leben zu lernen, als es NormalbürgerInnen jemals könnten. Die Erforschung des Schmerzen-Bereitens verquickt im Roman gleichsam mit der Beschreibung der Geheimorganisation. Beides, so wird suggeriert, ist esoterisches, verbotenes Wissen, dass nur von Mund zu Mund verbreitet werden kann, unwiderstehlich für den Geist von Jaime. Genau diese verborgene Qualität ist es, die trotz ihrer bitteren Mischung aus Disziplin und Strafe auch in dem oder der LeserIn das perverse Verlangen weckt, in ihre Geheimnisse eingeweiht zu werden.

Volle Kontrolle der virtuellen Identität

  • 13.07.2012, 18:18

Debatten über die digitale Sicherheit von Facebook werden immer lauter. Vier New Yorker-Studenten haben ihre eigene Alternative zu diesem Problem gefunden: In wenigen Wochen wird ihre Antwort auf Facebook gelauncht: Das neue Social-Network Diaspora.

Debatten über die digitale Sicherheit von Facebook werden immer lauter. Vier New Yorker-Studenten haben ihre eigene Alternative zu diesem Problem gefunden: In wenigen Wochen wird ihre Antwort auf Facebook gelauncht: Das neue Social-Network Diaspora.

"Den Datenschutz berücksichtigendes Open Source Social Network mit voller NutzerInnenkontrolle“, ist das ausformulierte Ziel der Diaspora-Gründer. Anstatt die Kommunikation wie bei bestehenden AnbieterInnen über einen zentralen, gewinnorientierten Server laufen zu lassen, sollen die zukünftigen Diaspora-NutzerInnen durch ihre Anmeldung ihren eigenen Diaspora-Seed erhalten. Dieser Samen in Form eines Webservers aggregiert dann die persönlichen Daten und Informationen und kann mit anderen UserInnen verbunden werden. Durch die verschlüsselte Kommunikation haben die NutzerInnen somit selbst die volle Kontrolle, wem sie den Zugriff auf persönliche Informationen gewähren. Dass die vier Studierenden aus New York ihr Projekt als freie Software planen, ist ein gravierender Unterschied zu den bisherigen Social-Network-AnbieterInnen. Jedoch ist die Freigabe der Lizenz, so dass jeder Mensch sie beliebig kopieren, verbreiten und nutzen darf, auch noch kein Garant zum Erfolg. Der Open-Source-Anbieter von Twitter Status.net ist beispielsweise immer noch eher unbekannt.
Das Interesse an einen für NutzerInnen freundlichen Social-Network ist in jedem Fall sehr groß. Die Diaspora-Gründer wandten sich im Bezug auf Finanzierung ihres Projektes an die Crewfunding-Plattform Kickstarter. Ihre Innovation fand Anklang, und so hatten die vier Erfinder das benötigte Budget von 10.000 Dollar in zwölf Tagen zusammen und hörten bei diesem Betrag nicht auf, Geld für ihr Projekt zu sammeln.
Die vier IT-Studierenden haben sich offenbar auch genau den richtigen Zeitpunkt ausgewählt, um mit ihrer frisch geborenen Idee an die Öffentlichkeit zu gehen. Im Mai, nach der Facebook-Entwicklerkonferenz F8 rief die Facebook Inc. aufgrund ihrer Erneuerung im Umgang mit persönlichen Daten nicht nur überzeugte DatenschützerInnen auf den Plan.
Sie präsentierten dem Publikum neben den neuesten Plänen im Bezug auf die Social-Plugins, welche die Interaktion mit anderen Websites fördern sollen, auch die überarbeiteten Datenschutz-Richtlinien. Die privaten Daten, wie persönliche Informationen, Fotos, etc. sollten zu kommerziellen Zwecken an Dritte weitergegeben werden.
Mit dem geplanten offenen Umgang und dem offiziellen Weiterkauf persönlicher Informationen ging die Facebook Inc. um Mark Zuckerberg aber womöglich einen Schritt zu weit.

Facebook übernimmt das Netz. Facebook hat laut eigenen Angaben rund 500 Millionen aktive NutzerInnen weltweit und ist damit die größte Social-Community. Die Nutzung von Facebook ist für die UserInnen kostenlos, aber im Endeffekt sind es doch die NutzerInnen, die bezahlen. Im Gegensatz zum Open Source Modell Diaspora ist Facebook eine kommerzielle Social Software.
Die Facebook Inc. hat allerdings noch kein kostendeckendes Geschäftsmodell entwickeln können – durch die rasant steigende NutzerInnenzahl und die damit verbundenen Kosten reicht der geschätzte Jahresumsatz von 700 bis 800 Millionen Dollar nicht, um die nötigen Ausgaben durch die konkreten Einnahmen zu finanzieren. Aber nicht nur Mark Zuckerberg und die weiteren Facebook-Stakeholder versuchen, von dem Sozialen Netzwerk finanziell zu profitieren. Viele Firmen nutzen die kommerziellen Angebote auf der Internetseite wie etwa das Targeting und Empfehlungsmarketing.
Das Targeting ist der englische Begriff für personalisierte Werbung. Firmen haben also Zugriff auf Basisinformationen wie Alter, Geschlecht und Herkunft, aber auch individuelle Eingaben wie spezifische Interessen oder favorisierte Lektüre können für Firmen sichtbar gemacht werden. Diesen wird dadurch ermöglicht noch besser auf die vermeintlichen Bedürfnisse ihrer potentiellen KundInnen einzugehen.

Facebook vs. Diaspora. Der Facebook Inc. reicht es aber nicht mehr, die beinahe konkurrenzlose Nummer Eins unter den Social-Networks zu sein: Mark Zuckerberg und seine MitstreiterInnen haben es deutlich gemacht: Sie wollen auf jede Homepage.
Das Werkzeug dazu ist das Open Graph Protocol dass die Kommunikation zwischen Facebook und anderen Websites fördert. Mit ganz einfachen Mitteln können so Website- BetreiberInnen so genannte Share- und Like-Buttons auf ihre Home- page hinzufügen, die sofort mit Facebook interagieren und die jeweilige Nachricht automatisch auf das Profil der BenutzerInnen posten.
Ob die Quasi-Monopolstellung von Facebook überhaupt noch gebrochen werden kann, haben sich die vier Studierenden auch gefragt. Ein Zwischenschritt soll daher sein, bereits existierende Social-Networks wie eben Facebook oder auch twitter und flickr auf der neuen Diaspora-Seite zu integrieren.
Wir dürfen gespannt sein, im Herbst wird die revolutionäre Plattform gelauncht, die es den UserInnen erlaubt, selbst im Besitz ihrer Daten zu sein.

Bicasso Jürgenssen *

  • 13.07.2012, 18:18

Zahlreiche Arbeiten der vor sieben Jahren verstorbenen Künstlerin Birgit Jürgenssen werden diesen Winter in einer groß angelegten ersten Retrospektive in Wien zu sehen sein. Dies bietet den perfekten Anlass, sich dem Wandel feministischer Kunst und deren Anliegen zu widmen.

Zahlreiche Arbeiten der vor sieben Jahren verstorbenen Künstlerin Birgit Jürgenssen werden diesen Winter in einer groß angelegten ersten Retrospektive in Wien zu sehen sein. Dies bietet den perfekten Anlass, sich dem Wandel feministischer Kunst und deren Anliegen zu widmen.

In der 1975 von Valie Export kuratierten Ausstellung Magna. Feminismus: Kunst und Kreativität waren Fotos einer Küchenschürze tragenden Frau zu sehen. Anstatt eines die Kleidung vor Schmutz schützenden Stoffes wurde der Trägerin hier aber ein Herd plastisch vor den Körper geschnallt. Dem traditionellen Gewand einer Hausfrau in Form und Länge nachempfunden irritiert der an der Hüfte ausladende Vorbau, der neben zwei Kochstellen auch ein Backrohr vorzuweisen hat. Die in erkennungsdienstlicher Manier aufgenommenen Bilder zeigen frontal und im Profil wie aus der offenen Lade ein Brotlaib hervorlugt. Um das Gewicht dieser Konstruktion zu tragen stützt die adrett gekleidet und gekämmte Frau ihre Arme ab wie es auch Schwangere tun. Kochen und Backen werden folglich mit Konnotationen des Austragens und Gebärens zusammengebracht, und so die Last und das Spektrum reproduktiver Pflichten versinnbildlicht.

„Ich als Bonsai“. Die hier abgebildete Frau ist gleichzeitig Urheberin dieser Fotografien. Birgit Jürgenssen, eine zu diesem Zeitpunkt 26-jährige Wiener Künstlerin, die zuvor ihr Studium an der Hochschule für Angewandte Kunst abgeschlossen hat, wo ihr Lehrbeauftragte mit Sagern wie „Ach, Fräulein Jürgenssen, warum schleppen Sie sich denn mit den schweren Lithosteinen ab, Sie werden doch eh bald heiraten!“ begegnet sind. Was die Künstlerin daraufhin thematisiert und kritisiert, mag aus heutiger Sicht fern wirken, entspringt aber ihrer direkten Lebenserfahrung in einer Nachkriegsgesellschaft, die von einer vielseitigen und tiefgreifenden „Zurück-an-den-Herd“-Politik geprägt war.
Auf dieses Umfeld reagierte Jürgenssen mit dezidiert feministischen Arbeiten, die sich zu Beginn, wie die Hausfrauen-Küchenschürze zeigt, vor allem mit traditionellen Bildern von Weiblichkeit im Spannungsverhältnis zwischen Privatheit und Öffentlichkeit auseinander setzten. Auch in anderen Medien wie der Grafik arbeitete sich die Künstlerin an den ihr zugewiesenen, festgefahrenen Geschlechterrollen und deren Auswirkungen ab. So stellt sie 1976 eine Frau in engen Hosen und Stiefeln dar, der die Bewegungsfreiheit durch eine ausgeklügelte Konstruktion aus Seilen und Holz vollständig genommen wurde. Zu einem rein funktionalen Ding degradiert bleibt ihr nichts anderes übrig als in dieser hörigen, soldatisch anmutenden Stellung zu verharren und an die Decke zu starren. Der weibliche Körper, der in Jürgenssens Bildern immer auch als ihr eigener erkannt werden kann, wird zur Materie, in die sich Machtmechanismen und Normen einschreiben. Die Künstlerin bringt dies mit einem anderen Sinnbild in einer kurzen Notiz so auf den Punkt: „Ich als Bonsai. (durch besondere Behandlung niedrig gehaltene Baumpflanze)“.

Körper / Grenzen überschreiten. Birgit Jürgenssen bezog zeitgemäß Stellung zu gerade in der zweiten Frauenbewegung wichtigen Themen wie Körper, Machtverhältnissen oder den engen Grenzen weiblicher Lebensentwürfe. Früh lassen sich bei ihr aber auch Strategien der Maskerade und Fragmentierung erkennen, die in feministischen und dekonstruktivistischen Diskursen in den folgenden Jahrzehnten besondere Wichtigkeit erlangten. Sich selbst nimmt die Künstlerin dabei immer mehr aus ihren Arbeiten heraus und verstellt den Blick der Betrachter*innen durch Motive wie beispielsweise den eines Fuchskopfes, mit dem sie ihr Gesicht verhüllt. „Ich maskiere mich, weil es weniger um mich als um die Situationen geht, in denen ich mich darstelle, um die Geschichten, die eine Visualität bekommen. Und sowieso darum, in andere Rollen und Identitäten zu schlüpfen.“1 Durch die Tier-Werdung, die Jürgenssen in mehreren Fotostrecken durchgespielt hat, schafft sie einen Rahmen, der weniger stark von geschlechtlichen Zuschreibungen beeinflusst ist und ihr die Möglichkeit gibt, sich selbst in neuen identitären Konstrukten zu versuchen. Diesen Ansatz variiert sie ihr gesamtes Schaffen hindurch und kann so, selbst wenn sie nicht dezidiert mit Geschlechterrollen und deren Überschreitung spielte, als Wegbereiter*in eines queeren Verständnisses von Identität begriffen werden.

Gegen glatte Frauenkörper. Dieser Brückenschlag von Auseinandersetzungen mit traditionellen Rollenbildern wie dem der Hausfrau hin zu Identität als Variable ist es, der Jürgenssens Werk nicht leicht fass- und kategorisierbar macht. Bis heute haben wir es täglich mit einer allzu glatten, kulturell gefestigten, bildlichen Präsenz von Frauenkörpern zu tun, die solch ambivalente Stellungnahmen nicht toleriert. Birgit Jürgenssen arbeitete durch variationsreiche Verfremdungen dreißig Jahre lang gegen diese Mechanismen an und bietet somit auch für die Gegenwart inspirierende Denkanstöße. Die Birgit Jürgenssen Retrospektive, die in Kooperation mit der Sammlung Verbund entstanden ist, kann ab 16. Dezember 2010 im Bank Austria Kunstforum besucht werden.

* Mit diesem Pseudonym signierte Birgit Jürgenssen als Achtjährige ihre Zeichnungen.

1 Birgit Jürgenssen im Gespräch mit Rainer Metzger: Kunstforum International, 164, 2003, S. 243.

Zwischen Autonomie und WM

  • 13.07.2012, 18:18

Katalonien hat in diesem Sommer gebebt: Vor Ärger über den beschränkten Autonomiestatus und vor Freude über den Sieg Spaniens bei der Fußball-Weltmeisterschaft

Katalonien hat in diesem Sommer gebebt: Vor Ärger über den beschränkten Autonomiestatus und vor Freude über den Sieg Spaniens bei der Fußball-Weltmeisterschaft

In den katalanischen Tageszeitungen wechseln sich wochenlang fußballbegeisterte pro-spanische Schlagzeilen mit empörten Kommentaren zum Autonomiestatut und der „katalanischen Frage” ab. La Razon etwa verkündet drei Tage vor dem WM-Finale „España vence unida“ (Spanien gewinnt vereint) und sogar das in Barcelona ansässige Tagesblatt La Vanguardia stimmt in die Fußball-Begeisterung ein und titelt Spanien- freundlicher als gewohnt „Todos jugamos juntos“ (Wir spielen alle gemeinsam). In der Rubrik Opinión findet sich dann aber doch auch der gewohnte katalan-nationalistische Ton. „Katalonien, alte Nation Europas (so drückt es das Statut aus), verdient Respekt. Dass es ja niemand herabsetze!” Katalonien scheint in der Frage über sein Verhältnis zu Spanien mehr als zwiegespalten. Während sich die Hälfte der KatalanInnen von Spanien unterdrückt oder sogar besetzt fühlt, ist die andere Hälfte sehr zufrieden mit ihrer doppelten Identität.
Doch woher rührt diese jahrzehntelange Diskussion um die katalanische Unabhängigkeit, die auch nach Jahrhunderten der politischen Zugehörigkeit zu Spanien nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat?

Katalonien als Großmacht. Noch heute erinnern sich die KatalanInnen gerne an die einstige Größe Kataloniens, das sich im Mittelalter über weite Teile des Mittelmeerraums, von Valencia und Mallorca bis nach Neapel und den Inseln Sizilien, Korsika und Sardinien zog. Die Erklärung für den glühenden Nationalstolz der meisten KatalanInnen ist wohl in der jüngeren Geschichte der nun autonomen Region Catalunya zu finden, die lange Zeit vor allem durch Unterdrückung geprägt war. In der Zeit der Diktatur Francos (1939–1975) wurde die katalanische Kultur und Sprache aus dem öffentlichen Leben verbannt. Katalanisch konnte nur zuhause gesprochen werden. Auf der Straße mussten Strafen befürchtet werden. „Meine Eltern sind beide aus anderen Regionen Spaniens hierher nach Barcelona gezogen“, erklärt mir meine Freundin Cristina. „Während der Zeit der Diktatur haben sie deswegen zuhause auch immer nur Spanisch gesprochen. Deswegen habe ich Katalanisch dann erst recht spät in der Schule gelernt. Bei den Kindern mit katalanischen Eltern hat die Sprache zuhause überlebt. Anderswo hätten sie es nicht sprechen dürfen.“

Verbreitung des Katalanischen. Nach dem Tod Francos 1975 wurde die demokratische Landesregierung wiederhergestellt. Seitdem kann das Català wieder überall auf den Straßen gehört und auf Plakaten und Straßenschildern, in Zeitungen und in Büchern gelesen werden. Spanisch und Katalanisch sind seither die offiziellen Sprachen Kataloniens. Katalanisch ist allerdings die erste Bildungssprache in den Schulen und Universitäten. Die von vielen KatalanInnen ersehnte gänzliche Separation von Spanien, blieb jedoch ein unerfüllter Wunsch. Ihre Unabhängigkeit und Identität betonen sie seither vor allem über ihre Sprache. Deswegen legt auch die katalanische Landesregierung viel Wert auf die Verbreitung derselben. Im Rahmen eines normalització genannten Prozesses versucht die regionale Regierung den vielen, aus anderen Teilen Spaniens, Zugewanderten die katalanische Sprache näherzubringen. Durch Kampagnen für die Verbreitung des Katalanischen, das Anbieten unentgeltlicher Sprachkurse und Förderungen der katalanischsprachigen  Literatur, ist es gelungen die einstige Position des Català zumindest teilweise wiederherzustellen.
Kurz nach Ende der Diktatur wurde die Autonomie bestimmter Regionen, darunter auch der Comunitat Autònoma de Catalunya durch die spanische Verfassung 1978 anerkannt. Ein Jahr später wurde ihre unabhängige Position mit dem Estatut d’Autonomia de Catalunya 1979, dem ersten Autonomiestatut Kataloniens, das als eine Art eigene Verfassung für Katalonien, verstanden werden kann, weiter gestärkt. Mit dem Autonomiestatut 2006 ist neuerlich Bewegung in die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen gekommen. Dieses kommt der Forderung der KatalanInnen nach mehr wirtschaftlichen und finanziellen Kompetenzen für die Region größtenteils nach. Die der Region Catalunya garantierte Unabhängigkeit wurde aber vom spanischen Zentralstaat als zu weitgehend empfunden. Unter anderem bezeichnet der erste Artikel Katalonien als „Nation“, ein anderer bezeichnet das Katalanische als „vorrangige Sprache“ vor dem Spanischen und ein weiterer Artikel will den Vorrang des katalanischen Zivilrechts, das seit jeher eigenständig neben dem spanischen besteht, normieren. Diese umstrittenen Punkte wurden im Juli 2010 vom spanischen Verfassungsgericht als verfassungswidrig aufgehoben.

Würde des Landes. Als Reaktion auf dieses Urteil wurde vom Präsidenten der Generalitat de Catalunya, José Montilla, zur Demonstration aufgerufen: „Um für die Würde eines Landes zu kämpfen muss man vieles tun. Wenn es zu einem Angriff darauf kommt, muss man auf die Straßen gehen.“
„Ich verstehe die Aufregung nicht. Ich bin Katalanin. Auch zuhause rede ich katalanisch. Aber ich finde den Rest von Spanien auch sehr schön“, empört sich meine Kollegin Mari und meint bezüglich der angekündigten Demonstration: „Ich werde dort bestimmt nicht hingehen!“.
„Spanien muss endlich verstehen, dass Katalonien ein eigenes Land mit eigener Kultur ist. Wenn wir unsere Kultur nicht pflegen, wird sie irgendwann in der spanischen untergehen.“ meint meine Bekannte Marta. Und mein Vermieter Paco zuckt nur mit den Schultern und bemerkt „Ich bin zwar Katalane, aber ich gehe nicht zur Demonstration. Das bringt ohnehin nichts.“ So viele KatalanInnen zu diesem Thema befragt werden, so viele Meinungen werden herauskommen. Aber egal ob diese der Autonomie positiv oder negativ gegenüberstehen – keine Katalanin und keinen Katalanen lässt das Thema kalt.
 

Was ist Hochschulbildung wert?

  • 13.07.2012, 18:18

Investitionen in Bildung zahlen sich aus. Warum eigentlich? Wie die Rendite von Bildung gemessen werden kann und welchen Sinn das Argument in der gegenwärtigen Diskussion um mehr Geld für Österreichs Hochschulen macht.

Investitionen in Bildung zahlen sich aus. Warum eigentlich? Wie die Rendite von Bildung gemessen werden kann und welchen Sinn das Argument in der gegenwärtigen Diskussion um mehr Geld für Österreichs Hochschulen macht.

Österreichs Hochschulen sind in Geldnöten. Laut Universitätsbericht des Wissenschaftsministeriums wurden 2009 3,79 Prozent der Bundesausgaben für Hochschulen verwendet, das sind rund drei Milliarden Euro. Für die 22 öffentlichen Universitäten und 19 Fachhochschulen reicht das nicht aus. Besonders die Geldprobleme der so genannten Massenuniversitäten haben im letzten Jahr große Aufmerksamkeit erlangt, unter anderem als Reaktion darauf wurden Forderungen nach flächendeckenden Zugangsbeschränkungen seitens der Rektoren und des Wissenschaftsministeriums erneut laut.
Auf der Finanzierungsseite ist keine Besserung in Sicht: Österreich muss sparen. Die EU hat ein Verfahren wegen übermäßigem Defizit eingeleitet, dass die Regierung mehr oder weniger zum Handeln zwingt. Die Maastricht-Kriterien sind einzuhalten um einen stabilen Euro zu gewährleisten, hier sind sich Europäische Zentralbank und Kommission einig. Maximal sind eine Neuverschuldung von drei Prozent des BIP und eine Verschuldungsquote von 60 Prozent des BIP erlaubt, sonst drohen Sanktionen – Österreich rechnet für 2010 mit einem Defizit von 4,7 Prozent und einer Schuldenquote von 70,2 Prozent, ab 2011 muss daher konsolidiert werden. Die Pläne dafür werden freilich erst nach den Landtagswahlen vorgelegt, doch die Hochschulen ziehen sich jetzt bereits warm an. Für die Universitäten beginnt 2011 eine neue Leistungsvereinbarungsperiode, bei der die Gelder neu verteilt beziehungsweise gekürzt werden. Bereits jetzt wird in so genannten „Begleitgesprächen“ seitens des Ministeriums auf die zu erwartenden sinkenden Mittel hingewiesen.
An den Hochschulen zu sparen ist in, das zeigen Beispiele aus den USA und dem Vereinigten Königreich. Direkte soziale Folgekosten wie Arbeitslosigkeit und Armut werden von Kürzungen im tertiären Sektor nicht erwartet, also wird der Sparstift hier zuerst angesetzt. Das hoch verschuldete Großbritannien (erwartetes Defizit 2010: Zwölf Prozent, Schuldenstand 79,1 Prozent) beschloss Kürzungen von über einer halben Milliarde Euro für das Studienjahr 2010/2011, weitere Einbrüche bis zu 35 Prozent des Gesamtbudgets der Unis werden befürchtet, höhere Studiengebühren und zusätzliche Abgaben für AbsolventInnen sind zu erwarten. In den USA (erwartetes Defizit: Zehn Prozent, Schuldenstand 2011 mit 100 Prozent prognostiziert) brachen angesichts der Wirtschaftskrise sowohl die privaten Mittel als auch die öffentlichen Ausgaben für Hochschulen ein. Die stark verschuldeten Bundesstaaten sparen an der tertiären Bildung, die Finanzspritze des Bundes war zu gering, um im bildungsbereich Kürzungen verhindern zu können.

Hier sparen? Keine gute Idee. ÖkonomInnen schreien bei diesen Spar-Ideen laut auf. Sogar jene, die üblicherweise Budgetdisziplin als höchstes wirtschaftliches Ziel sehen, argumentieren gegen Kürzungen bei (tertiärer) Bildung. Grund ist die langfristig positive Wirkung, die gut ausgebildete Arbeitskräfte auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes haben.
Die Humankapitaltheorie liefert den theoretischen Hintergrund zu diesem Argument. Aufbauend auf der Annahme, das menschliche Arbeitskraft maßgeblich zur Wertschöpfung und damit zum Wirtschaftswachstum beiträgt, bedingt bessere Ausbildung den effektiveren Einsatz von Arbeitskraft. Wie eine neue Maschine angeschafft werden kann, um die Produktionsleistung zu verbessern, könne auch in die (Weiter)Bildung von Angestellten investiert werden, um das Ergebnis zu verbessern. Die getroffenen Investitionsentscheidungen der AkteurInnen sind rational, davon geht die klassische Theorie aus: Sowohl der Staat als auch das Individuum entscheidet nach klaren Kriterien, wann es sich auszahlt in Bildung zu investieren. Zahlen und profitieren tun nämlich beide.
Die Bildungsrendite, wie sie die OECD berechnet, wiegt die Investitionskosten für Ausbildung mit den daraus erzielten Gewinnen ab. Teile der Faktoren fallen dem Staat, andere dem Individuum zu. Studiengebühren, etwaiger Verdienstentgang (berechnet nach dem geltenden Mindestlohn) und andere Kosten, die direkt mit dem Studium in Verbindung stehen, sind Investitionskosten, die für die einzelnen StudentInnen anfallen, Gelder, die für Hochschulen sowie für Stipendiensysteme und/oder geförderte Studienkredite bereit gestellt werden, fallen als Investitionsaufwand dem Staat zu. Das wichtigste return on investment für Studierende ist der künftig erwartete höhere Verdienst. Davon profitiert auch der Staat durch das höhere Steueraufkommen, höhere Sozialabgaben und niedrigere Transferleistungen. Außerdem wird aufgrund der geringeren Arbeitslosenrate von AkademikerInnen auf eine niedrigere Belastung der Arbeitslosenversicherung geschlossen. Durchschnittlich liegen die so berechneten öffentlichen Erträge von Investitionen in tertiärer Bildung bei den OECD-Staaten bei 300 Prozent: Für jeden Euro, den die Staaten in Akademiker (!) investiert, kommen drei zurück – so die Berechnungen aus der jährlich erscheinenden OECD-Studie Education at a Glance. Der Investitionsertrag bei Frauen liegt aber deutlich darunter, die geringere spätere Entlohnung, die rund ein Drittel unter jener von Männern liegt, schmälert die individuelle und öffentliche Rendite. Diese Zahlen sprechen aus budgetpolitischer Perspektive eindeutig für Investitionen in (tertiäre) Bildung, die OECD empfiehlt selbst dann in akademische Ausbildung zu investieren, wenn die Ausgaben ein zusätzliches Budgetdefizit bringen würden – auf lange Frist zahlt sich Hochschulbildung sicher aus.

Unschärfen. Viele Aspekte, in denen AkademikerInnen zu einer Verbesserung der öffentlichen Haushalte beitragen, sind in dem Indikator noch nicht inbegriffen. Durch ihr höheres verfügbares Einkommen konsumieren sie in absoluten Zahlen mehr als andere, die dadurch eingehobene Mehrwertsteuer lässt die Staatskasse nochmals klingeln. AkademikerInnen sind gesünder und politisch interessierter – so genannte positve externe Effekte, also wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Zusatznutzen, der gar nicht im ursprünglichen Investitionsziel inbegriffen war, sind klar zu erkennen.
Aber wie präzise kann der wirtschaftliche Wert von AkademikerInnen wirklich gemessen werden? Selbst die OECD hegt Zweifel an der Genauigkeit ihrer Aussagen. So wird in Education at a Glance für die Berechnung der Rendite eines Hochschulstudiums von einem Realzinssatz von drei Prozent ausgegangen, um den Zeitfaktor der Investitionen einberechnen zu können. Wird dieser Wert nur geringfügig geändert, würden die errechneten Absolutbeträge deutlich schwanken. Ein anderer Unsicherheitsfaktor sind nicht prognostizierbare Veränderungen am Arbeitsmarkt – wenn sich die Nachfrage nach bestimmten akademischen Fachkräften ändert, steigt oder fällt auch das zusätzliche Einkommen, das durch das abgeschlossene Studium erzielt werden kann. Die oben erwähnten externen Effekte zu beziffern ist noch schwieriger. Nichts desto trotz sprechen jedoch die Vergleiche und die Renditen eine deutliche Sprache: Investitionen in tertiäre Bildung sind budgetpolitisch gerechtfertigt.

Wessen Erträge? Besonders in Zeiten von drohenden Sparpaketen Sparpaketen ist das Argument des wirtschaftlichen Nutzens von Bildung natürlich hilfreich, aus sozialwissenschaftlicher wie aus gesellschaftspolitischer Perspektive muss damit allerdings sehr vorsichtig umgegangen werden. Zunächst bedeuten die beeindruckenden öffentlichen und privaten Renditen nicht zwangsläufig Positives: Wenn nur wenige Menschen ein Hochschulstudium abschließen, kommt der zusätzliche Ertrag auch nur dieser Bevölkerungsgruppe zu Gute. Beim öffentlichen Ertrag verhält es sich wie bei allen öffentlichen Geldern: Über die Verwendung wird auf politischer Ebene entschieden. Ob aus dem Mehr an Einnahmen höhere Mindestsicherung oder eine Senkung des Spitzensteuersatzes finanziert werden, hängt von den politischen Kräfteverhältnissen ab. Die Verteilungsfrage muss also im selben Atemzug gestellt werden, wie Hochschulbildung als Top-Investition angepriesen wird: Für wen werden die Renditen verwendet? Je progressiver ein Steuersystem und je durchlässiger das Bildungssystem, desto ausgleichender kann tertiäre Bildung für eine Gesellschaft wirken.
Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive muss allerdings auch die Grundannahme der Humankapitaltheorie in Frage gestellt werden: Gewinnmaximierung ist nicht das einzige Entscheidungskriterium der AkteurInnen. Menschen studieren nicht nur deshalb, weil sie sich später höhere Einkommen erwarten. Sie beginnen eine tertiäre Ausbildung, weil ihre Eltern studiert haben – soziale Selektion ist ökonomisch nicht rational, und sie passiert trotzdem. Auch die Rationalität öffentlicher Investitionsentscheidungen ist zweifelhaft: Hier kann sich die OECD wohl noch Jahrzehnte lang ins Zeug legen und der Österreichischen Regierung eine extrem ertragreiche und gleichzeitig risikofreie Anlagemöglichkeit anpreisen, die Erfolgsaussichten auf mehr Geld für Hochschulen sind gering.
Flaute herrscht momentan bei jenen Argumenten, die in den 1970er Jahren die Bildungsdiskussion dominierten. Hochschulbildung als Mittel des sozialen Aufstiegs, Hochschulen als wichtige Bestandteile selbstkritischer und offener Gesellschaften und Bildung als Akt der geistigen Befreiung – damit wird heute keine Podiumsdiskussion mehr gewonnen. Zwar mag es auf den ersten Blick egal sein, warum in Hochschulen investiert wird, ist mensch doch um jeden zusätzlichen Euro froh. Die Ökonomisierung der Argumente hinterlässt jedoch auch Spuren in der Hochschulorganisation („unternehmerische Universität“), den Studienplänen (Bologna- Struktur) und den Studierenden selbst. Wenn die Zeit an der Hochschule wirklich nur noch als Selbst- Investment gesehen wird, verliert der tertiäre Sektor aus demokratiepolitischer Sicht an Attraktivität.

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