Was ist Hochschulbildung wert?

  • 13.07.2012, 18:18

Investitionen in Bildung zahlen sich aus. Warum eigentlich? Wie die Rendite von Bildung gemessen werden kann und welchen Sinn das Argument in der gegenwärtigen Diskussion um mehr Geld für Österreichs Hochschulen macht.

Investitionen in Bildung zahlen sich aus. Warum eigentlich? Wie die Rendite von Bildung gemessen werden kann und welchen Sinn das Argument in der gegenwärtigen Diskussion um mehr Geld für Österreichs Hochschulen macht.

Österreichs Hochschulen sind in Geldnöten. Laut Universitätsbericht des Wissenschaftsministeriums wurden 2009 3,79 Prozent der Bundesausgaben für Hochschulen verwendet, das sind rund drei Milliarden Euro. Für die 22 öffentlichen Universitäten und 19 Fachhochschulen reicht das nicht aus. Besonders die Geldprobleme der so genannten Massenuniversitäten haben im letzten Jahr große Aufmerksamkeit erlangt, unter anderem als Reaktion darauf wurden Forderungen nach flächendeckenden Zugangsbeschränkungen seitens der Rektoren und des Wissenschaftsministeriums erneut laut.
Auf der Finanzierungsseite ist keine Besserung in Sicht: Österreich muss sparen. Die EU hat ein Verfahren wegen übermäßigem Defizit eingeleitet, dass die Regierung mehr oder weniger zum Handeln zwingt. Die Maastricht-Kriterien sind einzuhalten um einen stabilen Euro zu gewährleisten, hier sind sich Europäische Zentralbank und Kommission einig. Maximal sind eine Neuverschuldung von drei Prozent des BIP und eine Verschuldungsquote von 60 Prozent des BIP erlaubt, sonst drohen Sanktionen – Österreich rechnet für 2010 mit einem Defizit von 4,7 Prozent und einer Schuldenquote von 70,2 Prozent, ab 2011 muss daher konsolidiert werden. Die Pläne dafür werden freilich erst nach den Landtagswahlen vorgelegt, doch die Hochschulen ziehen sich jetzt bereits warm an. Für die Universitäten beginnt 2011 eine neue Leistungsvereinbarungsperiode, bei der die Gelder neu verteilt beziehungsweise gekürzt werden. Bereits jetzt wird in so genannten „Begleitgesprächen“ seitens des Ministeriums auf die zu erwartenden sinkenden Mittel hingewiesen.
An den Hochschulen zu sparen ist in, das zeigen Beispiele aus den USA und dem Vereinigten Königreich. Direkte soziale Folgekosten wie Arbeitslosigkeit und Armut werden von Kürzungen im tertiären Sektor nicht erwartet, also wird der Sparstift hier zuerst angesetzt. Das hoch verschuldete Großbritannien (erwartetes Defizit 2010: Zwölf Prozent, Schuldenstand 79,1 Prozent) beschloss Kürzungen von über einer halben Milliarde Euro für das Studienjahr 2010/2011, weitere Einbrüche bis zu 35 Prozent des Gesamtbudgets der Unis werden befürchtet, höhere Studiengebühren und zusätzliche Abgaben für AbsolventInnen sind zu erwarten. In den USA (erwartetes Defizit: Zehn Prozent, Schuldenstand 2011 mit 100 Prozent prognostiziert) brachen angesichts der Wirtschaftskrise sowohl die privaten Mittel als auch die öffentlichen Ausgaben für Hochschulen ein. Die stark verschuldeten Bundesstaaten sparen an der tertiären Bildung, die Finanzspritze des Bundes war zu gering, um im bildungsbereich Kürzungen verhindern zu können.

Hier sparen? Keine gute Idee. ÖkonomInnen schreien bei diesen Spar-Ideen laut auf. Sogar jene, die üblicherweise Budgetdisziplin als höchstes wirtschaftliches Ziel sehen, argumentieren gegen Kürzungen bei (tertiärer) Bildung. Grund ist die langfristig positive Wirkung, die gut ausgebildete Arbeitskräfte auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes haben.
Die Humankapitaltheorie liefert den theoretischen Hintergrund zu diesem Argument. Aufbauend auf der Annahme, das menschliche Arbeitskraft maßgeblich zur Wertschöpfung und damit zum Wirtschaftswachstum beiträgt, bedingt bessere Ausbildung den effektiveren Einsatz von Arbeitskraft. Wie eine neue Maschine angeschafft werden kann, um die Produktionsleistung zu verbessern, könne auch in die (Weiter)Bildung von Angestellten investiert werden, um das Ergebnis zu verbessern. Die getroffenen Investitionsentscheidungen der AkteurInnen sind rational, davon geht die klassische Theorie aus: Sowohl der Staat als auch das Individuum entscheidet nach klaren Kriterien, wann es sich auszahlt in Bildung zu investieren. Zahlen und profitieren tun nämlich beide.
Die Bildungsrendite, wie sie die OECD berechnet, wiegt die Investitionskosten für Ausbildung mit den daraus erzielten Gewinnen ab. Teile der Faktoren fallen dem Staat, andere dem Individuum zu. Studiengebühren, etwaiger Verdienstentgang (berechnet nach dem geltenden Mindestlohn) und andere Kosten, die direkt mit dem Studium in Verbindung stehen, sind Investitionskosten, die für die einzelnen StudentInnen anfallen, Gelder, die für Hochschulen sowie für Stipendiensysteme und/oder geförderte Studienkredite bereit gestellt werden, fallen als Investitionsaufwand dem Staat zu. Das wichtigste return on investment für Studierende ist der künftig erwartete höhere Verdienst. Davon profitiert auch der Staat durch das höhere Steueraufkommen, höhere Sozialabgaben und niedrigere Transferleistungen. Außerdem wird aufgrund der geringeren Arbeitslosenrate von AkademikerInnen auf eine niedrigere Belastung der Arbeitslosenversicherung geschlossen. Durchschnittlich liegen die so berechneten öffentlichen Erträge von Investitionen in tertiärer Bildung bei den OECD-Staaten bei 300 Prozent: Für jeden Euro, den die Staaten in Akademiker (!) investiert, kommen drei zurück – so die Berechnungen aus der jährlich erscheinenden OECD-Studie Education at a Glance. Der Investitionsertrag bei Frauen liegt aber deutlich darunter, die geringere spätere Entlohnung, die rund ein Drittel unter jener von Männern liegt, schmälert die individuelle und öffentliche Rendite. Diese Zahlen sprechen aus budgetpolitischer Perspektive eindeutig für Investitionen in (tertiäre) Bildung, die OECD empfiehlt selbst dann in akademische Ausbildung zu investieren, wenn die Ausgaben ein zusätzliches Budgetdefizit bringen würden – auf lange Frist zahlt sich Hochschulbildung sicher aus.

Unschärfen. Viele Aspekte, in denen AkademikerInnen zu einer Verbesserung der öffentlichen Haushalte beitragen, sind in dem Indikator noch nicht inbegriffen. Durch ihr höheres verfügbares Einkommen konsumieren sie in absoluten Zahlen mehr als andere, die dadurch eingehobene Mehrwertsteuer lässt die Staatskasse nochmals klingeln. AkademikerInnen sind gesünder und politisch interessierter – so genannte positve externe Effekte, also wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Zusatznutzen, der gar nicht im ursprünglichen Investitionsziel inbegriffen war, sind klar zu erkennen.
Aber wie präzise kann der wirtschaftliche Wert von AkademikerInnen wirklich gemessen werden? Selbst die OECD hegt Zweifel an der Genauigkeit ihrer Aussagen. So wird in Education at a Glance für die Berechnung der Rendite eines Hochschulstudiums von einem Realzinssatz von drei Prozent ausgegangen, um den Zeitfaktor der Investitionen einberechnen zu können. Wird dieser Wert nur geringfügig geändert, würden die errechneten Absolutbeträge deutlich schwanken. Ein anderer Unsicherheitsfaktor sind nicht prognostizierbare Veränderungen am Arbeitsmarkt – wenn sich die Nachfrage nach bestimmten akademischen Fachkräften ändert, steigt oder fällt auch das zusätzliche Einkommen, das durch das abgeschlossene Studium erzielt werden kann. Die oben erwähnten externen Effekte zu beziffern ist noch schwieriger. Nichts desto trotz sprechen jedoch die Vergleiche und die Renditen eine deutliche Sprache: Investitionen in tertiäre Bildung sind budgetpolitisch gerechtfertigt.

Wessen Erträge? Besonders in Zeiten von drohenden Sparpaketen Sparpaketen ist das Argument des wirtschaftlichen Nutzens von Bildung natürlich hilfreich, aus sozialwissenschaftlicher wie aus gesellschaftspolitischer Perspektive muss damit allerdings sehr vorsichtig umgegangen werden. Zunächst bedeuten die beeindruckenden öffentlichen und privaten Renditen nicht zwangsläufig Positives: Wenn nur wenige Menschen ein Hochschulstudium abschließen, kommt der zusätzliche Ertrag auch nur dieser Bevölkerungsgruppe zu Gute. Beim öffentlichen Ertrag verhält es sich wie bei allen öffentlichen Geldern: Über die Verwendung wird auf politischer Ebene entschieden. Ob aus dem Mehr an Einnahmen höhere Mindestsicherung oder eine Senkung des Spitzensteuersatzes finanziert werden, hängt von den politischen Kräfteverhältnissen ab. Die Verteilungsfrage muss also im selben Atemzug gestellt werden, wie Hochschulbildung als Top-Investition angepriesen wird: Für wen werden die Renditen verwendet? Je progressiver ein Steuersystem und je durchlässiger das Bildungssystem, desto ausgleichender kann tertiäre Bildung für eine Gesellschaft wirken.
Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive muss allerdings auch die Grundannahme der Humankapitaltheorie in Frage gestellt werden: Gewinnmaximierung ist nicht das einzige Entscheidungskriterium der AkteurInnen. Menschen studieren nicht nur deshalb, weil sie sich später höhere Einkommen erwarten. Sie beginnen eine tertiäre Ausbildung, weil ihre Eltern studiert haben – soziale Selektion ist ökonomisch nicht rational, und sie passiert trotzdem. Auch die Rationalität öffentlicher Investitionsentscheidungen ist zweifelhaft: Hier kann sich die OECD wohl noch Jahrzehnte lang ins Zeug legen und der Österreichischen Regierung eine extrem ertragreiche und gleichzeitig risikofreie Anlagemöglichkeit anpreisen, die Erfolgsaussichten auf mehr Geld für Hochschulen sind gering.
Flaute herrscht momentan bei jenen Argumenten, die in den 1970er Jahren die Bildungsdiskussion dominierten. Hochschulbildung als Mittel des sozialen Aufstiegs, Hochschulen als wichtige Bestandteile selbstkritischer und offener Gesellschaften und Bildung als Akt der geistigen Befreiung – damit wird heute keine Podiumsdiskussion mehr gewonnen. Zwar mag es auf den ersten Blick egal sein, warum in Hochschulen investiert wird, ist mensch doch um jeden zusätzlichen Euro froh. Die Ökonomisierung der Argumente hinterlässt jedoch auch Spuren in der Hochschulorganisation („unternehmerische Universität“), den Studienplänen (Bologna- Struktur) und den Studierenden selbst. Wenn die Zeit an der Hochschule wirklich nur noch als Selbst- Investment gesehen wird, verliert der tertiäre Sektor aus demokratiepolitischer Sicht an Attraktivität.

AutorInnen: Eva Maltschnig