Den Leuten nicht den Bauch pinseln

  • 13.07.2012, 18:18

Heribert Prantl, einer der renommiertesten Journalisten Deutschlands, hat im Sommersemester eine Vorlesung im Rahmen der Theodor-Herzl-Dozentur an der Universität Wien gehalten. Mit PROGRESS spricht er über Radikaldemokratie, sein journalistisches Credo und den politischen Wert guter Kommentare.

PROGRESS: Herr Prantl, der Chefredakteur der österreichischen Zeitung Die Presse hat Sie jüngst einen „jakobinischen Moralisten“ genannt. Die Jakobiner stehen für Tugendterror und Massenmord. Was sagen Sie zu dieser Anschuldigung?

Prantl:

Ich glaube nicht, dass der Kollege das so gemeint hat. Gleichwohl: Manche Kritik muss man nicht kommentieren, sie spricht gegen sich selbst. Abgesehen von Übertreibungen kann man aber sagen: Wer hart kommentiert, der muss mit harten Reaktionen rechnen. Es kann dabei ein demokratischer Mehrwert entstehen.

Warum kommt die Kritik an Ihnen zumeist von rechter Seite?

Weil die mich anscheinend für links hält. Links nennen mich die, denen ich zu viel von sozialer Gerechtigkeit schreibe. Rechts nennen mich die, die meinen, dass man mir den Katholiken zu sehr anmerkt. Das ist eher das Problem der Kritiker als meines. Wenn jemand mich für links hält, weil ich mich für die Schwachen in der Gesellschaft einsetze und fordere, dass Reichtum stärker besteuert wird – dann bin ich halt in Gottes Namen links. Und wenn jemand mich für rechts hält, weil ich glaube, dass Kirchen eine wichtige Aufgabe haben – bitte schön! Wichtig ist für einen Kommentator, dass er überhaupt eine Haltung hat. Darüber hinaus gilt der alte Satz: Viel Feind, viel Ehr.

Was würden Sie als Ihre Haltung bezeichnen?

Ein Kollege hat einmal geschrieben, wenn wir das Jahr 1848 hätten, würde der Prantl auf den Barrikaden stehen und für die Demokratie streiten. Das hat mir gefallen. Wenn das Wort radikal heute nicht so negativ konnotiert wäre, würde ich mich als Radikaldemokraten sehen. Auf Wikipedia nennen sie meine Haltung linksliberal. Meinetwegen. Andererseits bin ich sehr katholisch aufgewachsen, was man, wie gesagt, bei religiösen Fragen merkt. Mein soziales Engagement wurzelt letztlich in dieser christlichen Substanz, und mein Schreiben für die Freiheitsrechte kommt von der Juristerei. Wenn das den Leuten, die als Konservative rumlaufen, nicht passt, dann haben die einfach nicht kapiert, was konservativ bedeutet. Ich kann mich auch gut als Konservativer definieren, in dem Sinne, dass ich die freiheitlichen Grundrechte verteidige.

Wie würden Sie den „Radikaldemokraten“ definieren, der in Ihnen schlummert?

Der schlummert nicht, sondern ist wach. Meine Vorstellung von einem guten Gemeinwesen sieht so aus: Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat sind Partner. Das ist eigentlich gar nicht radikal, sondern notwendig. Demokratie ist eine Gemeinschaft, die ihre Mitglieder achtet und schützt. Demokratische Entscheidungen sind daher nicht automatisch rechtsstaatliche Entscheidungen. Ein Land wäre gewiss keine beispielhafte Demokratie, wenn es per Plebiszit Menschen und Freiheitsrechte missachtet.

Ihr Credo hat nach dem Zweiten Weltkrieg das Fundament des erfolgreichen Neuanfangs in Österreich und Deutschland gebildet. In jüngster Zeit erleben wir aber, dass sich die Demokratie und der Sozialstaat in der Krise befinden. Darunter scheint vor allem die Legitimation des Parlamentarismus zu leiden. Wie sehen Sie das?

Die Stärke eines Volkes misst sich am Wohl der Schwachen, steht in der Präambel der Schweizer Verfassung. Das ist ein guter Satz. Wenn immer mehr Leute nicht mehr zum Wählen gehen, weil sie sich nicht mehr vertreten fühlen, wenn sie sich ausklinken aus der Demokratie, dann ist das gefährlich. Das ist das eine. Das andere: Wenn im Parlament wesentliche Fragen nicht mehr ordentlich diskutiert werden, weil der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin die Sachen schon entschieden hat, bevor irgendjemand Muh und Mäh sagen konnte, dann ist das ein Problem. Das Parlament ist die zentrale Einrichtung der Demokratie, und eben keine Quatsch und Quasselbude. Die Abgeordneten müssen also ihre Rechte wieder lauter einfordern, ob es um Europa oder um Milliardenhilfe für die Banken geht. Die Abgeordneten sind die Gestalter der Demokratie. Der legislativen Macht fehlt es an Selbstbewusstsein.

Führt diese Schwäche der Legislative zu einem autoritären Politikstil?

Wir erleben zur Zeit eine neue Superexekutive, darin steckt eine Tendenz zum Autoritären. Die Regierung wird im System zu stark und sie erhält von der Öffentlichkeit zu viel Beachtung. Das geht zu Lasten der Parlamente. An dieser Entwicklung trägt auch die Mediendemokratie Schuld. Wir Journalisten lassen den Parlamentariern in unserer Berichterstattung zu wenig Platz. Gleichzeitig beklagen wir, Politik sei langweilig, weil immer nur die gleichen Köpfe auftauchen würden.

JournalistInnen sind mittlerweile ähnlich unbeliebt wie PolitikerInnen, beide Berufsgruppen werden vielfach als Teil einer Klasse mit gemeinsamen Interessen betrachtet. Scheitern die Medien daran, die Menschen auf die Probleme ihrer Zeit hinzuweisen?

Journalismus soll den Leuten nicht den Bauch pinseln. Journalisten haben die Aufgabe, die Problemthemen, die sie für gesellschaftlich wichtig halten, den Bürgerinnen und Bürgern so zu vermitteln, dass diese die Probleme auch erkennen können. Das ist die demokratische Aufgabe der Presse. Seit einiger Zeit erleben wir aber eine Zunahme an Personality-Geschichten, was oft vor allem ein Ausdruck journalistischer Bequemlichkeit ist. Flockige Stories schreiben sich leichter als klare Berichte, als aufwändige Analysen oder substanzielle Leitartikel. Die sind aber unglaublich wichtig für das demokratische System, weil sie den Menschen dabei helfen, Entscheidungen zu fällen. Und Politik besteht immer aus Entscheidungen.

Wie schreibt man einen guten Kommentar?

Idealiter macht ein guter Kommentar auch demjenigen Leser Freude, der ganz anderer Meinung ist als der Schreiber. Ein guter Kommentar kitzelt und kratzt, er lässt jedenfalls den Leser nicht kalt. Wenn ich an einem Kommentar arbeite, dann versuche ich, mit dem Schreiben erst dann zu beginnen, wenn ich das Thema strukturiert und mir im Kopf zurechtgelegt habe. Danach geht es fast wie von selbst. Das Jus-Studium bietet für diese Art des Denkens eine gute Schule, vielleicht besser als die Journalismus-Akademie. Und eine der großen juristischen Reden aus dem alten Rom zu lesen, ist ein ähnliches Gefühl wie einen Michelangelo anzuschauen.



Das Gespräch führte Wolfgang Zwander.