Bicasso Jürgenssen *

  • 13.07.2012, 18:18

Zahlreiche Arbeiten der vor sieben Jahren verstorbenen Künstlerin Birgit Jürgenssen werden diesen Winter in einer groß angelegten ersten Retrospektive in Wien zu sehen sein. Dies bietet den perfekten Anlass, sich dem Wandel feministischer Kunst und deren Anliegen zu widmen.

Zahlreiche Arbeiten der vor sieben Jahren verstorbenen Künstlerin Birgit Jürgenssen werden diesen Winter in einer groß angelegten ersten Retrospektive in Wien zu sehen sein. Dies bietet den perfekten Anlass, sich dem Wandel feministischer Kunst und deren Anliegen zu widmen.

In der 1975 von Valie Export kuratierten Ausstellung Magna. Feminismus: Kunst und Kreativität waren Fotos einer Küchenschürze tragenden Frau zu sehen. Anstatt eines die Kleidung vor Schmutz schützenden Stoffes wurde der Trägerin hier aber ein Herd plastisch vor den Körper geschnallt. Dem traditionellen Gewand einer Hausfrau in Form und Länge nachempfunden irritiert der an der Hüfte ausladende Vorbau, der neben zwei Kochstellen auch ein Backrohr vorzuweisen hat. Die in erkennungsdienstlicher Manier aufgenommenen Bilder zeigen frontal und im Profil wie aus der offenen Lade ein Brotlaib hervorlugt. Um das Gewicht dieser Konstruktion zu tragen stützt die adrett gekleidet und gekämmte Frau ihre Arme ab wie es auch Schwangere tun. Kochen und Backen werden folglich mit Konnotationen des Austragens und Gebärens zusammengebracht, und so die Last und das Spektrum reproduktiver Pflichten versinnbildlicht.

„Ich als Bonsai“. Die hier abgebildete Frau ist gleichzeitig Urheberin dieser Fotografien. Birgit Jürgenssen, eine zu diesem Zeitpunkt 26-jährige Wiener Künstlerin, die zuvor ihr Studium an der Hochschule für Angewandte Kunst abgeschlossen hat, wo ihr Lehrbeauftragte mit Sagern wie „Ach, Fräulein Jürgenssen, warum schleppen Sie sich denn mit den schweren Lithosteinen ab, Sie werden doch eh bald heiraten!“ begegnet sind. Was die Künstlerin daraufhin thematisiert und kritisiert, mag aus heutiger Sicht fern wirken, entspringt aber ihrer direkten Lebenserfahrung in einer Nachkriegsgesellschaft, die von einer vielseitigen und tiefgreifenden „Zurück-an-den-Herd“-Politik geprägt war.
Auf dieses Umfeld reagierte Jürgenssen mit dezidiert feministischen Arbeiten, die sich zu Beginn, wie die Hausfrauen-Küchenschürze zeigt, vor allem mit traditionellen Bildern von Weiblichkeit im Spannungsverhältnis zwischen Privatheit und Öffentlichkeit auseinander setzten. Auch in anderen Medien wie der Grafik arbeitete sich die Künstlerin an den ihr zugewiesenen, festgefahrenen Geschlechterrollen und deren Auswirkungen ab. So stellt sie 1976 eine Frau in engen Hosen und Stiefeln dar, der die Bewegungsfreiheit durch eine ausgeklügelte Konstruktion aus Seilen und Holz vollständig genommen wurde. Zu einem rein funktionalen Ding degradiert bleibt ihr nichts anderes übrig als in dieser hörigen, soldatisch anmutenden Stellung zu verharren und an die Decke zu starren. Der weibliche Körper, der in Jürgenssens Bildern immer auch als ihr eigener erkannt werden kann, wird zur Materie, in die sich Machtmechanismen und Normen einschreiben. Die Künstlerin bringt dies mit einem anderen Sinnbild in einer kurzen Notiz so auf den Punkt: „Ich als Bonsai. (durch besondere Behandlung niedrig gehaltene Baumpflanze)“.

Körper / Grenzen überschreiten. Birgit Jürgenssen bezog zeitgemäß Stellung zu gerade in der zweiten Frauenbewegung wichtigen Themen wie Körper, Machtverhältnissen oder den engen Grenzen weiblicher Lebensentwürfe. Früh lassen sich bei ihr aber auch Strategien der Maskerade und Fragmentierung erkennen, die in feministischen und dekonstruktivistischen Diskursen in den folgenden Jahrzehnten besondere Wichtigkeit erlangten. Sich selbst nimmt die Künstlerin dabei immer mehr aus ihren Arbeiten heraus und verstellt den Blick der Betrachter*innen durch Motive wie beispielsweise den eines Fuchskopfes, mit dem sie ihr Gesicht verhüllt. „Ich maskiere mich, weil es weniger um mich als um die Situationen geht, in denen ich mich darstelle, um die Geschichten, die eine Visualität bekommen. Und sowieso darum, in andere Rollen und Identitäten zu schlüpfen.“1 Durch die Tier-Werdung, die Jürgenssen in mehreren Fotostrecken durchgespielt hat, schafft sie einen Rahmen, der weniger stark von geschlechtlichen Zuschreibungen beeinflusst ist und ihr die Möglichkeit gibt, sich selbst in neuen identitären Konstrukten zu versuchen. Diesen Ansatz variiert sie ihr gesamtes Schaffen hindurch und kann so, selbst wenn sie nicht dezidiert mit Geschlechterrollen und deren Überschreitung spielte, als Wegbereiter*in eines queeren Verständnisses von Identität begriffen werden.

Gegen glatte Frauenkörper. Dieser Brückenschlag von Auseinandersetzungen mit traditionellen Rollenbildern wie dem der Hausfrau hin zu Identität als Variable ist es, der Jürgenssens Werk nicht leicht fass- und kategorisierbar macht. Bis heute haben wir es täglich mit einer allzu glatten, kulturell gefestigten, bildlichen Präsenz von Frauenkörpern zu tun, die solch ambivalente Stellungnahmen nicht toleriert. Birgit Jürgenssen arbeitete durch variationsreiche Verfremdungen dreißig Jahre lang gegen diese Mechanismen an und bietet somit auch für die Gegenwart inspirierende Denkanstöße. Die Birgit Jürgenssen Retrospektive, die in Kooperation mit der Sammlung Verbund entstanden ist, kann ab 16. Dezember 2010 im Bank Austria Kunstforum besucht werden.

* Mit diesem Pseudonym signierte Birgit Jürgenssen als Achtjährige ihre Zeichnungen.

1 Birgit Jürgenssen im Gespräch mit Rainer Metzger: Kunstforum International, 164, 2003, S. 243.

AutorInnen: Angela Tiefenthaler