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Sinnlose Konkurrenz

  • 13.07.2012, 18:18

Im Vergleich UniversitätsstudentInnen ist es für die meisten FH-StudentInnen normal, dass Studiengebühren generell eingehoben worden, lediglich vier FHs bilden verlangen keine Studiengebühren.

Im Vergleich UniversitätsstudentInnen ist es für die meisten FH-StudentInnen normal, dass Studiengebühren generell eingehoben worden, lediglich vier FHs bilden verlangen keine Studiengebühren.

Dass Studiengebühren als Druckmittel für angehende Studierende genutzt werden, ist für FH-StudentInnen nicht ganz ungewöhnlich. Wie das geht? Der FH-Sektor hat nicht nur im Fachhochschulstudiengesetz (FHStG) festgelegt, dass ein Studienbeitrag (363,36 Euro) eingehoben werden darf, sondern ist auch durch die vom Fachhochschulrat herausgegeben Richtlinien berechtigt vor der Inskription Ausbildungsverträge abzuschließen. Diese Tatsache bringt die wenigsten zum Grübeln, da dort Rechte und Pflichten beider Vertragspartner geregelt sind.

Kinderschuhe. Der neueste Clou ist jedoch, dass einige FHs darin auch regeln, dass nach einer gewissen Frist die Gebühren bei nicht Antreten des Studiums einbehalten werden dürfen. Dass viele die Fristen so festlegen, dass andere Fachhochschulen zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt gegeben haben, ob die betreffende Person einen Platz erhält, zeigt nur, dass der Fachhochschulsektor noch weit davon entfernt ist aus seinen Kinderschuhen herauszuwachsen. Jede FH möchte die besten StudentInnen aufnehmen. Sind sie das aber noch, wenn sie vor die Wahl gestellt werden zwei Mal 363,36 Euro zu zahlen, um sich dann wirklich zwischen den Hochschulen entscheiden zu können?
Am Ende des Tages kann keine Seite glücklich sein: Die Hochschule nicht, die nicht die gewünschten Studierenden hat, um die für sie so wichtigen erfolgreichen Absolventen zu bekommen, und die BewerberInnen nicht, die schon zu Beginn des Studiums unter Druck gesetzt werden.

Konkurrenz im eigenen Sektor. Zielführend kann nur die Möglichkeit sein, die BewerberInnen schon in der Bewerbungsphase gut zu informieren und ihnen die Entscheidung für eine bestimmte FH zu überlassen, ohne sie unter Druck zu setzen.
Auf der einen Seite machen sich die Fachhochschulen also innerhalb ihres eignen Sektors Konkurrenz, auf der anderen Seite treten sie, wenn sie doch einer Meinung sind, über ihre Interessensvertretung, der Fachhochschulkonferenz, gemeinsam auf.
Fakt ist, dass sich im Leben jedeR an einem gewissen Punkt entscheiden muss. Auch die Fachhochschulen müssen sich klar sein, ob sie prinzipiell einen partnerschaftlichen Weg gehen oder als KonkurrentInnen agieren wollen.
 

„Wir lernen gerade Freiheit!“

  • 13.07.2012, 18:18

Ein Auszug aus der Rede Armin Thurnhers im besetzten Audimax der Uni Wien.

Ein Auszug aus der Rede Armin Thurnhers im besetzten Audimax der Uni Wien.

Zuallererst gratuliere ich Ihnen zum politischen Erfolg Ihrer Proteste. Mit Erfolg meine ich selbstverständlich nicht die läppische Geste des [Ex-]Ministers Hahn, der plötzlich ein paar Dutzend Millionen Trinkgeld findet und einmal die Hälfte davon herausrückt, wenn er unter Druck gerät. Nein, mit Erfolg meine ich die Art, wie die Proteste zustande kamen, wie sie wachsen, wie Sie alle miteinander durchhalten, den Protest vorantragen und die Anliegen Ihres Protests artikulieren. Wenn ich Ihre Anliegen denn richtig verstehe, fordern Sie freien Universitäts-Zugang, mehr Geld für Bildung, Bildung statt Ausbildung und eine anders orientierte Bildungspolitik. Ich kann mich noch recht gut an eine etwas weiter zurückliegende Protestbewegung erinnern, die von 1968. Ich habe vor 41 Jahren im Herbst zum ersten Mal diesen Saal hier betreten, er sah noch ganz anders aus, und eine der ersten Veranstaltungen, die ich besuchte, war ein so genanntes Teach-In, also die Vorform einer Besetzung.

Unsere Proteste, die von 1968, entzündeten sich an gesellschaftlichen Verhältnissen, an international als unerträglich empfundenen Verhältnissen. An den USA und ihrem Vietnamkrieg, am Iran des Shah-Regimes zum Beispiel. Rückblickend muss man sagen, dass bei all dem, was daran berechtigt war, auch viel Verrücktes ins Spiel kam; man rechtfertigte nicht nur undemokratische Regimes, man sah bewundernd zu ihnen auf. Aus unserer libertären antiautoritären Bewegung entsprang unversehens der Maoismus und Stalinismus der K-Gruppen, ja auch der RAF-Terrorismus. Die Ikone Che Guevara, für manche Linke bis heute unantastbar, wurde nie so genau betrachtet, dass man das Blut an ihren Händen sah und den unerbittlichen Fanatismus in ihren Augen. Es waren nicht bloß die einfachen Kommilitonen, die solche Fehleinschätzungen trafen, es waren führende Intellektuelle dieser Zeit, die ihnen verfielen: Jean-Paul Sartre und Ernst Bloch zum Beispiel. Die Kritik an Israel, dem Zionismus, wie man sagte, die Sympathie mit den Palästinensern war für viele nur ein Vorwand, wenigstens in einem Punkt mit ihren Nazi-Vätern einig sein zu können: der Antizionismus war salonfähiger Antisemitismus.
Man kann also über die letzte große Protestbewegung nicht nur Gutes und Verklärendes sagen. Wenn man aber die Proteste von 1968 nicht verklären will, soll man sie doch nicht unterschätzen. Sie haben die Gesellschaft verändert, sie waren Ausdruck einer globalen Revolte gegen illiberale Lebensstile. Und sie haben den Universitäten zuerst unglaublich genützt, in der Folge wohl aber auch geschadet.  Was genützt hat, war eine Belebung durch Selbstorganisation, ich war einer der Nutznießer, denn auf der Theaterwissenschaft, wo ich studierte, haben wir in Selbstorganisation mit befreundeten Assistenten in kleinen Kreisen von zehn bis zwanzig Leuten intensiv gelesen, was uns wichtig schien. Das hat mich geprägt, davon zehre ich in gewissem Maß heute noch. Es war eine selbstorganisierte, völlig zweckfreie Lektüre der Ästhetik von Hegel oder des Mann ohne Eigenschaft von Musil zum Beispiel, die mit Ausbildung nichts, mit Bildung aber alles zu tun hatte.

Der akademische Raum ist eben ein gesellschaftlicher Freiraum, daran erinnern uns Ihre Proteste, er ist nicht nur ein Raum zur Aufzucht geeigneten Fachpersonals, er ist auch ein Raum, wo sich eine Gesellschaft selber befragt, zur Debatte stellt, wo sie sich in mehrfacher Weise bildet, indem die besten Köpfe und die brisantesten Einsichten aufeinanderprallen und aneinander wachsen und so aus dem Denken vergangener das Denken neuer Generationen entstehen kann. Die universitäre Öffentlichkeit ist eine zutiefst demokratische Institution, unerlässlicher Teil der demokratischen Öffentlichkeit, die ja nicht nur aus medialer und politischer Öffentlichkeit besteht. Die Universität hat ihren wichtigen Teil zur Selbstvergewisserung der Gesellschaft zu leisten. Deshalb ihre Freiheit. Man darf nicht vergessen, dass die politische Freiheit im antiken Athen damit begann, dass es möglich wurde, andere nicht mit Gewalt, sondern mit dem Wort zu überzeugen. Dass es theoretisch jedem, heute selbstverständlich auch jeder, möglich ist, durch Rede, durch bloßes Wort etwas durchzusetzen. Dieses Moment der Universität darf nicht verloren gehen. Die Universität ist nicht nur zur Produktion von Fachleuten da, sie ist zur Produktion freier Bürgerinnen und Bürger da!

Meine Damen und Herren, als ich gestern im Fernsehen den kleinen Showkampf mit dem frischrasierten Minister (Johannes Hahn, Anm.) sah, dachte ich, er hat sich rasiert und er wurde rasiert. Noch etwas außer der Schweigsamkeit des Ministers fiel bei dieser Diskussion auf: Der Vertreter der Unibürokratie ereiferte sich darüber, dass 1000 Menschen Architektur studieren wollen. Statt sich darüber zu beschweren, dass ihm die Mittel fehlen, diese 1000 adäquaten Möglichkeiten zu bieten, forderte er implizit, man müsse diese 1000 von der Uni fernhalten. Ich stelle mir schon länger die Frage, warum sich universitäre Proteste stets gegen die Politik, aber kaum gegen die Universitätsverwaltung selbst richten? Ich denke, Sie sollten die Uni selbst nicht aus der Pflicht lassen. Ebenso wie ich meine, dass man die Bildungsfrage nicht isoliert anhand der Universitäten abhandeln kann, sondern auch die höheren Schulen mit einschließen muss. Dort beginnt die Selektion, und sie beginnt viel zu früh. Dort wird jener freie Zugang zur Bildung für viele verhindert, jener freie Zugang, der Ihnen mit Recht so wichtig ist.
Gestern habe ich eine Zeit lang den Livestream verfolgt und hörte einen deutschen Kollegen den schönen Satz sagen: „Ihr lernt gerade Freiheit!“ Noch besser hätte mir gefallen, hätte er gesagt: Wir lernen gerade Freiheit! Aber egal, er hat’s erfasst – das ist nach wie vor das höchste Ziel der Universität, was immer Ihnen betriebswirtschafts- oder effizienzorientierte Ideologen sagen mögen: Sie sind hier, um Freiheit zu lernen, Freiheit des Denkens und Freiheit des Handelns – nicht nur des Handels! – damit Sie als freie Menschen, als freie Bürgerinnen und Bürger ein menschenwürdiges Leben führen und dies auch allen anderen ermöglichen. Das, meine Damen und Herren, ist meine vielleicht bizarre und möglicherweise altmodische Idee von Bildung. Sie steht gegen das neoliberale Paradigma, das ja nicht von Gott gewollt ist. Sie beharrt darauf, dass auch Ineffizienz und Romantizismus zur Bildung gehören können, die nutzlosesten Dinge oft nützlich sind und Neues auf nicht vorhersehbare Weise fruchtbar wird. Wer hätte schon daran gedacht, dass die antiautoritäre Bewegung und die Idee von Kollektiven die Arbeitswelt von Grund auf revolutionieren und sich am Ende als effektiver erweisen als tayloristische Hierarchien?

Ich verstehe das österreichische Kleinkrämertum nicht. Ich habe nie verstanden, warum einer der reichsten Staaten der Welt, machtlos und bedeutungslos wie er ist, nichts aus seiner neutralen Rolle machen will: als sicherer Hafen für die Verfolgten dieser Erde. Oder eben auch als Insel der Bildung, die man gern erreicht und wo alle willkommen sind, die hier studieren und lehren wollen, weil sie unser Land bereichern. Ich habe keine Lust, mich mit dem Schlaucherlstaat abzufinden, der wir nun einmal sind. Ich will Ihre Motive nicht überinterpretieren, aber ich begreife Ihren Protest auch als Protest gegen diesen Kleinmut, gegen diesen Willen zum umfassenden Kleinformat.
In der 68er Bewegung gab es den Slogan „Die Fantasie an die Front“– fälschlich kolportiert als „Die Fantasie an die Macht“. Die Fantasie an der Macht verdorrt. Nein, die Fantasie muss an die Front der Auseinandersetzung. Sie muss sich so etwas wie ein „Bildungsparadies Österreich“ vorstellen können, sie muss jene aschgrauen Amtsträger wegfantasieren, die dagegen bloß die Phrase von der Kulturnation daherstammeln. Die absolute Ideenlosigkeit der politischen Klasse, die ärgerliche und kleinliche Abschottungsmentalität, die von den meisten Medien befördert wird, diese Selbstprovinzialisierung eines Landes haben wir nicht verdient. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie hier etwas dagegen unternehmen. Auch in diesem Sinn ist Ihr Protest selbst ein Bildungsprojekt.

Gefordertes Desinteresse

  • 13.07.2012, 18:18

Die Wahlbeteiligung der letzten ÖH-Wahl lässt es vermuten, der mediale Diskurs bekräftigt es: Studierende haben heutzutage keine wirkliches Interesse mehr an politischer Partizipation. Jetzt gibt es auch noch Unterstützung aus der Wissenschaft.

Die Wahlbeteiligung der letzten ÖH-Wahl lässt es vermuten, der mediale Diskurs bekräftigt es: Studierende haben heutzutage keine wirkliches Interesse mehr an politischer Partizipation. Jetzt gibt es auch noch Unterstützung aus der Wissenschaft.

Beate Großegger vermutete es schon lange: Die Studierenden von heute seien weniger politisch als früher. Um ihre Vermutung zu untermauern, startete sie eine Studie, die den Politisierungsgrad junger Menschen herausfinden wollte. In persönlichen Gesprächen mit 16 bis 26 Jährigen kamen ihr Aussagen zu Ohr, die ihre Vermutung stützten.
Laut Studie geht es vorwiegend um das eigene Befinden, dass den Ausschlag für Denken, Fühlen und Handeln jeder einzelnen Person gibt. Politik wird als eine Art Dienstleistung verstanden, PolitikerInnen sind sozusagen Menschen, die ihren „Dienst“ an den Bürgerinnen und Bürgern leisten. Es geht darum, dass politisches Handeln individuellem Nutzen bringt. Solidarisches Handeln sei schön und gut, aber nur, wenn es dafür entsprechende Gegenleistungen gebe. Bezogen auf politische Forderungen gehe es jungen Menschen angeblich viel weniger um den jeweiligen politischen Inhalt als viel mehr um das Auftreten der einzelnen PolitikerInnen.
Heruntergebrochen auf die Studierendenebene zeigt sich ein ähnliches Bild. Alle zwei Jahre haben die aktuell rund 270.000 Studentinnen und Studenten (Stand: WS 2008/09; www.bmwf.gv.at) Österreichweit die Möglichkeit, ihre gesetzliche Studienvertretung, die ÖH, zu wählen.
Bei den letzten Wahlen im Sommersemester 2009 konnten auch die Fachhochschulen und pädagogischen Hochschulen erstmals ihre Stimme für eine gemeinsame Studierendenvertretung abgeben. Dabei haben von den circa 230.000 Wahlberechtigten gerade einmal 25,70% ihr Wahlrecht wahrgenommen. Seit einigen Jahren sinkt die Wahlbeteiligung bei den Studierendenvertretungswahlen konstant und auch die Beteiligung an außerhochschulischem Engagement geht zurück.

Kritische Avantgarde. Vor allem von Studierenden wird seit 1968 oft erwartet, dass sie die Menschen zu kritischem und reflexivem Denken anregen müssten. Sie sollten Gesellschaftliche Zusammenhänge hinterfragen und politische Gegebenheiten verändern – ja, verbessern wollen.
All zu tief sitzt die Erinnerung an die 68er-Bewegung, die westliche Studierendenbewegung schlechthin. Im Vergleich dazu enttäuschen die heutigen StudentInnen, politische Missstände an Hochschulen werden hingenommen, oder zumindest nicht so heftig wie früher bekämpft. Es wird immer schwerer, junge Menschen zur Beteiligung an Protestmärschen und Demonstrationszügen zu begeistern. Das eigene politische Gewicht wird nicht ernst genommen. „Das bringt doch eh nix“, ist oft zu hören, oder: „Das betrifft mich doch eh nicht, sollen sich die anderen dafür einsetzen“.
Altruistisches Handeln wird in den meisten Fällen als irrational und unnachvollziehbar abgetan. Dieses Überlegungen schockieren, vor allem die „alten 68erInnen“, die in Erinnerung an ihre Jugend den Duft der Revolution immer noch riechen können, oder zumindest wollen. Überlegungen, die kein gutes Licht auf die StudentInnen der Generation 2000 werfen.

Entmündigt. Doch bei all der Kritik an den unpolitischen Studierenden darf auch nicht vergessen werden, dass in den vergangenen Jahren sukzessive Möglichkeiten der studentischen Mitbestimmung abgeschafft wurden. Mit der Novelle des Universitätsgesetzes 2002 zum Beispiel wird der Senat, das wichtigste Entscheidungsgremium an der Universität, in dem sich auch StudierendenvertreterInnen (wenn auch nur in sehr geringer Zahl) einbringen können, weiter abgewertet. Auf den Fachhochschulen und pädagogischen Hochschulen zeigt sich ein ähnliches Bild. Solange die Partizipations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten von Studierenden an ihren Hochschulen und in der Gesellschaft im Allgemeinen weiterhin bewusst klein gehalten werden, ist politisches Interesse und politische Anteilnahme in vielen Bereichen für diese gar nicht möglich.
Wer also wieder politischere Studierende haben will, der müsste wieder entsprechende Möglichkeiten schaffen, in der Rahmen Politik gelebt werden kann.

Vierhundert Euro für eine Stimme

  • 13.07.2012, 18:18

Bei den vergangenen ÖH-Wahlen konnte in Österreich erstmals über das Internet gewählt werden. Das „Projekt E-Voting“ war von Anfang an umstritten und heftig diskutiert. Nun sind die Wahlen geschlagen – doch die Gemüter kommen auch nach Abschluss der Wahl und Auszählung der Stimmen nicht zur Ruhe.

Bei den vergangenen ÖH-Wahlen konnte in Österreich erstmals über das Internet gewählt werden. Das „Projekt E-Voting“ war von Anfang an umstritten und heftig diskutiert. Nun sind die Wahlen geschlagen – doch die Gemüter kommen auch nach Abschluss der Wahl und Auszählung der Stimmen nicht zur Ruhe.

Fünfundzwanzig Personen erhoben gegen die Wahl Einspruch. Und „praktisch alle Einsprüche richten sich gegen das E-Voting“ sagt Bernhard Varga, Vorsitzender der Wahlkommission. 

Was wird beanstandet? Laut Hans Zeger von der ARGE Daten ist das gesamte „System E-Voting“ nicht ausgereift, und wird es auch nie sein. Egal, wie technisch gefinkelt das Konzept auch sein möge, die Transparenz, die für das Akzeptieren eines Wahlergebnisses notwendig sei, werde durch das E-Voting komplett aufgehoben. Ähnlich sieht das auch Peter Purgathofer, Professor an der TU Wien und bekennender E-Voting-Kritiker. „Man gibt seine Stimme am Computer ab und muss darauf vertrauen, dass die Prinzipien der geheimen und freien Wahl eingehalten werden. Wir können das nicht selbst überprüfen, wir können es nicht nachvollziehen und wir können es auch nicht verstehen“, sagt er. Er gründete deshalb mit MitstreierInnen die Online-Plattform papierwahl.at, die die Öffentlichkeit über die Gefahren von E-Voting aufklären will.
Doch nicht alle beurteilen den E-Voting-Versuch bei den ÖH-Wahlen so negativ. Für Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) war es ein Erfolg. Trotz hoher Kosten und geringer Beteiligung zeigt er sich nicht unzufrieden, und sagte einer Tageszeitung, dass „einem Demokratie schon etwas wert sein kann“. 900.000 Euro um genau zu sein. 2161 Studierende der rund 230.000 Wahlberechtigten nahmen die Möglichkeit zur elektronischen Stimmabgabe wahr, das bedeutet: jede einzelne dieser Stimmen war dem Minister 403,35 Euro wert. Was sehr viel Geld ist, bedenkt man die übliche Knausrigkeit, wenn es um Geldflüsse in Richtung Universität geht. Der größte Brocken des ausgegebenen Geldes ging noch dazu nicht für technische Maßnahmen drauf, sondern für Werbung. Inserate und kostenlose Kartenleser-Verteilaktionen sollten die Studierenden dazu animieren, ihre Wahl an der elektronischen Urne am Computer durchzuführen. 

Für Hahn zählt das nicht. Ihm ist allein wichtig, dass die Wahl „technisch und juristisch okay über die Bühne ging“. Trotz minimaler Beteiligung und hohen Kosten war sie für ihn ein Erfolg, der den Weg für den Einsatz von E-Voting bei anderen Wahlen ebnen soll. Mehrere ExpertInnen, die von Hahn im Vorfeld der ÖH-Wahl zu Hintergrundgesprächen gebeten wurden, berichten, der Minister plane den Einsatz von E-Voting bei kommenden Nationalratswahlen.    
Ob das E-Voting bei der vergangenen ÖH-Wahl nun ein Erfolg war oder nicht, kommt also darauf an, wo gefragt wird. Eines hat es allerdings auf keinen Fall gebracht – eine höhere Wahlbeteiligung: Die lag so niedrig wie noch nie bei einer ÖH-Wahl. Das mutet merkwürdig an: BefürworterInnen führten das Ziel einer höheren Wahlbeteiligung immer als Hauptgrund für E-Voting an.

Selbstverwaltet mitgestalten

  • 13.07.2012, 18:18

Seit 1945 gibt es in Österreich eine Institution, die die Interessen aller Studierenden vertritt – die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH). Heute setzt sie sich für die Rechte der Studierenden und für gute Studienbedingungen für alle ein.

Seit 1945 gibt es in Österreich eine Institution, die die Interessen aller Studierenden vertritt – die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH). Heute setzt sie sich für die Rechte der Studierenden und für gute Studienbedingungen für alle ein.

Starke Vertretung. Fast alle Studierenden (ausgenommen Studierende an privaten Hochschulen) in Österreich sind Mitglied der ÖH. Der Mitgliedsbeitrag wird zu Semesterbeginn eingehoben – er ermöglicht die Unabhängigkeit der ÖH von Regierung, Wirtschaft und politischen Parteien. Die ÖH ist eine Körperschaft Öffentlichen Rechts, was bedeutet, dass die ÖH selbstverwaltend über ihre Agenden entscheidet, welche per Gesetz die Förderung ihrer Mitglieder und die Vertretung der Interessen selbiger sind.
Demokratie ist ein weiterer Grundsatz, dem die ÖH als selbstverwaltete Institution verpflichtet ist – das heißt, dass alle 2 Jahre sämtliche Studierenden ihre VertreterInnen selbst wählen, und das auf verschiedensten Ebenen.

ÖH ist nirgends gleich. So vielfältig wie die Studierenden an den verschiedenen Hochschulen und Studienrichtungen, so unterschiedlich ist auch die Arbeit der lokalen ÖH-Strukturen. Der erste Kontakt mit der ÖH ist für Studierende meist die Studienvertretung – diese kümmert sich zum Beispiel um Beratung im konkreten Studienplan oder arbeitet bei der Erstellung neuer Lehrpläne mit. Je nach Universität können auch Vertretungsebenen eingerichtet werden, die alle Studienrichtungen eines Fachbereichs zusammenfassen (früher „Fakultätsvertretungen“). Es gibt an jeder Universität eine übergreifende Vertretungsebene. Die Universitätsvertretung verhandelt mit Rektorat und Uni-Rat und organisiert je nach Universität auch Beratung und Veranstaltungen für Studierende.
An Pädagogischen Hochschulen und Fachhochschulen werden die lokalen Vertretungen von ihren jeweiligen StudiengangssprecherInnen oder –vertretungen, und im Fall der Fachhochschulen auch von JahrgangssprecherInnen konstituiert. Aus ihrer Mitte werden eine Vorsitzende bzw. ein Vorsitzender und StellvertreterInnen gewählt.
Die ÖH Bundesvertretung wird seit 2005 nur noch indirekt gewählt – das Studierendenparlament wird nach Maßgabe der lokalen Wahlergebnisse beschickt. Dieser Wahlmodus wurde 2004 von Elisabeth Gehrer in einer Nacht- und Nebelaktion eingeführt. Er hätte eine regierungskritische ÖH mundtot machen sollen. Kurzfristig gelang dies nicht, doch mit Zeitverzögerung zeigt sich nun, was dieses mittlerweile nicht mehr so neue Wahlrecht heißt: Die Mehrheitsfindung in der ÖH Bundesvertretung wird nahezu unmöglich, die Schlagkraft dieser Institution leidet unter dem undemokratischen System, das die Stimmen der Studierenden je nach Universität unterschiedlich gewichtet.

Service und Politik. Nichts desto trotz wird in der ÖH Bundesvertretung emsig gearbeitet – 10 Referate, die für unterschiedliche Bereiche zuständig sind, teilen sich die Agenden auf. Zum Beispiel unterstützt das Sozialreferat Studierende im Kampf durch den Beihilfendschungel, das Referat für Fachhochschul-Angelegenheiten setzt sich unter anderem für studienrechtliche Mindeststandards an Fachhochschulen ein.
Gemeinsam ist allen Referaten ein Interesse: die österreichische Bildungslandschaft mitzugestalten. Nach dem Motto „Service, das hilft. Politik, die wirkt“ ist die Beratung von Studierenden nur eine Seite der Medaille. Die ÖH bezieht zu Gesetzesentwürfen Stellung, lobbyiert bei verschiedenen gesellschaftlichen PlayerInnen (Ministerien, Gewerkschaften, Hochschul-Vertretungen, etc) für die Interessen von Studierenden und wird auch nicht müde, die wichtigsten Anliegen der Studierenden gebetsmühlenartig zu wiederholen. Studiengebühren oder Zugangsbeschränkungen wären gesellschaftlicher Konsens, würde die ÖH nicht immer wieder dagegen eintreten.

Keine eierlegende Wollmilchsau. Viele Probleme der Studierenden lassen sich leider durch gute Vertretungsarbeit alleine kaum lösen. Einerseits ächzen die Hochschulen durch die Bank unter dem rigiden Sparkurs, der seit Jahren die Studienbedingungen verschlechtert. Andererseits werden die Studien immer verschulter und der finanzielle Druck auf die Studierenden steigt – ehrenamtliche Tätigkeiten und damit die aktive Mitgestaltung in der ÖH wird zum Luxus, den sich die Mehrheit der Studierenden, die ihre lehrveranstaltungsfreie Zeit im Nebenjob verbringt, nicht mehr leisten kann. 
Die Rationalisierung der bildungspolitischen Auseinandersetzung und damit auch der Hochschulstruktur lässt wenig Raum für eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Es liegt an den Studierenden, sich aktiv einzubringen und das Spielfeld wieder zu erweitern.

 

Sichtbar, greifbar - die neue ÖH

  • 13.07.2012, 18:18

Es ist wieder da – das Progress, das Magazin der ÖH-Bundesvertretung. Zwar in kleinerem Format, dafür aber wieder vollgepackt mit Geschichten, die es sich zu lesen lohnt. Der Relaunch hat einen Grund – die ÖH-Exekutive hat gewechselt und wird über das Progress hinaus viele Änderungen in der ÖH-Arbeit liefern.

Es ist wieder da – das Progress, das Magazin der ÖH-Bundesvertretung. Zwar in kleinerem Format, dafür aber wieder vollgepackt mit Geschichten, die es sich zu lesen lohnt. Der Relaunch hat einen Grund – die ÖH-Exekutive hat gewechselt und wird über das Progress hinaus viele Änderungen in der ÖH-Arbeit liefern.

Politik, die wirkt. Service, das hilft. Service ist eine zentrale Aufgabe der ÖH. Beratung, Unterstützung, Rechtsschutz – all das werden wir euch in Zukunft noch besser bieten. Service allein genügt aber nicht, um die Situation der Studierenden langfristig zu verbessern. Deshalb müssen wir verstärkt versuchen, den Anliegen der Studierenden politisches Gehör zu verschaffen. Wir haben uns für die zwei Jahre Exekutiv-Arbeit in der ÖH-Bundesvertretung das Ziel gesetzt, die ÖH wieder sichtbar und greifbar zu machen. Wir wollen besser über unsere Arbeit informieren, und auch darüber, was auf der ÖH passiert und woran wir gerade arbeiten. Besonders wichtig ist uns, die Möglichkeit auszubauen, dass Ihr euch in Zukunft stärker in unsere Arbeit einbringen könnt – mit Ideen, Wünschen, Problemen und vielem anderen. Deshalb gibt es jetzt auch erstmals einen ÖH-Blog unter http://blog.oeh.ac.at.
Vor der Sommerpause hat die Bundesregierung noch schnell eine Änderung des Universitätsgesetzes durchgedrückt – dessen Folgen eine sehr fragwürdige Studieneingangsphase und Zugangsbeschränkungen beim Masterstudium sind. Beides muss aber noch im Senat der einzelnen Universitäten beschlossen werden – wir werden unser Bestes geben, um das Schlimmste zu verhindern.
Aktuell arbeiten wir gerade daran, dass in das Fachhochschulstudiengesetz endlich vernünftige studienrechtliche Bestimmungen aufgenommen werden – FH Studierende bewegen sich im Moment noch weitestgehend im rechtsfreien Raum, was Prüfungsrecht und Mitbestimmungsmöglichkeiten betrifft. Hier braucht es dringend Verbesserungen.

“Don’t tax me, bro!”

  • 13.07.2012, 18:18

Die USA sind die einzige Industrienation, die kein allgemeines, staatliches Gesundheitswesen hat. Barack Obama will das ändern. Er ist nicht der erste Präsident, der sich an einer Gesundheits(versicherungs)reform versucht, aber er ist “entschlossen, der letzte zu sein”. Ob ihm das gelingt, wird zunehmend fraglich.

Die USA sind die einzige Industrienation, die kein allgemeines, staatliches Gesundheitswesen hat. Barack Obama will das ändern. Er ist nicht der erste Präsident, der sich an einer Gesundheits(versicherungs)reform versucht, aber er ist “entschlossen, der letzte zu sein”. Ob ihm das gelingt, wird zunehmend fraglich.

John Dingell ist der längstdienende US-Kongressabgeordnete — aller Zeiten. Er sitzt seit 54 Jahren am Capitol Hill. Seit seiner Wahl bringt er zu Beginn jedes parlamentarischen Jahres ein Gesetz zur Abstimmung, das eine umfassende Gesundheitsversicherung für alle einführen würde. Das Gesetz wurde schon von seinem Vater geschrieben, der einst selbst Parlamentarier war. 
Es gibt kaum einen Präsidenten in den vergangenen hundert Jahren, der sich nicht an einer Gesundheitsreform versucht hat. Den letzten Erfolg konnte Lyndon B. Johnson im Jahr 1965 verbuchen, als er eine staatlich geführte Versicherung (Medicare) für alle AmerikanerInnen über 65 Jahre einführte. Bill Clinton war der letzte, der an einer Gesundheitsreform gescheitert ist: Gemeinsam mit seiner Frau Hillary schlug er eine für alle verpflichtende Versicherung vor. Die Republikaner und die Versicherungsindustrie liefen dagegen Sturm, die Reform scheiterte.
Die “Harry and Louise”-TV-Werbungen der Versicherungsindustrie, in denen ein mittelständisches Ehepaar über Rechnungen stöhnt und klagt, dass es sich seinen Doktor nicht mehr aussuchen kann, sind seit damals legendär.

Von Clinton lernen. Obama wollte aus den Erfahrungen der Clintons lernen. Er bemühte sich, die Versicherungsindustrie und andere Stakeholder ins Boot zu holen, was anfangs auch gelang. Das führte jedoch auch dazu, dass ein “Single-Payer-Plan” – der Staat als einziger Versicherer – von Anfang an ausgeschlossen wurde. Stattdessen sollte eine “Public Option” eingeführt werden, also eine staatliche Alternative neben den privaten Versicherern.
Wegen der Popularität der Pläne Obamas sahen sich die Republikaner anfangs gezwungen, ausschließlich die Geschwindigkeit der Reform zu kritisieren, womit sie zumindest eine Verzögerung erreichten. Doch kurz darauf veröffentlichte die gescheiterte Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin auf ihrer Facebookseite ein Statement, das behauptete, die Reform würde alte oder behinderte Menschen vor “Death Panels”, also vor Todesausschüsse stellen, die ihnen die notwendige medizinische Unterstützung verweigern würde.
Der wahre Kern in diesem Vorwurf ist eine Klausel, die ÄrztInnen erlaubt, Beratung über lebenserhaltende Maßnahmen mit der staatlichen Versicherung abzurechnen. Die Kampagne der Republikaner wirkte: Demokratische Kongressabgeordnete, die in der Sommerpause in ihre Bezirke zurückgekehrt waren, sahen sich mit Faschismus- und Sozialismusvorwürfen konfrontiert. Die amerikanischen Medien, die sich auch ohne Sommerloch auf alles stürzen was laut ist, verstärkten ihre Berichterstattung und plötzlich schien die öffentliche Meinung zu kippen. Konservative Demokraten, die Angst um ihre Wiederwahl hatten, begannen von wichtigen Teilen der Reform Abstand zu nehmen. 

“Big Government”. Die Republikaner sahen sich in ihrem Kurs bestätigt und sammelten ihre Kräfte hinter der Phrase „Big Government“. Sie ist der Kitt, der die rechten Proteste zusammenhält. Egal ob Konjunkturpaket, Emissionsrichtlinien oder Gesundheitsreform, Obama wird als Gefahr für die amerikanische Freiheit dargestellt.
Auch Fox-News und andere konservative Medien begannen zunehmend damit, in ihren Programmen vor überbordender staatlicher Kontrolle zu warnen. Bilder von einer in Tränen aufgelösten Frau schafften es in die Abendnachrichten: „I want my country back“, plärrte sie. Die Sender zeigten auch Bilder von Südstaatlern, die extra nach Washington gekommen waren, um Schilder mit der Aufschrift „Don´t tax me, bro!“ in die Kameras zu halten. Und auch wenn Obama selbst es abstreiten muss, um keine für ihn gefährliche Debatte zu eröffnen: Auch Rassismus spielt bei den derzeitigen Protesten eine große Rolle. So ist zum Beispiel der Abgeordnete, der den Präsidenten während dessen Rede lautstark der Lüge bezichtigte, einschlägig bekannt: Er stimme im Jahr 2000 dagegen, die Konföderiertenflagge vom Parlament seines Heimatstaates zu entfernen – jene Flagge, unter der die Südstaaten im BürgerInnenkrieg für die Sklaverei kämpften.
Trotz der republikanischen Schmutzkübelkampagne muss Obama aber auch selbstkritisch sein. Rassismus und „Big Government“-Ängste sind zwar ein Erklärungsmuster für das mögliche Scheitern der Gesundheitsreform, aber keine Entschuldigung für die Demokraten.
Mit einem überwältigenden Überhang von siebzig Stimmen im Repräsentantenhaus und einer Sechzig-zu-Vierzig-Mehrheit im Senat haben sie so viele Stimmen wie nie zuvor. Die Republikaner haben mehr als einmal bewiesen, dass sie keinem Gesetz zustimmen werden, das das marode Gesundheitssystem grundlegend verändert, manche Demokraten halten aber noch immer an einem parteiübergreifenden Gesetzesvorschlag fest: Große Koalition auf amerikanisch. 

Ein dickleibiger Teufelskreis

  • 13.07.2012, 18:18

Die mangelnde Gesundheitsversorgung ist in den USA sowohl ein moralisches als auch ein finanzielles Problem. Das moralische Problem sind die 15 Prozent der Bevölkerung, die keine Krankenversicherung haben. Nach Schätzungen sterben jedes Jahr zwischen 20.000 und 40.000 Menschen, weil ihnen der Zugang zu medizinischer Versorgung fehlt.

Die mangelnde Gesundheitsversorgung ist in den USA sowohl ein moralisches als auch ein finanzielles Problem. Das moralische Problem sind die 15 Prozent der Bevölkerung, die keine Krankenversicherung haben. Nach Schätzungen sterben jedes Jahr zwischen 20.000 und 40.000 Menschen, weil ihnen der Zugang zu medizinischer Versorgung fehlt.
Das finanzielle Problem sind die steigenden Kosten. Die Kosten für die Gesundheitsversorgung in den USA machen etwa 17 Prozent unseres Bruttosozialproduktes (BSP) aus. Einigen Prognosen zufolge könnten sie in dreißig Jahren ein Drittel unseres BSP ausmachen. Kein anderer Industriestaat hat so viele nicht versicherte Bürger oder gibt einen so großen Anteil seines Einkommens für sein Gesundheitssystem aus.
Der Mangel an medizinischer Versorgung hat aber noch andere, unerwünschte Konsequenzen. So sind achtzig Prozent der Feuerwehr-Notrufe in Washington DC eigentlich medizinische Notfälle. (Die Dienste der Feuerwehr sind – im Gegensatz zu denen der Rettung – nicht kostenpflichtig). Für viele Unversicherte wird die Notaufnahmestation des Krankenhauses zur Hausarzt-Praxis.
Unzureichende Krankenversicherung bedeutet auch, dass der Patient sich keinen Zahnarzt leisten kann. Wenn die Zähne faulig sind, essen die Leute keine Dinge mehr, die beißen erfordern, wie Vollkornbrot oder Äpfel. Deshalb ernähren sie sich von Pommes und Hamburgern, was wiederum zu Dickleibigkeit, Herzproblemen und Diabetes führt – ein Teufelskreis. Eine Studie schätzt, dass sechzig Prozent aller Privatkonkurse in den USA durch hohe Gesundheitskosten verursacht werden, wobei sogar drei Viertel der Betroffenen zuvor eine private Krankenversicherung abgeschlossen hatten, die sich im Nachhinein allerdings als unzureichend erwies.
Die Gegner der Gesundheitsreform behaupten gerne, die Regierung wolle mit ihr schleichend den Sozialismus einführen. Dabei haben bereits jetzt viele US-Amerikaner eine staatliche Krankenkasse. Alle, die älter als 65 Jahre sind, haben Anspruch auf eine vom Steuerzahler finanzierte Gesundheitsversorgung. Pensionierte Militärangehörige bekommen eine kostenlose Behandlung in eigenen staatlichen Krankenhäusern. Zusätzlich versichern „Medicaid“ und das „Children Health Insurance Program“ Arme und Kinder. 
Als weiteres wird von Gegnern der Reform oft behauptet, sie sei sehr teuer. Das ist aber falsch: Sie wäre kostenneutral. Präsident Barack Obama will Betrug, Ineffizienz und Verschwendung im gegenwärtigen System beenden. So will er erreichen, dass jeder Amerikaner krankenversichert ist – und das bei gleich bleibenden Kosten. 

 

Zu Tode gesichert ist auch gestorben

  • 13.07.2012, 18:18

Sicherheit ist ein Grundbedürfnis aller Menschen, erst Sicherheit schafft Vertrauen, sie ist das Nervensystem einer Gesellschaft. Gerade weil sie so wichtig ist, muss verhindert werden, dass in ihrem Namen der Rechtsstaat zerstört wird.

Sicherheit ist ein Grundbedürfnis aller Menschen, erst Sicherheit schafft Vertrauen, sie ist das Nervensystem einer Gesellschaft. Gerade weil sie so wichtig ist, muss verhindert werden, dass in ihrem Namen der Rechtsstaat zerstört wird.

Staatlich geschaffene Sicherheit ist im Idealfall eine Balance zwischen Freiheit und Ordnung. Der Staat soll also ein Gleichgewicht zwischen Überwachung und Rechtssicherheit jedes Menschen herstellen. Wenn die Politik Überwachungsmaßnahmen legitimieren will, argumentiert sie oft mit hohen Verbrechensaufklärungsquoten und dem Rückgang von Verbrechen – also mit der Möglichkeit zu effektiverer Polizeiarbeit. Aber ist es überhaupt bewiesen, ob höhere Aufklärungsquoten mehr Sicherheit bringen?
Jutta Menschik, Professorin für Psychologie in Klagenfurt, sagt, es seien nicht die hohen Strafen für Vergehen, die Sicherheit gewähren, sondern vor allem der Lebensstandard der Menschen. Am wenigsten Kriminalität gibt es in Ländern mit einer hohen Lebenszufriedenheit der Bevölkerung, die vor allem von den Faktoren Arbeit, Bildung, Gesundheit(svorsorge), sauberer Umwelt und einem guten sozialen Netz beeinflusst werden. 

Privatsphäre ade. Nimmt es ein Staat mit den Persönlichkeitsrechten der BürgerInnen nicht so genau, kann man von einem Überwachungsstaat reden. Dieser höhlt das Recht auf Intim- und Privatsphäre aus. Die Steigerung davon ist der Polizeistaat, wie er im Faschismus und Realsozialismus praktiziert wurde. Das Recht der Bürger auf ein Privatleben wurde negiert, infolge dessen konnte sich niemand mehr vor Verleumdungen sicher sein. In dieser vergifteten Atmosphäre konnte man oft nicht mehr seinen nächsten Verwandten oder Freunden trauen, da diese möglicherweise als Spitzel für den Staat arbeiteten.
Das Sammeln von Daten durch den Staat ist überhaupt kein Phänomen unserer Zeit, sondern half schon vielen Diktaturen dabei, ihre Feinde aufzuspüren. Insofern ist die Frage, wie viel Sicherheit uns die Erfassung von Daten tatsächlich bietet, derjenigen gegenüberzustellen, inwiefern sie uns dem Staat ausliefert. Wir leben in Österreich zwar in keiner Diktatur, aber nirgendwo steht, dass das für immer so bleiben muss. 

Überwachung 2.0. Eines scheint nämlich klar: die Möglichkeiten für den Staat, seine Bürger zu überwachen, sind ins Ungeheuerliche gestiegen. Nicht auszudenken, welche Überwachungsmöglichkeiten sich für eine High-Tech-Diktatur ergeben würden. Schon jetzt sind die angewandten Mittel gewaltig: Lauschangriff und Rasterfahndung sind in Österreich legal, online kann jeder Schritt überwacht werden, Daten aus dem Gesundheitsbereich werden elektronisch erfasst, fast alle öffentlichen Plätze sind videoüberwacht. Argumentiert wird oft damit, dass die Daten geschützt werden sollen, kann man aber wirklich darauf vertrauen, dass Daten gesammelt werden, um sie zu schützen anstatt sie zu nutzen? 
Andererseits ist es aber auch richtig, dass Überwachung helfen kann, Gerechtigkeit herzustellen: gefilmte TäterInnen brutaler Verbrechen können ausgeforscht werden, was für die Psychohygiene der Opfer sehr wichtig ist. Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen kann gegen Vandalismus helfen. Mit Hilfe von Online-Überwachung können Terroranschläge verhindert und Kinderpornografie-Ringe ausgehoben werden. Aber geben diese Möglichkeiten dem Staat das Recht, jeden von uns wie mit einem Röntgengerät durchleuchten zu wollen?

Sichere Datenverwaltung? Dass die heiklen Daten noch dazu auch in falschen Händen landen können, zeigen die zahlreichen Skandale der letzten Jahre: In Großbritannien sind immer wieder Daten-CDs durch Schlamperei verloren gegangen, mehrmals sogar solche, auf denen Name, Adresse und Kontoverbindungen zehntausender Briten gespeichert waren.
In Deutschland wiederum erschütterten der Deutsche-Bahn-Skandal und der Telekom-Skandal das Land: Beide Male wurden Mitarbeiter ohne ihr Wissen ausgeleuchtet. Und auch im Lebensmittelhandel häufen sich die Überwachungen von Personal – sogar im intimsten Bereich, den Sanitäranlagen.
In all diesen Fällen kann nicht mehr mit dem Wunsch nach Sicherheit argumentiert werden – hier handelt es sich um Verletzungen der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. Unter dem Vorwand der Sicherheit werden von Behörden und Firmen Daten gesammelt, die vor allem einem Ziel dienen: Anhäufung von Macht.
Das zeigt auf, was in der aktuellen Sicherheitsdebatte falsch läuft: Sicherheit und Überwachung werden fast immer in einem Atemzug genannt. Dies ist ein Betrug an den BürgerInnen. Wer mit dem Grundbedürfnis nach Sicherheit spielt, zerstört die Grundlage unseres Zusammenlebens: das Vertrauen.  

 

Allheilmittel

  • 13.07.2012, 18:18

Bildungspolitik wird derzeit in Österreich so heiß diskutiert wie schon lange nicht, allerdings mangelt es in der Diskussion an neuen Ideen. Schon werden die „Allheilmittel“ Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen aus der Schublade gezogen. Während Wissenschaftsministerin Karl agiert wie ein hilfloser Käfer, der am Rücken liegt, dreht sich die Diskussion um die Zukunft der Hochschulen weiter im Kreis.

Bildungspolitik wird derzeit in Österreich so heiß diskutiert wie schon lange nicht, allerdings mangelt es in der Diskussion an neuen Ideen. Schon werden die „Allheilmittel“ Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen aus der Schublade gezogen. Während Wissenschaftsministerin Karl agiert wie ein hilfloser Käfer, der am Rücken liegt, dreht sich die Diskussion um die Zukunft der Hochschulen weiter im Kreis.

Die Wissenschaftsministerin möchte auf den Hochschulen die besten Köpfe Österreichs versammeln, die Drop Out Rate senken und mehr Studierende für die so genannten MINTFächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) begeistern. Das alles will sie durch Zugangsbeschränkungen erreichen und findet bei RektorInnen, Industriellenvereinigung und in der ÖVP großen Zuspruch. Als Standardbeispiel für den Erfolg von Zugangsbeschränkungen wird gerne auf das Medizinstudium mit der Einführung des EMS-Tests verwiesen. Dass jedoch seit 2006, als der Test zum ersten Mal durchgeführt wurde, die soziale Durchmischung an den medizinischen Universitäten Wien und Innsbruck stark gesunken ist, Frauen benachteiligt und so weniger oft zum Studium zugelassen werden und nebenbei die Nachhilfeindustrie für Hochschulprüfungen boomt, wird verschwiegen. Wie es auch gedreht wird sind auch heuer wieder nur 45 Prozent der StudienanfängerInnen in Medizin Frauen. Obwohl mehr Frauen als Männer zu diesem Test antreten. Auch der Versuch über die zusätzliche Testung von sozialen Kompetenzen in Graz änderte an der Benachteiligung von Bewerberinnen nichts.

Das Zauberwort heißt MINT. Publizistik als so genanntes Massenstudium wurde mit einer Aufnahmeprüfung versehen, die so abschreckend wirkte, dass sich in Wien weniger Studierende angemeldet haben, als Plätze zur Verfügung stünden. Auch dieses Faktum wird vom Wissenschaftsministerium gern als Zeichen gesehen, dass sie sich auf richtigen Pfaden bewegen. Es bleibt abzuwarten wohin die Studierendenströme ausweichen, denn dass es zu Verdrängungseffekten kommen wird, war bereits bei Psychologie zu beobachten. So wird das nächste Fach zum Massenfach, dann wohl auch beschränkt, so dass die Studierenden wieder ausweichen, fertig ist der Teufelskreis. Fakt ist, dass das Modell Planwirtschaft im 10-Jahres Takt auf den Hochschulsektor nicht anwendbar ist. Wenn Gehrer vor zehn Jahren Panik verbreitet hat in Österreich gäbe es viel zu viele LehrerInnen und LehramtstudentInnen würden brotlos ohne Arbeit enden, so zeigt sich heute, dass derartige Eingriffe in Studienwahlentscheidungen kein gutes Ende nehmen. So droht uns in den nächsten Jahren dank Pensionierungswelle auch ein Mangel an zukünftigen ÄrztInnen, aber von einer Aufstockung der Plätze in Wien, Innsbruck und Graz oder dem Bau einer Meduni Linz, will im Ministerium niemand etwas wissen. Im Ministerium wird lieber fleißig Werbung für die unterbesetzten MINT-Fächer betrieben. Wer Publizistik oder Psychologie studieren möchte, lässt sich im Regelfall auch nicht durch tägliche Inserate in diversesten Printmedien von den Vorzügen eines MINT-Studiums überzeugen. Dass die Kapazitäten in Informatik in Wien längst ausgeschöpft sind, weil kein Geld für neue Infrastruktur und Lehrmittel da ist, scheint dabei egal zu sein. Karl will auf den Hochschulen die besten Köpfe versammeln. Die „besten Köpfe“ Österreichs werden aber kaum nützlich sein, wenn sie nicht das studieren können, was sie möchten, geschweige denn, dass, dank chronischer Unterfinanzierung, die derzeitigen Studienbedingungen zu Hochleistungen anspornen.

Fünf vor Zwölf. Österreich braucht eine Gesamtstrategie im Bildungsbereich, scheitert aber am politischen Hick-Hack der verschiedenen Parteien. Bildung darf in ihren einzelnen Segmenten, angefangen beim Kindergarten, über den Pflichtschulbereich, bis hin zur höheren Bildung nicht weiter isoliert betrachtet werden. Es ist also auch nicht förderlich zwei Ministerien mit derselben Materie zu beschäftigen, denn nichts kann eine tiefgreifende Reform besser verhindern, als willkürlich zwischen zwei Parteien aufgeteilte Kompetenzen.
Die Uhr tickt, denn ab 2012 ist Peak Student erreicht, das heißt, dass ab diesem Zeitpunkt auf Grund sinkender MaturantInnenzahlen auch die StudienanfängerInnenzahlen sinken werden, und das in einem Land, das im Bezug auf StudienanfängerInnen, ohnehin schon 17 Prozent unter dem OECD-Schnitt liegt. Umso absurder ist es gerade jetzt die Studienfächer zu beschränken und so die Zahl der Studierenden weiter zu dezimieren. Doch der Kurs, der bei Gehrer begann, wird auch nach der Ära Hahn fortgeführt. Wenn die Politik weiterhin auf ein Allheilmittel im Bildungssektor wartet, wird sich an der Misere nichts ändern, mittlerweile gibt es einfach zu viele Baustellen. Wohin uns das alles führt wird sich zeigen, die Folgen dieser desaströsen Politik werden wohl auch noch die nächsten Generationen beschäftigen. Frei nach Kafka liegt der Käfer weiter auf seinem Rücken, seine vielen Beine flimmern ihm hilflos vor den Augen.

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