„Wir lernen gerade Freiheit!“

  • 13.07.2012, 18:18

Ein Auszug aus der Rede Armin Thurnhers im besetzten Audimax der Uni Wien.

Ein Auszug aus der Rede Armin Thurnhers im besetzten Audimax der Uni Wien.

Zuallererst gratuliere ich Ihnen zum politischen Erfolg Ihrer Proteste. Mit Erfolg meine ich selbstverständlich nicht die läppische Geste des [Ex-]Ministers Hahn, der plötzlich ein paar Dutzend Millionen Trinkgeld findet und einmal die Hälfte davon herausrückt, wenn er unter Druck gerät. Nein, mit Erfolg meine ich die Art, wie die Proteste zustande kamen, wie sie wachsen, wie Sie alle miteinander durchhalten, den Protest vorantragen und die Anliegen Ihres Protests artikulieren. Wenn ich Ihre Anliegen denn richtig verstehe, fordern Sie freien Universitäts-Zugang, mehr Geld für Bildung, Bildung statt Ausbildung und eine anders orientierte Bildungspolitik. Ich kann mich noch recht gut an eine etwas weiter zurückliegende Protestbewegung erinnern, die von 1968. Ich habe vor 41 Jahren im Herbst zum ersten Mal diesen Saal hier betreten, er sah noch ganz anders aus, und eine der ersten Veranstaltungen, die ich besuchte, war ein so genanntes Teach-In, also die Vorform einer Besetzung.

Unsere Proteste, die von 1968, entzündeten sich an gesellschaftlichen Verhältnissen, an international als unerträglich empfundenen Verhältnissen. An den USA und ihrem Vietnamkrieg, am Iran des Shah-Regimes zum Beispiel. Rückblickend muss man sagen, dass bei all dem, was daran berechtigt war, auch viel Verrücktes ins Spiel kam; man rechtfertigte nicht nur undemokratische Regimes, man sah bewundernd zu ihnen auf. Aus unserer libertären antiautoritären Bewegung entsprang unversehens der Maoismus und Stalinismus der K-Gruppen, ja auch der RAF-Terrorismus. Die Ikone Che Guevara, für manche Linke bis heute unantastbar, wurde nie so genau betrachtet, dass man das Blut an ihren Händen sah und den unerbittlichen Fanatismus in ihren Augen. Es waren nicht bloß die einfachen Kommilitonen, die solche Fehleinschätzungen trafen, es waren führende Intellektuelle dieser Zeit, die ihnen verfielen: Jean-Paul Sartre und Ernst Bloch zum Beispiel. Die Kritik an Israel, dem Zionismus, wie man sagte, die Sympathie mit den Palästinensern war für viele nur ein Vorwand, wenigstens in einem Punkt mit ihren Nazi-Vätern einig sein zu können: der Antizionismus war salonfähiger Antisemitismus.
Man kann also über die letzte große Protestbewegung nicht nur Gutes und Verklärendes sagen. Wenn man aber die Proteste von 1968 nicht verklären will, soll man sie doch nicht unterschätzen. Sie haben die Gesellschaft verändert, sie waren Ausdruck einer globalen Revolte gegen illiberale Lebensstile. Und sie haben den Universitäten zuerst unglaublich genützt, in der Folge wohl aber auch geschadet.  Was genützt hat, war eine Belebung durch Selbstorganisation, ich war einer der Nutznießer, denn auf der Theaterwissenschaft, wo ich studierte, haben wir in Selbstorganisation mit befreundeten Assistenten in kleinen Kreisen von zehn bis zwanzig Leuten intensiv gelesen, was uns wichtig schien. Das hat mich geprägt, davon zehre ich in gewissem Maß heute noch. Es war eine selbstorganisierte, völlig zweckfreie Lektüre der Ästhetik von Hegel oder des Mann ohne Eigenschaft von Musil zum Beispiel, die mit Ausbildung nichts, mit Bildung aber alles zu tun hatte.

Der akademische Raum ist eben ein gesellschaftlicher Freiraum, daran erinnern uns Ihre Proteste, er ist nicht nur ein Raum zur Aufzucht geeigneten Fachpersonals, er ist auch ein Raum, wo sich eine Gesellschaft selber befragt, zur Debatte stellt, wo sie sich in mehrfacher Weise bildet, indem die besten Köpfe und die brisantesten Einsichten aufeinanderprallen und aneinander wachsen und so aus dem Denken vergangener das Denken neuer Generationen entstehen kann. Die universitäre Öffentlichkeit ist eine zutiefst demokratische Institution, unerlässlicher Teil der demokratischen Öffentlichkeit, die ja nicht nur aus medialer und politischer Öffentlichkeit besteht. Die Universität hat ihren wichtigen Teil zur Selbstvergewisserung der Gesellschaft zu leisten. Deshalb ihre Freiheit. Man darf nicht vergessen, dass die politische Freiheit im antiken Athen damit begann, dass es möglich wurde, andere nicht mit Gewalt, sondern mit dem Wort zu überzeugen. Dass es theoretisch jedem, heute selbstverständlich auch jeder, möglich ist, durch Rede, durch bloßes Wort etwas durchzusetzen. Dieses Moment der Universität darf nicht verloren gehen. Die Universität ist nicht nur zur Produktion von Fachleuten da, sie ist zur Produktion freier Bürgerinnen und Bürger da!

Meine Damen und Herren, als ich gestern im Fernsehen den kleinen Showkampf mit dem frischrasierten Minister (Johannes Hahn, Anm.) sah, dachte ich, er hat sich rasiert und er wurde rasiert. Noch etwas außer der Schweigsamkeit des Ministers fiel bei dieser Diskussion auf: Der Vertreter der Unibürokratie ereiferte sich darüber, dass 1000 Menschen Architektur studieren wollen. Statt sich darüber zu beschweren, dass ihm die Mittel fehlen, diese 1000 adäquaten Möglichkeiten zu bieten, forderte er implizit, man müsse diese 1000 von der Uni fernhalten. Ich stelle mir schon länger die Frage, warum sich universitäre Proteste stets gegen die Politik, aber kaum gegen die Universitätsverwaltung selbst richten? Ich denke, Sie sollten die Uni selbst nicht aus der Pflicht lassen. Ebenso wie ich meine, dass man die Bildungsfrage nicht isoliert anhand der Universitäten abhandeln kann, sondern auch die höheren Schulen mit einschließen muss. Dort beginnt die Selektion, und sie beginnt viel zu früh. Dort wird jener freie Zugang zur Bildung für viele verhindert, jener freie Zugang, der Ihnen mit Recht so wichtig ist.
Gestern habe ich eine Zeit lang den Livestream verfolgt und hörte einen deutschen Kollegen den schönen Satz sagen: „Ihr lernt gerade Freiheit!“ Noch besser hätte mir gefallen, hätte er gesagt: Wir lernen gerade Freiheit! Aber egal, er hat’s erfasst – das ist nach wie vor das höchste Ziel der Universität, was immer Ihnen betriebswirtschafts- oder effizienzorientierte Ideologen sagen mögen: Sie sind hier, um Freiheit zu lernen, Freiheit des Denkens und Freiheit des Handelns – nicht nur des Handels! – damit Sie als freie Menschen, als freie Bürgerinnen und Bürger ein menschenwürdiges Leben führen und dies auch allen anderen ermöglichen. Das, meine Damen und Herren, ist meine vielleicht bizarre und möglicherweise altmodische Idee von Bildung. Sie steht gegen das neoliberale Paradigma, das ja nicht von Gott gewollt ist. Sie beharrt darauf, dass auch Ineffizienz und Romantizismus zur Bildung gehören können, die nutzlosesten Dinge oft nützlich sind und Neues auf nicht vorhersehbare Weise fruchtbar wird. Wer hätte schon daran gedacht, dass die antiautoritäre Bewegung und die Idee von Kollektiven die Arbeitswelt von Grund auf revolutionieren und sich am Ende als effektiver erweisen als tayloristische Hierarchien?

Ich verstehe das österreichische Kleinkrämertum nicht. Ich habe nie verstanden, warum einer der reichsten Staaten der Welt, machtlos und bedeutungslos wie er ist, nichts aus seiner neutralen Rolle machen will: als sicherer Hafen für die Verfolgten dieser Erde. Oder eben auch als Insel der Bildung, die man gern erreicht und wo alle willkommen sind, die hier studieren und lehren wollen, weil sie unser Land bereichern. Ich habe keine Lust, mich mit dem Schlaucherlstaat abzufinden, der wir nun einmal sind. Ich will Ihre Motive nicht überinterpretieren, aber ich begreife Ihren Protest auch als Protest gegen diesen Kleinmut, gegen diesen Willen zum umfassenden Kleinformat.
In der 68er Bewegung gab es den Slogan „Die Fantasie an die Front“– fälschlich kolportiert als „Die Fantasie an die Macht“. Die Fantasie an der Macht verdorrt. Nein, die Fantasie muss an die Front der Auseinandersetzung. Sie muss sich so etwas wie ein „Bildungsparadies Österreich“ vorstellen können, sie muss jene aschgrauen Amtsträger wegfantasieren, die dagegen bloß die Phrase von der Kulturnation daherstammeln. Die absolute Ideenlosigkeit der politischen Klasse, die ärgerliche und kleinliche Abschottungsmentalität, die von den meisten Medien befördert wird, diese Selbstprovinzialisierung eines Landes haben wir nicht verdient. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie hier etwas dagegen unternehmen. Auch in diesem Sinn ist Ihr Protest selbst ein Bildungsprojekt.

AutorInnen: Armin Thurnher