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Kiffen macht spießig

  • 13.07.2012, 18:18

Über die Lüge von der Unterscheidung zwischen harten und weichen Drogen. Ein Kommentar von Hubert Kolbin.

Über die Lüge von der Unterscheidung zwischen harten und weichen Drogen. Ein Kommentar von Hubert Kolbin.

Ende der 1990er-Jahre schien es, als würde sich die „Legalize-it-Bewegung“ langsam, aber doch durchsetzen und „weiche Drogen“ würden in Europa entkriminalisiert werden. Dass es doch nicht so kam, ist vielleicht gar nicht schlecht. Denn die Trennung zwischen „weichen“ Drogen, die legalisiert werden sollten, und „harten“ Drogen, die mit gutem Recht verboten sind, ist verlogen und verschärft die Situation für Abhängige.

In jenen Jahren, genauer 1997, erschien in der Zeitschrift tendenz, die der Bundesverband der Jungen Linken in Deutschland herausgibt, ein Artikel unter dem Titel „Kiffen macht spießig“, der hart mit den Strategien der AktivistInnen für eine Hanflegalisierung ins Gericht ging. Der „Hanfbewegung“ sei kein Argument zu blöd, um eine Freigabe ihres Krautes zu erreichen. Sie würde auf die Steuereinnahmen verweisen, die dem Staat entgingen, auf ihre Bedeutung als Gruppe finanzkräftiger KonsumentInnen und auf die Ungefährlichkeit des Hanfes als Rauschmittel – „als wäre eine eventuelle Gesundheitsgefahr, die die Herrschenden präsentieren könnten, bereits Grund genug, die Substanz zu verbieten und den Zugriff auf den individuellen Leib zu rechtfertigen“. Durchsetzt mit esoterischen Alltagsweisheiten möchten sie das Gras von dem aufrührerischen Geruch befreien, der ihm anhaftet und es als biologisch-nachhaltiges Produkt präsentieren, das in vielerlei Hinsicht verwertbar sei und für das es einen großen Markt gäbe, der bedient werden möchte. In dieser Argumentationskette verweist mancheR Kiff-Bewegte gar auf die im nationalsozialistischen Deutschland erschienene Hanf-Fibel, die zum Hanfanbau aufruft, um im Kriegsfall nicht von Baumwollimporten abhängig zu sein. Vor allem aber werden manche Hanf-LobbyistInnen nicht müde, sich von jenen zu distanzieren, die am meisten unter Prohibition und Verfolgungsdruck zu leiden haben: von „Junkies“, sozial deklassierten Drogensüchtigen, „Kriminellen“.

Weiches vs. Hartes. Die Freigabe „weicher“ Drogen würde also ausschließlich jenen das Leben etwas erleichtern, die jetzt schon relativ unbehelligt ihren Joint rauchen. Dagegen ist an sich natürlich nichts einzuwenden, wenn ein solcher Schritt aber zu Lasten jener geht, die freiwillig oder aus einer Abhängigkeit heraus „harte“ Drogen konsumieren, dann kann er nur entschieden abgelehnt werden. Denn das Grundproblem hinter der Prohibitionspolitik würde bestehen bleiben – oder sogar verstärkt: Wer argumentiert, dass Hanf als Genussmittel nicht gefährlich sei, der/die stützt die These, dass es auch gefährliche Drogen gibt, die der Staat mit gutem Recht verbietet. Aber warum ist die „Gefährlichkeit“ einer Substanz – oder vielmehr der ihr beigemengten Streckmittel – eigentlich ein Grund für deren Verbot? Warum soll ein Mensch nicht selbst entscheiden dürfen, was er dem eigenen Körper an Substanzen zuführen möchte? Wer mit der Gefährlichkeit „harter“ Drogen argumentiert, könnte genauso ein Verbot mancher Extremsportarten fordern.

Emotionen raus. Die Vorteile einer kontrollierten Abgabe diverser bewusstseinsverändernder Substanzen liegen auf der Hand: Die Risiken des Konsums könnten durch qualitative Standards der jeweiligen Substanz erheblich reduziert werden. KonsumentInnen würden nicht länger an den Rand der Gesellschaft bzw. in die Beschaffungskriminalität gedrängt. Dem Schwarzmarkt, der allzu oft auch in Waffengeschäfte und Menschenhandel involviert ist, könnte das Wasser abgegraben werden. Trotzdem ist die Forderung einer Freigabe aller Drogen nicht mehrheitsfähig und wird von politischen Parteien kaum thematisiert.

In Deutschland kamen Ende letzten Jahres die Piratenpartei und Die Linke in die Schlagzeilen, weil sie in unterschiedlicher Form eine Entkriminalisierung aller Drogen gefordert hatten. Die PiratInnen argumentierten damit, dass „Genuss und Rausch Bestandteil unserer Gesellschaft“ seien und „grundlegende soziale Funktionen“ erfüllen würden. Außerdem ermögliche eine Entkriminalisierung das regulierende Eingreifen des Staates. Auch Die Linke forderte im Oktober 2011 die langfristige Entkriminalisierung und Legalisierung aller Drogen, einschließlich Kokain und Heroin. Der Boulevard schlachtete diese Forderung sofort aus, unter dem Druck heftiger Kritik ergänzte der Parteitag der Linken die Forderung durch jene der kontrollierten Abgabe an Süchtige und der organisierten Hilfe beim Ausstieg aus dem Drogenkonsum. Auffällig – wenn auch wenig überraschend – war dabei, dass kaum inhaltliche Kritik an den Beschlüssen der Linkspartei zur Drogenpolitik geübt wurde. Vielmehr wurde emotionalisiert und polemisiert: „Nichts ist so schwach wie eine Idee, deren Zeit abgelaufen ist. Das wird auch mit Koks und Heroin nicht besser“, meinte etwa der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, zu dem Vorschlag der Linken.

Von Portugal lernen. Dabei gibt es in Europa längst Beispiele für eine erfolgreiche entkriminalisierte Drogenpolitik. In Portugal wurde der Besitz kleiner Mengen von Drogen aller Art schon vor mehr als zehn Jahren straffrei gestellt. Damals befürchteten ExpertInnen, Portugal könnte zur Anlaufstelle von DrogenkonumentInnen aus ganz Europa werden und in unkontrolliertem Rausch versinken. Heute ist der liberale Umgang Portugals mit Drogen kaum mehr ein Thema. Selbst die Vereinten Nationen, die die Liberalisierung 2001 noch heftig kritisiert hatten, mussten im Weltdrogenbericht 2009 einräumen, dass sich in Portugal „eine Reihe von drogenbezogenen Problemen verringert“ habe. Ein signifikanter Anstieg des Drogenkonsums ist – entgegen vieler Befürchtungen – übrigens auch nicht eingetreten. Die Anzahl der Drogentoten konnte hingegen deutlich verringert werden. Konkret reagierte Portugal mit der Straffreistellung auf einen Anstieg der HIV-Infektionen durch Heroinkonsum ausgehend von den 1980er-Jahren. Die Regierung beschloss den Besitz von zehn Tagesdosen diverser Drogen nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Wird ein/e KonsumentIn aufgegriffen, kommt der Fall nicht vor ein Gericht, sondern vor ein Gremium aus SozialarbeiterInnen, RechtsexpertInnen und ÄrztInnen. Diese können Sozialdienste oder Therapie verordnen, mehr als zwei Drittel der Fälle werden jedoch sofort eingestellt. Ein gewisser staatlicher Zugriff auf individuelle Konsumentscheidungen bleibt in diesem System zwar erhalten, doch DrogenkonsumentInnen kommen immerhin nicht mit dem Strafrecht in Berührung. Tschechien geht seit 2010 einen ähnlichen Weg und bestraft Menschen nicht länger für die Entscheidung, Drogen konsumieren zu wollen. Die Aufregung nach diesem Beschluss war auch in Österreich lautstark hörbar. Heute ist es still geworden – die Entkriminalisierung scheint auch in Tschechien gut zu funktionieren.

 

Ich wollte ein Männerleben leben

  • 13.07.2012, 18:18

Der Cowboy Katja Kullmann über weiches Kapital und harte Realität.

Der Cowboy Katja Kullmann über weiches Kapital und harte Realität.

Wir trafen die selbsternannte Weltenbürgerin Katja Kullmann, die schon zwischen Financial Times, dem Freitag, der EMMA als auch der GALA oder für Sie bummelte, an einem windigen Vormittag auf der Prater Hauptallee in Wien. Bei einem Kaffee am dortigen Antifaschismus-Platz erklärt sie uns, wo bei dieser Bandbreite an Medien ihre Loyalität liegt: Bei den linken Feministinnen, auch wenn die nicht mehr so viel EMMA lesen wie früher. In ihrer Erzählung spannt Katja Kullmann große Bögen, baut argumentative Kurven – und steht dabei aber immer auf dem Boden der Realität.

PROGRESS: Du beschäftigst dich in deinen Büchern sehr stark mit dem Generationenwandel. Was unterscheidet dich von der heutigen Studentin?

KULLMANN: Meine Frauengeneration hatte noch ein durchwegs positives Ideal von Freiheit und Autonomie. Das war für uns noch nicht neoliberal besetzt, sondern eine positive Utopie. Ich war eine Nach-68erin, hatte vereinzelt LehrerInnen, die sehr liberal waren. Ich gehöre zur ersten Frauengeneration, die zum Selbstbewusstsein erzogen wurde. Alte Säcke als Lehrer hatte ich zwar schon noch im Gymnasium, aber eine oder zwei junge Kolleginnen waren auch dabei. Zwischen diesen Polen bin ich aufgewachsen. Mein Ziel war es, mein Leben größer zu machen, als das meiner Eltern. Wir hatten das Versprechen vor uns, dass die Kindergeneration ein Stückchen weiter kommen sollte. Das habe ich absolut verinnerlicht. Ich bin dabei nicht der Schrankwand-Typ und ich brauche kein teures Auto, aber ich bin immer viel gereist und das war mir in puncto Freiheit und Autonomie immer wahnsinnig wichtig.

Sollte der Begriff Freiheit aus linker Perspektive zurückerobert werden?

Ich habe den Deal immer als fair empfunden: Ich strenge mich an, schreibe gute Noten und lerne Fremdsprachen, und damit komme ich dann weiter. Das war der Plan: nicht früh zu heiraten, nicht an den Herd gefesselt zu sein und auch was die Berufstätigkeit betrifft, mich nicht über 40 Jahre hochdienen müssen. Vor allem: immer selbstständig sein, von niemandem abhängig, und bloß Staats-Stipendium beantragen oder sowas. Heute reibe ich mich daran, dass es letztlich ein lupenrein neoliberaler Entwurf des Ich ist – ein perfekter Yuppie-, Westerwelle-, FDP-Lebenslauf. Obwohl es ursprünglich widerständig gemeint war. Die jüngere, eure Generation, ist da viel realistischer: Ihr wisst, wie hart es aussieht. Ihr habt den Vorteil, dass sich der Restglaube an Statussicherheit erübrigt hat. Keiner rechnet wahrscheinlich mit einer festen Anstellung oder anderen verlässlichen sozialen Absicherungen.

Wie hat sich diese Vorstellung vom perfekten Lebenslauf verändert?

Die Marge der Leute, die sich heute noch Praktika leisten können, wird immer kleiner: Denn sie werden nicht mehr bezahlt. Damit spielt das Elternhaus eine viel größere Rolle. Bei meinen Praktika war zumindest die Unterkunft gedeckt. Herkunftsfragen werden für Männer wie auch Frauen wichtiger. Denn Ausbildung ist unser neues Gut, unser weiches Kapital. Es ist zunehmend ungerecht verteilt, weil der Zugang schwerer wird.

Wie geht die Generation Praktikum mit den schlechten Rahmenbedingungen um?

Bei den Mittzwanzigern und Jüngeren gibt es aus meiner Sicht einerseits solche, die das, was man in den 80ern Ellenbogengesellschaft nannte, extrem fahren. Das ist die Gruppe, die sich extrem ins Private zurückzieht, eine Affinität zu Psychotherapien und zu einer unglaublichen Innerlichkeit entwickelt hat. Sie wollen sich schützen und besitzen eine kaltschnäuzige Statusangst. Auf der anderen Seite sehe ich eine ganz starke Repolitisierung, gerade bei jungen Frauen, die unbelastet schwere Begriffe, mit denen meine Generation noch Schwierigkeiten hatte, wie Solidarität, auf den Lippen haben. Allein das Wort Feminismus nehmen die Jüngeren viel sportlicher in die Hand und sprechen es aus. Ich glaube, es gibt die Streber und die, die sich politisieren.

Warum fangen trotzdem so wenige etwas mit dem Wort Feminismus an?

Man sollte das nicht zu kleinreden. Ich sehe wirklich viele junge Frauen, die versuchen, den Feminismus neu zu bespielen, ihm neue Inhalte zu geben. Es gibt aber viele Ängste. Wir leben in einem Klima, in dem es einerseits diese starken, politisierten Bewegungen gibt und andererseits aber diese Diskussion, wo unglaublich schnell geschlechtsübergreifend abgewatscht wird. Es gibt viele Leute, die sagen, sie würden lieber hungern, als im Lidl bei den abgeranzten Hartz-IV-Leuten einkaufen zu gehen. Die Angst davor, zur „Gutmenschin“ oder „Wutbürgerin“ erklärt zu werden, ist heutzutage riesig. Denn als solches abgestempelt zu werden, macht dich zum Problemfall, zur Querulantin. Das ist ein Spiegel dieses Funktionieren-Müssens. Erstmals betrifft das beide Geschlechter: Dieser Leistungsdruck, diese fröhlich wirkende Stromlinienförmigkeit, die man erfüllen sollte, und die sehr stark ins Persönliche reicht. Damit hängt auch die Angst zusammen, das Wort Feminismus in den Mund zu nehmen, denn es klingt nach Problemen, nach Haltung. Seit den späten 90ern heißt es: Die Zeit der Ideologien ist vorbei. Genau das ist aber die neue Ideologie.

Inwiefern wirkt sich das neue Prekariat auf die Geschlechterverhältnisse aus?

Es gibt dieses Zitat, dass es in jeder Schicht oder Klasse eine Unterklasse oder Unterschicht gibt, und das sind die Frauen. Seit über 20 Jahren kennen wir dieselben Zahlen: Frauen verdienen im Schnitt, quer durch alle Branchen, noch immer rund ein Viertel weniger als Männer. Und wenn sie zur Alleinerziehenden werden, ist das Armutsrisiko besonders hoch. Gerade in der sogenannten Kreativbranche werden Frauen, denen es beruflich oder finanziell mal nicht so gut geht, schnell pathologisiert – als ob sie ein psychologisches Problem hätten. Da heißt es dann: Die trinkt, die nimmt Drogen, die ist depressiv. Typen können genauso abgebrannt sein, aber potentiell gibt es immer das Bild vom Cowboy oder dem Lonely Wolf, wo gesagt wird, der hat einfach eine schwierige Phase. Genau dieses Bild – der lonesome rider, immer unterwegs, die Welt entdecken – war übrigens eine Art Leitbild für mich, als ganz junges Mädchen. Das hat wieder mit dem unbedingten Willen zur Autonomie zu tun: Es gab fast nur männliche Vorbilder dafür. Im Grunde wollte ich immer eher ein Männerleben führen, denke ich. In Teilen ist mir das auch gelungen.

Nach dem Erfolg deines Buches „Generation Ally“ und deiner Zeit als selbständige Journalistin folgte bei dir eine sehr prekäre Phase als Hartz-IV-Empfängerin. Wie hast du die erlebt?

Das ist eine schizophrene Erfahrung, die viele in den Nullerjahren gemacht haben. Als ich beim Amt als künftige Hartz-IV-Empfängerin vorsprechen musste, war das eine Mischung aus Arzt- und Vorstellungsgespräch. Ich hatte mir einen Businessplan zurechtgelegt, der natürlich nicht funktioniert hat. Denn du darfst dann im Grunde nicht mehr freiberuflich tätig sein. Es blieb dabei: Ich hatte 13 Euro am Tag, ich durfte nicht aus der Stadt weg, das war vollkommen irre. Ich dachte mir: Aha, jetzt bin ich also auch eine Verliererin – und so sieht das also aus: Sie lassen dich nicht mehr mitspielen.

Hat diese Erfahrung mit Hartz-IV deine Sicht auf die Welt verändert?

Meine Repolitisierung ist auf diesem Amtsflur passiert, weil ich gesehen habe, dass ich als Medienarbeiterin Teil einer Avantgarde bin, die systemisch freigesetzt ist. Das ist eine neurotische Branche, die mitforciert hat, dass der Fensterputzer und die Pflegekraft mit immer niedrigeren Löhnen in die Knie gezwungen werden. Und ich bin Teil derer, die den Quatsch auch noch erzählt haben: Jeder sei seines Glückes Schmied.

Würdest du sagen, du hast erlebt, was Armut ist?

Man darf so ein elitenartiges Prekariat, wie ich es erlebt habe, nicht verkitschen und vergleichen mit echter Armut. Damit meine ich, wenn du in der dritten oder vierten Generation SozialhilfeempfängerIn bist und es nicht zum Abitur geschafft hast, fehlt dir ein ganz wichtiges Kapital, das Kulturkapital. Das unterscheidet dann doch die akademisch Prekarisierten von dem Kollegen mit dem Hauptschulabschluss. In Bezug auf Status und Codes kann man sich dann trotzdem noch verkaufen, kann sich seinen Blog so einrichten, dass man so wirkt, als sei man beschäftigt und kann sich augenzwinkernd im abgefransten Kaffeehaus treffen. Das hilft erstens, vor sich selber viel zu verschleiern, und zweitens, diesen Shabby Chic zur Schau zu stellen. Jemand, der wirklich arm ist, kann das gar nicht so veräußern.

Wie ist denn das Frauenbild unter diesen Bobohipstern? Gibt’s da einen Backlash?

Das Abziehbild ist tendenziell männlich, wir denken ja sofort an die Typen mit den Jesusbärten und den Baumwollbeuteln. Den Hipster aber gab’s schon immer, der ist nicht neu. Das ist sozusagen eine urbane Avantgarde. Es gab schon den Yuppie, den Bobo, das taucht alle fünf Jahre auf. Was eigentlich damit gemeint ist, ist diese bunte Bildungselite, die sehr urban, intellektuell, gut vernetzt ist, die diese Codes kennt und die reiche Symbolsprache, an die auch Statusfragen gehängt werden. Auch wenn sie im Second Hand Shop um drei Euro ihre Karohemden kaufen, kann das statusmäßig ein total wertvolles Karohemd sein. Du musst nur wissen, wie das gerade zu tragen ist, und ab wann nicht mehr. Sobald das Elitenwissen dann im Mainstream angelangt ist und die BerlintouristInnen das auch tragen, suchst du dir was Neues.

Ist das Hipstertum so männlich, weil es so Ich-bezogen ist?

Ja, damit hat das sicher zu tun – was ich interessant finde, gerade weil der Begriff do it yourself stark verbreitet ist. Das ist ja auch ein Teil dieser Bewegung: Sehr viele der modischen und hippen Frauen stricken oder craften. Auch auf queerfeministischen Webseiten spielt das eine Rolle. Ich habe nichts gegen Stricken, ich kann aber die bildhafte Logik überhaupt nicht verstehen, und sehe nicht, was daran zum Beispiel widerständig oder feministisch ist. Der Hipster ist jedenfalls keine politische Figur, er demonstriert nicht, er beschäftigt sich mit sich selbst, seinen Gefühlen, seinen Style-Ängsten, und sieht dabei veträumt aus.

Gibt es denn heute positive feministische Rolemodels?

Es gibt heute ein unglaubliches Prinzessinnenwesen. In den 70er-Jahren waren es vor allem im Kinderfernsehen Figuren wie die Rote Zora, Ronja Räubertochter. Das waren aggressive, mutige, aufmüpfige Figuren und Namen. Heute haben wir Lillifee und die Manga-Ästhetik, also diese Verniedlichung. Schwierig finde ich auch, dass jüngere Frauen sich wieder so „girliehaft“ benennen, wie wir es vor 20 Jahren schon mal hatten: Sie nennen sich „Mädchen“ oder „Missys“. Ich kann nur sagen: Dieses Augenzwinkern hat der Feminismus schon einmal versucht – es funktioniert nicht. Ich glaube nicht, dass es die eine gibt, die saisonal das Rolemodel schlechthin ist. Das entspricht auch nicht der Vielfalt und Diversität der Frauen. Für mich ist es Le Tigre Kathleen Hanna. Ich glaub auch, dass Anke Engelke eine Breitenfunktion besitzt, die ganz anders ist, als eine klassische fernseh-feminine Frau. Es ist grundsätzlich erst mal gut, dass es heute mehr interessante Frauen in der Öffentlichkeit gibt, glücklicherweise nicht nur verzweifelte Schlauchboot-Lippen-Trägerinnen.

Warum ist es heute überhaupt so kompliziert, Feministin zu sein?

Die Welt ist ganz schön unübersichtlich. Und ich denke, der Feminismus leidet wie auch andere politische Inhalte und Strömungen darunter, dass die Leute vereinzelt sind. Darüber hinaus ist es vor allem der Leistungsdruck, unter dem wir leiden, und die Angst davor, zu nervig und zu kompliziert zu sein, in dem Moment, in dem man Prinzipienfragen stellt. Ich glaube, dass Feminismus ganz oft mit innerem Unmut anfängt. Man muss den Mut finden, Dinge auszusprechen, dazu muss man stark sein. Und viele Leute fühlen sich gerade nicht stark, haben Angst, sich verwundbar zu machen. Aber ich habe den positiven Eindruck, dass es eine neue Sehnsucht gibt, sich mit anderen zusammenzutun und dass das, erst mal im Kleinen, auch gerade wieder passiert. Niemand kann alleine Verhältnisse umstoßen.

 

Karl hat viele Versprechen einzulösen

  • 13.07.2012, 18:18

Beatrix Karl wird in manchen Zeitungen mit Claudia Schiffer verglichen. Ein Vergleich, der die neue Wissenschaftsministerin nicht stört, wie sie sagt.

Beatrix Karl wird in manchen Zeitungen mit Claudia Schiffer verglichen. Ein Vergleich, der die neue Wissenschaftsministerin nicht stört, wie sie sagt. Weniger gerne wird Karl wohl mit ihrem Vorgänger verglichen, dem glücklosen Johannes Hahn. Ob dieser auch wegen dem Druck der Audimax-BesetzerInnen nach Brüssel geschickt wurde, ist eine Frage für ZeithistorikerInnen. Fest steht jedoch: Beatrix Karl wurde ins Amt bestellt, um die Ruhe auf den Universitäten wieder herzustellen. Ob ihr das gelingt, hängt von ihrem Geschick ab, und von uns, den Studierenden.
Karls Vorstellung davon, wie die Hochschulen aussehen sollten, ist klassische ÖVP-Ware. Die Fachhochschulen denkt sie als bessere Lehrstellen. An den Universitäten sollen Zugangshürden die Reihen der StudentInnen lichten. Auch kritisierte Karl in Interviews kurz nach ihrer Amtseinführung die Besetzung von Hörsälen als illegitim. Dennoch muss die Wissenschaftsministerin ein Interesse daran haben, mit den Studierenden zu verhandeln und ihre demokratische Vertretung zu stärken: Sie wird die Studis von der Straße wegholen wollen, und an den Verhandlungstisch bringen. Scheitert sie damit, wird sie ihr Amt ebenso geschlagen verlassen wie ihr Vorgänger.
Die Voraussetzungen für erfolgreiche Verhandlungen sind durchaus gegeben. Zwischen der Ministerin und der Studierendenbewegung gibt es Schnittmengen. Studienplätze will die Ministerin in Zukunft ausfinanzieren, also den Unis für jeden einzelnen Studierenden Geld geben. Bisher gab es für die Hochschulen nur einen Pauschalbetrag, egal wie viele inskribierten. Auch sollen die durch die Einführung des Bachelors vollgestopften Studienpläne wieder entrümpelt werden. Die Studierenden könnten dann mehr freie Wahlfächer machen und damit Raum für die freie Entfaltung ihrer Interessen haben. Sollten das nicht nur liberale Duftmarken zum Amtsantritt sein, sondern ernst gemeinte Versprechen, bleibt von Beatrix Karl womöglich einmal mehr in Erinnerung als ihre Ähnlichkeit mit Claudia Schiffer.

„Dem Töchterle ist das scheißegal“

  • 13.07.2012, 18:18

Alexandra Eisenmenger (33) ist alleinerziehende Mutter und wollte Biologie an der Uni Wien studieren:

„Ich bin eine Nachzüglerin. Ich habe vor sechs Jahren die Matura an der Abendschule nachgeholt, und letztes Wintersemester Biologie inskribiert.
Ich bin draufgekommen, dass mich Biologie extrem interessiert, dass ich gerne ins Labor gehen würde. Ich komme aus der kaufmännischen Richtung und wollte weg von dort. Da ich alleinerziehende Mutter bin, habe ich mich um ein Stipendium gekümmert, und das auch bekommen.
Ich habe mich sehr darauf gefreut und war irrsinnig motiviert. Ich war bestimmt 80 Prozent der Vorlesungen anwesend, hab das immer irgendwie gedeichselt, außer wenn ich krank war oder es nicht gegangen ist wegen meiner Tochter. Ich habe auch parallel schon andere Vorlesungen besucht.


Bei der ersten von zwei Prüfungen habe ich mich gefragt, ob ich da wirklich auf der Uni bin. Die Prüfung hat 15 Minuten später gestartet, weil sie zu wenig Prüfungsbögen hatten, die Fragen hatten überhaupt nichts mit Wissen zu tun. Wir waren so eine Vierer-Mädls-Lernpartie, die haben alle zu mir gesagt, ich könne das in- und auswendig. Es hat dann geheißen, das Ergebnis komme vor Weihnachten, erfahren hab ich es dann nach Jahreswechsel: Nicht geschafft. Das war wirklich das totale Aussiebverfahren, 56 Prozent sind durchgefallen. Ich hab mich aber wieder hingesetzt, alles gelernt, ich hab mir gedacht: ‚Bitte fragt’s mich das alles, ich kann’s ja!’ Bei der zweiten Prüfung war’s aber dasselbe in grün. Ich find’s irrsinnig traurig, wie man Leuten wie mir, die halt erst später draufkommen, was sie machen wollen, noch mehr Steine in den Weg legen kann. Die Fragen waren viel zu detailliert und teilweise auch nicht mal aus dem Stoffgebiet. Die Stimmung unter den Studierenden war absoluter Wahnsinn, wir haben uns alle angeschaut und gefragt, was das für ein Theaterstadl ist! Warum kann man denn da keine normalen Fragen stellen? Ich bin wiedermal in ein großes Loch gefallen. Von der Stipendienstelle hab ich bestimmte Auflagen bekommen, und man kann ja keine anderen Prüfungen machen, solange man die STEOP nicht abgeschlossen hat. Ich muss jetzt knapp 5.000 Euro zurückzahlen, außer ich finde eine andere Lösung. Ein mündlicher Antritt – ich würd’ alles dafür geben.


Ich bin 33, ich bin nicht alt, das weiß ich schon – aber für gewisse Sachen bleibt die Zeit nicht stehen, die rennt. Irgendwann geht’s einfach nicht mehr mit Ausbildung und Hin und Her. Ich hab nicht wirklich ein anderes Fach, das ich studieren will. Viele haben auch gesagt; ‚Na dann geh doch nach Graz studieren!’, aber die stellen sich das auch ziemlich einfach vor: Ich bin alleinerziehend mit einem siebenjährigen, schulpflichtigen Kind. Ich kann nicht einfach alle Sachen packen und gehen!
Mein Lernaufwand war sehr hoch. Neben 20 Stunden die Woche Arbeiten und meinem Kind habe ich zwei Monate intensiv gelernt. Es gibt natürlich immer welche, die’s heraußen haben. Ich hab seit sechs Jahren nichts mehr gelernt, trotzdem war ich supergut vorbereitet. Jetzt bin ich lebenslang für Biologie gesperrt.
Überall liest man: Bildung! Bildung! Bildung! Wir wollen alle bilden und stellen alles zur Verfügung! Da kannst du dir doch nur an den Kopf greifen, wenn dann sowas rauskommt. Aber so Leuten wie dem Töchterle, denen is das im Prinzip alles scheißegal.“

„Es ist eine Selektionsphase“

  • 13.07.2012, 18:18

Stefan Kastel ist Mitbegründer der Stop-STEOP-Bewegung in Wien und wollte Deutsch und Geschichte auf Lehramt studieren:

„Ich hab mir nach der Schule überlegt, welchen Beruf es gibt, wo ich mit Menschen in Kontakt kommen kann und anderen helfen kann. Das war dann der Lehrerberuf, und da bin ich auch mit viel Begeisterung an die Sache rangegangen. Mit der STEOP ist das dann immer weniger geworden. Ich wollte Deutsch- und Geschichtelehrer werden, und habe auch in beiden Fächern alle Prüfungen und Übungen positiv absolviert. Nur die Pädagogikprüfung, die hab ich verhaut. Die Pädagogikprüfung ist für alle, die Lehramt studieren wollen, gleich. Das war ein Single Choice Test. Da sind die meisten gescheitert, ich denke, ein paar hundert.

Diese Prüfung sagt überhaupt nichts darüber aus, ob du als Lehrer geeignet bist oder nicht. Aus der Sicht von vielen waren bei den Fragestellungen mehrere Antworten möglich, das war teilweise einfach nur realitätsfremd. Eine Frage war zum Beispiel: ‚Was ist ein symbolhaftes Tier für den Unterricht?“ Esel wär‘s gewesen, keine Ahnung. Das Problem ist aber sowieso eher grundsätzlich: Bei einem Test mit 40 Fragen kannst du nicht herausfiltern, ob du für den Beruf geeignet bist oder nicht. Aber das interessiert die Uni anscheinend nicht. Meine Erwartungen waren, dass es zuerst mal die Möglichkeit gibt, sich wirklich zu orientieren, genug Zeit für sich selber zu haben, und he- rauszufinden, was wichtig ist fürs Studium. In der Realität war es dann so, dass sie uns in der zweiten Woche gesagt haben: ‚Ihr habt zwei Antritte, dann fliegt ihr raus.‘ Vom Stress her war das sicherlich wesentlich mehr als bei der Matura.

Die Stimmung im Studium war einfach nur angepisst. Alle haben sich das anders vorgestellt, orientierungsmäßiger, ruhiger, und nicht so zukunftsabhängig. Die Studieneingangs- und Orientierungsphase soll ihrem Namen gerecht werden, jetzt ist das eine Selektionsphase. Ich glaube, es wurde gezielt so angelegt, dass einige Studenten keine Chance haben, weiter zu studieren. In Pädagogik war es so, dass ein paar zuerst 20 von 40 Punkten hatten und kurz vor der Prüfungseinsicht waren‘s dann auf einmal 21. Töchterle finde ich extrem arrogant. Wie kann ein Mensch, der alles erreicht hat und sicher gut verdient, so herablassend mit den Zukunftsplänen anderer Menschen umgehen?“

Ein Putsch ist ein Putsch ist kein Putsch

  • 13.07.2012, 18:18

Vor beinahe einem Jahr putschte die Opposition in Honduras den demokratisch gewählten Präsidenten. Eine Welle der Entrüstung schwappte daraufhin durch Amerika. Wen interessiert´s heute noch? Niemanden.

Vor beinahe einem Jahr putschte die Opposition in Honduras den demokratisch gewählten Präsidenten. Eine Welle der Entrüstung schwappte daraufhin durch Amerika. Wen interessiert´s heute noch? Niemanden.

Wir erinnern uns: Es war am 28. Juni 2009 als Manuel Zelaya unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde. Dem damaligen, rechtmäßig gewählten Präsidenten von Honduras drückten Militärs eine Pistole an die Schläfe und brachten ihn, noch in Pyjamas, außer Landes nach Costa Rica. Demos auf den Straßen von Tegucigalpa, der Hauptstadt, wurden ignoriert oder unterdrückt. Durch die Weltgemeinschaft ging ein Schrei des Entsetzens: Der erste Putsch in Lateinamerika seit fast 20 Jahren!
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) suspendierte Honduras, die EU stoppte ihre Hilfszusagen für das Entwicklungsland. Hillary Clinton konnte sich vielleicht nicht sofort zu dem Wort „Putsch“ durchringen, die Position der USA war aber – zumindest auf offizieller Ebene – klar. Weg mit den PutschistInnen. 

Zelayas lange Heimreise. Manuel Zelaya, der Mann mit Cowboy-Hut und Lederhosen, versuchte in diesem heißen Sommer dreimal in sein Land zurückzukehren, dem er eigentlich als Präsident vorstand. Einmal flog er gen Tegucigalpa, wo ihm Panzer die Landebahn versperrten. Einmal versuchte er zu Fuß die Grenze zu passieren. Das tat er auch, einige Meter, rief seine Familie an und kehrte wieder um. Denn wenige Meter im Landesinneren warteten Panzer und Militärs auf ihn.
Ende September gelang ihm schließlich die heimliche Einreise. Seitdem hielt er sich in der brasilianischen Botschaft verschanzt, dem „Widerstands-Hauptquartier“.
Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Manuel Zelaya ist nicht mehr Präsident von Honduras und lebt seit einigen Wochen wieder in Costa Rica. Die weltweiten Proteste gegen den Putsch von Honduras sind verstummt, Zelayas Rivale Porfirio Lobo regiert nun das Land.
Was ist passiert? Wie wurde aus dem Schrei des Entsetzens, der öffentlichen Erregtheit, der weltweiten Verurteilung der Geschehnisse des 28. Junis ein globales Schweigen? „Nun denn, so sei es“, schweigt die Welt.

So kam es zu dem Putsch. Um das zu verstehen, lohnt sich – wie so oft in lateinamerikanischen Belangen – ein Blick auf die USA. Honduras ist das kleinste Land Lateinamerikas, die sprichwörtliche “Bananenrepublik“, und war über lange Strecken des 20. Jahrhunderts hinweg mehr Kolonie der USA als eigenmächtiger Player. Dass die USA rein gar nichts von dem geplanten Putsch wussten, ist daher verwunderlich. Obama kündigte von Beginn seiner Amtszeit aus an, die Beziehungen zu lateinamerikanischen Ländern verbessern zu wollen. Wie ernst das gemeint war, bleibt aber nach den Geschehnissen in Honduras fraglich.
Was in der Zeit vor dem Putsch in Honduras passierte, ist nicht ganz einfach. Vor Manuel Zelaya fürchteten sich die herrschenden Eliten bei seiner Amtsübernahme 2005 wenig, war er doch selbst reicher Viehzüchter. Über die Jahre kehrte er sich aber immer mehr Hugo Chavez zu, dem venezolanischen linken “Diktator“. Das half der heimischen Wirtschaft und Zelayas Popularität beim Volk. Die heimischen Eliten beobachteten den Richtungswechsel aber mit Argwohn.
Als Zelaya 2009 schließlich eine Verfassungsreform ankündigte, warfen sie ihm vor, bloß eine weitere Amtszeit anzustreben. Seine würde nämlich mit den Wahlen Ende November auslaufen. Zelaya würde seinem Vorbild Chavez oder Evo Morales in Bolivien nacheifern. Das wies Zelaya natürlich zurück. Zum Zwecke der Verfassungsreform setzte er eine unverbindliche Volksbefragung für Ende Juni an.
Das Volk kam aber nicht mehr dazu, seine Stimme abzugeben. Honduras war gespalten. Zelayas Gegner haben die Chance genutzt und ihn außer Landes gebracht.

Die Rolle der USA. Schon im Juli begrüßten einige amerikanische RepublikanerInnen den Putsch. Das offizielle Amerika unter Obama war, genauso wie die EU oder die OAS, dagegen. Wie es dazu kommen konnte, dass die USA schließlich klein beigaben, dazu seien folgende Begebenheiten aufschlussreich:
Thomas Shannon, Unterstaatssekretär im amerikanischen Außenministerium, war Teil der Delegation, die mit den streitenden Parteien eine diplomatische Lösung verhandeln sollte. Er überredete sie tatsächlich zu folgendem Abkommen: Zelaya würde noch vor den Wahlen wiedereingesetzt, allerdings mit Zustimmung des Kongresses, und es würde eine Regierung der „nationalen Einheit“ gebildet werden, sprich beide Seiten mitwirken lassen.
Der deutsche Politikwissenschaftler Benedikt Behrens schreibt in seiner Analyse: „Man kann nur spekulieren, warum Zelaya die Bedingungen akzeptierte, seine Wiederwahl ausgerechnet von dem ihm feindlich gesonnenen Parlament abhängig zu machen – möglicherweise vertraute er auf den Willen der US-Regierung.“
Ein Fehler, wie sich herausstellte: Der Kongress setzte die Wiedereinsetzung nicht auf die Tagesordnung. Thomas Shannon meinte Ende Oktober, dass sie doch nicht unbedingt vor den Wahlen stattfinden müsste. Und falls der Kongress gänzlich verweigere, müsste das auch anerkannt werden.

Machtkämpfe im amerikanischen Senat. Der Clou an der Sache spielte sich aber im amerikanischen Senat ab: Dort blockierte der Republikaner Jim DeMint ein Vorhaben Obamas. Und zwar wollte Obama Thomas Shannon durch den Politologen Arturo Valenzuela ersetzen. Doch DeMint war dagegen, weil Valenzuela wiederum klar gegen den Putsch in Honduras war. Just als das Außenministerium erklärte, die Wahlen in Honduras anzuerkennen, beendete er die Blockade.
Bei der zeitgerecht am 29. November durchgeführten Wahl gewann schließlich Porfirio Lobo. Es gab keine unabhängigen WahlbeobachterInnen. Die USA akzeptierten das Ergebnis. Fehlte nur noch die Wahl des Kongresses, die aber erwartungsgemäß zur Farce wurde: 111 von 128 Stimmen lehnten am 2. Dezember eine Wiedereinsetzung Zelayas ab. 

Die Smart Power der USA. Manche BeobachterInnen meinen, dass Teile des amerikanischen Militärs immer schon von dem Putsch-Plan gewusst hatten und diesen auch unterstützten. Andere sagen, Honduras sei ein Prototyp einer neuen amerikanischen Strategie gegen links-gerichtete Regierungen in Lateinamerika. Smart Power bezeichnet eine Kombination diplomatischer Mittel, wirtschaftlichen Einflusses und „legalen demokratischen“ Manövern. Durch diese „intelligente Macht“ soll der amerikanische Weg, die Übermacht der USA in Lateinamerika beibehalten werden, was bestimmt keine Wende einläuten wird.
Ob das tatsächlich wahr ist, oder ob Obama schlichtweg vor politischen Widerständen im eigenen Land klein beigeben musste, ist fraglich. Fakt ist, dass die Ereignisse des 28. Junis 2009 in der Weltöffentlichkeit in Vergessenheit geraten. Und dass die Menschen in Honduras Spielball in einem großen Machtkampf zwischen linken und rechten Kräften in Lateinamerika sind. Interessant ist jedoch, und das ist wohl der einzige positive Effekt, dass heute in Honduras 80 bis 85 Prozent mehr Exemplare der Verfassung verkauft werden als vor dem Putsch.

„Ich habe nun einmal keinen Goldesel“

  • 13.07.2012, 18:18

Wie sie mit „kreativen Möglichkeiten“ für Zugangsbeschränkungen die AkademikerInnenquote heben will und warum österreichische Unis im Wettkampf mit Harvard, Oxford und Co. einfach nicht mitkönnen. Die neue Wissenschaftsministerin Beatrix Karl im Interview.

Wie sie mit „kreativen Möglichkeiten“ für Zugangsbeschränkungen die AkademikerInnenquote heben will und warum österreichische Unis im Wettkampf mit Harvard, Oxford und Co. einfach nicht mitkönnen. Die neue Wissenschaftsministerin Beatrix Karl im Interview.

PROGRESS: Vergangenen Herbst haben Sie gesagt: „Mit dem Besetzen von Hörsälen werden keine Studienbedingungen verbessert.“ Was hätten Sie denn getan, wenn Sie sich als Studentin in einem überfüllten Hörsaal wiedergefunden hätten?

Karl: Ich hätte früher den Dialog mit der Politik gesucht. Ich habe Verständnis dafür, dass die vollen Hörsäle für die Studierenden natürlich ein Problem sind. Die Studienbedingungen in den Massenstudien sind sowohl den Studierenden als auch den Lehrenden nicht zumutbar. Ich hätte mir als Studierende auch vorstellen können, an Demonstrationen teilzunehmen. Aber ich hätte sicher keine Hörsäle besetzt, weil man dadurch andere Studierende am Studieren hindert. 

Sie fordern Zugangsbeschränkungen. In Österreich fangen allerdings um 14 Prozent weniger Menschen an zu studieren als im Durchschnitt der OECD-Länder, auch die AkademikerInnenquote ist weit niedriger. Sind Beschränkungen wirklich der richtige Weg?

Ja, die Akademikerquote ist in Österreich zu niedrig. Mein erklärtes Ziel ist es ja auch, die Akademikerquote zu erhöhen. Nur haben wir in Österreich gerade in den Massenfächern sehr hohe Drop-Out-Quoten. Und wir sehen ganz klar, dass mehr Studierende nicht automatisch mehr Absolventinnen und Absolventen bedeuten. 

Die Drop-Out-Quote ist in Österreich im Vergleich zu anderen OECD-Ländern mit 24 Prozent im Vergleich zu 31 Prozent niedrig. 

Aber in Ländern, wo es Zugangsregelungen gibt – und das sind viele europäische Länder – besteht trotzdem eine höhere Akademikerquote als in Österreich. Zum Beispiel in Finnland, dem Parade-Bildungsland. Dort hat man Zugangsregelungen an den Universitäten und die Universitäten selbst können zum Beispiel Aufnahmetests vornehmen. 

Haben Sie eine konkrete Vorstellung für Zugangsbeschränkungen in Österreich?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten für Zugangsregelungen, die müssen wir diskutieren. Wenn Sie zum Beispiel an Veterinärmedizin denken, dort gibt es ein mehrstufiges Verfahren, wo es auch Bewerbungsgespräche gibt. Da kann man durchaus auch über kreative Möglichkeiten nachdenken und auch internationale Vergleiche heranziehen, wie dort mit Zugangsregelungen umgegangen wird. 

Neben Zugangsbeschränkungen fordern Sie auch Studiengebühren. Ist das korrekt?

Ich habe immer gesagt, dass sich meines Erachtens Studienbeiträge bewährt haben, aber momentan Studienbeiträge nicht durchsetzbar sind. Es ist jetzt nicht meine erste Priorität, Studienbeiträge wieder einzuführen. 

Sind Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren denn wirklich die einzigen Maßnahmen für bessere Studienbedingungen?

Es geht auch darum, die Studienpläne zu verbessern. Hier sind wir bei der Bologna-Architektur. Die Umsetzung ist in Österreich nicht an allen Universitäten so gelaufen, wie sie laufen hätte sollen. Hier führe ich Gespräche mit den Verantwortlichen. Es ist aber auch wichtig, dass die Defizite, die Sie von den einzelnen Universitäten kennen, am Hochschuldialog mit den Studierenden besprochen werden. 

Wie könnte man die Studienpläne besser gestalten?

Man muss sich natürlich die Fehler ansehen, die passiert sind. Aufgefallen ist mir zum Beispiel die inhaltliche Überfrachtung, die teilweise passiert ist. Dass zum Beispiel ein achtsemestriges Diplomstudium in sechs Semester hineingepresst wurde. Oder dass die Wahlfächer gestrichen wurden. Und dann muss man sich in einem zweiten Schritt ansehen: Was kann man besser machen? Und da ist es mir wichtig aufzuzeigen, wo sind Best Practice Modelle, es gibt ja auch gute Studienpläne. 

Wären bei der Erarbeitung der Studienpläne weniger Fehler passiert, wenn Studierende und Lehrende im Mittelbau besser eingebunden gewesen wären? An manchen Universitäten hat es ja funktioniert.

Haben Sie da Beispiele?

Ich verschaffe mir gerade einen Überblick, will aber die gelungenen und weniger gelungenen Beispiele noch nicht veröffentlichen. 

Nicht nur die Protestbewegung der Studierenden verlangt mehr Geld für die Hochschulen, auch Universitätenkonferenz und Senatsvorsitzende fordern die Erhöhung der Hochschulausgaben auf zwei Prozent des BIP schon bis 2015, nicht erst 2020. Warum macht man das nicht?

Wir sind auf dem Weg zum Zwei-Prozent-Ziel. Man muss sehen: Hier geht es um öffentliche Mittel und um private Mittel. Im Moment liegen wir bei 1,3 Prozent des BIP, davon sind 1,2 Prozent öffentliche Mittel, nur 0,1 Prozent sind privat. Mit den 1,2 Prozent des BIP liegen wir über dem Schnitt der EU19 und der OECD. 

Aber bis wann werden die zwei Prozent erreicht sein?

Das Ziel ist 2020. Aber da ist nicht nur die öffentliche Hand gefordert, es fehlen vor allem private Mittel. 

Und warum nicht bis 2015? 

Wir haben im Moment eine wirtschaftlich schwierige Phase, das sollte auch an den Studierenden und den anderen Hochschulpartnern nicht vorübergegangen sein. Es werden auch andere Ressortkollegen mehr Geld für ihre Ressorts fordern. Aber ich werde mich natürlich dafür einsetzen, für die Universitäten mehr Geld zu bekommen.

Die Republik hat aber auch für das Bankenpaket im vergangenen Jahr fast sieben Milliarden Euro Schulden aufgenommen. Um die Hochschulausgaben bis 2015 auf  zwei Prozent des BIP zu erhöhen, bräuchte man pro Jahr 200 Millionen Euro. 

Bevor ich Wissenschaftsministerin wurde, war ich ÖAAB-Generalsekretärin. Und ich war da bei sehr vielen Treffen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dort wurde immer gefragt: Das Geld, das die Banken bekommen, warum gibt man das nicht für Arbeitsmarkt- und Sozialpakete aus? Ich wünsche mir natürlich als Wissenschaftsministerin mehr Geld für die Universitäten. Aber es gibt auch von anderen Kreisen berechtigte Forderungen.

Das ist ja schön und gut, wenn man die einen Bedürftigen gegen die anderen ausspielt. Sie müssen als Wissenschaftsministerin selber wissen, dass die Bankenkrise nicht selbst von der Bevölkerung verschuldet wurde.

Die Bevölkerung hat aber auch gern bei Banken ihr Erspartes gesichert. Wenn die Banken Probleme bekommen hätten in Österreich, da hätten wir ein generelles Problem gehabt. Das muss man schon auch sehen. 

Also sind Banken wichtiger als Bildung.

Nein, das sage ich nicht. Ich will nur nicht die einen gegen die anderen ausspielen. Es gibt viele Bereiche, in die investiert werden muss. Ich bin Wissenschaftsministerin und wünsche mir, dass Geld in die Universitäten, Fachhochschulen und in die Forschung fließt. Aber ich alleine bestimme nicht über das Geld. 

Klar.

Ich habe nun einmal keinen Goldesel und ich habe auch keine Gelddruckmaschine.

Mit Ihrer Aussage zum Studienplatzproblem: „Wenn in einem Opernhaus alle Karten verkauft sind, kann auch niemand mehr hinein“ haben Sie vor kurzem für Aufregung gesorgt. Warum sind Sie und die ÖVP so dagegen, mehr Studienplätze zu finanzieren?

Ich kenne ja Massenstudien. Ich habe selbst in einem Massenstudium studiert und gelehrt. Ich weiß auch, dass die Probleme, die wir in den Massenstudien haben, nicht behoben werden können, indem man einfach nur mehr Geld investiert. Ich kann nicht von heute auf morgen größere Hörsäle schaffen, man kann auch nicht von heute auf morgen genügend qualifiziertes Lehrpersonal rekrutieren. Das funktioniert so nicht. 

Das muss ja nicht von heute auf morgen sein, sondern in einem angemessenen Zeitraum.

Schon. Man braucht hier die entsprechenden strukturellen Maßnahmen. Ein Massenstudium kann man auch mit mehr Geld nicht wirklich qualitativ hochwertig führen. 

Cirka 20.000 Nicht-EU-BürgerInnen studieren in Österreich. Diese müssen als einzige Gruppe von Studierenden an Unis Studiengebühren zahlen. Nach dem Studium muss ein Großteil von ihnen wieder zurück in ihre Heimatländer. Warum gibt es hier eigentlich so ein Zwei-Klassen-System?

Dass diese Regelungen teilweise für die Betroffenen schwierig sind, ist klar. Meines Erachtens ist es auch nicht sehr zielführend, dass Drittstaatsangehörige hier studieren dürfen, und wenn sie fertig ausgebildet sind, nicht hierbleiben dürfen, also hier ihre Arbeitskraft nicht zur Verfügung stellen dürfen beziehungsweise nur unter bestimmten Voraussetzungen, zum Beispiel als Schlüsselarbeitskräfte. Wenn Drittstaatsangehörige hier eine Ausbildung bekommen, dann sollten sie auch hier die Möglichkeit haben, sich eine Arbeit zu suchen. 

Wäre das ein Ziel?

Das fällt nicht in mein Ressort, das kann ich nicht alleine bestimmen. Aber mir würde es sinnvoll erscheinen, etwa eine Regelung wie in Deutschland vorzusehen: Dort wird eine bestimmte Zeit für die Arbeitssuche eingeräumt, und wenn in einer bestimmten Zeit eine Arbeit gefunden wird, kann man diese Tätigkeit auch aufnehmen. 

Was ist mit den Studiengebühren, die Nicht-EU-BürgerInnen an den Universitäten als einzige von vornherein zahlen müssen?

Wenn Sie sehen, wie viel an Studienbeiträgen die Drittstaatsangehörigen in anderen Ländern zahlen, dann muss ich sagen, sind die Studienbeiträge in Österreich für diese Gruppe wirklich niedrig. Die Drittstaatsangehörigen könnten auch in andere EU-Länder studieren gehen und in den meisten anderen Ländern müssen sie viel mehr bezahlen. 

Viele andere Länder treiben aber auch einen größeren Aufwand, AusländerInnen in ihren Ländern anzuwerben. Was macht da Österreich?

An den Kunstuniversitäten gibt es viele Drittstaatsangehörige, etwa aus dem asiatischen Raum. Und sonst haben wir ja ohnehin sehr viele Studierende an unseren Universitäten. 

Ziel der Universitäten ist doch, die besten Köpfe zu sich zu bringen. Warum holt man sich nicht die besten Studierenden?

Weil wir da im Wettbewerb mit etwa Harvard, Cambridge, Oxford und so weiter einfach nicht mitkönnen. Die besten Köpfe werden dort angeworben, weil sie dort viel bessere Studienbedingungen haben. 

Sie haben doch gerade gesagt, die Studiengebühren sind in Österreich so niedrig.

Aber die bekommen dort beispielsweise ein Stipendium. 

Könnten Sie das in Österreich auch bekommen?

Ich habe immer gesagt, wenn die Studienbeiträge wieder eingeführt werden, wäre das natürlich auch mit einer Verbesserung des Studienförderungssystems verbunden. Für mich müssen Studienbeiträge immer mit einem guten Stipendiensystem Hand in Hand gehen.  

Sie sprechen sich für eine Verlängerung des Moratoriums für die Quotenregelung im Medizinstudium aus. Warum sucht man nicht eine langfristige Lösung wie Ausgleichszahlungen, wie etwa seit 1996 zwischen den skandinavischen Ländern üblich?

Weil von Seiten Deutschlands keine Bereitschaft besteht, Ausgleichszahlungen zu leisten. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass in Deutschland die Universitäten Ländersache sind, die Universitäten fallen also in die Kompetenz der Bundesländer. Das heißt, man müsste hier Vereinbarungen mit jedem einzelnen Bundesland treffen. Und die deutschen Bundesländer werden vermutlich nicht sagen: „Juhu, wir zahlen nun an Österreich.“

Sie sind jetzt seit knapp einem Monat Ministerin. Sehnen Sie sich nicht manchmal in den Hörsaal zurück?

[lacht] Nein, jetzt noch nicht. Ich habe noch zu wenig Zeit gehabt, um darüber nachzudenken, was jetzt in meinem Leben anders ist. Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, wo ich wieder sehr gerne in den Hörsaal zurückkomme. 

Und glauben Sie, die Studierenden werden Sie dann freundlich begrüßen?

Ich habe zu den Studierenden immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Ich habe auch sehr viele Diplomanden und Dissertanten betreut. Also das war nie ein Problem.

„Es sind nur 26 Leute angetreten“

  • 13.07.2012, 18:18

Die Linzerin Johanna Mayr (18) studiert Mathematik im Bachelor an der Karl Franzens Universität in Graz:

„Meine STEOP besteht aus einer Orientierungslehrveranstaltung und einer Vorlesung zu Linearer Algebra, insgesamt ist sie 6,5 ECTS wert. Neben den Leuten aus dem ersten Semester, die den Mathe-Bachelor angefangen haben, sitzen da auch die Lehramtsleute aus dem dritten Semester drinnen. Es ist also vielleicht nicht die beste Idee, gerade diese Vorlesung in eine STEOP reinzupacken. Ich finde, sie war relativ schwierig.

Die Prüfung sieht so aus, dass es zuerst einen schriftlichen Teil gibt, und erst, wenn du den bestehst, darfst du zur mündlichen Prüfung antreten. Bei der schriftlichen Prüfung hat es drei Fragen gegeben, wobei wir die erste so nie durchgemacht haben. Zu der Prüfung sind nur 26 Leute angetreten, weil sie als so schwierig gilt. 14 Leute haben 8,5 Punkte und dürfen zur mündlichen Prüfung antreten, zwölf haben weniger. Ich hab 8,5 Punkte und darf antreten. Ich habe mir in der Schule recht leicht getan mit dem Lernen, mein Maturazeugnis hat einen 1,0-Schnitt. Aber für die Uni muss ich viel mehr lernen, und viele sind die anderen Prüfungsmodalitäten auch noch nicht gewöhnt. Mathe in der Schule und Mathe auf der Uni sind halt zwei ganz verschiedene Dinge. Zum Glück werde ich auch finanziell von meinen Eltern unterstützt. Wenn ich nebenbei 20 Stunden die Woche arbeiten müsste, wäre sich das mit der STEOP nie ausgegangen.

Ich würde die STEOP abschaffen, was sonst? Sie hat überhaupt nicht zu meiner Orientierung beigetragen. Ich finde das nicht sinnvoll, weil es nur Stress schafft. In Graz hat man zwei normale Antritte und der dritte ist kommissionell. Wenn ich weiß, ich hab jetzt zwei Antritte und dann sitz ich vor der Kommission, dann glaub ich nicht, dass man da gut rausfinden kann, ob das das richtige Studium für einen ist. Wie soll eine Prüfung darüber entscheiden? Die meisten Leute kommen direkt von der Schule oder nach dem Zivi, und die sind schon generell von der Abstraktion am Anfang überfordert.“

Gesichter der STEOP

  • 13.07.2012, 18:18

Mit der Begründung, StudienanfängerInnen einen Einblick in ihr Studium geben zu wollen, wurde im Wintersemester 2011/12 die Studieneingangsphase (STEOP) verschärft und verpflichtend am Anfang des Studiums an allen österreichischen universitäten eingeführt. Wieviel dieser Einblick gebracht hat, erzählen drei STEOP-Prüflinge.

Mit der Begründung, StudienanfängerInnen einen Einblick in ihr Studium geben zu wollen, wurde im Wintersemester 2011/12 die Studieneingangsphase (STEOP) verschärft und verpflichtend am Anfang des Studiums an allen österreichischen universitäten eingeführt. Wieviel dieser Einblick gebracht hat, erzählen drei STEOP-Prüflinge.

Seit dem Wintersemester 2011/12 gibt es an allen österreichischen Universitäten eine verpflichtende Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP). Die Umsetzung dieser wird allerdings nicht einheitlich gehandhabt. So kommt es vor, dass den StudienanfängerInnen an fast allen Wiener Unis sowie in Graz, Klagenfurt, Salzburg und Leoben drei Prüfungsantritte pro STEOP-Prüfung zugestanden werden, während die Uni Linz und Uni Wien eine rigorose Umsetzung mit nur zwei Antritten beschlossen haben. Meist sind die Prüfungen, die man innerhalb der STEOP absolvieren muss, klar vorgeschrieben, vereinzelt können die StudienanfängerInnen wählen. Immer aber kann man mit negativ absolvierter STEOP keine anderen Lehrveranstaltungen abschließen, was nun viele Studierende vor immense Beihilfen- oder Stipendienprobleme stellt.

Alexandra, Johanna und Stefan erzählen dem PROGRESS ihre Geschichte:

 

Foto: Johanna Rauch

„Es sind nur 26 Leute angetreten“

Die Linzerin Johanna Mayr (18) studiert Mathematik im Bachelor an der Karl Franzens Universität in Graz:

„Meine STEOP besteht aus einer Orientierungslehrveranstaltung und einer Vorlesung zu Linearer Algebra, insgesamt ist sie 6,5 ECTS wert. Neben den Leuten aus dem ersten Semester, die den Mathe-Bachelor angefangen haben, sitzen da auch die Lehramtsleute aus dem dritten Semester drinnen. Es ist also vielleicht nicht die beste Idee, gerade diese Vorlesung in eine STEOP reinzupacken. Ich finde, sie war relativ schwierig.

Die Prüfung sieht so aus, dass es zuerst einen schriftlichen Teil gibt, und erst, wenn du den bestehst, darfst du zur mündlichen Prüfung antreten. Bei der schriftlichen Prüfung hat es drei Fragen gegeben, wobei wir die erste so nie durchgemacht haben. Zu der Prüfung sind nur 26 Leute angetreten, weil sie als so schwierig gilt. 14 Leute haben 8,5 Punkte und dürfen zur mündlichen Prüfung antreten, zwölf haben weniger. Ich hab 8,5 Punkte und darf antreten. Ich habe mir in der Schule recht leicht getan mit dem Lernen, mein Maturazeugnis hat einen 1,0-Schnitt. Aber für die Uni muss ich viel mehr lernen, und viele sind die anderen Prüfungsmodalitäten auch noch nicht gewöhnt. Mathe in der Schule und Mathe auf der Uni sind halt zwei ganz verschiedene Dinge. Zum Glück werde ich auch finanziell von meinen Eltern unterstützt. Wenn ich nebenbei 20 Stunden die Woche arbeiten müsste, wäre sich das mit der STEOP nie ausgegangen.

Ich würde die STEOP abschaffen, was sonst? Sie hat überhaupt nicht zu meiner Orientierung beigetragen. Ich finde das nicht sinnvoll, weil es nur Stress schafft. In Graz hat man zwei normale Antritte und der dritte ist kommissionell. Wenn ich weiß, ich hab jetzt zwei Antritte und dann sitz ich vor der Kommission, dann glaub ich nicht, dass man da gut rausfinden kann, ob das das richtige Studium für einen ist. Wie soll eine Prüfung darüber entscheiden? Die meisten Leute kommen direkt von der Schule oder nach dem Zivi, und die sind schon generell von der Abstraktion am Anfang überfordert.“

 

Foto: Johanna Rauch

„Es ist eine Selektionsphase“

Stefan Kastel ist Mitbegründer der Stop-STEOP-Bewegung in Wien und wollte Deutsch und Geschichte auf Lehramt studieren:

„Ich hab mir nach der Schule überlegt, welchen Beruf es gibt, wo ich mit Menschen in Kontakt kommen kann und anderen helfen kann. Das war dann der Lehrerberuf, und da bin ich auch mit viel Begeisterung an die Sache rangegangen. Mit der STEOP ist das dann immer weniger geworden. Ich wollte Deutsch- und Geschichtelehrer werden, und habe auch in beiden Fächern alle Prüfungen und Übungen positiv absolviert. Nur die Pädagogikprüfung, die hab ich verhaut. Die Pädagogikprüfung ist für alle, die Lehramt studieren wollen, gleich. Das war ein Single Choice Test. Da sind die meisten gescheitert, ich denke, ein paar hundert.

Diese Prüfung sagt überhaupt nichts darüber aus, ob du als Lehrer geeignet bist oder nicht. Aus der Sicht von vielen waren bei den Fragestellungen mehrere Antworten möglich, das war teilweise einfach nur realitätsfremd. Eine Frage war zum Beispiel: ‚Was ist ein symbolhaftes Tier für den Unterricht?“ Esel wär‘s gewesen, keine Ahnung. Das Problem ist aber sowieso eher grundsätzlich: Bei einem Test mit 40 Fragen kannst du nicht herausfiltern, ob du für den Beruf geeignet bist oder nicht. Aber das interessiert die Uni anscheinend nicht. Meine Erwartungen waren, dass es zuerst mal die Möglichkeit gibt, sich wirklich zu orientieren, genug Zeit für sich selber zu haben, und he- rauszufinden, was wichtig ist fürs Studium. In der Realität war es dann so, dass sie uns in der zweiten Woche gesagt haben: ‚Ihr habt zwei Antritte, dann fliegt ihr raus.‘ Vom Stress her war das sicherlich wesentlich mehr als bei der Matura.

Die Stimmung im Studium war einfach nur angepisst. Alle haben sich das anders vorgestellt, orientierungsmäßiger, ruhiger, und nicht so zukunftsabhängig. Die Studieneingangs- und Orientierungsphase soll ihrem Namen gerecht werden, jetzt ist das eine Selektionsphase. Ich glaube, es wurde gezielt so angelegt, dass einige Studenten keine Chance haben, weiter zu studieren. In Pädagogik war es so, dass ein paar zuerst 20 von 40 Punkten hatten und kurz vor der Prüfungseinsicht waren‘s dann auf einmal 21. Töchterle finde ich extrem arrogant. Wie kann ein Mensch, der alles erreicht hat und sicher gut verdient, so herablassend mit den Zukunftsplänen anderer Menschen umgehen?“

 

Foto: Jakob Burtscher

„Dem Töchterle ist das scheißegal“

Alexandra Eisenmenger (33) ist alleinerziehende Mutter und wollte Biologie an der Uni Wien studieren:

„Ich bin eine Nachzüglerin. Ich habe vor sechs Jahren die Matura an der Abendschule nachgeholt, und letztes Wintersemester Biologie inskribiert.
Ich bin draufgekommen, dass mich Biologie extrem interessiert, dass ich gerne ins Labor gehen würde. Ich komme aus der kaufmännischen Richtung und wollte weg von dort. Da ich alleinerziehende Mutter bin, habe ich mich um ein Stipendium gekümmert, und das auch bekommen.
Ich habe mich sehr darauf gefreut und war irrsinnig motiviert. Ich war bestimmt 80 Prozent der Vorlesungen anwesend, hab das immer irgendwie gedeichselt, außer wenn ich krank war oder es nicht gegangen ist wegen meiner Tochter. Ich habe auch parallel schon andere Vorlesungen besucht.

Bei der ersten von zwei Prüfungen habe ich mich gefragt, ob ich da wirklich auf der Uni bin. Die Prüfung hat 15 Minuten später gestartet, weil sie zu wenig Prüfungsbögen hatten, die Fragen hatten überhaupt nichts mit Wissen zu tun. Wir waren so eine Vierer-Mädls-Lernpartie, die haben alle zu mir gesagt, ich könne das in- und auswendig. Es hat dann geheißen, das Ergebnis komme vor Weihnachten, erfahren hab ich es dann nach Jahreswechsel: Nicht geschafft. Das war wirklich das totale Aussiebverfahren, 56 Prozent sind durchgefallen. Ich hab mich aber wieder hingesetzt, alles gelernt, ich hab mir gedacht: ‚Bitte fragt’s mich das alles, ich kann’s ja!’ Bei der zweiten Prüfung war’s aber dasselbe in grün. Ich find’s irrsinnig traurig, wie man Leuten wie mir, die halt erst später draufkommen, was sie machen wollen, noch mehr Steine in den Weg legen kann. Die Fragen waren viel zu detailliert und teilweise auch nicht mal aus dem Stoffgebiet. Die Stimmung unter den Studierenden war absoluter Wahnsinn, wir haben uns alle angeschaut und gefragt, was das für ein Theaterstadl ist! Warum kann man denn da keine normalen Fragen stellen? Ich bin wiedermal in ein großes Loch gefallen. Von der Stipendienstelle hab ich bestimmte Auflagen bekommen, und man kann ja keine anderen Prüfungen machen, solange man die STEOP nicht abgeschlossen hat. Ich muss jetzt knapp 5.000 Euro zurückzahlen, außer ich finde eine andere Lösung. Ein mündlicher Antritt – ich würd’ alles dafür geben.

Ich bin 33, ich bin nicht alt, das weiß ich schon – aber für gewisse Sachen bleibt die Zeit nicht stehen, die rennt. Irgendwann geht’s einfach nicht mehr mit Ausbildung und Hin und Her. Ich hab nicht wirklich ein anderes Fach, das ich studieren will. Viele haben auch gesagt; ‚Na dann geh doch nach Graz studieren!’, aber die stellen sich das auch ziemlich einfach vor: Ich bin alleinerziehend mit einem siebenjährigen, schulpflichtigen Kind. Ich kann nicht einfach alle Sachen packen und gehen!
Mein Lernaufwand war sehr hoch. Neben 20 Stunden die Woche Arbeiten und meinem Kind habe ich zwei Monate intensiv gelernt. Es gibt natürlich immer welche, die’s heraußen haben. Ich hab seit sechs Jahren nichts mehr gelernt, trotzdem war ich supergut vorbereitet. Jetzt bin ich lebenslang für Biologie gesperrt.
Überall liest man: Bildung! Bildung! Bildung! Wir wollen alle bilden und stellen alles zur Verfügung! Da kannst du dir doch nur an den Kopf greifen, wenn dann sowas rauskommt. Aber so Leuten wie dem Töchterle, denen is das im Prinzip alles scheißegal.“

Die Revolution beginnt jetzt

  • 13.07.2012, 18:18

Mahmood Salem (29) alias Sandmonkey bloggt und twittert seit Jahren gegen das Mubarak-Regime. Seinen Job hat er bei Ausbruch der Proteste gekündigt, um sich voll auf die Umwälzungen in Ägypten zu konzentrieren.

Mahmood Salem (29) alias Sandmonkey bloggt und twittert seit Jahren gegen das Mubarak-Regime. Seinen Job hat er bei Ausbruch der Proteste gekündigt, um sich voll auf die Umwälzungen in Ägypten zu konzentrieren.

PROGRESS: Am 25. Jänner, dem ersten Tag der Proteste, warst du am Tahrirplatz. Was waren deine Erwartungen?

SALEM: Einen Tag zuvor habe ich mich noch darüber lustig gemacht. Aber am 25. hatte ich frei, also marschierte ich mit. „Yalla – let's go play with the police”, das war mein letzter Tweet.

Gab es irgendwann einen Punkt, an dem für dich das Ende von Mubarak klar absehbar war?

Ja, das Interview mit Wael Ghonim (Internet-Aktivist und Google-Marketing-Direktor in Ägypten, Anm.). Zu Beginn der Proteste wurde er inhaftiert. Danach hat er ein Interview gegeben und Bilder von Toten im Internet gezeigt. Das war auch der Punkt, an dem die meisten Leute auf die Seite der Demonstranten übergelaufen sind.

Mubarak ist Geschichte, können sich die ÄgypterInnen nun beruhigt zurücklehnen?

Nein, auf keinen Fall. Den einfachen Teil haben wir hinter uns. Die wirkliche Revolution hat gerade erst begonnen. Jetzt müssen wir uns mit 30 Jahren institutioneller Korruption herumschlagen, eine neue Verfassung ausarbeiten und vieles mehr.

Immerhin es gibt schon einen Entwurf für die neue Verfassung.

Ja, aber wir können mit dem neuen Entwurf nichts anfangen. Damit wird nicht an der alten Machtelite gerüttelt und es können keine neuen Institutionen entstehen. Die Armee will Stabilität, das sollte man nicht mit Demokratie verwechseln.

Wie aktiv war die StudentInnenbewegung während der Proteste?

Gar nicht, viel aktiver waren die Mitglieder der jungen Muslimbrüder und Fußballfans. Die Hooligans kennen sich am besten mit Straßenschlachten aus.
 
In Europa hatten viele den Eindruck, dass die Muslimbrüder von den ganzen Ereignissen überrumpelt wurden?

Die jungen Muslimbrüder waren mit dabei auf den Straßen. Aber die alte Riege hat sich zunächst von den Protesten distanziert. Sie hatten Angst, nachher dafür beschuldigt zu werden.
 
Warum hat die Führungselite der Muslimbrüder mit dem Regime verhandelt?

Ex-Geheimdienstchef Omar Suleiman hat die Muslimbrüder zu Verhandlungen eingeladen. Darauf sind sie angesprungen, weil es ihnen Legitimität gibt. Seither gibt es einen Generationenkonflikt zwischen den Muslimbrüdern.

Gibt es in Ägypten noch eine Pro-Mubarak-Fraktion?

Ja, eine kleine, leise Minderheit. Sie waren schon immer korrupte Opportunisten und das bleiben sie auch. Aber diese Leute sind immer noch wichtig, sie haben viele Beziehungen und noch viel mehr Geld. Aber einige von ihnen sind auch bereits hinter Gittern.

Dem Militär gehört ein beträchtlicher Anteil der ägyptischen Wirtschaft. Man spricht von 20 Prozent. Was passiert mit den Militärbetrieben?

Das ist genauso wie mit den unter Terroristen-Verdacht stehenden internationalen Gefangenen, um die sich das ägyptische Militär für die USA „kümmert“. Was in den Händen des Militärs ist, wird nicht angerührt. Wir mögen das Militär nicht, aber die meisten Leute in Ägypten sehen es als stabilisierende Kraft.

Was war während den Demonstrationen in deiner Nachbarschaft los?

Ich lebe in Heliopolis, unweit vom Präsidentenpalast in Kairo. Das waren die schillerndsten Proteste überhaupt. Es waren wirklich alle Schichten vertreten.
 
In internationalen Medien war die Rede von tausenden Häftlingen, die vom alten Regime freigelassen wurden.

Ja, die Polizei ließ sie laufen. Viele der angeblichen Häftlinge waren Polizeiprovokateure. Ziel des Regimes war es, das Land in ein völliges Chaos zu stürzen. Die politische Landschaft hier ändert sich von Sekunde zu Sekunde. Unsere Aufgabe als Blogger ist es, Leute zu informieren. Wir haben ein gutes Netzwerk.

Während der letzten Tage haben Demonstrierende viele Gebäude der Staatssicherheit gestürmt.

Ja, ich war mit dabei. Wir haben nach Akten und politischen Häftlingen gesucht. Bevor der letzte Premier sein Amt verlassen hat, wurden dort viele Akten vernichtet. Wir haben Akten an den Militärkontrollen vorbeigeschmuggelt, weil wir dem Militär nicht trauen.

Warum traut ihr dem Militär nicht?

Die Armee hat ganz einfach nicht die Kapazität, zwei Aufgaben gleichzeitig zu übernehmen. Sie kann das Land entweder verteidigen oder verwalten. Aber nicht beides.

Das sind nicht gerade optimistische Aussichten für die Zukunft Ägyptens.

Ich glaube, es wird große Zusammenstöße zwischen verschiedenen politischen und religiösen Gruppierungen geben. Dieses Land hat die Bedeutung von Demokratie noch nicht verstanden.

Für August 2011 sind die ersten freien Präsidentschaftswahlen geplant. Ist das zu früh?

Kann sein. Im Moment konzentrieren sich die Leute auf berühmte Gesichter wie Amr Moussa, den ehemaligen Präsidenten der Arabischen Liga. Aber man sollte jemanden aufgrund seines Programms wählen und nicht, weil er berühmt ist.

Wäre nicht jetzt der beste Zeitpunkt, um Aufgaben in der neuen politischen Landschaft zu übernehmen?

Ja, vielleicht, aber ich will nicht an der Front von irgendeiner politischen Fraktion stehen. Jeder, der das jetzt macht, wird verheizt. Die Leute haben einfach zu viele Erwartungen an die nächste Regierung. Die intelligenten Leute warten. Politik ist wie ein Fußballspiel. Noch sind wir alle damit beschäftigt, ein neues Stadion aufzubauen. Aber bald müssen wir gegeneinander spielen, dann wird es wirklich interessant.

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