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Kultur, Kapitalismus und Corona

  • 13.05.2020, 12:20
Die Bundesregierung sieht sich als Ermöglicherin, Kulturschaffende fühlen sich missverstanden. Aber was passiert an den Kunstuniversitäten?

„Den Kunst- und Kulturtod wird’s nicht geben“, verkündete Ulrike Lunacek vehement in der
Sendung Kulturmontag (ORF 2) am 20.4.2020. Sie stirbt nicht so schnell, die Kulturnation
Österreich, aber bei allem Optimismus fühlen sich Kulturschaffende von Politiker_innen
missverstanden. Die Pressekonferenz von Vizekanzler Werner Kogler und Staatssekretärin Ulrike
Lunacek am 17.4.2020 wies einige Lücken auf. Die sechs österreichischen Kunstuniversitäten
wandten sich mit einem Brief an die Bundesregierung. Es ist weiterhin unklar, ob und wann
Proben wieder aufgenommen werden können, Konzerte und Festivals müssen abgesagt
werden. Die Einnahmequellen von freiberuflichen Musiker_innen, zu denen auch viele
Studierende zählen, sind bis auf weiteres versiegt.


 

Musik als Lebensinhalt und -unterhalt
Der Lehrbetrieb an einer Kunstuniversität unterscheidet sich grundsätzlich von den meisten
anderen Fächern und läuft im Moment wie überall nur digital ab. Michael Hell, Professor für
Cembalo und Generalbass an der Kunstuniversität Graz, berichtet von einer anfänglichen
„Mischung aus Neugier und einer gewissen Hemmschwelle“. Einzelunterricht, Vorlesungen und
Seminare aus dem Wohnzimmer und Audioaufnahmen seiner Studierenden statt Live-Vorspiel
im Unterricht seien seine „neue Normalität“.
Einige Fächer stoßen schnell auf infrastrukturelle Probleme, weil dafür sperrige Instrumente benötigt werden. Michael Hell gelang es noch vor dem Lockdown, fast all seine Studierenden mit einem Cembalo (Tasteninstrument) aus der Universität zu versorgen. Ein praktischer Vorteil ist bei künstlerischen Studiengängen also die vergleichsweise kleine Studierendenzahl.
Was im Moment ausbleibt, ist das Ensemblespiel, das miteinander proben und musizieren. Es ist
offen, wann Musikstudierende wieder proben dürfen. Gruppenproben für professionelle
Musiker_innen sind ab 1. Juni angedacht (Stand: 17.4.2020), aber es ist unklar, ob dazu auch die
angehenden gezählt werden. Paola Garcia Sobreira, Bassistin und Masterstudentin an der
Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien, kann die freie Zeit gerade gut für die
Überarbeitung ihres Abschlussprojekts nutzen. Aber sie räumt auch ein: „Ob sich meine Arbeit
ausgezahlt hat, werde ich erst wissen, wenn ich wieder proben kann.“ Sollte sich dieses „wenn“
noch lange hinziehen, wird sie ihr Studium nicht in Mindeststudienzeit abschließen können.
 

Kreative Arbeit ist kein Allgemeingut
Vielerorts gelobt werden gleichzeitig die sogenannten Balkonkonzerte. Alle Menschen befinden
sich in einer emotionalen Ausnahmesituation, neben Existenzängsten fehlt die soziale
Infrastruktur. Die jetzige Situation zeigt jedoch auch, wie Arbeit gewürdigt wird. Den Ärzt_innen
und Pfleger_innen wird applaudiert – sie kämpfen seit Jahren für fairere Löhne und bessere
Arbeitsbedingungen. Man öffnet den Laptop und kann verschiedenen Livestreams von
Konzerten lauschen – ohne etwas dafür zu bezahlen. Kulturschaffenden wird suggeriert, dass sie
ihre Arbeit der Gesellschaft schuldig sind. Garcia Sobreira sieht solche Erwartungen an
Musiker_innen skeptisch: „Ich glaube, Leute machen sich manchmal ein bisschen Illusionen
damit, wie leicht man im Internet Geld verdient.“ Influencer_innen würden oft Jahre brauchen,
um mit ihrer digitalen Präsenz Geld verdienen zu können. Man mache es sich etwas zu leicht,
wenn man von Musiker_innen erwarte, ihre wegfallenden Konzerteinnahmen durch digitale
Formate ersetzen zu können.
 

The show must go on?
Musikstudierende stehen eigentlich gerade am Beginn ihrer Karriere. Viele von ihnen sind auf
die Einnahmen von Konzerten und Gigs angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Sorgen macht sich Paola Garcia Sobreira über Studierende aus Drittstaaten: „Um das Visum zu
bekommen, braucht man ja einen ziemlich hohen Betrag auf dem Konto, egal ob man einen Studienplatz hat oder nicht.“

Positives kann Michael Hell berichten, dessen Studierende Hilfe vom Notfalltopf der ÖH erhalten haben.
Konzerte haben für junge Musiker_innen aber nicht nur finanzielle Bedeutung, sondern prägen
die Karriereentwicklung, betont Garcia Sobreira. Die momentane Krise im Kulturbetrieb habe
ihre Berufswünsche eher verfestigt als verändert, sie sieht sich immer schon in einer
Kombination aus Freelancing und Festanstellung. Ein vielfältiges Berufsfeld ist auch das des
Cembalisten und Blockflötisten Michael Hell und seiner Studierenden. Er findet es wichtig, sich
jetzt Gedanken um mögliche Szenarien der ungewissen Zukunft zu machen. Eine Rückkehr zur
Vor-Corona-Zeit wünscht er sich nicht, „sondern einen bewussteren Umgang mit dem Thema
Vorsorge, soziale Absicherung und Förderung.“
Die Entscheidungen stehen noch aus, aber die Auswirkungen für Studierende und Lehrende an
Kunstuniversitäten sind unmittelbar. Michael Hell sieht Künstler_innen wie auch Politik in der
Verantwortung, den Veränderungsprozess anzustoßen. Er und seine Studierenden werden
weiterhin das beste aus der Situation machen. „Ich bewundere meine Studierenden, die in
dieser Situation so unglaublich gut durchhalten“, berichtet der Musiker. Er vermutet, dass die
Situation, in einem fremden Land dauernd in einem kleinen Zimmer zu sein, für einige
Studierende durchaus emotional und psychisch belastend ist. Glücklich und erstaunt sei er
deswegen, „dass alle Gespräche und Unterrichtseinheiten positiv und konstruktiv sind.“ Bleibt
nur abzuwarten, dass Österreich zeigt, was ihm an der Kulturnation von morgen liegt.

Ein neuer Plan der Solidarität

  • 15.05.2020, 12:47
Der Mythos Marshallplan feiert in der Corona-Krise sein Comeback. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordert ein neues Wiederaufbauprogramm, angelehnt an das amerikanische Prestigeprojekt.

George Marshall und seine Idee der Auslandshilfe

“I need not tell you, gentlemen, that the world situation is very serious.” Mit diesen drastischen Worten eröffnete US-Außenminister George C. Marshall seine berühmte Harvard-Rede am 5. Juni 1947. Marshall war der Meinung, dass Europa eine zusätzliche Hilfsleistung erhalten müsse, um einer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verarmung zu entgehen. Er zeichnete ein romantisches Bild der amerikanischen Politik, welche sich nicht gegen ein Land oder ein System richte, sondern gegen Hunger, Armut und Verzweiflung. Trotzdem war der Marshallplan wirtschaftlich nicht altruistisch und folgte den Prinzipien der Containment-Politik, der Eindämmung des sowjetischen Machtbereichs. Und genau dafür benötigte man ein stabiles und gedeihendes Europa. Denn: „Only hungry stomachs become communists.”

„Whatever the weather, we only reach welfare together”

Nach dem Vorschlag für ein europäisches Wiederaufbauprogramm sollte es, unter Anleitung der USA, vor allem die Aufgabe der Europäer_innen sein, jenen Plan zu erstellen. Es wurden dafür die engsten Vertrauten der USA, Frankreich und Großbritannien, mit ins Boot geholt, um die amerikanischen Vorstellungen eines „European Recovery Programs“ in Europa zu verbreiten. Daraufhin wurde gemeinsam mit 16 Staaten eine europäische Antwort auf den amerikanischen Vorschlag formuliert.

Der Marshallplan sollte eine stabile Wirtschaftsordnung schaffen sowie Handelsbarrieren abbauen und so das Wirtschaftsleben in Europa ankurbeln. Für die Durchführung des Wiederaufbauprogramms wurden deswegen zwei wichtige Organisationen gegründet: Einerseits die „Organisation of European Economic Cooperation“ (OEEC), Vorgängerin der heutigen OECD, und andererseits die „Economic Cooperation Administration“ (ECA). Die Errichtung dieser Organisationen machte es möglich, die Mittel innereuropäisch zu verwalten und erleichterte den Weg zur europäischen Integration, in weiterer Folge zur EU. Alle westeuropäischen Länder mussten sich an einen Tisch setzen und miteinander kooperieren, auch wenn man vor zwei bis drei Jahren noch verfeindet gewesen war. Das Kind der europäischen Gemeinschaft, welches sich später in eine erwachsene EU entwickeln sollte, machte seine ersten Schritte.

Aufbruch in die neue Zeit

Mit dem Marshallplan rollte der Wiederaufbau langsam an. Fast 14 Milliarden Dollar wurden von 1948 bis 1952 bereitgestellt. Die Vorstellung, dass die USA den europäischen Ländern diese Summe schlicht Stück für Stück überwiesen hätte, trifft aber nicht zu. Der Marshallplan kam größtenteils in Form von US-Waren in Europa an, die dann im Inland verkauft wurden. Durch die staatlichen Einnahmen der Warenverkäufe konnten dann Kredite an Unternehmen vergeben werden. Auch heute wirkt der Marshallplan durch einen Fonds in Österreich nach. Durch diesen wird zum Beispiel das Marshallplan-Stipendium für österreichische Studierende in den USA finanziert. Den europäischen Flickenteppich wieder zusammennähen

Natürlich stellte der Plan eine enorme wirtschaftliche Hilfe dar und unterstützte Europa dabei, Engpässe beim Wiederaufbau zu überwinden. Er war die notwendige Initialzündung für den Wirtschaftsaufschwung nach dem 2. Weltkrieg, aber nicht die Hauptursache der wirtschaftlichen Erholung. Die Wirkung des Marshallplans auf Europa und die (west-)europäische Solidarität wird oft vernachlässigt. Die EU hätte es ohne Marshallplan in dieser Form wahrscheinlich nicht gegeben. Aus einer Weltkrise entstand ein mächtiger Staatenverband mit seinen wichtigen Grundfreiheiten. Allein wenn diese Erkenntnis wieder in den Köpfen der Politiker_innen Eingang findet, war es die Wiederentdeckung des Marshallplans schon wert. Gerade jetzt ist es notwendig, Solidarität und Stärke zu zeigen. Doch leider mangelt es genau daran. Die EU-Finanzminister_innen streiten, wie einst in der Griechenland-Krise, über Auflagen des Europäischen Rettungsschirms (ESM) und Italien fordert die gemeinsame Aufnahme von Schulden aller EU-Staaten, sogenannte Corona-Bonds. Diese lehnen Deutschland und die Niederlande vehement ab. Der Nord-Süd-Konflikt, der schon Jahre unter der Oberfläche brodelte, ist nun endgültig entbrannt. Ob Corona-Bonds nun Mittel der Wahl sind, darüber streiten Ökonom_innen. Fakt ist, dass laut einer Umfrage 45% der Italiener_innen Deutschland als „Feind“ betrachten. Das kann und darf in einer europäischen Gemeinschaft nicht vorkommen. Es braucht genau diese starke Gemeinschaft, um neben den wirtschaftlichen auch die vielen sozialen Probleme zu lösen, die durch Corona entstanden sind oder verstärkt wurden. Der drastische Anstieg der Arbeitslosenquote ist Tatsache und die Klimafrage löst sich auch nach der Krise nicht von allein. Probleme, die nur solidarisch gelöst werden können. Doch Einigkeit ist nicht in Sicht. Ein gemeinsames Wirtschafts- und Sozialprogramm wäre imstande europäische Wogen zu glätten, das zeigt die Geschichte.

CoVid-19 ist eine Bewährungsprobe für die EU. Ein neuer Marshallplan, so wie ihn Von der Leyen fordert, muss mehr umfassen als bloße Wirtschaftshilfe. Er wird Anstoß sein müssen für ein neues europäisches Miteinander.

Felix Strasser studiert Kommunikationswirtschaft an der FH Wien

Alles Neu macht...Corona

  • 18.05.2020, 16:23

Die Coronakrise hat uns Studierende vor einige Herausforderungen gestellt. Neben dem möglichen Jobverlust, dem Chaos mit Distance-Learning und der Frage, ob es denn nun überall Online-Prüfungen geben wird, hat viele auch die folgende Frage geplagt: Muss ich denn nun meinen Studienbeitrag einzahlen? Und wenn ja, wann? Ein bisschen Klarheit wird hierzu in den neuen umgangssprachlichen “Corona-Verordnungen” gegeben. Wer übrigens gern in Rechtstexten schnuppert, kann die Volltexte der Verordnungen auf der Webseite der ÖH Bundesvertretung finden. Jedenfalls hat es ein großes kollektives Aufatmen gegeben, als nun endlich auch offiziell die Nachfrist, und damit die Frist für die Einzahlung des Studienbeitrags, bis zum 30. Juni verlängert wurde. Das ist aber bei Weitem nicht die einzige Änderung. Wusstest du zum Beispiel schon, dass die Unis und PHs jetzt die Möglichkeit haben, Lehrveranstaltungen und Prüfungen in den Sommermonaten abzuhalten, da die lehrveranstaltungsfreie Zeit außer Kraft gesetzt wurde? Faszinierend, oder? Das hilft natürlich jenen, die zum Beispiel Labore oder Präsenz-LVen nachholen wollen, stellt aber auch die vor neue Herausforderungen, die den Sommer normalerweise zum Arbeiten oder für Praktika nutzen.

Einige großen Problemquellen ist die Verordnung auf PHs und Universitäten angegangen; so kann man je nach Entscheidung des Rektorats die Zeit jetzt auch für Lehrveranstaltungen nutzen, für die man die Voraussetzungen noch nicht hat bzw., wenn man die Studieneingangs- und Orientierungsphase noch nicht absolviert hat. Halte dich hier am besten an die Kanäle deiner Hochschule bzw. Hochschulvertretung. Tatsächlich waren diese Punkte unter unseren ersten großen Forderungen; stell dir vor, zu Beginn des Studiums sind Prüfungen mit hunderten Teilnehmenden geplant und von einem Tag auf den anderen werden sie abgesagt. Es sollte dann zumindest Gebot der Stunde sein, mit aufbauenden Lehrveranstaltungen etwas Studienfortschritt zu ermöglichen. Trotz Möglichkeit, ohne Prüfung teilzunehmen: Bitte lerne trotzdem den Stoff, der für ihr Verständnis notwendig ist!

Auch, wenn es nicht immer richtig gehandhabt wird: Normalerweise müssen am Anfang des Semesters Methoden und Konzepte von Lehrveranstaltungen sowie die Beurteilung von Prüfungen feststehen. Ob der Pandemie ist es nicht verwunderlich, dass Änderungen dieses Semester auch später erfolgen können. Besonders ausführlich geht die Verordnung auch auf die Möglichkeit von Online-Prüfungen ein (erfreulich: wenn die Technik nicht will, verliert man keinen Prüfungsantritt, beim Schummeln allerdings schon.) Zumindest eine Vertrauensperson muss an mündlichen Prüfungen teilnehmen dürfen. Große Erleichterung gibt es auch für alle, die gerade an Abschlussarbeiten schreiben - die Abgabefrist für diese wird um die Zeit verlängert, in der zum Beispiel durch geschlossene Bibliotheken die Recherchearbeit nicht oder nur eingeschränkt möglich war. Eine Verlängerung gibt es auch für Studienpläne, die im Sommersemester 2020 auslaufen, und zwar bis Ende des Wintersemesters 2020/21. Neuigkeiten gibt es auch an den Kunstunis, die Frist für Sprachergänzungsprüfungen und die Zeit ohne Absolvierung aus dem zentralen künstlerischen Fach werden um ein Semester verlängert.

Auf den FHs sind einige Regelungen sehr ähnlich beziehungsweise gleich. Es gibt natürlich auch sehr FH-spezifische Maßnahmen. Gleich ist hier zum Beispiel die Regelung zur Vorgehensweise bei technischen Problemen während Online-Prüfungen, ebenso ist auch auf den FHs bei Änderungen der Modalitäten eine Abmeldung von Prüfungen ohne Konsequenzen möglich und es darf auch mindestens eine Vertrauensperson bei mündlichen Prüfungen anwesend sein. Auch FH-Studierende können die Fristen für ihre Abschlussarbeiten um den von Corona betroffenen Zeitraum verlängert werden. Spezifischer auf den FH Bereich angepasst ist hier das Recht auf eine einmalige Studienjahrwiederholung, wenn die negative Beurteilung bei einer kommissionellen Gesamtprüfung auf Covid-19 zurückzuführen ist. Studienanfänger_innen mit einschlägiger Berufserfahrung haben außerdem für die erforderlichen Nachweis der Zusatzprüfungen für die Studienberechtigung etwas länger - und zwar bis zum Eintritt in das dritte Studienjahr - Zeit.

Alles in Allem gibt es noch einige Aspekte im Studienalltag, die noch eine Regelung brauchen (wie beispielsweise der Erlass bzw. die Rückerstattung des Studienbeitrags), jedoch konnten mit diesen Verordnungen einige Maßnahmen gesetzt werden, die das Studieren wieder etwas weiter in geregelte Bahnen bringen.

Alpen Adria Apokalypse

  • 20.05.2020, 23:05
Atombomben in der Nachbarschaft - Das gefährliche Erbe eines alten Konfliktes.

Wo der Kalte Krieg noch lebt. Österreich ist bekannt für seine starke Anti-Atom Politik, dem entsprechend besteht eine breite öffentliche Diskussion und ein politischer Konsens darüber, die zivile Nutzung der Kernenergie im Inland abzulehnen sowie den Betrieb und besonders den Bau neuer Kraftwerke im grenznahen Ausland zu bekämpfen. Die Standorte der grenznahen Kernkraftwerke um Österreich sind allgemein bekannt. Wenn es jedoch um die militärische Anwendung der Kernkraft geht, also um Atomwaffen, stößt man schnell auf Geheimnisse.

Österreich selbst ist „kernwaffenfreie Zone“, das Land als neutraler Staat besitzt weder selbst Nuklearwaffen noch ist die Republik an den Arsenalen anderer Staaten beteiligt. Etwa 70km südlich der Stadt Lienz in Osttirol befindet sich ein Atomwaffenstützpunkt in Italien. Dieser wird gemeinsam von italienischen und US-amerikanischen Streitkräften genützt. Italien besitzt zwar selbst keine Nuklearwaffen, ist jedoch als NATO-Staat „nuklearer Teilhaber“. Amerikanische Kernwaffen können im Falle eines Krieges durch das italienische Militär nach Freigabe des Präsidenten oder der Präsidentin der USA eingesetzt werden. Diese Informationen werden ungern breit öffentlich diskutiert, erscheinen jedoch immer wieder in verschiedenen Quellen, 2019 sogar in einem nach kurzer Zeit wieder gelöschten Bericht der NATO.

B-61. Hinter diesem unscheinbaren Namen verbirgt sich eine Waffe, welche im Falle ihres Kriegseinsatzes Städte wie Linz, Graz usw. einäschern könnte. Atombomben diesen Typs werden per Flugzeug über dem Einsatzgebiet abgeworfen, ihre Sprengkraft ist variabel zwischen 0,3kT und 300kT einstellbar. Zum Vergleich: Die bei den bisher einzigen beiden Kernwaffeneinsätzen auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Bomben hatten jeweils 13kT bzw. 21kT Sprengkraft. Die Bilder der Zerstörung und die Zahl der Opfer sprechen für sich. Wie viele dieser Bomben sich am deutschen Standort Büchel befinden ist ein militärisches Geheimnis, Schätzungen gehen von ca. 20 Stück aus. Für den italienischen Stützpunkt Aviano wurde eine etwas höhere Zahl genannt, letztlich ist jedoch bereits eine Bombe zu viel. Weitere Standorte befinden sich noch in Belgien und in der Türkei, was angesichts der Nähe des Landes zum Dauerkrisenherd des Nahen Ostens eine besondere Brisanz besitzt.

Einsatz, Diebstahl oder Unfall. Nach der Auflösung des Warschauer Paktes verblieb die NATO als einziges großes Militärbündnis, ein unmittelbarer Kernwaffeneinsatz (auch auf Ziele in Österreich) wurde damit unwahrscheinlicher. Die aktuelleren geopolitischen Entwicklungen gehen jedoch mit einem – wenn auch nicht mit jenem zu Zeiten des Kalten Krieges vergleichbaren - Säbelrasseln zwischen der NATO und Russland einher. Sehr wohl möglich ist auch eine Entwendung dieser gefährlichen Waffen durch terroristische Kräfte, die aufgrund der technischen Sicherung der Bomben zwar nicht in der Lage sein werden, eine nukleare Explosion herbeizuführen, jedoch das spaltbare Material konventionell durch Sprengung in die Atmosphäre über die Bevölkerung verteilen könnten. Damit wäre auch eine entsprechende Verseuchung der Umgebung erreicht, die viele Opfer fordern würde.

Auswirkungen. Abgesehen von der direkten Wirkung einer Kernwaffe auf Menschen und Umwelt würde eine dauerhafte Kontamination der Region um Aviano bis weit nach Österreich hinein entstehen. In Deutschland wurde im März noch während der COVID-Krise seitens der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge verlautbart, damit die deutsche Luftwaffe auch weiterhin im Ernstfall in der Lage ist, die B-61 Bomben an ihren Einsatzort zu transportieren und abzuwerfen. Deutsche Soldat_innen werden nun weiterhin wenigstens einmal pro Jahr einen Atombombenabwurf (ohne echte Kernwaffen) trainieren. Die Doktrin der Verteidigungspolitik bleibt also an den Kalten Krieg angelehnt.

Abrüstung. Ähnliche Lagerstätten von Kernwaffen befinden sich auch in Deutschland, in der Vergangenheit gab es jedoch von Seiten politischer Fraktionen im deutschen Bundestag Bestrebungen, alle Kernwaffen aus der BRD zu verbannen. Es fand sich – letztlich auch aus außenpolitischen Gründen, um dem Verhältnis zu den USA nicht zu schaden, keine politische Mehrheit, die einen Abzug der US-Atomwaffen hätte fordern können. Umstritten ist, ob die nukleare Teilhabe nicht einen Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag darstellt, welcher mit Ausnahme der fünf „offiziellen Atommächte“ (China, Russland, USA, Frankreich und dem Vereinigten Königreich) den Besitz und die Verbreitung von Kernwaffen untersagt. Die Waffen an sich befinden sich jedoch nur auf dem Gebiet des Teilhaberstaates, nicht in dessen Besitz, somit ist diese Frage nicht eindeutig zu beantworten.

Aktivismus. Von Seiten politischer Friedensaktivist_innen gab es immer wieder Demonstrationen und zum Teil sogar Besetzungen der Kernwaffenstandorte, die eine Debatte um die Sicherheit der dortigen Waffen entfachten, in Belgien gelang es sogar einigen Personen bis zu den Lagerbunkern vorzudringen. Es gibt letztlich ohnehin nur eine Antwort: Alle Kernwaffen müssen global abgerüstet und vernichtet werden.

Sinnvolle Anwendungen gehorteten Klopapiers

  • 22.05.2020, 19:16

Passenderweise begann alles am Freitag, dem 13. März. Alle nicht notwendigen Geschäfte blieben vorerst geschlossen und das öffentliche sowie soziale Leben wurde auf ein Minimum zurückgefahren. Das führte zu Ängsten, die ihrerseits in Hamsterkäufen resultierten. Bis heute bleibt es ein ungeklärtes Mysterium, warum ausgerechnet Toilettenpapier zum goldenen Kalb der Doomsday-Prepper wurde. Die zugehörige Massenpsychologie zu ergründen wäre zwar auch spannend, hier sollen aber lediglich etwas ausgefallenere Anwendungsmöglichkeiten des neuen „weißen Golds“ erörtert werden: Erst einmal muss man wissen, wie viel gehortet wurde. Geht man davon aus, dass sich in den Geschäften und ihren Lagern Vorräte für etwa drei Wochen befanden, kommt man, da diese Vorräte ja aufgekauft wurden, auf ungefähr 5.100 Tonnen gebunkertes Klopapier in Österreich [1], was unter Verwendung der SI-Präfixe (das sind Vorsätze im international normierten Maßsystem) 40 Megarollen (MR) entspricht. Eine Rolle Klopapier hat hierbei eine Masse von 130 Gramm, misst etwa 10 cm in Höhe und Durchmesser und hat 150 Blatt. Mit der Annahme, dass jeweils Klopapier für drei Wochen gebunkert wurde, können auch die Vorräte anderer Länder berechnet werden.

Was lässt sich nun damit anfangen? Nicht nur für angehende Chemiker_innen stellt sich gleich zu Beginn die Frage, ob man daraus denn Alkohol machen kann. Die Antwort lautet erfreulicherweise: Ja! Bereits seit dem 19. Jahrhundert gibt es Verfahren zur Zuckergewinnung aus Holz [2] und schon 1910 konnte man aus 100 Kilo Holz bis zu 9,5 Liter Alkohol gewinnen. Da Holz, je nach Feuchtegehalt, nur zu etwa 50 % aus Zellulose besteht, haben wir hier mit Toilettenpapier sogar Vorteile. Schließlich brauchen wir noch etwas Chemieausrüstung, Schwefelsäure und Natronlauge [3]. Ist die gewonnene Glukose dann gereinigt, geht es nur noch darum, was der Maische als Geschmacksträger zugegeben werden soll. Bei einem angestrebten Alkoholgehalt von 40% bräuchte man etwa 16 Rollen pro Liter COVID-Schnaps. Alternativ könnte man auf die Destillation verzichten und die letzten Schritte der Gärung in einer gut verkorkten Flasche durchführen. Da man so die Gärungsgase am Entweichen hindert, hätte man gleich den geschmacklich individuellen „Champagner“ für den Tag, an dem die Maßnahmen völlig aufgehoben werden.

Etwas makaber aber durchaus umsetzbar wäre es, Krematorien auf eine neue Energiequelle umzustellen. Anstatt der 17,5 m³ Erdgas pro Einäscherung [4] würde man bei einem Heizwert von ungefähr 15 MJ/kg Klopapier [5] etwa 350 Rollen benötigen. Um für einen kontinuierlichen Wärmeeintrag zu sorgen, wären bei üblicherweise 90 Minuten pro Person und 150 Blatt pro Rolle, hierbei etwa 10 Blatt pro Sekunde einzublasen. Mit unseren 40 Megarollen könnte man also knapp 115.000 Feuerbestattungen durchführen. Geht man von den Zahlen für 2015 aus (damals gab es hierzulande rund 34.900 Feuerbestattungen [6]), würden die Vorräte die österreichischen Krematorien für etwa 40 Monate versorgen können.

Trumps Traum Die USA hätten etwa 205.000 Tonnen bzw. 1.580 MR gehortet. Eine Menge, die endlich den Bau der von Präsident Donald Trump so lang ersehnten Mauer ermöglichen würde! Die Grenze zu Mexiko misst zwar 3.144 km [7], davon stellen jedoch 2.060 km Flussgrenzen in Gestalt des Rio Grande und des Colorado River dar. Auf die restlichen 1.085 km verteilt ließe sich eine fünf Meter hohe und drei Klopapierrollen starke Mauer errichten. Die Dicke der Mauer ist ja bereits in einer verständlichen Einheit angegeben, die Höhe muss natürlich noch umgerechnet werden:

5m=16,4ft=5,47yd=590 Barleycorn=2,63 Donald Trump

Sollten Sie Mr. Trump persönlich sein, bitte melden sie sich jederzeit für weitere Details!

Die weltweit gehamsterte Menge beläuft sich auf etwa 2,41 Mio. Tonnen bzw. 18,5 GR (Gigarollen!). An einem Ort zusammengetragen und schön geschlichtet würde das einen Würfel mit 252 m Seitenlänge ergeben. Wir haben also ganz schön was zur Verfügung! Vielleicht auch genug, um etwas wirklich Großes zu erreichen?

Das Weltklima retten? Leider hat die offensichtliche Variante, einfach Klopapier als Kohlendioxid-Lager zu verwenden und das Gas so aus der Atmosphäre zu entfernen, den Haken, dass man dafür etwa 18 Petarollen (PR) bräuchte. Bei der aktuellen Weltproduktion von 320 GR [1] hieße das 56.000 Jahre lang sparen.

Aber gibt es denn keinen besseren Weg? Erstaunlicherweise doch! Und zwar das Schaffen einer großen, hellen Fläche, um mit dieser den Rückstrahlwert der Erde, Albedo genannt, zu erhöhen! Dieser liegt im Mittel bei 0,3, während jener von weißem Papier bei 0,8 liegt. Anhand von Quellen zur Albedo verschiedener Landschaften [8], zur Gliederung der Erdoberfläche [9] sowie zum Grad der Bedeckung durch Wolken [10] kommt man letztlich durch eine Rechnung, die mit ihren Vereinfachungen, Fitparametern und Annahmen jede_n Klimaforscher_in zum Schaudern bringen würde, auf eine benötigte Fläche von 10,7 Mio. km², um den Temperaturanstieg von 1,2 °C seit 1850 rückgängig zu machen. Dieser achte Kontinent (nennen wir ihn „Latrinaria“) müsste also in etwa die Größe Europas haben. Errichten könnte man ihn im südpazifischen Wirbel, der weltweit größten marinen Wüste. Leider hat Österreich gerade mal genug gehamstert, um zwei Drittel von Graz zu bedecken. Aber bei gezielter Verwendung der Weltproduktion [1] hätte man die benötigten 5,1 Terarollen (TR) in 16 Jahren beisammen.

Ein neuer Himmelskörper Eine Petition zum Bau eines Todessterns wurde 2012 in Washington leider abgelehnt [11]. Zwar können wir mangels der nötigen Technologie leider keinen echten Todesstern bauen, aber wie sähe es mit einer Attrappe nach der Bauweise eines Pappmaché-Ballons aus? Ignoriert man ein paar kleine Hürden, wie Transportkosten, konkrete Bauplanung oder Mikrometeoriten, und begnügt sich zudem mit einer Schicht Klopapier, reicht die weltweit gebunkerte Menge Klopapiers für eine 100 km messende Todesstern-Attrappe im Maßstab 1:1,2! Bei einem Orbit in 600 km Höhe, also 200 km über der ISS, hätten wir dann immerhin einen Sichtwinkel von 11,5° auf unseren Todestern, der, wenn ihn die Sonne bestrahlt, wohl auch das hellste Objekt am Nachthimmel wäre. Zumindest für die kurze Zeit bis ihn die Thermosphärenreibung soweit abgebremst hat, dass er abstürzt und verglüht. Todessterne wollen einfach nicht existieren.

Richten wir den Blick also ad historiam! Beispielsweise ins Alte Testament, in das Buch Exodus, das berichtet, wie Mose mit Gottes Hilfe das Rote Meer teilt, um sein Volk vor Pharao Ramses II. zu retten. Klimaforscher_innen konnten eine vom Ostwind geöffnete Schneise von 4 km Länge und 5 km Breite [12] als möglichen Rahmen für das Ereignis identifizieren. Diese hätte jedoch im Nildelta gelegen, wohingegen von Bibelforschern auf den Golf von Suez verwiesen wird [13]. Geht man von einer mittleren Wassertiefe von etwa 40 Metern aus, so ergibt sich eine Wassermenge von etwa 800 Millionen Kubikmeter. Die durchschnittliche Saugkraft eines Blattes Toilettenpapier beträgt nach unseren Versuchen ca. 6 ml, was pro Rolle etwa 0,9 Liter Wasser bedeutet. Also bräuchte Mose um sein Volk zu retten eine göttliche Intervention in Form von etwa 898 Gigarollen (GR), ungefähr das Dreifache der weltweiten Jahresproduktion an Klopapier. Etwas anschaulicher gesprochen wären das zwei 3,8 km breite Wände um die Schneise.

Und wie wimmelt man dann noch lästige ägyptische Pharaonen samt Gefolgschaft ab? Man könnte die Wände verbrennen! Dafür müsste man lediglich das aufgesaugte Wasser verdampfen, wofür man etwa 2,06 Exajoule zuführen müsste, also in etwa den 10-Tages Strombedarf der Weltbevölkerung, um das Klopapier zu verbrennen. Oder anders formuliert: Wer verzichtet nicht gerne zehn Tage lang auf Strom, damit die Hebräer_innen den schwierigsten Teil ihrer Reise überstehen? Denn dank der ausgezeichneten Navigationsfähigkeiten von Mose liegen nur noch etwa 800 km und 40 Jahre Fußmarsch zwischen ihnen und dem Heiligen Land.

Es gäbe noch zahllose weitere Ansätze. Von der Energieversorgung für Rammstein (4t bzw. 31 Kilorollen pro Konzert), über die Verwendung als Futtermittel für Rinder (10 Rollen pro Liter Milch bzw. 106 Rollen pro Kilogramm Jungbullenfleisch), einen Kölner Dom aus Pappmaché (277 MR) und der Rettung des Weltklimas durch einen Zellstoff-Kontinent (5,1 Terarollen) bis hin zu einem Weltraumlift (mehr als 230 Yottarollen bzw. fünf Erdmassen) haben wir davon auch so manche durchgerechnet.

Aber ganz egal, wie viele unterhaltsame Szenarien man durchdenkt, der echte Witz an der ganzen Sache ist und bleibt ja leider, dass für einen doch breiten Teil der Bevölkerung der Inbegriff des Weltuntergangs nicht Hunger, Durst, Stromausfall oder ein Zusammenbrechen der medizinischen Infrastruktur wäre, sondern der abhorreszierende Gedanke, kein Häuslpapier mehr zu haben. Darum hier zum Abschluss ein Appell an die Vernunft: Letztlich gab es keinen Grund zu Panikkäufen und schon gar keinen, sich für das nächste Halbjahr mit Klopapier einzudecken. Lasst uns bei der nächsten Krise bitte nicht wieder die Endlosserviette als Symbol unbegründeter Ängste und der Analfixierung ganzer Völker zum Götzen erheben! Nehmen wir uns stattdessen ein Beispiel an den Französ_innen, die es ja bekanntlich anders angegangen sind. Dann könnte der nächste Artikel über die weniger offensichtlichen Möglichkeiten spekulieren, wie man in der Quarantäne mit Rotwein und Kondomen Spaß haben kann. Das wäre doch wirklich ein Gewinn für Alle.

Quellen:

1 https://de.statista.com/outlook/80010000/toilettenpapier

2 https://de.wikipedia.org/wiki/Holzverzuckerung

3 https://www.swisseduc.ch/chemie/labor/holzverzuck/docs/holzverzuck.pdf

4 https://krematorium-elbe-elster.de/information/

5 https://www.gammel.de/de/lexikon/Heizwert---Brennwert/4838

6 http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/gestorbene/022911.html

7 https://de.wikipedia.org/wiki/Grenze_zwischen_den_Vereinigten_Staaten_und_Mexiko

8 https://de.wikipedia.org/wiki/Albedo

9 https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/globale_landflaechen_biomasse_bf_klein.pdf

10 https://ieeexplore.ieee.org/document/6422379?arnumber=6422379

11 https://www.stern.de/panorama/gesellschaft/online-petition-in-usa-baut-den-todesstern--3732894.html

12 https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/biblisches-wunder-ostwind-soll-das-meer-geteilt-haben-a-718966.html

13 https://www.focus.de/wissen/mensch/bibel-forscher-moses-hat-das-rote-meer-tatsaechlich-geteilt_id_6041397.html

14 https://www.iconfinder.com/

Vorsitzkommentar: Distance-Learning

  • 25.05.2020, 10:00
Liebe Kolleg_innen,

so langsam kehrt die von Sebastian Kurz vielbeschworene „neue“ Normalität in unser Leben ein. Für uns alle waren die letzten Wochen und Monate wirklich nicht einfach – es gab zu viel Unsicherheit, viel zu wenig Kommunikation vonseiten des Wissenschaftsministers mit den Studierenden. Mittlerweile scheinen, spät aber doch, viele Dinge gesetzt. Die Regierung hat mittlerweile zugegeben, dass es nie verboten war, sich im Privaten mit Freund_innen oder Familie zu treffen; ein frisch gezapftes Bier erwartet uns im nächsten Schanigarten und sogar sommerliche Grenzöffnungen werden thematisiert, was die Tagträumereien von Strand, Meer und Karlovačko gar nicht mehr so unrealistisch macht. Eine Sache jedoch wird sich so schnell, vielleicht sogar auch im kommenden Wintersemester, nicht ändern: das Distance Learning.

„Sehr Gut“ oder „Mangelhaft“? Ein kurzer Recap: Unsere Hochschulen mussten mit 16. März auf Fernlehre umstellen. Zuerst galt dieser Plan bis zu den Osterferien, bald war aber klar, dass es im Sommersemester quasi keine Präsenzlehre mehr geben würde. Die Unterschiede in der Ausgestaltung vonseiten der Lehrenden sind ungefähr so groß wie der neu geschaffene Absatzmarkt von Mund-Nasen-Schutzmasken. Manche haben eher auf Hausübungen als Diskussionen umgestellt, manche sind technisch versiert, viele nicht. Allein bei uns im Vorsitzteam erleben wir unterschiedlichste Zugänge und Problemstellungen: Adrijana steht vor einem Berg an Hausübungen, da viele Lehrende so ihre nicht stattfindenden Einheiten kompensieren wollen; Desmond kam keinen Satz weiter bei seiner Masterarbeit, da er momentan ausschließlich Quellen aus der Unibibliothek benötigen würde; und Dora saß mittlerweile viermal in einer Videokonferenz für eine Lehrveranstaltung, zu der der_die Vortragende nicht erschienen ist, weil der Termin falsch notiert wurde.

Das alles ist ärgerlich, zermürbend und erhöht auch unsere Unsicherheit in Hinblick darauf, in welcher Form wir dieses Semester abschließen werden können. Damit sind wir nicht allein: Mittlerweile gibt es mehrere Befragungen dazu, wie es uns Studierenden mit Distance Learning geht. Nachdem Bundesminister Faßmann – wenn er sich mal dazu herablässt, etwas zu Hochschulen und Studierenden zu sagen – immer wieder betont, dass das Distance Learning „sehr gut“ laufe, verwundert es nicht, dass die vom BMBWF beauftragte Studie im Ton positiver klingt als jene, die von Forscher_innen der Uni Wien durchgeführt wurde . Im Grunde lassen sich aus der Uni-Studie folgende Dinge ablesen: Nur 7% der Studierenden geben an, (sehr) erfolgreich im Distance Learning zu sein. 13% der Studierenden haben kein W-Lan zuhause, 7% keine Geräte wie Laptop oder Tablet, die jetzt fast lebensnotwendig erscheinen, wenn man an Lehrveranstaltungen teilnehmen möchte. Rund ein Drittel der Studierenden gibt an, mit finanziellen Problemen zu kämpfen.

Der Tragödie Erster Teil (?) In Hinblick darauf, dass der Anspruch des Bildungssystems sein sollte, niemanden zurückzulassen und gerade jetzt den Studierenden nicht noch eins reinzuwürgen, die ohnehin grad vor einem existenziellen Scherbenhaufen stehen, weil sie ihren Job verloren haben, sich um Angehörige kümmern müssen oder ihnen nahestehende Personen an das Coronavirus verloren haben, sind diese Umfrageergebnisse eine Katastrophe und können auch durch Faßmanns mantraartiges „Alles ist super!“ nicht beschönigt werden. Dass wir Studierende hier so offensichtlich ignoriert werden, ist an Zynismus kaum mehr zu überbieten.

Nachdem allerdings auch niemand so genau weiß, wie es bei uns mit Infektionszahlen, Sicherheitsmaßnahmen etc. in ein paar Monaten ausschauen wird, ist es nicht unwahrscheinlich, dass wir auch im Wintersemester nicht vollständig auf unsere Hochschulen zurückkehren können werden. Dementsprechend braucht es hier endlich klare Ansagen und Handlungen vonseiten des zuständigen Ministeriums. Schnellere und klarere Infos an Hochschulen und Lehrende, was sie (nicht) dürfen, welche Möglichkeiten sie haben, und ein Ausgleich der finanziellen Schieflage, die sich für viele Studierende ergeben hat; bspw. durch die Bereitstellung von Laptops und Tablets für die Fernlehre, eine Ausweitung der Toleranzsemester für die Studiengebühren und einen kompletten Erlass der Studiengebühren für dieses und das kommende Semester.

Nicht nur Klein- und Mittelunternehmen und Gastronom_innen fragen sich mittlerweile, in wessen Kasse die 38 Mrd. Euro „Koste es was es wolle“ für den Härtefallfonds eigentlich wandern. Der Erlass der Studiengebühren für Studierende an öffentlichen Universitäten würde den Staat ca. 29 Mio. Euro kosten - Peanuts für den Härtefallfonds. Dass es also offensichtlich am nicht vorhandenen politischen Willen liegt, Studierenden hier unter die Arme zu greifen, die ohnehin momentan durch alle Raster durchfallen, zeigt, wie wichtig wir Studierende und unsere finanzielle Absicherung Minister Faßmann und der schwarz-grünen Bundesregierung offenbar sind. Wir kämpfen weiter für einen gerechte Entlastung von uns Studierenden und gute Fernlehre-Angebote während der Corona-Krise. Lasst euch nicht unterkriegen!

Adrijana, Desmond und Dora

Verlorenes Geld: Perus Pensionssystem

  • 30.05.2020, 22:31
In Peru wird seit fast 30 Jahren mit Pensionsgeldern spekuliert. Was macht Corona mit dem südamerikanischen Land? Eine kurze Reise über den Atlantik.

Während in Europa die Corona-Maßnahmen bereits gelockert werden, steigen im südamerikanischen Peru die Fallzahlen weiter an. Dabei bedroht das Virus nicht nur die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen, sondern zeigt in der Krisensituation vor allem die Schwächen eines längst brüchigen Sozialsystems auf.

Gegensätze Schon bei meiner Ankunft in Peru bemerke ich sofort die Kluft zwischen arm und reich: einerseits halbfertige Häuser und Straßenhunde, andererseits Nobelviertel und Shoppingmalls. Ein Kulturschock, der mir noch länger in Erinnerung bleiben wird. Unzählige Marktverkäufer_innen bieten auf den Straßen ihre Produkte an, das Leben findet generell mehr draußen als drinnen statt. Mit Ausbruch der Corona-Epidemie hat sich der Zustand hier schlagartig verändert und zwingt mehrere Millionen Menschen in eine Notlage.

Inoffizielle Arbeit Laut INEI (Nationales Institut für Statistik und Informatik) befinden sich nur rund 30 Prozent der peruanischen Bevölkerung in einem festen Angestelltenverhältnis; der Rest arbeitet inoffiziell (ohne Anspruch auf Sozialleistungen und Krankenversicherung) unter anderem als Straßenverkäufer_innen, Betreiber_innen von Internetcafés oder im Tourismus. Letztere haben sicherlich am meisten mit den derzeitigen Einschränkungen zu kämpfen, da seit Bekanntwerden der Infektionskrankheit die Reisefreiheit fast zum Erliegen gekommen ist. Besonders in der Tourismusmetropole Cusco sind unzählige Reisebüros und Hostels von den Regelungen betroffen und müssen im schlimmsten Fall ihr Geschäft aufgeben.

Steigende Arbeitslosigkeit und eine grundsätzlich hohe Armutsquote konfrontieren die Regierung nun mit der Frage nach entsprechender finanzieller Unterstützung und bringen die Abgeordneten in Handlungszwang. Über Beihilfen und Förderungen für besonders gefährdete Familien hinaus umfasst der Corona-Notfallplan auch eine Freigabe von bis zu 25 Prozent der Pensionsfonds für Arbeiter_innen. Diese werden allerdings von privaten Institutionen verwaltet und sind zu großen Teilen in Aktien angelegt.

Spekulation mit der Pension In Peru stehen Arbeiter_innen vor einer überschaubaren Entscheidung bezüglich Pensionsvorsorge: AFP (Privater Pensionsfonds) oder ONP (Staatlich standardisierte Renten). Während die ONP gleichbleibende, aber relativ niedrige Renten bezahlt, legt die AFP das Geld während der Berufstätigkeit in Aktien an und verdient gleichzeitig – selbst bei Wertverlust – noch per Provision mit. Ab der Pensionierung mit 65 Jahren wird das Geld in der Regel in Raten ausgezahlt, die auf eine Lebensdauer von 110 Jahren ausgelegt sind – wer vorher stirbt, hinterlässt der AFP den Rest. Angesichts der niedrigen Lebenserwartung und zusätzlicher Kooperationen mit den größten Banken Perus sollte damit die finanzielle Ausgangslage dieser Institutionen erklärt sein.

Rodrigo, ein befreundeter Peruaner, hat nach zwei Jahren Berufstätigkeit bei einer staatlichen Organisation gekündigt und ist nun seit vier Jahren arbeitslos. Auf das damals angesparte Geld darf er erst mit 65 Jahren zugreifen – bis dahin verwahrt die AFP seine Pension und investiert das Geld in verschiedenste Aktien. Als ich ihn nach dem bereits eingezahlten Pensionsgeld frage, antwortet er nur: „Für mich ist es verlorenes Geld.“

Unterstützung „poco a poco“ Am 3. April 2020 wurden erstmals 2.000 Soles (ca. 535 Euro, Stand 20.5.2020) pro Person zur Behebung freigegeben, künftig soll dieser Betrag auf bis zu 25 Prozent des Gesamtvolumens erweitert werden. Zwei Notfall-Gesetze regeln dabei den verfügbaren Betrag: Wer in den letzten sechs Monaten vor der Krise in den Pensionsfonds eingezahlt hat, darf auf einen höheren Betrag zugreifen. Arbeitslose und finanziell bedürftige Personen erfahren insofern zusätzlich zum fehlenden Gehalt eine Benachteiligung durch niedrigere Auszahlungen.

Das benötigte Geld liegt allerdings vorerst nur in Aktien gebunden vor und muss erst von den Institutionen zur Verfügung gestellt werden, in der Regel durch Verkauf – oder etwa nicht?

Die AFP als Gewinner Bei den tiefen Börsenkursen im Moment würde der Aktienverkauf für die AFP einen großen Verlust bedeuten, weshalb die peruanische Zentralbank mit einem Zuschuss von rund 30 Milliarden Soles eingreift. Somit bleiben die Aktien in Besitz der Organisationen, während die Pensionszahler_innen durch die Barbehebung ihre Rechte daran abgeben. „Auf lange Sicht profitiert hier die AFP“, erklärt Gerardo, der 14 Jahre lang im Bauingenieurswesen gearbeitet hat. „Die Aktien werden im Laufe der Jahre an Wert gewinnen, wodurch der heute ausbezahlte Betrag fast lächerlich erscheint.“

Reform Das peruanische Pensionssystem existiert bereits seit 1993 in dieser Form, die Notwendigkeit einer Adaption wird nun durch die Corona-Krise sichtbar. „Das Pensionssystem muss unbedingt reformiert werden“, findet nicht nur Alex Fernando, der als selbstständiger Programmierer seinen Lebensunterhalt verdient; auch Präsident Martín Vizcarra hat bereits Pläne zur Überarbeitung vorgelegt. Darin spricht er von einer Kommission aus Wirtschaftsexpert_innen, die über detailliertere Maßnahmen entscheiden sollen. Dass diese voraussichtlich erst mit Ende seiner Amtsperiode umgesetzt werden, erscheint wohl nebensächlich. Alex Fernando wagt einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft: „Die AFP sollte künftig bei Aktienverlusten keine Provision mehr einheben und die Ratenzahlungen realistischer an die Lebenserwartung anpassen. Wer wird denn schon 110 Jahre alt?“

https://www.inei.gob.pe https://www.gob.pe http://asociacionafp.pe

Who Cares - Fürsorgearbeit in der Coronakrise

  • 01.06.2020, 11:41
Um 18 Uhr ertönt ein Klatschen in Österreichs Straßen. Es gilt der Arbeit systemrelevanter Berufsgruppen, in denen Frauen* den größten Anteil stellen.

Rund 88 Prozent sind es in Betreuungsberufen und 81 Prozent im Gesundheitswesen. Diese Arbeit der Sorge-um-Andere hält die Gesellschaft am Laufen, und wird unter dem Begriff „Fürsorge-Arbeit“ – care work – zusammengefasst. Der Applaus unterbricht die systematische Unsichtbarkeit von Fürsorgearbeit in öffentlichen Diskursen. Bedeutet diese neue Sichtbarmachung von Fürsorgearbeit auch, dass an den gesellschaftlichen Verhältnissen gerüttelt wird? Aktivist*innen betonen, dass gesellschaftliche Anerkennung nicht genug ist und fordern Gehaltserhöhungen für die Arbeiter*innen in systemrelevanten Berufen.

Care-Notstand ist nichts Neues

Der Pflegenotstand der aktuellen Gesundheitskrise ist kein neues Phänomen. Seit Jahrzenten führen Unterfinanzierung und Kostenrationalisierung im Gesundheitssystem zu Qualitätsverlusten und Missständen in der Krankenpflege. Wohlfahrtsstaatlicher Sozialabbau, die zunehmende Lebenserwartung der Bevölkerungen westlicher Industrienationen führt zu gesteigertem Bedarf an Fürsorgearbeit. In Österreich sind rund 33.000 Pflegebedürftige auf Ganztags-Betreuung angewiesen. Das Pflegesystem ist privatisiert und staatliche Zuschüsse sind unzureichend. Betroffene Familien werde für die Pflege Angehöriger selbst verantwortlich gemacht, sofern stellen betreuende Angehörige den „größten Pflegedienst“ Österreichs. In der gelebten Realität bedeutet das, dass 73 Prozent der häuslichen Pflege von Frauen* übernommen wird. Über die Hälfte der pflegenden Frauen* gehen nebenher keiner Erwerbsarbeit nach und haben trotz der körperlich und psychisch belastenden Pflegearbeit ein Durchschnittsalter von 62 Jahren. Das Prinzip der unregulierten Marktwirtschaft setzt auf Kostenreduktion, weshalb gesellschaftlich notwendige Fürsorge- und Reproduktionsarbeiten in die Sphäre des Privaten abgeschoben oder an migrantische Hilfskräfte delegiert werden. Während aus der Hilfsbedürftigkeit der Menschen Profit geschlagen wird, sind Frauen überproportional von der Sparpolitik im Gesundheitssystem betroffen. In Krisenzeiten verschärfen sich derartige soziale Schieflagen. So hat die Schließung der österreichischen Außengrenzen einen Pflegenotstand hervorgerufen und die Unersetzlichkeit des Pflegepersonals aus den osteuropäischen Nachbarstaaten vor Augen geführt.

Schweigen über die Arbeitsbedingungen der 24-Stunden-Personenbetreuer*innen

Mit einer Luftbrücke wurden im April 2020 die ersten Personenbetreuer*innen aus Rumänien nach Österreich eingeflogen. Bevor sie anfingen zu arbeiten, mussten sie zwei Wochen in unbezahlte Quarantäne. Mittels weiterer Sonderregelungen sollen ab Mai wöchentlich Sonderzüge, 24-Stunden-Betreuerinnen von Rumänien nach Österreich bringen. Für die Kosten der Fahrt müssen sie allerdings selbst aufkommen. Aus Rumänien kommen mehr als die Hälfte der etwa 70.000 24-Stunden-Betreuerinnen, die in Österreich arbeiten. In den medialen Berichterstattungen um Österreichs Pflegenotstand wurde die Situation der 24-Stunden Pfleger*innen selbst nicht thematisiert. Keine Erwähnung fand auch der Streik für gerechtere Arbeitsbedingungen in dem sich rumänische 24-Stunden Betreuer*innen seit mehreren Jahren befinden. Zuletzt haben sie auf einer Kundgebung am Weltfrauentag auf ihre prekäre Situation aufmerksam gemacht. Die Interessenvertretung „DREPT pentru îngrijire“ - übersetzt „Gerechtigkeit für Pflege- und Personenbetreuung“ – gegründete sich, als der österreichische Staat vor drei Jahren das Kindergeld für die Kinder migrantischer Arbeiter*innen gestrichen hat. Diese Maßnahme traf die zu 89 Prozent weiblichen Personenbetreuer*innen besonders hart.

Auf Radio Orange berichtet die Aktivistin Flavia Matei „Die Arbeiterinnen kommen für 2 bis 4 Wochen am Stück aus Rumänien und sind dann täglich 24h für die Patient*innen da. Sie machen eine Arbeit, die kaum jemand machen will und sie werden dafür auch extrem schlecht bezahlt. Zwischen 40 und 80 Euro netto am Tag. Das heißt viele von den Personenbetreuerinnen verdienen Netto kaum mehr als 2€ pro Stunde.“ Vermittlungsagenturen werben mit 55 Euro pro Tag für die Rund-um-die-Uhr-Pflege für zwei pflegebedürfte Personen, Geld, für das in Österreich niemand den Knochenjob machen würde. Auch wenn die Betreuer*innen zu den gleichen Patient*innen gehen, ziehen Agenturen ihnen monatlich 400 Euro Provision ab, bei jeder neuen Einreise werden sie gezwungen einen neuen Vertrag zu unterschreiben, der eine Inkasso-Vollmacht beinhält. Im Rahmen der Ausreisebeschränkungen bleibt Personenbetreuer*innen keine Wahl als ununterbrochen weiterzuarbeiten. Der Corona-Bonus von einmalig 500 Euro wurde auch ihnen zugesagt, allerdings wird dieser an die Vermittlungsagenturen oder Familien, und nicht direkt an die 24h-Betreuer*innen, überwiesen.

Das Lohngefälle zwischen Ost- und Westeuropa ist der Treibstoff, der die transnationalen Sorgeketten, die sogenannten care-chains, immerfort antreibt. In Rumänien liegt der monatliche Mindestlohn bei etwa 460 Euro, was nicht im Verhältnis zu den steigenden Lebenshaltungskosten steht. Für die Vermittlungsagenturen ist das 24-Stunden-Pflegepersonal austauschbare Arbeitskraft. Nach der Öffnung der EU-Grenzen in Folge der Osterweiterungen 2004 und 2007 haben Vermittlungsagenturen eine formelle Gegenstruktur zu bestehenden informellen Anstellungssystemen entwickelt. Das österreichische Pflegesystem steht trotz dem Hauptanteil von pflegenden Angehörigen in starker Abhängigkeit von migrantischen Pflegekräften. Flavia Matei betont, dass diese Abhängigkeit beidseitig ist, denn wie andere Beschäftigte in atypischen Arbeitsverhältnissen haben die Personenbetreuer*innen, unter Vertragsbedingungen, die sie zu Scheinselbstständigen machen, kein Einkommen ohne ausgeführte Arbeit.

Unsichtbare und unbezahlte Fürsorgearbeit

Frauen* arbeiten weltweit mehr als Männer*, zeigt eine aktuelle Studie der Internationalen Arbeitsorganisation. Durchschnittlich arbeiten Frauen* zu 76 Prozent unbezahlt, während bei Männern* unbezahlte Tätigkeiten etwa 36 Prozent ausmachen. Dass der Hauptteil „weiblicher“ Arbeit unentgeltlich ist, führt zu einer erheblichen finanziellen Benachteiligung, der Gefahr in Abhängigkeitsverhältnisse und Altersarmut zu geraten.

Da Mehrfachbelastungen für viele Frauen* Alltag sind, werden ihnen gerne Multitasking Fähigkeiten nachgesagt. Die Bewältigung von Haus- und Sorgearbeit ist ein wesentlicher Bestandteil vergeschlechtlichter Vergesellschaftung, für den als selbstverständlich gilt, dafür keine Bezahlung zu verlangen. Nicht zu Unrecht werden Frauen zynisch als soziale Airbags der Krise bezeichnet.

Gehaltserhöhung als Dankeschön

Diese Pandemie ist in vielerlei Hinsicht eine „weibliche“ Krise. Eine Krise für Personen, die als weiblich gelesen werden und eine Krise des untragbaren Bildes von „weiblicher“ Arbeit. Die gesellschaftliche Entwertung von Fürsorgearbeit drückt sich in ihrer Unterbezahlung aus, ein Kontrast, der angesichts der Lebensnotwendigkeit der Versorgungsleistungen besonders hervorsticht. Trotz der gesellschaftlichen Anerkennung „systemrelevanter“ Arbeit, stellt sich weiterhin die Frage welche Arbeit letztendlich als bezahlungswürdig eingestuft wird. Medienberichte vernachlässigen zumeist die Situation der rumänischen 24-Stunden Personenbetreuer*innen, wie der unbezahlten Mehrarbeit von Erwerbstätigen mit Betreuungspflichten. Gesten der Dankbarkeit und Solidarität zeigen, dass der Bedarf von Grundversorgungsleistungen das Menschsein wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt hat. Die beschworene Solidarität gilt jedoch nicht für alle gleichermaßen, während der mediale Fokus auf den Bedarf an Pflege eingeht, werden die Arbeitsbedingungen der 24-Stunden Pflege unter den Schutzmaßnahmen ausgeblendet. Die „Coronakrise“ wirft vor allem die Fragen auf, welches Leben zählt? Und welches Leben als schützenswert angesehen wird?

Swantje Höft ist Referentin für feministische Politik auf der ÖH Bundesvertretung und Vorsitzende der Hochschüler_innenschaft an der Akademie der bildenden Künste Wien

Politischer Aktivismus an kurzer Leine

  • 08.06.2020, 17:50
Was machen Aktivist_innen, wenn das öffentliche Leben stillsteht? Vertreter_innen von Attac, Fridays for Future und Seebrücke geben Antworten.

Krisenzeiten sind Regierungszeiten. Wenn Tag ein Tag aus nur ein Thema die Debatte dominiert, hat es die Opposition schwer – von Aktivist_innen ganz zu schweigen. Vor allem zu Corona-Zeiten stellen sie sich die Frage: Wie organisieren, auf sich aufmerksam machen, Öffentlichkeitsarbeit betreiben – wenn Menschenansammlungen untersagt sind und ohnehin kaum jemand zuhört? Andererseits sind Krisenzeiten immer auch Zeiten, in denen Neues entstehen kann.

Der Politikwissenschafter Martin Dolezal forscht an der Universität Salzburg zu politischem Protest. Er erklärt, dass öffentliche Versammlungen, wie etwa Demonstrationen, zwar laut COVID-19-Verordnung erlaubt sind – die Abstandsregelung solche Veranstaltungen aber zusätzlich erschweren. Hinzu kommt, so Dolezal auf progress-Nachfrage, dass es für Aktivist_innen schwieriger geworden ist, mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Falls eine Aktion doch den Weg in die Medien findet, sei der „Tenor der Berichterstattung im Moment aufgrund der breit rezipierten Sichtweise, den öffentlichen Raum nur eingeschränkt zu nutzen, eher negativ“.

Schulstreik ohne Schule. Noch bevor so ein Protest überhaupt stattfindet, will dieser organisiert werden. Und dabei, so schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, fühlen sich viele Aktivist_innen derzeit „wie Schwimmer in einem Becken voller Honig. Jede kleinste Aktion ist mühsam“ [1]. Die Umstellung aufs Homeoffice, erklärt Lisa Mittendrein, Sprecherin von Attac, war eine „große Herausforderung“, sei in ihrem Team in Anbetracht der Umstände aber einigermaßen gut gelungen. Dennoch: „Innerhalb kurzer Zeit arbeitsfähig zu werden, die richtigen Tools zu finden und allen die Mitarbeit zu ermöglichen, war nicht ganz einfach“.

Für das Bündnis Seebrücke sind es insbesondere die Einschränkung demokratischer Grundrechte seitens der Regierung, die die Arbeit erschweren. Durch den de facto-Ausnahmezustand, kritisieren Aktivist_innen der Seebrücke, werde „Aktionismus in der Öffentlichkeit generell kriminalisiert“. Eine Aktion dreier Seebrücke-Aktivist_innen vorm Haus der EU in der Wiener Innenstadt endete für die Beteiligten mit rechtlicher Verfolgung – obwohl der geforderte Sicherheitsabstand eingehalten und Schutzmasken getragen wurden, wie sie auf Nachfrage beteuern.

Wenn die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus jemanden einen Strich durch die Rechnung machten, dann wohl Fridays For Future: Ein Schulstreik in Zeiten, in denen Schulen geschlossen sind, ist keiner. Der für 24. April angedachte globale Klimastreik wurde ins Internet verlegt, aus dem analogen „Earth Strike“ wurde ein digitaler „Netzstreik fürs Klima“. Rund 1.000 Menschen nahmen in Österreich via Livestream teil, informiert Anna Lindorfer, Sprecherin von Fridays For Future Österreich. Ob es unter normalen Umständen wohl mehr geworden wären? Diese Frage will Lindorfer nicht gelten lassen: „Normale Umstände hat es nie gegeben“. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen geändert hätten, dürfe die aktuelle Corona-Situation keine Ausrede sein, „denn die Rahmenbedingungen ändern sich kontinuierlich und die Klimakrise wird uns, wenn wir nichts unternehmen, mehr und stärkere Ausnahmezustände bescheren“.

Digitale und analoge Bubbles.Neben der physischen Präsenz, dem Umstand, dass die Forderungen einer Bewegung in der Öffentlichkeit sichtbar werden, ist es das Gemeinschaftsgefühl, das die DNA von Aktivismus und Protest ausmacht: Gemeinsam singen, musizieren, laut sein; nicht zuletzt das Bier aus der Dose. Online ist das Alles schwer vorstellbar. Den langfristigen Erfolg von Netzaktivismus sieht Politikwissenschafter Dolezal daher kritisch: „Aus Sicht der Partizipationsforschung sind Formen des Online-Aktivismus eher kurzfristig und führen zu keinem stabilen, längerfristigen Engagement, für das auch Gefühle der Gruppenzugehörigkeit entscheidend sind“. Ebenso fehlen die imposanten Bilder, die während einer Demo entstehen und oftmals um die Welt gehen. Onlineaktivist_innen haben es schwerer, die eigene digitale Bubble zu durchbrechen, um auch außerhalb ihres Klientels Aufmerksamkeit zu erregen.

Kann diese außergewöhnliche Situation für zivilgesellschaftliches Engagement dennoch eine Chance sein? Ja, findet Lindorfer von Fridays for Future. Durch die Krise werde vielen erst bewusst, dass das, was lange als „normal“ galt, so „normal“ gar nicht ist. Die Krise, erklärt Lindorfer, lasse viele „über unser instabiles Wirtschaftssystem und die unsichere Zukunft nachdenken“. In letzter Zeit hätten sich daher viele neue Aktivist_innen bei ihrer Organisation gemeldet.

Auch bei der Seebrücke sieht man durchaus Chancen, die diese Krise bieten könnte – wenn auch aus den objektiv falschen Gründen: Durch die desaströse Situation in den Camps der Geflüchteten, wie beispielsweise im griechischen Moria, die sich durch die Corona-Pandemie nur noch verschärft, steige das Bewusstsein dafür, „dass etwas getan werden muss“. Aber man dürfe „die Chancen solch einer Situation auch nicht überbewerten“, warnen die Seebrücke-Aktivist_innen. Den Chancen eines solidarischeren Umgangs miteinander stehen die Gefahren einer Vertiefung rassistischer (Grenz-)Politiken und einer weiteren Prekarisierung vulnerabler Gruppen gegenüber.

Auch innerhalb von Attac sei man „zwischen Risiken und Chancen hin- und hergerissen“, erklärt Mittendrein. Einerseits hegt man die Hoffnung, „neoliberale Dogmen aufzubrechen“, andererseits sei auch die Gefahr einer Vertiefung autoritärer Politik klar erkennbar, oder dass – wie das auch nach der Krise 2008 der Fall war – der Klimaschutz erneut Unternehmensinteressen geopfert wird. „Schwere Krisen sind immer Momente, in denen die Zukunft neu ausverhandelt wird“, findet Mittendrein.

Quellen:

[1] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/aktivismus-in-corona-zeiten-auch-revolutionaere-bleiben-zu-hause-16741672.html

Alles für Alle.

  • 14.06.2020, 22:47
Wie ein kleiner Kostnix-Laden in Wien-Meidling versucht, Antworten auf ganz große Fragen zu geben.

Geldlose Gesellschaft - ein theoretisches Konzept der solidarischen Ökonomie oder: Was seid ihr denn nun?

Gibt es etwas, was in unserer Gesellschaft selbstverständlicher ist als die Existenz des Geldes? Im Kostnix-Laden sind wir der Meinung, dass die Art, wie wir Gesellschaft gestalten wollen, unsere eigene Aufgabe und Chance ist. Wir wollen mit unserem Laden einen Vorschlag bieten, unsere Gesellschaft und Wirtschaft anders zu denken, das gute Leben für alle in den Mittelpunkt zu rücken, sowie eine Möglichkeit aufzeigen, innerhalb ökologischer Grenzen Dinge des täglichen Bedarfs zu erwerben und abzugeben. Und das ganz ohne Geldmittel.

In unseren gesellschaftlichen Strukturen ist tief verankert, dass nur wer über ausreichend Geldmittel verfügt auch vollkommen am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Die geldlose Gesellschaft als Synonym für Umsonst- oder Schenkökonomie versucht, alternative Lösungsansätze zu bieten. Bei den Ökonominnen Habermann und Möller und der Soziologin Peters (https://www.vsa-verlag.de/uploads/media/VSA_Giegold_ua_Solidarische_Oekonomie_komplett.pdf, S. 54–56) wird diese Form des Wirtschaftens als solidarisch bezeichnet, da es sich um ein basisdemokratisch organisiertes, bedürfnisorientiertes und vorsorgendes Wirtschaften handelt.

„Solidarische Ökonomie würde ich beschreiben als Versuch das bestehende Wirtschaftssystem, das wir von oben nicht ändern können, von unten ein bisschen zu beeinflussen“, sagt Mary*, Aktivistin im Kostnix-Laden. Im Kostnix-Laden verlieren die Gegenstände durch die Abgabe ihren Geldwert – und erhalten einen Gebrauchswert: eine „individuelle oder gemeinschaftliche Nützlichkeit eines Gutes“, wie es der Philosoph und Ökonom Adam Smith 1990 beschrieb.

Die gelebte Utopie der geldlosen Gesellschaft – der Kostnix-Laden oder: Wie geht das denn nun?

Der Kostnix-Laden in Wien Meidling ist ein Ort, an dem Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie Kleidung, Haushaltsgegenstände, Bücher, Elektrogeräte, Spielzeug, Sportartikel etc. gratis von Menschen, die diese nicht mehr benötigen, zur Verfügung gestellt werden. Die Zielgruppe dabei ist grundsätzlich die gesamte Bevölkerung. Oberflächlich betrachtet ist der Kostnix-Laden also ein Ort, an dem Waren gratis „eingekauft“ und/oder zur Weiterverwendung bereitgestellt werden können. Blickt man genauer hin, erkennt man den Ansatz für eine solidarische, nachhaltige Gesellschaftsentwicklung, der gelegt wird bzw. bereits im Aufgehen begriffen ist. „Ich sehe den Kostnix-Laden in der Zukunft als Teil von einem großen solidarischen Netzwerk aus verschiedensten Initiativen, die sich selbst organisieren und nicht hierarchisch ablaufen. Wo wir gemeinsam selbstbestimmt und selbstorganisiert handeln“, sagt Sandra*, Teammitglied des Kostnix-Ladens.

Ein Kerngedanke des Projekts ist das solidarische, also kooperierende, Wirtschaften innerhalb ökologischer Grenzen in einer zunehmend instabiler werdenden Welt. Anhand der stetig wachsenden Umweltzerstörung und Vermögensungleichheit zeigt sich, dass unser Wirtschaftssystem in seinem momentanen Bestand nicht auf das Wohl aller ausgelegt ist. Zwei Hauptproblematiken des 21. Jahrhunderts wollen wir mit zwei Lösungsansätzen begegnen. Laut Österreichischer Nationalbank verfügt das reichste 1 % der österreichischen Haushalte über rund 40 % des gesamten Nettovermögens, während die ärmeren 50 % der österreichischen Haushalte insgesamt gerade einmal 2,5 % besitzen; es ist daher angebracht, Lösungen zu schaffen.

Der Kostnix-Laden versteht sich als kleiner zivilgesellschaftlicher Beitrag dazu. Geld als notwendiges „Lebensmittel“ kann, wenn ausreichend Menschen das Vorhaben mittragen und die Wohnzimmer und Supermärkte einer (ungleichen) Wohlstandsgesellschaft übervoll sind, umgangen werden. „Ich finde, dass es natürlich für Menschen ist, solidarisch zu sein. Um sich dessen bewusst zu werden, müssen sie in Kontakt mit ihrer verletzlichen Seite sein: Sie müssen erkennen, dass sie nicht alleine unabhängig von anderen Menschen leben können. Die Wirtschaft, die wir kennen, lässt uns das vergessen. Die Angewiesenheit wird negativ konnotiert. Ich denke gerne darüber nach, warum ich andere Menschen brauche – was sie mir geben können, was ich ihnen geben kann. Diese Beziehungen sind die Essenz des Lebens für mich“, sagt Mary*. Einer ungeachtet der Klimakrise voranschreitenden Überproduktion und damit verbundenen Ressourcenverschwendung inklusive Müllproblematik uvm. wollen wir durch die kostenfreie Verteilung von weggelegten Gütern begegnen.

Der Kostnix-Laden ist mehr als ein Laden.

Marius*, Teammitglied im Kostnix-Laden, sagt: „Mir hat eine Freundin vom Kostnix-Laden erzählt. Ich bin reingekommen und hab' mir gedacht: Das ist genau, wie ich es mir vorstelle. Genau, wo ich hin wollte.“ Der Laden versteht sich nicht nur als Ort, an dem man Dinge ohne Erwartung einer Gegenleistung weiter in Umlauf bringen kann. Das Ziel ist es, sowohl für das Konsumverhalten als auch für das soziale Miteinander einen Raum zu öffnen, geprägt von Wertschätzung, Menschen wie Produkten gegenüber. Wir wollen zeigen, dass Kooperation uns weiterbringt, dass Teilen das neue Tauschen, Kooperieren das neue Konkurrieren ist. Dazu wollen wir als Teil einer breiten sozialen Bewegung beitragen. Das wahrlich Schöne am Kostnix-Laden sind letztlich die Menschen, die ihn am Leben halten, Besucher_innen und Unterstützer_innen. Das Konzept funktioniert nur durch ausreichende und ausgewogene Teilhabe bzw. Teilnahme, mit Menschen, die gleichermaßen geben & nehmen. Wir sind stolz auf die bunten Menschen und wechselnden Dinge, die Teil des Ladens sind. Sie gestalten durch ihr reges Kommen und Gehen, wie der Laden läuft.

Es sind die kleinen Projekte, die uns Platz geben, um ein gemeinschaftliches Miteinander zu erproben. Die von der Wissenschaft und den eigenen Eindrücken in vielerlei Hinsicht geforderte Wende ist genau dann realisierbar, wenn wir auch selbst beginnen, eine neue Form des Umgangs – also des Denkens, Redens, Handelns – zu gestalten. Wir versuchen's halt. „Der Kostnix-Laden ist ein Zentrum für alles. Du hast hier Menschen, es gibt von allen Dingen irgendwas und es treffen sich hier immer Leute, die davon überzeugt sind, dass man aufeinander aufpasst. Ich denke mir: So lange ich im Kostnix-Laden bin, kann schon nichts so Schlimmes passieren. Auch wenn der ganze Laden brennt, tun wir uns zusammen und sagen: Gut, was machen wir als Nächstes?“, erzählt Marius*. Und was sagen wir dazu? Am besten: Nix anbrennen lassen, einfach mal vorbei kommen :)

Linkliste:

www.kostnixladen.at

https://dieschenke.wordpress.com

www.geldlos.at

https://www.degrowth.info/de/was-ist-degrowth/

https://web.ecogood.org/de/

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