Die Revolution beginnt jetzt

  • 13.07.2012, 18:18

Mahmood Salem (29) alias Sandmonkey bloggt und twittert seit Jahren gegen das Mubarak-Regime. Seinen Job hat er bei Ausbruch der Proteste gekündigt, um sich voll auf die Umwälzungen in Ägypten zu konzentrieren.

Mahmood Salem (29) alias Sandmonkey bloggt und twittert seit Jahren gegen das Mubarak-Regime. Seinen Job hat er bei Ausbruch der Proteste gekündigt, um sich voll auf die Umwälzungen in Ägypten zu konzentrieren.

PROGRESS: Am 25. Jänner, dem ersten Tag der Proteste, warst du am Tahrirplatz. Was waren deine Erwartungen?

SALEM: Einen Tag zuvor habe ich mich noch darüber lustig gemacht. Aber am 25. hatte ich frei, also marschierte ich mit. „Yalla – let's go play with the police”, das war mein letzter Tweet.

Gab es irgendwann einen Punkt, an dem für dich das Ende von Mubarak klar absehbar war?

Ja, das Interview mit Wael Ghonim (Internet-Aktivist und Google-Marketing-Direktor in Ägypten, Anm.). Zu Beginn der Proteste wurde er inhaftiert. Danach hat er ein Interview gegeben und Bilder von Toten im Internet gezeigt. Das war auch der Punkt, an dem die meisten Leute auf die Seite der Demonstranten übergelaufen sind.

Mubarak ist Geschichte, können sich die ÄgypterInnen nun beruhigt zurücklehnen?

Nein, auf keinen Fall. Den einfachen Teil haben wir hinter uns. Die wirkliche Revolution hat gerade erst begonnen. Jetzt müssen wir uns mit 30 Jahren institutioneller Korruption herumschlagen, eine neue Verfassung ausarbeiten und vieles mehr.

Immerhin es gibt schon einen Entwurf für die neue Verfassung.

Ja, aber wir können mit dem neuen Entwurf nichts anfangen. Damit wird nicht an der alten Machtelite gerüttelt und es können keine neuen Institutionen entstehen. Die Armee will Stabilität, das sollte man nicht mit Demokratie verwechseln.

Wie aktiv war die StudentInnenbewegung während der Proteste?

Gar nicht, viel aktiver waren die Mitglieder der jungen Muslimbrüder und Fußballfans. Die Hooligans kennen sich am besten mit Straßenschlachten aus.
 
In Europa hatten viele den Eindruck, dass die Muslimbrüder von den ganzen Ereignissen überrumpelt wurden?

Die jungen Muslimbrüder waren mit dabei auf den Straßen. Aber die alte Riege hat sich zunächst von den Protesten distanziert. Sie hatten Angst, nachher dafür beschuldigt zu werden.
 
Warum hat die Führungselite der Muslimbrüder mit dem Regime verhandelt?

Ex-Geheimdienstchef Omar Suleiman hat die Muslimbrüder zu Verhandlungen eingeladen. Darauf sind sie angesprungen, weil es ihnen Legitimität gibt. Seither gibt es einen Generationenkonflikt zwischen den Muslimbrüdern.

Gibt es in Ägypten noch eine Pro-Mubarak-Fraktion?

Ja, eine kleine, leise Minderheit. Sie waren schon immer korrupte Opportunisten und das bleiben sie auch. Aber diese Leute sind immer noch wichtig, sie haben viele Beziehungen und noch viel mehr Geld. Aber einige von ihnen sind auch bereits hinter Gittern.

Dem Militär gehört ein beträchtlicher Anteil der ägyptischen Wirtschaft. Man spricht von 20 Prozent. Was passiert mit den Militärbetrieben?

Das ist genauso wie mit den unter Terroristen-Verdacht stehenden internationalen Gefangenen, um die sich das ägyptische Militär für die USA „kümmert“. Was in den Händen des Militärs ist, wird nicht angerührt. Wir mögen das Militär nicht, aber die meisten Leute in Ägypten sehen es als stabilisierende Kraft.

Was war während den Demonstrationen in deiner Nachbarschaft los?

Ich lebe in Heliopolis, unweit vom Präsidentenpalast in Kairo. Das waren die schillerndsten Proteste überhaupt. Es waren wirklich alle Schichten vertreten.
 
In internationalen Medien war die Rede von tausenden Häftlingen, die vom alten Regime freigelassen wurden.

Ja, die Polizei ließ sie laufen. Viele der angeblichen Häftlinge waren Polizeiprovokateure. Ziel des Regimes war es, das Land in ein völliges Chaos zu stürzen. Die politische Landschaft hier ändert sich von Sekunde zu Sekunde. Unsere Aufgabe als Blogger ist es, Leute zu informieren. Wir haben ein gutes Netzwerk.

Während der letzten Tage haben Demonstrierende viele Gebäude der Staatssicherheit gestürmt.

Ja, ich war mit dabei. Wir haben nach Akten und politischen Häftlingen gesucht. Bevor der letzte Premier sein Amt verlassen hat, wurden dort viele Akten vernichtet. Wir haben Akten an den Militärkontrollen vorbeigeschmuggelt, weil wir dem Militär nicht trauen.

Warum traut ihr dem Militär nicht?

Die Armee hat ganz einfach nicht die Kapazität, zwei Aufgaben gleichzeitig zu übernehmen. Sie kann das Land entweder verteidigen oder verwalten. Aber nicht beides.

Das sind nicht gerade optimistische Aussichten für die Zukunft Ägyptens.

Ich glaube, es wird große Zusammenstöße zwischen verschiedenen politischen und religiösen Gruppierungen geben. Dieses Land hat die Bedeutung von Demokratie noch nicht verstanden.

Für August 2011 sind die ersten freien Präsidentschaftswahlen geplant. Ist das zu früh?

Kann sein. Im Moment konzentrieren sich die Leute auf berühmte Gesichter wie Amr Moussa, den ehemaligen Präsidenten der Arabischen Liga. Aber man sollte jemanden aufgrund seines Programms wählen und nicht, weil er berühmt ist.

Wäre nicht jetzt der beste Zeitpunkt, um Aufgaben in der neuen politischen Landschaft zu übernehmen?

Ja, vielleicht, aber ich will nicht an der Front von irgendeiner politischen Fraktion stehen. Jeder, der das jetzt macht, wird verheizt. Die Leute haben einfach zu viele Erwartungen an die nächste Regierung. Die intelligenten Leute warten. Politik ist wie ein Fußballspiel. Noch sind wir alle damit beschäftigt, ein neues Stadion aufzubauen. Aber bald müssen wir gegeneinander spielen, dann wird es wirklich interessant.

AutorInnen: Martina Burtscher