Rezension

Smash it!

  • 18.05.2015, 12:58

Neon, Verzerrungen und auszuckende Frauen. Die Kunsthalle Krems zeigt mit der Ausstellung „Komm Schatz, wir stellen die Medien um fangen nochmal von vorne an“ Werke der Schweizer Video- und Objektkünstlerin Pipilotti Rist aus den letzten 30 Jahren.

Neon, Verzerrungen und auszuckende Frauen. Die Kunsthalle Krems zeigt mit der Ausstellung „Komm Schatz, wir stellen die Medien neu um und fangen nochmals von vorne an“ Werke der Schweizer Video- und Objektkünstlerin Pipilotti Rist aus den letzten 30 Jahren.

Begrüßt wird man von einem Kronleuchter aus ähnlich alt aussehenden Unterhosen, der den Weg in einen Raum mit gemütlichen Betten weist. Liegend wird man von kaleidoskopartigen Aufnahmen eingesogen. Mal eine Zunge hier, mal eine Vulva da, auch Himbeeren kommen vor. Alles Motive, die sich durch die ganze Ausstellung ziehen. Großes Highlight: der Film „Ever Is Over All“. Eine Frau in einem Kleid zerschmettert mit lachendem Gesicht willkürlich Autofensterscheiben mit einer Stange, die wie eine Blume aussieht.

(c) Pipilotti Rist - Homo Sapiens Sapiens

Sonst findet man in den großen Räumen immer wieder kleine experimentelle Filmchen in Handtaschen, Teppichen oder Muscheln versteckt. Es ist auf den ersten Blick nicht klar ersichtlich, wo im Raum die Kunst anfängt und aufhört. „Bitte nicht die Kunstobjekte berühren!“, so eine Museumsangestellte zu einem Typen, der sich lässig auf ein Gitterbett aufstützt, in dem eine Stoffbombe liegt, in der wiederum ein Film gespielt wird. Daneben fließt auf den Boden projiziertes Blut.

Gerade zu Beginn changiert die Ausstellung immer wieder zwischen faszinierenden, grellen Aciderfahrungen und erschreckendem Horrortrip, bei dem zuerst noch alles lustig war und dann auf einmal Blut zwischen den Zähnen eines lachenden Gesichts hervorsprudelt. Gegen Ende wird die Ausstellung zunehmend ruhiger. Dazu tragen Lämmer-, Früchte- und Wassermotive bei. Aber auch Teppiche, Sitz- und Liegesäcke, auf denen man sich vom Boden aus wandgroße Videoprojektionen von Füßen auf der Wiese oder zermatschenden Granatäpfeln ansehen kann, verstärken den Effekt.

(c) Pipilotti Rist - Sip My Ocean

Pipilotti Rist bricht mit der klassischen Rolle der Betrachtenden durch die Vielfalt der Positionierungen der Videos, aber auch der Zuseher_innen. Dementsprechend radikal verarbeitet sie auch Körperbilder und Geschlechterrollen, zum Beispiel in dem Covervideoclip zu „I’m Not A Girl Who Misses Much“ der Beatles. Sie schafft es mit ihren Werken Alternativen zum, wie sie es nennt, „Blickregime“ zu zeigen, in denen für den Moment des Betrachtens die Utopie real wird.

 

Pipilotti Rist: „Komm Schatz, wir stellen die Medien neu um & fangen nochmals von vorne an“
Kurator_innen: Stephanie Damianitsch, Hans-Peter Wipplinger
Kunsthalle Krems, Niederösterreich
bis 28.06.

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

Von giftigen Handtüchern und recycelten Festplatten

  • 23.04.2015, 13:22

Der Zeitgeist wohnt in unseren Rennrädern, Windturbinen und Glasfaserkabeln – in Form der Metalle der Seltenen Erden. Diese sind Ausgangspunkt für die Ausstellung „Rare Earth“ in der TBA21 im Wiener Augarten, deren wenig kritische Umsetzung am Anspruch des brisanten Themas scheitert.

Der Zeitgeist wohnt in unseren Rennrädern, Windturbinen und Glasfaserkabeln – in Form der Metalle der Seltenen Erden. Diese sind Ausgangspunkt für die Ausstellung „Rare Earth“ in der TBA21 im Wiener Augarten, deren wenig kritische Umsetzung am Anspruch des brisanten Themas scheitert.

Sie klingen wie die Götter in einem Science-Fiction-Roman. Scandium, Yttrium, Cer, Promethium oder Europium. Dabei stammen die Metalle der Seltenen Erden ganz und gar nicht aus einem phantastischen Himmel, sondern aus den unwirtlichen Tiefen der Erde, zutage gefördert von Schwerstarbeiter_innen in China, Indien oder dem Kongo. Allzu weit hergeholt erscheint der göttliche Vergleich nicht, ist ein Alltag ohne die sogenannten Seltenen Erden – als integrale Bestandteile von LCD-Bildschirmen, DVDs, Elektromotoren oder Röntgentechnik – heute kaum mehr vorstellbar.

DIE EPOCHE DER SELTENEN ERDEN. 17 Elemente des Periodensystems zählen zu jenen raren Metallen – ebenso viele Beiträge versammelt die Ausstellung in der TBA21. Für die Kuratoren Boris Ondreička und Nadim Samman bilden die Seltenen Erden die elementare Basis unserer Epoche, nehmen einen ähnlichen Stellenwert ein wie ur-einst Stein, Bronze und Eisen. Mit dem Auftrag, den „zeitgenössischen Geist“ anhand seiner materiellen Grundlage zu untersuchen, wurden zehn der präsentierten Arbeiten eigens für die Schau produziert. Hochkomplexe Gebilde stehen einfachen Installationen gegenüber, deren Spektrum zwischen abstrakt-kryptisch und didaktisch-banal zwar weit über das Thema hinausreicht, aber kaum auf einen spannenden und damit kritischen Punkt kommt.

SINGENDE STALAGMITEN UND TECHNOMÜLL. Arseniy Zhilaev gruppiert in einer Vitrine Werkzeuge und Waffen verschiedener Epochen: die Eisenschwerter der Sklaven, die Mistgabeln der Bauern, die Pflastersteine der Proletarier und die Mobiltelefone des Prekariats. Der kurzlebige Clou an der gegenüber platzierten mineralen Form aus recycelten Metallen und dem Haufen zerlegter Festplatten: Sie wurden vom Künstlerduo Revital Cohen und Tuur van Balen eigenhändig zerlegt, anstatt von Tagelöhnern in Konfliktzonen. Eindringlicher sind Ai Weiweis weiße Handtücher, bestickt mit fluoreszierendem, Europium enthaltendem Garn – westlicher Komfort gespeist aus Chinas Raubbau. Gar höchst spektakulär ist Marguerite Humeaus Rauminstallation, die mit Hilfe der magnetischen Eigenschaften von Erbium und eines Neodym-Verstärkers die Stimmen einer stalagmit-förmigen Wachsskulptur, Mineralien und Flammen inszeniert. Zumindest hier wird die Frage übertönt, was das ganze eigentlich soll.

„Rare Earth“
Kuratoren: Boris Ondreička und Nadim Samman
TBA21-Augarten Wien
bis 31.5.2015

 

Flora Schausberger studiert Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien.

 

Der Blockbuster mit Hulkbuster

  • 22.04.2015, 12:34

Rezension

Rezension

Age of Ultron beginnt ohne mit der Wimper zu zucken mit einer actiongeladenen Verfolgungs- und Kampfszene in einem schneebedeckten Wald. Eine Vorstellung brauchen die Superheld_innen nicht mehr, diente doch der komplette erste Teil der Reihe dazu, das Team um Captain America, Thor, Iron Man etc. zu formen. Nun stehen sie gemeinsam für die gute Sache ein und zertrümmern Köpfe. Wer eigentlich genau der aktuelle Feind ist: nicht so wichtig.

Viel wichtiger für die Story sind die Fragen, die die einzelnen Avengers selbst beschäftigten. Bei Hulk und Romanoff (Black Widow) ist es die Frage, ob sie eigentlich selbst Monster sind - sei es durch einen Verstrahlungsunfall oder durch eine jahrelange Ausbildung zur Killerin – und deswegen vor allem eins wollen: Monster jagen. Tony Stark quält die Frage, wie man die Erde zu einem sicheren Ort machen kann. Der verrückte Professor erschafft die künstliche Intelligenz Ultron, die von seiner Idee, die Welt zu retten, ganz verzaubert ist und beschließt, die Avengers zum Schutz der Menschheit zu zerstören. Aus kaputten Iron Man Suits bastelt sich Ultron einen Körper und ist nun die perfekte Mischung aus Terminator und HAL.

Mit der Figur von Loki kann Ultron nicht mithalten, jedoch kommen zwei weitere Charaktere sehr früh mit ins Spiel, die sich als potentiell größere Gefahr erweisen. Die Zwillinge Quicksilver und Scarlet Witch sind voller Rachegelüste an Tony Stark und Superkräfte („He’s fast, she’s weird.“). Ihre schlecht gespielten slawischen Dialekte nerven bei jedem Satz. Durch ihre visionenverursachenden Fähigkeiten knockt Scarlet Witch beinahe alle Avengers sofort aus. Da die beiden aber rasch zur guten Seite überlaufen, gibt es doch, abgesehen vom Dialekt, keine größeren Probleme.

Der Film hatte die große Aufgabe, im Schatten des ersten Teiles ein würdiges Sequel zu sein. Die Story wurde mit einem leichten Fokus auf Romanoff und Hawkeye geschrieben, da sie sonst kein eigenes Franchise haben. Das tut Age of Ultron sehr gut. Alle Fäden der verschiedenen vorhergehenden Filme und parallel laufenden Serien werden verwoben, ohne dass es angestrengt wirkt. Oder wie Ultron es sagt: „Ihr seid wie Marionetten, gefangen in Fäden, Ketten… die Zeit der Ketten ist vorbei.“

„Avengers: Age of Ultron“ 
Regie und Drehbuch: Joss Whedon
150 Minuten
ab 23. April im Kino

 

Katja Krüger ist Unternehmerin und studiert Gender Studies an der Universität Wien.

An die Wand fahren

  • 26.03.2015, 08:36

Der Nullpunkt kommt früh in Leylas Leben. „Man braucht nicht auf die Midlife-Crisis zu warten, man kann sein Leben auch schon mit Mitte Zwanzig wunderbar gegen die Wand fahren.“

Der Nullpunkt kommt früh in Leylas Leben. „Man braucht nicht auf die Midlife-Crisis zu warten, man kann sein Leben auch schon mit Mitte Zwanzig wunderbar gegen die Wand fahren“, heißt es in Olga Grjasnowas zweitem Roman “Die juristische Unschärfe einer Ehe”, in dem Leyla ihr Leben buchstäblich an die Wand fährt, als sie bei einem illegalen Autorennen in Baku verhaftet werden soll.

Der Roman beginnt bei Kapitel „0“ in einer Gefängniszelle, um dann ganz vorne anzufangen und zu erzählen, wie Leyla in diese Schieflage geraten konnte.

Leyla ist Balletttänzerin und mit dem Arzt Altay verheiratet. Was in Aserbaidschan als Zweckehe begonnen hat – sie ist lesbisch und er schwul – ist irgendwann zu richtiger Liebe geworden, in der andere Beziehungen aber zugelassen oder sogar gewollt sind. Und weil man in Berlin offen homosexuell sein kann, leben die beiden in der deutschen Hauptstadt. Hier trifft Leyla auf die amerikanische Medienkünstlerin Jounon.

Wie auch schon das Debüt „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ der 1984 in Baku geborenen Autorin ist ihr neues Buch betont transnational und macht gleich mehrere Ebenen zugleich auf. Es geht um das korrupte, postsowjetische Baku, das homophobe Moskau, das sexuell befreite Berlin. Die Städte bilden die Achsen dieser Dreiecksgeschichte, in der Leyla, Altay und Jounon versuchen, sich eine Liebe zu teilen. Aber wie viel Liebe ist nötig, damit die polyamouröse Ehe klappt? Grjasnowa erzählt abwechselnd aus der Perspektive der einzelnen Figuren, trotzdem kommt man ihnen erstaunlich wenig nah. Das mag vielleicht auch an Sätzen wie: „Das Wegdenken der heteronormativen Werte bereitete ihr mehr Probleme, als sie zugeben mochte“ liegen, die zwar so sehr ins heutige Berlin passen mögen, auf einer Gefühlsebene dann aber nicht wirklich funktionieren. Zum Schluss scheinen dann doch nur die Eheleute Leyla und Altay übrig zu bleiben, die schon von Anfang an als Einheit aufgetreten sind. Und dann kommt da auch noch ein Kind und man weiß nicht: Ist das bitterböse Ironie oder romantischer Ernst?

Olga Grjasnowa: „Die juristische Unschärfe einer Ehe“
Hanser Verlag, 272 Seiten
20,50 Euro 

 

Sara Schausberger hat Germanistik studiert und arbeitet als Kulturjournalistin in Wien.

Wo sind die Dinos?

  • 26.03.2015, 08:36

Proton Riders, 17:00. In dem in 80er-Jahre-Zeichentrickstil gehaltenen Spiel „Ace Ferrara And The Dino Menace“ jagt man als der Praktikant Ace Ferrara in Sonnensystemen raumschifffliegende Dinosaurier, die die Menschheit bedrohen.

App-Rezension

Proton Riders, 17:00. In dem in 80er-Jahre-Zeichentrickstil gehaltenen Spiel „Ace Ferrara And The Dino Menace“ jagt man als der Praktikant Ace Ferrara in Sonnensystemen raumschifffliegende Dinosaurier, die die Menschheit bedrohen. Und das ist relativ einfach, denn die Steuerung verzichtet auf jeglichen Firlefanz. Dafür büßt sie eine dritte Dimension ein. Mit dem virtuellen Joystick geht es nur links oder rechts weiter. So einfach die Steuerung ist, so platt und deswegen lang wirkt die Story.

Eigentlich will man lieber mit der älteren Captain Rogers in den eindrucksvoll gemachten Galaxien Dinos jagen. Ihre Rolle beschränkt sich aber darauf, Anweisungen zu geben und sich in Weisheit/Fadheit zu üben. So muss man eben Fragen des Piloten Sneaky Jaques beantworten, z.B. wie „she“, das neue Schiff (sic!), so drauf ist. Da ärgert man sich, dass „Ace Ferrara“ kein Open-World-Spiel ist, in dem man Sneaky Jaques ein Glas Wasser ins Gesicht schütten kann. Stattdessen liest man Antworten wie: „She’s … powerful, I suppose? Maybe … Maybe a little bulky.“ Ähh?

Nicht nur die Dialoge machen es schwer, nicht einfach auf Skip zu drücken, sondern auch deren graphische Umsetzung. Da zittern die Buchstaben, Wörter oder Satzteile sind ohne erkennbare Struktur eingefärbt und Englisch ist die einzige Sprachoption. Englisch – kein Problem? Wenn Wörter wie „Counter-Impersonation“ oder „Xeno-Relations 201“ in fast jedem Satz auftauchen, denkt man anders.

Unterhaltsam sind die Retrospektiven auf Gewohnheiten des 21. Jahrhunderts. In „Ace Ferrara“ ist der Bus, der mit fossilen Brennstoffen betrieben wird, ein Absurdum. Ebenfalls unglaublich ist die Vorstellung, dass Dinosaurier, die erbitterten Feinde, mal für eben diese Busse verbrannt wurden.

Auch wenn die Storyline etwas hohl ist, hat der Wiener Philipp Seifried im Alleingang (!) einen technisch klugen und graphisch sauberen Weltraumshooter entwickelt. Mit kleinen Flugtricks wie Barrel Rolling oder Afterburner wird die Jagd im Miniversum am Handy zum ausgetüftelten Flugerlebnis.

Philipp Seifried: „Ace Ferrara And The Dino Menace“
iOS/Android
1,99 Euro

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

 

Aufklärung für Alle!

  • 26.03.2015, 08:36

Endlich! Ein nicht-heteronormatives Aufklärungsbuch für Menschen ab drei Jahren, aus dem auch Erwachsene noch einiges lernen können.

Endlich! Ein nicht-heteronormatives Aufklärungsbuch für Menschen ab drei Jahren, aus dem auch Erwachsene noch einiges lernen können. „Silverbergs nuancierte Darlegung von Reproduktion und Gestaltung kommt einer Offenbarung gleich“, sagt, laut Buchrücken, die sechsjährige Sophie über „Wie entsteht ein Baby“. Und Sophie hat so recht. Das Buch beschreibt, was es braucht, damit ein Baby entsteht: eine Eizelle und eine Samenzelle, die beide sehr viele Geschichten über den Körper, aus dem sie kommen, in sich tragen. Sie tanzen miteinander und tauschen sich aus, sodass sie am Ende ein eigenes Ding werden. Dann brauchen sie noch eine Gebärmutter, in der das Baby wachsen kann. Dabei kommt Sex Educator Cory Silverberg angenehmerweise ohne Geschlechterzuschreibungen aus, unterstützt wird er dabei von Fiona Smiths knallig bunten Illustrationen: „Nicht jeder Mensch hat eine Gebärmutter. Manche ja, manche nein.“ Es kann so einfach sein. Durch diese Reduzierung aufs Wesentliche wird Platz für Details gelassen, die jede Familie individuell für sich besprechen kann. Alle, denen dabei die Worte fehlen oder die sich Inspiration von Expert*innen holen wollen, können auf what-makes-a-baby.com einen Readers Guide (auf Englisch) herunterladen und sich von Silverberg Tipps für eine diverse Auseinandersetzung mit Reproduktion und Sexualität holen. Themen wie Sex/Gender, trans*/cis, Intersexualität, Behinderung und Race haben hier ebenso viel Platz wie sämtliche Reproduktionsmöglichkeiten: Samenspende, In-vitro-Fertilisation, Adoption, Leihmutterschaft und Geschlechtsverkehr.

Am Ende steht kein Abbild einer glücklichen heteronormativen Kleinfamilie, sondern die Frage: „Wer hat dabei geholfen, dass die Eizelle und die Samenzelle zusammenkamen, aus denen du entstanden bist? Wer war glücklich, dass ausgerechnet DU dabei entstanden bist?“

Cory Silverberg, Fiona Smyth: „Wie entsteht ein Baby? Ein Buch für jede Art von Familie und jede Art von Kind“
Mabuse-Verlag, 17 Seiten
16,90 Euro

 

Carla Heher studiert Volksschullehramt an der PH Wien.

 

Der Vaterror

  • 25.03.2015, 19:09

„Haunting“ ist wohl die beste Beschreibung für das Portrait des Vaters in Nina Bunjevac’ vor Kurzem erschienener Graphic Novel „Vaterland“; die deutschen Übersetzungen „beklemmend“ und „unvergesslich“ lassen die geister- und rätselhafte Komponente im Grinsen des serbischen Nationalisten vermissen.

In präzisen, kontrastreichen schwarz-weißen Bildern fährt Bunjevac die „Familiengeschichte zwischen Jugoslawien und Kanada“ nach und erzählt davon, was ihre Familie vom Balkan nach Nordamerika und zwei Mal wieder hin und zurück trieb. Und, wie ihr Vater zum dem Mann wurde, der im Ausland terroristische Anschläge auf jugoslawische Vertretungen und Tito-Sympathisant*innen durchführte.

Bei der einfühlsamen Nacherzählung ihrer Familiengeschichte vergisst Bunjevac nicht auf den politischen Kontext, aber auch nicht auf pointierte, makabere Spitzen. „Es lag etwas Böses und Kaltes in der Art, wie die Deutschen die Unerwünschten eliminierten. Mit so viel Leidenschaft, wie man braucht, um einen Dieselmotor zu perfektionieren“, zeichnet Bunjevac die systematische, industrielle Vernichtung der Juden während des zweiten Weltkrieges. „Im Gegensatz dazu widmete sich die Ustascha (kroatische Faschisten, Anm.) mit Herz und Seele ihrem praktischen Ansatz des systematischen Schlachtens.“ Bunjevac’ Graphic Novel ist hier, bei der Rekapitulation der Geschichte des Balkans, am stärksten und fetcheindrücklichsten. Selten wurden die historischen Verstrickungen so prägnant und verständlich auf den Punkt gebracht wie in den Rückblenden in „Vaterland“. Was unbeschreiblich und unüberblickbar scheint und an dessen Erklärung schon so viele Literat*innen und Publizist*innen gescheitert sind, wird in Bunjevac’ Buch zum Lehrstück, ohne jemals parteiisch zu werden. Und doch ist „Vaterland“ kein schwerer Familien- oder Historienepos, sondern ein feinfasriges Buch über das Private im Politischen.

Mit der Darstellung des Terrors (in diesem Fall übrigens die gerne „vergessene“ Ausformung des christlich-nationalistischen) trifft Bunjevac heute mit spitzem Stift einen Nerv und zeigt mit ihrer neuartigen Verarbeitung der Geschichte Jugoslawiens: Vielleicht ist die Graphic Novel ja die beste Form, den Landstrich, „der mehr Geschichte produziert, als er verarbeiten kann“, zu verhandeln.

Nina Bunjevac: „Vaterland“
avant-Verlag, 156 Seiten
24,95 Euro

 

Olja Alvir studiert Physik und Germanistik an der Universität Wien.

Geschichten von Verfolgung und Romantisierung

  • 24.02.2015, 18:44

Mit Antiziganismus lässt sich in Europa gut Politik betreiben – das illustrieren zahlreiche historische und zeitgenössische Beispiele. Aktuell beleuchten zwei Ausstellungen die ambivalente Geschichte einer Minderheit, die mit einer eigenartigen Mischung aus Verachtung und Faszination konfrontiert wird.

Mit Antiziganismus lässt sich in Europa gut Politik betreiben – das illustrieren zahlreiche historische und zeitgenössische Beispiele. Aktuell beleuchten zwei  Ausstellungen die ambivalente Geschichte einer Minderheit, die mit einer eigenartigen Mischung aus Verachtung und Faszination konfrontiert wird.

„Es ist eine Ausstellung über meine eigene Familiengeschichte, anhand der exemplarisch die Geschichte einer gesamten Minderheit vermittelt werden kann“, schildert die Künstlerin und Filmemacherin Marika Schmiedt das Anliegen der Ausstellung „Was bleibt. Fragmente einer fortwährenden Vergangenheit“, die aktuell im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes zu sehen ist. Sie thematisiert die Verfolgung und Vernichtung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus und beleuchtet deren Nachwirkungen auf die sogenannte zweite Generation.

Jahrelang hat Schmiedt die Geschichte ihrer Familie aufgearbeitet. Der Großteil ihrer Verwandten wurde, wie nahezu 90 Prozent aller österreichsichen Roma und Sinti, in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet. Aus unzähligen Archiven hat sie Fragmente zusammengetragen – Strafverfügungen, Häftlingskarten, Todesmeldungen und Sterbeurkunden, pseudowissenschaftliche Rassegutachten und Fotografien – und so die Biografien der Familien Berger, Horvath und Schmiedt, ihrer Ur- und Großeltern, Eltern und deren Geschwister rekonstruiert.

Die Ausstellung rückt die Geschichten einzelner Menschen in den Mittelpunkt und verleiht auf diese Weise der Verfolgungsgeschichte der Roma und Sinti, die in planmäßiger Vernichtung gipfelte, Gesichter und Namen. Ihr Untertitel weist jedoch unzweideutig darauf hin, dass die Feindschaft gegen Roma und Sinti mit der militärischen Niederlage des Nationalsozialismus keineswegs ein Ende fand. Schmiedts Familiengeschichte dokumentiert, mittels mitunter sehr persönlichen Zeugnissen, die Auswirkungen und Spätfolgen der Nazi-Verfolgung sowie die nach 1945 anhaltende Ausgrenzung der Überlebenden.

(c) DÖW

Gegen die Ortlosigkeit. Ein ganz ähnliches Anliegen verfolgt die Ausstellung „Romane Thana. Orte der Roma und Sinti“ im Wien Museum. „Die Ausstellung“, erläutert Andrea Härle, Geschäftsführerin des Romano Centro in ihrer Rede zur Ausstellungseröffnung, „ist ein wichtiger Schritt, um Roma und deren Geschichte den angemessenen Ort im kulturellen Gedächtnis zu verschaffen.“ Auch Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums, betont, dass die Ausstellung wichtig und eigentlich schon lange überfällig gewesen ist.

Im Fokus steht die Betrachtung alltäglicher Orte, gerade weil das antiziganistische Zerrbild Roma und Sinti als eine heimatlose Gruppe imaginiert. Die Ortlosigkeit ist eines der zentralen, seit Jahrhunderten überlieferten Stereotype. Um gegen solche Klischees anzugehen, wurde das Ausstellungsprojekt in Kooperation mit dem Romano Centro, der Initiative Minderheiten und dem Landesmuseum Burgenland realisiert.
„Wie viel wir mit der Ausstellung verändern“, erzählt der in Floridsdorf aufgewachsene Musiker und Mitgestalter Willi Horvath, „ist mir noch nicht klar.“ So viel kann jedoch jetzt schon gesagt werden: Die Ausstellung zeichnet mit ihren vielfältigen Einblicken in die Lebenssituationen von Roma und Sinti in Österreich ein differenziertes Bild. Zusätzlich zur Präsentation historischer Dokumente aus dem 18. bis 20. Jahrhundert setzen elf Personen aus den Roma- und Sinti-Communities den klischeebeladenen Außenbildern notwendige andere Perspektiven entgegen. In dieser Ausstellung kommen Roma und Sinti selbst zu Wort. Es ist ein Ort, an dem sie ihre eigene Geschichte erzählen und einen Prozess der Aushandlung über die Geschichte durch Roma und Nicht-Roma in Gang setzen.

„Was bleibt. Fragmente einer fortwährenden Vergangenheit“
Kuratorin: Marika Schmiedt
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien
bis 12. März 2015

„Romane Thana. Orte der Roma und Sinti“
Kurator_innen: Andrea Härle (Romano Centro), Cornelia Kogoj (Initiative Minderheiten), Werner Michael Schwarz (Wien Museum), Susanne Winkler (Wien Museum) und Michael Weese (Landesmuseum Burgenland)
Wien Museum, Wien
bis 17. Mai 2015

 

Tobias Neuburger ist Doktorand an der Universität Innsbruck und promoviert mit einer Arbeit über Aufführungen des Antiziganismus um 1900.

Listen to Leena – White Elephants

  • 28.10.2014, 02:07

Zwei Mal hingehört.

Zwei Mal hingehört

Kati: Weiße Elefanten gibt´s ja bekanntlich nicht. Und falls doch, dann nur als vage Erinnerung. Mit diesen Worten – „I am a vague memory“ – beginnt das Debütalbum der fünf jungen Musiker*innen. Sängerin Lucia gibt den weißen Elefanten – mit dem wesentlichen Unterschied, dass am Ende ein klarer Eindruck statt bloß vager Erinnerung bleibt: ruhiges, jazziges Singer-Songwriting mit gelegentlichem Popeinschlag. Meist wird auf Deutsch, manchmal auf Englisch, Gedankenfetzen aneinanderreihend vor sich hin assoziiert. Über allem die klare Stimme der Frontfrau. In den experimentellen Momenten erinnert das an den guten Willi Landl, in den feministischen an Mika Vember. Listen to Leena schreibt aber durchaus seinen eigenen Beitrag zur österreichischen Musikgeschichte. Hörens- und sehenswert. Zweiteres ist bei einem der Konzerte der aktuellen Tour möglich.

Katja: Achtung, Jazz! Die österreichische Formation mit dem interessanten Namen Listen to Leena hat ein Debutalbum aufgenommen und zeigt uns, dass Jazz nicht unbedingt ein angestaubtes Altherren-Genre sein muss. Frontfrau Lucia Leena, ihre vier Begleiter und ihre Musik sind mal fragil-lyrisch und mal kraftvoll-instrumental, manchmal auch beides in einem Stück. Die Songs sind zu fast gleichen Teilen auf Deutsch und auf Englisch. Modernes Singing-Songwriting trifft auf technische Raffinesse der Musiker und –in, die so alteingesessene Instrumente wie das Flügelhorn oder die Posaune spielen, aber auch Melodica, Toy Piano und Klingelings verwenden.

Katja Krüger und Kati Hellwagner studieren Gender Studies und Politikwissenschaften an der Uni Wien.

Alt-J This is all yours

  • 28.10.2014, 02:01

Zwei Mal hingehört

Zwei Mal hingehört

Kati: Stilistisch und thematisch schließen die drei Briten von . „This Is All Yours“ nahtlos an ihren Erstling an – Intros und Interludes, Kombination aus Gitarren, Synthies und schwarzem Chorbubenhumor. Mit „Love is the warmest colour“ (in „Nara“) oder einer Begehrenserklärung klärung der brachialen Art („Every Other Freckle“) zwischenmenschelt es auch hier. Vielleicht nicht unbedingt innovativ – aber ein verdammt guter Herbst-Soundtrack: als Begleitung auf Spaziergängen durch sonnenbeschienenes, leicht vermodertes Herbstlaub oder im Duett mit Regentropfen, die gegen die Straßenbahnscheiben schlagen. Ein Album, das abwechselnd Melancholie und Glückseligkeit produziert und schließlich wie ein heißer Kakao mit viel Rum wirkt. Und für Leute, die das Herbstgedöns nicht mehr hören können: „Left Hand Free“ sage ich eine Zukunft in der Sommerhandywerbung voraus.

Katja: Die schwierige zweite Platte: Viele Bands sind schon an dieser Aufgabe gescheitert. Je erfolgreicher das Debüt, desto tiefer kann der Fall des Nachfolgers werden. alt-J stellten sich dieser Herausforderung und verloren zwischendurch zwar einen Drummer aus dem Bandgefüge, hatten sich aber gut genug im Griff, um nach der Welttour zu „An Awesome Wave“ bald genug neue Songs zu schreiben. Auf „This is All Yours“ kann man sich nun davon überzeigen, dass alt-J gekommen sind, um zu bleiben. Wer sich nach einer Tastenkombination auf dem Mac benennt, handelt sich schnell einen Ruf als One-Hit-Hipster-Wonder ein, doch sind Fans und KritikerInnen längst davon überzeugt, dass in den Engländern Talent steckt. Ein wenig gebrochen und experimentell können die Tracks sein, aber auch straighte Nummern sind dabei. Hier ein einminütiges Panflötenstück, da ein Miley-Cyrus-Sample. Es empfiehlt sich, weniger mit dem Kopf und eher mit dem Herzen hinzuhören.

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