Rezension

Venceremos! Kubanische Wochenschauen – frisch restauriert

  • 19.11.2016, 21:27
Die Viennale zeigte im Rahmen eines mehrteiligen Spezialprogramms kubanische Wochenschauen von 1960-1970.

Die Viennale zeigte im Rahmen eines mehrteiligen Spezialprogramms kubanische Wochenschauen von 1960-1970.

Die von Maria Giovanna Vagenas kuratierte Spezialprogramm „Das rebellische Bild“ machte eine Auswahl kubanischer „Noticieros“, die in den Jahren nach der Revolution in kubanischen Kinos vor dem Hauptfilm zu sehen waren, erstmals einem internationalen Publikum zugänglich. Es handelt sich dabei um filmische Dokumente von großer zeithistorischer Relevanz, die erst kürzlich aufwendig restauriert und damit dem Verschwinden aus dem audiovisuellen Gedächtnis entrissen wurden.

Nach der Flucht des von CIA und US-amerikanischen Mafiosi unterstützten Diktators Fulgencio Batista 1959 war die Gründung des Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematográficos (ICAIC) eines der ersten großen kulturpolitischen Projekte der neuen sozialistischen Regierung. Ab 1960 wurden dann die „Noticieros“ produziert, die sich aus jeweils mehreren Beiträgen unterschiedlicher Länge zusammensetzen und mit dem Zeitgeschehen in Kuba und darüber hinaus befassen.

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Kontinuierlich thematisiert werden etwa der Vietnamkrieg, Rassismus in den USA und die Bürgerrechtsbewegung. Auch die Entstehung des Che Guevara Mythos wird anhand der Wochenschauen nachverfolgbar. Freilich sind die Noticieros nicht gerade arm an repräsentativen Skurrilitäten: Fidel Castro bei der Entenjagd mit Nikita Chruschtschow oder bei der Zuckerrohrernte gemeinsam mit den vietnamesischen GenossInnen. Der zum Gegenbesuch gesandte kubanische Repräsentant sitzt wiederum inm Socken auf dem Boden in Ho Chi Mhins Haus, während letzterer gemütlich in einem Couchsessel weilt und wohlwollend auf den kubanischen Genossen herabblickt.

Die Noticieros sind sowohl in zeitgeschichtlicher Hinsicht als auch was ihre Formsprache und den Einsatz von Musik betrifft sehenswert. Für damalige Verhältnisse schnell geschnitten und mit Grafiken, Animationen und ungewöhnlichen Kameraperspektiven arbeitend, sind sie mit heutigen Sehgewohnheiten überraschend kompatibel. Für das kubanische Publikum der 1960er Jahre waren die Noticieros eine der wenigen Gelegenheiten, englischsprachige Popmusik zu hören, mit der insbesondere Beiträge über progressive politische Bewegungen in den USA untermalt wurden. Im kubanischen Radio wurde damals keine englischsprachige Musik gespielt, was dazu führte, dass der Soundtrack zum westlichen 1968 den KubanerInnen nicht durch Radio und Fernsehen sondern über den Umweg der Kinowochenschauen zugänglich gemacht wurde.

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Erst 1990 endete die Produktion „Noticieros“ angesichts der Krise der realsozialistischen Staaten – nicht zuletzt der Sowjetunion –, die das seit Jahrzehnten mit scharfen US-Sanktionen konfrontierte Kuba ökonomisch besonders hart traf. Fast 20 Jahre später wurden die Noticieros als Nationalerbe Kubas in die Liste des UNESCO Weltdokumentenerbe eingetragen. Diese 2009 getroffene Entscheidung trug sicher dazu bei, dass sich das französische Institut National de l'audiovisuel des sich bereits in sehr schlechtem Zustand befindlichen Archivmaterials annahm und die Bestände in Kooperation mit dem Kubanischen Filminstitut digital zu restaurieren begann. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen – zumindest die Jahrgänge 1960 bis 1970 konnten aber auf der diesjährigen Viennale dank der hochwertigen Restaurierung in High Definition gezeigt werden.

Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien.

Viel Klon um nichts

  • 05.10.2016, 13:47
Kleinkriminelle Waisin findet heraus, dass sie eine von mehreren Klonen ist, tut sich mit den anderen zusammen und macht sich auf, ihren „Schöpfer_innen“ und heimlichen Aufseher_innen in den Hintern zu treten.

Kleinkriminelle Waisin findet heraus, dass sie eine von mehreren Klonen ist, tut sich mit den anderen zusammen und macht sich auf, ihren „Schöpfer_innen“ und heimlichen Aufseher_innen in den Hintern zu treten. Die Details der Story sind wesentlich komplizierter, aber das spielt keine große Rolle: Weder für die Frage, ob die Zuschauer_innen sich in die Serie verlieben (das steht und fällt nämlich mit den hinreißenden Klonen) – noch in Hinblick auf den Comic. Selbiger hat einfach zu wenig Seiten, um sich in Details zu ergehen – dabei ist es genau das, was er verspricht: Mehr Hintergründe zur geliebten Serie sollte er liefern.

Aufgeteilt in fünf Kapitel, eins für jede der Hauptklone, Sarah, Helena, Alison, Cosima und Rachel, liegt die Annahme nah, dass jedes Kapitel einen Strang aus dem Leben der jeweiligen Frau näher beleuchtet, der in der Serie zu kurz kam. Statt sich auf dieses Ziel zu konzentrieren, bemüht sich der Comic jedoch gleichzeitig, die erste Staffel zusammenzufassen. Er scheitert an beiden Zielen. Wer die Serie nicht gesehen hat, wird mit dem Comic überfordert sein, den Plot nicht nachvollziehen können und sich nicht in die Charaktere verlieben, die unerträglich flach bleiben. Wer hingegen bereits Fan ist, wird sich mit dem Comic langweilen und sich die Frage stellen, warum 99 Prozent des Inhalts nur wiederkäuen, was bereits bekannt war. Allein in Rachels Kapitel ist ein Teil ihrer Kindheit zu sehen, der in der Serie kürzer dargestellt wurde, neue Einsichten ergeben sich daraus aber nicht. Zudem hat es einen schalen Beigeschmack, wenn aus einer dermaßen queeren Fernsehserie ein Comic hervorgeht, in dem auf mehrere Hetensexszenen sage und schreibe ein lesbischer Kuss kommt – und Obertucke Felix nicht als queer zu erkennen ist.

Auch der Zeichenstil vermag es nicht, zu überzeugen. Wann immer Bilder aus der Serie direkt „geklont“ wurden – es wurde vermutlich direkt über Screenshots gemalt – sind die Charaktere mitunter atemberaubend gut zu erkennen, die Bildkomposition beeindruckend. Sobald die Künstler_innen jedoch frei zeichnen mussten, wird es sogar schwer, die einzelnen Personen auseinander zu halten. Die am Ende des Bandes angehängten Variant-Cover verschiedener Zeichner_innen sind vielfältig und würden wunderschöne Poster ergeben, doch als einzig wirklich innovativer Teil des Comics sind sie einfach den Kaufpreis nicht wert.

Der einzige Hoffnungsschimmer ist der zweite Band: „Helsinki“. Er soll vor allem die Geschehnisse in Finnland erläutern, die in der Serie bis einschließlich Staffel drei nur angedeutet wurden und erst in Staffel vier ansatzweise ans Licht kommen. Damit würde der Comic wirkliche Lücken füllen, was Band eins mit dem bisschen Extrainformationen pro Klon wahrlich nicht halten konnte. Leider ist dieser zweite Sammelband, obwohl bereits im März 2016 in den USA erschienen, erst im Oktober auf Deutsch zu bekommen.

Die vierte Staffel der Fernsehserie gibt es seit dem 6. August auch im deutschsprachigen Netflix, die fünfte und letzte Staffel wird 2017 in den USA anlaufen.

Non Chérie macht queeren Krempel, feministisches Gedöns und stolpert mitunter versehentlich auf dem Campus der Uni Wien umher.
 

„Hinfort mit den Serienstereotypen, her mit den Klonen“

  • 05.10.2016, 13:37
Teilzeitkleinkriminelle Waise aus armen Verhältnissen findet zufällig heraus, dass sie unzählige Klone hat …

Teilzeitkleinkriminelle Waise aus armen Verhältnissen findet zufällig heraus, dass sie unzählige Klone hat, tut sich mit ihnen zusammen und kämpft gegen jene, die sie geklont haben und deren finstere Machenschaften. Gut, das klingt nicht annähernd so spannend und komplex, wie die Serie tatsächlich ist – doch ihr werdet Orphan Black eh nicht wegen des Plots schauen.

Es ist der Klon-Club, also ihre verschiedenen Klone, die Protagonistin Sarah Manning nach und nach kennenlernt, die euch das Herz rauben werden. Schon Alison, die Soccer-Mum mit Vorliebe für Basteln, Geschenkeverpacken, Drogendealen und Mord, hat mehr Witz und Finesse als alle Staffeln Breaking Bad zusammen. Zudem kommt jede Menge Queeres: Nicht nur sind einige Hauptcharaktere lesbisch, bi, schwul, trans* und intergeschlechtlich, darunter auch Klone, nein, vor allem bricht die Seriengestaltung grandios mit Traditionen. Andauernd sprechen Frauen, die ebenso Hintergründe wie eigene Handlungsstränge haben, miteinander – und definitiv über etwas anderes als Männer. Männliche Charaktere hingegen haben nahezu ausnahmslos Nebenrollen, die die Protagonistinnen und deren Plot unterstützen (Bösewichte ausgenommen).

Und das fetzt. So richtig. Die Klone machen einfach Spaß. Sie können ihr ganzes Potential entfalten, weil sie nicht, wie es sonst in Serien passiert, durch irgendwelche Typen, deren Plot vorangetrieben werden muss, ausgebremst werden. Alle werden von Tatiana Maslany dargestellt, die derart überzeugend spielt, dass sie nicht mal Perücken und Accessoires bräuchte, um die Klone trennscharf voneinander abzugrenzen.

Eine weitere auffallende Besonderheit der Serie ist, dass es nicht ständig Vorwände gibt, um die Protagonistinnen nackt zu zeigen – dafür sind es öfters mal Männer, die in Dusch- und Umkleideszenen Haut zeigen. Allen voran Schnuckel Felix, Sarahs Adoptiv-Bruder, Künstler (was sonst), Make-Up-Fan und Vollzeit-Tunte. Nicht nur seine Outfits, sein Witz und sein Charme bereichern die Serie ungemein – dass er auch keine Berührungsängste gegenüber einem trans* Mann hat, ist im Mainstream-TV vermutlich einmalig.

Ein großer Makel der Serie: Sie ist weißer als Magerquark. Nicht-weiße Charaktere gibt es allein in Nebenrollen. Durchgehend dabei ist allein ein Schwarzer Cop – also genau die eine Schwarze Rolle, die gerade bei so vielen Serien neben einem ansonsten komplett weißen Cast steht.

Die vierte Staffel der Fernsehserie gibt es seit dem 6. August auch im deutschsprachigen Netflix, die fünfte und letzte Staffel wird 2017 in den USA anlaufen.

 

Non Chérie studiert mitunter versehentlich in Wien und macht sonst so queeren Kram und trans*aktivistisches Gedöns.

The cake is a lie

  • 30.09.2016, 16:30
Wachsende Zensur, Ausheblung von Menschenrechten - Die Staaten der Welt werden repressiver und begründen diese Maßnahmen mit der wachsenden Gefahr durch Terroranschläge. Irgendwann gibt es keine Unschuldsvermutung mehr. Zeit zu handeln und in der Zeit zurückzureisen!

Wachsende Zensur, Ausheblung von Menschenrechten - Die Staaten der Welt werden repressiver und begründen diese Maßnahmen mit der wachsenden Gefahr durch Terroranschläge. Irgendwann gibt es keine Unschuldsvermutung mehr. Zeit zu handeln und in der Zeit zurückzureisen!

Der Hacker Ho Zhing entwickelte ein Programm, das es erlaubt, mittels Internet durch die Zeit zu reisen. Einzige Voraussetzung dafür ist, dass das Internet zu der Zeit, in die gereist werden soll, bereits existiert haben muss. Denn: Das Internet vergisst nie, und durch eine physische Verbindung zwischen Mensch und Internet, wie es sie vor allem in den nächsten Jahrzehnten geben wird, kann der menschliche Körper Zeitsprünge auslösen.

So handelt „No Borders“ von verschiedenen Grenzen, die nicht mehr vorhanden sind oder sein werden: Die Möglichkeiten der totalen Überwachung der Bevölkerung durch Staaten, ebenso wie die unmittelbare Möglichkeit durch die Zeit zu reisen. Es kreuzen sich die Wege der Bloggerin Kat, dem Hacker Ho Zhing und der Geheimdienstmitarbeiterin Jill Edwards, die ursprünglich in unterschiedlichen Zeit-Strängen leben.

Namensgebend für das Buch ist die Organisation „No Borders“, welche sich gegen Zensur und staatliche Überwachung einsetzt. Und auch wenn beim Lesen stets der Demo-Sprech-Gesang „No Border, No Nation, Stop Deportation!“ im Kopf halt, ist die Öffnung von staatlichen Grenzen trotz der gedanklichen Nähe kein Haupt-Thema im Buch. Stattdessen stehen Zeitreise und Vorgehen gegen Internetzensur und Überwachung im Vordergrund. Im Bezug darauf findet das Buch leicht zugängliche Antworten für diejenigen, die auf staatliche Überwachungs-Maßnahmen stets mit „Ich habe ja nichts zu verbergen“ antworten.

Etwas eindimensional ist leider, dass China als Projektionsfläche für den Überwachungsstaat und die NSA als der überwachende Geheimdienst schlechthin herhalten müssen. Auch die Hetero-Sex-Szenen sind eher überflüssigen, wohingegen die Anspielungen auf Computerspiele, Filme und Serien, die in jedem zweiten Bild zu finden sind, sehr viel Spaß bereiten.

Mit Bonus-Inhalten im Internet lässt „No Borders“ die Leser*innen weitere Informationen entdecken. Zusätzliche Entwürfe und Skizzen, sowie Hintergründe zum Autoren und der Zeichnerin des Buches geben Einblicke in den Entstehungsprozess und die Arbeit hinter dem kurzweiligen Buch (TeMels Arbeitszeit pro gezeichneter Seite beträgt beispielsweise 15-25 Stunden). Auch lassen sich hier Hintergrundinformationen über die Charaktere und weiteres Material zu den im Buch angesprochenen Themen finden. An die Bonus-Inhalte gelangen die Leser*innen mittels Passwörtern, die sich im Buch verbergen.

Am Ende der Geschichte wird aus diesen spielerischen und unterhaltsamen Aspekten Ernst, denn es bleibt die Frage im Raum: Was kannst DU tun, um staatlicher Überwachung, Zensur und Repression Einhalt zu gebieten, ehe es zu spät ist?

Clara van Dyke ist eigentlich kein Fan von Zeitreise-Episoden, jedoch leidenschaftliche Serien-schauerin und so hofft sie auf viel Gesellschafts-Kritik, aber wenig Zeitreise-Folgen in der neuen „Star Trek“-Serie, welche Anfang 2017 erscheinen wird.

Die Serie zum Pferdestehlen

  • 02.09.2016, 19:17
Vergesst Mad Men, Breaking Bad und Game of Thrones. Das wahre Juwel unter den Serien ist eine animierte Trickfilmserie mit Menschen und anthropomorphen Tieren gleichermaßen.

[Dieser Text enthält im dritten Absatz unzählige Spoiler]
Vergesst Mad Men, Breaking Bad und Game of Thrones. Das wahre Juwel unter den Serien ist eine animierte Trickfilmserie mit Menschen und anthropomorphen Tieren gleichermaßen.

Ihr Held ist ein Pferd, BoJack Horseman, der in den 90ern eine erfolgreiche Sitcom hatte und nun, 20 Jahre später, immer noch verklärt nostalgisch auf diese Zeit zurückblickt. So begann BoJack Horseman 2014 –seit Ende Juni gibt es die mittlerweile dritte Staffel auf Netflix zu sehen und auch wenn es unwahrscheinlich klingt: Es ist die beste Serie der Welt.

Schon lange zeichnet sich ein Comeback der Zeichentrickserien für Erwachsene ab. Lange gab es nur die Simpsons, aber mit South Park, Bob’s Burgers und Family Guy wurden die Möglichkeiten dieses Unterhaltungssektors nach und nach ausgeforscht. Der Humor dieser Serien wurde im Laufe der Zeit aber bald platt und teilweise sogar ärgerlich, als hätten die Macher*innen versucht, so politically incorrect wie möglich zu sein. Auch BoJack Horseman enthält am Anfang nur wenig jugendfreie Szenen, denn BoJacks Leben in Hollywoo (so heißt Hollywood in der Serie) dreht sich vor allem ’Drogen, Alkohol und Sex. Er möchte seine Karriere wieder in Schwung bringen, scheitert aber regelmäßig daran, für sein eigenes Frühstück verantwortlich zu sein. Durch seine Biografie, geschrieben von Ghostwriterin Diane Nguyen, ist sein Name in Staffel 1 wieder etwas wert. Durch eine ernste Rolle in einem ernsten Film wird in Staffel 2 auch sein Gesicht wieder in die kollektive Erinnerung Hollywoos gerufen. Nun geht es in der dritten Staffel vorrangig um einen möglichen Oscar für ihn.

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Nebenbei passieren die wirklich wichtigen, tagesaktuellen, schmerzhaft ehrlichen und herzzerfetzenden Stories. BoJacks Mitbewohner Todd muss sich gegenüber seinem Highschool Crush Emily als asexuell outen, seine Agentin Princess Carolyn scheint endlich emotional in einer Beziehung angekommen zu sein, bevor sie erkennt, dass sie sich doch wieder in die Arbeit stürzen sollte und eine Karriere als Managerin angeht. Besagte Ghostwriterin Diane und ihr Mann Mister Peanutbutter (ein sehr friedfertiger und lebensfroher Labrador) begegnen in ihrer Ehe immer neuen Problemen und entscheiden sich mitten in der Staffel sogar für eine Abtreibung. Alle Nebencharaktere durchleben ihre kleinen und großen Krisen in einer enormen Geschwindigkeit, denn jede Episode dauert weniger als eine halbe Stunde. Jede Szene ist gespickt mit Hintergrund- und Vordergrundwitz, intertextuellen Zitaten, bildlichen und metaphorischen Vorahnungen oder Rückblenden. Die Serie ist eine einzige vielschichtige Medienkritik, die dennoch an Humor und Emotionen absolut nichts vermissen lässt.

Kritiker*innen bemerken immer wieder, dass BoJack Horseman als Serie und Charakter eine sehr akkurate Darstellung von Depression auszeichnet. Direkt thematisiert wird dies aber nie. BoJack trinkt sehr viel und ist oft erzürnt über alles Mögliche, aber am ehesten ist er doch antriebslos, unmotiviert und desillusioniert. Warum man sich so sehr mit einem Pferd verbunden fühlt, das in den 90ern eine erfolgreiche Fernsehserie hatte und bis heute davon zehren könnte, aber von Grund auf unzufrieden mit sich ist? Vielleicht weil wir alle manchmal denken, dass der Höhepunkt unseres Lebens und Schaffens schon hinter uns liegt und wir deswegen ein bisschen sauer sind? Weil man beim Anschauen der Nachrichten eigentlich merkt, wie unwichtig das eigene Leben ist und dass sich alles im Kreis dreht?

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BoJack muss am Ende einsehen, dass ein potentieller Oscar ihn auch nicht glücklich machen würde. Er hangelt sich von Strohhalm zu Strohhalm und wird immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Seine Suche nach einer einfachen Lösung für einfach Alles verpufft durch ein simples „Then what?“ – er weiß es nicht. Man weiß beim Zusehen auch nicht, ob man Bojack lieber umarmen oder ohrfeigen möchte. Aber das weiß man bei sich selbst ja meistens auch nicht.

Die dritte Staffel streamt seit 22. Juli 2016 auf Netflix. Die erste und zweite Staffel ebenso.

 

Katja Krüger-Schöller reitet gern und studiert Gender Studies.

Fans of Thrones

  • 18.06.2016, 15:32
SPOILERS – The Game of Fans. Nie mehr „Wenn du das nicht machst, sag ich dir wie es bei Game of Thrones weitergeht“. – das Wissensmonopol der Bücherkenner_innen wurde mit der neuen Staffel ausgehebelt.

SPOILERS – The Game of Fans. Nie mehr „Wenn du das nicht machst, sag ich dir wie es bei Game of Thrones weitergeht“. – das Wissensmonopol der Bücherkenner_innen wurde mit der neuen Staffel ausgehebelt.

Am 24. April startete die sechste Staffel Game of Thrones des amerikanischen Privatsenders HBO. Die fantastische Actionserie zeichnet sich nicht nur durch ihre hohen Produktionskosten aus – ca. zehn Millionen Dollar pro Folge, sondern punktet besonders mit einer hypnotisierenden Mischung aus Drama, Sex und Gewalt. Dabei steht sie der Romanvorlage des amerikanischen Autors Georg R.R. Martin um nichts nach, doch die um sich greifende Popularität der Serie hat die Reichweite der Bücher bei weitem überholt. Die visuelle Adaption des Textmaterials schockiert und fesselt wöchentlich Millionen von Menschen an die Empfangsgeräte. Doch die Romanreihe wurde mit der nun angelaufenen sechsten Staffel eingeholt. Fans der Bücher beschwören den schwergewichtigen Autor deshalb schneller zu arbeiten und einen gesünderen Lebensweg einzuschlagen, um nicht vor Beendigung der Romanreihe, wie viele seiner Charaktere, einen plötzlichen Tod zu erleiden. Ein Vorschlag, dem der Autor und notorische Mörder seiner (Haupt)Charaktere mit einem „Fuck you to those people“ begegnete.

Trotzdem stellt sich für eingefleischte Fans eine Frage: Inwieweit ist die neueste Staffel der Buchreihe treu? Obwohl die Serienschöpfer David Benioff und Daniel B. Weiss von G.R.R. Martin in ihrem weiteren Vorgehen beraten werden, zweifeln viele Fans der Buchreihe die Authentizität der Storyline in der Serie an. Ohne die Buchvorlage zu kennen geht somit für viele der Reiz an der Serie verloren. Nicht umsonst existieren im Internet zahlreiche „reaction videos“, in denen wissende BücherleserInnen schockierte Serienfans filmen, wenn wieder einmal überraschend ein Charakter geköpft, vergiftet oder kastriert wird. Obwohl die Serie auch schon in den letzten Staffeln von der Romanvorlage abgewichen ist, scheint dieses Wissen einen besonderen Reiz auszumachen. Das Wissen der Bücherfans wird dabei zum Joker. Ist eine Handlung verändert oder ein Charakter in der Serie umgedeutet, erkennen dies die Fans und können so mit ihren Bücherfakten punkten. Ganz zu schweigen von der Machtposition die mit dem Ausspruch „SPOILERS“ einhergeht. Mit der neuen Staffel der Serie geht dieser Spaß verloren.

Alena Brunner studiert im Masterstudiengang CREOLE an der Universität Wien.

Reise in unendliche Langeweilen

  • 18.06.2016, 15:26
T.I.M.E Stories verspricht schon im Vorfeld viel, hat tolle Illustrationen und ein schnittiges Imagevideo.

T.I.M.E Stories verspricht schon im Vorfeld viel, hat tolle Illustrationen und ein schnittiges Imagevideo. Der Karton ist weiß und wertig, clean designed wie ein neues Apple-Produkt. Ein Jackpot für Unboxing-Enthusiast_ innen und Leute, die sich gerne dekorative Dinge ins Regal stellen. Auch die Grundidee klingt ziemlich cool: Wir sind AlienAgent_ innen und können im Rahmen einer kooperativen Mission in verschiedene Wirtskörper und somit Rollen schlüpfen. Bei dem Szenario „Hinter der Maske“ in einem irgendwie historischen, ägyptischen Setting fühlt es sich zudem an, wie eine wilde Kolonialisierungsphantasie. Der Premiumpreis von rund 45 Euro für das Basis-Spiel mit einem einzigen Szenario und 25 Euro für jede neue Geschichte, bisher gibt es drei, ist stattlich. Da jedes Szenario nur einmal gespielt werden kann, sollte diese Zeitreise das Erlebnis unseres Lebens werden. Oder zumindest aufregender als das Schälchen mit Wasabinüssen auf dem Tisch.

Durch lange Rollenspiel-Sessions fühlte ich mich recht gut vorbereitet, als es hieß, das getestete Szenario könnte etwas länger dauern: Ich war gespannt auf den erzählerischen Part. Es sollte sich jedoch herausstellen, dass jede langatmige „DSA“ Regelwerksdiskussion ein Spaziergang gegen diese Zeitreise ist. Die Charaktere im Spiel bleiben flach und leblos: Möglichkeiten, sie selbst in-Game zu entwickeln oder wirklich einzubeziehen, gibt es keine. Nach einer oder wenigen Runden muss ein neuer Wirt besetzt werden, schnell fährt sich das Spielprinzip fest: Karten werden umgedreht und ausgelegt, die Mission beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass wir uns merken und darüber diskutieren, was auf diesen Karten stand. So entwickeln wir sukzessive das Szenario und decken eine Landkarte auf. Einmal lesen wir eine Beschriftung nicht richtig. Das kostet uns zwei Stunden und zahllose Wiederholungen. Wenn der Weg das Ziel sein soll, ist das Ziel also in der ewigen Wiederkunft des Gleichen zu suchen. Nach etwa sechs Stunden setzt dann auch eine Art Zeitreise-Flow ein. Alles wird irgendwie nebensächlich außer dem Drang, endlich die Lösung zu finden, um ins Bett gehen zu können. Vielleicht haben wir uns die „aufregenden Geschichten und Abenteuer in verschiedenen Welten“ einfach nicht genug vorgestellt. Zurück bleibt das Gefühl, ein ausgesaugter Wirtskorpus zu sein.

T.I.M.E Stories
http://www.spacecowboys.fr/time-stories
Von Manuel Rozoy, Illustrationen von Benjamin Carré, David Lecossu und Pascal Quidault.
Ab 12 Jahren.
Spieldauer: ca. 90 Minuten

Anne Pohl arbeitet für einen Abgeordneten in Berlin und hat das Spieleblog herzteile.org mitgegründet.

Dwarf Fortress trifft Firefly

  • 18.06.2016, 15:15
Der vom Kultspiel Dwarf Fortress inspirierte Builder Rimworld überträgt Spieler*innen die Aufsicht über eine kleine Weltraumkolonie in einer atmosphärischen Sci-Fi-Western-Welt.

Der vom Kultspiel Dwarf Fortress inspirierte Builder Rimworld überträgt Spieler*innen die Aufsicht über eine kleine Weltraumkolonie in einer atmosphärischen Sci-Fi-Western-Welt. Es gilt, eine Gruppe Gestrandeter dabei zu unterstützen, in einer feindlichen Umgebung eine florierende Kolonie aufzubauen. Aus wenigen Anfangsmaterialien müssen die Bewohner*innen eine Basis errichten, Nahrungsmittel beschaffen und sich gegen wilde Tiere und feindliche Nachbar*innen verteidigen. Die an die Fernsehserie Firefly angelehnte Ästhetik von Rimworld kann mit wechselnden Wetterbedingungen und einem Tag-Nacht-Wechsel aufwarten, die sich auf das Spielgeschehen auswirken. Ein Gewitter kann schon einmal einen Kurzschluss auslösen und die Stromversorgung lahmlegen, und in heißen Umgebungen macht die Hitze den Kolonist*innen zu schaffen. Verschiedene Tiere können gejagt oder gezähmt werden.

Aber nicht nur die Umgebung ist detailliert simuliert, jeder Charakter weist ein individuelles Set von Eigenschaften auf. Darunter fallen nicht nur die verschiedenen Talente und Fähigkeiten, sondern auch Charakterzüge, Krankheiten und Verletzungen. So kann eine Bewohnerin beispielsweise eine talentierte Technikerin sein, aber durch eine Rückenverletzung in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt werden. Obwohl sich das Spiel erst in einer späten Alpha befindet, gibt es bereits eine aktive Modding-Community. Das kleine kanadische Ludeon Studio weiß um die Wichtigkeit von Mod-Unterstützung, die einem Projekt dieser Art Leben einhaucht.

Rimworld ist eine Sandbox, die der Kreativität und Fantasie der Spieler*innen bedarf. Mithilfe der Mods ist es möglich, das Spiel schwieriger zu machen, neue Gegenstände und Akteur*innen in die Welt einzuführen und sogar neue Spielmechaniken zu implementieren. Jede neue Alpha integriert neue Features in das schon jetzt abwechslungsreiche Spiel. Bei der gerade erschienenen Alpha 13 wurde etwa die Simulation der sozialen Beziehungen unter den Kolonist*innen vertieft, ein Permadeath-Modus eingeführt, der das Laden eines früheren Spielstands verunmöglicht, und eine Vielzahl neuer Tiere und Insekten bevölkern die detaillierte Welt, in der sich ein Besuch für Freund*innen des Genres auf jeden Fall lohnt.

Ludeon Studio: Rimworld
Einzelspieler*innen,
Windows, Mac und Linux ab 30 Dollar

Simon Sailer studierte Philosophie an der Uni Wien sowie Art & Science an der Universität für angewandte Kunst.

50 Cats, 1 App

  • 18.06.2016, 15:06
Das Spiel Neko Atsume, was übersetzt in etwa Hinterhofkatze heißt, gibt es schon längere Zeit für den japanischen Markt und wurde vor einiger Zeit auch auf Englisch veröffentlicht.

Das Spiel Neko Atsume, was übersetzt in etwa Hinterhofkatze heißt, gibt es schon längere Zeit für den japanischen Markt und wurde vor einiger Zeit auch auf Englisch veröffentlicht. Auf den ersten Blick ist es das langweiligste Spiel der Welt: Man sieht auf dem Screen einen wirklich schlecht gezeichneten Hinterhof, wie mit Paint erstellt, und hat nur eine Möglichkeit, das Spiel zu beginnen: Essen und Spielzeug für Katzen kaufen, die dadurch angelockt werden. Danach heißt es: Warten. Auch mich hat das Spieldesign zuerst sehr unterfordert. Ich dachte einen halben Tag lang, dass ich vielleicht das falsche Spiel runtergeladen hatte und nicht jenes, von dem all meine Freund*innen so schwärmen. Doch dann – endlich – kam nach dem dritten oder vierten Mal Schließen und Öffnen der App die erste Katze und spielte mit einem Wollknäuel. Es ist sehr schwer nachzuvollziehen, aber mein Herz hat einen kleinen Sprung gemacht. „Snowball“ spielte so verzückt mit der Wolle, lehnte sich nach links und nach rechts, sah so unglaublich putzig dabei aus und hatte noch dazu den Namen von Lisa Simpsons Katze. Ich war bis über beide Ohren verliebt.

Und so kamen nach und nach immer mehr Katzen und spielten mit den Dingen, die ich im Shop erstand. Nach dem Spielen hinterließen sie mir Silber- oder gar Goldfische zum Dank, von denen ich dann wieder Futter und neue Spielsachen kaufen konnte. So geht es seitdem tagein tagaus. Das Ziel des Spiels ist es, ähnlich einem Panini-Album, alle Katzen der Nachbarschaft zu Gast gehabt zu haben und von ihnen ein Foto zu machen. Bedauerlicherweise kann man mit den Katzen nicht interagieren. Zu Beginn versuchte ich, die Katzen durch Anklicken zu streicheln, landete jedoch nur immer wieder auf den Profilseiten der Katzen. Besonders meine Cousine (4) findet das Fehlen dieser Funktion extrem frustrierend. Dennoch erklärte sie mir, dass man in einem Hinterhof eben vorsichtig mit Katzen umgehen müsse, denn meistens würden sie lieber wegrennen als sich streicheln zu lassen. Und dass man mit Katzen sehr viel Geduld brauche. Sie hat das Spiel schneller verstanden als ich.

Neko Atsume
Gratis, für Android und iOS

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.

Dünne Dialoge

  • 18.06.2016, 13:54
OMG, eine Graphic Novel aus dem deutschsprachigen Raum zu Transition!

OMG eine Graphic Novel aus dem deutschsprachigen Raum zu Transition! Die deutsche Illustratorin Sarah Barczyk erhielt 2014 das Egmont-Comic-Stipendium und zeichnete die Geschichte von Kai, der trans ist. Ganz ohne Probleme kommt die Geschichte aber nicht aus: Kais Eltern sind vorerst uneinsichtig und dann verliert er auch noch eine Freundin. Trotz Kais Unbeirrtheit, sind es die Momente des Zweifels, die den Charakter erst persönlich machen: der ersten Besuch beim Therapeuten („Aber was, wenn er sagt, ich sei psychisch krank“), der eigenen dicken Körper („Warum sind die ganzen Transmänner immer sportlich oder schlank?“), die Wahl der passenden Umkleide („Mh. Umkleide…Oje, da hab ich noch gar nicht dran gedacht.“).

Leider ist das aber schon alles, was den_die Leser_in am Charakter fesselt. Die abgehackten Dialoge wirken eher wie schlechte Übersetzungen, denn wie authentische Gespräche. Auch inhaltlich stellt sich bald heraus, dass ein kritischer Ansatz mit Geschlecht umzugehen keine Rolle in „Nenn mich Kai“ spielt. Was für Kai zählt, ist so gut wie möglich als „echter“ Kerl durchzugehen. Da gehört auch das richtige Bro-Verhalten in Männergruppen und Mackertum (gegenüber Frauen_) dazu. Und wer weiß besser wie das funktioniert als Kais Freund, der Cis-Mann Marko. Er zeigt Kai wie Mann-Sein geht: „Du gehst viel zu feminin. So geht das! Schön O-Beine machen und locker schwingen!“ Ähm, ok?

Im Vordergrund der Graphic Novel steht das Bedürfnis einen programmatisch-geraden Weg darzustellen dessen Anfang in Barczyks Zeichnungen symbolisch platt im Flowerfresh-Deo-noch-sanfter liegt und mit einem 48-Men-Power-Deo endet. So klar wie die Geschlechterrollen in „Nenn mich Kai“ verteilt sind, so geradlinig ist auch Barczyks Zeichenstil in Schwarz-Weiß: Für Schattierungen, Grautöne und das Dunkel der Tiefen bleibt wenig bis kein Platz. Im Missy Magazin-Interview erklärt Barczyk ihre Zielgruppe seien eher unwissende Cis-Personen, wie sie bis vor Kurzem selbst eine war. Was als eine noble Idee daherkommt, ist in der Ausführung leider nur ein oberflächlicher Cis-Blick auf Transition und Geschlechterstereotypen geworden. Das Stipendium zu dem Thema wäre bei einer Trans-Person wohl besser aufgehoben gewesen.

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

 

Sarah Barczyk: Nenn mich Kai
Egmont Graphic Novel
80 Seiten
15,50 Euro

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

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