Kapitalismus

Die queeren Kompliz_innen des Systems

  • 22.06.2016, 11:49
Gegen die Komplizenschaft mit dem System appellieren Heinz-Jürgen Voß und Salih Alexander Wolter mit „Queer und (Anti-) Kapitalismus“. Adressiert ist das Buch eindeutig an Leute, die sich in queeren Theoriegebilden bereits prächtig zurechtfinden.

Gegen die Komplizenschaft mit dem System appellieren Heinz-Jürgen Voß und Salih Alexander Wolter mit „Queer und (Anti-) Kapitalismus“. Adressiert ist das Buch eindeutig an Leute, die sich in queeren Theoriegebilden bereits prächtig zurechtfinden. Dieser tendenziell weiße, akademische Mittelschichtskreis hat sich mitunter ganz gut mit gesellschaftlichen Machtstrukturen arrangiert und ist immer wieder einmal versucht, sich in akademischen Diskursen und kleinen Teilbereichen dessen zu verlieren, was die Autoren nun als „das Ganze“ problematisieren. Das Ganze ist irgendwie Kapitalismus, aber nicht bloß als Wirtschaftsform, sondern als Prinzip, das die Gesellschaft strukturiert und gestaltet und das mit Sexismus, Rassismus und anderen Ungleichheiten verwoben ist.

Dieser Verwobenheit war man sich in den Anfängen der queeren Bewegung in den 1960ern durchaus bewusst. Damals protestierten Trans*-Personen, Sexarbeiter*innen, junge obdachlose Queers, Queers of Color und jene aus der Arbeiterklasse gegen Polizeigewalt und gesellschaftliche Unterdrückung. Die aktuelle Queer-Bewegung neigt dazu, diese solidarischen Kämpfe in den Hintergrund zu drängen und eigene privilegierte Positionen absolut zu setzen. Dagegen wenden sich die Autoren. Sie gehen darauf ein, warum sex, class und race analytisch nicht getrennt werden sollten, wieso eine Aufspaltung politischer Kämpfe problematisch ist und warum wir uns bedingungslos an die Kämpfe jener anschließen müssen, die gesellschaftlich am meisten unterdrückt werden. Zentrale Themen sind die Geschichte der Queer-Bewegung, Feminismus, Kolonialismus, globale Arbeitsteilung und Kapitalismus.

Das Buch findet klare Worte für queere Kompliz_innen des Systems, vorausgesetzt sie sind mit akademischem, linkem Theoriejargon vertraut. Für alle anderen sind es weniger klare Worte, mehr verschwommene Ideen in komprimierter Form. Ich würde das Buch trotzdem allen empfehlen, die sich gerne kritisch mit der Gesellschaft auseinandersetzen. Durch die streckenweise komplizierten Formulierungen kann man sich durchkämpfen, dann bietet es eine hervorragende Zusammensicht der Kernaspekte linker Ideologie. Außerdem gibt es dutzende Verweise auf essentielle Werke zum Weiterlesen, die in bisherigen Debatten vielfach ungerechtfertigt vernachlässigt wurden.

Heinz-Jürgen Voß & Salih Alexander Wolter: Queer und (Anti-)Kapitalismus.
Schmetterling Verlag. 2015 (2. Auflage).
159 Seiten, 12,80 Euro.

Carina Brestian studierte Gender Studies an der Uni Wien.

Wenn Kapitalismus Liebe macht

  • 10.03.2016, 18:04
Die romantische Liebe gilt als letztes Refugium vor der Konsumgesellschaft. Dabei sind marktorientierte Strukturen längst in unsere Intimbeziehungen eingezogen.

Die romantische Liebe gilt als letztes Refugium vor der Konsumgesellschaft. Dabei sind marktorientierte Strukturen längst in unsere Intimbeziehungen eingezogen.

Man hatte halt Sex“, sagt meine Oma. „Nach der Hochzeit, natürlich“, ergänzt mein Opa. Ein Thema, über das meine Großeltern nicht gerne sprechen, weil es nie ein großes Thema war. Die gleiche Unterhaltung mit Freund_innen: „Leidenschaft, Liebe, Emotionalität, Freiheit, …“. Eine endlose Kette aufgeladener Begriffe, die noch ewig so weitergehen könnte. Kapitalismus passt in diese Aufzählung zunächst nicht hinein.

Dabei wurde schon das eheliche Ideal der Großeltern maßgeblich von kapitalistischen Strukturen geprägt. Ihre Beziehung formte sich in den Kinos, den Tanzlokalen und Bars der vierziger Jahre. Mit der neuen Ausgehkultur verlagerten sich die Intimbeziehungen in die Öffentlichkeit, so dass auch die Werbung zunehmend auf ein romantisches Ideal ausgerichtet wurde. Bis heute hat sich diese gemeinsame Logik von kapitalistischen Strukturen und der Idee der romantischen Liebe in heteronormativen Paarbeziehungen hartnäckig gehalten: Materielle Investitionen wie Geschenke oder gemeinsames Reisen sind genauso wichtig wie die Anerkennung des Selbst durch den/die Andere_n. Für die spätkapitalistische Selbstoptimierung ist diese Reproduktion von Individualität unabdingbar.

WAHRE LIEBE? Wie die Soziologin Eva Illouz in ihrer Studie beschreibt, wurde die romantische Liebe mit dem Aufkommen des Kapitalismus zum sicheren Hafen stilisiert und der Geschlechtsverkehr in dieser Semantik zur Quelle der Selbstfindung erklärt. Dass ausgerechnet der Sex Angriffspunkt kapitalistischer Verwertungsinteressen sein soll, läuft der romantischen Vorstellung von Intimität zuwider. Doch genau weil er in Paarbeziehungen so emotional aufgeladen ist, eignet er sich dort besonders gut, um über ökonomische Ungleichheiten hinwegzutäuschen. Besonders bei heterosexuellen Paaren.

Mit der steigenden Erwerbstätigkeit von Frauen verändert sich auch die Ökonomie der Paarbeziehungen: „Geld wird in heterosexuellen Beziehungen ganz neu verhandelt“, sagt die Soziologin Sarah Speck, „dabei werden tradierte Rollenverhältnisse aber nicht unbedingt aufgebrochen.“ Im Gegenteil. In einer großangelegten Studie untersuchte sie gemeinsam mit Cornelia Koppetsch die Dynamik von heterosexuellen Paarbeziehungen, in denen die Frau das Haupteinkommen verdient. „Geld spielt keine Rolle, egal wer es verdient“, versuchten besonders Paare aus dem akademischen Milieu zu suggerieren, so Speck. „Die zentralen Werte von Autonomie und Selbstverwirklichung sind in diesen Beziehungen oft so aufgeladen, dass sie eine faire Aushandlung der Arbeitsverhältnisse verunmöglichen.“ Oft trage die Frau die doppelte Last von Einkommen und Haushalt, ohne dass die Situation als ungerecht empfunden werde. Klassische Geschlechterverhältnisse werden abgelehnt und Ungleichheiten gemeinsam kaschiert. Dafür finde sich der Rollenkonflikt häufig in der Sexualität wieder. Dort scheinen tradierte Rollen legitim zu sein.

„Im aufgeklärten individualisierten Milieu darf Geschlechterdifferenz keine Rolle mehr spielen. Deshalb wird die Aushandlung von Männlichkeit und Weiblichkeit in den Bereich des Schlafzimmers verlagert“, so Speck: „Nach dem Motto: Wenn der Mann schon kein Einkommen reinbringt, muss er wenigstens im Bett die führende Rolle übernehmen.“ Speck sieht darin widersprüchliche Tendenzen: „Die Omnipräsenz von Sexualität konfrontiert uns mit einer massiven Bedeutsamkeit von Geschlecht und gleichzeitig würden viele das abstreiten. Unsere Studie lässt vermuten, dass gerade diejenigen, die besonders sensibel für Ungleichheiten sind, in der gelebten Sexualität in klassische Rollenverteilungen zurückfallen.“

WARE LIEBE. Beratungsforen, Werbe- und Pornoindustrie suggerieren, dass jede_r ein erfülltes Liebesleben haben kann, sofern sie_er nur darin investiert. Kann man sich dieser Ökonomisierung verweigern? Paul lebt seit sechs Jahren in einer Beziehung. Und seit drei Jahren in einer weiteren. Mit beiden Frauen schläft er und die wiederum mit anderen Menschen. Sex ist für ihn wichtig, aber keine Notwendigkeit für emotionale Nähe. „Ich behaupte nicht, dass polyamore Beziehungen frei von Machtstrukturen sind“, sagt er, „aber die werden weniger in der Sexualität verhandelt.“ Sex sei kein wesentlicher Teil der Beziehungsarbeit und entziehe sich so kapitalistischer Optimierungsansprüche: „Es gibt mehr Freiraum, unterschiedliche Bedürfnisse mit verschiedenen Menschen zu befriedigen, ohne dass die Idee der romantischen Liebe dafür instrumentalisiert wird“, erklärt Paul. Damit schwindet auch der Druck, seinen Wert durch sexuelle Kompetenz dauerhaft unter Beweis stellen zu müssen.

In der Populärkultur dominiert ein Ideal der romantischen heteronormativen Zweierbeziehung. Klar, wir verhandeln heute andere Dinge als meine Großeltern. Damals war es die Ehe, heute sind es die Liebe und insbesondere der Sex, auf die ein gesamter Markt von „romantischen Waren“ abzielt. Und diese „Ware Liebe“ brauchte schon immer das Ideal der wahren Liebe. Bevor wir also die große sexuelle Befreiung anstreben, könnten wir es dabei belassen, uns zunächst von einer Idee von Sex als autonomem Lebensbereich zu verabschieden, so unromantisch das auch klingt. Und wahrscheinlich geht der Spaß daran nicht verloren, wenn wir ihn einfach ein bisschen weniger wichtig nehmen.

Eva Hoffmann studiert Theater-, Film- und Medientheorie an der Uni Wien.

TTIP, CETA, ISDS: Entdemokratisierung in der Krise

  • 05.12.2015, 18:54

Das ISDS-Abkommen, das sowohl in TTIP wie in CETA enthalten ist, entdemokratisiert die undemokratischen Strukturen der Europäischen Union weiter.

Das ISDS-Abkommen, das sowohl in TTIP wie in CETA enthalten ist, entdemokratisiert die undemokratischen Strukturen der Europäischen Union weiter. Hanna Lichtenberger zeigt, warum sich Interessen von Kapitalfraktionen künftig noch leichter durchsetzen können.

Gegen das Freihandelsabkommen TTIP gibt es viel Widerstand, lange bevor es noch unterzeichnet ist. Denn das Abkommen greift nicht nur in den, durch das Chlorhuhn viel diskutierten Bereich der Lebensmittelsicherheit ein, sondern betrifft ein weites Feld von Gesundheits-, Verbraucher_innen-, Umwelt-, Daten- und Arbeitnehmer_innenrechten, Bereiche der Daseinsvorsorge und auch Fragen demokratischer Legitimation politischer Entscheidungsfindung. Letzteres bezieht sich sowohl auf den Modus der Verhandlungen wie auch die Inhalte des Abkommens in Bezug auf den sog. „Investitionenschutz“ (quasi dem I in TTIP).

Die Verhandlungen um TTIP werden praktisch im Geheimen geführt, lange war das Verhandlungsmandat der EU nicht öffentlich zugänglich. Erst im Rahmen einer Charmeoffensive der Kommission, die gesellschaftlichen Konsens für TTIP organisieren soll, veröffentlichte sie das bereits geleakte Dokument.

Neben der Frage, wer Einblick in den Verhandlungsprozess des TTIP-Abkommens bekommt und wessen Interessen gehört werden, gibt es einen zweiten Bereich, der aus demokratietheoretischer Perspektive zu untersuchen ist. Dabei geht es um die Rechte, die InvestorInnen im Rahmen von TTIP eingeräumt werden sollen.

Neben der Öffnung des Zuganges zu bisher geschützten Sektoren soll ein internationales Verfahren zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen InvestorInnen und Staaten festgelegt werden, auch ISDS (Investor-state dispute settlement) genannt. Konkret würde dies bedeuten, dass InvestorInnen in den USA und in der EU ein Klagerecht gegen zukünftige politisch-gesetzliche Regulierungen zugesprochen werden würde. Es ermöglicht InvestorInnen Staaten zu klagen, wodurch Staaten zu immensen Schadensersatzforderungen verpflichtet werden könnten.

ENTDEMOKRATISIERUNG. ISDS ist aber keine Erfindung des TTIP-Verhandlungsprozesses, sondern ist bereits heute in über 3.000 bilateralen und regionalen Verträgen Realität. Eingeführt wurde es ursprünglich, um Investitionen in Staaten mit funktionsunfähigen Rechtssystemen zu erleichtern und die dortigen (nicht)demokratischen Entscheidungswege umgehen zu können. Seit den 1990er Jahren ist es aber eine verbreitete Klausel in internationalen Verträgen, jedoch stieg die Zahl der angestrengten Verfahren im Rahmen des ISDS in den letzten Jahren signifikant. Die Konsequenzen an einem prominenten Beispiel verdeutlicht: Der Energie-Konzern Lone Pine Resources klagte, entsprechend der ISDS-Klausel im NAFTA-Vertrag, die Provinz Québec 2012 auf 250 Millionen CND-Dollar Schadensersatz, weil das dortige Parlament ein Moratorium auf die Förderung von Schiefergas („Fracking“) erließ und somit die getätigten Investitionen des Unternehmens nicht mehr rentabel waren. Andere Beispiele sind etwa Klagen eines Tabakunternehmens gegen Warnhinweise auf Zigarettenpackungen in Australien und Uruguay. Das Ensemble von EU-Apparaten, das mit der Verhandlung und Ausarbeitung von TTIP beauftragt ist, steht nicht unter direkter Kontrolle einer gewählten Institution. Ein Problem, das sich durch die Struktur der Europäischen Union zieht. Die Debatte rund um das Abkommen macht damit tieferliegende strukturelle Probleme der europäischen Integration deutlich und unterstreicht den wettbewerbsorientierten, neoliberalen Charakter der EU als politisches Projekt. Oliver Prausmüller von der Arbeiterkammer Wien weist in diesem Zusammenhang auf die „bemerkenswerte Kontinuität einer konstitutionalistischen Agenda, die den Handlungsradius öffentlicher Politiken marktkonform limitiert und auf eine Disziplinierung demokratisch legitimierter Regulierungen zugunsten von offensiven Unternehmens- und Investoreninteressen zielt“ hin. Die konstitutionalistischen Entwicklungen lassen sich bereits seit den 1970er Jahren feststellen, jedoch kann im Zuge der Krisenbearbeitung von einem autoritären Krisenkonstitutionalismus gesprochen werden, der auf einen weiteren Schub von Verrechtlichung von Herrschaft hinausläuft. Der ISDSMechanismus zieht bestimmte Regulierungszuständigkeiten aus dem Bereich bürgerlich-parlamentarischer Kontrolle und begünstigt die Durchsetzung lobbyingstarker Interessen, insbesondere Kapitalinteressen.

Die Erfahrungen rund um das NAFTA-Abkommen zeigen, dass viele Politiken etwa im Bereich des Umweltschutzes unter dem Vorzeichen von teuren Klagen seitens Unternehmen nicht durchgesetzt werden. Die Politikwissenschaft bezeichnet dies als sogenannten Chilleffect. Darüber hinaus könnte der ISDS-Mechanismus mit der Durchsetzung in TTIP und CETA einen Legitimationsschub erfahren und so zum Vorbild für zahlreiche weitere Handelsabkommen weltweit werden. Die USA und die EU könnten so ihre Interessen, die in der stockenden Doha-Runde der WTO nicht durchzusetzen sind, anders zum weltweiten Standard machen.

CETA GEHT UNTER. Während TTIP stark unter medialer Kritik steht, scheint die Blaupause CETA, das Abkommen zwischen Kanada und der EU, weniger sichtbar zu sein. Doch auch das bereits fertig verhandelte, aber noch nicht unterzeichnete CETAAbkommen inkludiert den ISDS-Mechanismus. Sollte CETA tatsächlich mit dem InvestorInnenklagerecht unterzeichnet werden, ist es nur mehr eine Frage der Postadresse, dass EU-InvestorInnen die USA klagen können und umgekehrt. Umso wichtiger ist die Einschätzung des kritischen Europarechtsexperten Andreas Fischer-Lescano, der davon ausgeht, dass der Europäische Gerichtshof den ISDS-Mechanismus in TTIP und CETA scheitern ließe, sofern sich der Verhandlungstext nicht grundsätzlich ändern würde.

Hanna Lichtenberger dissertiert am Institut für Politikwissenschaft und ist Redakteurin des Blogprojektes mosaik – Politik neu zusammensetzen.

Mit Burka gegen das Böse

  • 25.06.2015, 10:58

Superheld*innen des Marvel-Verlags haben nun auch Migrationshintergrund und tragen Kopftuch. Die multikulturellen Hero*ines spielen in der Comicwelt eine genauso wichtige Rolle wie Wolverine, Thor und Iron Man.

Superheld*innen des Marvel-Verlags haben nun auch Migrationshintergrund und tragen Kopftuch. Die multikulturellen Hero*ines spielen in der Comicwelt eine genauso wichtige Rolle wie Wolverine, Thor und Iron Man.

Sie hat eine blonde, wallende Mähne, Kurven wohin das Auge reicht und zeigt  dem  männlichem  Geschlecht, wo der Hammer hängt. So kannten Comic-Fans die bisherige Ms. Marvel. Weibliche Figuren wurden stets maß- los anzüglich gezeichnet. „Mich hat bis dato die übertrieben sexualisierte Dar- stellung der Frau in Comics gestört“, kritisiert die muslimische Feministin Dudu Kücükgöl. Die idealisierte weibli- che Frau sei nicht realitätsgetreu, die Körper stets normiert. „Da ist mir eine Spidermanfigur lieber als eine Heroine mit unrealistischen Körpermaßen“, so die Wirtschaftspädagogin. Das Comic- Imperium Marvel beschloss jedoch, mit der Zeit zu gehen und realitätsna- here Charaktere zu schaffen. Dunkle Haare und Teint, eine geballte Faust verziert mit Ringen, ein Teenie in seiner Blütezeit – die neue Ms. Marvel ist rebellisch  unterwegs.

PAKISTANI-PUNK. Eine Heldin mehr im Marvel-Kosmos – was ist schon dabei? Viel, denn die inter- nationale mediale Aufmerksamkeit war groß. Grund dafür war Kamala Khan. Kamala aka Ms. Marvel ist eine US-Amerikanerin mit pakistanischen Wurzeln. Interessant ist, dass die neue Ms. Marvel Muslima ist. Bei keinem*r bekannten Superhelden*in stand das Thema Religion bisher im Vordergrund – ob  Iron Man dem Christentum oder Buddhismus zugeneigt ist, davon war nie die Rede.

Fäuste mit einer Power, die dich ins Nirvana befördern können – und längere Beine als Heidi Klum. Kamalas Skill ist  es, ihren Körper nach Lust  und Laune zu formen. Die Macherinnen* der neuen Ms. Marvel, G. Willow Wilson und Sanaa Amanat, wollten eine Figur kreieren, mit der sich viele Mädchen identifizieren können - Migrationshintergrund hin oder her.

Sanaa Amanat ist selbst US-Amerikanerin mit pakistanischen Wurzeln und hat viele eigene Erlebnisse in die Figur einfließen lassen. Somit ist Kamala ein Vorzeigemädchen des amerikanisch-muslimischen Lifestyles. „Die Comicwelt reflektiert oft gesellschaftspolitische Entwicklungen. Man kann aber auch sagen, dass der Anstieg der muslimischen Charaktere etwas mit dem modernen muslimischen Lifestyle zu tun hat“, meint Medienmanager Karim Saad.

DIE ZERISSENEN. Kamala ist übrigens nicht die erste Muslima in amerikanischen Comics, die mit traditionellen Stereotypen und Geschlechternormen konfrontiert wird. 2002 widmete Marvel einer Burkaträgerin eine komplette Serie. Sooraya Qadir, alias Dust, kann sich in einen tödlichen Sandsturm verwandeln. Durch Wolverines Hilfe kommt die Afghanin nach New York, wo sie in den Kreis der Young X-Men aufgenommen wird. Im Land der unbegrenzten Freiheit und Demokratie ist die Burka jedoch ein No-Go! Neben emanzipierten Superheldinnen muss Dust auch mit anderen Outlaws fertig werden.  Erstaunlich ist, dass Dust im kompletten Comic kein einziges Mal enthüllt wird: , Ninja-Feeling pur! Weniger Arbeit für uns, dachten sich die Zeichner"'innen. Dass es sogar Sequenzen gibt, in denen Sooraya betet, fasziniert nicht nur muslimische Comicleser*innen. Hier werden tiefe Einblicke in das Leben einer Super-Muslima gewährt, aber ebenso wird gezeigt, was es heißt, zwischen zwei Kulturen und Identitäten leben zu müssen.

Neben Marvel Comics ist auch DC Comics auf die Diversitätsschiene aufgesprungen. Bilal Asselah ist ein Franzose mit algerischen Wurzeln und Student  in  Paris. Sein Wohngebiet  liegt in Clichy-Sous-Bois, einem Pariser Vorort, in dem es 2005 tatsächlich zu Revolten kam. Nachdem Bilals Freund bei einem Feuer in einer Polizeistation umkommt, widmet sich Bilal dem Parkour und wird zu „Nightrunner“, um Chaos und Bürger*innenkriegen in der Stadt vorzubeugen. Kurze Zeit später wird Batman auf ihn aufmerksam und kürt ihn zum „Batman von  Paris“.

INTEGRATIONSLEKTÜRE 2.0. „Seine Community repräsentiert zu sehen, prägt mehr als man glaubt“, sagt Comiczeichnerin Soufeina Hamed. Das Erscheinen in Massenmedien ist ein Zeichen dafür, dass  man als aktiver und selbstverständlicher Teil der Gesellschaft angesehen wird. Saad ist derselben Meinung: „Gerade die Film- und Serienindustrie könnte hier  unglaublich viel in  den Köpfen  der jungen Menschen verändern. Man denke etwa an die massiven Erfolge der X-Men Serie, die mehr als drei Milliarden Dollar eingespielt hat.“ Leser*innen sollen sich in den Figuren wiedererkennen können. „Vielfalt in Herkunft und Aussehen machen die Figuren lebendiger und spannender“, erklärt Hamed. Außerdem werden neue Perspektiven auf brisante gesellschaftliche Themen wie Kinder aus Migrationsfamilien eröffnet.

Superheld*innen wie Bilal entsprechen dem heutigen Zeitgeist, Identität spielt hier eine große Rolle. Marvel greift damit ein heikles Thema auf. Sooraya oder Kamala sind der Inbegriff einer modernen muslimischen Frau,  die ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten will, aber auf Granit stößt. Integrationslektüre vom Feinsten, wenn man so will.

Ob die Verlage mit Vorurteilen in unserer Epoche aufräumen möchten, da sie sich ihrer immensen Reichweite bewusst sind, oder die ethnische Diversität bloß der kapitalistischen Maschinerie in die Hände gefallen ist? Die Illustratorin Hamed tendiert eher zu letzterem. „Ich würde gerne an eine sozialkritische Absicht glauben. Ich persönlich habe mir aber meinen ersten Comic wegen der pakistanischen Ms. Marvel gekauft“,  meint Hamed.

 

Nour Khelifi studiert Publizistik und Kommunikationswissenschaften und Biologie an der Universität Wien und ist als  freie  Journalistin  tätig.

Antisemitische Kapitalismuskritik am Linzer "Burschenbundball"

  • 07.02.2014, 13:49

Am 8. Februar diesen Jahres propagieren deutschnationale Burschenschaften am Linzer Burschenbundball den Kampf gegen „egoistische Selbstverwirklichung“ und „Entwurzelung“. Sämtliche Motive ihres reaktionären Antikapitalismus sind durchzogen von antisemitischen Stereotypen. Ressentimenthaltige Kapitalismuskritik ist jedoch keine Eigenheit des österreichischen „nationalen“ Lagers.

Am 8. Februar diesen Jahres propagieren deutschnationale Burschenschaften am Linzer Burschenbundball den Kampf gegen „egoistische Selbstverwirklichung“ und „Entwurzelung“. Sämtliche Motive ihres reaktionären Antikapitalismus sind durchzogen von antisemitischen Stereotypen. Ressentimenthaltige Kapitalismuskritik ist jedoch keine Eigenheit des österreichischen „nationalen“ Lagers.

Jedes Jahr feiern deutschnationale Burschenschaften im „Palais des Kaufmännischen Vereins“ den sogenannten „Burschenbundball“. Er stellt damit neben dem Akademikerball (vormals WKR-Ball) für Antisemiten, Frauenfeinde und Rassisten sämtlicher Couleur eine der wichtigsten Festlichkeiten im Jahr dar. Maßgeblich verantwortlich für die Durchführung und Organisation der Feierlichkeiten zwischen Männerbündelei und Deutschtümelei ist die Burschenschaft Arminia Czernowitz, auf deren Homepage man gegen „egoistische Selbstverwirklichung“ ankämpft und sich in einer „staatenübergreifenden, deutschen (...) Volksgemeinschaft“ verwurzelt sieht.

Auf der Homepage des deutschnationalen Balls findet sich - neben einer Werbeanzeige der „Akademischen Burschenschaft Oberösterreicher Germanen“ - ein weiteres sehr typisches Motiv reaktionärer, antikapitalistischer Rhetorik: (siehe Bild) FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache wettert in einem Inserat gegen „Entwurzelung und Beliebigkeit“. Was aber meint diese Parole?

Antisemitische Kapitalismuskritik

Der Kampf gegen „Entwurzelung“ ist ein oft bemühtes Motiv antisemitischer Globalisierungskritik, das eine Rückkehr zum Natürlichen anstrebt und den Globalisierungsprozess aufgrund seiner internationalisierenden Tendenzen ablehnt. Nach dem Politmagazin „profil“ konnte man bereits 2003 in der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift der Freiheitlichen Partei Österreichs „Zur Zeit“ genauestens nachverfolgen, was sich dort der österreichische Ökonom Friedrich Romig, der das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes als „kommunistische Tarnorganisation“ titulierte und dafür wegen übler Nachrede teilweise schuldig gesprochen wurde, unter dem Begriff „Globalisierung“ versteht: „als Weg, auf dem das Judentum (...) weltweite Dominanz erlangt.“

In vorkapitalistischen Gesellschaften beruhte Ausbeutung auf einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis: der leibeigene Bauer etwa war an den Grundherren gebunden. Seit der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse im 19. Jahrhundert sind keine direkten, personengebundenen Abhängigkeitsverhältnisse mehr gegeben (wie etwa im Feudalismus). Es dominieren „unpersönliche“ und undurchschaubare Zwänge zur individuellen Sicherung des eigenen Lebensabends. Angesichts der krisenhaften, für die einzelnen menschlichen Existenzen oft tragischen Entwicklungen des Kapitalismus, kommt es zu immer neuen Formen von Personalisierungen der kapitalistischen Verhältnisse. „Personalisierungen“ meint, dass gesellschaftliche Strukturen auf das bewusste Wirken von einzelnen Personen zurückgeführt werden.

Der Antisemitismus ist also eine besondere Form der Personalisierung des Kapitalismus – und wurde in den „Rassetheorien“ des 19. Jahrhunderts beschrieben . Es wird „dem Juden“ per se eine ökonomische Orientierung an Geld und Gewinn zugeschrieben, die in ihrer Wesensart und somit in ihrer „Rasse“ wurzeln soll. Ebenso soll in ihnen ein unbedingter Wille zum Erstreben der Weltherrschaft schlummern. Zugleich erscheinen diese auch als übermächtig: Über Banken und Börse beherrschen sie die großen Unternehmen der Welt. Gleichzeitig gelten die Juden jedoch als „heimatlos“ und „entwurzelt“, aber mit weltweiten Verbindungen zu ihresgleichen.

Diese beiden Stereotypen führen konsequenterweise zur paranoiden Wahnvorstellung der „jüdischen Weltverschwörung“, der Antisemiten wie Romig verfallen sind. Diese Stereotypen finden sich am deutlichsten im wohl bekanntesten antisemitischen Pamphlet – den Protokollen der Weisen von Zion – das als einflussreiche Programmschrift antisemitischer Verschwörungsideologie gilt und 1929 im Parteiverlag der NSDAP publiziert wurde.

Brothers in Arms

Solche antisemitischen Wahngebilde kann man auch bei der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ feststellen. Jürgen Gansel, der seit 2004 Abgeordneter im Sächsischen Landtag ist und seine Magisterabschlussarbeit nicht zufällig über „Antikapitalismus in der konservativen Revolution“ schrieb, definiert die Globalisierung als das „planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter der Führung des Großen Geldes.“ Dieses habe, so zitiert man Gansel im Buch „Neonazis in Nadelstreifen“ von Andreas Speit und Andrea Röpke, „obwohl seinem Wesen nach nomadisch und ortlos, seinen politisch-militärisch beschirmten Standort vor allem an der Ostküste der USA.“

Diese Ausführungen enthalten freilich ein kaum verhülltes Bündel antisemitischer Stereotypen, wobei hier das Wort „nomadisch“ als Synonym für „heimatlos“ fungiert und die „Ostküste“ der USA ein Synonym für die jüdische Weltverschwörung ist. Das ehemalige SS-Mitglied Franz Schönhuber brachte 2002 in „Nation & Europa“ (Nr. 9/02) den Kern des antisemitischen Antikapitalismus auf den Punkt: „Die Fronten sind klar: Besorgte Menschen in der ganzen Welt von links bis rechts versuchen, sich im Kampf gegen die Globalisierung zu einigen. Sie wissen, was Globalisierung bedeutet, nämlich Amerikanisierung plus Judaisierung.”

Das deutlichste Beispiel für antisemitischen Antikapitalismus als Konnex linker und rechter Agitation ist Jürgen Elsässers „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“.  Das ehemalige Mitglied des Kommunistischen Bundes Jürgen Elsässer rief 2009 zur Gründung dieser auf, da sie ein „bewusster Angriff des anglo-amerikanischen Finanzkapitals“ sein sollte, den es abzuwehren gelte. Hauptaufgabe der Initiative sei „die entschädigungslose Nationalisierung des Finanzsektors“. Kurz nach der Gründung der Initiative ließ der damalige NPD-Vorsitzende Holger Apfel über den Pressesprecher der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag verlautbaren, die Volksinitiative solidarisch zu begleiten. 2010 brachte Elsässer, nach Ausschluss aus der linken Zeitung „Neues Deutschland“, in der er bisher publizieren durfte, ein eigenes Magazin namens „Compact“ auf den Markt. Seit August 2011 erscheint das Blatt in der Compact-Magazin GmbH, die dafür von Elsässer zusammen mit seinen Genossen Kai Homilius und Andreas Abu Bakr Rieger gegründet wurde.

Andreas Abu Bakr Rieger ist deutscher Konvertit, der 1990 zum „Jihad gegen die Marktwirtschaft“ aufrief,  und 1993 betörte, dass die Nationalsozialisten für eine „gute Sache“ gekämpft hätten, bei ihrem Hauptfeind allerdings „nicht ganz gründlich“ gewesen seien. Abu Bakr ist Herausgeber der „Islamischen Zeitung“ und hat – welch Überraschung – 2011 sein Buch „Weg mit dem Zins!“ im Kai Homilius Verlag herausgebracht. Neben Hans Modrow, dem Ehrenvorsitzenden der deutschen Linkspartei, ist auch der österreichische Historiker Hannes Hofbauer zu erwähnen, der für seine Tätigkeit als Chef des linken Promedia-Verlages bekannt ist und ebenfalls für „junge welt“, „analyse und kritik“ und das „Neue Deutschland“ schreiben darf.

Dass auch namhafte Linke in Elsässers Querfront-Blättchen schreiben, ist kein Zufall, hat sich doch beispielsweise auch die österreichische Sozialdemokratie dieses Gedankengut zu eigen gemacht. Alfred Gusenbauer, anno dazumal Vorsitzender der SPÖ, erklärte gegenüber dem „profil“ (Nr. 15/02) den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital für „überholt“: „Der wahre Widerspruch liegt heute zwischen dem Realkapital und dem Finanzkapital, also dem Zusammenwirken von Unternehmern und Arbeitnehmern einerseits und den Mechanismen der Finanzmärkte andererseits.“ Diesen personalisierenden Antikapitalismus kann man bereits bei den anti-marxistischen, anarchistischen Theoretikern wie Michail Bakunin sowie bei manchen Sozialdemokraten wie Ferdinand Lassalle erkennen, deren Theorie ebenfalls auf der Ebene der Zirkulation verharrt.

Die Vertreter des antisemitischen Antikapitalismus, ob sie sich nun rechts oder links sehen, haben also eines gemeinsam: Man unterscheidet zwischen dem produktiven, heimatverbundenen Industriekapitalisten und gierigen Finanzhaifischen mit kosmopolitischer Orientierung. Es ist die Unterscheidung zwischen „schaffendes“ und „raffendes Kapital“ in neuer Terminologie, wodurch man alte antisemitische Ressentiments im Stil des nationalsozialistischen Gottfried Feders bedient, der einst die „jüdische Zinsknechtschaft“ brechen wollte. Wie Stephan Grigat bereits 2009 in der „Wiener Zeitung“ vom 19.03.2012 feststellte, hinkt die FPÖ allerdings zumindest terminologisch noch etwas hinterher: Vor einigen Jahren noch bezeichnete man dort die grüne und linke Opposition in klassischer Nazidiktion als „Handlanger der Amerikaner“.

Wenn Heinz-Christian Strache also in diesen Tagen in einem Inserat gegen „Entwurzelung“ wettert, so darf jedenfalls kein Zweifel daran bestehen, wer damit gemeint ist: Der Jude als Personalisierung der kapitalistischen Ökonomie.

 

David Kirsch studiert in Wien und schreibt auf exsuperabilis.blogspot.com

 

Was ist eigentlich Luxus?

  • 23.06.2013, 14:00

„Man versehe mich mit Luxus, auf alles Notwendige kann ich verzichten“, sagte einst Oscar Wilde. Doch – ob Zeit, Musik, Freundschaft oder die eigene Wohnung – die Vorstellungen davon was Luxus eigentlich ist, gehen auseinander. progress hat sich umgehört.

„Man versehe mich mit Luxus, auf alles Notwendige kann ich verzichten“, sagte einst Oscar Wilde. Doch – ob Zeit, Musik, Freundschaft oder die eigene Wohnung – die Vorstellungen davon was Luxus eigentlich ist, gehen auseinander. progress hat sich umgehört.

Soufflé mit Lachs 85g Katzenfutter

  • 23.06.2013, 12:47

In Zeiten, in denen sogar Discounter Delikatessen und Gourmet-Produkte anbieten, wird der Begriff Luxus immer weniger greifbar. Was für die einen Alltag ist, bedeutet für andere schon Luxus.

In Zeiten, in denen sogar Discounter Delikatessen und Gourmet-Produkte anbieten, wird der Begriff Luxus immer weniger greifbar. Was für die einen Alltag ist, bedeutet für andere schon Luxus.

Die Packungen der Billig-Luxus-Produkte von Hofer und Konsorten sind mit schwarzen und goldenen Farben auf edel getrimmt. Sie kosten auch wirklich mehr als ihre Mitprodukte und werden als Spezialität oder Delikatesse bezeichnet. Es gibt da Pfeffer-Ziegenkäse, Aufstriche aus Macadamianüssen oder Marmeladen mit gewagteren Fruchtkombinationen. Diese Produkte heben sich von den normalen Produkten ab, die mit „daily“ oder dergleichen beschriftet werden. Denn die Luxusprodukte sollen die anderen billiger erscheinen lassen, sie sind nicht für jeden Tag, die anderen schon. Qualitativ sind diese Edel-Produkte nicht hochwertiger, bezahlt wird für das Gefühl, sich etwas zu Besonderes zu gönnen.

Ist das der Luxus der Hofer-Klientel? Manche andere würden zu Hofer gar nicht einkaufen gehen, weil er ihnen zu billig ist. „Niemals“ würde ihnen beim Gedanken an die Discount-Kette Luxus in den Sinn kommen. Luxus ist für sie ein teures Essen oder ein
schöner Urlaub. Vielleicht eine schöne Wohnung oder ein hübsches Auto. Dinge also, die wiederum für andere Normalität darstellen. Für die Wohlhabenderen sind diese Annehmlichkeiten ohnehin eine Selbstverständlichkeit und ihnen ist Luxus eher etwas, das beim besten Willen nicht notwendig ist. Teurer Schmuck vielleicht oder eine Yacht. Aber wer weiß, vielleicht ist Luxus sowieso etwas für die Ärmeren, während die Reichsten nicht in solchen Kategorien denken.

Ein Stück vom Paradies. Eines steht jedenfalls fest: Luxus ist relativ. Kein einzelnes Ding ist an sich Luxus, sondern es ist nur Luxus in seiner ganz bestimmten Stellung zu den Menschen. Manchmal reicht schließlich schon die richtige Präsentation eines Produkts, um es zum Luxus zu adeln. Es kann aber auch Luxus bedeuten, nicht soviel arbeiten zu müssen oder sich einen Nachmittag lang zu entspannen. Allerdings muss Luxus leistbar sein und er muss eigentlich zu viel kosten. Wer Luxus will, will etwas, das über dem jeweiligen Lebensstandard liegt, ein Stück vom Leben der Reicheren. Und dieser Blick ins Paradies muss weh tun, sonst wäre er keiner.

So betrachtet ist Luxus also teuer und nutzlos. Eigenschaften, die ihm mitunter Kritik eingebracht haben. Denn was nach Vergnügen aussieht, zog stets den Hass derjenigen auf sich, die vom Vergnügen ausgeschlossen sind. Deren Unmut ist verständlich. Wer will schon 40 Stunden die Woche schuften, um sich eine bescheide Bleibe und ein bisschen Freizeitspaß zu finanzieren, während andere den Monatslohn an einem Wochenende durchbringen. Darüberhinaus zieht das Unnütze gerne das Ressentiment derer auf sich, die ihre Leben dem Nützlichen verschrieben haben. Was ich nicht haben konnte, dass sollen auch die anderen niemals haben, lautet die Devise. Was ich mir versagen musste, soll sich ja niemand gestatten.

Der Luxus verkörpert das Privileg. Er macht deutlich, dass manche von den Zwängen des Arbeitslebens verschont bleiben. Die anderen aber, denen dieses Glück nicht vergönnt ward, identifizieren sich mit ihrem Schicksal und geben sich damit zufrieden, darauf zu hoffen, es möge auch den Reichen bald nicht mehr so gut gehen. Gehofft wird auf eine Nivellierung nach unten. Lieber soll es allen schlecht gehen, als nur einigen gut. Daher die Freude, wenn Reiche der Korruption überführt werden oder berühmte Menschen eines Verbrechen angeklagt. Denn damit ist bewiesen, auch sie sind vor der Brutalität der Welt nicht gefeit. Sie können
fallen und verschaffen so jenen Genugtuung, denen es schon immer schlechter ging.

„Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“, lautet dementsprechend ein alter linker Slogan, der auf Georg Büchner zurückgeht. Er weist in dieselbe Richtung wie das Lob von Bescheidenheit und die Romantisierung der Armut, wie sie in Literatur, Film und Fernsehen gerne gepflegt werden. Der Verzicht wird dort verherrlicht, die Armen sollen sich an ihrer Armut erfreuen. Sie werden in diesen Kulturerzeugnissen als die besseren Menschen gezeichnet. Sie sind arm, aber glücklich, sie lieben sich und halten zusammen – die Reichen könnten so scheint es, von ihnen lernen, denn sie werden ihres Reichtums nicht froh.

Kampf den Hütten, Paläste für alle. Aber könnte es nicht auch allen gut gehen? Ein Privileg ist ja nur solange ein Privileg, solange nicht alle in seinen Genuss kommen. Würde der Lebensstandard derer, denen es am schlechtesten geht, angehoben, verlören wohl manche Dinge ihren Schein von Abgehobenheit und dekadenter Luxuriösität. Zumindest verlören sie wohl den bitteren Beigeschmack des Privilegs, der heute moderne Kunst und spekulatives Denken zwangsläufig begleitet. Denn wer es sich leisten kann, stundenlang durch Museen zu tingeln oder sich in ein Buch zu versenken, von dem viele nicht einmal wissen, wovon es überhaupt handelt, sieht sich heute dem – oft zurecht erhobenen – Vorwurf ausgesetzt, sich um handfestere Dinge nicht zu scheren.

Allerdings ist diese Gesellschaft handfest genug und bedarf vielleicht gerade des Abgehobenen und Verträumten. Schließlich kann als Grund für den Hunger der Menschen auf der Welt, ihr Geschundensein und ihre Verhärtung ausgeschlossen werden, sie würden sich zu viel mit nutzlosen und geistigen Dingen abgeben. Im Gegenteil sind sie eher Opfer des Zwangs zur Nützlichkeit und Produktivität, der sich nicht ohne weiteres aufheben lässt und ihnen zum tun unnützer Dinge gar keine Gelegenheit bietet, sowie er das Nutzlose jenen madig macht, die es sich erlauben könnten. Denn der Luxus, das Überflüssige und Unproduktive, ist ja nicht unnütz hinsichtlich der Bedürfnisse der Menschen, sondern hinsichtlich der Produktion. Wäre von den Bedürfnissen der Menschen die Rede, dann würde sicherlich menschliche Arbeit als eines der nutzlosesten Dinge angesehen und es würde daran gearbeitet, Maschinen zu bauen, welche den Menschen diese Last von den Schultern nehmen könnten. Damit sie sich nun den wichtigen Dingen des Lebens widmen könnten: dem Luxus. Dafür wäre freilich der Umbau der Gesellschaft von einer elendigen zu einer luxuriösen, in der der Luxus verallgemeinert wäre, die Voraussetzung. Ein Projekt, das den Kern der kapitalistischen Produktionsweise erfassen müsste.

Der Autor studiert Philosophie an der Uni Wien.

Karma-Kapitalismus.

  • 06.12.2012, 11:35

Von der Vision einer Do it yourself – Gesellschaft. Ein Essay.

Von der Vision einer Do it yourself – Gesellschaft. Ein Essay.

Europa befindet sich immer noch in der Wirtschaftskrise. Die Jugendarbeitslosigkeit steigt und die Ausbildungszeiten werden durch den Bologna-Prozess länger. In der kapitalistischen Welt gibt es fast nur noch Einheitsware zu überhöhten Preisen. Vor allem junge Menschen können sich daher immer weniger leisten. Doch die heutige Welt hat auch ihr Gutes: wir leben in einer Kultur des Sharing. Man teilt seine Gedanken übersoziale Netzwerke und seine Ideen auf Crowdfunding-Seiten.

Der Berliner Jungarchitekt Van Bo Le-Mentzel hat aus diesen Tatsachen unseres heutigen Lebens ein Marketing-Konzept geschaffen – Konstruieren statt Konsumieren. „Build more – buy less.“ In einer Zeit, in der er selbst arbeitslos war, machte Le-Mentzel einen Tischlerkurs an der Volkshochschule und entwickelte seine „Hartz IV Möbel“ – leistbare Do it yourself (DIY)- Möbel für alle.  Dazu überlegte er sich auch gleich eine Strategie, um diese unters Volk zu bringen. In seinem Social Design Manifesto erklärt er, wie er es geschafft hat, seine Träume zu verwirklichen: indem er in kurzer Zeit eine „Crowd“ um sich versammeln konnte, die seine Projekte unterstützt.

Le-Mentzel´s „Hartz IV Möbel“ sind inzwischen international bekannt. Er stellt Baupläne für leistbare Möbel zur Verfügung, die auch noch individuell gestaltet werden können. Vermarktet werden nicht nur die Möbel selbst, sondern ein ganzer Lebensstil. Ikea war gestern. DIY ist heute. Zwar sind die „Hartz IV-Möbel“ in Summe etwas teurer als ein Einkauf im standardisierten Möbelhaus, aber beim selbstgebauten Möbelstück lassen sich die Baupläne leicht dem eigenen Geschmack anpassen. Man kauft also auch ein Stück Individualismus. Obendrauf gibt es das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Community – Le-Mentzel´s „Crowd“ – und natürlich das Erfolgserlebnis, selbst etwas geschaffen zu haben. Die Baupläne, die es heute in gesammelter Form in einem Buch zu kaufen gibt, sind auch völlig kostenlos über Le-Mentzel´s Blog zu haben – im Tausch gegen die eigene DIY-Geschichte. „Der Entwurf kostet nichts. Das heißt nicht, dass er nichts wert ist.“ schreibt Le-Mentzel in seinem Blog. „Deshalb gibt es den kompletten Bauplan nicht einfach so. Ich verlange zwar kein Geld, dafür aber Offenheit.“ Man könne die Baupläne gerne für private Zwecke verwenden und es sei „ausdrücklich erwünscht“ den Bauplan nach den eigenen Vorstellungen weiter zu entwickeln, lässt er seine Crowd wissen.

Im Rahmen der Vienna Design Week war Le-Mentzel Anfang Oktober zum ersten Mal auch in Wien und zeigte dem interessierten Publikum im Wien Museum, wie man ohne handwerkliche Kenntnisse und mit geringen finanziellen Mitteln seinen „Berliner Hocker“ bauen kann. Die Idee dazu kam ihm, weil er seine Verlobte beeindrucken wollte, erzählt er, während sich die BesucherInnen rundherum schon mit Brettern und Schrauben eindecken. Sie nähte ihm ein passendes Sitzkissen dazu und ist heute seine Frau. Dann betont er nochmals, dass er handwerklich gar nicht besonders begabt sei, seine Möbel also wirklich von allen gebaut werden können. Da wir in einer Kultur des Sharing leben, wolle er die Ideen für seine Möbel mit allen teilen. Dann kommt er auf sein „1 sqm House“ zu sprechen – ein Kasten im Design eines Hauses, den man als Sitz- und Liegegelegenheit verwenden und dazu mit sich herumtragen kann. Die hohen Mietpreise vor allem in Szenevierteln haben ihn dazu gebracht, über Wohnalternativen nachzudenken, erklärt er. „Was, wenn man selbst über seine Quadratmeter bestimmen könnte?“ Nach der kurzen Einführung geht es ans Bauen des „Berliner Hockers“, der laut Bauplan nur 10 Euro, 10 Minuten und 10 Schrauben braucht. Und wirklich: Le-Mentzel hält, was er verspricht.

Konstruieren statt Konsumieren Sein Geld verdient Van Bo Le-Mentzel nicht mit seiner Crowd, sondern mit seinem Job als Architekt. Und nun natürlich auch mit seinem Buch, das es auf Amazon zu kaufen gibt. Geld spielt jedoch für Le-Mentzel keine große Rolle. Karma-Kapitalismus nennt er das. In der sogenannten Karma Economy, die er in seinem Buch propagiert, soll eine gebotene Hilfe ein Minimum an Zeit und Geld beanspruchen und der/m Geholfenen ein Maximum an Nutzen bringen. In Le-Mentzels Fall besteht die gebotene Hilfe in kostenlosen Bauplänen. Wenn auch sein Konto durch seine Projekten nicht direkt profitiert haben mag, so hat er damit doch einen großen Bekanntheitsgrad erreicht. All sein Engagement wird daher – auch für Le-Mentzel –  „nicht nichts wert“ gewesen sein.

Le-Mentzel´s Blog: hartzivmoebel.de

Die nächste Weltrevolution hat bereits begonnen

  • 20.09.2012, 01:20

Die nächsten Jahre und Jahrzehnte werden aller Voraussicht nach wenig mit dem zu tun haben, was die Generationen der heute 15- bis 45 Jährigen als alltägliche und politische Normalität zu akzeptieren gezwungen waren.

Das Ende der Geschichte ist zu Ende. Als Francis Fukuyama es 1992 ausrief, hatte er damit nichts anderes gemeint, als dass der liberale Kapitalismus alternativlos geworden sei – auf ewig. Es dauerte nicht ewig bis diese Erzählung als bürgerliche Ideologie herausgefordert wurde – 1994 von den Zapatistas in Chiapas, von den Globalisierungsbewegungen 1999 in Seattle, 2001 in Genua –, aber zugleich ließ sich nicht bestreiten, dass sie auch eine Realität beschrieb. Und gerade die Kritik bestätigte das. Zu keinem anderen Zeitpunkt hätte die Parole „Eine andere Welt ist möglich“ Menschen auf die Straße locken können. Während die bewegende Frage zu anderen Zeiten lautete, welche mögliche Welt am wünschenswertesten wäre, lautete die Frage nun, ob es überhaupt eine Alternative zur bestehenden gäbe. Das Ende der Geschichte stellt eine welthistorische Wirklichkeit dar, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eingetreten war und zehn Jahre später am 11.9.2001 nochmals bestätigt wurde. Sie veränderte die zentralen Motive, mit denen sich konkurrierenden Politiken zu legitimieren suchten: An die Stelle der Hoffnung auf eine bessere Zukunft trat die Angst vor der Verschlechterung der Gegenwart. Und diese Gegenwart, die selbst stetig das Leben der Mehrheit verschlechterte, dehnte sich schier ewig aus.

„Die“ und „wir“. Nun ist das Ende der Geschichte selbst Geschichte. Aus der bereits eingetretenen Zukunft betrachtet wird diese historische Epoche 1991 begonnen und genau 20 Jahre bis zum Arabischen Frühling im Jahr 2011 gedauert haben. Als wäre es darum gegangen, die wirkungsvollste Bühne für ein Comeback zu wählen, nahm die Rückkehr der Geschichte ihren Ausgang ausgerechnet in einer Weltregion, der vom Kolonialismus bis zur Neuen Weltordnung Geschichtslosigkeit oder bestenfalls Rückständigkeit zugeschrieben worden war. Fernsehreporterinnen aus dem Nord-Westen der Welt starrten auf die Bilder der kommunikationstechnologisch beschleunigten Revolutionen in Tunesien und Ägypten und erkannten in deren Akteurinnen sich selbst: „Die“ sahen ja aus wie „wir“. Wie in den großen Revolutionszyklen des 20. Jahrhunderts – 1917, 1968 und eingeschränkt auch 1989 – bewegten sich die Revolutionen von Stadt zu Stadt, von Region zu Region, über Staatsgrenzen hinweg. Und wie die vorherigen Zyklen begann auch dieser an der Peripherie der globalen Ordnung, um von dort mehr oder weniger erfolgreich bis ins Zentrum, das „Herz der Bestie“, vorzustoßen. Von Sidi Bouzid nach Kairo und weiter nach Bengazi, Daraa, al-Manama und Sanaa, über Athen, Madrid, Tel Aviv, London, Santiago de Chile und Wisconsin bis nach New York, Frankfurt und Oakland. Jeder der Aufstände war unvorhergesehen, mancher noch unvorhersehbarer als der nächste. Doch so verschieden die Bedingungen der Bewegungen, so unübersehbar auch ihre Bezugnahmen aufeinander. Digitale Mobilisierung, Besetzungen öffentlicher Plätze – Tahrir-Platz, Placa de Sol, Syntagma-Platz, Liberty Square - weitgehend gewaltfreie, antistaatliche und vor allem radikaldemokratische Organisierung, die zentralistische Institutionen wie Parteien ausschließt und zugleich die Forderung nach gesellschaftlicher, das heißt politischer wie ökonomischer Demokratisierung miteinschließt. Bildlich vor Augen stieg die Globalität der revolutionären Bewegung als auf ägyptischen Demonstrationen Plakate auftauchten, die sich mit den streikenden Arbeiterinnen Wisconsins solidarisierten.

Revolution und Reaktion. Die russischen Revolutionärinnen von 1917 waren davon überzeugt, dass sie nur Erfolg haben könnten, wenn sich die Revolution auf die ganze kapitalistische Welt ausdehnen würde, sie setzten alle Hoffnungen auf Deutschland – und wurden enttäuscht. Auch heute spielt Deutschland wieder eine besondere Rolle: jene des konterrevolutionären Zentrums, die ihm historisch so gut steht – Deutschland hat durch seine Deflations- und Niedriglohnpolitik, harte Währung, billigen Exporte die europäische Krise mitverursacht, deren Wirkungen es mit seinen Spardiktaten verschlimmert. Auch heute wird der Erfolg der Revolutionen nicht zuletzt davon abhängen, wie sehr sie sich gegenseitig zu dynamisieren und radikalisieren vermögen. Während die einen der Welt neue Formen des Protestes und der Organisierung lehren, können sie gerade daraus, dass die anderen sie übernehmen, lernen, dass weder der Sturz eines Diktators noch eines Militärrates bereits zu einer Demokratie führt, die diesen Namen verdient. Am deutlichsten wurde dies demonstriert, als der griechische Ministerpräsident Papandreou ein Referendum über die von EZB, EU-Kommission und IWF diktierten Sparpläne ankündigte – und es zwei Tage darauf wieder absagte, nachdem die Regierungschefs von Europas stärksten Wirtschaftsmächten, Merkel und Sarkozy, interveniert hatten. Demokratie, das war die Lehre dieser Machtdemonstration, bleibt unter kapitalistischen Bedingungen begrenzt; sie endet da, wo sie anfangen könnte, Probleme zu bereiten. Deswegen können an die Stelle gewählter Regierungen auch Expertinnen treten, deren Expertise darin besteht, die „ ökonomischen Sachzwänge“ am besten exekutieren zu können. Warum wählen, wenn es nichts zu wählen gibt?

Krise und Kapital. Daher beziehen die Revolutionsbewegungen, so harmlos sie zuweilen noch erscheinen mögen, ihre welthistorische Brisanz: die Weltwirtschaftskrise von 2008 ist die schärfste seit jener von 1929 und sie dehnt sich noch immer weiter aus. In ihr präsentiert der Kapitalismus seine vollendete Unsinnigkeit: In den USA und Spanien müssen Menschen in Zelten wohnen – weil zu viele Häuser gebaut wurden. In Italien wird die hohe Jugendarbeitslosigkeit beklagt – und das Renteneintrittsalter angehoben. In Deutschland steigt die Arbeitsproduktivität, das heißt, es lässt sich das gleiche in kürzerer Zeit herstellen – die Überstunden nehmen zu. Die Herrschenden aber können oder wollen keinen Ausweg finden – nicht zuletzt daran lassen sich bevorstehende Revolutionen erkennen. Während bürgerliche Intellektuelle in Europa, wie Frank Schirrmacher und Charles Moore, danach schreien, dass die Linke den Kapitalismus retten soll, fordert die US-Amerikanische Rechte, durch ihren Propagandakanal FOX News, dass die Schulden für die Bankenrettung nicht von Multimillionären, sondern von den „50 percent poor“ bezahlt werden sollen. Die se Armen, heißt es, seien gar nicht arm, schließlich besäßen sie ja Mikrowellen. Neu daran ist nicht der moralische Skandal, sondern die Unfähigkeit des Kapitals, seine partikularen Interessen zu überschreiten: So lässt sich weder das US-Imperium retten noch die kapitalistische Produktionsweise reproduzieren. Die Krise aber muss gelöst werden. Während die revolutionären Bewegungen wie sämtliche ihrer Vorgängerinnen durch ihre eigene, nicht zuletzt antisemitische, Korrumpierung bedroht sind, stehen weltweit faschistische, reaktionäre, islamistische Bewegungen bereit. Ihre Krisenlösungsstrategien lauten sexistische Segregation, rassistische Exklusion und – historisch am erfolgreichsten – Rüstungskeynesianismus, Ausschaltung von Konkurrenz, ‚produktive‘ Vernichtung von Kapital – das heißt Krieg. Die demokratischen Revolutionen müssen so zugleich das Schlimme beenden und das Schlimmste verhindern. Die ‚ewige‘ Gegenwart des Kapitals aber ist vorerst zu Ende. Noch einmal gibt der historische Augenblick der Zukunft die Chance, die Vergangenheit abzulösen.

Bini Adamczak ist Autorin des Buches „Kommunismus. Kleine Geschichte wie endlich alles anders wird.“, zuletzt erschien von ihr „Gestern Morgen. Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft“ – im Unrast-Verlag und der Edition Assemblage. Sie war Teil des Performance-Kollektivs „andcompany&co“, das mit der Aufführung „Little Red (Play): ‚Herstory‘“ bei den Wiener Festspielen und mit „time republic“ beim steirischen Herbst in Graz aufgetreten ist. Als Bildende Künstlerin hat sie im WUK und im open space in Wien ausgestellt. Adamczak lebt und publiziert in Berlin.

Zurück in die keynesianische Zukunft?

  • 13.07.2012, 18:18

Die größte Wirtschaftskrise seit 1929 hat zu umfangreichen Debatten über Macht und Ohnmacht des staatlichen Handelns geführt. Wie sind die Taten, die aus diesen abgeleitet wurden, zu bewerten?

Die größte Wirtschaftskrise seit 1929 hat zu umfangreichen Debatten über Macht und Ohnmacht des staatlichen Handelns geführt. Wie sind die Taten, die aus diesen abgeleitet wurden, zu bewerten?

Keynes! Regulierung! Deficit Spending! Moral! Systemerhaltend! Gier! Viele Schlagworte bestimmen den Diskurs um die Wirtschaftskrise. Während die Ursachenforschung oft sehr oberflächlich passierte, waren sich im öffentlichen Diskurs schnell viele KommentatorInnen und PolitikerInnen einig: Regulation der (Finanz-) Märkte. In Europa geben sich hier vor allem PolitikerInnen wie Sarkozy, Merkel und Zapatero als WortführerInnen. Der „unmenschliche Raubtierkapitalismus“ muss in seine Schranken verwiesen werden. Die ManagerInnen seien Schuld, weil sie weder Moral noch Schamgefühl kennen würden. Anstatt sich mit dem Wirtschaftsystem tiefgehend auseinander zu setzen, haben sich also individualisierende Interpretationen hervor getan. ZeitungskommentatorInnen konstantierten gerne ein moralisches Wir-Gefühl. Wir Anständigen gegen die amoralischen ManagerInnen, die gierig Kapital raffen.

Debattenkonjunktur. Diese verkürzte Krisenanalyse zeigt sich auch in den Bewältigungsstrategien. Hier ist zwischen kurz- bis mittelfristigen Sofortmaßnahmen und langfristigen Strukturmaßnahmen zu unterscheiden. Kurzfristig agierten viele Länder ähnlich mit einer, fast biederen, keynesianischen Wirtschaftspolitik. Die Staaten schnürten Rettungspakete, um die ‚systemerhaltenden‘ Banken zu stabilisieren und somit die soziale Ordnung zu gewährleisten. Bald darauf folgten die ersten Konjunkturpakete, mit dem Ziel die erlahmte Realwirtschaft wieder in Gang zu bringen. Bei diesen ließen sich die wenigsten Staaten auf Experimente ein: Stärkung der Eigenkapitalbasis von Unternehmen, günstige Kredite, Steuererleichterungen sowie Investitionen, vor allem in die Baubranche, wurden zu den beliebtesten Rezepten. Die Kontingente fielen allerdings sehr unterschiedlich aus. Während Länder wie die Schweiz nur sehr kleine Gesamtpakete (0,5 Prozent des BIP) schnürten, investierten die großen, stark betroffenen Volkswirtschaften sehr viel mehr. An der Spitze steht hier die USA mit Konjunkturpaketen, die 26 Prozent des BIP ausmachen, das sind 789 Milliarden Dollar. Über Bargeldgutschreibungen für jede Bürgerin und jeden Bürger, Subventionierungen beim Auto- und Häuserkauf sowie Investitionen in die Gesundheitsvorsorge wird auch heute noch versucht, die Kaufkraft zu stabilisieren, mit dem eisernen Ziel zurück zu einem Wirtschaftswachstum zu gelangen. Während aber die Konjunktur in den USA noch nicht anspringen will, prognostizieren WirtschaftsforscherInnen einiger EU-Länder wieder Wachstum.
In Folge wird derzeit eine zweite Welle von (Spar-)Paketen geschnürt. Obwohl bei ihrer Ausgestaltung ein einheitlicher europäischer Trend auszumachen ist, stechen Griechenland und Großbritannien mit ihren Sparpaketen hier besonders hervor. In beiden Ländern wird immens an den Sozialausgaben gespart. In beiden Ländern gibt es zum Teil massiven Widerstand gegen diese Pläne.

Strukturelle Maßnahmen. Der Zielrichtung der Debatten um die richtigen Lösungskonzepte stehen eklatante Brüche zwischen Reden und Handeln gegenüber. In gewissen Abständen kommt etwa die „Tobin Tax“ auf das Tapet. Diese Steuer soll kurzfristige Spekulationen auf Devisengeschäfte unterbinden. Eingeführt wurde sie bis heute, trotz breiter und gewichtiger Unterstützung, nicht.
Zwei Maßnahmen wurden aber in den meisten Ländern der EU durchgesetzt: Zum einen die Begrenzung der Boni für BankerInnen, diese werden künftig auch gedeckelt und dürfen somit nur mehr in einer gewissen Höhe ausbezahlt werden. In Österreich tritt das diesbezügliche Gesetz am 1. Jänner 2011 in Kraft.
Außerdem stellt die EU aktuell ein Spekulations-Gütesiegel vor. Dieses Gütesiegel soll Hedgefonds und ähnliche Unternehmungen bald in seriöse und unseriöse einteilen. So werden dann eben die „guten“ von den „bösen“ SpekulantInnen unterschieden. Diese lässt sich wiederum gut mit der verkürzten Krisenanalyse assoziieren.
In der öffentlichen Debatte werden diese Maßnahmen durchwegs als positiv bewertet. Dass diese aber kaum an der Oberfläche der Krisenursachen kratzen, geht oft unter. Dieses Manko führt zu einer diffusen Vorstellung über die strukturellen Ursachen der Krise und wird, wiedereinmal, mit einem Moral- Diskurs überdeckt. Bei der Bewertung der Lösungsansätze stellt sich schließlich ein weiteres Problem: Die Regierungen scheinen sich im Unklaren darüber zu befinden, wohin diese führen sollen. Ist das Ziel eine umfassende Regulation der Finanzmärkte oder begnügen sich die Regierungen mit Einzelmaßnahmen?

Guter und böser Kapitalismus. Die Hilflosigkeit des staatlichen Handelns ist klar erkennbar. Während er einerseits in kurz- und mittelfristigen Stabilisierungsmaßnahmen viel an Macht und Einfluss gewonnen hat, so agieren die meisten Staaten bei Strukturmaßnahmen zögerlich bis hilflos. So erscheint der Staat als Retter in der Not – eine heroische Rolle, die ihm im medialen Diskurs zukommt. Staatliche Handlungsspielräume wurden hingegen kaum geschaffen.
Der Diskurs um Moral, Werte und Gier bestimmte die Krisenanalyse und wälzt die Schuld auf einzelne Menschen ab. Eine klassisch neoliberale Strategie. Nicht das System hat versagt, sondern einzelne Menschen. Handlungsspielräume werden nicht allgemein strukturell sondern über den Willen des Einzelnen oder der Einzelnen erklärt. Appelliert wird an das Gute oder das Diabolische. Die soziale Marktwirtschaft übernahm lange Zeit die Rolle des „guten“ Kapitalismus.
Dieser Traum vom guten Kapitalismus scheint ausgeträumt, jetzt wird auf den ein-bisschen-besseren Kapitalismus gepocht.

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