Die queeren Kompliz_innen des Systems

  • 22.06.2016, 11:49
Gegen die Komplizenschaft mit dem System appellieren Heinz-Jürgen Voß und Salih Alexander Wolter mit „Queer und (Anti-) Kapitalismus“. Adressiert ist das Buch eindeutig an Leute, die sich in queeren Theoriegebilden bereits prächtig zurechtfinden.

Gegen die Komplizenschaft mit dem System appellieren Heinz-Jürgen Voß und Salih Alexander Wolter mit „Queer und (Anti-) Kapitalismus“. Adressiert ist das Buch eindeutig an Leute, die sich in queeren Theoriegebilden bereits prächtig zurechtfinden. Dieser tendenziell weiße, akademische Mittelschichtskreis hat sich mitunter ganz gut mit gesellschaftlichen Machtstrukturen arrangiert und ist immer wieder einmal versucht, sich in akademischen Diskursen und kleinen Teilbereichen dessen zu verlieren, was die Autoren nun als „das Ganze“ problematisieren. Das Ganze ist irgendwie Kapitalismus, aber nicht bloß als Wirtschaftsform, sondern als Prinzip, das die Gesellschaft strukturiert und gestaltet und das mit Sexismus, Rassismus und anderen Ungleichheiten verwoben ist.

Dieser Verwobenheit war man sich in den Anfängen der queeren Bewegung in den 1960ern durchaus bewusst. Damals protestierten Trans*-Personen, Sexarbeiter*innen, junge obdachlose Queers, Queers of Color und jene aus der Arbeiterklasse gegen Polizeigewalt und gesellschaftliche Unterdrückung. Die aktuelle Queer-Bewegung neigt dazu, diese solidarischen Kämpfe in den Hintergrund zu drängen und eigene privilegierte Positionen absolut zu setzen. Dagegen wenden sich die Autoren. Sie gehen darauf ein, warum sex, class und race analytisch nicht getrennt werden sollten, wieso eine Aufspaltung politischer Kämpfe problematisch ist und warum wir uns bedingungslos an die Kämpfe jener anschließen müssen, die gesellschaftlich am meisten unterdrückt werden. Zentrale Themen sind die Geschichte der Queer-Bewegung, Feminismus, Kolonialismus, globale Arbeitsteilung und Kapitalismus.

Das Buch findet klare Worte für queere Kompliz_innen des Systems, vorausgesetzt sie sind mit akademischem, linkem Theoriejargon vertraut. Für alle anderen sind es weniger klare Worte, mehr verschwommene Ideen in komprimierter Form. Ich würde das Buch trotzdem allen empfehlen, die sich gerne kritisch mit der Gesellschaft auseinandersetzen. Durch die streckenweise komplizierten Formulierungen kann man sich durchkämpfen, dann bietet es eine hervorragende Zusammensicht der Kernaspekte linker Ideologie. Außerdem gibt es dutzende Verweise auf essentielle Werke zum Weiterlesen, die in bisherigen Debatten vielfach ungerechtfertigt vernachlässigt wurden.

Heinz-Jürgen Voß & Salih Alexander Wolter: Queer und (Anti-)Kapitalismus.
Schmetterling Verlag. 2015 (2. Auflage).
159 Seiten, 12,80 Euro.

Carina Brestian studierte Gender Studies an der Uni Wien.

AutorInnen: Carina Brestian