Karma-Kapitalismus.

  • 06.12.2012, 11:35

Von der Vision einer Do it yourself – Gesellschaft. Ein Essay.

Von der Vision einer Do it yourself – Gesellschaft. Ein Essay.

Europa befindet sich immer noch in der Wirtschaftskrise. Die Jugendarbeitslosigkeit steigt und die Ausbildungszeiten werden durch den Bologna-Prozess länger. In der kapitalistischen Welt gibt es fast nur noch Einheitsware zu überhöhten Preisen. Vor allem junge Menschen können sich daher immer weniger leisten. Doch die heutige Welt hat auch ihr Gutes: wir leben in einer Kultur des Sharing. Man teilt seine Gedanken übersoziale Netzwerke und seine Ideen auf Crowdfunding-Seiten.

Der Berliner Jungarchitekt Van Bo Le-Mentzel hat aus diesen Tatsachen unseres heutigen Lebens ein Marketing-Konzept geschaffen – Konstruieren statt Konsumieren. „Build more – buy less.“ In einer Zeit, in der er selbst arbeitslos war, machte Le-Mentzel einen Tischlerkurs an der Volkshochschule und entwickelte seine „Hartz IV Möbel“ – leistbare Do it yourself (DIY)- Möbel für alle.  Dazu überlegte er sich auch gleich eine Strategie, um diese unters Volk zu bringen. In seinem Social Design Manifesto erklärt er, wie er es geschafft hat, seine Träume zu verwirklichen: indem er in kurzer Zeit eine „Crowd“ um sich versammeln konnte, die seine Projekte unterstützt.

Le-Mentzel´s „Hartz IV Möbel“ sind inzwischen international bekannt. Er stellt Baupläne für leistbare Möbel zur Verfügung, die auch noch individuell gestaltet werden können. Vermarktet werden nicht nur die Möbel selbst, sondern ein ganzer Lebensstil. Ikea war gestern. DIY ist heute. Zwar sind die „Hartz IV-Möbel“ in Summe etwas teurer als ein Einkauf im standardisierten Möbelhaus, aber beim selbstgebauten Möbelstück lassen sich die Baupläne leicht dem eigenen Geschmack anpassen. Man kauft also auch ein Stück Individualismus. Obendrauf gibt es das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Community – Le-Mentzel´s „Crowd“ – und natürlich das Erfolgserlebnis, selbst etwas geschaffen zu haben. Die Baupläne, die es heute in gesammelter Form in einem Buch zu kaufen gibt, sind auch völlig kostenlos über Le-Mentzel´s Blog zu haben – im Tausch gegen die eigene DIY-Geschichte. „Der Entwurf kostet nichts. Das heißt nicht, dass er nichts wert ist.“ schreibt Le-Mentzel in seinem Blog. „Deshalb gibt es den kompletten Bauplan nicht einfach so. Ich verlange zwar kein Geld, dafür aber Offenheit.“ Man könne die Baupläne gerne für private Zwecke verwenden und es sei „ausdrücklich erwünscht“ den Bauplan nach den eigenen Vorstellungen weiter zu entwickeln, lässt er seine Crowd wissen.

Im Rahmen der Vienna Design Week war Le-Mentzel Anfang Oktober zum ersten Mal auch in Wien und zeigte dem interessierten Publikum im Wien Museum, wie man ohne handwerkliche Kenntnisse und mit geringen finanziellen Mitteln seinen „Berliner Hocker“ bauen kann. Die Idee dazu kam ihm, weil er seine Verlobte beeindrucken wollte, erzählt er, während sich die BesucherInnen rundherum schon mit Brettern und Schrauben eindecken. Sie nähte ihm ein passendes Sitzkissen dazu und ist heute seine Frau. Dann betont er nochmals, dass er handwerklich gar nicht besonders begabt sei, seine Möbel also wirklich von allen gebaut werden können. Da wir in einer Kultur des Sharing leben, wolle er die Ideen für seine Möbel mit allen teilen. Dann kommt er auf sein „1 sqm House“ zu sprechen – ein Kasten im Design eines Hauses, den man als Sitz- und Liegegelegenheit verwenden und dazu mit sich herumtragen kann. Die hohen Mietpreise vor allem in Szenevierteln haben ihn dazu gebracht, über Wohnalternativen nachzudenken, erklärt er. „Was, wenn man selbst über seine Quadratmeter bestimmen könnte?“ Nach der kurzen Einführung geht es ans Bauen des „Berliner Hockers“, der laut Bauplan nur 10 Euro, 10 Minuten und 10 Schrauben braucht. Und wirklich: Le-Mentzel hält, was er verspricht.

Konstruieren statt Konsumieren Sein Geld verdient Van Bo Le-Mentzel nicht mit seiner Crowd, sondern mit seinem Job als Architekt. Und nun natürlich auch mit seinem Buch, das es auf Amazon zu kaufen gibt. Geld spielt jedoch für Le-Mentzel keine große Rolle. Karma-Kapitalismus nennt er das. In der sogenannten Karma Economy, die er in seinem Buch propagiert, soll eine gebotene Hilfe ein Minimum an Zeit und Geld beanspruchen und der/m Geholfenen ein Maximum an Nutzen bringen. In Le-Mentzels Fall besteht die gebotene Hilfe in kostenlosen Bauplänen. Wenn auch sein Konto durch seine Projekten nicht direkt profitiert haben mag, so hat er damit doch einen großen Bekanntheitsgrad erreicht. All sein Engagement wird daher – auch für Le-Mentzel –  „nicht nichts wert“ gewesen sein.

Le-Mentzel´s Blog: hartzivmoebel.de

AutorInnen: Verena Ehrnberger