Zurück in die keynesianische Zukunft?

  • 13.07.2012, 18:18

Die größte Wirtschaftskrise seit 1929 hat zu umfangreichen Debatten über Macht und Ohnmacht des staatlichen Handelns geführt. Wie sind die Taten, die aus diesen abgeleitet wurden, zu bewerten?

Die größte Wirtschaftskrise seit 1929 hat zu umfangreichen Debatten über Macht und Ohnmacht des staatlichen Handelns geführt. Wie sind die Taten, die aus diesen abgeleitet wurden, zu bewerten?

Keynes! Regulierung! Deficit Spending! Moral! Systemerhaltend! Gier! Viele Schlagworte bestimmen den Diskurs um die Wirtschaftskrise. Während die Ursachenforschung oft sehr oberflächlich passierte, waren sich im öffentlichen Diskurs schnell viele KommentatorInnen und PolitikerInnen einig: Regulation der (Finanz-) Märkte. In Europa geben sich hier vor allem PolitikerInnen wie Sarkozy, Merkel und Zapatero als WortführerInnen. Der „unmenschliche Raubtierkapitalismus“ muss in seine Schranken verwiesen werden. Die ManagerInnen seien Schuld, weil sie weder Moral noch Schamgefühl kennen würden. Anstatt sich mit dem Wirtschaftsystem tiefgehend auseinander zu setzen, haben sich also individualisierende Interpretationen hervor getan. ZeitungskommentatorInnen konstantierten gerne ein moralisches Wir-Gefühl. Wir Anständigen gegen die amoralischen ManagerInnen, die gierig Kapital raffen.

Debattenkonjunktur. Diese verkürzte Krisenanalyse zeigt sich auch in den Bewältigungsstrategien. Hier ist zwischen kurz- bis mittelfristigen Sofortmaßnahmen und langfristigen Strukturmaßnahmen zu unterscheiden. Kurzfristig agierten viele Länder ähnlich mit einer, fast biederen, keynesianischen Wirtschaftspolitik. Die Staaten schnürten Rettungspakete, um die ‚systemerhaltenden‘ Banken zu stabilisieren und somit die soziale Ordnung zu gewährleisten. Bald darauf folgten die ersten Konjunkturpakete, mit dem Ziel die erlahmte Realwirtschaft wieder in Gang zu bringen. Bei diesen ließen sich die wenigsten Staaten auf Experimente ein: Stärkung der Eigenkapitalbasis von Unternehmen, günstige Kredite, Steuererleichterungen sowie Investitionen, vor allem in die Baubranche, wurden zu den beliebtesten Rezepten. Die Kontingente fielen allerdings sehr unterschiedlich aus. Während Länder wie die Schweiz nur sehr kleine Gesamtpakete (0,5 Prozent des BIP) schnürten, investierten die großen, stark betroffenen Volkswirtschaften sehr viel mehr. An der Spitze steht hier die USA mit Konjunkturpaketen, die 26 Prozent des BIP ausmachen, das sind 789 Milliarden Dollar. Über Bargeldgutschreibungen für jede Bürgerin und jeden Bürger, Subventionierungen beim Auto- und Häuserkauf sowie Investitionen in die Gesundheitsvorsorge wird auch heute noch versucht, die Kaufkraft zu stabilisieren, mit dem eisernen Ziel zurück zu einem Wirtschaftswachstum zu gelangen. Während aber die Konjunktur in den USA noch nicht anspringen will, prognostizieren WirtschaftsforscherInnen einiger EU-Länder wieder Wachstum.
In Folge wird derzeit eine zweite Welle von (Spar-)Paketen geschnürt. Obwohl bei ihrer Ausgestaltung ein einheitlicher europäischer Trend auszumachen ist, stechen Griechenland und Großbritannien mit ihren Sparpaketen hier besonders hervor. In beiden Ländern wird immens an den Sozialausgaben gespart. In beiden Ländern gibt es zum Teil massiven Widerstand gegen diese Pläne.

Strukturelle Maßnahmen. Der Zielrichtung der Debatten um die richtigen Lösungskonzepte stehen eklatante Brüche zwischen Reden und Handeln gegenüber. In gewissen Abständen kommt etwa die „Tobin Tax“ auf das Tapet. Diese Steuer soll kurzfristige Spekulationen auf Devisengeschäfte unterbinden. Eingeführt wurde sie bis heute, trotz breiter und gewichtiger Unterstützung, nicht.
Zwei Maßnahmen wurden aber in den meisten Ländern der EU durchgesetzt: Zum einen die Begrenzung der Boni für BankerInnen, diese werden künftig auch gedeckelt und dürfen somit nur mehr in einer gewissen Höhe ausbezahlt werden. In Österreich tritt das diesbezügliche Gesetz am 1. Jänner 2011 in Kraft.
Außerdem stellt die EU aktuell ein Spekulations-Gütesiegel vor. Dieses Gütesiegel soll Hedgefonds und ähnliche Unternehmungen bald in seriöse und unseriöse einteilen. So werden dann eben die „guten“ von den „bösen“ SpekulantInnen unterschieden. Diese lässt sich wiederum gut mit der verkürzten Krisenanalyse assoziieren.
In der öffentlichen Debatte werden diese Maßnahmen durchwegs als positiv bewertet. Dass diese aber kaum an der Oberfläche der Krisenursachen kratzen, geht oft unter. Dieses Manko führt zu einer diffusen Vorstellung über die strukturellen Ursachen der Krise und wird, wiedereinmal, mit einem Moral- Diskurs überdeckt. Bei der Bewertung der Lösungsansätze stellt sich schließlich ein weiteres Problem: Die Regierungen scheinen sich im Unklaren darüber zu befinden, wohin diese führen sollen. Ist das Ziel eine umfassende Regulation der Finanzmärkte oder begnügen sich die Regierungen mit Einzelmaßnahmen?

Guter und böser Kapitalismus. Die Hilflosigkeit des staatlichen Handelns ist klar erkennbar. Während er einerseits in kurz- und mittelfristigen Stabilisierungsmaßnahmen viel an Macht und Einfluss gewonnen hat, so agieren die meisten Staaten bei Strukturmaßnahmen zögerlich bis hilflos. So erscheint der Staat als Retter in der Not – eine heroische Rolle, die ihm im medialen Diskurs zukommt. Staatliche Handlungsspielräume wurden hingegen kaum geschaffen.
Der Diskurs um Moral, Werte und Gier bestimmte die Krisenanalyse und wälzt die Schuld auf einzelne Menschen ab. Eine klassisch neoliberale Strategie. Nicht das System hat versagt, sondern einzelne Menschen. Handlungsspielräume werden nicht allgemein strukturell sondern über den Willen des Einzelnen oder der Einzelnen erklärt. Appelliert wird an das Gute oder das Diabolische. Die soziale Marktwirtschaft übernahm lange Zeit die Rolle des „guten“ Kapitalismus.
Dieser Traum vom guten Kapitalismus scheint ausgeträumt, jetzt wird auf den ein-bisschen-besseren Kapitalismus gepocht.

AutorInnen: Natascha Strobl