Die nächste Weltrevolution hat bereits begonnen

  • 20.09.2012, 01:20

Die nächsten Jahre und Jahrzehnte werden aller Voraussicht nach wenig mit dem zu tun haben, was die Generationen der heute 15- bis 45 Jährigen als alltägliche und politische Normalität zu akzeptieren gezwungen waren.

Das Ende der Geschichte ist zu Ende. Als Francis Fukuyama es 1992 ausrief, hatte er damit nichts anderes gemeint, als dass der liberale Kapitalismus alternativlos geworden sei – auf ewig. Es dauerte nicht ewig bis diese Erzählung als bürgerliche Ideologie herausgefordert wurde – 1994 von den Zapatistas in Chiapas, von den Globalisierungsbewegungen 1999 in Seattle, 2001 in Genua –, aber zugleich ließ sich nicht bestreiten, dass sie auch eine Realität beschrieb. Und gerade die Kritik bestätigte das. Zu keinem anderen Zeitpunkt hätte die Parole „Eine andere Welt ist möglich“ Menschen auf die Straße locken können. Während die bewegende Frage zu anderen Zeiten lautete, welche mögliche Welt am wünschenswertesten wäre, lautete die Frage nun, ob es überhaupt eine Alternative zur bestehenden gäbe. Das Ende der Geschichte stellt eine welthistorische Wirklichkeit dar, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eingetreten war und zehn Jahre später am 11.9.2001 nochmals bestätigt wurde. Sie veränderte die zentralen Motive, mit denen sich konkurrierenden Politiken zu legitimieren suchten: An die Stelle der Hoffnung auf eine bessere Zukunft trat die Angst vor der Verschlechterung der Gegenwart. Und diese Gegenwart, die selbst stetig das Leben der Mehrheit verschlechterte, dehnte sich schier ewig aus.

„Die“ und „wir“. Nun ist das Ende der Geschichte selbst Geschichte. Aus der bereits eingetretenen Zukunft betrachtet wird diese historische Epoche 1991 begonnen und genau 20 Jahre bis zum Arabischen Frühling im Jahr 2011 gedauert haben. Als wäre es darum gegangen, die wirkungsvollste Bühne für ein Comeback zu wählen, nahm die Rückkehr der Geschichte ihren Ausgang ausgerechnet in einer Weltregion, der vom Kolonialismus bis zur Neuen Weltordnung Geschichtslosigkeit oder bestenfalls Rückständigkeit zugeschrieben worden war. Fernsehreporterinnen aus dem Nord-Westen der Welt starrten auf die Bilder der kommunikationstechnologisch beschleunigten Revolutionen in Tunesien und Ägypten und erkannten in deren Akteurinnen sich selbst: „Die“ sahen ja aus wie „wir“. Wie in den großen Revolutionszyklen des 20. Jahrhunderts – 1917, 1968 und eingeschränkt auch 1989 – bewegten sich die Revolutionen von Stadt zu Stadt, von Region zu Region, über Staatsgrenzen hinweg. Und wie die vorherigen Zyklen begann auch dieser an der Peripherie der globalen Ordnung, um von dort mehr oder weniger erfolgreich bis ins Zentrum, das „Herz der Bestie“, vorzustoßen. Von Sidi Bouzid nach Kairo und weiter nach Bengazi, Daraa, al-Manama und Sanaa, über Athen, Madrid, Tel Aviv, London, Santiago de Chile und Wisconsin bis nach New York, Frankfurt und Oakland. Jeder der Aufstände war unvorhergesehen, mancher noch unvorhersehbarer als der nächste. Doch so verschieden die Bedingungen der Bewegungen, so unübersehbar auch ihre Bezugnahmen aufeinander. Digitale Mobilisierung, Besetzungen öffentlicher Plätze – Tahrir-Platz, Placa de Sol, Syntagma-Platz, Liberty Square - weitgehend gewaltfreie, antistaatliche und vor allem radikaldemokratische Organisierung, die zentralistische Institutionen wie Parteien ausschließt und zugleich die Forderung nach gesellschaftlicher, das heißt politischer wie ökonomischer Demokratisierung miteinschließt. Bildlich vor Augen stieg die Globalität der revolutionären Bewegung als auf ägyptischen Demonstrationen Plakate auftauchten, die sich mit den streikenden Arbeiterinnen Wisconsins solidarisierten.

Revolution und Reaktion. Die russischen Revolutionärinnen von 1917 waren davon überzeugt, dass sie nur Erfolg haben könnten, wenn sich die Revolution auf die ganze kapitalistische Welt ausdehnen würde, sie setzten alle Hoffnungen auf Deutschland – und wurden enttäuscht. Auch heute spielt Deutschland wieder eine besondere Rolle: jene des konterrevolutionären Zentrums, die ihm historisch so gut steht – Deutschland hat durch seine Deflations- und Niedriglohnpolitik, harte Währung, billigen Exporte die europäische Krise mitverursacht, deren Wirkungen es mit seinen Spardiktaten verschlimmert. Auch heute wird der Erfolg der Revolutionen nicht zuletzt davon abhängen, wie sehr sie sich gegenseitig zu dynamisieren und radikalisieren vermögen. Während die einen der Welt neue Formen des Protestes und der Organisierung lehren, können sie gerade daraus, dass die anderen sie übernehmen, lernen, dass weder der Sturz eines Diktators noch eines Militärrates bereits zu einer Demokratie führt, die diesen Namen verdient. Am deutlichsten wurde dies demonstriert, als der griechische Ministerpräsident Papandreou ein Referendum über die von EZB, EU-Kommission und IWF diktierten Sparpläne ankündigte – und es zwei Tage darauf wieder absagte, nachdem die Regierungschefs von Europas stärksten Wirtschaftsmächten, Merkel und Sarkozy, interveniert hatten. Demokratie, das war die Lehre dieser Machtdemonstration, bleibt unter kapitalistischen Bedingungen begrenzt; sie endet da, wo sie anfangen könnte, Probleme zu bereiten. Deswegen können an die Stelle gewählter Regierungen auch Expertinnen treten, deren Expertise darin besteht, die „ ökonomischen Sachzwänge“ am besten exekutieren zu können. Warum wählen, wenn es nichts zu wählen gibt?

Krise und Kapital. Daher beziehen die Revolutionsbewegungen, so harmlos sie zuweilen noch erscheinen mögen, ihre welthistorische Brisanz: die Weltwirtschaftskrise von 2008 ist die schärfste seit jener von 1929 und sie dehnt sich noch immer weiter aus. In ihr präsentiert der Kapitalismus seine vollendete Unsinnigkeit: In den USA und Spanien müssen Menschen in Zelten wohnen – weil zu viele Häuser gebaut wurden. In Italien wird die hohe Jugendarbeitslosigkeit beklagt – und das Renteneintrittsalter angehoben. In Deutschland steigt die Arbeitsproduktivität, das heißt, es lässt sich das gleiche in kürzerer Zeit herstellen – die Überstunden nehmen zu. Die Herrschenden aber können oder wollen keinen Ausweg finden – nicht zuletzt daran lassen sich bevorstehende Revolutionen erkennen. Während bürgerliche Intellektuelle in Europa, wie Frank Schirrmacher und Charles Moore, danach schreien, dass die Linke den Kapitalismus retten soll, fordert die US-Amerikanische Rechte, durch ihren Propagandakanal FOX News, dass die Schulden für die Bankenrettung nicht von Multimillionären, sondern von den „50 percent poor“ bezahlt werden sollen. Die se Armen, heißt es, seien gar nicht arm, schließlich besäßen sie ja Mikrowellen. Neu daran ist nicht der moralische Skandal, sondern die Unfähigkeit des Kapitals, seine partikularen Interessen zu überschreiten: So lässt sich weder das US-Imperium retten noch die kapitalistische Produktionsweise reproduzieren. Die Krise aber muss gelöst werden. Während die revolutionären Bewegungen wie sämtliche ihrer Vorgängerinnen durch ihre eigene, nicht zuletzt antisemitische, Korrumpierung bedroht sind, stehen weltweit faschistische, reaktionäre, islamistische Bewegungen bereit. Ihre Krisenlösungsstrategien lauten sexistische Segregation, rassistische Exklusion und – historisch am erfolgreichsten – Rüstungskeynesianismus, Ausschaltung von Konkurrenz, ‚produktive‘ Vernichtung von Kapital – das heißt Krieg. Die demokratischen Revolutionen müssen so zugleich das Schlimme beenden und das Schlimmste verhindern. Die ‚ewige‘ Gegenwart des Kapitals aber ist vorerst zu Ende. Noch einmal gibt der historische Augenblick der Zukunft die Chance, die Vergangenheit abzulösen.

Bini Adamczak ist Autorin des Buches „Kommunismus. Kleine Geschichte wie endlich alles anders wird.“, zuletzt erschien von ihr „Gestern Morgen. Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft“ – im Unrast-Verlag und der Edition Assemblage. Sie war Teil des Performance-Kollektivs „andcompany&co“, das mit der Aufführung „Little Red (Play): ‚Herstory‘“ bei den Wiener Festspielen und mit „time republic“ beim steirischen Herbst in Graz aufgetreten ist. Als Bildende Künstlerin hat sie im WUK und im open space in Wien ausgestellt. Adamczak lebt und publiziert in Berlin.

AutorInnen: Bini Adamczak