Repression

Der Überwachungsstaat, das Gras und das Internet

  • 05.07.2016, 14:12
Technologien subtiler Überwachung sind im Drogengeschäft genauso omnipräsent wie aggressive Razzien. Ein Dealer erzählt, wie diese Formen der Kontrolle jenseits offensiver Repressionen seinen Alltag beeinflussen.

Technologien subtiler Überwachung sind im Drogengeschäft genauso omnipräsent wie aggressive Razzien. Ein Dealer erzählt, wie diese Formen der Kontrolle jenseits offensiver Repressionen seinen Alltag beeinflussen.

Wie in einem schlechten Film reagiert Alex,* als plötzlich die Polizei vor seiner Tür steht. Nein, die Beamten dürften nicht reinkommen. Er weiß, dass ihm vermutlich nur wenige Minuten bleiben, Beweise zu vernichten. Hektisch stopft der Student mehrere Kilo Gras in den Spülkasten der Toilette und verbrennt das Verpackungsmaterial, Anbaustation und sämtliche Pflanzen auf der Dachterrasse – 2000 Euro hätte Alex mit der zerstörten Ware noch verdienen können, die schuldet er jetzt Mo,* seinem Lieferant.

„Alex tauchte für mehrere Tage ab, da wusste ich, dass etwas nicht stimmt“, erzählt Mo, der sich selber durch das Dealen seit vier Jahren sein Studium in Wien finanziert. Um die fünfzig feste Kund*innen beliefert er, Alex hat er sich ins Team geholt, weil die Nachfrage so groß wurde. „In diesen drei Tagen hatte ich richtig Schiss, schließlich führen seine Spuren eindeutig zu mir.“ Mit Spuren meint Mo Telefonate, SMS, Besuche mit großen Rucksäcken. Bewegungs- und Kommunikationsabläufe, bei denen mittlerweile nicht nur Dealer*innen davon ausgehen, dass sie permanent aufgezeichnet, überwacht und ausgewertet werden.

BIG BROTHER IST TOT. Durch das Narrativ einer Gesellschaft, die nach Sicherheit verlange, rechtfertigen Firmen und staatliche Institutionen die allumfassende Datenakkumulation vom Einkaufsverhalten über die Urlaubspräferenzen bis hin zum Versicherungsstatus. Jede*r ist Teil der Massenüberwachung und damit a priori verdächtig. Nur durch völlige Transparenz können sich die Individuen von diesem Verdacht befreien: „Ich hab ja nichts zu verbergen“ heißt es oft, wenn Menschen breitwillig Informationen in sozialen Netzwerken preisgeben. Einstellungen wie diese begünstigen eine subtilere Form der massenhaften Datenerhebung, - Auswertung und –Kontrolle, die wesentlich auf der Teilhabe der Individuen selbst beruht.

„Big Brother“ als beobachtende und im Ernstfall strafende Instanz wird damit obsolet. Stattdessen treten Kontrollmechanismen in Kraft, die der Soziologe Zygmund Bauman als „Liquid surveillance“ bezeichnet. „Flüssige Überwachung“, deren Techniken nicht mehr auf das Verhalten Einzelner abzielen, sondern Abweichungen mithilfe von Rastern und Algorithmen aus einem Strom von Daten errechnen. Im Alltag kann sich das im Vergleich zu disziplinarischen Formen der Überwachung freiheitlicher anfühlen, als es eigentlich ist. Für das Drogengeschäft stellt diese subtile Überwachung ein spezielles Risiko dar.

Zwar habe er sich in sieben Jahren Dealen kein einziges Mal observiert gefühlt, „trotzdem wächst mit jedem Tag das Paket aus Spuren, das ich hinterlasse und damit die Wahrscheinlichkeit, morgen hochgenommen zu werden“, sagt Mo. Er ist deshalb sehr vorsichtig geworden: Ein Kurzzeit-Handyvertrag unter falschem Namen, kein Kontakt mit Kund*innen online und ganz bestimmte Codes, wie vor einem Deal am Telefon kommuniziert wird. Unter fünf Gramm lohnt sich für Mo der Verkauf nicht. Sich „auf einen Kaffee treffen“, bedeutet also „bring mir fünf Gramm mit“, zwei Kaffee sind zehn Gramm und so weiter. „Am Anfang ist die Kommunikation immer mit Schwierigkeiten verbunden, wenn die Terminologien noch nicht geklärt sind. Menschen passieren Fehler. So etwas wie Nachzahlen, Vorstrecken oder nur die Hälfte an Gras kaufen wollen ist mit der Bier-Metapher schwer auszudrücken.“ Die Codes variieren auch je nach Klientel: Student*innen bestellten häufig eher zwei Bücher statt Bier oder Kaffee.

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Er wirkt entspannt, während er über seinen Job redet. Auf die Frage, ob seine technischen Geräte verschlüsselt seien, zuckt er mit den Schultern und erwidert: „Welchen Unterschied würde das machen?“ Das tägliche Risiko gehöre zu den Arbeitsbedingungen seines Jobs. Sobald er das Gefühl hat, ein*e Kund*in sei nicht mehr vertrauenswürdig, täuscht er Probleme mit der Lieferung vor und löscht die Person aus seinem Telefonbuch.

ES LEBE BIG BROTHER. Im Gegensatz zum Dealen auf der Straße, wo autoritäre Überwachung à la Big Brother noch in Form von Razzien und Polizeigewalt funktioniert, wird für Dealer*innen wie Mo erst die Schnittstelle von Massen- und Individualüberwachung zur Gefahr. Da, wo nach einem vagen Verdacht plötzlich Datenpakete als umfassende Beweise abgerufen werden können, weil jemand aus dem Netzwerk ihn verraten hat oder selber hochgenommen wurde. Schneller als nach langwierigen Prozessen der Individualüberwachung kann Big Brother dann plötzlich vor der Tür stehen, begünstigt durch mangelnde Restriktionen der Vorratsdatenspeicherung oder die bereitwillige Weitergabe von Metadaten aus sozialen Netzwerken. Auch begünstigt durch partizipative Kommunikationsformate, die permanent dazu anregen, den digitalen Fingerabdruck zu vergrößern und einer vermeintlichen Norm anzupassen, die auf teilen, liken und posten beruht. Eine Überwachung, die so lange unsichtbar bleibt, bis Abweichungen von dieser vermeintlichen Norm erkennbar werden.

Was genau diese Abweichung in Alex Fall gewesen sein könnte, wusste Mo zum Zeitpunkt der drohenden Hausdurchsuchung bei seinem Kollegen nicht. Das Gefühl, selbst vielleicht schon mehrere Monate beobachtet worden zu sein, sei jedoch beklemmender, als jede Körperdurchsuchung, die er bis jetzt über sich ergehen lassen musste. „In diesem Moment kannst du nicht mehr klar denken. Mit den heutigen technischen Möglichkeiten ist alles nachweisbar. Ich hatte schon im Kopf, wie ich das meinen Eltern erzählen soll“, erinnert er sich.

Nach vier Tagen dann die Entwarnung: Alex Nachbarn erzählen ihm, dass im Haus eine Straftat begangen worden sei, die Polizei hätte deshalb mit allen Nachbar*innen sprechen wollen. Zu dem Zeitpunkt hat Alex bereits sein gesamtes Gras vernichtet. Für den Schaden wird er mehrere Monate weiter dealen müssen. Ob er danach damit aufhört, bezweifelt Mo: „So wie ich arbeite, in Cafés und von zu Hause aus, habe ich den entspanntesten Job der Welt. Ich habe mir die besten sieben Jahre meine Lebens damit finanziert, wenn ich jetzt ein paar Monate ins Gefängnis müsste, wäre das fast schon ein fairer Deal“, dann überlegt er kurz und fügt hinzu „obwohl, scheiße wäre es trotzdem.“

Eva Hoffmann studiert Theater-, Film- und Medientheorie an der Uni Wien.

* Die Protagonist*innen dieses Textes möchten anonym bleiben.

Zwischen U-Bahnhof und Grauem Haus

  • 22.06.2016, 13:50
Drogen und die Justiz – aus dem Alltag einer Rechtspraktikantin.

Drogen und die Justiz – aus dem Alltag einer Rechtspraktikantin.

„Zu zwei Drittel sind wir ja Sozialarbeiter_innen.“ Das sagt meine Ausbildungsrichterin immer, wenn sie das Gefühl hat, der Mensch auf der Anklagebank müsste eigentlich gar nicht da sitzen. Die meisten von unseren Leuten hier, sagt sie, die hätten nur irgendwen gebraucht, der sie an der Hand nimmt und ein bisserl durchs Leben führt.

Seit fast drei Monaten mache ich jetzt Gerichtspraxis, meine erste Zuteilung ist eine Strafabteilung in Wien. Ungefähr die Hälfte der Fälle, die wir verhandeln, haben irgendetwas mit Drogen zu tun. Teenager, die mit einem Joint erwischt worden sind. Ein bisschen ältere Teenager, die mit ein paar mehr Joints erwischt worden sind. Ein bisschen kaputtere Teenager, die auf Heroin-Cold-Turkey im Verhandlungssaal sitzen und keinen zusammenhängenden Satz mehr herausbringen. Und natürlich die erwachsenen Gegenparts zu diesen Teens. Die Leute, die ihre Verhandlung verschieben wollen, weil sie keine Urlaubstage mehr haben und der Chef nichts mitbekommen soll. Die, die sich fürchten ihre Mindestsicherung zu verlieren, wenn sie wegen Drogen verurteilt werden. Die, die auf einmal verschwinden, obdachlos gemeldet sind, aber auch in keiner Einrichtung mehr auftauchen. Die, die mit den Drogen für all die anderen handeln.

KLASSENJUSTIZ, GANZ UNGENIERT. Alle diese Leute, die mir auf der Bank gegenüber sitzen, haben eines gemeinsam: Sie sind das, was der Dekan meiner Fakultät bei meiner Sponsionsfeier mit einem süffisanten Grinsen und ein wenig Abscheu im Gesicht als „bildungsfern“ bezeichnet hat. Die meisten haben keinen formalen Bildungsabschluss, weder eine Lehre, noch eine Schule. Viele sind schon jahrelang beim AMS als arbeitssuchend gemeldet, obwohl sie noch keine achtzehn sind.

Das ärgert meine Ausbildungsrichterin, und mich ärgert es auch. Weil es nämlich nicht so ist, dass die Menschen aus sozial schwächeren Schichten mehr Drogen konsumieren als der Rest der Gesellschaft. Sie sind nur die einzigen, die kontinuierlich verfolgt werden. Armut und Perspektivlosigkeit gehen mit einer erhöhten Kriminalitätsgefährdung, gerade im Bereich der leichten und mittelschweren Delikte, einher. Das bedeutet aber nicht, dass die anderen Teile der Gesellschaft keine Drogen konsumieren. Jede Person mit intaktem olfaktorischem Organ, die jemals auf einer Studierendenparty oder in einer dieser wunderbaren Discos, die 20 Euro Eintritt verlangen, war, weiß das. Keine mir bekannte Person aus dem studentischen Milieu ist jemals wegen einer verdammten Cannabiszigarette vor ein Strafgericht gesetzt worden. Nein, da wird das wegen Geringfügigkeit eingestellt, mit Diversion gleich bei der Staatsanwaltschaft vorgegangen – wenn man überhaupt dort landet. Das ist auch richtig so, dafür gibt es ja diese Instrumente. Nur kommt eine Mindestsicherungsbezieher_ in anscheinend nicht in den Genuss dieser.

IN DEN SCHUHEN DEINER DEALER_IN. Am deutlichsten sieht man das bei jenen, die mit den Drogen für all die anderen handeln. Und damit meine ich nicht die Person, die im VIP-Bereich irgendeines Clubs kleine weiße Plastiktüten auspackt. Diejenigen, die den ganzen Tag auf der Straße stehen, Wind und Wetter ausgesetzt sind, bei Schritt und Tritt beobachtet werden, jederzeit erwischt werden könnten, andauernd erwischt werden. Der Boulevard nennt sie gerne Straßendealer_in.

Die allermeisten sind wahnsinnig jung, haben keinen sicheren Aufenthaltstitel, viele sind Asylwerber_innen oder U-Boote. Sie sprechen kaum oder nur sehr schlecht Deutsch, viele auch kein Englisch. Sie haben Angst. Sie haben alle Angst. Angst vor Gefängnis, Deportation, vor weißen Menschen in Uniformen und ihrer Reaktion auf dunkle Haut. Angst vorm Stummund Taub-Sein. Denn sie sind viel zu oft beides. Wenn sie bei der Verhandlung einen Dolmetscher oder eine Dolmetscherin zur Verfügung gestellt bekommen, ist das oft das erste Mal seit Wochen, dass sie richtig mit ihrer Umwelt kommunizieren können. „Was soll ich denn anderes machen? Mir bleibt ja nichts anderes über. Ich darf nicht arbeiten, ich darf nicht in die Schule, ich darf nirgends hin.“ Sagt uns die Dolmetscherin. Seine Hände zittern, die Tränen kämpfen mit der Panik um den Platz in seinen Augen. Eine Diversion – das ist eine Art Vergleich mit dem Staat, bei dem man nicht verurteilt wird – bekommen nicht mehr viele von ihnen. Weil sie schon zu oft erwischt worden sind, weil die Gewerbsmäßigkeit im Raum steht. Und sie trifft auch fast immer zu – wer Drogen verkauft, um davon zu leben, tut es nunmal gewerbsmäßig.

Ein Drittel der österreichischen Bevölkerung hat schon einmal Cannabis konsumiert, unter den Jüngeren ist dieser Anteil noch höher: Ich bin Juristin, ich habs nicht unbedingt mit Zahlen oder Statistiken, so etwas wie Methoden lernen wir nicht. Den Theorien des freien Marktes stehe ich – gelinde ausgedrückt – skeptisch gegenüber, aber eines weiß ich: Es gäbe den Markt nicht ohne entsprechende Nachfrage.

Drogen sind medizinisch betrachtet böse zu Menschen. Sie zerstören unsere Hirne und Nervensysteme, sie machen uns abhängig und unsere Wahrnehmung kaputt. Das ist unbestritten. Dass das Konsumieren von Drogen, das Weitergeben und Handeln, strafbar ist, ist ein vollkommen anderes Kapitel. Dass restriktive Drogenpolitik und vor allem gerichtliche Verfolgung jedoch nicht alle gleichermaßen trifft, sondern dass die Verfolgung „bildungsferner“ Teile der Gesellschaft einen derartigen Überhang zu haben scheint, ist nicht einmal unseres bürgerlichen Rechtsstaats würdig.

Eine liberale Drogenpolitik hat viele Vorteile: Sie senkt die Krankheiten und Ansteckungsraten bei den Süchtigen, sie erhöht den Reinheitswert der Suchtgifte und macht sie so berechenbarer, sie bringt nicht zuletzt Steuern ein. Liberale Drogenpolitik wird aber die Probleme derjenigen, die den Straßenhandel am Gürtel betreiben, nicht lösen. Was es braucht sind legale Fluchtwege, vernünftige Aufenthaltstitel mit Arbeitsmarktzugang, eine Sozialpolitik, die ihren Namen verdient – wenn die Armut sinkt und Zukunftsperspektiven bestehen, dann sinkt die Kriminalität.

Tamara Felsenstein hat Rechtswissenschaften studiert und absolviert gerade ihre Gerichtspraxis.

Verweise:
http://derstandard.at/1369362961278/Ueber-das- Etikett-Auslaenderkriminalitaet
http://www.neustart.at/at/_files/pdf/webpublikationen/arbeit_faelle/nulltoleranz_schlechter.pdf
http://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3- 531-94164- 6_14#page-1
http://www.bmg.gv.at/cms/home/attachments/1/0/6/CH1040/CMS1164184142810/bericht_zur_drogensituation_2015.pdf
 

„Solidarität zeigen mit Dealer_innen“

  • 22.06.2016, 13:35
Gras für die einen – Abschiebung für die anderen? Das Bündnis „Kiberei, was geht? Initiative gegen Polizei auf unseren Straßen“ setzt sich mit der herrschenden Drogenpolitik auseinander und kritisiert Medien und Politik dafür, Drogendealer_innen in eine Sündenbockposition zu drängen.

Gras für die einen – Abschiebung für die anderen?

Das Bündnis „Kiberei, was geht? Initiative gegen Polizei auf unseren Straßen“ setzt sich mit der herrschenden Drogenpolitik auseinander und kritisiert Medien und Politik dafür, Drogendealer_innen in eine Sündenbockposition zu drängen.

progress: Am 1. Mai 2016 seid ihr mit einem Flugblatt zum ersten Mal an die Öffentlichkeit gegangen. An wen richtet sich eure Initiative?
Kiberei, was geht? Initiative gegen Polizei auf unseren Straßen:
Wir wollen uns solidarisch zeigen mit Dealer_innen und all jenen, die von der Polizei täglich und nicht nur entlang des Gürtels schikaniert, kontrolliert oder festgenommen werden. Und wir wollen unterstützende Interventionsformen entwickeln sowie kompakte Rechtshilfeinformationen zur Verfügung stellen. Zeug_innen von Polizeikontrollen und Racist Profiling sagen wir: Geht nicht einfach vorbei, sondern schaut hin, bleibt stehen, mischt euch ein, fragt die betroffenen Personen, ob sie Unterstützung brauchen. Eine weitere Gruppe, die wir ansprechen wollen, sind die Anrainer_ innen. Viele sind mit der massiven Polizeipräsenz in ihrem Grätzl überhaupt nicht einverstanden, auch nicht mit der willkürlichen Vertreibung unerwünschter Gruppen oder Jugendlicher. Auch jene, die mehr oder weniger aktiv Teil der stattfindenden Gentrifizierung sind, wollen wir ansprechen und in die Verantwortung nehmen. Schließlich wollen wir uns in den medialen und politischen Diskurs einmischen und sagen: Wir lassen uns die rassistischen Politiken und die Polizei auf unseren Straßen, die unter dem Deckmantel von Sicherheit und Sauberkeit daherkommen, nicht länger gefallen.

In eurem Flyer kritisiert ihr studentisch- bildungsbürgerliche Drogenkonsument_ innen dafür, zwar beim Gemüsekonsum, nicht aber bei Graseinkauf auf „Fair Trade“ zu achten.
Die Leute, die ihre Drogen entlang des Gürtels oder an anderen Orten Wiens kaufen, die wegen Vertreibung und Gentrifizierung ständig wechseln, denken oft nicht an die Arbeitsbedingungen ihrer Straßendealer_innen. Häufig sind das Asylwerber_innen oder Sans Papiers, denen der Zugang zu legaler Lohnarbeit verwehrt ist. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, bleiben ihnen informalisierte und illegalisierte Tätigkeiten. Dealen ist eine der wenigen und zudem männlich* dominierten Jobmöglichkeiten, die bleiben. Die Bedingungen: niedrigster Lohn, anstrengende und stressige Arbeit und hohes Risiko. Dealer_innen ohne Papiere riskieren lange Gefängnisstrafen, Nachteile im Asylverfahren und ihre Abschiebung. Die im Juni in Kraft getretene Verschärfung des Suchtmittelgesetzes trifft die Straßendealer_innen, nicht die Konsument_innen. Dass Konsument_innen ihre Substanzen relativ bequem und sicher einkaufen und sich manche davon gleichzeitig über die Sichtbarkeit von Drogenbusiness und Drogennutzer_innen beschweren, ist absurd. Die Konsument_innen könnten ihre Privilegien dafür einsetzen, das Risiko, dem die Dealer_innen ausgesetzt sind, zu vermindern.

Wie schätzt ihr die Rolle der rotgrünen Stadtregierung in Wien ein?
Die Stadt Wien betreibt seit Jahren eine Säuberungspolitik, mit der unerwünschte Gruppen von zentralen öffentlichen Plätzen vertrieben werden. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Karlsplatz-Renovierung und die Vertreibung der dortigen Drogenszene. Das Problem von kurzsichtiger Nicht-vor-meiner-Nase-Politik ist, dass es lediglich zu einer Verschiebung in andere Stadtteile kommt – derzeit beispielsweise bei der Josefstädter Straße und der Gumpendorfer Straße. Statt strukturelle Probleme (wie mangelnde Arbeitsmöglichkeiten, ein Defizit an leistbarem Wohnraum, das überlastete Gesundheitssystem, etc.) zu bearbeiten, wird vielmehr eine Stimmung der Angst erzeugt. Diese wird dann noch dazu rassistisch codiert, was dazu führt, dass die marginalisiertesten Personen als Sündenböcke präsentiert werden.

Der grüne Bezirksvorsteher Neubaus, Thomas Blimlinger, richtete sich im Februar mit einem Brief an alle Haushalte, schürte die Ängste der „besorgten Bürger_innen” und stimmte ein in die aus mehreren Richtungen erfolgten Rufe nach mehr Polizei. Dass die massive Polizeipräsenz zu einem erhöhten Sicherheitsgefühl beiträgt, wagen wir aber zu bezweifeln.

Repressive Aktionen gegen vermeintliche oder tatsächliche Drogendealer_innen werden medial zumeist als Erfolge präsentiert. Wo sind die Leerstellen der herrschenden Art der Berichterstattung?
Es existieren kaum Beiträge, die ohne die Narrative vom 16. Bezirk als Gefahrenzone, Geflüchteten als kriminellen und gefährlichen Drogendealern* und der Polizei als Akteurin in der Wiederherstellung von Sicherheit auskommen. Eine kritische Sichtweise auf rassistische Polizeikontrollen und auf die fast permanente Polizeipräsenz am Gürtel fehlt. Es ist erstaunlich, wie viele Medien – auch so genannte Qualitätsmedien – Meldungen der Polizei direkt, wörtlich und ohne weitere Recherche übernehmen. Manche Darstellungen durch Journalist_innen, die auf stereotype Weise von vor Ort berichten, können nur als Klassenkampf von oben gesehen werden. Medien sind einerseits aktiv an der Herstellung eines Klimas rassistischer Hetze beteiligt, andererseits an der Rechtfertigung von immer mehr Polizeipräsenz und -repression an immer mehr Orten Wiens.

Welche drogenpolitischen Perspektiven würdet ihr favorisieren? Was sich rund um den Gürtel abspielt, ist ein Beispiel dafür, wie Drogenpolitik, Stadtentwicklung und Asyl-/ Migrationspolitiken ineinandergreifen. Das müsste sich auch in den Entwicklungen widerspiegeln, die wir uns wünschen – bloß umgekehrt. Es reicht also nicht, Drogenhandel und -konsum zu entkriminalisieren, so aber vielleicht neue Ausschlüsse zu schaffen. Es braucht auch einen generellen Perspektivenwechsel. Hin zu: Wer hier ist, ist von hier. Und ein Bekenntnis, dass die Städte für alle sind, die in ihnen leben. Ohne Blaulicht, ohne Papiere.

Kontakt zur Initiative: wasgeht@riseup.net

Interview: Florian Wagner

Subjektive Unsicherheit

  • 22.06.2016, 13:03
Es ist das selbstgesetzte Ziel der Stadt Wien, keine örtlich verfestigte Drogenhandelsszene aufkommen zu lassen. Um dieses zu erreichen, arbeiten mehrere Stellen zusammen: Die Polizei, die Sucht- und Drogenkoordination und politische Entscheidungsträger_innen.

Es ist das selbstgesetzte Ziel der Stadt Wien, keine örtlich verfestigte Drogenhandelsszene aufkommen zu lassen. Um dieses zu erreichen, arbeiten mehrere Stellen zusammen: Die Polizei, die Sucht- und Drogenkoordination und politische Entscheidungsträger_innen.

„Wir brauchen uns nicht die Illusion zu machen, dass wir die einzige Großstadt sein werden, in der es überhaupt keine Drogen gibt, aber es kommt drauf an, welche Maßnahmen man setzt und ob die Situation eskaliert oder moderat bleibt“, meint Michael Dressel, Leiter der Wiener Sucht- und Drogenkoordination. Mit der Liberalisierung des Strafrechts zu Jahresbeginn, wurde es erschwert, Menschen wegen Drogenhandels festzunehmen. Damit einhergehend wurde der Verkauf von Haschisch und Marihuana im öffentlichen Raum sichtbarer und von Teilen der Bevölkerung stärker als Problem wahrgenommen. Der Cannabishandel entlang der Linie U6 entwickelte sich zu einem medial breit diskutierten Thema. Die Politik reagierte und Anfang Juni trat eine Novelle des Suchtmittelgesetzes in Kraft, die den Drogenhandel im öffentlichen Raum als eigenen Tatbestand unter Strafe stellt. Es drohen nun bis zu zwei Jahre Haft.

Die Novelle ruft auch Kritiker_innen auf den Plan. „Die Sinnhaftigkeit der neuen Regelung ist fragwürdig“, bemängelt Nikolaus Tsekas, Leiter des Vereins Neustart Wien, der im Auftrag des Justizministeriums Bewährungshilfe für verurteilte Straftäter_ innen leistet. „Damit erreichen wir nur, dass die Polizei nicht zahnlos wirkt. Das Ziel, Menschen von straffälligen Handlungen abzuhalten, werden wir damit nicht erreichen“, erklärt er. Auch die Polizei beobachtet, dass Personen, die wegen Cannabishandels verurteilt wurden, nach der Entlassung oft wieder im Drogenhandel tätig sind.

WARUM ALSO DAS NEUE GESETZ? „Es haben sich vermehrt Bürgerinnen und Bürger an mich gewandt, die sich Sorgen machen bezüglich der Sicherheits- und Drogenproblematik entlang der U6 und die Gesetzesänderung hat den Menschen Sicherheit gegeben“, schildert Veronika Mickel, ÖVP-Bezirksvorsteherin des 8. Wiener Gemeindebezirks. Für die städtische Politik und die Bezirksvertretungen ist die Zufriedenheit der wahlberechtigten Bevölkerung entscheidend. Das Sicherheitsgefühl hat aber oft wenig mit der realen Bedrohungslage zu tun, sondern ist äußerst subjektiv. „Es gibt heute nachweislich weniger Kriminalität, trotzdem haben wir als Gesellschaft das Gefühl, in einer unglaublich gefährlichen Zeit zu leben“, erklärt Neustart-Leiter Tsekas.

Dabei wird das Problem oft erst durch mediale Panikmache als solches wahrgenommen. In der aktuellen Diskussion spielt auch Rassismus eine große Rolle. Zwar sind laut Michael Dressler von der Sucht- und Drogenkoordination mindestens die Hälfte der im Drogenhandel Tätigen Österreicher_ innen. Diese werden aber in der öffentlichen Debatte kaum wahrgenommen. Als störend empfunden wird die Anwesenheit von „fremden Männern“ in den U6-Stationen. Gerade aber die Dealer (der Straßenverkauf von Cannabis ist ein fast ausschließlich männliches Business), die aus Nigeria, Marokko, Algerien, Afghanistan oder Tschetschenien kommen, haben oft keine andere Erwerbsmöglichkeit, da sie vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. „Wenn ich keine Transferleistungen des Staates bekomme, aber auch nicht legal arbeiten darf, habe ich nur die Möglichkeit, mir auf andere Weise Geld zu beschaffen“, erklärt Tsekas. Den Leuten sei es dann lieber, leichte Drogen zu verkaufen, als bewaffnete Raubüberfälle zu begehen.

Michael Dressel dagegen zeigt sich überzeugt, dass gegen den öffentlichen Drogenhandel nur polizeiliche Maßnahmen helfen. Daher hat sich auch die Sucht- und Drogenkoordination für die aktuelle Gesetzesänderung stark gemacht. Der maßgebliche Input kam allerdings von der Exekutive selbst, erklärt Roman Hahslinger, Sprecher der Landespolizeidirektion Wien: „Unsere Anregung war es, den Drogenhandel strenger unter Strafe zu stellen.“ Denn wenn die gesetzlichen Bestimmungen schärfer seien, so Hahslinger, könne eine festgenommene Person in Untersuchungshaft überstellt werden und sei zumindest einmal eine gewisse Zeit lang weg vom Drogenhandel.

KAUFEN JA, VERKAUFEN NEIN. Die Menschen, die Haschisch oder Marihuana entlang der U6 kaufen, sind in der Regel „sozial integriert“, heißt es von Seiten der Sucht- und Drogenkoordination. „Das sind Leute, die kiffen wollen und sich schnell was kaufen“, meint Dressel. Dass die neue Rechtslage zu weniger Konsum führen wird, glaubt er nicht: „Es ist eine Frage von Angebot und Nachfrage. Wenn die Leute kiffen wollen, dann werden sie sich das irgendwo besorgen.“ Für Dressel ist wichtig, dass sich die Arbeit der Exekutive nicht gegen die Konsument_innen richtet. Die Kriminalisierung der Käufer_innen sei in den letzten zehn, fünfzehn Jahren zurückgegangen, erzählt er.

Dies ist ein Indiz dafür, dass der Konsum von Hanfprodukten in den letzten Jahren gesellschaftlich immer mehr toleriert, der Cannabisverkauf allerdings nach wie vor als Störung der öffentlichen Sicherheit empfunden wird. Die damit einhergehende Politik, die zwischen Duldung und Repression schwankt, geht auf Kosten der Dealer_innen. Doch wer auf der Straße Marihuana verkauft, tut das in kleinen Mengen und baut Cannabis nicht selbst an. Darüber hinaus sind die meisten Händler_innen mittellos und können sich oft nicht einmal die Miete leisten.

Während das neue Suchtmittelgesetz das Ziel verfolgt, Cannabishändler_innen zwischenzeitlich aus dem Verkehr zu ziehen, würde es wohl eine nachhaltigere Wirkung zeigen, wenn man legale Erwerbsmöglichkeiten zulässt. Zielführender wäre daher eine Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber_innen, aber auch für „Geduldete“, also Menschen mit negativem Asylbescheid, deren Abschiebung aber legal nicht durchführbar wäre. Nikolaus Tsekas sieht die aktuelle Debatte als guten Anlass, um auch in Österreich Modelle anderer Staaten zu diskutieren, in denen Cannabis in den letzten Jahren erfolgreich legalisiert wurde. Denn der Handel und Konsum von Hanfprodukten findet mit oder ohne strengere Gesetze statt.

Die Novelle des Suchtmittelgesetzes wirkt wie eine Kompromisslösung zwischen konservativen und links-liberalen Kräften: Die einen wollen, dass Drogen und Armut im öffentlichen Raum nicht sichtbar sind, die anderen wollen, dass Cannabiskonsument_ innen unbehelligt bleiben. Abgewälzt wird der Konflikt auf die, denen nichts anderes übrig bleibt, als Haschisch und Marihuana zu verkaufen. Denn wer nicht wählen darf, für den wird auch keine Politik gemacht.

Katharina Gruber hat Politikwissenschaft in Wien studiert und ist in der politischen Bildungsarbeit und im Journalismus tätig.

„Österreich ist kein sicheres Land“

  • 23.10.2015, 15:23

Vor sechs Jahren wurde der Kurdin Evin Timtik in Österreich Asyl gewährt. Nun wird ihr plötzlich kein Pass mehr ausgestellt: Sie sei eine Gefahr für den Staat.

Vor sechs Jahren wurde der Kurdin Evin Timtik in Österreich Asyl gewährt. Nun wird ihr plötzlich kein Pass mehr ausgestellt: Sie sei eine Gefahr für den Staat. 

Seit mehr als sechzig Tagen hält Evin Timtik nun schon Mahnwache. Sie sitzt an ihrem Infotisch vor dem Parlament, verteilt Flugblätter, spricht mit Passanten und Passantinnen und sammelt Unterschriften für ihr Anliegen. Auf ihrem T-Shirt und auf einem großen Plakat steht: „Ich will meinen Konventionspass und meine Reisefreiheit zurück!“

In der Türkei studierte Timtik an der Universität Erzincan und war in einem lokalen Jugendverein tätig. Die überzeugte Sozialistin war auch aktivistisch tätig und engagierte sich für Demokratie und Menschenrechte, nahm an verschiedenen Kundgebungen teil. Nach einem Friedhofsbesuch wurde sie festgenommen und misshandelt. Als sie zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden war, floh Timtik nach Österreich. Den Behörden konnte sie ihre politische Verfolgung durch Fotos, Gerichtsdokumente und andere Schriftstücke glaubwürdig machen und so wurde ihr im März 2010 Asyl gewährt.

GEHEIME QUELLEN. 2015, fünf Jahre später, ist der Konventionspass, der ihr ausgestattet wurde, abgelaufen. Sie ging zur Behörde und stieß dort zunächst auf Schweigen: „Es gab plötzlich irgendwelche Verzögerungen, alles wurde hinausgeschoben“, sagt Timtik. Monate später dann das Schreiben: Timtik könne kein Pass mehr ausgestellt werden, weil die „gerechtfertigte Annahme bestünde, sie würde mit ihrem Aufenthalt im Ausland die innere und äußere Sicherheit des Landes gefährden“. Diese Information hätte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) „von einer Quelle des Bundesministeriums für Inneres“.

ZURÜCKGENOMMENE RECHTE. „Hier wird mir ein Recht, das Recht auf Reisefreiheit nämlich, das ich mir erkämpft habe, wieder weggenommen“, beschwert sich die Kurdin. Sie kritisiert auch die Intransparenz der Entscheidung: Die Behörden verweigern nämlich die Einsicht in den entscheidenden Akt des Innenministeriums. Prinzipiell kann die Ausstellung eines Reisepasses nach Paragraf 92 des Fremdenpolizeigesetzes verwehrt werden. Timtiks Anwalt Clemens Lahner dazu: „Die Verweigerung der Ausstellung eines Passes aufgrund einer bloßen Behauptung ist nicht zulässig. Wenn eine Behörde einen Antrag abweist, muss sie die Ablehnung begründen, damit man in einer Beschwerde Gegenargumente vorbringen kann.“ Gegen den Vorwurf und den Vorgang hat Timtik nun vor dem Bundesverwaltungsgericht Einspruch erhoben. „Einfach zu sagen ‘Nein, weil ich es sage’, das geht vielleicht in Nordkorea, aber nicht in einem Rechtsstaat“, so Lahner. Die Einschränkung der Akteneinsicht wird vom Paragrafen 17 Abschnitt 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes abgeleitet, gibt BMI-Sprecher Karl-Heinz Grundböck Auskunft. Dort steht, dass die Akteneinsicht eingeschränkt werden kann, wenn die Einsichtnahme eine „Schädigung berechtigter Interessen“ oder eine “Gefährdung der Aufgaben der Behörde oder den Zweck des Verfahrens“ darstellt. Evin Timtik wird nicht nur vorgeworfen, eine Gefahr für den österreichischen Staat, sondern auch eine Gefahr für ihr eigenes Verfahren zu sein.

(c) Olja Alvir

KEIN AUSWEIS. Momentan hat Timtik überhaupt keinen Ausweis. Auch die „Identitätskarte für Fremde“ wird ihr vom BFA nicht augestellt, da dies „grundsätzlich so lange nicht passiert, so lange ein Verfahren zur Ausstellung eines Konventionspasses läuft“, so Grundböck.

Sie kann nun auch einfache Alltagsaufgaben wie ein Konto zu eröffnen oder einen eingeschriebenen Brief bei der Post abzuholen nicht erledigen. „Ich werde wie eine Kriminelle behandelt, obwohl ich nichts gemacht habe. Ich lebe in einem offenen Gefängnis“, fasst Timtik ihre Situation zusammen. „Inwiefern das irgendeinen Sinn ergeben soll, wenn meine Mandantin schon fünf Jahre lang einen Konventionsreisepass hatte und damit auch gereist ist, ohne dass ihr jemals irgendwo ein strafrechtlicher Vorwurf gemacht worden wäre, verschweigt das BFA“, fügt Lahner hinzu.

BÜROKRATISCHE SCHIKANE. „Ich flüchte wegen Repression aus der Türkei und dann werde ich in Österreich wieder mit ihr konfrontiert. Ich fühle mich nicht mehr sicher; Österreich ist kein sicheres Land“, sagt die Kurdin aus der Türkei auch im Hinblick auf die Behandlung syrischer Geflüchteter. Sie sieht ihren Kampf um Reisefreiheit auch in einem größeren Kontext. „Ich befürchte, dass aus meinem Fall ein Präzendenzfall gemacht wird und dass nun auch anderen Menschen mit Asylstatus Ähnliches droht“ sagt sie. Über Versagungen von Konventionspässen aus Gründen der Gefährdung der Sicherheit werden laut Grundböck keine statistischen Aufzeichnungen geführt.

REPRESSION. In Österreich engagierte sich Timtik im Vorstand der Anatolischen Föderation, einem nicht unumstrittenen linken Verein. Zwei seiner Mitglieder wurden diesen Sommer in Deutschland wegen Verbindungen zur in der Türkei verbotenen marxistisch-leninistischen Partei DHKP-C unter einem ebenfalls umstrittenen Paragraphen verurteilt. Der österreichische Verfassungsschutz stufte die Anatolische Föderation Österreich bis vor Kurzem allerdings als unbedenklich ein. Am 13. Oktober führte die Polizei dann im Wiener Vereinslokal eine Razzia durch, bei der auch Timtik vorübergehend zur Datenaufnahme in Haft genommen wurde. Auffällig ist, dass in Österreich und Deutschland solche Polizei-Aktionen gegen kurdische Vereine vor dem Hintergrund der Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei zur aktuellen Geflüchtetensituation vermehrt stattfinden. Die aktuelle Offensive und die Repression ihr und ihren Vereinskollegen und Kolleginnen gegenüber sieht Timtik als Teil der aktuellen Außenpolitik Österreichs im Kontext mit den Beziehungen zwischen EU und Türkei.

„Das Recht auf Asyl ist Menschenrecht, es ist kein Geschenk, dass der Staat Österreich gütig übergibt“, möchte Timtik die aktuelle Mediendebatte zurechtrücken. „Das Recht auf Asyl wurde mitunter blutig erkämpft“, mahnt sie. Seit 20. Oktober befindet sie sich nun in Hungerstreik.

 

Olja Alvir studiert Physik und Germanistik an der Universität Wien.

Sprühtherapie

  • 25.06.2015, 11:12

Graffiti: Vandalismus oder Kunst? Gedankenlose Schmierereien oder ein Stück Jugendkultur? Abseits dieser Debatten ziehen trotzdem Menschen los, die ihre eigenen Ideale verfolgen. progress hat zwei von ihnen bei ihrer Tour durch Wiens Untergrund begleitet.

Graffiti: Vandalismus oder Kunst? Gedankenlose Schmierereien oder ein Stück Jugendkultur? Abseits dieser Debatten ziehen trotzdem Menschen los, die ihre eigenen Ideale verfolgen. progress hat zwei von ihnen bei ihrer Tour durch Wiens Untergrund begleitet.

„Scheiße, nicht cool!", flüstert Dennis"' und hastet zurück, „Nicht cool, nicht cool!“. Er hopst so leise wie möglich über Gleiskörper, aufgetürmte alte Schienen und die gelb ummantelte 750 Volt Starkstromleitung in der Mitte des Tunnels. Dann wieder über Schienen und Schwellen, bis zur gegenüberliegenden Wand. Schwarze Konturen eines mehrere Meter großen Schriftzugs prangen auf ihr, ein Buchstabe ist grau gefüllt, ein anderer zur Hälfte. Eine Männerstimme hallt an den Wänden des stillgelegten U-Bahn-Schachtes wider. Sie klingt entspannt. Dennis greift den Rucksack, der auf den Schwellen steht. Dose für Dose  stopft er hinein. Noch haben die schwarzen Silhouetten die beiden Sprayer nicht bemerkt. Noch haben Dennis und Marco* einen kleinen Vorsprung.

DON’T GIVE UP. Das Gemurmel wird lauter, deutlicher. „In die Richtung, lauf", flüstert Dennis bestimmt und deutet an das andere Ende des Tunnels. Er greift nach Marcos halbleerer Bierdose und senkt den Kopf. Keine Spuren hinterlassen. Kapuze auf, Rucksack an, los.

Die Stimme ist hinter der Kurve angekommen und verstummt. Dennis und  Marco setzen  zum Sprint an. „Halt, stehen bleiben!“, ruft ein Mann mit tiefer, voller Stimme. Der Schacht hat zwei Ausgänge: Ihr Hinweg ist versperrt, bleibt nur die Flucht nach vorne. Die U-Bahn-Station, das buchstäbliche Licht am Ende des Tunnels. Dennis und Marco sehen nichts, der Schacht ist stockdunkel. Am Boden Gleise, Schwellen, Weichen, Starkstromleitung, alles kreuz und quer. „Stehen bleiben!“, hallt es an den Betonwänden wider.

Aufgeben ist keine Option, zu viel steht für sie auf dem Spiel. In Deutschland sind sie aktenkundig, fast schon alte Bekannte der örtlichen Polizei. Beide waren schon mehrere Monate in Haft, daheim sitzen sie auf einem Schuldenberg aus Schadensersatzansprüchen und Prozesskosten. In Wien sind sie ein unbeschriebenes Blatt und konnten sich eine neue Existenz aufbauen. „Im Exil“, wie sie es nennen.

„Halt, stehen bleiben!“ Die Stimme ist näher gekommen. Vielleicht fünfzig, vielleicht zwanzig, vielleicht zehn Meter. Wie nahe, weiß Dennis nicht. Würde er sich umdrehen, könnte er die Schatten am Boden nicht mehr ausmachen. Immer wieder flackert das Licht für den Bruchteil einer Sekunde auf. Der Lichtkegel einer Taschenlampe erreicht die beiden. Das Aufleuchten ist zu kurz, um etwas am Boden erkennen zu können. Sie hinterlässt nur noch mehr Dunkelheit. Blind sprintet Dennis weiter. Der grobe Schotter unter seinen Füßen kracht und knirscht bei  jedem Schritt:  Klick, Klack, Klick, Klack. Plötzlich ist ein dumpfer Aufprall zu hören. Dennis hat eine Weiche übersehen. Er schlägt am Boden auf. Das Flackerlicht der Taschenlampe kreist in zackigen Bewegungen um ihn.

I’M THE QUING. Zwei Stunden zuvor ist noch alles in Ordnung. Dennis und Marco sitzen gemütlich in einem kleinen verrauchten Pub, trinken Bier und sinnieren über die Graffiti-Szene. Und die kennen sie schon lange. Der heute 30-jährige Dennis ist seit seiner Jugend aktiver Sprayer. „Aus Einsamkeit", wie er sagt. Dennis ist Vollblutkünstler. Er hat Kunst studiert, steckt all seine Energie in seine Passion. Tagsüber illustriert er Kinderbücher, fotografiert und macht Kurzfilme. Viel verdient er dabei nicht, aber es reicht zum Leben. Fast jede Nacht zieht er um die Häuser und malt. Ohne Sprühdose oder Marker geht er sowieso nie aus dem Haus. Er sieht sich als „Impuls-Sprüher“ und zieht am liebsten alleine los. Zwischen legalen und illegalen Flächen macht Dennis keinen  Unterschied.  Auch was er malt, legt er nicht fest. „Abstrakt, Buchstaben, Figuren… Es soll Spaß machen“, meint er.

Mit der Graffiti-Szene will Dennis nichts mehr zu tun haben. Zu viele Selbstdarsteller_innen seien unterwegs. „Du brauchst nicht Graffiti machen und meinen, du bist hart. Da wird viel aufgebauscht“, kritisiert er. Außerdem: Sprayer_innen arbeiten entgegen der gesellschaftlichen Norm und trotzdem gebe es gerade auch in der Szene Regeln und Hierarchien, etwa im Bezug auf beliebte Sprayflächen. Spätestens wenn jemand das Werk eines oder einer anderen übersprüht, herrscht Krieg. Verletzte Egos lassen schnell die Fäuste fliegen. Trotzdem gibt Dennis zu: „Dieser romantische Gedanke, der Mythos vom Unbekannten… Klar habe ich mich schon auch manchmal als König gefühlt.“ Heute sprüht er seinen Namen aber nur mehr aus Nostalgie. Als wäre auch der Sprayer in ihm mit den Jahren erwachsen geworden.

LEGAL, ILLEGAL? SCHEISSEGAL. Marco hat die Sprühdosen dabei. Sie besprechen, ob seine Farbe für die ganze Tour reichen wird. Marco kramt eine Bierdose aus seinem Rucksack, dann machen sie sich auf den Weg. Zwischen Wohnhäusern und U-Bahn spazieren sie, unterhalten sich. Hier und da malt Marco sein Erkennungszeichen, den so genannten „Tag“, an alles, was halbwegs senkrecht emporragt. So wissen alle aus der Szene, dass er hier war. Nach einer Viertelstunde Fußweg werden die beiden langsamer. Ein Zaun trennt Wiese von U-Bahn-Tunnel, legal von illegal. Noch ein kurzer Blick nach links und rechts, dann geht es  bergab.

Wie genau sie in die U-Bahn-Schächte kommen, will Dennis nicht publik machen. Er will die Sicherheitsverantwortlichen der Wiener Linien nicht provozieren, und schon gar nicht will er, dass Überwachungsmaßnahmen  verschärft werden. Dabei sind die beiden ohnehin Profis. Aus Dennis' Mund klingt das Überbrücken von Alarmanlagen wie das kleine Einmaleins: Unbedarft, simpel und absolut harmlos. Und wenn doch einmal die Polizei kommt? „So lernt man, schnell zu malen. Und zu rennen.“

Die Strafen für das Sprühen sind in Dennis' Augen viel zu hoch. An ein bisschen Farbe am Zug sei schließlich noch niemand gestorben. Leben und leben lassen, so wäre es ihm am liebsten. Dennis will kritisieren, aufmerksam machen und keiner Privatperson schaden. Und Unternehmen hätten ohnehin gute Versicherungen, die die Reinigungskosten übernehmen  würden.

Dass nicht alle Dennis' legeren Umgang mit der hiesigen Legislative teilen, versteht sich von selbst. Vor allem jene Menschen, denen die besprühten Flächen gehören, sind von Graffiti selten begeistert. Die Aufklärungsrate von Sachbeschädigung durch Graffiti liegt zwischen zehn und 20 Prozent, folglich bleiben viele auf den Reinigungskosten sitzen.

Florian Gross, Pressesprecher des österreichischen Haus- und Grundbesitzerbundes meint dazu: „Wir schätzen die künstlerische Freiheit, jedoch ist uns die Freiheit, über das eigene Eigentum zu verfügen, mindestens genauso wichtig“. Diese sei schließlich ein „demokratisch verankertes Grundrecht“ und als solches auch entsprechend zu schützen. Gross würde sich deshalb mehr Überwachung auf Wiens Straßen wünschen.

Dennis versteht nicht, warum viele Menschen lieber graue Wände anstarren als bunte. Er sieht sich als antikapitalistischer Stadtverschönerer, als Künstler und Gesellschaftskritiker. Er will nicht Schaden erzeugen, sondern die Stadt durch seine Graffiti mitgestalten. Warum dann manche Graffiti nun wirklich nicht sonderlich schön aussähen? „Wenn wir nicht davonlaufen müssten, hätten wir auch mehr Zeit und könnten aufwendigere  Dinge  machen“, kontert er. Die Illegalität stelle sie eben unter Zeitdruck. Dass die Stadt Wien unter dem Projekt „Wienerwand" öffentliche Flächen zur Besprühung freigibt, löst das Problem nicht. Legale Flächen sind für viele Sprayer_innen keine Alternative. Zu viele Dosen bräuchte es, um die Werke des Vorgängers oder der Vorgängerin wirksam zu übersprühen, zu vergänglich ist das Kunstwerk, das oft schon nach wenigen Tagen erneut übersprüht wird. Wer zumindest ein wenig Beständigkeit will, muss, so scheint es, den illegalen Weg gehen.

PARALLELWELT. Es ist elf Uhr nachts, als Dennis und Marco im stillgelegten U-Bahn-Tunnel ankommen. Züge fahren hier schon lange keine mehr. Zielstrebig hopst Dennis über die Gleise und drückt den Lichtschalter an der Wand. Die Neonröhren gehen an und tauchen den Tunnel in ein schummrig-düsteres Licht. Marco nippt an seinem Bier und stapft hinter Dennis her, immer tiefer in den grauen Tunnel. Nur das Nötigste wird besprochen.

Für Dennis sind die U-Bahn-Schächte eine kleine Parallelwelt. Ein bisschen ausbrechen aus der Realität und aus ihren Normen. „Hier bist du mit all dem konfrontiert, was die Stadt nicht sehen will. Da triffst du Bettler, Obdachlose, Leute, die nicht erwünscht sind.“ Ein zweites, ein anderes Wien, nur ein paar Meter unter der Stadt.

Nach zweihundert Metern bleibt Dennis hinter einer Biegung stehen und deutet an die rechte Tunnelwand. Sie wird von zwei Neonröhren von oben beleuchtet wie in einer Galerie. Die Sicht auf den Ausgang ist versperrt, in die andere Richtung ist der Schacht dunkel. In zielsicheren zügigen Armbewegungen beginnt Dennis, schwarze Linien über die graue Mauer zu ziehen. Für ihn sind „Spaziergänge“ wie dieser eine Art Therapie. Die Wand ist sein Tagebuch, die Farbe seine Worte. Die beiden sind so in ihre Arbeit vertieft, dass sie den dumpfen Widerhall der Männerstimme erst sehr spät bemerken.

ZERO TOLERANCE. Wenn es um Graffiti geht, verstehen die Wiener Linien keinen Spaß. Sie fahren eine „Null-Toleranz-Politik“, wie Pressesprecher  Daniel Amann erklärt: „Unsere Fahrgäste zahlen für ihren Fahrschein beziehungsweise ihre Jahreskarte und erwarten sich dafür Pünktlichkeit, Sicherheit  und Sauberkeit. Deshalb entfernen wir auch umgehend alle Graffities in den Stationen." Die Reinigung macht jedoch nur einen Bruchteil des jährlichen Gesamtschadens durch Graffiti aus, nämlich rund 260.000 Euro. Der weitaus größere finanzielle Schaden entstehe durch Überstellungsfahrten, zusätzliche Personalkosten und die Reservehaltung von Ersatzzügen. Im Jahr 2014 sei so ein Gesamtschaden von rund 2,7 Millionen Euro entstanden, heißt es seitens der Wiener Linien. Um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, werden Securities angeheuert. Immer wieder treffen diese auf Sprayer, manchmal kommt es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, oft mit Verletzten auf beiden Seiten. Darauf will es Dennis nicht ankommen lassen. Er rappelt sich vom Boden auf und läuft weiter, ohne sich umzusehen. Marco ist jetzt einige Schritte vor ihm, die U-Bahn-Station kommt näher.

Ein letztes „Halt! Stehen bleiben!“ hallt an den Wänden wider. Dennis springt über die Starkstromleitung in der Mitte und läuft die letzten Meter an der linken Tunnelwand weiter. Marco bleibt rechts. Sie sprinten in die hell erleuchtete Station, das grelle Licht blendet sie. Die wartenden Fahrgäste wirken surreal, wie Wachsfiguren. Dennis hat aufgeholt, die beiden laufen auf die jeweils nächsten Bahnsteige zu, die Köpfe gesenkt. Das Ziel im Kopf sprinten sie  über die U-Bahn-Gleise auf den Bahnsteig. Sie hasten die Stufen hinauf, hinaus aus der Station. Einen Augenblick später sind die schwarzen Figuren in der Nacht verschwunden.

 

Milena Moro hat für das progress die beiden Sprayer eine Nacht lang begleitet.

*Name von der Redaktion geändert

24 Stunden Sicherheit?

  • 24.06.2015, 17:40

Ob auf Segways, am Gang oder am Campusgelände - Securities gehören oftmals zum Hochschulalltag dazu. Über öffentlichen Raum, lntransparenz und Millionenbeträge.

Ob auf Segways, am Gang oder am Campusgelände - Securities gehören oftmals zum Hochschulalltag dazu. Über öffentlichen Raum, lntransparenz und Millionenbeträge.

Vor einer der Türen der Universität Wien steht ein Sicherheitsbeamter. Sein Kopf ist kahl rasiert und in seinem Ohr steckt ein Kabel, das ihn mit dem restlichen Sicherheitspersonal über Funk verbindet. Er ist groß, ungefähr 1,80 Meter, sein Körper wirkt mus- kulös. Er trägt seine Arbeitskleidung: weißes Hemd, Hose und Schuhe sind schwarz. Er ist einer von zehn Securities an der Universität Wien, die in Zweier-Teams, 24 Stunden täglich, im Einsatz sind: sieben Männer und drei Frauen. „Die Universität besteht aus insgesamt 70 Gebäuden und unsere Sicherheitsteams haben Rundendienste", sagt Josef Scheibenpflug, Sicherheitskoordinator der Universität Wien. Bevor er sich der Sicherheit der Uni Wien verpflichtete, war er 35 Jahre lang im Polizeidienst tätig. Bei ihren Rundgängen müssen die Securities überprüfen, ob alle Lichter abgedreht und die Türen verschlossen  sind. Im Falle von Diebstahl, Belästigung oder Verletzungen sei das Sicherheitspersonal zuständig.

PRIVATANGELEGENHEIT. Es gibt zwar gesetzliche Regelungen zu Brand- und Arbeitnehmer*innenschutz, aus denen die Anwesenheitspflicht von entsprechendem Personal abgeleitet werden kann. Das heißt aber nicht, dass diese Aufgaben durch Sicherheitsdienste verrichtet werden müssen.

Foto: Mafalda Rakos

Die Anstellung der Sicherheitsfirmen selbst folgt einem durch das Bundesvergabegesetz geregelten Verfahren: Die Stelle wird öffentlich von der Universität ausgeschrieben, verschiedene Firmen erhalten die Möglichkeit der Bewerbung und das Rektorat wählt eine Firma aus. Die jeweilige Sicherheitsfirma erhält den Zuschlag für ein Jahr. Die Ausbildung, für die es in Österreich zurzeit keine Regelung gibt, findet durch Schulungen innerhalb der privaten Sicherheitsfirmen statt. Auch für die Wirtschaftsuniversität Wien sind „einschlägige und nachzuweisende Ausbildungen und Kenntnisse" erforderlich. Die Sicherheitskräfte sind für Scheibenpflug vor allem auch Serviceleistende und Repräsentant*innen der Universität. Auf die Frage, welche Sicherheitsfirmen momentan einen Vertrag mit der Uni Wien haben, gab es seitens der Universität keine klare Antwort.

„Das sind viele. Wir haben schon mit allen größeren Sicherheitsfirmen in Österreich zusammengearbeitet." Die drei größten Sicherheitsfirmen in Österreich sind G4S, der Österreichische Wachdienst (ÖWD), der an der Universität Innsbruck unter Vertrag ist, und Securitas. Diese drei setzten 2013 gemeinsam über 150 Millionen Euro bei über 7.500 Angestellten um.

2,1 MILLIONEN. Für die  Sicherheitsmaßnahmen an der Universität Wien stehen 500.000 Euro und ein zehnköpfiges Sicherheitsteam zur Verfügung. An der Technischen Universität Wien ist der Etat sogar mit 2,1 Millionen Euro bemessen. „Der Sicherheits- und Informationsdienst der TU Wien besteht aus 65 Mitarbeiter"'innen", weiß Gerald Hodecek, Leiter der Abteilung Gebäude und Technik. „Die Aufgabenbereiche der Securities an der TU sind denen an der Hauptuni und auch der Universität Innsbruck sehr ähnlich: Brandschutzwartung, Auskunft und Schlüsselverwaltung", sagt Hodecek. Dabei werden teilweise rund um die Uhr Leistungen erbracht.

Foto: Mafalda Rakos

Warum das nötig ist, erklärt die Universität Innsbruck: „Universitäten sind öffentliche Gebäude mit sehr großzügigen Öffnungszeiten. Das kann zum Problem werden, wenn Menschen die Räumlichkeiten ohne Rücksicht auf andere benutzen wollen und aggressiv oder zerstörerisch agieren. Das ist eher in den Wintermonaten hin und wieder problematisch. Daher betreut die Sicherheitsfirma in dieser Zeit auch tagsüber unsere Gebäude."

Die Handlungsrechte der Securities sind beschränkt. Laut eigenen Angaben spricht der Innsbrucker Wachdienst Personen an, die das Gastrecht missbrauchen, und bitten diese, das Gebäude zu verlassen. Das betrifft vor allem auch Obdachlose. Hier bewegen sich die Securities innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten, verfügen aber nicht über polizeiliche Rechte. Das heißt, sie dürfen nicht viel mehr, als auf die bestehende Hausordnung verweisen, aus Notwehr handeln und Nothilfe leisten. Deshalb ist es der Universität Wien wichtig, dass die Sicherheitskräfte Probleme durch Kommunikation lösen können. In unklaren Situationen sei es Scheibenpflug lieber, wenn das Sicherheitspersonal einmal mehr nachfragt. „Bei gröberen Sachen, wie zum Beispiel unangemeldeten Veranstaltungen, fragen sie automatisch nach, was zu tun sei", sagt  Scheibenpflug.

,,SAFETY“ FIRST. Die Rektorate greifen nicht nur dauerhaft auf Sicherheitskräfte des sogenannten dritten Sicherheitssektors zurück, wenn es um die Ordnung ihrer Hochschulen geht. Auch bei  akuten „Problemen" zögert man nicht, private Ordnungshüter_innen einzusetzen. So zum Beispiel bei einer gewaltsamen Räumung der BOKU-Flächen in Jedlersdorf. 2012 besetzte „SoLiLa - Solidarisch Land- wirtschaften in Jedlersdorf", eine Gruppe, die unter anderem aus Student innen der BOKU Wien bestand, ein brachliegendes Feld in einem ehemaligen Versuchsgarten der Universität. Der Widerstand, der sich für eine kollektive Nutzung der Flächen und Ermöglichung der partizipativen Landwirtschaft einsetzte, währte jedoch nicht lange. Nach zehn Tagen ließ das Rektorat die Fläche in Jedlersdorf durch Sicherheitsbeamt innen des Sicherheitsdientes Hellwacht gewaltsam räumen. Laut attac wurde auch die bereits davor von anderen Organisationen jahrelang aufge- baute Infrastruktur mit Motorsägen, Fräsen, LKWs und Containern zerstört und weggebracht. Auch bei #unibrennt wurden Sicherheitskräfte eingesetzt, um eine (erneute) Besetzung des Audimax der Universität Wien zu verhindern.

Viktoria Spielmann vom Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung wünscht sich keine Zukunft mit Sicherheitskräften privater Firmen an Hochschulen. „Securities gehören raus aus der Hochschule. Soziale und gesellschaftliche Probleme müssen woanders als auf dem Unicampus oder in den Hochschulgebäuden bekämpft und gelöst werden. Zum Beispiel im Nationalrat."

(red)

Die zwitschern, die @Bullen

  • 09.06.2015, 09:03

Zu Einsatzstock, Pfefferspray und Glock gesellt sich eine neue Dienstwaffe der heimischen Polizei: das Smartphone. Via Twitter, Facebook und Co versucht sie die öffentliche Meinung zu lenken und ihr ramponiertes Image zu verbessern.

Zu Einsatzstock, Pfefferspray und Glock gesellt sich eine neue Dienstwaffe der heimischen Polizei: das Smartphone. Via Twitter, Facebook und Co versucht sie die öffentliche Meinung zu lenken und ihr ramponiertes Image zu verbessern.

„Bitte meldet Nazi-Gruppen nächsten Polizisten“; „Es gibt eine tolle Sambagruppe beim Rathaus“; „Demoteilnehmer – Lasst euch den Punsch schmecken“ . Als im November 2014 die Wiener Polizei während der Proteste gegen den WKR-Kommers zu twittern begann, lag die Vermutung nahe, die Kommunikationsguerilla stehe hinter dem Account. Mit Hashtags wie #antifa und #noburschis reihten sich die Tweets nahtlos in den Stream der Demo-Beobachter_innen ein. Die Authentizität des Accounts wurde bestätigt. Seither hat sich einiges getan. Die Wiener Polizei verfasste mittlerweile über 1.200 Tweets und hat über 4000 Follower_innen. In den meisten Tweets geht es um festgenommene Dieb_innen, ausgehobene Cannabisplantagen, sichergestelltes Falschgeld und Verkehrsunfälle.

Vergangenes Wochenende boten sich gleich mehrere gute Gelegenheiten, um der Twitter-Polizei genauer auf die Finger zu schauen. Am Samstag zogen etwa 300 rechtsextreme Identitäre durch Wien, wie immer begleitet von  antifaschistischen Gegendemonstrationen und einem massiven Polizeiaufgebot. Unter dem Hashtag #blockit twitterten Polizei, Antifas und Identitäre. Am Sonntag demonstrierten Globalisierungkritiker_innen im bayrischen Garmisch-Partenkirchen gegen den G7-Gipfel. Sowohl die Tiroler als auch die Bayrische Polizei twitterten unter dem Hashtag #G7.

International zählen die heimischen Gesetzeshüter_innen keinesfalls zur Avantgarde der (virtuellen) Staatsgewalt. In New York, London, Berlin, München und vielen anderen Städten ist der polizeiliche Einsatz von Social Media längst Routine. Eine ordentliche Portion Internet-Fame erntete etwa der Instagram-Account der isländischen Polizei: Uniformierte, die mit einer überdimensionierten Packung Cheese Balls posieren, einen Kickflip mit dem Skateboard stehen oder einfach ein süßes Kätzchen in die Kamera halten, sollen das menschliche Antlitz der Polizist_innen unterstreichen. Auch die Wiener Polizei versucht mit Cat- und Dog-Content zu punkten. Polizeihund „Dax“ sammelte bei „einem kurzen Päuschen“ während seines Einsatzes am Eurovision Songcontest 400 Likes. Die Nutzung der Sozialen Medien beschränkt sich nicht nur auf Facebook, Twitter und Instagram: Während des G7-Gipfels übertrug die bayrische Polizei ihre Pressekonferenz auch auf der Livestreaming-App Periscope. User_innen können dabei durch das Antippen des Bildschirms Herzchen verschicken und somit ihre Zustimmung ausdrücken.

ATEMLOS DURCH DIE NACHT. Als genialer PR-Coup entpuppte sich im Sommer 2014 ein Handyvideo zweier Wiener Streifenpolizisten: Gefühlsbetont singen sie während ihrer Streife Helene Fischers Schlager-Song „Atemlos durch die Nacht“ mit. Binnen kurzer Zeit hatte der Youtube-Clip an die drei Millionen Klicks. Wurde medial anfänglich über mögliche negative Konsequenzen für die beiden spekuliert, wurde schnell klar, dass die ‘etwas andere' PR von der Polizeispitze gerne gesehen ist. Von Polizeipräsident Pürstl und Innenministerin Mikl-Leitner folgte prompt eine persönliche Einladung zum Vorsingen: „Das Video zeigt, dass meine Polizisten nicht nur hart arbeiten und kompetent sind, sondern auch Menschen sind, die Spaß haben.“

Das alles ist Teil einer breit angelegten Social Media-Strategie der Polizei, die laufend evaluiert und angepasst wird. Das durch EU-Mittel finanzierte Forschungsprojekt COMPOSITE beschäftigt sich seit Jahren mit dem Einfluss gesellschaftlicher Veränderungsprozesse auf die Polizei. Die daraus hervorgegangene Studie Best Practice in Police Social Media Adaption streicht die Relevanz sozialer Medien für die Polizeiarbeit hervor. So kann etwa die Fan-Community bei Ermittlungen oder Fahndungen helfen. Insbesondere wird auch auf die Möglichkeit von virtuellen, verdeckten Ermittlungen hingewiesen. Die wichtigste Funktion ist jedoch, die menschliche Seite der Polizeiarbeit zu zeigen. Kurz: Das Freund_innen und Helfer_innen-Image zu polieren.

Ganz in diesem Sinne postet die Wiener Polizei auf ihrer Facebook-Seite jede Woche ein Portrait eines_einer ihrer Mitarbeiter_innen. Der „Kollege Franz“ wirkt auch tatsächlich sympathischer als ein Polizist in Robocop-Montur, der einem mit gezogenem Schlagstock auf der Demo gegenüber steht. Dadurch soll bei den Bürger_innen Vertrauen und bei Demonstrationsteilnehmer_innen Kooperationsbereitschaft aufgebaut werden. Bezeichnend ist etwa ein Foto, das von einem polizeinahen Facebook-Account während der #G7-Proteste verbreitet wurde. Im Vordergrund stehen Polizist_innen Spalier – im Hintergrund küsst sich ein demonstrierendes Pärchen innig: „Inmitten des Trubels und der Forderung nach Revolution, Umdenken in Politik und Gesellschaft und gegen den Kapitalismus, bleibt Zeit für die weitaus wichtigeren Dinge im Leben: Auf beiden Seiten Menschen, die mehr eint, als sie vielleicht trennen mag...“ ist darunter zu lesen.

DIE RAUFEN NUR. Beispiele wie dieses verdeutlichen die mannigfaltigen Möglichkeiten, die soziale Medien der Polizei bieten, um ihr menschliches Antlitz zu zeigen, in die öffentliche Meinungsbildung einzugreifen und ihre Funktion in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zu kaschieren. Seitens der Polizei wird es nämlich keine Kommunikation geben, die derder repressiven Realität gerecht wird und das Handeln der Polizei entsprechend darstellt: Denn dann würden auch Bilder von Delogierungen, rassistischen Personenkontrollen, Abschiebungen, prügelnde Bullen und drangsalierte Bettler_innen den Twitter- und Facebookstream füllen. Für viele Menschen ist die Polizei alles andere als Freund_in und Helfer_in. Weiters sind viele der Aussagen, die im Netz verbreitet werden, ob ihrer Parteilichkeit kritisch zu hinterfragen: Letzten Samstag ging am Wiener Praterstern ein mit Stangen bewaffneter Mob Identitärer auf eine kleine Gruppe Antifaschist_innen undJournalist_innen los. Die anwesende (und nicht eingreifende!) Polizei twitterte indessen von einem „Raufhandel zwischen rechten und linken Gruppen“. Solche verfälschten Aussagen nicht unkommentiert zu lassen, ist und bleibt die Aufgabe einer kritischen Gegenöffentlichkeit.

Wie das geht, haben haben Menschen aus New York vorgezeigt: Während die Polizei darum bat, unter dem Hashtag #myNYPD Fotos von schönen Erfahrungen mit den lokalen Officers zu twittern, ging die Kampagne ziemlich nach hinten los. Fotos von dokumentierter Polizeigewalt, die massenhaft unter dem Hashtag geteilt wurden, brachten statt der gewünschten Imagepolitur eine intensive Diskussion über prügelnde Polizist_innen. Auch hierzulande lässt sich beobachten, dass Tweets und Statusmeldungen der Polizei nicht unwidersprochen bleiben. So gibt es auf der Facebookseite der Wiener Polizei zahlreiche Ratings mit nur einem Stern: Mit ironischem Unterton beschweren sich einige über den „schlechten Service“ auf Demonstrationen.

 

Klemens Herzog studiert Journalismus und Neue Medien an der FH der Wirtschaftskammer Wien.

Al-Qaida, ISIS, Antifa?

  • 11.05.2015, 08:00

Auch die diesjährigen Proteste gegen den Akademikerball haben eine Reihe an Ermittlungen gegen AntifaschistInnen nach sich gezogen. Aufgefahren wird mit allem, was das Strafrecht so zu bieten hat. Nun steht sogar der Vorwurf der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ im Raum.

Auch die diesjährigen Proteste gegen den Akademikerball haben eine Reihe an Ermittlungen gegen AntifaschistInnen nach sich gezogen. Aufgefahren wird mit allem, was das Strafrecht so zu bieten hat. Nun steht sogar der Vorwurf der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ im Raum. 

Derzeit ermittelt die Wiener Polizei gegen elf Personen und noch weitere Unbekannte im Umkreis der diesjährigen Proteste gegen den Akademikerball in der Wiener Hofburg. Unter anderem wird wegen Nötigung, gefährlicher Drohung, Landzwang und Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Vorwürfe, mit denen zum Teil auch schon in den vergangenen Jahren versucht wurde, gegen antifaschistische und zivilgesellschaftliche Proteste vorzugehen. Nun wird auch noch wegen des Vorwurfs der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ (§ 278b StGB) gegen AktivistInnen des ehemaligen NoWKR-Bündnisses ermittelt, bestätigt Nina Bussek von der StaatsanwältInnenschaft Wien entgegen anderslautender Berichte in letzter Zeit. Und das alles, obwohl sich das Bündnis kurz nach den vergangenen Protesten aufgelöst hat, unter anderem, um sich neuen politischen Projekten zuzuwenden.

Sollte es tatsächlich zu einer Anklage und in Folge zu einer Verurteilung kommen, könnte das Strafmaß bis zu zehn Jahre Haft betragen. Von BeobachterInnen, ExpertInnen und Beteiligten werden die Ermittlungen heftig kritisiert – es werde versucht, antifaschistischen Protest mit Maß- nahmen des Strafrechts mundtot zu machen.

SCHWERE GESCHÜTZE. Die Pressesprecherin von NoWKR, Elisabeth Litwak, zeigt sich schockiert über die Ermittlungen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung: „Wir haben Demonstrationen und Vortragsreihen organisiert. Wenn so etwas in Österreich unter Terrorismus fällt, wäre das fatal für alle künftigen Proteste. Der Terrorismusparagraph wird sonst gegen den Islamischen Staat (IS) und Al-Qaida eingesetzt.“ In den letzten Jahren hätte die Intensität der Strafverfolgungen gegen antifaschistische oder zivilgesellschaftliche Proteste zugenommen: „Diese Ermittlungen sind eine ganz neue Stufe“, erklärt Litwak. Von der Wiener Polizei sind die AktivistInnen von NoWKR diesbezüglich bisher weder kontaktiert noch einvernommen worden. NoWKR hat, wie viele andere Gruppierungen in der Vergangenheit, auf den Akademikerball aufmerksam gemacht und Proteste dagegen organisiert.

Zur Erinnerung: Auf dem jährlichen Akademikerball treffen sich Persönlichkeiten der nationalen und europäischen rechten bis rechtsextremen Gruppierungen in der Wiener Hofburg, um das Tanzbein zu schwingen. Die Gegendemonstrationen führten teils zu heftigen Polizeieinsätzen und zu umstrittenen Anzeigen und Gerichtsverfahren. Bernhard Lahner vom Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung (BV) sieht das Vorgehen gegen Anti- faschist_innen kritisch. „Antifaschistischer Protest muss ein wesentliches Element im politischen Engagement der Studierenden sein. Es ist fatal dieses Engagement durch Kriminalisierung im Keim zu ersticken. Faschismus darf durch Schweigen nicht salonfähig gemacht werden.“

Letztes Jahr etwa musste der Student Josef S. aus Jena gut sechs Monate lang in Untersuchungshaft sitzen. Angezeigt und schließlich auch verurteilt wurde er unter anderem wegen des sogenannten Landfriedensbruchsparagraphen. Dieser Prozess wurde nicht nur von deutschen Medien heftig kritisiert, sondern auch von Verfassungsjuristin Brigitte Hornyik, die ihn beobachtet hat. „Da wurde der ganze Rechtsstaat gewissermaßen mit Füßen getreten. Ein Mensch wurde aufgrund von ganz schwammigen Vorwürfen festgehalten und vorverurteilt“, so Hornyik. An dem Prozess ist ihr besonders die seltsame Beweisführung durch das Gericht sauer aufgestoßen, das sich sein Urteil im Wesentlichen auf die Aussage eines Polizisten bezog, der sich noch dazu in Widersprüche verstrickt hatte.

KRIMINALISIERUNG. Nach den aktuellen Ermittlungen wegen § 278b gefragt, findet die Verfassungsjuristin Hornyik sehr schnell deutliche Worte: „Das ist eine Frechheit. Damit soll Antifaschismus wieder einmal kriminalisiert werden. Dabei lässt man offenbar kein Mittel aus, wie diese Ermittlungen zeigen.“ Für Hornyik ist das eine strafrechtliche Keule, die in diesem Fall offenbar dazu diene, auf eine ganze Bewegung zu prügeln. Sie hofft, dass die Ermittlungen bald wieder eingestellt werden. Dennoch empfindet sie alleine die Verdächtigungen als politisch sehr beunruhigend. Sie vermutet außerdem, dass ein solcher Umgang mit diesen Protesten an der mangelnden Aufarbeitung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Österreich und der immer noch stark verbreiteten autoritären Gesinnung liege.

Der Strafrechtsexperte Georg Bürstmayr schlägt in eine ähnliche Kerbe und hält die Anwendung des Terrorparagraphen 278b in diesem Fall für völlig überzogen. Der Paragraph sei nach den Anschlägen von 2001 für Fälle gedacht gewesen in denen es um „eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung oder Schädigung des öffentlichen Lebens bzw. des Wirtschaftslebens“ gehe. „Mit dieser Bestimmung muss sehr bedächtig umgegangen werden. Man kann sie nicht einfach wahllos, missliebig gegen kritische Gruppierungen anwenden“, so Bürstmayr.

ANGST? Über den aktuellen Stand der Ermittlungen geben sowohl StaatsanwältInnenschaft als auch Polizei keine Auskunft, auch nicht wie lange die Ermittlungen dauern könnten. Für die Verdächtigten von NoWKR, aber auch jene (AntifaschistInnen), gegen die wegen anderer Delikte ermittelt wird, heißt es also vorerst abwarten und hoffen. Galt noch im letzten Jahr unter anderem rund um den Prozess gegen Josef S. die Anwendung des bis dahin für totes Recht gehaltenen Paragraphen Landfriedensbruch als äußerst umstritten, so kommt nun der Paragraph „Landzwang“ (§ 275 StGB) zu einem sehr fragwürdigen Einsatz. Dieser Paragraph bestraft das Drohen mit schweren Angriffen gegen einen großen Personenkreis. Auf Anfrage des progress hat das Justizministerium mitgeteilt, dass dieser Paragraph in den letzten 39 Jahren zu insgesamt 18 Verurteilungen geführt hat, also äußerst selten angewandt wird.

Danach gefragt, was sie AntifaschistInnen raten würde, die sich zunehmend eingeschüchtert fühlen, meint Litwak: „Aus Angst auf Protestformen zu verzichten ist weder angemessen noch hilfreich, vielmehr ist es genau das, worauf die Repression abzielt. Wichtig ist es, überlegt und gut vorbereitet zu sein. Niemand muss sich der Repression alleine stellen.” Für Lahner tut sich hier aber ein Problem auf: „Da es die linke ,Organisation‘ in Österreich nicht gibt, ist es oft schwierig, dass unterschiedliche Gruppierungen in allen Punkten miteinander können. Es sollte aber vor allem in Bezug auf Antifaschismus Konsens herrschen und ein gemeinsames Vorgehen das Ziel sein. Unterstützung gegen Repression muss für linke Organisationen selbstverständlich sein.“

 

Georg Sattelberger studiert Internationale Entwicklung und Lehramt Englisch und Geschichte an der Universität Wien. 

 

Türkei: Auf dem Weg zum Polizeistaat?

  • 22.02.2015, 17:57

Die Opposition kämpft gegen neue, äußerst repressive Sicherheitsgesetze – im Parlament wie auf der Straße.

Die Opposition kämpft gegen neue, äußerst repressive Sicherheitsgesetze – im Parlament wie auf der Straße.

Bilder von prügelnden Abgeordneten und Stühlen, die durch Luft fliegen, gingen um die Welt, als im türkischen Parlament um die neuen Sicherheitsgesetze debattiert werden sollten. Zuvor hatte die Opposition versucht, mit hunderten Änderungsanträgen und formalistischen Tricks die Debatte in die Länge zu ziehen und so die Abstimmung zu verhindern. Als dann zur späten Stunde der Parlamentsvorsitzender aus der Regierungspartei AKP einen Redebeitrag der Opposition unterband, entstand ein Wortgefecht, dass recht rasch in einer nonverbalen Auseinandersetzung endete.

Über den weiteren Verlauf kursieren unterschiedliche Darstellungen – sicher ist, dass anschließend AKP-Abgeordnete mit Stühlen und stumpfen Gegenständen Abgeordnete aus den Oppositionsreihen angegriffen und fünf von ihnen verletzt haben. Die Auseinandersetzungen gingen auf der Straße weiter. Aber weder die Demonstrationen mit tausenden Menschen noch eine Sitzblockade von Oppositionsabgeordneten im Parlament konnten die Abstimmung verhindern. Inzwischen sind die neuen Sicherheitsgesetze mit Stimmen der AKP-Mehrheit im Parlament beschlossen worden.

AUTORITÄRE WENDE. Nun sind weder Schlägereien im Parlament noch umstrittene Gesetzesreformen in der Türkei ein Novum. Der derzeitige Vorstoß reiht sich vielmehr in eine Menge von Gesetzen und Beschlüssen ein, die insgesamt eine autoritäre Wende der AKP-Regierung in den letzten Jahren dokumentieren.

Dabei schien es zur Beginn der AKP-Ära so, als könnte ein (wenn auch begrenzter) demokratischer Reformprozess angestoßen werden. Die moderat-islamische AKP-Partei erlangte 2002 die Regierungsmacht, und in der Türkei kam es zu einer ganzen Reihe von innen- und außenpolitischen Veränderungen.

Insbesondere schien das Schielen der AKP-Regierung auf einen möglichst schnellen EU-Beitritt der Türkei ein Hebel zu sein, um politische Reformen durchzusetzen. Die Hoffnung war, dass die EU demokratische und menschenrechtliche Mindeststandards verlangen würde, die die AKP-Regierung umsetzen würde, um den Beitrittskandidatenstatus zu erlangen.

REPRESSIONSWELLEN. Es gab zwar schon damals kritische Stimmen, die auf die autoritären Tendenzen der AKP-Regierung hinwiesen. Aber es war leicht, diese Stimmen als kemalistisch und nationalistisch abzutun, zumal die kemalistische CHP in diesen Jahren das Anti-AKP-Lager dominierte und die Kritik an AKP als mit diesen alten Eliten verbunden war. . Die AKP-Regierung konnte bei ihrem Machtkampf darauf setzen, dass die alten politischen Eliten von vielen gesellschaftlichen Gruppen aus unterschiedlichen Motiven heraus abgelehnt wurden. So gab es wegen der zahlreichen Festnahmen und Inhaftierungen gegen kemalistische und nationalistische PolitikerInnen, Militärs, Intellektuelle und JournalistInnen im Rahmen des Ergenekon-Prozesses ab 2007 lange Zeit wenig Kritik. Es kam erst dazu, als nicht mehr zu übersehen war, dass die AKP-Regierung den Prozess dazu nutzte, RegimegegnerInnen zu inhaftieren. Auch jetzt noch fehlen Beweise dafür, dass die Inhaftierten tatsächlich Mitglieder einer nationalistischen Verschwörungsgruppe seien, die einen Putsch plane.

Ab 2009 kam es zu einer zweiten Repressionswelle, dieses Mal gegen vermeintliche Mitglieder der PKK-nahen KCK. Bis jetzt wurden mehrere tausend Menschen verhaftet, darunter zahlreiche PolitikerInnen, JournalistInnen, GewerkschafterInnen, WissenschaftlerInnen und AnwältInnen.

(NOCH) MEHR RECHTE FÜR POLIZEI. Die neuen Sicherheitsgesetze sichern diese autoritäre Wende juristisch ab und geben der Polizei mehr Befugnisse, Protest und Opposition stärker zu unterbinden. Die Polizei darf in Zukunft Personen und Fahrzeuge ungehindert durchsuchen und benötigt dafür keine richterliche Erlaubnis. Ebenso darf die Polizei ohne Absprachen bis zu 48 Stunden lang Kommunikationen abhören und aufzeichnen, bisher war eine Höchstdauer von 24 Stunden an Überwachung erlaubt. Personen dürften nach den neuen Sicherheitsgesetzen auch ohne Anklage bis zur 48 Stunden festgehalten werden.

Weil es weder eine richterliche oder sonstige Kontrolle über die Polizeieinsätze noch ein Beschwerdeverfahren gegen möglicherweise unrechtmäßige Einsätze gibt, ist der politische Missbrauch dieser bereits vorprogrammiert. Sehr problematisch ist eine weitere Bestimmung, wonach die Polizei (ebenfalls nach Gutdünken) Menschen „entfernen“ und „festhalten“ kann. Dies hört sich zuerst nach einem Platzverweis an, wie er etwa auch von der deutschen Polizei durchgeführt wird. Allerdings ist im türkischen Gesetzentwurf nicht beschrieben, wo die „entfernten“ Personen „festgehalten“ werden – und was überhaupt dieses „festhalten“ genau meint.

AUF DEMONSTRANTINNEN SCHIESSEN ERLAUBT. Neben diesen Befugnissen, die verdacht- und anlassunabhängig gegen jeden und jede angewendet werden können, sind weitere Bestimmungen vorgesehen, die sich konkret gegen wehrhafte Protestierende richten. Widerstand gegen Polizeirepression kann nun härter niedergeschlagen werden: So ist eine Haftstrafe für bis zur fünf Jahren ist vorgesehen, wenn man bei einer Demonstration eine Schleuder oder Feuerwerkskörper bei sich führt – der bloße Besitz reicht völlig für die Verhängung der Haftstrafe. Ebenfalls eine Haftstrafe von fünf Jahren gibt es für Vermummung bei Demonstrationen. Das Tragen von Symbolen von „illegalen Organisationen“ wird mit bis zur drei Jahren Haft bestraft.

Besonders umstritten ist die neue Bestimmung, nach der die Polizei die Erlaubnis erhält, Schusswaffen gegen DemonstrantInnen einzusetzen, die Brandsätze, Sprengstoff, brennbare Stoffe oder sonstige „verletzende Waffen“ tragen oder benutzen. Diese lange Liste trifft auf zahlreiche Gegenstände zu, die keine unmittelbare Gefahr darstellen und so eigentlich keinen Schusswaffeneinsatz durch die Polizei notwendig machen, wie z.B. „bengalisches Feuer“ oder Fahnenstangen aus Metall. Diese neue Bestimmung dürfte die Zahl von DemonstrantInnen, die durch  Polizeieinsätze getötet werden, deutlich steigern. Dabei kommt es  bereits jetzt – ohne diese Bestimmung – immer wieder zur Tötung von Protestierenden durch die Polizei, wie etwa bei den Kobanê-Protesten im Oktober 2014, wo über 40 Menschen starben.

Insgesamt wird noch zu beobachten sein, wie intensiv die AKP-Regierung die neuen Polizeibefugnisse gegen die Opposition einsetzt. Dies ist eine politische Frage, denn eine juristische Kontrolle der Befugnisse ist nicht vorgesehen. In Kombination mit Informationen von Whistleblowern wie etwa von Fuat Avni, dass die AKP-Regierung bei den Parlamentswahlen  im Juni auf massive Wahlfälschung zurückgreifen könnte, entsteht ein eher düsteres Szenario.

 

Ismail Küpeli ist Politikwissenschaftler. Gerade arbeitet er an einem Sammelband über den Kampf um Kobanê, der voraussichtlich im Sommer 2015 bei edition assemblage erscheint.

 

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