Repression

Rechtsstaat Österreich – 404 NOT FOUND

  • 24.07.2014, 15:01

Der angebliche Rädelsführer der Proteste gegen den Akademikerball Josef S. (23) wurde am 22. Juli 2014 schuldig gesprochen. Am dritten Prozesstag wurde der Jenaer Student zu einer Haftstrafe von zwölf Monaten verurteilt, acht davon sind bedingt. Bezeichnend für diesen Fall war nicht nur die lange Untersuchungshaft, die vielen BeobachterInnen ungerechtfertigt erschien: Interessant sind auch die Parallelen zu einem früheren Justizfall.

Der angebliche Rädelsführer der Proteste gegen den Akademikerball Josef S. (23) wurde am 22. Juli 2014 schuldig gesprochen. Am dritten Prozesstag wurde der Jenaer Student zu einer Haftstrafe von zwölf Monaten verurteilt, acht davon sind bedingt. Bezeichnend für diesen Fall war nicht nur die lange Untersuchungshaft, die vielen BeobachterInnen ungerechtfertigt erschien: Interessant sind auch die Parallelen zu einem früheren Justizfall.

Als „Operation Spring“ ist eine großangelegte Operation der österreichischen Polizei in den Jahren 1999 und 2000 bekannt. Zahlreiche Menschen afrikanischer Herkunft wurden dabei festgenommen und rechtskräftig verurteilt. Einige der Festgenommenen wurden wegen illegalen Aufenthalts inhaftiert und in weiterer Folge aus Österreich abgeschoben. Dem landesweiten polizeilichen Zugriff auf Flüchtlingsheime und Wohnungen, der am 27. Mai 1999 erfolgte, ging nicht nur eine längere Überwachungsaktion voraus. Auch eine massive Welle der politischen Betätigung der afrikanischen Community gegen Rassismus, der seinen tragischen Höhepunkt in der Tötung Marcus Omufumas am 1. Mai 1999 durch österreichische Polizisten fand, hatte es gegeben. Der nigerianische Asylwerber hatte sich gegen seine Abschiebung mit Händen und Füßen gewehrt, woraufhin drei Polizisten seinen Brustkorb mit Klebebändern zuschnürten und ihm Nase und Mund verklebten. Marcus Omufuma erstickte qualvoll. Die drei Polizisten wurden wegen fahrlässiger Tötung zu acht Monaten bedingter Haft und einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Sie wurden nie vom Dienst suspendiert.

Auch der Fall des Angeklagten Josef S. hat eine Vorgeschichte, die international Aufsehen erregte. Am 24. Jänner diesen Jahres fand der Wiener Akademikerball statt, der in den Jahren davor noch „Wiener Korporations-Ball“ hieß. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) lädt dabei als Organisatorin zu einem Treffen einflussreicher internationaler RechtsextremistInnen in die Hofburg ein. Gegen das jährlich stattfindende Event wurde 2014 erstmals auch international mobilisiert. Laut den VeranstalterInnen der Proteste nahmen bis zu 12.000 DemonstrantInnen an den Aktionen teil. Zahlreiche JournalistInnen kritisierten das Verhalten der Organisatoren des Balls sowie die Tatsache, dass dieser in den Räumlichkeiten der staatstragenden Hofburg stattfinden konnte.

Foto: Soligruppe Josef in Jena

Platzverbot und Lauschangriff

Sowohl im Zuge der Operation Spring als auch bei den Protesten gegen den Akademikerball wandte die Polizei neuartige Vorgangsweisen an. So kam 1999 erstmals der „große Lauschangriff“ zum Einsatz. Im Jänner 2014 war neu, dass ein umfangreiches Platzverbot über große Teile der Innenstadt verhängt wurde. Außerdem galt ein Vermummungsverbot für die inneren Bezirke. Paragraf Eins der Verordnung schrieb vor, dass sich keine Person an öffentlichen Orten aufhalten dürfe, die ihre Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände verhüllt oder verbirgt, um ihre Wiedererkennung zu verhindern. Weiters durften keine Gegenstände mitgeführt werden, „die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern“. Dies schien die polizeiliche Reaktion auf die Vorfälle im Jahr 2013 zu sein, als die FPÖ der Exekutive „Totalversagen“ bescheinigte.

Wer gegen das in Paragraf Eins angeordnete Verbot verstieß, beging eine Verwaltungsübertretung, welche mit einer Geldstrafe von bis zu 500 Euro oder einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Wochen bestraft werden kann, hieß es damals. Der Rechtswissenschaftler Bernd-Christian Funk verurteilte das Verbot und betitelte es als „Blankoschein“ für die Polizei. Mehrere österreichische Rundfunksender schlossen sich dieser Einschätzung an und forderten erfolglos die Aufhebung der Beschränkungen. Dennoch sperrte die Exekutive bereits vor dem Beginn der Demonstration die betroffenen Teile der Innenstadt mit mehr als 2.000 PolizistInnen ab. Als einige DemonstrantInnen die Polizeisperre überschritten, eskalierte die Situation. In Folge dessen kam zu mehreren Festnahmen.

Verfahrensmängel...

Das Justizverfahren, das im Zuge der „Operation Spring“ durchgeführt wurde, richtete sich in erster Linie gegen rund 100 AfrikanerInnen. Es entwickelte sich zu einem der größten und umstrittensten Justizverfahren der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Beinahe alle Angeklagten wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, unterschiedliche NGOs kritisierten die unübersehbaren Verfahrensmängel während des Prozesses sowie die von Polizei und Justiz angewandten Methoden. Michael Genner von Asyl in Not sprach von der „Verlogenheit des Rechtssystems“, während Heinz Patzelt von Amnesty International konstatierte, dass sein Vertrauen in den Rechtsstaat ernsthaft erschüttert worden sei. Die akustischen und optischen Aufzeichnungen, die während der Observationen durch Nachrichtendienste angefertigt wurden, waren größtenteils von ungewöhnlich schlechter Qualität und als Beweise im Grunde unbrauchbar. Die Zuordnung der Stimmen zu den Personen auf den Videoaufnahmen war nur spekulativ möglich.

Ebenso wurden einige vermummt vor Gericht erscheinende KronzeugInnen geladen, die einen Großteil der angeklagten AfrikanerInnen belasteten. Die Identität der ZeugInnen wurde gegenüber der Verteidigung nicht offen gelegt, zahlreiche Fragen der Verteidigung wurden – so das Gericht - zum Schutz der anonymen ZeugInnen vom Richter zurückgewiesen. So war es möglich, dass etwa Michel Kabongo (zum damaligen Zeitpunkt erst 20 Jahre alt) aufgrund einer anonymen und maskierten Zeugenaussage aus der Drogenszene erstinstanzlich wegen des Verkaufs von Rauschgift zu vier Jahren Haft verurteilt werden konnte.

Darüber hinaus offenbarten sich Mängel in der Übersetzung der Audioaufnahmen. Die Zuordnung der Stimmen nahm ein ebenfalls anonymer Dolmetscher vor, obwohl selbst ein Sachverständiger erklärt hatte, dass dies für ihn aufgrund der schlechten Qualität des Materials nicht möglich gewesen sei. Als die Verteidiger Fragen zur Qualifikation des Dolmetschers stellten, wurden auch diese vom Richter zurückgewiesen. Für internationale Kritik sorgte eine Passage in mehreren Urteilsbegründungen, die vom „Verkauf einer nicht mehr feststellbaren, jedenfalls aber großen Menge Heroin und Kokain, an unbekannt gebliebene Endabnehmer“ sprach. Der Dokumentarfilm  „Operation Spring“ von Angelika Schuster und Tristan Sindelgruber aus dem Jahr 2005 thematisiert diese Missstände und vermittelt einen Einblick in die befremdlichen Vorgänge im Zuge der Polizeiaktion.

...und Widersprüche

Auch das Verfahren gegen den deutschen Studenten Josef S. war durch Widersprüchlichkeiten geprägt und hatte den Anschein eines politisch motivierten Schauprozesses. Seit dem 24. Jänner 2014 saß der bis zu diesem Zeitpunkt unbescholtene Josef S. in Untersuchungshaft, da nach Ansicht der Polizei und später auch des Gerichts sowohl „Verdunkelungsgefahr“ als auch „Wiederbegehungsgefahr“ bestanden habe. Die Staatsanwaltschaft gab an, man befürchte, dass sich Josef S. an den Protesten gegen den Wiener Opernball beteiligen könnte. Diese finden jedoch schon seit mehreren Jahren nicht mehr statt. Josef S. galt als „Rädelsführer“ – so die Angaben der Wiener Polizei – da er einen schwarzen Pullover mit der Aufschrift „Boykott“ trug. Obwohl aktuelle wissenschaftliche Studien über Protestkulturen darauf hinweisen, dass es in den Reihen formierter autonomer DemonstrantInnen keine „Rädelsführerschaft“ gibt.

Zudem widerrief ein Belastungszeuge der Polizei im Zuge des Verfahrens seine Aussage vom ersten Prozesstag, als sich herausstellte, dass die Person, die auf einer Audiodatei zu hören war, nicht der Angeklagte sein konnte. Diese Tondatei war erst auf Initiative der Verteigerin von Josef S. genauer untersucht worden. Die Frage der Verteidigung, ob in diesem Fall das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eingehalten werde, konnte mit Blick auf einen Fall, in dem Mitglieder der neonazistischen Fangruppierung „Unsterblich“ direkt nach der Identitätsfeststellung entlassen wurden, auch nicht klar beantwortet werden.

Auch im Fall Josef S. trat ein anonymer Zeuge auf, der während der Demonstration als nicht uniformierter Zivilpolizist im Einsatz war. Dieser behauptete, dass Josef S. Steine und auch einen Mülleimer in Richtung der Polizisten geworfen habe. Als EntlastungszeugInnen der Verteidigung traten über 40 Angestellte der MA 48, JournalistInnen und Kameraleute auf, die Josef S. nicht einwandfrei oder gar nicht erkannt hatten. Ein STANDARD-Fotograf, der sich am Stephansplatz einige Meter entfernt vom Angeklagten aufgehalten haben soll, erkannte den Angeklagten auf keinen seiner 700 Fotos. Auch ein freier Fotograf, der ebenfalls in der Demonstrationsnacht fotografierte, sagte als Zeuge aus. Auf Filmmaterial ist er hinter Josef S. zu sehen, während der Angeklagte einen Mülleimer aufrichtete. Dass der Angeklagte den Mülleimer geworfen und somit den Tatbestand der absichtlichen schweren Körperverletzung erfüllt habe, konnte der Fotograf nicht bestätigen: „Mir ist nicht aufgefallen, dass von dort etwas geworfen wurde.“

Foto: Soligruppe Josef in Jena

Getroffen hat es Irgendeinen

Dass die „Operation Spring“ ein politisch motivierter Prozess war, um die afrikanische Community Österreichs repressiv zurückzudrängen, steht heute außer Frage. So wurde der aus Nigeria stammende Literat und politische Aktivist Obiora C-Ik Ofoedu im Zuge der Operation aufgrund von Informationen von der Polizei in den Medien als „Drogenboss“ gehandelt. Im Jahr 2000 wurde Ofoedu rechtskräftig wegen Geldwäsche verurteilt, weil er laut Gericht Geld an Landsleute überwiesen hätte, das aus Drogenhandel stammte. Für alle anderen ihm ursprünglich zur Last gelegten Verbrechen erhob die Staatsanwaltschaft keine Anklage. Den Vorwurf, Ofoedu sei der Kopf eines international agierenden Drogenrings, musste die Justiz fallen lassen. Emanuel Chukwujekwu wurde ebenfalls 1999 als „Drogenboss“ präsentiert. Im Zuge des Prozesses wurde er in zweiter Instanz freigesprochen. Der oberste Gerichtshof hob die Urteile jedoch wieder auf, worauf er schließlich im Dezember 2005 zu 4 Jahren und 9 Monaten Haft verurteilt wurde. Bis zu diesem Urteil saß er bereits fast 4 Jahre und 9 Monate in Untersuchungshaft. Für Chukwujekwu waren diese Vorgänge ein „Krieg gegen die Black Community in Wien“.

Der Staatsanwalt im Fall des Josef S. sprach in seinem Plädoyer von der Pflicht des Rechtsstaates sich vor „Terrorismus“ zu schützen. Clemens Lahner, einer der beiden AnwältInnen, die Josef vor Gericht verteidigt haben, stellte umfassend dar, dass der Mistkübel, den der Angeklagte geworfen haben soll, für diesen viel zu schwer gewesen sei. Außerdem liege diesbezüglich kein eindeutiges Beweismittel vor. Die Anklage stützte sich auf einen einzigen Belastungszeugen der Polizei, der als einziger angab, Josef S. zum Tatzeitpunkt am Tatort gesehen zu haben, während alle anderen als ZeugInnen geladene BeamtInnen der Anklageschrift widersprachen. Kristin Pietrczyk, die zweite Verteidigerin von Josef S., sprach in ihrem Schlussplädoyer davon, dass ein Schuldspruch ein „in Angst und Schrecken Versetzen von jedem, der auf so eine Demonstration gehen will“ sei.

Josef S. wurde am 22. Juli nach beinahe sechsmonatiger Untersuchungshaft wegen Landfriedensbruch in Rädelsführerschaft, versuchter schwerer Körperverletzung und schwerer Sachbeschädigung schuldig gesprochen. Die Frage der Verhältnismäßigkeit muss auch hier stutzig machen: Er wurde zu einer Haftstrafe von zwölf Monaten verurteilt, acht davon sind bedingt. Zu einer ähnlichen Haftstrafe wurde auch jener Mann verurteilt, der im Jänner letzten Jahres eine Kenianerin vor die U-Bahn-Gleise gestoßen hatte und – bevor er diese in Lebensgefahr brachte -  noch auf die U-Bahn-Signaltafel geblickt und seiner Freundin zugerufen hatte, dass in drei Minuten "alles vorbei“ sei. Der 51-jährige Elektriker wurde in erster Instanz zu einem Jahr bedingter Haftstrafe verurteilt, da eine Absichtlichkeit nicht nachweisbar war. Der Mann habe sich „in einer Stress-Situation“ befunden.

 

David Kirsch studiert Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft an der Universität Wien und schreibt auf exsuperabilis.blogspot.com

Gertrude Lover studiert Germanistik und Geschichte an der Universität Wien.

„Es war wie eine Mischung aus der Schachnovelle und dem Prozess“

  • 11.07.2014, 17:20

Ein Lehrstück der Repression: Gregor S. schildert seine Festnahme bei #blockit, Haft und all jenes, was (auch friedliche) Demonstrant*innen in Wien zu erwarten haben

Ein Lehrstück der Repression: Gregor S. schildert seine Festnahme bei #blockit, Haft und all jenes, was (auch friedliche) Demonstrant*innen in Wien zu erwarten haben

Am 17. Mai marschierten etwa 100 internationale Mitglieder einer jungen rechten Bewegung durch Wien. Sie nennen sich „die Identitären“, sorgen sich um die ethno-kulturelle Reinheit ihrer Nationen und schwingen gelb-schwarze Fahnen. Mit Slogans wie: „More border, more nation, stop immigration!“ wollten sie die Wiener Mariahilferstraße hinunter ziehen.

Der Verein „Offensive gegen Rechts“ rief in Folge zu einer Gegendemonstration auf. progress online berichtete in der Fotostrecke Kampf um die Straßen Wiens.

200 der ungefähr 400 antifaschistischen Gegendemonstrant*innen haben nun Anklagen zu befürchten. Darunter auch Gregor S*.

Der junge Mann aus Wien war bei der Demonstration gegen die neuen Rechten dabei, weil er nicht mitansehen wollte, „wie im Jahre 2014 Faschisten ungehindert mit ihren Parolen durch Wien schreiten“. Er beobachtete die Festnahme einer Frau, die behauptete, schwanger zu sein und um die sich später auch das Gerücht verbreitete, sie hätte wegen Polizeigewalt eine Fehlgeburt gehabt. Gregor S. war auch dabei, als die insgesamt 230,- € Sachschaden durch die Gegendemonstration entstanden (Anmerkung: Der Sachschaden wurde später von der Polizei auf 170,- € revidiert). Er schildert progress gegenüber den Ablauf und beschreibt seine Festnahme und Haft im Rahmen der Gegendemonstrationen, die unter dem Namen und Hashtag #blockit bekannt wurden.

progress online: Herr S., sind Sie gewaltbereit?

Gregor S.: Ich verstehe die Frage nicht. Was bedeutet denn gewaltbereit überhaupt? Eine Person ist entweder gewalttätig oder eben nicht. Dieser absolut schwammige Begriff der „Gewaltbereitschaft“ ermöglicht nur Angstmacherei und Hetze.

Festgenommen wurden Sie jedenfalls, also hat die Polizei Sie als gefährlich eingestuft.

Ich bin ein durchschnittlicher Demonstrationsteilnehmer, der einfach gegen Faschisten auf die Straße gehen wollte.

Gehören Sie zu einer Szene? Anarchos, Punks? Bewegen Sie sich in einem dem Verfassungsschutz bekannten Milieu?

Nicht, dass ich wüsste.

Können Sie die Ereignisse rund um Ihre Festnahme schildern? Wie sind Sie überhaupt im Douglas-Geschäft, wo der Sachschaden entstanden ist, gelandet?

Gegen Ende der Demonstration hieß es, dass wir zum Rathausplatz gehen. Die Polizei hatte angefangen, einzelne Gruppen einzukesseln bzw. ihnen nachzulaufen – so landeten wir in der Josefstädterstraße. Hinter uns war ein ziemlich großer Polizeitrupp, der das Pfefferspray schon in der Hand bereit hielt, also rannten wir weiter.

Wurden irgendwelche Dinge nach der Polizei geworfen? Diese in irgendeiner Form angegriffen?

Nein, wir liefen nur davon. Jemand schmiss dabei hinter sich ein Absperrgitter um, um die Polizei-Gruppe zu verlangsamen. Das war’s dann aber auch.

Was passierte weiter in der Josefstädterstraße?

Aus der anderen Richtung kam uns ein weiterer Trupp entgegen, wir waren also umzingelt. Daraufhin liefen ungefähr 30 Leute in das Douglas-Geschäft in der Nähe. Die Polizei hat uns quasi hineingetrieben – wir hatten Angst vor dem Pfefferspray. Es gab unter den Demonstrant*innen in dieser Situation Panik. Dabei ist ein Ständer mit Sonderangeboten oder Ähnlichem im Geschäft umgefallen bzw. umgeworfen worden. Das ist, denke ich, der Grund, warum es gegen uns alle Verdacht auf Sachbeschädigung gab. 

Das waren also die 230€ Sachschaden? Ein Ständer in einer Drogerie?

Ja. Für eine Parfumerie ist das gar nicht mal so viel, ein paar Flaschen am Boden. Das war jedenfalls die Szene, die in den Medien als „Verwüstung eines Lokals in der Josefstädterstraße“ herumgereicht wurde.

Wie hat die Polizei die Lage unter Kontrolle gebracht?

Größtenteils durch Einschüchterung. Sie zerrten uns heraus und legten oder setzten uns auf den Gehsteig. Einem Demonstranten wurden sogar kurz Handschellen angelegt.

Wart ihr vermummt, geschützt?

Nein.

Wie viele Männer und wie viele Frauen waren unter den Festgenommenen aus der Parfumerie?

Ich habe nicht nachgezählt und kann mich daher nicht genau erinnern – es waren aber auf jeden Fall mehr Frauen als Männer. Die Polizei war übrigens ausschließlich männlich. Die Frau, von der es nachher hieß, sie hätte eine Fehlgeburt gehabt, war ebenfalls dabei. Ich beobachtete, wie es zum Konflikt zwischen dieser Frau und den Polizisten kam, als sie abgeführt werden sollte. Sie stand fünf Beamten gegenüber, die sie anbrüllten. Von der Seite kamen mehr Polizisten dazu, einer packte sie an der Schulter und riss sie um. Sie fiel bäuchlings auf den Boden und der Polizist landete auf ihr. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Frau und mehrere andere Demonstrant*innen versucht, der Polizei klarzumachen, dass sie schwanger sei.

Wie hat die Polizei auf diese Information reagiert?

Zunächst gar nicht. Nach einer Weile, als auch zwei andere Demonstrant*innen eine Panikattacke hatten – eine davon war 14 Jahre alt – rief die Polizei dann die Rettung.

Wie traten die Polizist*innen Ihnen und den anderen Teilnehmer*innen gegenüber auf?

Die Polizei war grundlos sehr aggressiv. Beschwerden oder eben Panikattacken belächelte sie. Die Demonstrant*innen wurden unnötig rau behandelt, die Polizisten wurden persönlich beleidigend. Sie brüllten uns ununterbrochen an. Chaoten, Zecken und Vandalen schimpfte uns etwa ein Polizist. Es schien mir, als würde er völlig durchdrehen und nur darauf warten, uns zusammenzuschlagen. Nachdem ich ihn bat, sich etwas zu beruhigen, wurde ich auf den Boden geworfen und weiter beleidigt: „Bleib unten, G’schissener!“

Was ist weiter passiert? Wie ging die Festnahme vor sich?

Männer und Frauen wurden zunächst getrennt. Personaldaten wurden aufgenommen, wir wurden durchsucht und man nahm uns alle persönlichen Gegenstände ab. Dann führten Polizisten die Menschen in kleinen Gruppen ab. Ich weiß nicht genau, wie viele Menschen in so ein Polizeiauto passen – jedenfalls gibt es in so einem Bus mehrere getrennte Abteile, in die die Demonstrant*innen einzeln eingesperrt werden.

Wie sieht es in diesen Zellen im Polizeiauto aus?

Sie sind ganz weiß und es gibt eine Überwachungskamera. Es gibt keine Gurte – eine Vollbremsung wäre sehr gefährlich. Es gibt auch keine Möglichkeit, sich festzuhalten, es ist ein ganz steriler kleiner Raum mit einer kleinen Bank. Genau so, wie es immer in den Filmen in aussieht, wenn vermeintlich Verrückte in eine Zelle kommen.

Wohin ging es mit dem Auto?

Man fuhr uns ins Anhaltezentrum Roßauer Lände. Dort wurden wieder alle einzeln herausgeführt. Ich wurde am längsten im Auto sitzen gelassen – vielleicht, weil ich darin herumgetrommelt und Lärm gemacht habe.

Was ist dann der konkrete Vorgang im Anhaltezentrum?

Zuerst gibt es eine Leibesvisitation in einer größeren Eingangshalle. Ich musste Hemd, Gürtel und Schuhe ausziehen, wurde genau abgetastet – das passierte immer durch einen Beamten in kleineren Kabinen. Dann wurde eine Liste meiner Besitztümer angefertigt, die ich unterschreiben musste. Interessanterweise wurde genau der Gegenstand, den sie mir als Waffe hätten auslegen können – eine recht große Glasflasche – nicht aufgeschrieben. Ich denke, sie haben einfach darauf vergessen. Danach wurde ich von zwei Beamten in den Zellentrakt gebracht und eingeschlossen.

Beschreiben Sie bitte Ihre Zelle.

Der kleine Raum war sehr hoch, gelb gestrichen und hell beleuchtet. Es gab ein Bett, ein vergittertes Fenster, einen Holztisch, ein Waschbecken und einen zerbrochenen Spiegel. Ein WC, das zuletzt vor ungefähr hundert Jahren geputzt wurde; das Wasser, das aus dem Hahn kam, war die ersten zehn Sekunden lang knallgelb. Die Tür war sehr massiv und aus Metall und hatte einen Schlitz, der nur von außen geöffnet werden konnte. Es gab auch eine Gegensprechanlage, die ich von innen nutzen konnte.

Wurde Ihnen irgendwann erklärt, warum Sie festgenommen und in eine Einzelzelle gebracht werden?

Nein. Ich schätze, dass sie zuerst die Einzelzellen füllten, bis keine mehr übrig waren und dann dazu übergingen, andere Zellen mit Demonstrant*innen zu belegen. Meine Rechtsbelehrung an dem Tag: „Sie wissen, dass sie das Recht haben, nicht auszusagen. Sie müssen nix sagen, aber Sie wissen eh, dass das schlecht wäre für Sie.“ Ich fragte mehrere Male, wieso ich festgenommen werde, bekam aber meistens keine Antwort. Erst am Weg zur Zelle sagte mir ein Beamter, dass es Verdacht auf Sachbeschädigung gäbe.

Was machten Sie in der Zelle?

Mir war sehr langweilig, weil es in der Zelle gar nichts zu tun gab und mir alles abgenommen wurde. Ich verschob dann das Bett, um draufzusteigen und aus dem Fenster heraus sehen zu können. Kurz darauf erschien zufällig ein Beamter mit einem medizinischen Fragebogen – es gab in der Zelle keine Kamera. Er fragte mich, was ich da mit ihrem Bundeseigentum aufführte und meinte, dass ich gefälligst runterkommen soll. Ich wurde noch zwei Mal kurz herausgeführt: Ein Arzt maß mir den Blutdruck und es wurden Fotos und Fingerabdrücke gemacht. Mittlerweile weiß ich, dass das mit den Fingerabdrücken wohl nicht einmal erlaubt gewesen wäre.

Woran dachten Sie zu dieser Zeit?

Ich habe nur versucht, nicht wahnsinnig zu werden. Ich grübelte darüber, was wohl passieren würde und ob ich noch am selben Tag heimgehen dürfte. Ich hatte noch nie Erfahrungen mit der Polizei gemacht und war auch sehr schockiert darüber, wie sie bei der Demonstration vorgegangen ist. Ich hatte das nicht erwartet. Ich dachte früher immer, dass Polizist*innen auch nur einfache Menschen seien, die ihren Beruf ausübten. Ich konnte den ganzen Polizeihass davor nicht nachvollziehen. Aber an diesem Tag realisierte ich einiges. Die Polizist*innen agierten willkürlich und wussten genau, dass sie sich alles leisten können. Ich hatte Angst. Ich bin die ganze Zeit nur auf und ab gegangen. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war…

Hätten Sie nachfragen können?

Wahrscheinlich schon, aber die Polizisten auf der anderen Seite der Gegensprechanlage waren sehr unfreundlich. Ich fragte drei Mal, ob ich nun endlich meine gesetzlich für mich vorgesehenen Telefonate durchführen durfte: „Na, jetzt geht’s ned!“ Sie vertrösteten mich jedes Mal auf die Vernehmung, sagten mir aber nicht, wann diese stattfinden würde. Bei weiterem Nachfragen drohten sie mir damit, noch länger warten zu müssen.

Haben Sie dann im Endeffekt mit jemandem telefoniert? Ihren Eltern, Freund*innen, einem Anwalt?

Nach insgesamt 10 Stunden – das habe ich erst im Nachhinein errechnen können – wurde ich endlich vernommen. Das war kurz nach Mitternacht. Und bei der Vernahme wurde mir abermals deutlich klargemacht, dass einen Anwalt anzurufen die Prozedur verlängern würde: „Sie können jetzt schon telefonieren, aber wir müssen Sie dann wahrscheinlich etwas länger hier behalten…“

Also wurden Ihnen die Telefonate faktisch verweigert. Wie gestaltete sich die Vernahme sonst?

Ungefähr zu Mitternacht wurde ich aus der Zelle geführt. Ich war sehr müde, dehydriert und eingeschüchtert. Ich wurde geistig nicht fertig mit der Situation, ich war irgendwie nicht mehr richtig zurechnungsfähig. Ich kann mich gar nicht mehr wirklich an alles erinnern, ständig wollten irgendwelche Beamten und Formulare etwas von mir. Es war wie eine Mischung aus dem Prozess und der Schachnovelle. Ich habe dann bereitwillig Informationen herausgegeben, die ich wahrscheinlich nicht hätte teilen müssen. Aber ich wollte einfach, dass es endlich vorbei ist, ich war nicht in der Verfassung zu diskutieren. Ich habe der Polizei über die Demonstration dann ungefähr das erzählt, was ich jetzt Ihnen erzählt habe. Der Beamte hat das dann sehr langsam und mit vielen Rechtschreibfehlern für mich am Computer zusammengefasst. Ich wurde gefragt, ob ich „mir vor der Demo etwas eingeworfen“ hätte, weil ich derart gezittert habe. Ich hatte zu dem Zeitpunkt seit sicher mehr als 24 Stunden nichts gegessen. Um 00:45 konnte ich gehen, nachdem ich mir meine Sachen abgeholt hatte, auch die Glasflasche.

 

Gregor S. erhielt eine Anzeige wegen Sachbeschädigung, nach $125 StGB. Er wartet, wie viele am 4. Juni Festgenommenen, sehr lange auf eine Verständigung der Staatsanwaltschaft, ob es zu einem Verfahren kommen würde oder nicht. Nach fünf Monaten dann endlich die Nachricht: Die Ermittlungen gegen Gregor wurden wegen mangelnder Beweislage eingestellt.

 

Olja Alvir studiert Germanistik und Physik an der Universität Wien, twittert unter dem Namen @OljaAlvir und hat eine Facebookseite.

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