Subjektive Unsicherheit

  • 22.06.2016, 13:03
Es ist das selbstgesetzte Ziel der Stadt Wien, keine örtlich verfestigte Drogenhandelsszene aufkommen zu lassen. Um dieses zu erreichen, arbeiten mehrere Stellen zusammen: Die Polizei, die Sucht- und Drogenkoordination und politische Entscheidungsträger_innen.

Es ist das selbstgesetzte Ziel der Stadt Wien, keine örtlich verfestigte Drogenhandelsszene aufkommen zu lassen. Um dieses zu erreichen, arbeiten mehrere Stellen zusammen: Die Polizei, die Sucht- und Drogenkoordination und politische Entscheidungsträger_innen.

„Wir brauchen uns nicht die Illusion zu machen, dass wir die einzige Großstadt sein werden, in der es überhaupt keine Drogen gibt, aber es kommt drauf an, welche Maßnahmen man setzt und ob die Situation eskaliert oder moderat bleibt“, meint Michael Dressel, Leiter der Wiener Sucht- und Drogenkoordination. Mit der Liberalisierung des Strafrechts zu Jahresbeginn, wurde es erschwert, Menschen wegen Drogenhandels festzunehmen. Damit einhergehend wurde der Verkauf von Haschisch und Marihuana im öffentlichen Raum sichtbarer und von Teilen der Bevölkerung stärker als Problem wahrgenommen. Der Cannabishandel entlang der Linie U6 entwickelte sich zu einem medial breit diskutierten Thema. Die Politik reagierte und Anfang Juni trat eine Novelle des Suchtmittelgesetzes in Kraft, die den Drogenhandel im öffentlichen Raum als eigenen Tatbestand unter Strafe stellt. Es drohen nun bis zu zwei Jahre Haft.

Die Novelle ruft auch Kritiker_innen auf den Plan. „Die Sinnhaftigkeit der neuen Regelung ist fragwürdig“, bemängelt Nikolaus Tsekas, Leiter des Vereins Neustart Wien, der im Auftrag des Justizministeriums Bewährungshilfe für verurteilte Straftäter_ innen leistet. „Damit erreichen wir nur, dass die Polizei nicht zahnlos wirkt. Das Ziel, Menschen von straffälligen Handlungen abzuhalten, werden wir damit nicht erreichen“, erklärt er. Auch die Polizei beobachtet, dass Personen, die wegen Cannabishandels verurteilt wurden, nach der Entlassung oft wieder im Drogenhandel tätig sind.

WARUM ALSO DAS NEUE GESETZ? „Es haben sich vermehrt Bürgerinnen und Bürger an mich gewandt, die sich Sorgen machen bezüglich der Sicherheits- und Drogenproblematik entlang der U6 und die Gesetzesänderung hat den Menschen Sicherheit gegeben“, schildert Veronika Mickel, ÖVP-Bezirksvorsteherin des 8. Wiener Gemeindebezirks. Für die städtische Politik und die Bezirksvertretungen ist die Zufriedenheit der wahlberechtigten Bevölkerung entscheidend. Das Sicherheitsgefühl hat aber oft wenig mit der realen Bedrohungslage zu tun, sondern ist äußerst subjektiv. „Es gibt heute nachweislich weniger Kriminalität, trotzdem haben wir als Gesellschaft das Gefühl, in einer unglaublich gefährlichen Zeit zu leben“, erklärt Neustart-Leiter Tsekas.

Dabei wird das Problem oft erst durch mediale Panikmache als solches wahrgenommen. In der aktuellen Diskussion spielt auch Rassismus eine große Rolle. Zwar sind laut Michael Dressler von der Sucht- und Drogenkoordination mindestens die Hälfte der im Drogenhandel Tätigen Österreicher_ innen. Diese werden aber in der öffentlichen Debatte kaum wahrgenommen. Als störend empfunden wird die Anwesenheit von „fremden Männern“ in den U6-Stationen. Gerade aber die Dealer (der Straßenverkauf von Cannabis ist ein fast ausschließlich männliches Business), die aus Nigeria, Marokko, Algerien, Afghanistan oder Tschetschenien kommen, haben oft keine andere Erwerbsmöglichkeit, da sie vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. „Wenn ich keine Transferleistungen des Staates bekomme, aber auch nicht legal arbeiten darf, habe ich nur die Möglichkeit, mir auf andere Weise Geld zu beschaffen“, erklärt Tsekas. Den Leuten sei es dann lieber, leichte Drogen zu verkaufen, als bewaffnete Raubüberfälle zu begehen.

Michael Dressel dagegen zeigt sich überzeugt, dass gegen den öffentlichen Drogenhandel nur polizeiliche Maßnahmen helfen. Daher hat sich auch die Sucht- und Drogenkoordination für die aktuelle Gesetzesänderung stark gemacht. Der maßgebliche Input kam allerdings von der Exekutive selbst, erklärt Roman Hahslinger, Sprecher der Landespolizeidirektion Wien: „Unsere Anregung war es, den Drogenhandel strenger unter Strafe zu stellen.“ Denn wenn die gesetzlichen Bestimmungen schärfer seien, so Hahslinger, könne eine festgenommene Person in Untersuchungshaft überstellt werden und sei zumindest einmal eine gewisse Zeit lang weg vom Drogenhandel.

KAUFEN JA, VERKAUFEN NEIN. Die Menschen, die Haschisch oder Marihuana entlang der U6 kaufen, sind in der Regel „sozial integriert“, heißt es von Seiten der Sucht- und Drogenkoordination. „Das sind Leute, die kiffen wollen und sich schnell was kaufen“, meint Dressel. Dass die neue Rechtslage zu weniger Konsum führen wird, glaubt er nicht: „Es ist eine Frage von Angebot und Nachfrage. Wenn die Leute kiffen wollen, dann werden sie sich das irgendwo besorgen.“ Für Dressel ist wichtig, dass sich die Arbeit der Exekutive nicht gegen die Konsument_innen richtet. Die Kriminalisierung der Käufer_innen sei in den letzten zehn, fünfzehn Jahren zurückgegangen, erzählt er.

Dies ist ein Indiz dafür, dass der Konsum von Hanfprodukten in den letzten Jahren gesellschaftlich immer mehr toleriert, der Cannabisverkauf allerdings nach wie vor als Störung der öffentlichen Sicherheit empfunden wird. Die damit einhergehende Politik, die zwischen Duldung und Repression schwankt, geht auf Kosten der Dealer_innen. Doch wer auf der Straße Marihuana verkauft, tut das in kleinen Mengen und baut Cannabis nicht selbst an. Darüber hinaus sind die meisten Händler_innen mittellos und können sich oft nicht einmal die Miete leisten.

Während das neue Suchtmittelgesetz das Ziel verfolgt, Cannabishändler_innen zwischenzeitlich aus dem Verkehr zu ziehen, würde es wohl eine nachhaltigere Wirkung zeigen, wenn man legale Erwerbsmöglichkeiten zulässt. Zielführender wäre daher eine Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber_innen, aber auch für „Geduldete“, also Menschen mit negativem Asylbescheid, deren Abschiebung aber legal nicht durchführbar wäre. Nikolaus Tsekas sieht die aktuelle Debatte als guten Anlass, um auch in Österreich Modelle anderer Staaten zu diskutieren, in denen Cannabis in den letzten Jahren erfolgreich legalisiert wurde. Denn der Handel und Konsum von Hanfprodukten findet mit oder ohne strengere Gesetze statt.

Die Novelle des Suchtmittelgesetzes wirkt wie eine Kompromisslösung zwischen konservativen und links-liberalen Kräften: Die einen wollen, dass Drogen und Armut im öffentlichen Raum nicht sichtbar sind, die anderen wollen, dass Cannabiskonsument_ innen unbehelligt bleiben. Abgewälzt wird der Konflikt auf die, denen nichts anderes übrig bleibt, als Haschisch und Marihuana zu verkaufen. Denn wer nicht wählen darf, für den wird auch keine Politik gemacht.

Katharina Gruber hat Politikwissenschaft in Wien studiert und ist in der politischen Bildungsarbeit und im Journalismus tätig.

AutorInnen: Katharina Gruber