Oktober 2014

Listen to Leena – White Elephants

  • 28.10.2014, 02:07

Zwei Mal hingehört.

Zwei Mal hingehört

Kati: Weiße Elefanten gibt´s ja bekanntlich nicht. Und falls doch, dann nur als vage Erinnerung. Mit diesen Worten – „I am a vague memory“ – beginnt das Debütalbum der fünf jungen Musiker*innen. Sängerin Lucia gibt den weißen Elefanten – mit dem wesentlichen Unterschied, dass am Ende ein klarer Eindruck statt bloß vager Erinnerung bleibt: ruhiges, jazziges Singer-Songwriting mit gelegentlichem Popeinschlag. Meist wird auf Deutsch, manchmal auf Englisch, Gedankenfetzen aneinanderreihend vor sich hin assoziiert. Über allem die klare Stimme der Frontfrau. In den experimentellen Momenten erinnert das an den guten Willi Landl, in den feministischen an Mika Vember. Listen to Leena schreibt aber durchaus seinen eigenen Beitrag zur österreichischen Musikgeschichte. Hörens- und sehenswert. Zweiteres ist bei einem der Konzerte der aktuellen Tour möglich.

Katja: Achtung, Jazz! Die österreichische Formation mit dem interessanten Namen Listen to Leena hat ein Debutalbum aufgenommen und zeigt uns, dass Jazz nicht unbedingt ein angestaubtes Altherren-Genre sein muss. Frontfrau Lucia Leena, ihre vier Begleiter und ihre Musik sind mal fragil-lyrisch und mal kraftvoll-instrumental, manchmal auch beides in einem Stück. Die Songs sind zu fast gleichen Teilen auf Deutsch und auf Englisch. Modernes Singing-Songwriting trifft auf technische Raffinesse der Musiker und –in, die so alteingesessene Instrumente wie das Flügelhorn oder die Posaune spielen, aber auch Melodica, Toy Piano und Klingelings verwenden.

Katja Krüger und Kati Hellwagner studieren Gender Studies und Politikwissenschaften an der Uni Wien.

Alt-J This is all yours

  • 28.10.2014, 02:01

Zwei Mal hingehört

Zwei Mal hingehört

Kati: Stilistisch und thematisch schließen die drei Briten von . „This Is All Yours“ nahtlos an ihren Erstling an – Intros und Interludes, Kombination aus Gitarren, Synthies und schwarzem Chorbubenhumor. Mit „Love is the warmest colour“ (in „Nara“) oder einer Begehrenserklärung klärung der brachialen Art („Every Other Freckle“) zwischenmenschelt es auch hier. Vielleicht nicht unbedingt innovativ – aber ein verdammt guter Herbst-Soundtrack: als Begleitung auf Spaziergängen durch sonnenbeschienenes, leicht vermodertes Herbstlaub oder im Duett mit Regentropfen, die gegen die Straßenbahnscheiben schlagen. Ein Album, das abwechselnd Melancholie und Glückseligkeit produziert und schließlich wie ein heißer Kakao mit viel Rum wirkt. Und für Leute, die das Herbstgedöns nicht mehr hören können: „Left Hand Free“ sage ich eine Zukunft in der Sommerhandywerbung voraus.

Katja: Die schwierige zweite Platte: Viele Bands sind schon an dieser Aufgabe gescheitert. Je erfolgreicher das Debüt, desto tiefer kann der Fall des Nachfolgers werden. alt-J stellten sich dieser Herausforderung und verloren zwischendurch zwar einen Drummer aus dem Bandgefüge, hatten sich aber gut genug im Griff, um nach der Welttour zu „An Awesome Wave“ bald genug neue Songs zu schreiben. Auf „This is All Yours“ kann man sich nun davon überzeigen, dass alt-J gekommen sind, um zu bleiben. Wer sich nach einer Tastenkombination auf dem Mac benennt, handelt sich schnell einen Ruf als One-Hit-Hipster-Wonder ein, doch sind Fans und KritikerInnen längst davon überzeugt, dass in den Engländern Talent steckt. Ein wenig gebrochen und experimentell können die Tracks sein, aber auch straighte Nummern sind dabei. Hier ein einminütiges Panflötenstück, da ein Miley-Cyrus-Sample. Es empfiehlt sich, weniger mit dem Kopf und eher mit dem Herzen hinzuhören.

Identitätskannibalismus in Nuova Esperanza

  • 28.10.2014, 01:55

Eine Theater-Rezension

Eine Theater-Rezension

Mittelmeer. Ein Schiff der Grenzschutzbehörde Frontex rammt ein Flüchtlingsboot und bringt es zum Kentern. Die einzigen Überlebenden: Die eitle Fernsehjournalistin Swantje van Eycken, Flo Hagenbeck, eine Berliner Performance-Künstlerin, Le Boeuf, ein apologetischer Frontex-Offizier, und ein stummer afrikanischer Flüchtling. Sie landen auf einer unbewohnten Insel, auf der es nichts zu essen gibt. Bald stellt sich die Frage: Wer wird (zuerst) verkocht?

„Eine mediterrane Groteske“ ist Richard Schuberths Lese-Drama „Frontex – Keiner kommt hier lebend rein“ und treffender könnte die Bezeichnung weder für sein Buch, noch für die realen Ereignisse, auf die es sich bezieht, sein. Das Stück über die absurde Flüchtlingspolitik Europas und die konformistische Kraft schlechten Humors entstand schon 2011 – lange vor der bislang größten Flüchtlingstragödie vor der italienischen Insel Lampedusa im Oktober 2013. Zum Erscheinungsdatum diesen Herbst hat „Frontex“ nichts an Aktualität eingebüßt. Ganz im Gegenteil, Schuberth kann eine traurig-prophetische Vorwegnahme der Ereignisse diagnostiziert werden: Literatur, die ihrer Zeit voraus ist.

In „Frontex“ kommt jedenfalls niemand gut weg, und das ist auch richtig so: Weder die eitlen Journalist*innen, die sich aus Karrieregeilheit in Gefahr bringen, noch die abgehobenen Künstler*innen, die es wissen, aus Tragödien ästhetischen und materiellen Profit zu ziehen – ein Hauch von Selbstkritik, Herr Schuberth? Am schlimmsten geht Schuberth mit der europäischen Politik und ihrer Öffentlichkeit ins Gericht: Die unfassbar zynischen Auftritte vom Frontex-PR-Sprecher und Stand-Up-Comedian Dennis Quartermain und „Mama Merkel“ lassen Ekelgänsehaut aufkommen.

In einer anarchokapitalistischen Welt geht es radikal um Verwertung und Verwertbarkeit, versinnbildlicht etwa im letzten Tabu Kannibalismus, einer absurden „Asyl-Casting-Show“ und einem vollklimatisierten Dienstleistungs-Flüchtlingslager komplett Reintegrations-, Sinn- und Berufsfindungscoachings – genannt „Nuova Esperanza“. Das alles illustriert Schuberth mit bizarrsten Wendungen, kühnsten Überspitzungen und paralysierender Direktheit. Ob das Lachen dem Publikum bei Schuberths ätzendem

Fernseh-Humor punktuell im Halse stecken bleibt? „Frontex“ ist jedenfalls ein atemberaubendes, gleißend bebildertes Drunter und Drüber und somit eher ein durchgehendes Röcheln. Das Drama kann also durchaus mit der stürmischen See verglichen werden, auf der es spielt: mitreißend, aber auf eine bedrohliche Art und Weise.

 

Richard Schuberth liest aus „Frontex“ am 20. November um 20 Uhr mit musikalischer Begleitung Jelena Popržans im ehemaligen Ost Klub.

 

Olja Alvir studiert Germanistik und Physik an der Universität Wien.

 

 

 

Macondo – eine Fantasie, ein Dorf, ein Film

  • 28.10.2014, 01:45

Eine Filmrezension.

Eine Filmrezension.

In der Literatur ist Macondo ein fiktiver Ort, in Wien ist Macondo Realität. Im Bezirk Simmering liegt das Flüchtlingsdorf, in dem seit Mitte der 50er Jahre über 3.000 Flüchtlinge aus über 20 Ländern zusammenleben. Seinen poetischen Zweitnamen hat die Kaserne Zinnersdorf von chilenischen Flüchtlingen erhalten, Vorbild war ein fiktives Dorf in Gabriel García Márquez’ Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“. „Macondo“ heißt auch der Spielfilm von Sudabeh Mortezai, der bei der diesjährigen Viennale seine Österreich-Premiere feiert. Macondo ist ein Fußballplatz hinter einer Wellblechwand, ein Sofa im Wald und eine Busstation im Nirgendwo. Macondo ist Brachland und eine Wohnanlage mitten im Industriegebiet. Macondo ist ein Kinderspielplatz, ein Einkaufszentrum und ein Baggerpark. Vor allem aber ist Macondo das Zuhause des elfjährigen Tschetschenen Ramasan (Ramasan Minkailov), der mit seiner Mutter (Kheda Gazieva) und seinen beiden Schwestern in der Flüchtlingssiedlung lebt. Seit dem Tod des Vaters spielt Ramasan den „Mann im Haus“. Als eines Tages Isa (Aslan Elbiev) – ein Kriegskamerad des Vaters – auftaucht, gerät Ramasans Welt aus den Fugen und das idealisierte Bild des Vaters zerbricht.

Fast protokollierend erzählt die Regisseurin vom Leben des Elfjährigen. Keine Sekunde weicht der Film von seiner Seite, was die große Stärke dieser Geschichte ist. Die Behördengänge, die Gespräche mit dem Sozialarbeiter, der Deutschkurs der Mutter: Bei allem steht Ramasans Erleben im Mittelpunkt.

„Macondo“ wurde ausschließlich mit Laien gedreht; Profi-Schauspieler_innen hätten es auch nicht besser machen können. Der Film lebt vom eindrücklichen Spiel Minkailovs und der beobachtenden Kameraführung Klemens Hufnagls. Sudabeh Mortezai, die bisher Dokus gedreht hat und mit „Bazar der Geschlechter“ bekannt wurde, ist ein einfühlsames und beeindru ckendes Spielfilmdebüt gelungen. Jetzt ist „Macondo“ also nicht nur ein fiktiver Ort und ein reales Flüchtlingsdorf in Wien, sondern auch ein toller Film.

 

Sara Schausberger hat Germanistik studiert und arbeitet als Kulturjournalistin in Wien.

Holzfällen – jetzt auch für Mädchen!

  • 28.10.2014, 01:35

Lumberjanes. Eine Comic-Rezension.

Lumberjanes. Eine Comic-Rezension.

Den Herbstbeginn haben Leseratten lang erwartet: Endlich wieder Tee trinken und Geschichten über die Sommerabenteuer anderer Leute lesen! Im Falle von „Lumberjanes“ spielen sich diese rund um ein Pfadfinderinnenlager ab. Der Comic, geschrieben von Grace Ellis und Noelle Stevenson und gezeichnet von Brooke Ellen, hat bereits sechs Teile und erscheint monatlich.

Die fünf Freundinnen Mal, Jo, Molly, Ripley und April erleben in „Lumberjanes“ eine atemberaubende Episode nach der anderen. Das Camp verlangt ihnen tagsüber Einiges ab, Nachtwanderungen planen sie selbst. Die dreiäugigen, gruseligen Flug-, See- und Landmonster, denen sie bei ihren Trips begegnen, spielen allerdings nur eine Nebenrolle in der Welt der Mädchenpartie. Ein genauer Blick auf die Namen verrät Einiges: Ripley ist eindeutig eine Hommage an Ellen Ripley aus „Alien“ und April sieht April O’Neil aus den „Teenage Mutant Ninja Turtles“ sogar etwas ähnlich. Bunt zusammengewürfelt sind die Looks der jungen Frauen – Sidecuts, Hotpants, Flanellhemden, alles geht! Garantiert Spaß gibt es, wenn sie mit Autoritäten wie der Campaufseherin Jen darüber verhandeln müssen, ob nach einem Regelverstoß die Eltern angerufen werden oder nicht. Diese Strafe wäre nämlich – im Gegensatz zur Begegnung mit den Seemonstern – der absolute Horror.

Der Zusammenhalt zwischen den Mädchen sowie die individuellen Einstellungen zu Autoritäten und Regeln machen jede Seite spannend und lassen die Sympathien des Publikums immer wieder zwischen den Charakteren wechseln. Außerdem wird die Coming- of-Age-Geschichte mit sehr viel Wortwitz und Situationshumor erzählt: An einem Tag bekommt man ein Abzeichen für Aufmüpfigkeit, am anderen ertrinkt man fast in einem Fluss; zur Kampfausrüstung zählen Haargummigeschosse und Netze aus Freundschaftsbändern. So etwas hätte es bei „Indiana Jones“ oder im „Jurassic Park“ nicht gegeben! Aber zum Glück haben wir jetzt „Lumberjanes“. Ideal auch als Geschenk – etwa für heranwachsende Familienmitglieder, die statt zu den Lumberjanes nur jedes Jahr ins vergleichsweise langweilige Ferienlager geschickt werden.

 

Katja Krüger studiert Gender Studies an der Universität Wien.

www.comixology.eu/Lumberjanes/comics-series/16309

Spielen studieren

  • 27.10.2014, 17:51

Einige Hochschulen bieten Studiengänge an, in denen man lernt, selbst Videospiele zu gestalten: auf dem Weg zum akademisch akkreditierten Game Design

Einige Hochschulen bieten Studiengänge an, in denen man lernt, selbst Videospiele zu gestalten: auf dem Weg zum akademisch akkreditierten Game Design

Wer über die Grenzen des Kosumierens von Spielen hinauswachsen und aus der Leidenschaft eine Profession machen möchte, muss nicht Informatik studieren oder ins Ausland gehen, um eine Ausbildung im Kreativbereich Game Design zu absolvieren. Mittlerweile hat sich die Spieleentwicklung als anerkannte Studienrichtung an vielen deutschsprachigen Hochschulen etabliert. Aber welcher Studiengang ist für die individuellen Interessen und Fähigkeiten der Studieninteressierten der richtige? Tatsächlich ist das Angebot in Österreich, Deutschland und der Schweiz in seinen Schwerpunkten und Vertiefungsmöglichkeiten sehr unterschiedlich.

Zwischen Technik und Design. Die FH Salzburg bietet seit 2008 die Bachelor- und Master-Studiengänge „MultiMediaArt“ (ein eher künstlerisches Mediendesign-Studium) und „MultiMediaTechnology“ (ein eher technisches Medieninformatik-Studium) an. Im Studiengang MultiMediaArt gibt es die Möglichkeit, im zweiten Jahr eine Vertiefung in Computeranimation zu wählen, außerdem gibt es beispielsweise Game Design und Motion Graphics als Wahlfächer. Im programmierlastigen Studiengang MultiMediaTechnology kann man sich ebenfalls im zweiten Jahr für eine Spezialisierung entscheiden, hier ist es Game Development. Martin Ortner aus der PR-Abteilung hierzu: „Wir bieten im MultiMediaTechnology-Studium eine fundierte technische Ausbildung für zukunftsträchtige Themen wie digitale Unterhaltung und Games, Augmented Reality oder Web & Social Media. Unter dem Motto ‚Creative Media Engineering‘ entwickeln unsere Studierenden Projekte an der Schnittstelle von Mensch, Medien und Technik. Das Besondere ist die enge Zusammenarbeit mit dem gestalterischen Studiengang MultiMediaArt an der FH Salzburg. Unsere Studierenden entwickeln im Team mit den DesignerInnen der zweiten Studienrichtung Websites, Apps, Games und Installationen.“

Inhaltlich sind die beiden Salzburger Studiengänge sowohl was Theorie als auch was Praxis angeht sehr vielfältig: Behandelt werden beispielsweise wirtschaftliche und rechtliche Aspekte von Games, Modellierung, Game-Architekturen, Erzählweisen, Game Engines und Grafikbibliotheken.

Seminararbeit Smartphone-Spiel. Für diejenigen, die ihre Zukunft als Game Developerin oder Game-Developer eher nicht in der Programmierung sehen, legt zum Beispiel der Studiengang „Game Design“ an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin den Fokus auf den gestalterischen Ansatz der Spieleentwicklung. Die Studierenden bekommen die Chance, mit neuester Technik wie Motion Capturing, Eye-Tracking und 3D-Scannern in Berührung zu kommen und ab dem ersten Semester an Spieleprojekten zu arbeiten. Student Sven Gorholt erzählt: „Wir arbeiten viel und intensiv in Teams und produzieren vom ersten Semester an digitale Spiele. Dabei ist der intensive Austausch und die gemeinsame Reflexion zentral. Jede und jeder gestaltet mit – unabhängig von der Fachrichtung.“ Thomas Bremer, Dozent und Gründer des Studiengangs „Game Design“ an der HTW Berlin, beschreibt das Studium wie folgt: „Es ist in erster Linie ein Design-Studium. Bei uns erleben und erlernen Studierende, wie man in der Entwicklung gezielt die richtigen Fragen stellt, wie man im Team arbeitet, wie man wichtige Design-Entscheidungen fällt und wie man passende Methoden auswählt, sich aneignet oder entwickelt, um das angestrebte Game Design umzusetzen. Insgesamt entwickeln Studierende drei bis vier spielbare Games im Laufe des Studiums.“

Im Zentrum des Studiums steht jedenfalls die Gestaltung, und damit ist keineswegs nur die visuelle Dimension von Spielen gemeint. Auch Spielsysteme und -mechaniken und Bewegungsabläufe sind beispielsweise Gegenstände des Gestaltungsprozesses. „Als staatliche Fachhochschule existieren bei uns zudem keine monatlichen Studiengebühren – stattdessen führen wir jährlich einen talentorientierten Eignungstest durch, bei welchem wir nach Potentialen der vielen Bewerberinnen und Bewerber suchen. Unser Studiengang ist zudem Vorreiter einer bald eintretenden Trendwende: Knapp 50 Prozent unserer Studierenden sind Frauen, und das ganz ohne Quote“, erklärt Thomas Bremer.

Helen French, Game-Design-Studentin an der HTW Berlin, bestätigt: „Die Spielewelt ist stark von Spielen geprägt, die an Männer adressiert sind. Deswegen ist es in meinen Augen wichtig, dass mehr Frauen in die Industrie gehen, um auch für Game rinnen mehr gute Spiele zu schaffen.“

Privat, öffentlich, Bachleor, Master? Neben der FH Salzburg und der HTW Berlin bieten private Hochschulen wie die Games Academy oder die Mediadesign Hochschule (MD.H) auch kosten pflichtige Game-Design-Studiengänge an. Wer schon einen Bachelorabschluss in einem Studienfach einer technischen Fachhochschule oder Universität erlangt hat, kann außerdem an der Fachhochschule Technikum Wien das Masterstudium „Game Engineering und Simulation“ belegen. In vier Semestern wird den Studierenden dort das nötige Know-how für die Spieleentwicklung in Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Multiplayer-Netzwerke und Game Business vermittelt. Das Angebot an Game-Design-Studiengängen ist jedenfalls groß und ob nun technisch oder gestalterisch orientiert: Alle Studierenden haben die Möglichkeit, das Hobby zum Beruf zu machen.

 

Marina Wachowski ist Game-Design-Studentin an der HTW Berlin und arbeitet als Games-Journalistin bei IGN Deutschland.

FH Salzburg: www.fh-salzburg.ac.at/disziplinen/medien-design-kunst

Game Design, HTW Berlin: http://gd-bachelor.htwberlin.de/informieren/informationsveranstaltungen

Game Engineering, Technikum Wien: www.technikum-wien.at/studium/master/game_engineering_und_simulation

Mehr Informationen über alle Studienrichtungen: studienplattform.at

 

Magie und Misogynie

  • 27.10.2014, 16:48

Der Sexismus in und um Games eskaliert auf unterschiedlichen Ebenen und ist dabei erstaunlich facettenreich. Was stereotype Rollen und organisierte Hasskampagnen miteinander zu tun haben.

Der Sexismus in und um Games eskaliert auf unterschiedlichen Ebenen und ist dabei erstaunlich facettenreich. Was stereotype Rollen und organisierte Hasskampagnen miteinander zu tun haben.

Weibliche Spielfiguren haben keine Rüstung, sondern Brüste. Sie haben keine Missionen, sondern Nöte. Sie haben keine Haupt-, sondern die Opferrolle. Sie erleben keine Abenteuer, sondern warten in Kerkern, Eisblöcken oder an Bahnschienen gekettet auf den Prinzen. Sie haben keine Laserschwerter oder Äxte, sondern Heiltränke oder Glaskugeln. Sie sind jemandes Frau, Tochter, Geliebte, Studentin oder Assistentin – nie eigenständig, nie selbst jemand. Sie haben keine eigene Biographie, keine intrinsische Motivation. Sie sind die Wurst-am-Stock für irgendeine grotesk überzeichnete Masse Männlichkeit.Sie gestalten keine Welten, sie flankieren und dekorieren. Sie haben keine speziellen Fähigkeiten, keinen mehrschichtigen Charakter, aber oft Angst oder Nervenzusammenbrüche. Sie retten nicht den Tag, vielleicht aber deine Seele, Ehre oder Potenz. Sie lösen Kriege aus, gewinnen aber keine. Sie sind magisch, aber nicht mächtig. Sie werden effektvoll entführt, geschlagen, gefoltert, vergewaltigt, getötet – für das Intro und die Heldeneinführung. Sie sind jung, schön, verträumt, ergeben, hetero und weiß.Große Game-Publisher wie Ubisoft behaupten schlicht, sie seien zu aufwändig zu animieren.

Auch männliche Figuren sind meist nach einem stereotypen Schema F gestaltet: Hypermaskuline Machomuskelmänner stützen das Narrativ vom kompetenten Typ auf Abenteuersuche. Drei Viertel aller Spielfiguren sind männlich, darunter finden sich unterkomplexe Charakterstudien wie der einsame Wolf, Held, Ritter, kleiner Junge auf Weltreise, der weiße Befreier oder Herrscher. Mindestens aber etwas in Richtung „generisches Arschloch in Uniform“. Gewalt ist Interaktions- und Kommunikationsmittel Nummer eins in Videospielen. Sie wird als „naturgegebener männlicher Anteil“ stilisiert, der Wagemut, Macht und Kompetenz untermauert. Misogyne Gewalt dient in den unterschiedlichsten Schattierungen vor allem der Storyline und sexualisierte Gewalt wird als erotisch dargestellt. Einvernehmlicher Sex auf der anderen Seite im europäischen und amerikanischen Raum weithin tabuisiert. Japan nimmt hier mit einem breiten Sortiment an pornographischen und Hentai-Spielen eine Sonderstellung ein. 2009 rügten die UN nach einem Medienaufruhr Japan für den Vertrieb von Vergewaltigungs-Simulatoren.

Ebenso wie „Killerspiele“ nicht unmittelbar Terrorist_innen hervorbringen, führt ein Spiel mit Frauen in Bikinis nicht automatisch zu mehr Übergriffen oder häuslicher Gewalt. Frauen als gesichtslose, durch Männer konsumierbare Objekte darzustellen, normalisiert jedoch Diskriminierung und Gewalt. Ganz sicher trägt die Objektifizierung jedenfalls nicht dazu, Frauen als gleichwertige Menschen zu betrachten oder grundsätzlich zu respektieren.

Kein Ort, nirgends. Weil auch Frauen Spaß daran haben, nach Feierabend zu metzeln, sieht eine Armee selbsternannter „Gamer“ sich in ihrem Territorium bedroht. Spielerinnen werden oft entweder als Anhängsel betrachtet oder direkt beschimpft. Auf fatuglyorslutty.com wurden Nachrichten gesammelt, die Spielerinnen in Spielen, auf Game-Plattformen und in Communitys erhalten. Sie werden darin als fett, hässlich oder nuttig bezeichnet, vielleicht auch unvermittelt zum Blasen aufgefordert – während sie eigentlich gerade einfach nur eine Quest bestehen wollten. „Tits or gtfo“ (get the fuck out) ist dabei der Evergreen unter den liebevollen Begrüßungsfloskeln. Auch das „Fake Geek Girl“-Mem ist von der Angst geprägt, die kleinere Schüssel Nachtisch zu erwischen und maßt sich an, Frauen mit Interesse an Nerddomänen pauschal sämtliche Expertise abzusprechen und ihnen Aufmerksamkeitsheischerei zu unterstellen.

Professionelle Spielerinnen müssen sich bei Turnieren härter bewerten und anfeinden lassen. Bei einer Promotion-Show für das Prügelspiel "Street Fighter X Tekken" fasste der Spieler und Teamleiter Aris Bakhtanians die Einstellung vieler zusammen: “This is a community that’s, you know, 15 or 20-years-old and the sexual harassment is part of a culture and if you remove that from the fighting game community, it’s not the fighting game community.” Ein „Hearthstone“-Turnier hat kürzlich ausschließlich männliche Teilnehmer zugelassen, mit der Begründung, eSport solle als klassischer Sport anerkannt werden. Dort werde schließlich auch die Trennung in „männlich“ und „weiblich“ vorgenommen.

Unternehmen schalten Stellenanzeigen für Entwicklerinnen, da sie „überzeugt sind, Frauen sind großartige Programmier (sic!). Frauen schreiben sexy Code: Ordentlich und sauber“, oder suchen ein „IT-Girl (Fachinformatikerin Anwendungsentwicklung)“. Der Ruf nach mehr „weiblichen Fachkräften“ verhallt in der Ignoranz eines männlich dominierten Wirtschaftszweiges, in dem Ungleichbehandlung, Sexismen und Übergriffe am Arbeitsplatz geduldet sind. In der Spieleindustrie liegt der Frauenanteil bei 22 Prozent, Entwicklerinnen verdienen rund ein Viertel weniger als ihre Kollegen. Auf die Frage eines Kickstarter-Mitarbeiters hin, wieso es so wenig Spieleentwicklerinnen gäbe, sammelten 2012 tausende Frauen unter dem Hashtag #1reasonwhy erschreckende Eindrücke aus ihrem Arbeitsalltag in der Branche.

Auch auf Fachkonferenzen kommt es immer wieder zu Übergriffen, sexistischen Pointen in Vorträgen oder Belästigung. Das Geekfeminism-Wiki sammelt solche Vorfälle, die bis 1963 zurückgehen. Auf Messen im IT und Gaming-Bereich animieren „Boothbabes“, also Hostessen in Bikini oder knappen Kostümen eine Zielgruppe, die als „männlich und hetero“ festgeschrieben wird - unabhängig davon, wie divers sie längt ist. Solche Boothbabes sind nach Merkmalen wie Unterarmlänge, Oberschenkelumfang und selbstverständlich Körbchengröße aus einem Katalog wählbar. Das YouTube-Format „NosTeraFuTV“ der Game-Website Giga filmte so auch auf der Gamescom 2013 die Belästigung von Cosplayerinnen, Besucherinnen und Hostessen - zur Unterhaltung. In dieser feindlichen Atmosphäre sind Frauen nicht nur unterrepräsentiert, sondern wechseln auch wesentlich häufiger das Berufsfeld – laut einer Studie des National Center for Women & Information verlassen in den USA 56 Prozent der Frauen in ihren ersten zehn Berufsjahren den IT-Bereich für immer, obwohl 74 Prozent angeben, ihre Arbeit zu lieben.

Kübelweise Hass. Kontinuierlich und gezielt werden Entwicklerinnen, Journalistinnen und Spielerinnen angegriffen. Im August eskalierten die Hass-Postings unter dem Schlagwort „Gamer Gate“, zunächst waren sie gegen die Indie-Entwicklerin Zoë Quinn gerichtet. Bereits 2013 wurde sie zur Zielscheibe hasserfüllter Angreifer, weil ihre interaktive Geschichte „Depression Quest“ Aufmerksamkeit erhielt. Losgetreten wurde der neue Shitstorm durch den Blogpost eines Expartners. Quinns intime Beziehungen wurden an die Öffentlichkeit gezerrt. Als angebliche Intervention gegen Korruption im Gamejournalismus entstand eine Verschwörungstheorie, die unter anderem die Journalistinnen Mattie Brice und Jenn Frank dazu brachte, nicht länger über Spiele zu schreiben. Auch Anita Sarkeesian ist seit der Ankündigung ihrer Video-Reihe „Tropes vs. Women“ kontinuierlich Attacken ausgesetzt. Seit Jahren setzt sie sich in ihren Videos mit Sexismus und Popkultur auseinander, aber die Ankündigung, sich speziell mit Videospielen befassen zu wollen, ließ misogyne Online-Angriffe auf sie eskalieren, das so entstandene Spiel „Beat Up Anita Sarkeesian“ ist dabei nur eine von zahlreichen krassen Ausformungen. All diesen Frauen wird mit Gewalt, Folter, Vergewaltigung und Mord gedroht und private Informationen über sie werden veröffentlicht. Immer wieder müssen sie umziehen, Telefonnummern und E-Mail-Adressen ändern. Das sind keine Einzelfälle und auch nicht bloß Ausfälle armer, einsamer Trolle. Es sind massive und organisierte Angriffe auf einflussreiche Frauen – mit dem Ziel, sie zu verdrängen, unsichtbar zu machen und ihre Stimmen zu ersticken. Die Dokumentation „GTFO“ widmet sich eindringlich 75 Minuten lang der ganzen Bandbreite des Harassment und und lässt Betroffene zu Wort kommen.

Schleifchen statt Substanz. Dennoch existiert eine zunehmend sichtbare Szene, die Diversity, die Wahl unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten und die kritische Thematisierung von Diskriminierung zulässt und Geschichten erzählt, die mit den Normen der Videospielwelt brechen. Mattie Brices „Mainichi“ etwa erzählt von der Realität einer Trans*-Frau, das millionenfach verkaufte „Gone Home“ die Geschichte eines Teenager-Mädchens. Der „Consensual Torture Simulator“ setzt sich mit Konsens und Gewalt in Videospielen auseinander - in Spielform. Der großartige „Complete guide to gender design in games - Press X to make sandwich“ von Anjin Anhut liefert eine Anleitung für ein mehrschichtiges, sensibles Spieldesign ohne Sexismen. Gerade die Indie-Game-Szene zeigt auf, welche Möglichkeiten in diesem Medium stecken, das sich in den letzten 20 Jahren technisch immens, aber inhaltlich kaum weiterentwickelt hat.

Dieser Stillstand ist auch einem Marketing geschuldet, das seit den 1980er und -90er Jahren aggressiv auf eine junge, weiße, heterosexuelle, männliche Zielgruppe setzt, obwohl Studien seit Jahren zeigen, dass in allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen gespielt wird. Gerade Frauen verhelfen Spielen wie "Die Sims" zu ihren Erfolgen. Sogenannte „Casual Games“, wie „Angry Birds“ oder „Candy Crush“, die besonders bei einer weiblichen Zielgruppe gut ankommen, gelten automatisch als unechte, illegitime Videospiele.

Die Spiele „Mirror’s Edge“ oder „Remember Me“ stellen Women of Color in den Mittelpunkt. Im Sinne der Verwertungslogik hätten sie keine Daseinsberechtigung. Dass die Ursache für die Verkaufsergebnisse aber auch in festgefahrenen Marketingstrategien liegen könnte, wird ignoriert. Dass die Spielevermarktung auf eine junge, weiße, heterosexuelle, männliche Zielgruppe setzt, ist zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung geworden.

Das Medium Videospiel, die Industrie und ihre Anhänger spiegeln nicht nur einen gesellschaftlich verankerten Frauenhass und Sexismus wider, sie sind daran beteiligt, diesen fortzuschreiben. Frauen werden auf allen Ebenen bekämpft und kleingehalten. Als Charakter, Zielgruppe, Mitarbeiterin, Entwicklerin, Designerin, Gründerin, Kritikerin, Journalistin - und Spielerin.
 

Anne Pohl macht was mit Kommunikation, ist Gründerin von feminismus101.de und schreibt manchmal bei herzteile.org über digitale Spielkultur.

No girls allowed“ – über Gendermarketing

GTFO“ – Dokumentation über Harassment: www.gtfothemovie.com

„Gaming in Colour“ – Dokumentation über die queere gaming community: gamingincolor.vhx.tv

Press X to make Sandwich“ – A complete guide to gender design in games: http://howtonotsuckatgamedesign.com/2014/05/press-x-make-sandwich-complete-guide-gender-design-games/

Offene neue Welt

  • 27.10.2014, 16:31

Der Bildschirm, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2014. Dies sind die Abenteuer der Videospiele, die seit einem halben Jahrhundert unterwegs sind und immer mehr Menschen erreichen.

Der Bildschirm, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2014. Dies sind die Abenteuer der Videospiele, die seit einem halben Jahrhundert unterwegs sind und immer mehr Menschen erreichen.

Wer ein Buch liest, beginnt meist vorne und liest es dann (nicht immer) bis zum Ende durch. Bei Kinofilmen sitzen wir ebenfalls eine Weile vor dem Bildschirm, auch wenn schon lange keine Rolle mehr die Bilder durch einen Projektor rattern lässt. Anfang, Hauptteil, Ende. Die meisten unserer Unterhaltungsmedien funktionieren linear, erzählen dabei eine Geschichte und verlangen unsere Aufmerksamkeit, bis alles vorbei ist. Videospiele sind anders. Das liegt weniger am Video-Teil als am Spiele-Teil. Das liegt weniger am Video-Teil als am Spiele-Teil und fängt schon bei der Definition an.

Wann ist ein Spiel ein Spiel? Was braucht ein Spiel? Regeln? Eine Geschichte? Spielzeug? Mitspieler_ innen? Ziele? Spaß? Die englischsprachige Wikipedia unterscheidet zwischen „play“, dem Spiel, das man um seiner selbst Willen und zum Spaß betreibt, und „games“, strukturierten Spielen mit Regeln, Herausforderungen, Zielen und Interaktion. Auch Games werden meist zum Spaß und in Abgrenzung zur Arbeit gespielt – außer von professionellen Spieler_innen. Einen Tennisball einfach so gegen die Wand zu werfen, sei kein Spiel, es fehle ein_e Gegner_in. Gäbe es eine Herausforderung oder ein oder ein Ziel, etwa den Tennisball möglichst oft wieder zu fangen oder ihn stets an die gleiche Stelle zu werfen, wäre es dann doch wieder ein Spiel.

Die meisten Spiele erfordern mehrere Personen: ob Brettspiele, Rollenspiele oder Sportspiele. So überrascht es wenig, dass bereits die ersten Videospiele in den 50er Jahren für zwei Spieler_innen gemacht waren, oft umgesetzt wurde etwa Schach. Allerdings blieb die Popularität dieser Spiele auf akademische Kreise begrenzt. Die schrankhohen Computer waren teuer und hätten bei den Wenigsten ins Wohnzimmer gepasst. Mit dem Siegeszug der Spielautomaten in den 70ern wurden Videospiele massentauglich und es kam zum „einsamen“ Spielen, Mensch vs. Maschine. Wobei der Klassiker „Pong“ dann doch wieder zwei Spieler_innen erforderte. Außerdem standen die Automaten in Spielhallen, Kneipen oder Einkaufszentren. Erst in den 80ern zogen Videospiele ins Wohnzimmer ein. Dort ist das Videospiel seither fest verankert und ständig verfügbar, auch wenn sich die Hardware alle paar Jahre ändert. Und nun ist alles möglich: alleine virtuelle Welten durchqueren oder mit Freund_innen um die Wette düsen – wenn denn genügend Controller vorhanden sind, versteht sich. Mit dem Game Boy wurde dann noch die mobile Konsole im Handformat entwickelt, die zusammen mit Fotoapparaten heute weitgehend im Smartphone aufgegangen ist. Stundenlanges Jump’n’Run ist genauso drin wie ein kurzes Puzzlespiel während der Busfahrt – dank mobilem Internet auch zunehmend als Gemeinschaftsspiel.

Videospiele als Bedrohung. Trotz der gemeinschaftlichen Aspekte werden Videospiele erst allmählich gesellschaftlich angenommen. Heute ist rund die Hälfte der Spieler_innen weiblich, dennoch hält sich das Stereotyp des männlichen Teenagers ohne Freund_innen. Dass in den letzten 20 Jahren vereinzelt junge Männer, die an Schulen um sich schossen, zuvor viel Zeit mit Computerspielen verbracht hatten, wurde als Kausalität gedeutet. So verwundert es nicht, dass auch der wissenschaftliche Blick zunächst nur den (mutmaßlichen) negativen Konsequenzen von Videospielen galt – so wie vor hunderten Jahren angenommen wurde, dass Romane Lesesucht und weibliche Hysterie auslösen würden und sich das Fernsehen als Medium erst neulich vom pauschalisierten Verblödungsverdacht befreien konnte. Aber während im Feuilleton nun schon lange Filme und seit einiger Zeit auch Fernsehserien besprochen werden, ist das bei Games noch keine Selbstverständlichkeit. Besonders im deutschsprachigen Raum steckt der Spielejournalismus noch mitten in einer Debatte darüber, wie er über simple 8-von-10-Sternen-Bewertungen und Beschreibungen der Spielemechanik hinausgehen kann. Die Forschung hat sich der digitalen Spiele mittlerweile – zögerlich, aber doch – angenommen. So zeigen beispielsweise Analysen, dass sie erzähltechnisch etwas können, was kein anderes Medium kann: In dem Moment, wo ein Joystick oder eine Tastatur in die Hand genommen werden, fallen zum ersten Mal Leser_in, Erzähler_in und Protagonist_in einer Geschichte zusammen.

Das Spiel im Film. Oder andersrum? Spannend ist auch, welche Auswirkungen Videospiele auf „klassische“ Medien haben und welche neuen Formen der Intermedialität sie hervorgebracht haben. So gibt es zu jedem „Harry Potter“-Film (der ja selbst wiederum auf einen Roman zurückgeht) nun auch ein Spiel – allerdings mit überwiegend mittelmäßigen bis schlechten Bewertungen. Auf das Bedürfnis von Fans, noch mehr Zeit mit ihren Held_innen zu verbringen oder sogar selbst in ihre Rolle zu schlüpfen, wurde lange nur mit inhaltlich schludrigen Umsetzungen reagiert. Dafür war das Ergebnis dann auf jedem Rechner und jedem System spielbar. Tatsächlich ist es schwierig, Filmstimmungen einzufangen, bekannte Geschichten nicht einfach nur nachzuerzählen und zwischen Jump’n’Run, Egoshootern und Adventures das passende Spielgenre zu finden. Zahlreiche Spiele wurden auch im „Star Wars“-Universum angesiedelt. Dabei wurde eine Bandbreite an Genres bedient, vom Strategiespiel über Shooter bis zum Podrennen. Auch die Geschichten entfernten sich in den Spielen von den bekannten Figuren und entwickelten neue Charaktere. Am Ende dürfen Nicht-Spieler_innen bei eventuellen Fortsetzungen nichts verpassen.

Umgekehrt wurden und werden auch Computerspiele als Kinofilme umgesetzt oder von diesen aus konzipiert. Als erster vollständig computeranimierter Film mit realistischer statt comichafter Umsetzung erschien 2001 „Final Fantasy“, der sich von der inzwischen 14-teiligen Spieleserie allerdings deutlich entfernte. Auch in diesem Kontext wurden die neuen ästhetischen Möglichkeiten meist als Bedrohungen diskutiert. Die allgemeine Ablösung von Schauspieler_ innen durch computergenerierte Figuren schien sich anzukündigen. Für computeranimierte Filme werden aber immer noch „echte Menschen“ vermessen und digitalisiert, das Schreckensszenario ist also bis heute nicht eingetreten. Schauspieler_innen sind fast wichtiger als zuvor – sowohl als Sprecher_innen als auch Vermessungsvorlagen. So muss Vin Diesel gerade in „Guardians of the Galaxy“ als Baum Groot quasi nur „Ich bin Groot!“ sagen und das reicht zur Bezirzung der Zuschauer_innen. Auch zwischen Serien und Videospielen gibt es Verbindungen: Das stark filmische Zombiespiel „The Walking Dead“ erscheint beispielsweise in fünf Staffeln. Und die Science-Fiction-Serie „Defiance“ setzt seit zwei Staffeln auf die Verbindung von Spiel und TV-Serie, bleibt dabei allerdings Nischenprodukt, sowohl als Serie als auch als Game. So brauchte in der zweiten Staffel ein aus dem Fernsehen bekannter Charakter Unterstützung von Spieler_innen, um wieder in der Serie zu erscheinen. Die Einschätzungen bleiben dennoch bei „mittelmäßig“.

Dem Level entwachsen. Bei den meisten Spielen waren bisher stets Unterschiede zwischen den aufwändig generierten filmischen Sequenzen, die die Handlung erklären, und dem tatsächlichen Aussehen der spielbaren Teile zu erkennen. Bisher war auch eine Einteilung in Levels, die aus technischen Notwendigkeiten erwuchs, üblich. Neue Umgebungen, Texte und Aufgaben mussten ja vom Rechner oder der Konsole immer wieder neu geladen werden. Aufgrund der begrenzten Rechenstärke und Speicherkapazitäten blieben viele Spielwelten nur Oberflächen und Kulissen. Jedes Scheitern bedeutete einen Neuanfang. Das klingt einerseits verlockend. Andererseits kann der ständige Neustart auch zum frustrierenden Hamsterrad werden. Bestehen oder Scheitern waren also lange der gängige Spielmodus – jetzt in der linearen Handlung weitergehen oder eine Runde nachsitzen. Mittlerweile werden aber offene Spielwelten mit zahlreichen Verlaufsmöglichkeiten populär, die Kulissen weichen größeren, offenen Welten, die die Spieler_innen erkunden können.

So etwa in der Serie „Grand Theft Auto“ – einem aufgrund der sexistischen und rassistischen Anklänge eher unrühmlichen Beispiel. Im Gegensatz zum deutlich progressiveren „The Elder Scrolls V: Skyrim“: Beide Spiele ermöglichen es, eine virtuelle Welt abseits „künstlicher Grenzen“ zu erkunden und dennoch in der Handlung „voranzukommen“. „The Stanley Parable“ treibt das Ganze auf die Spitze: Jede Entscheidung hat eine Konsequenz, führt manchmal auf Umwegen zum Anfang zurück und schließlich an eines von zahlreichen möglichen Enden. Mit der Abkehr von Levels geben Videospiele ein Alleinstellungsmerkmal auf, das in seiner Linearität aber sehr traditionell war. Stattdessen schöpfen sie nun in offenen Welten langsam ihr wahres Potenzial aus.

Wie innovativ Spiele sind, wird dennoch in den einschlägigen Publikationen oft weiterhin an der technischen Umsetzung und neuen Fähigkeiten der Spielecharaktere, wie Schwimmen und Klettern, gemessen. Dabei kommen die interessantesten Spiele der letzten Zeit aus einer anderen Ecke: Seit einer Weile gibt es Programme, die allen die Möglichkeit bieten, eigene Geschichten aufzubereiten – von einfachen textbasierten Spielen bis hin zu grafisch aufwendigeren Umsetzungen. Damit wurden Spiele wie Mattie Brices „Mainichi“ über den Alltag als Transfrau und Zoë Quinns „Depression Quest“ geschaffen. Deirdra Kiai nutzte für ihre Stop-Motion-Musical-Detektivgeschichte in Schwarzweiß, „Dominique Pamplemousse“, vor allem analoges Material. Abseits jahrzehntelang recycelter Serien von Shootern und Strategiespielen werden in Zukunft die spannendsten Ideen wohl von jenen kommen, deren Geschichten wir in Spielen bisher noch nicht nachempfunden haben.

 

Helga Hansen ist Projektkoordinatorin im Gleichstellungsbüro der TU Braunschweig. Privat schreibt und spielt sie für herzteile.org.

 

Smartphoneschnitzeljagd

  • 27.10.2014, 16:08

Mit Alexander Pfeiffer, dem Leiter der angewandten Spieleforschung an der Donau Uni Krems, hat progress über Alt-Englisch, virtuelle Schnitzeljagden und Kriegswerbung in Videospielen gesprochen.

Mit Alexander Pfeiffer, dem Leiter der angewandten Spieleforschung an der Donau Uni Krems, hat progress über Altenglisch, virtuelle Schnitzeljagden und Kriegswerbung in Videospielen gesprochen.

progress: Nach welchem Spiel waren Sie als Jugendlicher süchtig?

Alexander Pfeiffer: Mit dem Begriff „Sucht“ muss ich als Gründer des Instituts zur Prävention von Onlinesucht aufpassen. Aber das erste Spiel, mit dem ich die eine oder andere Minute zu viel verbracht habe, war in den 90ern der „Bundesliga Manager Professional“, eine Fußballmanagersimulation. Gemeinsam mit einem guten Schulfreund habe ich oft ganze Nachmittage „durchgelernt“ und zwar Taktiktraining. Wir wussten nahezu alle Spieler aus den deutschen Bundesligen zu dieser Zeit auswendig. Als Kind war mein erstes Spiel mit acht Jahren „Ultima VI“, ein Rollenspiel, bei dem man Held und Vorbild wird, indem man Verdienste in verschiedenen Tugenden erwirbt. So hat „Ultima VI“ für ein Basisgefühl von Ethik gesorgt. Außerdem hat es dazu geführt, dass mein Altenglisch wirklich gut ist und dass ich meine erste Englischschularbeit statt auf Englisch auf Altenglisch geschrieben habe.

Wenn Spiele so viel Fachwissen vermitteln und SpielerInnen zu ExpertInnen ausbilden können – werden dann LehrerInnen und ProfessorInnen in Zukunft obsolet?

Nein. PädagogInnen sind absolut wichtig, um das Lernen zu leiten, um zu didaktisieren. „Ludwig“ ist ein Spiel, in dem man eine virtuelle Welt entdeckt, Experimente durchführt und auch noch lernt, wie man aus Wind Energie macht. Das Spiel funktioniert am besten, wenn es die Kids spielen und die LehrerInnen im Physiklabor dazu die Versuche zeigen. Wenn noch der oder die DeutschlehrerIn zusätzlich eine Nacherzählung über „Ludwig“ schreiben lässt, haben alle gewonnen.

Trotzdem zögern LehrerInnen und ProfessorInnen, Videospiele im Unterricht oder im Lernprozess zu verwenden. Warum?

Aus Unwissen, wegen der meist negativen Medien-Berichterstattung und letztendlich auch, weil es an Angeboten für LehrerInnen fehlt. Doch es wird langsam, aber sicher besser. Es gibt auch immer mehr Studienrichtungen, die „pro“ oder zumindest „fair“ gegenüber Spielen sind. Leider sind Videospiele in der didaktischen Grundausbildung von LehrerInnen und ProfessorInnen noch nicht ganz angekommen, obwohl es mittlerweile auch großartige Leute gibt, die auf spielendes Lernen in ihren Vorlesungen in der Grundausbildung aufmerksam machen.

Ab dem Kindergarten gibt es eine klare Trennung zwischen Spiel und Ernst. Da sind Schule und Uni kein Ort für Spaß. Was macht es so schwierig, Lernen und Spielen wieder zusammenzuführen?

Rund um die Jahrtausendwende waren „EduGames“ im Trend, selbst Nintendo ist hier aufgesprungen. Das Problem war jedoch immer der Medienbruch. Man spielte das Spiel, aber das Lernen und Evaluieren waren aus dem Kontext rausgerissen. Im besten Fall findet kein Lernbruch statt. Spiel und Lernen können dann eventuell sogar in eine perfekte Erzählung eingebunden werden und folgender Formel von Michael Wagner: „Spielziel ist gleich Lernziel“. Was es schwierig macht, im Spielen zu lernen, ist die Tatsache, dass verschiedene Interessen einander in die Quere kommen. Ein Spiel muss freiwillig gespielt werden und sollte keine Auswirkungen auf das reale Leben haben. Wenn ich auf mein gamifiziertes Lernen Noten bekomme, gehen aber die beiden vorher genannten Voraussetzungen für lustvolles Spielen verloren. Ich denke, dass nur mit der gamifizierten Simulation spielerisch gelernt werden kann. Das kann auf die Kosten der Freiwilligkeit gehen, aber der Lerneffekt ist auch im realen Leben gegeben.

Apropos reales Leben. Besteht die Gefahr, dass durch die intensiven Erlebnisse in virtuellen Welten das Gefühl für den eigenen Körper und Lebenssituationen verloren geht?

Nein, keinesfalls. Spiele sind immer ein sicherer Ort, um Dinge auszuprobieren. Ich appelliere an die Eltern, die Kinder selbst und auch die Stadtverwaltung, für schöne, reale und am besten kostenfreie Spiel- und Erlebniswelten zu sorgen. Vielleicht ist die Kombination aus realem und virtuellem Spiel die beste Lösung für die Zukunft: Schnitzeljagden mit dem Smarthone durch das Grätzel, Kicken gehen und mit dem Sport-Armband Punkte sammeln und dafür Items oder Upgrades für das Lieblingsfußballspiel zu erwerben. So etwas macht Spaß und Sinn.

Trotz Partizipations- und Interaktionsmöglichkeiten in Spielen können SpielerInnen nicht einfach tun, was sie wollen. Sie können nur so viel machen, wie ihnen von den SpieledesignerInnen erlaubt wird. Ist das nicht eine scheinheilige Autonomie?

Es gibt zum einen viele verschiedene Spielgenres und zum anderen braucht man sich nur die PlayerInnen-Typisierung von Richard Bartle oder in neuerer Version von Nick Yee ansehen. Anhand derer wird klar, dass SpielerInnen immer wieder genau diese Grenzen ausloten oder auch den GamedesignerInnen Feedback geben, wie es weitergehen könnte, und damit auf die Entwicklung eines Spiels Einfluss nehmen. Auch um das eigentliche Spiel herum entstehen plötzlich – teils auch von Fans produzierte – Bücher, Filme, Comics, Kurzgeschichten und Ähnliches. Das Spiel kann auf jeden Fall mehr als das Video, bei dem man ja nur zusieht. Wobei auch das großartig sein kann. Man muss nicht immer selbst aktiv sein.

Der SPÖ-Politiker Otto Pendl hat vor Kurzem behauptet, Egoshooter hätten dazu beigetragen, junge Menschen für den Jihadismus zu gewinnen.

Genauso wie die US-Armee mit „Americas Army“ für eine Karriere in der Armee wirbt, könnte auch die IS ein Spiel machen, in dem man den Beruf „JihadistIn“ ausüben kann. Das Spiel müsste aber auch „unterhaltsam“ sein, um Verbreitung zu finden, was jedoch bei dieser Thematik schwierig sein wird. Das Beispiel, auf das sich Pendl bezieht, war ein Videozusammenschnitt aus dem Videospiel GTA V, das nicht einmal ein Egoshooter ist. Der direkte Vergleich hinkt dann doch und es ist schade, dass ein digitales Spiel als Sündenbock herhalten muss. Man hätte de facto auch ein Best-of aus Krimi-Büchern oder Ausschnitte aus Hollywood-Filmen zusammenstellen können.

 

Das Interview führte Marlene Brüggemann.

Verein der Freunde des multimedialen Lernens: www.vfml.at

Nur für Frauen*?

  • 27.10.2014, 15:25

Labels, die regeln sollen, wer in feministische Schutzräume darf, gibt es viele, gerade in Uni-Kontexten. Doch wer ist eigentlich wirklich gemeint? Eine Kritik.

Labels, die regeln sollen, wer in feministische Schutzräume darf, gibt es viele, gerade in Uni-Kontexten. Doch wer ist eigentlich wirklich gemeint? Eine Kritik.

Im Rahmen der Frauenbewegungen wurden bestehende Räume wie Universitäten für Frauen geöffnet – und neue Räume geschaffen. Dazu gehören feministische Bibliotheken oder frauengeführte Kneipen. Manche Räume sollen Schutzräume sein, also die Möglichkeit bieten, ohne Anfeindungen, Häme und Konkurrenzgefühl neue Fähigkeiten zu lernen, sich fortzubilden und auszutauschen. Deshalb haben Männer dort keinen Zutritt. Die Räume selbst können fixe Lokalitäten sein, wie etwa der „Uni Frauen Ort“, das „UFO“ in der Wiener Berggasse, das seit mehr als 30 Jahren besteht. Andere Räume existieren als temporäre Aneignung bestehender Orte, etwa im Rahmen von Workshops und Seminaren wie der wissenschaftlichen Schreibwerkstätte für Frauen*, die jedes Semester an der Uni Wien angeboten wird. Auch bei anderen Veranstaltungen wie Konferenzen, Diskussionen und Vorträgen kann gelten: „nur für Frauen“ oder „FLIT* only“. Doch was bedeutet das?

Orte für wen? „Frauen“, „Frauen*“ und „FrauenLesben“ haben als Labels eine lange Tradition. Die Schreibweise mit Sternchen und die Bezeichnung „FrauenLesben“ entwickelten sich aus der Kritik am eindimensionalen Frauenbegriff. Beide Labels zeugen von der Ablehnung der Idee, dass es „die Frau an sich“ gäbe. Es wird außerdem damit betont, dass die so eingeordneten Personen kein verbindendes Element, keine „wirkliche Weiblichkeit“ teilen, es also keine Frauen jenseits gesellschaftlicher Einteilung gibt. Der Begriff FrauenLesben fungiert als Sichtbarmachung von Lesben und ihren spezifischen Belangen. Auch die Idee vom Lesbischsein als mögliche Geschlechtsidentität schwingt in der Bezeichnung mit.

Foto: Sarah Langoth

Wer sich in Hochschulräumen oder dem aktivistischen Milieu bewegt, der_die mag auch schon über den Begriff FLIT (manchmal auch FLIT* geschrieben) gestolpert sein. Eine schnelle Google-Suche nach den vier Buchstaben führt zu einem Insektizid, das in den 20ern gegen Moskitos entwickelt wurde sowie zur „flow control digit“, einem Begriff aus der Routerund Netzwerktechnik. Allerdings soll das Label FLIT* nicht die Paketvermittlung in einem Netzwerk beschreiben oder gar die Umwelt mit DDT vollpumpen, sondern die Diversität der in einem Raum willkommenen Menschen sichtbar machen. Der Begriff FLIT steht für Frauen_Lesben_Inter*_Trans*. „Trans*“ meint alle, die sich nicht oder nicht ausschließlich dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen. Trans*Personen und Wissenschaftler_innen benutzen verschiedene Begriffe wie z.B. Transgender, Transsexuelle, Transidenten, die je nach Person verschieden definiert und abgegrenzt werden. Der Überbegriff Trans* wird dabei nicht von allen Trans*Personen gutgeheißen. Manche nutzen Trans*Frau/Trans*Mann als Selbstbezeichnung, andere verwenden trans* als Adjektiv und manche möchten nur als Frauen oder Männer bezeichnet werden. Der Überbegriff Inter* steht für Menschen, deren Körper nicht in gesellschaftlich aufgestellten Normen von dem, was Männer- bzw. Frauenkörper beinhalten dürfen/müssen, passen. Dies kann aufgrund ihrer Chromosomen, Genitalien, Gonaden, Hormonlevel oder Kombinationen von diesen Faktoren sein. Neben "inter*" werden häuftig auch Begriffe wie intersexuell oder intergeschlechtlich verwendet.

Willkommen? Darüber, wer (nicht) in Schutzräumen willkommen ist, wird diskutiert und gestritten, seit es diese Räume gibt, obgleich es naheliegend scheint, dass Frauen(*)-Räume allen Frauen(*) offenstehen. Immerhin herrscht in feministischen Kreisen weitestgehend Einigkeit darüber, dass Geschlecht ein soziales Konstrukt ist und Frausein nicht über Genitalien oder bestimmte Hormonspiegel definiert wird. Bei der Frage nach Trans*Frauen in Frauen(*)-Räumen berufen sich jedoch einzelne Raumverwalter_innen auf die Anatomie oder bemühen andere – meist ebenso trans*und inter*feindliche – Argumentationen. Die Anwesenheit von Trans*Männern wird und wurde seltener oder weniger intensiv diskutiert, weil sie wegen dem bei der Geburt zugewiesenen weiblichen Geschlecht geduldet werden. Inter*Personen und nichtbinäre Personen, also jene, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau identifizieren hingegen werden meist – wie auch in den LGBT-Szenen – schlicht übersehen. Angesichts der Frage, wer in „ihren“ Räumen und Gruppen willkommen ist, haben sich bereits viele feministische Gruppen und Szenen zerstritten und gespalten.

Alle ausser Männer? Vor dem Hintergrund dieser Debatten und unterschiedlichen Positionen ist es fahrlässig, wenn Gruppen nicht klar dazu Stellung beziehen, wen sie in ihren Frauen(*)und FLIT-Räumen willkommen heißen und wen nicht. Viele Räume sind offen für alle Personen, die keine Cis-Männer sind. Die Vorsilbe „cis“ ist das Gegenstück zu trans* und inter*. Damit sind jene Menschen bezeichnet, bei denen Geschlechtsidentität und bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht übereinstimmen. Manche Räume wie beispielsweise das Wiener Frauenzentrum richten sich ausschließlich an Cis-Frauen und Cis-Lesben.

Zudem gibt es Orte, die manche Personengruppen aus dem Trans*und Inter*-Spektrum akzeptieren, andere jedoch nicht. So sind in einigen Räumen neben Cis-FrauenLesben nur als Frauen oder weiblich identifizierte Trans*und Inter*Personen willkommen, Trans*Männer aber nicht. Andere Räume richten ihr Angebot hingegen nur an Trans*und Inter*Personen, die bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wurden. Fragt mensch verschiedene Mitglieder der Organisation, was etwa mit dem Stern hinter Frauen* auf dem Einladungsplakat gemeint ist oder wen FLIT genau einschließt, folgt erfahrungsgemäß in vielen Fällen Schweigen. Das Team hat offenkundig selbst nicht darüber gesprochen, was und wer mit dem schicken Label Frauen(*)/FLIT gemeint ist.

Mitgemeint? Wenn bei einer Veranstaltung nicht angegeben wird, wer genau willkommen ist, ergibt sich für einige Besucher_innen oft eine unsichere Situation. Nämlich für jene, die vom hegemonialen Bild der Cis-FrauenLesben abweichen. Wer nicht als FrauLesbe gelesen wird, sucht Frauen(*)bzw. FLITRäume mit einem Kloß im Hals auf. Eine Trans*Frau kann sich etwa bei einem Event, das zur Einladungspolitik keine Informationen bereitstellt, nicht sicher sein, ob sie „mitgemeint“ ist und wie die Veranstalter_innen zu Trans*Personen stehen. Sie kann nicht abschätzen, ob sie an der Tür aufgehalten und abgewiesen wird. Oder ob ihr während der Veranstaltung vielleicht abschätzige Blicke oder körperliche Übergriffe drohen, wenn sie von Teilnehmer_innen für einen Cis-Mann gehalten wird, der sich unrechtmäßig Zutritt zu einem Frauen-Raum verschafft hat. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Räume, Gruppen und Events eindeutig offenlegen, wen sie wirklich ansprechen wollen.

Egal ob die Einladungspolitik Menschen jenseits von Cis-Lesben und Cis-Frauen ansprechen soll oder nicht: Wenn nicht gleich offengelegt wird, wer gemeint ist, geschieht das auf dem Rücken der oft mehrfach diskriminierten Nicht-Cis-Personen, die sich in eine ungewisse Position begeben müssen – oder gleich zu Hause bleiben. Selbst wenn sie „mitgemeint“ sind: Die anderen Besucher_innen haben die Einladungspolitik oft nicht gelesen und ihre eigenen Ideen davon im Kopf, wer (nicht) im Raum willkommen ist. Passive Aggressivität und übergriffiges Verhalten („Was machst du denn hier, das ist‘n Frauenraum!“) können auch in inklusiven Räumen die Folge sein, wenn nicht kommuniziert wird, wer dort sein darf.

Foto: Sarah Langoth

Eigene Formulierungen. Eine Möglichkeit, das Problem zu lösen, wäre es, Einladungen zu spezifizieren, statt sich eines vorgefertigten Labels wie FLIT zu bedienen. „Alle außer Cis-Männer“ ist viel eindeutiger als FLIT, weil nicht offen bleibt, ob auch männlich identifizierte Trans*und Inter*Personen gemeint sind, und es transportiert gleichzeitig, dass reflektiert wurde. Dadurch wird für weitere potentielle Teilnehmer_innen transparent, dass nicht nur Cis-Frauen gemeint sind. Auch „offen für alle, die sich weiblich identifizieren“ oder „alle negativ von Sexismus betroffenen Personen“ sind Möglichkeiten, eine spezifische Einschränkung der Teilnehmer_innen vorzunehmen.

Die Einladungspolitik selbstständig zu formulieren ist eine Möglichkeit für die Organisator_innen, sich darüber klar zu werden, wie die Ansprüche an Raum und Veranstaltung zusammenpassen. Ein Workshop zu sexistischer Diskriminierung etwa könnte sich nicht nur auf die Perspektive von cis-heterosexuellen Frauen beziehen, sondern die Erfahrungen von Menschen anderer Identitäten einschließen. Außerhalb des Geschlechts- und Begehrensaspekts gibt es noch andere Ausschlüsse, wenn es etwa immer weiße Personen ohne Behinderungen sind, die den Standard setzen und so die Perspektiven von People of Color und Menschen mit Behinderungen, die in den meisten Räumen in der Unterzahl sind, übergangen werden.

Die Türpolitik. Auch wenn ein Raum für verschiedene Menschengruppen geöffnet ist, fehlt häufig ein reflektierter Umgang mit der Diversität der Teilnehmenden. Vielen Veranstalter_innen ist nicht bewusst, dass es unmöglich ist, vom Aussehen einer Person auf deren Geschlechtsidentität zu schließen. Auf diese Weise erfahren betroffene Nicht-Cis-Personen, dass sie in diesem vermeintlichen Schutzraum nicht mitgedacht, sondern bestenfalls geduldet sind. Diese Art der Diskriminierung führt den Wunsch nach einem Raum für Austausch auf Augenhöhe ad absurdum. Zur Frage, wie das Problem des Doppelstandards umgangen werden kann, hat zum Beispiel Laura* auf ihrem Blog „HeteroSexismus hacken“ Anregungen gesammelt. Der vermutlich praktikabelste Ansatz wäre es, die Einladungspolitik am Eingang gut sichtbar zu machen und beim Einlass alle Menschen unabhängig von deren Äußerlichkeiten auf die Einladungspolitik hinzuweisen. Es gilt auch auszuprobieren, was funktioniert und was nicht – Hauptsache das eigene Verhalten wird reflektiert und Verantwortung dafür übernommen, statt sich hinter Labels zu verstecken.

Non Chérie studiert in Wien Japanologie und Gender Studies und macht so Queerkram.

*Sternchen in diesem Text weisen nicht auf Anmerkungen am Ende hin! Sie sind, wie öfter im progress, ein Zeichen für gendergerechte Sprache, die Menschen jenseits der Mann-Frau-Binarität einschließen möchte.

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