Oktober 2014

Press Start

  • 25.05.2015, 12:01

Absolutely terrifying
Das erste Computerspiel der Geschichte, das Mathematik- Spiel „Nim“, konnte gegen den Computer NIMROD, der 1951 für das Festival of Britain gebaut wurde, gespielt werden. Ein BBC-Reporter, der es ausprobierte, bezeichnete die Erfahrung als „absolutely terrifying“. Das erste Spiel mit grafischen Elementen war „OXO“, eine Version von „Tic-Tac- Toe“, die 1952 entwickelt wurde. Darauf folgten Kriegssimulationen und Schach-Computer. In den 1960ern verbreitete sich „Spacewar!“ in den Computerlaboratorien US-amerikanischer Universitäten. In den 1970ern begann der Siegeszug der Videospiele mit den Acarde-Spielen, die in Spielhallen und Bars aufgestellt werden. Am erfolgreichsten: die Tischtennis- Simulation „Pong“. In den 1980ern tauchten die ersten Gaming-PCs wie der Commodore 64 auf, bald bevölkerten die Geräte von Nintendo, Sega und Sony (Playstation) die Wohnzimmer. Heute sind Videospiele allgegenwärtig: Hatte der erste Gameboy 1989 noch die Maße eines Ziegelsteins, so trägt nun fast jede_r eine Mini-Spielkonsole in Form eines Smartphones in der Hosentasche.

Super Daisy Land
Videospiele lassen sich aufgrund ihres digitalen Formates leicht verändern. So verschwimmen die Grenzen zwischen Konsument_innen und Entwickler_ innen immer mehr. Vielen Spielen liegt ein Level-Editor bei, mit dem eigene Szenarien gestaltet werden können. Doch selbst dort, wo diese Tools nicht mitgeliefert wurden, finden kreative Köpfe einen Weg, Spiele zu modifizieren und sogenannte Mods, also veränderte Versionen des Originalspiels, zu entwickeln. So gibt es seit längerem Programme, mit denen sich die Grafiken von frühen Nintendo- Spielen ohne Programmierkenntnisse austauschen lassen. So rettet in „Super Daisy Land“ zur Abwechslung die Prinzessin den Installateur. In der Datenbank Mutation.fem finden sich Grafiken und Sounddateien für weibliche Charaktere, um mit ihnen die meist männlichen Helden zu ersetzen. Andere Mods haben fast nichts mehr mit dem ursprünglichen Spiel gemeinsam. Das experimentelle Kunstspiel „Dear Esther“ wurde zum Beispiel mit dem Unterbau eines Egoshooters entwickelt und sogar das berühmte „Counter-Strike“ war ursprünglich eine Mod.

Game over! Insert coin!
Die ersten Acarde-Games kosteten 25 US-Cent pro Spiel. Wer das nötige Geschick hatte, konnte das Spiel in einem Zug durchspielen. Wer verlor und die Game-over-Botschaft sah, konnte sich mit einer weiteren „Quarter“-Münze die nächste Chance kaufen. Spiele und Geschäftsmodelle haben sich seitdem stark verändert: Seit 2009 nimmt die Spieleindustrie mehr Geld ein als die Filmindustrie. 2013 waren es weltweit knapp 52 Milliarden Euro. Allerdings verschlingen große Blockbuster-Titel wie „Grand Theft Auto V“ auch enorme Summen: Produktion und Marketing kosteten 211 Millionen Euro, bis zu 1.000 Menschen arbeiteten an dem Spiel. Neben dem bekannten Modus, einmalig für ein Spiel zu zahlen, haben sich in den letzten Jahren weitere Modelle entwickelt: Bei Online-Multiplayer- Games sind oft monatliche Gebühren fällig, andere Entwickler_innen lassen sich per Crowdfunding ihr Spiel vorfinanzieren. Auf mobilen Plattformen sind „Freemium“-Modelle beliebt: Das eigentliche Spiel ist gratis, aber für bestimmte Spielobjekte, Optionen oder gar leichteren Spielerfolg muss gezahlt werden.

Do it yourself!
Wer selbst ein Spiel entwickeln will, muss heute nicht mehr programmieren können. Mit Tools wie auf stencyl.com oder gamesalad.com lassen sich Spiele kreieren, ohne eine einzige Zeile Code zu schreiben. In ihrem Buch „Rise of the Videogame Zinesters“ beschreibt die Spielentwicklerin Anna Anthropy den Anfang einer neuen Kultur von Hobby-Entwickler_innen, die Games dafür benutzen, ihre persönlichen Geschichten zu erzählen: ein langsamer Paradigmenwechsel von grafisch perfekten Studio-Blockbustern zu selbstgemachten, oft experimentellen Spielen, die gute und ergreifende Geschichten erzählen. Manche Hobby-Entwickler_innen nehmen an Marathons teil und klicken innerhalb von ein paar Stunden mit dem eigentlich für Kinder gedachten Entwicklungstool „Klik & Play“ ein Spiel zusammen. Wer sich mit Text wohler fühlt, kann mit „twine“ (twinery.org) eigene Textabenteuer schreiben, die als Webseite veröffentlicht werden können. Der eigenen interaktiven Geschichte stehen also nur noch so lästige Dinge wie Hausarbeiten und Prüfungen im Weg.

ÖH-Simulator 3000
Politiker_innen reden nicht sehr oft über Videospiele. Meistens werden Verbote oder Indizierungen von sogenannten „Killerspielen“ diskutiert, im besten Fall werden Spiele als Industrie und damit als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen. Um diese Berührungsängste abzubauen, fand 2011 im deutschen Bundestag eine LAN-Party statt. In Österreich wurde das Medium Computerspiel schon von Politiker_innen im Wahlkampf benutzt: Das geschmacklose Minarett-Spiel der FPÖ Steiermark ist ein abschreckendes Beispiel. Spieler_innen haben in vielen anderen Spielen aber die Möglichkeit, in die Rolle von Politiker_innen zu schlüpfen: als Bürgermeister_ in in „Sim City“ oder Diktator_in einer kleinen tropischen Insel in „Tropico“. Wer ein ganzes Land nach seinen politischen Vorstellungen regieren will, kann das in „Democracy“ ausprobieren. Sachzwänge und verschiedene Interessensgruppen können die eigene Utopie dabei aber vermiesen. Einzig eine ÖH-Simulation fehlt noch im Reich der Politik-Spiele.

Grenzen des Spiels
Was ist eigentlich ein Spiel? Die Entwicklerin Anna Anthropy definiert Spiele als „an experience created by rules“, also eine Erfahrung, die durch Regeln zustande kommt. Das trifft allerdings auch auf die Steuererklärung zu, die auch durch diese Definition nicht spaßiger wird. Experimentelle Spiele brechen mit den Konventionen des Mediums und stellen die Frage, was überhaupt alles ein Videospiel sein kann, immer neu. In dem als Kunstprojekt programmierten „The Endless Forest“ nehmen die Spieler_innen die Rolle eines Hirsches ein, den sie durch einen endlosen Wald navigieren können. Viel mehr Inhalt hat das Spiel nicht: Mit anderen Spieler_innen lässt sich durch verschiedene Aktionen nonverbal kommunizieren, aber es gibt keine Ziele oder Levels. In „Desert Bus“ kann die achtstündige Busfahrt von Tucson nach Las Vegas nachgespielt werden – in Echtzeit, ohne Möglichkeit zum Pausieren oder Speichern. Wer das schafft, darf zur Belohnung wieder zurückfahren.

Vertreten auf bayrisch

  • 27.10.2014, 13:08

In 15 von 16 deutschen Bundesländern gibt es sogenannte „Verfasste Studierendenschaften“, nur in Bayern nicht. StudierendenvertreterInnen kämpfen dort schon seit Jahrzehnten für mehr Mitspracherecht an den Hochschulen.

In 15 von 16 deutschen Bundesländern gibt es sogenannte „Verfasste Studierendenschaften“, nur in Bayern nicht. StudierendenvertreterInnen kämpfen dort schon seit Jahrzehnten für mehr Mitspracherecht an den Hochschulen.

Nach der luxemburgischen Studienvertretung werfen wir in unserer Serie diesmal einen Blick auf Deutschland und besonders Bayern.

Im Unterschied zu Österreich, wo die Studierendenvertetung an den öffentlichen Hochschulen bundesweit einheitlich organisiert ist, sieht die Situation in Deutschland etwas anders aus. In den letzten Jahrzehnten haben sich dort verschiedene Formen der Studierendenvertretung herausgebildet. Diese Entwicklung gilt als Resultat des sogenannten „Bildungsföderalismus“ – also des auf Bundesebene noch immer eingeschränkten deutschen Hochschulrechts. Die bundesweite Vertretung, die mit der Bundesvertretung der ÖH vergleichbar ist, bildet in Deutschland der Verein freier zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs). Mit rund 90 Mitgliedsorganisationen vertritt der fzs etwa eine Million Studierende.

Darüber hinaus hat in der Regel jede deutsche Hochschule eine sogenannte „Verfasste Studierendenschaft“. In den meisten deutschen Bundesländern bildet der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) an den Hochschulen deren geschäftsführendes Organ. Der AStA wird in der Regel vom Studierendenparlament gewählt. In machen Teilen Deutschlands, etwa in Ostdeutschland, gibt es anstatt der AStAs sogenannte Studierendenräte. Die AStAs vertreten die politischen Interessen sowie die sozialen und wirtschaftlichen Belange der Studierenden. In der Regel ist die Mitgliedschaft in den Verfassten Studierendenschaften gesetzlich geregelt und beginnt mit der Immatrikulation. Die Verfassten Studierendenschaften finanzieren sich, wie die ÖH, weitgehend über die Beiträge ihrer Mitglieder.

Kein Mitspracherecht. Verfasste Studierendenvertretungen gibt es in allen deutschen Bundesländern bis auf Bayern. Auch dort ist die Vertretung der Studierenden zwar im Landeshochschulgesetz verankert – jedoch sind dafür weit weniger Kompetenzen vorgesehen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist ihre Funktion stark eingeschränkt: Die Studierendenvertretungen organisieren sich in Bayern im Studentischen Konvent und haben kein allgemeinpolitisches Mandat. Daneben existieren zahlreiche Vereine, die von Studierenden gegründet
wurden, um die Studierendenvertretungen zu unterstützen.

Daniel Gaittet, 22, Student der Medienwissenschaft, Politikwissenschaft und Philosophie, war jahrelang in der Studienvertretung an der Uni Regensburg aktiv, heute ist er im Vorstand des fzs tätig. Während seiner Arbeit als Studierendenvertreter wurden die Probleme der Situation in Bayern für ihn immer wieder spürbar: „Eine der Herausforderungen für die Arbeit von Studierenden in nicht verfassten Studierendenvertretungen ist ihre miese finanzielle Situation, die die Vertretungsarbeit erschwert“, meint Daniel.

Hilfe für Bayern. Denn während Verfasste Studierendenschaften von ihren Mitgliedern Beiträge erheben dürfen, um ihrer Vertretungsaufgabe nachzukommen, müssen sich die Studienvertretungen in Bayern bei der Finanzierung von Projekten ganz auf das Budget und den Willen ihrer Hochschulen verlassen. Vor allem im Streit um Studiengebühren wurde sichtbar, was das in der Realität bedeutet: „Im Kampf gegen die allgemeinen Studiengebühren waren wir oft auf finanzielle Unterstützung aus anderen Bundesländern angewiesen. Denn Geld gibt es in Bayern nur für Projekte, die die Hochschule auch unterstützt.“ Weil sie diesen Einfluss auf die Studierendenvertretungen nicht verlieren wollen, wehren sich manche RektorInnen bayrischer Hochschulen gegen die Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaften.

Finanzielle Unterstützung aus anderen Bundesländern bekommen die bayrischen Studierenden glücklicherweise aber immer wieder, etwa aus den Solitöpfen des fzs oder gar von einzelnen Studierendenschaften. Sie greifen den bayrischen Vertretungen immer wieder unter die Arme, damit auch sie politische Arbeit leisten können. Für Daniel bedeutet das, Projekte wie etwa die bundesweiten Aktionstage gegen Sexismus und Homophobie oder antirassistische Aktionswochen wie das festival contre le racisme realisieren zu können.

Die Politik blockiert. Dass die Ablehnung eines politischen Mandats der Studienvertretung
in Bayern aber nicht nur an vielen regionalen Hochschulen, sondern auch und vor allem in der Landespolitik groß ist, zeigte sich immer wieder in der Vergangenheit. Es ist bezeichnend, dass es nur in den Bundesländern Bayern und BadenWürttemberg überhaupt zu einer Abschaffung der Verfassten Studierendenschaft gekommen ist. Auch der Fall Baden-Württemberg zeigt, wie die Landespolitik die Hochschulpolitik blockieren kann. 58 Jahre lang gab es dort keine Verfasste Studierendenschaft. 58 Jahre lang war die CSU an der Macht. Erst ein Regierungswechsel 2011 brachte Veränderung und eine Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaften.

In Bayern kommt immer dann der lautstarke Protest der konservativen CSU auf, wenn die Forderung nach einer Wiedereinführung vorgebracht wird. „Der Begriff der Verfassten Studierendenschaft ist zu einem Kampf begriff geworden, den vor allem ihre GegnerInnen ideologisch aufladen“, meint Daniel. „Der Begriff allein sorgt bei der CSU inzwischen für Gesprächsblockaden. Im Moment ist die Diskussion über die Wiedereinführung einer Verfassten Studierendenschaft in Bayern erstarrt.“

In den letzten Jahren wurde in den meisten deutschen Bundesländern die Rechtslage in Hinblick auf das politische Mandat der Studienvertretungen erweitert – nur eben in Bayern nicht. Dass die Verfasste Studierendenschaft dort 1973 – also nach den berüchtigten 68ern – gekappt wurde, war kein Zufall. Vielmehr ist ihre Abschaffung als ein klarer Bruch mit einer Zeit zu verstehen, in der es normal war, dass Studierende sich zu gesellschaftspolitischen Verhältnissen äußerten und dagegen protestierten. Daniel ist überzeugt, dass sich an der aktuellen bayrischen Situation aber so schnell nichts ändern wird: „Ich glaube nicht, dass es mit der CSU eine Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft in Bayern geben wird. Aber der Kampf dafür geht weiter.“   

Simone Grössing studiert Politikwissenschaft an der Uni Wien.

 

Seiten