Mai 2015

50 Jahre alte Forderungen

  • 11.05.2015, 08:36

2015 kandidieren Drittstaatsangehörige erstmals bei der ÖH-Wahl. progress nimmt dies zum Anlass, einen Blick zurück auf die Studienbedingungen afroasiatischer Student_innen der 1960er zu werfen.

2015 kandidieren Drittstaatsangehörige erstmals bei der ÖH-Wahl. progress nimmt dies zum Anlass, einen Blick zurück auf die Studienbedingungen afroasiatischer Student_innen der 1960er zu werfen.

Bei der ÖH-Wahl im Mai gibt es zum ersten Mal das passive Wahlrecht für Drittstaatsangehörige: Studierende ohne EWR-Mitgliedsstaat-Pass können nun nicht mehr nur ihre Stimme abgeben, sie können sich auch als Kandidat_innen aufstellen lassen. Während ihnen das trotz ÖH-Beitragszahlungen bislang gesetzlich verwehrt wurde, findet jetzt ein wichtiger Schritt zur weiteren Demokratisierung der Hochschulen statt: gleiches Wahlrecht für alle.

So weit (nunmehr, endlich!), so gut. Umgesetzt wurde damit eine Forderung, die mehr als 50 Jahre alt ist. Auf unipolitischer Ebene hat der Verband sozialistischer Studierender Österreichs (VSStÖ) die Regelung Anfang der 1970er in Frage gestellt – er scheiterte allerdings an der damals benötigten Verfassungsänderung. Kritik am Wahlrecht wurde aber schon einige Jahre zuvor durch Studierende aus afrikanischen Ländern vorgebracht: Die Zeitschrift der österreichischen Pan-Afrikanischen Studierendenvertretung Africa Today berichtete 1964 klar und eindrücklich von „ernsthaften Verletzungen unserer Rechte als Studierende“ („serious infringe- ments on our rights as students.“) Als dringlichste Forderung nannte das Blatt das aktive Wahlrecht, also die Möglichkeit, wählen zu gehen, was erst mit dem Hochschülerschaftsgesetz 1973 eingeführt werden sollte. Zugleich empörte sich Africa Today über die Praxis der ÖH, grundsätzlich ungleich zu behandeln: Nicht einmal zu internen Treffen wurde der afrikanische Student_innenvertreter – seinerzeit Vizepräsident der Vertretung ausländischer Student_innen – eingeladen. Die Beteiligung wurde schlichtweg verweigert.

GAST IM GETTO. Ein anderer Artikel gibt ausführlicher Einblick in die hegemonialen Diskurse und die Bedingungen von damals: Der Achtseiter „Der Gast im Getto?“ vom 1. März 1965 in der Zeitschrift Wirtschaftshorizont, in dem afroasiatische Studierende ebenso kritisierten, dass sie „in der Hochschülerschaft nichts mitzureden haben“. Direkte Reaktionen der ÖH waren dazu nicht zu finden, eine Wortmeldung des (konservativen) Vorsitzenden Heinzpeter Thiel verdeutlicht aber die damalige ÖH-Positionierung: „Als Standesvertretung der österreichischen Hochschüler müssen wir doch der Auffassung sein, dass es nicht angeht, dass wir eine derartig große Anzahl an ausländischen Studierenden aufnehmen“, so Thiel 1965 in einem ORF-Interview. Geführt wurde das Gespräch wegen mangelnder Kapazitäten der Unis. Thiel forderte aber nicht den Ausbau des Uni-Budgets, der Infrastruktur oder der Lehre, sondern sprach sich stattdessen gegen Bildungsmigrant_innen aus. Die Hochschüler_innenschaft, so zeigt das Statement auf, verstand sich nur als Vertreterin der Mehrheitsösterreicher_innen. Zwei Jahre später stellte der VSStÖ erstmals Überlegungen zum verbandsinternen Wahlrecht für ausländische Studierende an. Sigrid Nitsch zufolge, die die Geschichte des VSStÖ aufgearbeitet hat, geben die Akten aber lediglich „einige Hinweise darauf [...], dass die damalige Verbandsführung [durch das] Wahlrecht für ausländische Verbandsmitglieder versuchte ihre Macht abzusichern“.

Im besagten Artikel des Wirtschaftshorizontes war ebenfalls das zyklisch wiederkehrende Thema des „katastrophalen“ Platzmangels an den österreichischen Universitäten Anlass für die journalistische Aufmerksamkeit für afroasiatische Studierende. In den Jahren des Wirtschaftsaufschwungs zwischen 1955 und 1965 hatte sich die Gesamtstudent_innenzahl mehr als verdoppelt, und auch Studierende aus Afrika und Asien waren – vor dem Hintergrund der Dekolonisation und der Frage nach Einflusssphären im Kalten Krieg – ein Stück weit mehr geworden: Nicht zuletzt weil sich Österreich aufgrund der Chance auf neue Wirtschaftsbeziehungen sowie neokoloniale und (antikommunistische) weltanschauliche Einflussnahme vermehrt für die postkolonialen afrikanischen und asiatischen Staaten interessierte, nahm man sich ab Ende der 1950er mit einem gewissen Engagement der afroasiatischen Studierenden an und unterstützte sie teils durch Stipendien. Geht es nach dem medialen Diskurs, so blieb dieses Engagement aber stets ambivalent. Die Anzahl der Student_innen aus Asien und Afrika war um einen vergleichsweise minimalen Anteil gestiegen, die fehlenden Kapazitäten an der Uni wurden dennoch – vermutlich weil sie ein ungewohntes Bild darstellten – über People of Colour verhandelt: Sie, diese lächerlich kleine Gruppe an Studierenden (5,7 Prozent), würden die Situation verschärfen.

RASSENTRENNUNG. Anlässlich dessen führte der Wirtschaftshorizont auch eine in den Ergebnissen aufschlussreiche und an manchen Stellen haarsträubende Umfrage unter mehr als 100 österreichischen Student_innen durch. „Soll sich der österreichische Staat bemühen, noch mehr Studenten aus den Entwicklungsländern an unsere Hochschulen zu bringen?“ 79 Prozent antworteten mit Nein. 53 Prozent gaben außerdem an, dass die Schwierigkeiten der afroasiatischen Studierenden bei ihnen selbst zu suchen seien, und: 39 Prozent der mehrheitsös- terreichischen Studierenden sprachen sich für die „Rassentrennung à la Südafrika“ aus.

Die Umfrage eröffnet einen Blick auf den rassistischen Diskurs um 1965 im Uniumfeld – also erschütternderweise jenem der Generation des Postnationalsozialismus. Gerade die große Anzahl der Apartheitsbefürworter_innen wiegt in Anbetracht der breiten, internationalen Verurteilung des Apartheits-Regimes ab 1960 schwer. Rassistische Annahmen und Rassismus legitimierende Aussagen zeigen sich aber auch im Umgang mit den Prozentzahlen. Die Kommentare des namentlich nicht genannten Redakteurs bleiben trotz Kritik meist abwägend oder verharmlosend: Die hohe Ablehnung sei vor allem auf „realistische Überlegungen“ zurückzuführen – eben wegen der „Überfüllung der Universitäten“. Auch an dieser Stelle erscheint das als schiefe Logik. Studierende, die sich für „Rassentrennung“ aussprechen, seien zudem, so der Wirtschaftshorizont weiter, nicht unbedingt „Rassenfanatiker“. Es könne sein, dass jemand „aus den verschiedensten Überlegungen eine solcherartige Maßnahme“ begrüßen würde – eine Bemerkung, die letztlich der Diskriminierung entlang der Hautfarbe Plausibilität zuspricht.

PRÄPOTENT. Nicht nur diese Umfrage ist in dem Artikel abgedruckt, auch afrikanische und asiatische Student_innen kommen zu Wort und geben darüber Aufschluss, wie schwierig es für Menschen nicht- weißer Hautfarbe im Österreich der 1960er gewesen ist. Ihre Statements erzählen von dem strukturellen, spezifisch zeitgenössischen Rassismus, mit dem sie im Alltag, in den Medien und bei der Wohnungssuche konfrontiert waren: Die meisten Studierenden aus Afrika und Asien fanden in den Studiheimen keinen Platz. Am privaten Wohnungsmarkt waren sie oft mit „keine Orientalen“-Aushängen oder horrenden Zimmerpreisen konfrontiert – dass jemand nicht weiß war, musste er/sie oft mit einem zigfachen Mietpreisaufschlag bezahlen. Die interviewten afroasiatischen Studierenden äußerten weiters Kritik an den österreichischen Studierenden – sie seien zurückhaltend und wenig gastfreundlich – und brachten zum Ausdruck, dass die Österreicher_innen paternalistisch und präpotent in Erscheinung traten. Die Arbeiter_innenschaft sei da wesentlich solidarischer gewesen. Schwarze Studierende bekamen es außerdem in der Straßenbahn zu spüren, wenn die Zeitungen von einem Massaker aus dem Kongo-Krieg berichteten.

Der Interviewteil mit Afrikaner_innen und Asiat_in- nen ist zugleich nicht sehr lang, in indirekter Rede verfasst und eingebettet in die Kommentare des Autors, der auch dort die Aussagen der Studierenden relativiert und die österreichische Seite in Schutz nimmt. Diskriminierungen legitimiert er etwa mit der (inzwischen oft widerlegten Annahme der) fehlenden kolonialen Involvierung Österreichs: „Ist die unkolonialistische Vergangenheit rein politisch von Vorteil, so bedingt dies andererseits eine geringe Aufgeschlossenheit des Österreichers gegenüber dem exotischen Äußeren der Asiaten und Afrikaner: Die große Welt mit ihrem unendlichen Horizont ist ihm einfach zu neu.“ Eine solche, damals wiederholt geäußerte Argumentation, die den Entwurf eines moralisch zwar überlegenen, jedoch hermetisch abgeschlossenen und unbedarften Österreichs zu erkennen gibt, ermöglichte es, rassistische Stereotype als harmlos zu beschreiben: Dahinter läge, so die Erklärung, nur Weltferne, und Stereotype seien aufgrund der „Exotik“ ja nur allzu verständlich.

Diese medialen Diskurse geben einen Einblick in eine Zeit, in der sich Österreich um die Präsenz afroasiatischer Studierender viel stärker bemühte als heute. Der strukturelle Rassismus wurde allerdings – trotz der Einmahnung eines guten Umgangs mit migrantischen Studierenden, schlug dieser ja die zukünftige wirtschaftliche Brücke zwischen Österreich und ihren Herkunftsländern – weder von Medien, die sich nach 1945 eigentlich der Demokratisierung und Aufklärung verschrieben hatten, noch von der ÖH deutlich kritisiert oder gar bekämpft.

Nun steigt die Zahl der Bildungsmigrant_innen aus Afrika (2013/14: 1.235) und Asien (10.582) in Österreich zwar wieder, die Bedingungen dürften sich indes vermutlich nicht grundlegend verändert haben. Eines ist allerdings sicher anders: 2011 gab es einen Stipendienstopp. Für Mariam Mamian Diakité von der 2012 gegründeten Vereinigung afrikanischer Studenten (VAS) ist die heutige staatliche Unterstützung zu wenig: „Österreich muss verstehen, dass es nicht nur in unserem Interesse ist, hier zu studieren.“ Stipendien würden nicht nur die gewünschte Internationalisierung stärken, sondern nach wie vor auch wirtschaftliche Vorteile bieten. Die Situation vieler sei prekär, selbst wenn nicht alle Studiengebühren zahlen – Ausnahmen gibt es etwa bei gewissen Aufenthaltsstati oder bei einer Herkunft aus Ländern, die als „am wenigsten entwickelt“ definiert werden. Man darf kaum arbeiten, zwischen zehn und 20 Stunden pro Woche sind möglich, je nachdem, ob man im Bachelor- oder Masterstudium ist. Die Unibürokratie und die Koppelung der Visa an den schnellen Studienerfolg stellen weitere schwierige Hürden dar. Die Probleme bei der Zimmersuche versucht die VAS mit einem Unterbringungsangebot auszugleichen, sie bietet außerdem Kurse an.

Bei der diesjährigen Wahl der Bundesvertretung gibt es wenige Spitzenkandidat_innen aus Drittstaaten. Zumindest rechtlich hat sich aber etwas geändert. In den kommenden Jahren könnte das dazu führen, dass das inzwischen stärkere antirassistische Bekenntnis der ÖH – nicht zuletzt symbolpolitisch – noch einmal kräftiger wird.

 

Paula Pfoser hat Kunst­ und Kulturwissenschaften an der Universität Wien studiert und ist Redakteurin bei MALMOE. 

 

Politik, die wirkt?

  • 11.05.2015, 08:36

Im ÖH-Wahlkampf wird viel versprochen und gefordert – doch nur wenige Forderungen wird die ÖH selbst umsetzen können. Wie viel Einfluss hat die ÖH und wo sind ihre Grenzen?

Im ÖH-Wahlkampf wird viel versprochen und gefordert – doch nur wenige Forderungen wird die ÖH selbst umsetzen können. Wie viel Einfluss hat die ÖH und wo sind ihre Grenzen?

Leistbares Wohnen, günstige Mobilitätsangebote, mehr Freiräume für Studierende – die Forderungen der Fraktionen, die zur ÖH-Wahl antreten, beschränken sich nicht nur auf das unmittelbare Umfeld der Hochschule, sondern beziehen sich oft gleich auf das ganze Studierendenleben. Die Österreichische Hochschüler_ innenschaft (ÖH) hat ein allgemeinpolitisches Mandat, was grundsätzlich auch nicht-bildungspolitische Forderungen absolut legitim macht. Das ist in anderen Ländern oft anders, so zum Beispiel in Deutschland, wo es Studierendenvertretungen teilweise sogar gesetzlich verboten ist, solche Interessen zu artikulieren. Die ÖH wird dennoch auch nach dem 21. Mai nicht im Alleingang Mieten senken oder billige Öffis anbieten können.

ÖH GEGEN TUBERKULOSE. Als die ÖH 1945 gegründet wurde, waren Wohnungsnot und die soziale und gesundheitliche Lage von Studierenden die brennendsten Themen. So wurden in den 1940ern und 1950ern ein Heim gebaut und eine Tuberkulose- Vorsorge eingerichtet, die später zu einer allgemeinen Krankenversicherung ausgebaut wurde. Obwohl die ÖH damals unter konservativer Führung war, organisierte sie Demonstrationen, zum Beispiel gegen Erhöhungen der Studien- und Prüfungsgebühren. „Einmal sollten ja die Gebühren empfindlich erhöht werden – und zwar um 30 Prozent. Wir sind dann rebellisch geworden und haben 1952 einen Sitzstreik am Ring organisiert. Mit Erfolg: Die Gebühren wurden nur geringfügig erhöht. Wenn es uns zu dumm geworden ist, haben wir immer gesagt, dann gehen wir wieder auf den Ring“, erzählte Günther Wiesinger, von 1952 bis 1954 Vorsitzender des Zentralausschusses (so hieß damals die ÖH-Bundesvertretung), in der Broschüre zum 60. Geburtstag der Österreichischen Hochschüler_innenschaft.

In den 1960ern führten gesellschaftspolitische Debatten über Professor_innen mit Nazi-Vergangenheit zu heftigen Protesten und zu einer Demonstration, die ein Todesopfer forderte: Ernst Kirchweger wurde von einem rechtsextremen Burschenschaftler erschlagen. Die ÖH erwies sich in der Debatte um die nicht sehr gründlich durchgeführte Entnazifizierung als Vorreiterin. In den 1970ern begleitete sie bedeutende Reformen wie die Einführung des Wissenschaftsministeriums, in den 1980ern wurde der Protest gegen das Wasserkraftwerk in der Hainburger Au von der ÖH getragen, obwohl sie bis in die Mitte der 1990er Jahre konservativ geführt wurde.

ERFOLGE IN DER DUNKELKAMMER. Und wie sieht es heute aus? „Ein riesengroßer Erfolg waren sicherlich das neue Hochschüler_innenschaftsgesetz und die entsprechende Wahlordnung“, erklärt Viktoria Spielmann vom Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung. Nun sind auch Studierenden an Privatunis Mitglied der ÖH und können aktives und passives Wahlrecht ausüben, die Direktwahl der Bundesvertretung wurde wieder eingeführt – alles Bestimmungen, die die ÖH direkt mit dem zuständigen Wissenschaftsministerium ausgehandelt hat. Es ist aber bei weitem nicht das einzige Gesetz, bei dem die ÖH ihre Finger mit im Spiel hatte: „Auch das Studienförderungsgesetz und die letzte Novelle des Universitätsgesetzes haben wir mitverhandelt“, erläutert Spielmann: „Außerdem fungieren wir als Expert_innen in den Arbeitsgruppen der Hochschulkonferenz und beeinflussen so Bestimmungen, die in Gesetze und Satzungen der Universitäten einfließen.“ Ein großer Teil der bildungspolitischen Arbeit passiert also in Verhandlungen und Arbeitsgruppen, ohne dass davon viel an die Öffentlichkeit gelangt.

„Wenn die ÖH für das Prinzip eines offenen Hochschulzugangs einsteht, dann gibt es kein Kasterl mit ,erreicht‘, das man abhaken kann, sondern dann ist das ein kontinuierlicher Prozess“, sagt Martin Schott, der von 2011 bis 2013 im Vorsitzteam der Bundes- vertretung aktiv war und zuvor an der Spitze der ÖH BOKU saß. Er denkt, dass die ÖH viel erreichen kann, vor allem in einem spezifischen Spektrum: „Die Stärke der ÖH liegt im Hochschulbereich, da kann sie auf allen Ebenen etwas erreichen, von der Bundes- bis hin zu den Studienvertretungen. Auch die Änderung eines Studienplans ist ein politischer Akt, der große Erleichterungen für Studierende mit sich bringen kann.“ Die unterste Ebene der ÖH, die Studienvertretungen, die in einigen Studiengängen selbstverwaltet als Fachschaften oder Basisgruppen organisiert sind, wirkt im unmittelbaren Umfeld von Studierenden. Ob studentische Interessen bei der Erstellung von Studienplänen, der Habilitation von Lehrenden und der Berufung von Professor_innen berücksichtigt werden, hängt davon ab, wie gut die Studienvertretungen arbeiten und wie sehr sie es schaffen, Lehrende von ihren Ideen zu überzeugen. Allerdings kann auch die beste Studienvertretung nicht mehr Seminarplätze erstreiten, wenn dafür beim Institut kein Geld vorhanden ist.

PROGRESSIVE GEGENSPIELERIN. „Ich hatte das Gefühl, auf der Ebene der Universitätsvertretung war es nicht unbedingt leichter, Dinge umzusetzen, aber es ging schneller. Da der Wirkungsbereich einer Uni kleiner ist, ist der Handlungsspielraum größer. Bis eine Idee der Bundesvertretung in ein Gesetz einfließen kann, dauert es länger und die politische Großwetterlage spielt immer eine Rolle”, so Schott über die Unterschiede zwischen Universitäts- und Bundesvertretung.

Kann die ÖH Mietsenkungen und billige Öffis durchsetzen? „Die Grenzen von dem, was wir erreichen können, sind da, wo die Regierung nicht will“, sagt Viktoria Spielmann: „Ich sehe die ÖH als progressive Gegenspielerin zur Regierung. Natürlich wird nicht immer alles so laufen, wie wir es uns wünschen, aber wir können den Fokus auf gewisse Themen legen und den Diskurs so mitbestimmen.“

Die ÖH wird – um ein Beispiel zu nennen, das sich in den Wahlprogrammen beinahe aller Fraktionen wiederfindet – die Hochschulen nicht ausfinanzieren können, aber sie wird den Diskurs darüber, wie Hochschulbildung finanziert werden soll, maßgeblich mitgestalten können. Bei stärkerer Wahlbeteiligung sogar mit mehr Nachdruck. Na, da lohnt sich der Weg ins Wahllokal doch.

 

Joël Adami studiert Umwelt­ und Bioressourcenmanage­ ment an der Universität für Bodenkultur Wien. 

 

Diskonterwissenschaft

  • 11.05.2015, 08:00

Der Anteil der Drittmittel an der Finanzierung von Österreichs Hochschulen ist höher denn je. Auch scheint die Einflussnahme wirtschaftlicher Interessen auf die Wissenschaft heute längst kein Tabu mehr zu sein.

Der Anteil der Drittmittel an der Finanzierung von Österreichs Hochschulen ist höher denn je. Auch scheint die Einflussnahme wirtschaftlicher Interessen auf die Wissenschaft heute längst kein Tabu mehr zu sein. 

Österreichs Hochschulen ziehen mit- unter Gelder aus privaten Töpfen und Fonds zur Finanzierung wissenschaftlicher Forschung heran – sogenannte Drittmittel. Die Verträge zwischen Wirtschaft und Wissenschaft werden der Öffentlichkeit dabei meist nicht zugänglich gemacht. Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) – die Ressorts wurden ja gegen großen Protest der ÖH zusammengelegt – ist angesichts dieser Entwicklungen wenig besorgt. Er sieht die Transparenz bei Drittmitteln als ausreichend und verweist auf die Autonomie der Universitäten hinsichtlich der Ethik-Richtlinien.

EIGENES SÜPPCHEN. Dabei sind Transparenz und Verantwortung an den Universitäten äußerst unterschiedlich geregelt: Die Universität Wien etwa sieht ihre Wissenschaftler_innen alleine für den Inhalt ihrer Vorhaben verantwortlich, bei der Universität Graz hingegen ist jedes durch Drittmittel finanzierte Forschungsprojekt dem Rektorat zu melden. An den Fachhochschulen gibt es wiederum völlig andere Regeln. Da diese nach Privatrecht agieren, besteht auch keine Auskunftspflicht.

„In Bezug auf Drittmittel fordern wir eine ausgeglichene Finanzierung zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Wenn Firmen oder andere Vertreter_innen der Wirtschaft also in angewandte Forschung investieren, sollen zehn Prozent zusätzlich entrichtet werden. Drei Prozent sollen dann an die Hochschulen gehen und sieben Prozent an Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung – die Forschungsförderungsgesellschaft (FFG und dem Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung (FWF). Damit kann dann auch die Grundlagenforschung aktiv gefördert werden“, sagt dazu Florian Kraushofer vom Vorsitzteam der Österreichischen Hochschüler_innenschaft.

Weitere Kritikpunkte bezüglich der Drittmittelfinanzierung an den Universitäten: Die Einflussnahme des Privatsektors auf die Forschung und auf die Veröffentlichung oder Geheimhaltung bestimmter Ergebnisse, die Förderung von mono- anstatt multidisziplinären Studien und eine strukturelle Benachteiligung bestimmter Studienfächer. Für viele Forscher_innen sind Drittmittel allerdings die einzige Möglichkeit, überhaupt forschen zu können – ein Resultat der besorgniserregenden Unterfinanzierung der Hochschulen.

Besonders wenn es um internationale Vergleichbarkeit geht, hängt viel von Drittmitteln ab. Für Jonathan Mittermair, Pressesprecher der Johannes Kepler Universität Linz, sind sie sogar Qualitätsmerkmal. „Mitteleinwerbende Forscherinnen und Forscher stellen sich einem Wettbewerb und in fast allen Förderprogrammen werden diese Anträge auch mit internationaler Fachexpertise evaluiert.“ 2014 lukrierte die JKU 35,7 Millionen Euro an Drittmitteln, wovon etwas mehr als die Hälfte von den österreichischen Forschungsfördergebern kam. Dieser Weg soll auch in Zukunft forciert werden. Aber die JKU will die Auftragsforschung in Grenzen halten. „Der Staat wird weiterhin der Hauptfinanzier der Universitäten bleiben und ihre Unabhängigkeit dadurch gesichert sein“, so Mittermair. Die Entwicklung deutet aber in eine andere Richtung.

Foto: Niko Havranek

PRIVAT STATT STAAT. Der Anteil an Drittmittelfinanzierung hat sich in den letzten Jahren rapide erhöht: Laut dem Universitätsbericht von 2014 betrugen die Drittmitteleinnahmen an den österreichischen Universitäten im Jahr 2007 etwas über 400 Millionen Euro, 2013 sind diese um über 47 Prozent gestiegen auf knapp 600 Millionen Euro. Das liegt vor allem daran, dass das Einholen von Drittmitteln vom Wissenschafts-, Forschungs- und Wirtschaftsministerium belohnt wird: Von 2013 bis 2016 gibt es für jene Hochschulen Extra-Geld, denen es gelingt, erfolgreich Drittmittel zu beschaffen. Dafür stehen aus dem sogenannten Hochschulraumstrukturmitteltopf neun Millionen Euro zur Verfügung, von denen im vergangenen Jahr 4,5 Millionen anteilsmäßig verteilt wurden. In diesem Jahr folgt dann die andere Hälfte. Weitere 20 Millionen Euro wird das Ministerium bis 2015 in eine „bessere Verwertung von Forschungsergebnissen“ investieren.

Mitterlehner hat im Februar dieses Jahres zusätzlich einen Forschungsaktionsplan vorgestellt, der die Finanzierung der Forschung durch Private weiter erleichtern soll. Künftig sollen gemeinnützige Stiftungen ähnlich wie Vereine gegründet werden können
und ihre Spenden steuerlich absetzbar sein. Die Drittmittelfinanzierung durch Unternehmen und Private machte im Jahr 2013 bereits mehr als fünf Prozent des gesamten Universitätsbudgets aus. Neben dem Wissenschaftsfonds und der Europäischen Union gehören private Geldgeber_innen wie Dietrich Mateschitz (70 Millionen Euro für die Medizinische Privatuniversität Salzburg), das US-Verteidigungsministerium (knapp neun Millionen für diverse Hochschulen und die Akademie der Wissenschaften) und auch Frank Stronach (500.000 Euro für die Universitäten Graz, Linz und Innsbruck) zu den primären Finanziers.

Foto: Niko Havranek

ÖSTERREICHWATCH. Auch der Campus der neuen Wirtschaftsuniversität ist gesäumt von bekannten Firmennamen: Ein OMV-Bibliothekszentrum, Hörsäle von Red Bull oder Siemens und ein Raiffeisen-Sprachlernzentrum. Das sind längst nicht alle Unternehmen, deren Geld und Einfluss in die Mauern des Unikomplexes geflossen sind. Universitäten präsentieren sich als attraktive Investitionsmöglichkeit für Unternehmen und werben für Sponsoring und Fundraising auf ihren Webseiten.

In Deutschland gibt es seit 2013 die Transparenzinitiative hochschulwatch.de, die über 10.000 Kooperationen zwischen Wirtschaft und Universitäten gesammelt hat und diese Liste online zur Verfügung stellt. Ziel dieser Plattform ist es, Transparenz in der Wissenschaft zu schaffen. Auch in Österreich ist ein solches Projekt vielleicht bald möglich. „Ein Vertreter von Hochschulwatch war im März in Österreich und hat sich mit Vertreter_innen von Transparency Österreich und der ÖH getroffen. Ob und wenn ja, welche Kooperation sich hier ergeben wird, ist aber noch offen“, sagt Florian Kraushofer.

 

Anne Schinko studiert Politikwissen­ schaften und Geschichte an der Universität Wien. 

 

Leintuchwissenschaft

  • 11.05.2015, 08:00

6.000 Euro für die Masterarbeit, 80.000 Euro für die Dissertation. Vom lukrativen Geschäft mit akademischen Leistungen und der Frage nach authentischer wissenschaftlicher Arbeit.

6.000 Euro für die Masterarbeit, 80.000 Euro für die Dissertation. Vom lukrativen Geschäft mit akademischen Leistungen und der Frage nach authentischer wissenschaftlicher Arbeit.

„Genügend Geld und kein Bock.“ Mit dieser Begründung hat sich eine Mitstudentin mit einer Ghostwritinganfrage an Anna*, eine Studentin aus Innsbruck, gewandt. Anna verfasst Arbeiten für andere Studierende – gegen Bezahlung. „Insgesamt habe ich rund 15 Seminararbeiten für andere Student*innen geschrieben“, sagt Anna. Für sie war es ein guter Nebenverdienst. „Je nachdem wie vertraut ich mit dem Thema war, musste ich mehr oder weniger Zeit für die Recherche investieren und daraus haben sich dann auch die Preise ergeben. Es waren allerdings mindestens 20 Euro pro geschriebener Seite“, sagt Anna. Pro Auftrag kamen rund 300 Euro zusammen.

Angefangen habe alles mit ihrer Mitbewohnerin. „Sie hat gewusst, dass ich mir beim Schreiben leicht tue und mich gefragt, ob ich ihre Seminararbeit verfassen kann“, erzählt Anna. Danach sei alles über Mundpropaganda gelaufen. Die Leute hätten die Studentin per Mail oder Facebook kontaktiert. „Persönlich kannte ich fast niemanden und ein schlechtes Gewissen hatte ich auch nie“, sagt Anna. Anstrengend sei es trotzdem gewesen, denn viele Leute hätten sich erst zwei Tage vor dem Abgabetermin gemeldet. „Bei manchen war die Deadline auch schon verstrichen und dann musste die Arbeit sehr rasch fertig sein“, sagt Anna.

Wie die Arbeiten beurteilt wurden, hat Anna nie erfahren. Sie hatte auch das Gefühl, dass die Studierenden, die die Arbeiten in Auftrag gegeben haben, kein großes Interesse an einem guten Studienerfolg hatten: „Sie wollten einfach, dass es erledigt ist.“ Über die Hintergründe der Student*innen habe Anna nie viele Fragen gestellt. „Ich weiß, dass sich manche nicht im Stande sehen, eine Seminararbeit oder einen Essay zu schreiben. Andere waren einfach zu faul und konnten es sich leisten, jemanden dafür zu bezahlen“, meint Anna: „Aber die Nachfrage war echt groß.“

MAMI UND PAPI KAUFEN EINEN TITEL. Wie lukrativ das Geschäft ist, weiß auch Thomas Nemet, Leiter einer Ghostwriting-Agentur in Salzburg. „Jedes Jahr haben wir zwischen 150 und 200 Aufträge von österreichischen Student*innen. Viele kommen von der Universität Wien, aber auch Salzburger und Grazer Studierende melden sich“, sagt Nemet. Am gefragtesten seien Arbeiten aus BWL, dann kämen geisteswissenschaftliche Fächer und die Medizin, die sich mit den Rechtswissenschaften den dritten Platz teile.

Er selbst habe am Ende seines Studiums rund zehn Arbeiten im Rahmen des Unternehmens geschrieben. Angeboten wird alles. Von Proseminararbeiten über Bachelor- und Masterarbeiten bis hin zu Dissertationen und gerichtlichen Gutachten können sich Studierende durchs Studium schummeln und Leistungen kaufen. Zumindest die, die das Geld dafür haben. Denn der Preis ist hoch. „Eine 20-seitige Arbeit mit Literaturrecherche ohne empirischen Teil kostet rund 1.600 Euro. Wir rechnen mit 300 Wörtern pro Seite und eine Seite kostet 80 Euro“, sagt Nemet. Eine Masterarbeit mit Expert*inneninterviews kommt auf eine Rechnung von 5.000 bis 6.000 Euro.

„Nachdem ein erstes Angebot bei uns eingeholt wurde, hören wir schon häufig, dass die Finanzierung zuerst mit den Eltern abgeklärt werden muss. Viele Studierende, die uns kontaktieren, haben einen guten finanziellen Background“, sagt Nemet. Ab einem Auftrag von mindestens 1.000 Euro kann in Raten gezahlt werden. „Dann liefern wir auch die Arbeit in Teilen. Geld gegen Leistung heißt unser Prinzip“, sagt der Unternehmensleiter.

Der Großteil der Auftraggeber*innen sei unter 30 Jahren. „Da sind von der Studienanfängerin mit Versagensängsten bis zum berufstätigen Student, der am Ende seines Studiums steht, alle vertreten“, sagt Nemet. Bevor die Student*innen die Arbeit ausgehändigt bekommen, müssen sie schriftlich versichern, dass sie damit nichts Illegales vorhaben, wie zum Beispiel die Arbeit als ihre eigene auszugeben. Somit ist die Ghostwriting-Agentur rechtlich aus dem Schneider. Auf die Frage, was das für die Wissenschaft bedeutet, wenn sich immer mehr Studierende Arbeiten schreiben lassen, antwortet Nemet: „Eigentlich nichts. Ein Uniabschluss heißt nicht, dass man Manager*in wird. Unsere Kund*innen müssen sich der Wirklichkeit im Berufsleben stellen und zeigen, was sie können.“ Thomas Nemet führt einen Doktortitel, den er sich laut eigenen Angaben selbst erarbeitet hat.

SCHULDGEFÜHLE. „Seminararbeiten zu schreiben ist mir immer leicht gefallen“, sagt Daniel*, ein Student der Geisteswissenschaften an der Universität Innsbruck. Das sei auch der Grund dafür gewesen, dass er oft von Studienkolleg*innen angesprochen wurde, ob er ihre Arbeiten gegen Bezahlung für sie erledigen würde. Meistens habe er abgelehnt, weil er die Faulheit anderer nicht unterstützen wollte. Zweimal hatte er aber zugesagt und die Bachelorarbeiten von Freunden geschrieben. „Zum Freundschaftspreis von 15 Euro pro Stunde habe ich für die erste Arbeit 20 bis 30 Stunden investiert“, sagt Daniel. Die zweite Arbeit ging schneller, denn da sei die Recherche schon erledigt gewesen und Daniel musste sie lediglich in Worte fassen. „Die Person hatte Probleme beim Formulieren und wollte sich auch nicht damit auseinandersetzen. Da war dann schon viel Faulheit dabei und das Geld in diesem Fall auch kein Problem“, behauptet Daniel. Er ist sich sicher, dass er viel Geld mit Ghostwriting verdienen hätte können, aber im Grunde finde er das unvertretbar. „Ich habe das zwei Mal gemacht, um Freunden zu helfen und das waren Ausnahmefälle. Aber Uni-Arbeiten für andere Student*innen zu schreiben, um Geld zu verdienen, das könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren“, so Daniel.

Das schlechte Gewissen plagt auch Petra*. Sie studiert im dritten Semester an einer Fachhochschule und würde sich gern die Bachelorarbeit von jemandem schreiben lassen. „Die Versuchung ist groß, aber dafür bin ich zu ehrlich“, sagt Petra. Kleinere Arbeiten seien da schon weniger ein Problem, denn im vergangenen Semester hat ihr ein Freund eine Seminararbeit geschrieben. „Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, als ich die Arbeit abgegeben habe, aber es war für ihn einfach viel weniger Aufwand, als es für mich gewesen wäre.“ Im Gegenzug für seine Arbeit habe sie ihm auch eine Arbeit verfasst. „Der Grund dafür war sicher die Bequemlichkeit. Ich hätte für die Recherche vieles heraussuchen müssen, das er parat hatte“, verteidigt sich Petra. Halbherzig habe sie sich vor der Abgabe noch einmal die Arbeit durchgelesen, um ein paar Formulierungen zu ändern, weil sie „ein bisschen paranoid geworden“ sei. „Ich habe schon irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil es mir extrem peinlich wäre, ertappt zu werden, obwohl das ja gar nicht möglich ist“, sagt Petra.

SANKTIONEN. „Sollten die Studierenden während des Studiums erwischt werden, gilt das als klassische Leistungserschleichung“, sagt Manfred Novak vom Institut für Universitätsrecht in Linz. Die Konsequenzen waren in den letzten Jahren relativ milde. Denn es wurde lediglich ein Prüfungsantritt oder ein Abgabetermin gestrichen. Die Arbeit musste also noch einmal geschrieben werden. Das Bewusstsein, dass sich viele Akademiker*innen ihren Titel nicht ehrlich erarbeiten, sei in den letzten Jahren gestiegen und daher wurde im Jänner eine Gesetzesnovelle verabschiedet, die zusätzliche Sanktionen erlaubt. „Die Gesetzesnovelle besagt, dass bei Vortäuschen von geistigem Wissen oder schwerwiegendem Plagiieren – darunter fällt auch Ghostwriting – von den jeweiligen Universitäten ein Ausschluss vom Studium von bis zu zwei Semestern verhängt werden kann“, sagt Novak. Das schließe alle Arbeiten, die während des Studiums verfasst werden müssen, mit ein. Das seien schon sehr drastische Maßnahmen, erklärt Novak, zumal die zeitliche Verzögerung auch zu einem Verlust von Studienbeihilfe und Stipendien führen könne. „Wenn der akademische Grad bereits geführt wird, dann wird er aberkannt und es droht eine Verwaltungsstrafe von bis zu 15.000 Euro“, erläutert Novak. Laut ihm gibt es insgesamt zwischen 5.000 bis 6.000 gefälschte Doktor*innentitel in Österreich.

„Natürlich ist es sehr schwer den Studierenden nachzuweisen, dass sie die Arbeiten nicht selbst verfasst haben“, sagt Nicole Föger von der Agentur für wissenschaftliche Integrität. Sie stellt sich die Frage, was ein wissenschaftlicher Titel überhaupt noch Wert ist, wenn vermeintliche Leistungen gekauft werden. „Die Karriere beruht dann auf einer oder mehreren Arbeiten, die man nicht selbst geschrieben hat. Das ist Betrug, zumal die Studierenden unterschreiben, dass sie die Arbeiten selbst verfasst haben“, sagt Föger.

Die Gründe, aus denen Studierende eine*n Ghostwriter*in engagieren, seien vielfältig. „Ich denke, dass in manchen Studienrichtungen die Masterarbeiten als nicht so wichtig angesehen werden und die Studierenden nicht das Bewusstsein haben, dass dies der Abschluss des Studiums ist. Sie wollen es nur schnell hinter sich bringen“, sagt Föger. Sie sieht auch Versagensängste als Motiv. Die Universität Graz versuche dem mit Projekten wie „Die Nacht der unvollendeten Arbeiten“ entgegenzuwirken. „Viele Studierende haben Angst vor dem leeren Blatt. Sie bekommen dort die Gelegenheit, gemeinsam mit anderen Studienkolleg*innen zu schreiben. Außerdem wird auch eine psychische Unterstützung angeboten, um eventuelle Schreibblockaden lösen zu können“, sagt Föger. Die Universitäten würden also das Problem des Ghostwritings erkennen und versuchen, ihm entgegenzuwirken und den Studierenden Unterstützung zu bieten.

„Auch die Agentur für wissenschaftliche Integrität versucht mit Vorträgen im Sinne des guten wissenschaftlichen Arbeitens Bewusstseinsbildung zu betreiben. Dabei sprechen wir auch das Ghostwriting an“, sagt Föger. Das Augenmerk liege darauf, den Studierenden die Bedeutung der Arbeiten nahe zu legen. „Die Abschlussarbeiten sollen nicht als etwas gesehen werden, das halt noch gemacht werden muss. Es kann auch Spaß machen, selbst ein Thema und eine*n Betreuer*in auszuwählen und dann in der schriftlichen Arbeit zu zeigen, was in den letzten Jahren gelernt wurde“, sagt Föger.

Wenn man sich das Ausmaß des Ghostwritings in Österreich ansieht, dürften die Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung und die Androhung schärferer Sanktionen noch nicht wirklich im titelverliebten Österreich gegriffen haben.

* Namen von der Redaktion geändert

 

Julia Beirer studiert Journalismus und Neue Medien an der FH der Wirtschaftskammer Wien. 

 

Al-Qaida, ISIS, Antifa?

  • 11.05.2015, 08:00

Auch die diesjährigen Proteste gegen den Akademikerball haben eine Reihe an Ermittlungen gegen AntifaschistInnen nach sich gezogen. Aufgefahren wird mit allem, was das Strafrecht so zu bieten hat. Nun steht sogar der Vorwurf der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ im Raum.

Auch die diesjährigen Proteste gegen den Akademikerball haben eine Reihe an Ermittlungen gegen AntifaschistInnen nach sich gezogen. Aufgefahren wird mit allem, was das Strafrecht so zu bieten hat. Nun steht sogar der Vorwurf der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ im Raum. 

Derzeit ermittelt die Wiener Polizei gegen elf Personen und noch weitere Unbekannte im Umkreis der diesjährigen Proteste gegen den Akademikerball in der Wiener Hofburg. Unter anderem wird wegen Nötigung, gefährlicher Drohung, Landzwang und Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Vorwürfe, mit denen zum Teil auch schon in den vergangenen Jahren versucht wurde, gegen antifaschistische und zivilgesellschaftliche Proteste vorzugehen. Nun wird auch noch wegen des Vorwurfs der Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ (§ 278b StGB) gegen AktivistInnen des ehemaligen NoWKR-Bündnisses ermittelt, bestätigt Nina Bussek von der StaatsanwältInnenschaft Wien entgegen anderslautender Berichte in letzter Zeit. Und das alles, obwohl sich das Bündnis kurz nach den vergangenen Protesten aufgelöst hat, unter anderem, um sich neuen politischen Projekten zuzuwenden.

Sollte es tatsächlich zu einer Anklage und in Folge zu einer Verurteilung kommen, könnte das Strafmaß bis zu zehn Jahre Haft betragen. Von BeobachterInnen, ExpertInnen und Beteiligten werden die Ermittlungen heftig kritisiert – es werde versucht, antifaschistischen Protest mit Maß- nahmen des Strafrechts mundtot zu machen.

SCHWERE GESCHÜTZE. Die Pressesprecherin von NoWKR, Elisabeth Litwak, zeigt sich schockiert über die Ermittlungen wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung: „Wir haben Demonstrationen und Vortragsreihen organisiert. Wenn so etwas in Österreich unter Terrorismus fällt, wäre das fatal für alle künftigen Proteste. Der Terrorismusparagraph wird sonst gegen den Islamischen Staat (IS) und Al-Qaida eingesetzt.“ In den letzten Jahren hätte die Intensität der Strafverfolgungen gegen antifaschistische oder zivilgesellschaftliche Proteste zugenommen: „Diese Ermittlungen sind eine ganz neue Stufe“, erklärt Litwak. Von der Wiener Polizei sind die AktivistInnen von NoWKR diesbezüglich bisher weder kontaktiert noch einvernommen worden. NoWKR hat, wie viele andere Gruppierungen in der Vergangenheit, auf den Akademikerball aufmerksam gemacht und Proteste dagegen organisiert.

Zur Erinnerung: Auf dem jährlichen Akademikerball treffen sich Persönlichkeiten der nationalen und europäischen rechten bis rechtsextremen Gruppierungen in der Wiener Hofburg, um das Tanzbein zu schwingen. Die Gegendemonstrationen führten teils zu heftigen Polizeieinsätzen und zu umstrittenen Anzeigen und Gerichtsverfahren. Bernhard Lahner vom Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung (BV) sieht das Vorgehen gegen Anti- faschist_innen kritisch. „Antifaschistischer Protest muss ein wesentliches Element im politischen Engagement der Studierenden sein. Es ist fatal dieses Engagement durch Kriminalisierung im Keim zu ersticken. Faschismus darf durch Schweigen nicht salonfähig gemacht werden.“

Letztes Jahr etwa musste der Student Josef S. aus Jena gut sechs Monate lang in Untersuchungshaft sitzen. Angezeigt und schließlich auch verurteilt wurde er unter anderem wegen des sogenannten Landfriedensbruchsparagraphen. Dieser Prozess wurde nicht nur von deutschen Medien heftig kritisiert, sondern auch von Verfassungsjuristin Brigitte Hornyik, die ihn beobachtet hat. „Da wurde der ganze Rechtsstaat gewissermaßen mit Füßen getreten. Ein Mensch wurde aufgrund von ganz schwammigen Vorwürfen festgehalten und vorverurteilt“, so Hornyik. An dem Prozess ist ihr besonders die seltsame Beweisführung durch das Gericht sauer aufgestoßen, das sich sein Urteil im Wesentlichen auf die Aussage eines Polizisten bezog, der sich noch dazu in Widersprüche verstrickt hatte.

KRIMINALISIERUNG. Nach den aktuellen Ermittlungen wegen § 278b gefragt, findet die Verfassungsjuristin Hornyik sehr schnell deutliche Worte: „Das ist eine Frechheit. Damit soll Antifaschismus wieder einmal kriminalisiert werden. Dabei lässt man offenbar kein Mittel aus, wie diese Ermittlungen zeigen.“ Für Hornyik ist das eine strafrechtliche Keule, die in diesem Fall offenbar dazu diene, auf eine ganze Bewegung zu prügeln. Sie hofft, dass die Ermittlungen bald wieder eingestellt werden. Dennoch empfindet sie alleine die Verdächtigungen als politisch sehr beunruhigend. Sie vermutet außerdem, dass ein solcher Umgang mit diesen Protesten an der mangelnden Aufarbeitung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Österreich und der immer noch stark verbreiteten autoritären Gesinnung liege.

Der Strafrechtsexperte Georg Bürstmayr schlägt in eine ähnliche Kerbe und hält die Anwendung des Terrorparagraphen 278b in diesem Fall für völlig überzogen. Der Paragraph sei nach den Anschlägen von 2001 für Fälle gedacht gewesen in denen es um „eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung oder Schädigung des öffentlichen Lebens bzw. des Wirtschaftslebens“ gehe. „Mit dieser Bestimmung muss sehr bedächtig umgegangen werden. Man kann sie nicht einfach wahllos, missliebig gegen kritische Gruppierungen anwenden“, so Bürstmayr.

ANGST? Über den aktuellen Stand der Ermittlungen geben sowohl StaatsanwältInnenschaft als auch Polizei keine Auskunft, auch nicht wie lange die Ermittlungen dauern könnten. Für die Verdächtigten von NoWKR, aber auch jene (AntifaschistInnen), gegen die wegen anderer Delikte ermittelt wird, heißt es also vorerst abwarten und hoffen. Galt noch im letzten Jahr unter anderem rund um den Prozess gegen Josef S. die Anwendung des bis dahin für totes Recht gehaltenen Paragraphen Landfriedensbruch als äußerst umstritten, so kommt nun der Paragraph „Landzwang“ (§ 275 StGB) zu einem sehr fragwürdigen Einsatz. Dieser Paragraph bestraft das Drohen mit schweren Angriffen gegen einen großen Personenkreis. Auf Anfrage des progress hat das Justizministerium mitgeteilt, dass dieser Paragraph in den letzten 39 Jahren zu insgesamt 18 Verurteilungen geführt hat, also äußerst selten angewandt wird.

Danach gefragt, was sie AntifaschistInnen raten würde, die sich zunehmend eingeschüchtert fühlen, meint Litwak: „Aus Angst auf Protestformen zu verzichten ist weder angemessen noch hilfreich, vielmehr ist es genau das, worauf die Repression abzielt. Wichtig ist es, überlegt und gut vorbereitet zu sein. Niemand muss sich der Repression alleine stellen.” Für Lahner tut sich hier aber ein Problem auf: „Da es die linke ,Organisation‘ in Österreich nicht gibt, ist es oft schwierig, dass unterschiedliche Gruppierungen in allen Punkten miteinander können. Es sollte aber vor allem in Bezug auf Antifaschismus Konsens herrschen und ein gemeinsames Vorgehen das Ziel sein. Unterstützung gegen Repression muss für linke Organisationen selbstverständlich sein.“

 

Georg Sattelberger studiert Internationale Entwicklung und Lehramt Englisch und Geschichte an der Universität Wien. 

 

Alles Böse ist autistisch

  • 11.05.2015, 08:00

Behinderte auf Basis fehlender oder unzureichend vorhandener Fähigkeiten abzuwerten wird als Ableismus bezeichnet. Im Journalismus ist es inzwischen gängiges Stilmittel geworden, den Begriff des Autismus für alles zu verwenden, was irgendwie negativ besetzt werden soll – auf Kosten der AutistInnen.

Klarstellung:
In der Ausgabe 03/15 haben wir einen Kommentar über Autismus der Autorin Marlies Hübner veröffentlicht. Wir haben am letzten Tag der Produktion, also einen Tag vor Drucklegung entschlossen, den Begriff "seelische Behinderung" durch den Begriff "geistige Behinderung" zu ersetzen. Wir gingen dabei davon aus, dass beide Begriffe synonym verwendet würden und der Begriff "seelische Behinderung" sich auf den christlichen Begriff der "Seele" beziehen würden, weshalb wir den Begriff "geistige Behinderung" für korrekter hielten. Über den Behinderungsbegriff und seine Definitionen lässt sich allgemein streiten – eins sollte dabei jedoch nicht getan werden: Betroffenen die Definitionsmacht über die Begriffe nehmen, mit denen sie sich selbst bezeichnen wollen.
Das haben wir jedoch getan und möchten uns dafür entschuldigen. Zumindest in der Online-Version haben wir den Begriff wieder geändert.

Viele werden sich fragen, warum solche Änderungen nicht mehr mit Autor_innen abgesprochen werden. Die Antwort ist einfach: Wir arbeiten zu dritt ehrenamtlich (mit geringer Aufwandsentschädigung) am Print-progress und verbringen bei der Produktion ein Wochenende mit Lektorieren, wobei wir von zwei Lektorinnen unterstützt werden. Natürlich verstehen wir, dass Autor_innen am liebsten über jedes Wort und jedes Komma mit uns diskutieren wollen würden – das ist rein zeitlich aber leider nicht drin. Weshalb es dann vorkommen kann, dass wir Sätze kürzen, Leads ändern, neue Überschriften erfinden oder eben auch Wörter ändern, ohne nochmal nachzufragen. Diese letzten Entscheidungen zu treffen ist auch ein Teil unserer Job-Description. Dabei passieren Fehler, und für diesen Fehler möchten wir uns entschuldigen.

Wir werden darüber nachdenken, wie bei heikleren Themen, bei denen wir es als unsere Aufgabe ansehen, Betroffene zu Wort kommen zu lassen, die Produktionsabläufe so gestalten können, dass solche Situationen nicht mehr entstehen.

die progress-Redaktion

 

Behinderte auf Basis fehlender oder unzureichend vorhandener Fähigkeiten abzuwerten wird als Ableismus bezeichnet. Im Journalismus ist es inzwischen gängiges Stilmittel geworden, den Begriff des Autismus für alles zu verwenden, was irgendwie negativ besetzt werden soll – auf Kosten der AutistInnen. 

Die deutsche Sprache verfügt, so schätzen WissenschaftlerInnen, über rund 5,3 Millionen Wörter – Tendenz steigend. Etwa 200.000 der regelmäßig genutzten Wörter sind im „Großen Wörterbuch der deutschen Sprache“ erfasst. Die meisten professionellen SchreiberInnen besitzen dieses Buch, eventuell auch ein Konkurrenzprodukt. Und doch fällt es gerade Menschen, deren Beruf der Umgang mit unserer Sprache ist, schwer, sich in eben dieser souverän, elegant und treffend auszudrücken.

Immerhin: Viele sprachliche Fehltritte, die vor Jahren noch gängig waren, verschwinden nach und nach aus unserem Sprachgebrauch. Wäre da nur nicht diese kleine Gruppe Menschen, die von dieser Entwicklung in den Mainstreammedien bisher vollständig ausgenommen ist: die AutistInnen. Ihre Neurodiversität, also ihre angeborene Entwicklungsstörung, wird zunehmend zu einem schicken, intellektuell klingenden Modewort für alles Negative.

SHELDON, MONK UND SHERLOCK? Autismus ist eine seelische, eine „unsichtbare“ Behinderung, deren Symptome erstmals 1938 vom österreichischen Kinderarzt Hans Asperger beschrieben wurden und die bis heute vergleichsweise unbekannt sind. Der Autismus wird inzwischen als großes Spektrum gesehen, das von leichten Auffälligkeiten bis hin zur schweren geistigen Behinderung reichen kann. Eine quasi kaum überschaubare Vielfalt an Ausprägungen und Persönlichkeiten also, von denen keine der anderen gleicht – ein Punkt, der es so schwer macht, Autismus abseits der reinen Diagnosekriterien zu verstehen. Gerade im Fall von AutistInnen, die man vor der Einführung des Autismusspektrums als Asperger-AutistInnen kategorisierte, bleiben Symptome oft unbemerkt, wenn sie sich nicht selbst outen. Sie werden meist als sehr verschlossen, einzelgängerisch, analytisch denkend und eher humorlos wahrgenommen. Dieser einseitige Blick von außen kann nicht widerspiegeln, was Autismus ist und wer AutistInnen sind. An sie werden oft Ansprüche gestellt, die sie aufgrund ihrer Einschränkungen nicht erfüllen können, was auf längere Sicht Frustration, Neigung zu Depression, erhöhte Arbeitslosigkeit und soziale Isolation verursacht.

ONANIERENDE VOLKSSCHULKINDER. Inzwischen vergeht trotz fehlendem Bewusstsein darüber, was Autismus überhaupt ist, kaum eine Woche, in der sich nicht in einen Zeitungsartikel das Schlagwort „autistisch“ einschleicht. Ende März forderte die mit Plagiatsvorwürfen ins Gerede gekommene Helene Hegemann im Feuilleton der FAZ einen neuen, „autistischen“ Persönlichkeitstypus, einen selbstlosen Übermenschen, der die Gesellschaft vor sich selbst rette: „Bei dieser neuen, glorifizierten Form von Autismus handelt es sich nicht um unberechenbare Asperger-Kids, die schon im Vorschulalter masturbierend am Kronleuchter hängen.“

Nun gut, Frau Hegemann, wir AutistInnen sind hier. Aber warum sollen wir eine Gesellschaft retten, die uns als Synonym für Ichbezogenheit, Isolati-
on, Egozentrik, Rücksichtslosigkeit und Ähnliches verwendet? Lassen wir die verstörenden sexualisierten Vorschulkinder weg, bleiben nur noch eine Handvoll Worte in Hegemanns Text. Diese ergeben zwar keinen Sinn, werfen aber ein recht merkwürdiges Licht auf AutistInnen. Eigentlich will Hegemann in ihrem Feuilleton-Beitrag nur ein bisschen jammern, weil man während der Plagiatskontroverse vermeintlich so schlecht mit ihr umging. Und das direkt zu tun, gehört sich ja nicht. Aber Ableismus, nun, das kann man schon mal machen.

WENN BABY DIE WÄSCHE MACHT. Im Februar ließ sich die Geschlechtsverkehrs-Spezialistin Paula Lambert in ihrer Sex- und Beziehungskolumne im Testosteronblättchen GQ darüber aus, dass ihr Protagonist Claus nun in einer festen Beziehung sei. Was sie nicht sonderlich zu freuen schien: „Claus hat eine intensive Phase des sozialen Autismus durchlebt, wie so viele Männer, die plötzlich eine Frau kennenlernen, die ihnen die Wäsche macht.“ Man stutzt kurz, fragt sich, wie so ein sozialer Autismus denn aussieht und ob es Autismus auslösen kann, jemandem die Wäsche zu machen. Dann merkt man, dass Frau Lambert lediglich sagen wollte, dass Claus sich in so einer Beziehung sehr wohl fühlt und die „Fürsorge“ seiner Partnerin ohne Gewissensbisse genießt. Das kann die Autorin nicht gutheißen, also muss sie es abwerten. Warum jedoch AutistInnen den Kopf für etwas herhalten müssen, was Frau Lambert doof findet, verschweigt sie uns leider.

EIN DEPP OHNE SEXUALITÄT. Besonders geschmacklos zeigte sich der Kabarettist Max Uthoff bei einer Rede gegen Mügida (den Münchner Ableger von Pegida), in der er verlauten ließ: „Was ist ein patriotischer Europäer? Ein Autist im Swingerclub.“ Er fand diesen Spruch derart lustig, dass er ihn kurz darauf im ZDF wiederholte. AutistInnen konnten darüber aber weniger lachen. Ihre Sexualität ist immer wieder Ziel wilder Mutmaßungen. Dass Uthoff aber AutistInnen ihre Sexualität per se aberkennt und sie vor einem Millionenpublikum demütigt, ist ihm gleichgültig. Er erntet damit billige Lacher und schlägt behinderten Menschen damit grinsend ins Gesicht.

Die falsche Verwendung und negative Konnotation des Autismus-Begriffs schadet unmittelbar AutistInnen, die nun nicht mehr wagen, über ihren Autismus zu sprechen. Doch genau das ist notwendig, um die Hilfe zu erhalten, die sie benötigen. Autismus ist weder Erkrankung noch Impfschaden oder von mangelnder Liebe oder falscher Ernährung verursachter Zustand. Und ganz sicher kein schlechter Witz, den drittklassige Schreiberlinge immer dann herbeizaubern können, wenn das eigene fachliche Unvermögen nichts mehr hergibt.

 

Marlies Hübner ist Autorin und erhielt mit Mitte 20 ihre Autismus-Diagnose. Seitdem setzt sie sich gegen Ableismus und für die Akzeptanz von AutistInnen ein und schreibt darüber unter anderem als Mitglied der Redaktion für N#mmer und auf robotinabox.de.

 

Austria, zero points

  • 11.05.2015, 08:00

Undurchschaubare Vergabe, Probleme bei der Anrechnung, gesunkene Mobilität und imaginäre Workloads – die Bologna-Reform hat versagt. Mitschuld sind die ECTS-Punkte.

Undurchschaubare Vergabe, Probleme bei der Anrechnung, gesunkene Mobilität und imaginäre Workloads – die Bologna-Reform hat versagt. Mitschuld sind die ECTS-Punkte. 

„Wie viele ECTS hast du dieses Semester gemacht?“ Diese Frage ist zu einem fixen Bestandteil studentischen Smalltalks avanciert. Je nach Antwort kann ein wohliges Gefühl der Wärme und Selbstzufriedenheit oder aber abgrundtiefe Scham aufkommen. Das „European Credit Transfer and Accumulation System“, besser bekannt als ECTS, weist jedem Lernziel eine bestimmte Anzahl an Credits zu. Es soll sicherstellen, dass die Leistungen von Studierenden an Hochschulen des europäischen Hochschulraums vergleichbar sind.

Offiziell steht ein ECTS-Punkt – zumindest in Österreich – für etwa 25 Stunden Arbeit. Doch wie viele Stunden braucht es, um die einzigartige Ästhetik der Werke Frida Kahlos gebührend zu erfassen? Wann hat man die kritische Theorie und das Wirken der Frankfurter Schule tatsächlich begriffen? Und wie viel Zeit verstreicht, bis das physikalische Phänomen der Zeitdehnung wirklich durchschaut ist? Unmöglich, das allgemein zu definieren? Tja. Über solche Widersprüche setzt sich das ECTS-System hinweg: Wichtig ist es zu zählen, zu messen und zu vergleichen.

Etwa 9.000 Credits vor unserer Zeit, also im Europa des Jahres 1989, wurde die Einführung des ECTS
im Rahmen eines EU-Projektes erstmals erprobt. Die Semesterwochenstunden, die nur die Dauer der Lehrveranstaltung gemessen haben, waren damit Geschichte. ECTS-Punkte sollten von nun an – zumindest in der Theorie – den tatsächlichen Arbeitsaufwand der Studierenden messen. Nicht nur das Sitzen in der Vorlesung oder im Seminar ist also relevant, auch Selbststudium, die Vorbereitung von Referaten und das Büffeln für die Prüfung werden so angeblich eingerechnet.

NOTHING COMPARES TO YOU. In der Praxis bestimmen die Curricularkommissionen über die korrekte Anzahl der ECTS-Punkte – im Idealfall in enger Abstimmung mit den verantwortlichen Lehrenden und den betroffenen Studierenden. Mathias, der lieber anonym bleiben möchte, ist Teil einer solchen Kommission und erzählt, dass es mit den Punkten oft nicht so genau genommen wird: „Als unser Studienplan überarbeitet wurde, wollten natürlich möglichst viele Institute in den Pflichtlehrveranstaltungen vertreten sein. Da geht es dann oft auch um finanzielle Überlegungen. Damit sich die eine Vorlesung für das eine Institut noch ausging, hat man bei der anderen Lehrveranstaltung halt noch einen ECTS-Punkt abgezwackt. Das Arbeitspensum für die Studierenden blieb aber bei der gekürzten Lehrveranstaltung im Endeffekt gleich. Dem Lehrenden war es wurscht. Der wollte einfach sein Programm durchziehen.“

Im Universitätsgesetz ist festgelegt, dass das Arbeitspensum eines Studienjahres 1.500 Stunden betragen muss. Umgerechnet sollen Studierende also etwa sechs Stunden pro Arbeitstag für das Studium aufwenden, um in Mindeststudiendauer abzuschließen – auch in der vorlesungsfreien Zeit. Diesem jährlichen Idealpensum, das für berufstätige Studierende ohnehin illusorisch ist, werden 60 ECTS-Punkte zugeteilt. Dass 25 Arbeitsstunden für einen Punkt aufgebracht werden müssen, ist aber nicht überall so. Obwohl das System der internationalen Vergleichbarkeit dienen soll, müssen Studierende für den Erwerb eines Leistungspunktes in den 49 Bologna-Staaten unterschiedlich viele Stunden aufwenden. In Deutschland sind es beispielsweise 30 Stunden, in Portugal oder Dänemark 28 Stunden, in Finnland 27 Stunden, in Estland 26 Stunden und in Österreich oder Spanien nur 25 Stunden. Für ein gleichwertiges Bachelorstudium mit 180 ECTS-Punkten müssen Studierende in Österreich also rein formell 900 Stunden weniger aufbringen als Studierende in Deutschland.

(c) Natali Glišić

Doch selbst innerhalb Österreichs gibt es trotz formaler Gleichrangigkeit erhebliche Unterschiede in der durchschnittlichen Studiendauer. So brauchen Studierende der Lebensmittel- und Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur (BOKU) durchschnittlich 8,3 Semester bis zum Bachelorabschluss, Studierende der Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Klagenfurt durchschnittlich 6,1 Semester. Beide Studien werden mit 180 ECTS – also dem selben Zeitaufwand – bewertet. Ein solch eklatanter Unterschied dürfte in der streng genormten ECTS- Welt gar nicht auftreten. Tatsächlich bestehen jedoch zwischen den kalkulierten Zeiteinheiten und den real aufgewendeten Zeiten erhebliche Unterschiede.

Ein einigermaßen absurdes Beispiel liefert die interuniversitäre Wiener Ringvorlesung „Sustainability Challenge“ im aktuellen Sommersemester 2015. Während Studierende der Wirtschaftsuniversität, der Technischen Universität und BOKU nach erfolgreichem Bestehen vier ECTS-Punkte erhalten, dürfen sich Studierende der Universität Wien bei gleichen Anforderungen über zehn Punkte freuen. Der ungerechtfertigte Unterschied entspricht einem Zeitraum, in dem man sich zweimal hintereinander alle 208 Folgen „How I Met Your Mother“ oder dreizehnmal alle extended Versions der „Herr der Ringe“-Trilogie reinziehen kann.

Beispiele für eine nicht nachvollziehbare Zuteilung von ECTS-Punkten gibt es viele: So berichtet Andreas Thaler, dass er für eine Vorlesung mit drei Punkten insgesamt überhaupt nur eine Stunde aufgewendet habe. Janine, die ihren vollen Namen lieber nicht nennen möchte, beschwert sich, dass ihr für eine Übung mit verpflichtenden Präsenzterminen, Seminararbeit und Referat nur zwei ECTS-Punkte gutgeschrieben wurden. Beide studieren Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der BOKU. Selbst innerhalb der einzelnen Studienrichtungen ist es also mit der Vergleichbarkeit des tatsächlichen Workloads nicht weit her.

BOULEVARD OF BROKEN DREAMS. Brisant wird die durchwegs verschieden interpretierte Vergabe von ECTS-Punkten spätestens, wenn es um den Anspruch auf Familienbeihilfe, Studienbeihilfe und Mitversicherung geht. Denn dazu muss jeweils eine Mindestanzahl an Credits nachgewiesen werden. Für ausländische Studierende geht es beim semesterlichen Punktesammeln gar um die Aufenthaltsgenehmigung in Österreich. Soll diese verlängert werden, müssen 16 ECTS vorgelegt werden. Wird dieses Pensum nicht erreicht, droht die Abschiebung.

Auch Studierende, die ein Doppelstudium betreiben, müssen bei ihrer Semesterplanung mit den ECTS- Punkten jonglieren. Durch zwei Studien kommen sie häufig über die Mindeststudiendauer hinaus und müssen Studiengebühren entrichten. Damit sie für ihr Interesse an zwei Fachgebieten nicht bestraft werden, refundiert das Wissenschaftsministerium die Gebühren. Vorausgesetzt es werden pro Studium 15 Punkte im Semester absolviert. Ein bürokratisch ohnehin schon aufwendiges Doppelstudium wird durch diese Vorgabe zusätzlich erschwert. Noch-WU- Rektor Christoph Badelt überlegt gar „Prüfungsinaktive“, also Studierende, die unter 16 Punkte im Semester absolvieren, von der Uni zu schmeißen. Angesichts solcher willkürlichen Regelungen, die nur wenig Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse nehmen und deren Nichteinhaltung massiv sanktioniert wird, verwundert eines nicht: In vielen Studierendenforen gibt es dutzende Threads über ECTS-Punkte, die sich möglichst leicht verdienen lassen.

(c) Natali Glišić

CAN’T GET NO SATISFACTION. Eines der großen Ziele des Bologna-Prozesses war es, die Mobilität der Studierenden zu fördern. Sie sollten es leichter haben, Erfahrungen im Ausland zu sammeln, aber auch im eigenen Land zwischen den Hochschulen zu wechseln. Kehrt man aus dem Auslandssemester in Reykjavík, Zagreb oder Edinburgh an die eigene Uni zurück, sollten die erbrachten Leistungen durch das einheitliche Punktesystem theoretisch ganz einfach an der Heimatuni angerechnet werden. In Wahrheit ziehen jedoch viele nach dem Erasmus-Aufenthalt ein eher nüchternes Resümee. Laut letzter Studierendensozialerhebung haben etwa 26 Prozent der Studierenden Probleme bei der Anrechnung ausländischer Zeugnisse.

Die Mühlen der Uni-Bürokratie hat auch Rita Korunka durchlaufen müssen. Im Zuge ihres Masterstudiums der Politikwissenschaft an der Universität Wien hat sie 2013 über das Erasmus-Programm ein Semester in Kopenhagen verbracht. Ganz wie vorgesehen hat Rita ein „Learning Agreement“ abgeschlossen. Darin wird festgehalten, welche Kurse an der Gastuni besucht werden. Außerdem kann man so vereinbaren, welche Kurse zuhause angerechnet werden. „Von den 42 ECTS, die ich in Kopenhagen absolviert habe, wurden mir gerade mal zehn angerechnet“, sagt Rita. Die zuständige Person am Institut habe die Anrechnung verweigert, weil Rita in Kopenhagen für zwei Seminare nur ein „absolviert“ statt einer Note bekommen hat. Ein Sprachkurs, den Rita in Kopenhagen besucht hat und der im Learning Agreement stand, wurde genauso wenig anerkannt. „Das Learning Agreement wird nicht ernst genommen. Im Endeffekt hängt es von den einzelnen Erasmus-BetreuerInnen ab, welche Leistungen du angerechnet bekommst.“

Dass ein Semester im Ausland seine Tücken hat, hat sich anscheinend herumgesprochen. In den hübsch aufgemachten Mobilitätsstatistiken zur viel beschworenen internationalen Mobilität werden die Balken, die die Erasmus-AbenteurerInnen repräsentieren, zwar jedes Jahr höher. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich jedoch, dass der relative Anteil – gemessen an der Gesammstudierendenzahl – seit 2009 wieder rückläufig ist. So bleiben jedes Jahr hunderte Erasmus-Plätze frei.

Konstanze Fliedl, Professorin für Germanistik an der Universität Wien, konstatiert im Aufsatz „Entrüstung in Bolognien: Zur Hochschul- und Studienreform“ (siehe Lesetipp), dass das Vorhaben der gesteigerten Mobilität durch Bologna gescheitert sei. Ganz im Gegenteil zu ihren hochgesteckten Zielen habe die Bologna-Reform durch die straffen Studienpläne und die Anrechnungsprobleme mehr Mobilitätshindernisse geschaffen.

Doch nicht nur bei der Anrechnung über Grenzen hinweg liegt vieles im Argen. Felix, der lieber anonym bleiben will, gelang es etwa erst mit Hilfe der Rechtsmeinung einer Juristin, seine Uni von der Rechtmäßigkeit seiner Anrechnung zu „überzeugen“. Die Studienabteilung wollte pauschal eine Lehrveranstaltung nicht anrechnen, weil sie Teil der Studieneingangsphase ist. Warum die Grundlagen der Mikroökonomie an der BOKU anderen Gesetzen folgen sollte als die Einführung in die Volkswirtschaftslehre an der JKU Linz konnte nicht begründet werden. Dabei hatte Felix sogar den Lehrenden auf seiner Seite, der meinte, dass es wohl sinnlos wäre, dasselbe nochmal zu lernen.

Was durch die ECTS-Punkte einfacher und einheitlicher funktionieren soll, entscheiden also erst recht wieder einzelne Hochschulen und verantwortliche Personen nach eigenem Gutdünken.

(c) Natali Glišić

LOSING MY RELIGION. Doch selbst wenn das System einwandfrei funktionieren würde, wenn sämtlicher Aufwand für die Studierenden punktgenau, individuell und leistungsgerecht abgebildet werden könnte, wenn Anrechnungen so gut funktionieren würden, wie es die Theorie vorsieht, selbst dann bleibt ein massiver Kritikpunkt am ECTS-System. Und zwar jener, der sich gegen die Messbarkeit und Vergleichbarkeit, schlussendlich gegen die Warenförmigkeit von Bildung an sich richtet.

Ungewohnt scharfe Worte kommen dabei von jemandem, der mit dem Bologna-System bestens vertraut ist. So nennt der ehemalige Wissenschaftsminister und ÖVP-Wissenschaftssprecher Karlheinz Töchterle in einem Gastkommentar in Die Zeit die Entwicklungen rund um die ECTS-Punkte einen „Wahnsinn, dem da ganz Europa anheimfällt“. Er spricht von der „Untauglichkeit der Messung“ durch die „Währung“ ECTS-Punkte. „Die einem Thema gewidmete Zeit sagt wenig über den damit verbundenen Studienerfolg aus. Relevant ist der Grad des Könnens und Wissens, aber nicht, wie viel Zeit man dafür verwendet hat“, so Töchterle. Auf Nachfrage von progress präsentiert er ein Gegenkonzept: „Was am Ende des Studiums ge- konnt und gewusst werden soll, wird definiert – der Weg dahin bleibt den Studierenden frei überlassen. Man würde auf ein Großes und Ganzes hin studieren, nicht kleinste Portionen in sich hineinwürgen, um sie dann wieder vergessen zu dürfen.“

„Aber“, so schließt Töchterle gleich im Anschluss an, „das alles ist Utopie und scheint mir völlig unrealistisch, weshalb ich weder als Rektor noch als Minister eine Umsetzung versucht habe. Nicht einmal die Studierenden als Betroffene erwartete ich mir hier als Verbündete. Auch sie wollen eben gerne ‚abhaken‘.“ Er spricht damit ein grundsätzliches Dilemma an, das auch Konstanze Fliedl beschreibt: „Nach einer Phase der geduldig vorgetragenen Einwände oder des ungehaltenen Protests setzt die Resignation ein. Und, vor allem: das Mitmachen. Die Bologna-Reform und zahlreiche Studienreformen haben sich als eine gallertartige Masse herausgestellt, in die wir versunken sind.“

ANOTHER BRICK IN THE WALL. Und in dieser haben sich auch viele Studierende scheinbar zurechtgefunden. Das ECTS-System ist zum Werkzeug der Fremd- und Selbstanalyse geworden und das ist in Zeiten der allgegenwärtigen Selbstvermessung, des ständigen Sammelns, Teilens und Vergleichens auch willkommen. Die vermeintlich neutralen Leistungs- punkte lassen nicht nur die Studierenden, sondern auch zukünftige ArbeitgeberInnen auf einen Blick erkennen, was ihr Gegenüber schon geleistet hat. Die Employability ist mit Bologna zur Priorität im Hoch- schulwesen geworden, gekrönt durch die imaginäre „Währung ECTS“.

Das Mitmachen und das wohlige Gefühl in der Masse scheint trotz mancher Kritik von Studierenden, Lehrenden, WissenschaflerInnen und selbst BildungsexpertInnen zu überwiegen. Ein erster subversiver Akt wäre vielleicht, die Frage „Wie viel ECTS hast du heuer gemacht?“ aus den Köpfen zu streichen und stattdessen zu fragen: „Was habe ich eigentlich gelernt?“

 

Rosanna Atzara und Klemens Herzog studieren Journalismus und Neue Medien an der FH Wien der Wirtschaftskammer Wien.

Lesetipp:

„Empörung! Besichtigung einer Kulturtechnik. Beiträge aus Literatur- und Sprachwissenschaft“. Herausgegeben von Alexandra Millner, Bernhard Oberreither, Wolfgang Straub. Wien, facultas Verlag, erscheint 2015. 

 

Mozart, Schnitzel, Haider

  • 11.05.2015, 08:00

Nach seinem Tod wurde Jörg Haider zum Mythos, an dem sich Österreich noch heute abarbeitet. Für ihren Film „Fang den Haider“ begab sich die belgische Filmemacherin Nathalie Borgers auf Spurensuche.

Nach seinem Tod wurde Jörg Haider zum Mythos, an dem sich Österreich noch heute abarbeitet. Für ihren Film „Fang den Haider“ begab sich die belgische Filmemacherin Nathalie Borgers auf Spurensuche. 

progress: Sie sind gebürtige Belgierin und kamen um 2000 nach Österreich. Zu diesem Zeitpunkt konnten Sie den Wahlerfolg der FPÖ unter Jörg Haider und die anschließende ÖVP-FPÖ-Koalition miterleben. Welchen Eindruck hatten Sie von Österreich?
Nathalie Borgers: Bevor ich nach Österreich gekommen war, hatte ich fünf Jahre in Amerika gelebt. Der Wechsel vom liberalen San Francisco zum konservativen Wien war für mich wie ein Schlag auf den Kopf. Ich habe mich damals erkundigt und erfahren, dass Österreich seine politische Vergangenheit nie aufgearbeitet hat. Und dann kommt so ein charismatischer Politiker wie Jörg Haider daher. Da hat man schon ein bisschen Angst.

Wie kommt es, dass einem verstorbenen Landeshauptmann eines kleinen Bundeslandes weit über die Landesgrenzen hinaus eine derartige Popularität zuteil wird?
Jörg Haider war seit der Mozartkugel die einzige Neuigkeit aus Österreich. Österreich ist ein Land, das sich über seine Vergangenheit verkauft. Und natürlich ist er wegen seiner unfassbaren Aussagen über das Dritte Reich international bekannt geworden.

13 Jahre nach Ihrem Österreichaufenthalt kehrten Sie zurück, um eine Doku aus einer Außenperspektive zu machen. Sie erwähnen, dass Sie Haider nie persönlich begegnen wollten. Warum?
Ein Porträt von Jörg Haider wäre schon im Jahr 2000 möglich gewesen, weil er gerade an die Macht gekommen war. Ich weiß nicht, ob ich mich damals wirklich distanzieren hätte können. Jörg Haider war eine energiegeladene, verführerische Persönlichkeit, der ich mich nicht annähern hätte wollen.

Mit wenigen Ausnahmen sind es vor allem Familienmitglieder, WegbegleiterInnen und VerehrerInnen, die im Film zu Wort kommen. War es schwer, auch kritische Stimmen zu finden?
Das war eine bewusste Entscheidung. Kritische Menschen, mit denen ich reden hätte können, hätte ich genug gefunden. Es gab aber natürlich auch Menschen, die das nicht wollten. Das waren aber keine KritikerInnen, sondern Opfer. Also Menschen, die von Jörg Haider in Zeitungen verleumdet worden waren und deren Ruf ruiniert wurde. Diese Menschen haben sich geweigert, mit mir zu sprechen. 

Jörg Haiders Eltern waren überzeugte Nazis – der Vater Mitglied in der NSDAP, die Mutter Führerin im Bund Deutscher Mädl. Welchen Einfluss hatte die Gesinnung seiner Eltern auf seine Persönlichkeit und seinen politischen Werdegang?
Seine Eltern fühlten sich nach dem Krieg ungerecht behandelt, weil sie das Entnazifizierungsprogramm durchmachen mussten. Und ich glaube, dass sie ihm dieses Gefühl von Ungerechtigkeit mitgegeben haben. Diesbezüglich hat er seine Eltern immer verteidigt und sich für die Bekämpfung der vermeintlichen Ungerechtigkeit eingesetzt.

Politisches erfährt man von den ProtagonistInnen wenig, Persönliches viel. Ich weiß jetzt, dass Haider seinen Apfelstrudel ohne Rosinen bevorzugte. Was konnten Sie über den Politiker Jörg Haider in Erfahrung bringen?
Sein Plan war: weniger Staat, mehr Platz für ihn selbst. Natürlich bräuchte der Staat dringend Reformen, aber Gewerkschaften und Kammern abzuschaffen, wie Haiders FPÖ das wollte, ist nicht der richtige Weg. Denn wer Stück für Stück den Staat abschaffen möchte, schafft auch die Demokratie ab. 

Ihre Recherchearbeit führte Sie auch in die Festzelte der Freiheitlichen. Auf einem Ulrichsberg-Treffen haben Sie sich ein wenig gefürchtet. Warum?
Ich habe sehr schnell bemerkt, dass auf solchen Treffen keine Menschen willkommen sind, die nicht dieselben Gedanken teilen. Das sind Menschen, die an etwas glauben, das ich für gefährlich halte. Dort herrschte eine feindliche Stimmung, die mich in Furcht versetzte.

Stefan Petzner nennen Sie den „Pressesprecher, der mit mir nicht spricht“. Aus welchen Gründen wollte er an einem Film über seinen selbst ernannten „Lebensmenschen“ nicht mitwirken?
Stefan Petzner ist nicht sehr medienscheu, darum war ich sehr überrascht, dass er mit mir nicht sprechen wollte. Ich glaube, er konnte mich und mein Filmprojekt einfach nicht richtig einordnen.

Sie haben auch das mittlerweile geschlossene Asylheim auf der Kärntner Saualm besucht – eine von jeglicher Infrastruktur abgeschottete „Sonderanstalt“ für AsylwerberInnen, die als „zu gefährlich für die Gesellschaft“ eingestuft wurden. Wie war es vor Ort?
Der Ort selbst ist wunderschön. Aber was nutzt einem eine schöne Landschaft, wenn man komplett abgekapselt ist? Die Hausbetreiberin hat mich durch das Heim geführt. Bei vielen ihrer Aussagen hatte ich Gänsehaut. Zum Beispiel meinte sie, dass man problematische Menschen entfernen müsse. Als Betreiberin dieses Hauses hat sie für die Unterbringung der AsylantInnen Geld bekommen und agierte möglichst kostensparend, indem sie nur verdorbenes Essen und kalte Duschen anbot.

In Ihrem Film haben Sie sich darauf konzentriert, das Leben von Jörg Haider nachzuzeichnen. Es heißt, zum Leben gehört auch immer der Tod. Die genauen Umstände seines Todes haben Sie aber nicht thematisiert. War das eine bewusste Entscheidung?
Wenn Sie mit dieser Frage auf die Verschwörungstheorien anspielen, muss ich sagen, dass das für mich nicht so interessant ist. Es betrifft nur einen kleinen Teil der Menschen, die wirklich an diese Verschwörungstheorien glauben. Ich glaube, er war einfach alkoholisiert und deswegen ist er mit seinem Auto ausgerutscht.

Am rechten Rand ausgerutscht, wie Sie in Ihrem Film kommentieren.
Genau.

Obwohl Jörg Haider das Bundesland Kärnten mit der Hypo Alpe Adria und den damit verbundenen Haftungen in zweistelliger Milliardenhöhe in den Ruin getrieben hat, wird er noch heute wie ein Heiliger verehrt. Der Unfallort in Lambichl ist Trauer- und Pilgerstätte.
Sehr vielen Menschen ist das alles einfach nicht bewusst. Die KärntnerInnen haben von ihm in einer Aktion einmal 100 Euro bekommen und nicht bemerkt, wie diese 100 Euro graduell wieder in Form von Steuern und Abgaben von ihrem Konto weggegangen sind. Sie müssten sich wirklich fragen, warum sie auf solche Sachen hereinfallen, aber das tun sie nicht.

Mit Jörg Haider stand Europa am Anfang eines Rechtspopulismus, der mittlerweile in vielen eu- ropäischen Ländern salonfähig geworden ist. Warum verfallen Menschen solchen PolitikerInnen?
Immer, wenn in der Gesellschaft große Unzufriedenheit mit dem aktuellen politischen System herrscht, kommt ein neuer Typ, der den Menschen erzählt, dass er alles retten wird. Und daran wollen die Menschen glauben. Ich denke, das ist ein sich wiederholender Zyklus.

Der Titel Ihres Filmes lautet „Fang den Haider“. Ist es Ihnen gelungen, Jörg Haider einzufangen?
Der Titel spielt darauf an, dass es gar nicht so einfach ist, ein Chamäleon wie Jörg Haider wirklich zu fangen. Ich denke, mir ist es gelungen, etwas vom System, aber nicht den Typ Jörg Haider einzufangen.

„Fang den Haider“
Regie: Nathalie Borgers
90 Minuten
ab 29. Mai im Kino

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz. 

 

Verteidigung gegen die dunklen Künste

  • 11.05.2015, 08:00

Was denkt eigentlich der zuständige Minister über die ÖH-Wahl? Wir haben bei Reinhold „Django“ Mitterlehner nachgefragt, was er von Koalitionspoker, Direktwahl und mehr Mitspracherechten hält.

Was denkt eigentlich der zuständige Minister über die ÖH-Wahl? Wir haben bei Reinhold „Django“ Mitterlehner nachgefragt, was er von Koalitionspoker, Direktwahl und mehr Mitspracherechten hält.

progress: Haben Sie ein Lieblingsplakat oder ein Lieblingsanliegen bei der ÖH-Wahl?
Reinhold Mitterlehner: Vielleicht nicht das Lieblingsplakat, aber diskutieren könnte man über ein rosarotes, wo draufsteht: „zu viele Ideen für ein Plakat“. Das erinnert mich ein wenig an die allgemeine Politik. Mein Lieblingsanliegen bei der ÖH-Wahl bezieht sich auf die Beteiligung. Ich hoffe, dass möglichst Viele von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen und dass wir mit dem neuen Wahlrecht auch wieder attraktive direkt-demokratische Mitgestaltungsmöglichkeiten haben.

Sind Sie vor der ÖH-Wahl gespannt, welche Koalition sich bildet? Oder ist im Ministerium sowieso business as usual, egal was die Studis sich da zusammenreimen?
Ja und Nein. Zu viel öffentliche Auseinandersetzung und Streiterei würde auch dem Ansehen der Körperschaft nicht gut tun. Ansonsten nehmen wir die jeweilige konkrete Zusammensetzung als Gegebenheit. Die letzte Konstellation hat schon gezeigt, dass es trotz vorheriger Vorbehalte und unterschiedlicher Auffassungen eine konstruktive sachliche Zusammenarbeit geben kann.

Sie sind in der ÖVP. Die ÖVP-Vorfeldorganisation Aktionsgemeinschaft „gewinnt“ meist die ÖH-Wahlen, ist aber seit 1995 nicht mehr in der Exekutive gewesen. Ist das demokratiepolitisch bedenklich?
Erstens einmal ist die Aktionsgemeinschaft keine Vorfeldorganisation, steht uns aber inhaltlich in vielen Punkten erfreulicherweise sehr nahe. Ich wünsche der AG viel Erfolg. Wenn der Erfolg da ist, dann sollte man auch an der Umsetzung beteiligt sein. Das ist durchaus ein demokratiepolitischer Anspruch, wenn sich verhandlungstechnisch etwas anderes ergibt, dann muss man aber auch das respektieren.

Auch heuer im Wahlkampf gibt es die Forderung, die ÖH solle weniger (Gesellschafts-)Politik betreiben und mehr Service anbieten. Soll die ÖH eine Beratungsstelle werden?
Die ÖH ist beides. Die gesetzliche Interessensvertretung aller Studierenden, aber vor Ort auch direkter Ansprechpartner, was Service betrifft. Wichtig wird sein, eine entsprechende Balance zu finden. Wer da die richtige Schwerpunktsetzung anbietet, das müssen die Studierenden dann selbst entscheiden.

Struktur, Aufgaben und Bedeutung der ÖH scheinen bei den Wähler_innen und vielleicht auch Politiker_innen noch nicht so wirklich angekommen zu sein. Seltsam, bei einer Organisation, die es länger gibt als ein freies Österreich. Wie kann das sein?
Ein Problem war sicher die unübersichtliche Struktur der Bundesvertretung, mit 100 Mitgliedern. Daher haben wir jetzt die Größe der Bundesvertretung auf 55 Personen verkleinert, dafür werden alle Mitglieder direkt durch die Studierenden gewählt. Je nach Hochschule wird die Qualität der ÖH von den Studierenden unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Grundsätzlich sollte man gerade auf Instituts- und Universitätsebene von der Beratung und den Serviceeinrichtungen der ÖH profitieren. Wenn diese Leistungen zu wenig bemerkt werden, sind die örtlichen Vertretungen gefordert, entweder aktiver zu werden oder ihre Leistungen besser sichtbar zu machen.

Die ÖH wird alle zwei Jahre neu gewählt – im Endeffekt bedeutet das, dass sie vielleicht ein Jahr effektiv arbeiten kann. Ist die Amtsperiode zu kurz?
Ich glaube, man kann damit leben. Man kann ja Erfahrungen an die nächste Vertretung weitergeben und auch die zur Verfügung stehende Zeit intensiv nutzen. Thema war das jedenfalls keines bei den letzten Verhandlungen um das neue Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz (HSG, Anm.). Durch die stärkere Mobilität der Studierenden, aber auch das Bologna-System halte ich die aktuelle Amtszeit für durchaus angemessen.

Die Durchschnittsstudienzeiten sind ja wesentlich länger als drei Jahre. Insofern könnte man die Amtsperiode doch verlängern, ohne Leute um ihre Partizipationsmöglichkeiten zu bringen.

Wie dem auch sei: Es treten heuer auch wieder Fraktionen zur Wahl an, deren Forderungen praktisch bedeuten würden, dass die ÖH sich selbst abschafft, zum Beispiel wenn sogenannte „Zwangsbeiträge“ beseitigt würden. Ist das nicht eigentümlich, wenn man zur Wahl einer Vertretung antritt, die man abschaffen möchte?
Grundsätzlich sind bei einer Wahl alle Forderungen erlaubt, sofern sie sich auf dem Boden des Rechtsstaates befinden. Das ist auch im aktuellen Fall gegeben. Es liegt natürlich an den Studierenden, eine Gruppierung zu wählen, die eine möglichst realistische und die Institution selbst stärkende Politik anbietet. Wenn jemand eine andere Meinung hat, ist natürlich auch die zu akzeptieren.

Momentan arbeiten in der ÖH Engagierte ehrenamtlich und bekommen nur eine relativ geringe Aufwandsentschädigung. Das führt dazu, dass alle unterschiedlich viel Zeit in ihre Aufgaben investieren. Manche machen sehr wenig, andere beuten sich selbst bis zum Burnout aus. Sollten demokratisch gewählte Vertreter_innen in herkömmlichen Arbeitsverhältnissen beschäftigt werden?
Herkömmliche, weisungsabhängige Arbeitsverhältnisse würden die unabhängige Perspektive der Studierendenvertretung trüben. Das derzeitige System der Abgeltung der mit dem Mandat verbundenen Aufwendungen, die in den einzelnen ÖH-Satzungen festgeschrieben werden, ist sachgerechter. Um die teilweise hohen Zeitaufwände zu kompensieren, regelt das Gesetz zudem unterschiedliche studienrechtliche Begünstigungen, wie etwa die Anrechnung der Tätigkeit auf freie Wahlfächer.

Für einige ÖH-Aktivist_innen erweist sich ihre Tätigkeit später als Sprungbrett in die Politik. Ist das nicht ein Problem, wenn es mehr um die Vertretung der eigenen Interessen geht?
Ich selbst und viele andere frühere ÖH-Funktionäre und Funktionärinnen waren in der Hochschulpolitik tätig und sind dann in die Politik gegangen. Zum damaligen Zeitpunkt war das aber nicht mein Ziel. Sehr wohl habe ich aber die Erfahrung, die ich in der Hochschulpolitik gesammelt habe, insbesondere Formulieren und auch entsprechendes Argumentieren, dann später nutzen können. Daher würde ich diese Phase der Hochschulpolitik von einer späteren Phase ganz einfach unterscheiden und keinen ursächlichen Zusammenhang sehen.

Bei der aktuellen Debatte um die Uniräte wurde uns in Erinnerung gerufen, dass die Studierenden in diesen „Aufsichtsräten“ kein Mitspracherecht haben – soll das geändert werden?
Im Universitätsgesetz ist bereits geregelt, dass die oder der Vorsitzende der ÖH an der betreffenden Universität das Recht hat, in den Sitzungen des Universitätsrats zu Tagesordnungspunkten angehört zu werden, die ihren Aufgabenbereich betreffen.

Überhaupt ist die Drittelparität, also die Stimmengleichheit der Kurien „Professor_innen“, „Mittelbau“ und „Studierende“, in vielen Uni-Gremien, wie zum Beispiel dem Senat, abgeschafft worden. Hängt die geringe Wahlbeteiligung möglicherweise damit zusammen, dass Studierende nirgends mehr mitreden dürfen?
Den Studierenden ist durch das Universitätsgesetz und das HSG ein umfassendes Mitspracherecht bei Themen eingeräumt, die sie betreffen. Darüber hinaus sind die Studierenden im Senat und entsprechend eingesetzten Kollegialorganen vertreten. Das Mitspracherecht der gesetzlich als Körperschaft öffentlichen Rechts verankerten Studierendenvertretung ist auch im internationalen Vergleich stark ausgeprägt: Der ÖH sind alle Gesetzesentwürfe, die Studierendenangelegenheiten betreffen, vor ihrer Vorlage an die Bundesregierung zur Begutachtung zu übermitteln. Unabhängig davon pflegen wir vor allem mit der ÖH-Bundesvertretung einen regelmäßigen Austausch. Zudem steht es den einzelnen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaften jederzeit frei, innerhalb ihrer Zuständigkeit, insbesondere den staatlichen Behörden, den jeweils zuständigen Bundesministern und Bundesministerinnen, den universitären Organen und anderen Einrichtungen Gutachten und Vorschläge zu unterbreiten.

Warum wechseln in Österreich die Wissenschaftsminister_innen schneller als in Hogwarts die Lehrer_innen für Verteidigung gegen die Dunklen Künste?
Die Zahl der Minister und Ministerinnen ist nicht ausschlaggebend für eine kontinuierliche Politik. Ich persönlich erlebe aktuell in Deutschland gerade den fünften Wirtschaftsminister, seit ich in Österreich für diesen Bereich verantwortlich bin. Wir haben im Hochschulbereich mit dem Universitätsgesetz eine solide gesetzliche Grundlage und ich setze den eingeschlagenen Kurs meiner Vorgänger und Vorgängerinnen fort.

War das neue HSG ein „Zuckerl“, das Sie der ÖH aus strategischen Überlegungen hingeworfen haben, damit sie wohlgesinnt bleibt und nicht stärker gegen die Abschaffung des Wissenschaftsministeriums mobilisiert und protestiert?
Gemeint ist wahrscheinlich die Zusammenlegung mit dem Wirtschaftsministerium. Aber auch dort hat sich die Zusammenarbeit als durchaus fruchtbringend erwiesen und die Abhängigkeitsbefürchtungen sind ja nicht eingetreten. Das neue Gesetz haben wir deswegen gemacht, weil die indirekte Wahl sich nicht bewährt hat, weil wir einfach mehr Akzeptanz bei dem neuen System erwarten und weil wir auch eine relativ einheitliche Regelung für alle Bereiche geschaffen haben.

Warum ist eine starke ÖH wichtig?
Vertretung ist eine zeitintensive, wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe. Je stärker die Legitimation der Studierendenvertretung ist, umso mehr Gewicht hat ihre Stimme beim Einsatz für die Interessen. Das gilt für die Instituts- und Universitätsebene, aber natürlich auch gegenüber der Politik.

 

Reinhold Mitterlehner (geboren 1955) studierte Rechtswissenschaften an der JKU in Linz, wo er auch in der ÖH tätig war. Er ist seit 2008 für die ÖVP Wirtschaftsminister und wurde Ende 2013 zusätzlich Wissenschaftsminister, womit er zum Hauptansprechpartner für die ÖH wurde.

 

Olja Alvir studiert Physik und Germanistik an der Universität Wien.
Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien. 

 

Das Nichts zwischen Aufbruch und Stillstand

  • 11.05.2015, 08:36

Anja ist zuhause, auf dem Tisch vor ihr stapeln sich mit Post-its versehene Bücher für die längst überfällige Diplomarbeit. Nein, leider kann sie kommende Woche nicht zur Oma in die Berge fahren, die Arbeit drängt, da muss man Verständnis haben.

Anja ist zuhause, auf dem Tisch vor ihr stapeln sich mit Post-its versehene Bücher für die längst überfällige Diplomarbeit. Nein, leider kann sie kommende Woche nicht zur Oma in die Berge fahren, die Arbeit drängt, da muss man Verständnis haben. 

Der Fokus wird auf eine schier unbewältigbare Aufgabe gelegt, deren Fertigstellung dem Leben Sinn verleihen soll. Anja wird bald 28, da muss man das erledigt haben, findet die Mutter am Festnetztelefon. Die hat ihre Arbeit auch eingereicht, damals, trotz Kleinkind. Anja weiß nicht, wofür sie diesen Abschluss braucht. Ihren Job hat sie gekündigt.

Habe ich das Richtige studiert? Was passiert, wenn ich fertig werde? Caspar Pfaundler fängt in seinem Film „Gehen am Strand“ das Nichts zwischen Aufbruch und Stillstand ein, das so selten thematisiert wird. Menschen denken, arbeiten, vollenden. Anja sitzt, zweifelt, wartet. Die Tage vergehen ohne Veränderung. Die Studentin steht in der Mittagshitze am Fenster und beobachtet den Himmel, manchmal verabredet sie sich mit einem Mann, dessen Unentschlossenheit dem ohnehin reichlich tristen Szenario zusätzliche Schwere verleiht.

„Gehen am Strand“ ist mehr als das Festhalten einer trotz allem privilegierten Existenz. Durch die unaufgeregte Kameraführung schafft der Film ein Abbild Wiens. Torten im Café Aida. Alte Münztelefone in Seitengassen. Zuseher_innen erleben den Charme des Schwedenplatzes, mitsamt den zufrieden eisschleckenden Menschen, neben denen Anja wie ein Alien wirkt. Ja, da sind Anzeichen einer psychischen Erkrankung, aber warum muss es genau sie treffen? Andere haben das vor ihr geschafft, da ist nichts dabei.

Elisabeth Umlauft verkörpert in ihrer ersten Filmrolle eine bedrückte Frau, die nicht aus ihrer Haut kann. Die das möchte, was ihr von Familie und Freund_innen eingeredet wurde. Was macht es aus, das einfache Sein? Der Film lebt von den dunklen, leisen Momenten, die jede_r kennt. Das Aufschlagen der ersten Seite. Das Hochfahren des Laptops. Das Warten auf den Anruf eines geliebten Menschen. Die Enttäuschung über den Umweg, der nicht immer automatisch dahin führt, wo man ursprünglich vorhatte unbeschadet anzukommen.

„Gehen am Strand“
Regie und Drehbuch: Caspar Pfaundler
112 Minuten

 

Bianca Xenia Mayer studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.

 

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