Mozart, Schnitzel, Haider

  • 11.05.2015, 08:00

Nach seinem Tod wurde Jörg Haider zum Mythos, an dem sich Österreich noch heute abarbeitet. Für ihren Film „Fang den Haider“ begab sich die belgische Filmemacherin Nathalie Borgers auf Spurensuche.

Nach seinem Tod wurde Jörg Haider zum Mythos, an dem sich Österreich noch heute abarbeitet. Für ihren Film „Fang den Haider“ begab sich die belgische Filmemacherin Nathalie Borgers auf Spurensuche. 

progress: Sie sind gebürtige Belgierin und kamen um 2000 nach Österreich. Zu diesem Zeitpunkt konnten Sie den Wahlerfolg der FPÖ unter Jörg Haider und die anschließende ÖVP-FPÖ-Koalition miterleben. Welchen Eindruck hatten Sie von Österreich?
Nathalie Borgers: Bevor ich nach Österreich gekommen war, hatte ich fünf Jahre in Amerika gelebt. Der Wechsel vom liberalen San Francisco zum konservativen Wien war für mich wie ein Schlag auf den Kopf. Ich habe mich damals erkundigt und erfahren, dass Österreich seine politische Vergangenheit nie aufgearbeitet hat. Und dann kommt so ein charismatischer Politiker wie Jörg Haider daher. Da hat man schon ein bisschen Angst.

Wie kommt es, dass einem verstorbenen Landeshauptmann eines kleinen Bundeslandes weit über die Landesgrenzen hinaus eine derartige Popularität zuteil wird?
Jörg Haider war seit der Mozartkugel die einzige Neuigkeit aus Österreich. Österreich ist ein Land, das sich über seine Vergangenheit verkauft. Und natürlich ist er wegen seiner unfassbaren Aussagen über das Dritte Reich international bekannt geworden.

13 Jahre nach Ihrem Österreichaufenthalt kehrten Sie zurück, um eine Doku aus einer Außenperspektive zu machen. Sie erwähnen, dass Sie Haider nie persönlich begegnen wollten. Warum?
Ein Porträt von Jörg Haider wäre schon im Jahr 2000 möglich gewesen, weil er gerade an die Macht gekommen war. Ich weiß nicht, ob ich mich damals wirklich distanzieren hätte können. Jörg Haider war eine energiegeladene, verführerische Persönlichkeit, der ich mich nicht annähern hätte wollen.

Mit wenigen Ausnahmen sind es vor allem Familienmitglieder, WegbegleiterInnen und VerehrerInnen, die im Film zu Wort kommen. War es schwer, auch kritische Stimmen zu finden?
Das war eine bewusste Entscheidung. Kritische Menschen, mit denen ich reden hätte können, hätte ich genug gefunden. Es gab aber natürlich auch Menschen, die das nicht wollten. Das waren aber keine KritikerInnen, sondern Opfer. Also Menschen, die von Jörg Haider in Zeitungen verleumdet worden waren und deren Ruf ruiniert wurde. Diese Menschen haben sich geweigert, mit mir zu sprechen. 

Jörg Haiders Eltern waren überzeugte Nazis – der Vater Mitglied in der NSDAP, die Mutter Führerin im Bund Deutscher Mädl. Welchen Einfluss hatte die Gesinnung seiner Eltern auf seine Persönlichkeit und seinen politischen Werdegang?
Seine Eltern fühlten sich nach dem Krieg ungerecht behandelt, weil sie das Entnazifizierungsprogramm durchmachen mussten. Und ich glaube, dass sie ihm dieses Gefühl von Ungerechtigkeit mitgegeben haben. Diesbezüglich hat er seine Eltern immer verteidigt und sich für die Bekämpfung der vermeintlichen Ungerechtigkeit eingesetzt.

Politisches erfährt man von den ProtagonistInnen wenig, Persönliches viel. Ich weiß jetzt, dass Haider seinen Apfelstrudel ohne Rosinen bevorzugte. Was konnten Sie über den Politiker Jörg Haider in Erfahrung bringen?
Sein Plan war: weniger Staat, mehr Platz für ihn selbst. Natürlich bräuchte der Staat dringend Reformen, aber Gewerkschaften und Kammern abzuschaffen, wie Haiders FPÖ das wollte, ist nicht der richtige Weg. Denn wer Stück für Stück den Staat abschaffen möchte, schafft auch die Demokratie ab. 

Ihre Recherchearbeit führte Sie auch in die Festzelte der Freiheitlichen. Auf einem Ulrichsberg-Treffen haben Sie sich ein wenig gefürchtet. Warum?
Ich habe sehr schnell bemerkt, dass auf solchen Treffen keine Menschen willkommen sind, die nicht dieselben Gedanken teilen. Das sind Menschen, die an etwas glauben, das ich für gefährlich halte. Dort herrschte eine feindliche Stimmung, die mich in Furcht versetzte.

Stefan Petzner nennen Sie den „Pressesprecher, der mit mir nicht spricht“. Aus welchen Gründen wollte er an einem Film über seinen selbst ernannten „Lebensmenschen“ nicht mitwirken?
Stefan Petzner ist nicht sehr medienscheu, darum war ich sehr überrascht, dass er mit mir nicht sprechen wollte. Ich glaube, er konnte mich und mein Filmprojekt einfach nicht richtig einordnen.

Sie haben auch das mittlerweile geschlossene Asylheim auf der Kärntner Saualm besucht – eine von jeglicher Infrastruktur abgeschottete „Sonderanstalt“ für AsylwerberInnen, die als „zu gefährlich für die Gesellschaft“ eingestuft wurden. Wie war es vor Ort?
Der Ort selbst ist wunderschön. Aber was nutzt einem eine schöne Landschaft, wenn man komplett abgekapselt ist? Die Hausbetreiberin hat mich durch das Heim geführt. Bei vielen ihrer Aussagen hatte ich Gänsehaut. Zum Beispiel meinte sie, dass man problematische Menschen entfernen müsse. Als Betreiberin dieses Hauses hat sie für die Unterbringung der AsylantInnen Geld bekommen und agierte möglichst kostensparend, indem sie nur verdorbenes Essen und kalte Duschen anbot.

In Ihrem Film haben Sie sich darauf konzentriert, das Leben von Jörg Haider nachzuzeichnen. Es heißt, zum Leben gehört auch immer der Tod. Die genauen Umstände seines Todes haben Sie aber nicht thematisiert. War das eine bewusste Entscheidung?
Wenn Sie mit dieser Frage auf die Verschwörungstheorien anspielen, muss ich sagen, dass das für mich nicht so interessant ist. Es betrifft nur einen kleinen Teil der Menschen, die wirklich an diese Verschwörungstheorien glauben. Ich glaube, er war einfach alkoholisiert und deswegen ist er mit seinem Auto ausgerutscht.

Am rechten Rand ausgerutscht, wie Sie in Ihrem Film kommentieren.
Genau.

Obwohl Jörg Haider das Bundesland Kärnten mit der Hypo Alpe Adria und den damit verbundenen Haftungen in zweistelliger Milliardenhöhe in den Ruin getrieben hat, wird er noch heute wie ein Heiliger verehrt. Der Unfallort in Lambichl ist Trauer- und Pilgerstätte.
Sehr vielen Menschen ist das alles einfach nicht bewusst. Die KärntnerInnen haben von ihm in einer Aktion einmal 100 Euro bekommen und nicht bemerkt, wie diese 100 Euro graduell wieder in Form von Steuern und Abgaben von ihrem Konto weggegangen sind. Sie müssten sich wirklich fragen, warum sie auf solche Sachen hereinfallen, aber das tun sie nicht.

Mit Jörg Haider stand Europa am Anfang eines Rechtspopulismus, der mittlerweile in vielen eu- ropäischen Ländern salonfähig geworden ist. Warum verfallen Menschen solchen PolitikerInnen?
Immer, wenn in der Gesellschaft große Unzufriedenheit mit dem aktuellen politischen System herrscht, kommt ein neuer Typ, der den Menschen erzählt, dass er alles retten wird. Und daran wollen die Menschen glauben. Ich denke, das ist ein sich wiederholender Zyklus.

Der Titel Ihres Filmes lautet „Fang den Haider“. Ist es Ihnen gelungen, Jörg Haider einzufangen?
Der Titel spielt darauf an, dass es gar nicht so einfach ist, ein Chamäleon wie Jörg Haider wirklich zu fangen. Ich denke, mir ist es gelungen, etwas vom System, aber nicht den Typ Jörg Haider einzufangen.

„Fang den Haider“
Regie: Nathalie Borgers
90 Minuten
ab 29. Mai im Kino

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz. 

 

AutorInnen: Sandra Schieder