Das Nichts zwischen Aufbruch und Stillstand

  • 11.05.2015, 08:36

Anja ist zuhause, auf dem Tisch vor ihr stapeln sich mit Post-its versehene Bücher für die längst überfällige Diplomarbeit. Nein, leider kann sie kommende Woche nicht zur Oma in die Berge fahren, die Arbeit drängt, da muss man Verständnis haben.

Anja ist zuhause, auf dem Tisch vor ihr stapeln sich mit Post-its versehene Bücher für die längst überfällige Diplomarbeit. Nein, leider kann sie kommende Woche nicht zur Oma in die Berge fahren, die Arbeit drängt, da muss man Verständnis haben. 

Der Fokus wird auf eine schier unbewältigbare Aufgabe gelegt, deren Fertigstellung dem Leben Sinn verleihen soll. Anja wird bald 28, da muss man das erledigt haben, findet die Mutter am Festnetztelefon. Die hat ihre Arbeit auch eingereicht, damals, trotz Kleinkind. Anja weiß nicht, wofür sie diesen Abschluss braucht. Ihren Job hat sie gekündigt.

Habe ich das Richtige studiert? Was passiert, wenn ich fertig werde? Caspar Pfaundler fängt in seinem Film „Gehen am Strand“ das Nichts zwischen Aufbruch und Stillstand ein, das so selten thematisiert wird. Menschen denken, arbeiten, vollenden. Anja sitzt, zweifelt, wartet. Die Tage vergehen ohne Veränderung. Die Studentin steht in der Mittagshitze am Fenster und beobachtet den Himmel, manchmal verabredet sie sich mit einem Mann, dessen Unentschlossenheit dem ohnehin reichlich tristen Szenario zusätzliche Schwere verleiht.

„Gehen am Strand“ ist mehr als das Festhalten einer trotz allem privilegierten Existenz. Durch die unaufgeregte Kameraführung schafft der Film ein Abbild Wiens. Torten im Café Aida. Alte Münztelefone in Seitengassen. Zuseher_innen erleben den Charme des Schwedenplatzes, mitsamt den zufrieden eisschleckenden Menschen, neben denen Anja wie ein Alien wirkt. Ja, da sind Anzeichen einer psychischen Erkrankung, aber warum muss es genau sie treffen? Andere haben das vor ihr geschafft, da ist nichts dabei.

Elisabeth Umlauft verkörpert in ihrer ersten Filmrolle eine bedrückte Frau, die nicht aus ihrer Haut kann. Die das möchte, was ihr von Familie und Freund_innen eingeredet wurde. Was macht es aus, das einfache Sein? Der Film lebt von den dunklen, leisen Momenten, die jede_r kennt. Das Aufschlagen der ersten Seite. Das Hochfahren des Laptops. Das Warten auf den Anruf eines geliebten Menschen. Die Enttäuschung über den Umweg, der nicht immer automatisch dahin führt, wo man ursprünglich vorhatte unbeschadet anzukommen.

„Gehen am Strand“
Regie und Drehbuch: Caspar Pfaundler
112 Minuten

 

Bianca Xenia Mayer studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.

 

AutorInnen: Bianca Xenia Mayer