Politik, die wirkt?

  • 11.05.2015, 08:36

Im ÖH-Wahlkampf wird viel versprochen und gefordert – doch nur wenige Forderungen wird die ÖH selbst umsetzen können. Wie viel Einfluss hat die ÖH und wo sind ihre Grenzen?

Im ÖH-Wahlkampf wird viel versprochen und gefordert – doch nur wenige Forderungen wird die ÖH selbst umsetzen können. Wie viel Einfluss hat die ÖH und wo sind ihre Grenzen?

Leistbares Wohnen, günstige Mobilitätsangebote, mehr Freiräume für Studierende – die Forderungen der Fraktionen, die zur ÖH-Wahl antreten, beschränken sich nicht nur auf das unmittelbare Umfeld der Hochschule, sondern beziehen sich oft gleich auf das ganze Studierendenleben. Die Österreichische Hochschüler_ innenschaft (ÖH) hat ein allgemeinpolitisches Mandat, was grundsätzlich auch nicht-bildungspolitische Forderungen absolut legitim macht. Das ist in anderen Ländern oft anders, so zum Beispiel in Deutschland, wo es Studierendenvertretungen teilweise sogar gesetzlich verboten ist, solche Interessen zu artikulieren. Die ÖH wird dennoch auch nach dem 21. Mai nicht im Alleingang Mieten senken oder billige Öffis anbieten können.

ÖH GEGEN TUBERKULOSE. Als die ÖH 1945 gegründet wurde, waren Wohnungsnot und die soziale und gesundheitliche Lage von Studierenden die brennendsten Themen. So wurden in den 1940ern und 1950ern ein Heim gebaut und eine Tuberkulose- Vorsorge eingerichtet, die später zu einer allgemeinen Krankenversicherung ausgebaut wurde. Obwohl die ÖH damals unter konservativer Führung war, organisierte sie Demonstrationen, zum Beispiel gegen Erhöhungen der Studien- und Prüfungsgebühren. „Einmal sollten ja die Gebühren empfindlich erhöht werden – und zwar um 30 Prozent. Wir sind dann rebellisch geworden und haben 1952 einen Sitzstreik am Ring organisiert. Mit Erfolg: Die Gebühren wurden nur geringfügig erhöht. Wenn es uns zu dumm geworden ist, haben wir immer gesagt, dann gehen wir wieder auf den Ring“, erzählte Günther Wiesinger, von 1952 bis 1954 Vorsitzender des Zentralausschusses (so hieß damals die ÖH-Bundesvertretung), in der Broschüre zum 60. Geburtstag der Österreichischen Hochschüler_innenschaft.

In den 1960ern führten gesellschaftspolitische Debatten über Professor_innen mit Nazi-Vergangenheit zu heftigen Protesten und zu einer Demonstration, die ein Todesopfer forderte: Ernst Kirchweger wurde von einem rechtsextremen Burschenschaftler erschlagen. Die ÖH erwies sich in der Debatte um die nicht sehr gründlich durchgeführte Entnazifizierung als Vorreiterin. In den 1970ern begleitete sie bedeutende Reformen wie die Einführung des Wissenschaftsministeriums, in den 1980ern wurde der Protest gegen das Wasserkraftwerk in der Hainburger Au von der ÖH getragen, obwohl sie bis in die Mitte der 1990er Jahre konservativ geführt wurde.

ERFOLGE IN DER DUNKELKAMMER. Und wie sieht es heute aus? „Ein riesengroßer Erfolg waren sicherlich das neue Hochschüler_innenschaftsgesetz und die entsprechende Wahlordnung“, erklärt Viktoria Spielmann vom Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung. Nun sind auch Studierenden an Privatunis Mitglied der ÖH und können aktives und passives Wahlrecht ausüben, die Direktwahl der Bundesvertretung wurde wieder eingeführt – alles Bestimmungen, die die ÖH direkt mit dem zuständigen Wissenschaftsministerium ausgehandelt hat. Es ist aber bei weitem nicht das einzige Gesetz, bei dem die ÖH ihre Finger mit im Spiel hatte: „Auch das Studienförderungsgesetz und die letzte Novelle des Universitätsgesetzes haben wir mitverhandelt“, erläutert Spielmann: „Außerdem fungieren wir als Expert_innen in den Arbeitsgruppen der Hochschulkonferenz und beeinflussen so Bestimmungen, die in Gesetze und Satzungen der Universitäten einfließen.“ Ein großer Teil der bildungspolitischen Arbeit passiert also in Verhandlungen und Arbeitsgruppen, ohne dass davon viel an die Öffentlichkeit gelangt.

„Wenn die ÖH für das Prinzip eines offenen Hochschulzugangs einsteht, dann gibt es kein Kasterl mit ,erreicht‘, das man abhaken kann, sondern dann ist das ein kontinuierlicher Prozess“, sagt Martin Schott, der von 2011 bis 2013 im Vorsitzteam der Bundes- vertretung aktiv war und zuvor an der Spitze der ÖH BOKU saß. Er denkt, dass die ÖH viel erreichen kann, vor allem in einem spezifischen Spektrum: „Die Stärke der ÖH liegt im Hochschulbereich, da kann sie auf allen Ebenen etwas erreichen, von der Bundes- bis hin zu den Studienvertretungen. Auch die Änderung eines Studienplans ist ein politischer Akt, der große Erleichterungen für Studierende mit sich bringen kann.“ Die unterste Ebene der ÖH, die Studienvertretungen, die in einigen Studiengängen selbstverwaltet als Fachschaften oder Basisgruppen organisiert sind, wirkt im unmittelbaren Umfeld von Studierenden. Ob studentische Interessen bei der Erstellung von Studienplänen, der Habilitation von Lehrenden und der Berufung von Professor_innen berücksichtigt werden, hängt davon ab, wie gut die Studienvertretungen arbeiten und wie sehr sie es schaffen, Lehrende von ihren Ideen zu überzeugen. Allerdings kann auch die beste Studienvertretung nicht mehr Seminarplätze erstreiten, wenn dafür beim Institut kein Geld vorhanden ist.

PROGRESSIVE GEGENSPIELERIN. „Ich hatte das Gefühl, auf der Ebene der Universitätsvertretung war es nicht unbedingt leichter, Dinge umzusetzen, aber es ging schneller. Da der Wirkungsbereich einer Uni kleiner ist, ist der Handlungsspielraum größer. Bis eine Idee der Bundesvertretung in ein Gesetz einfließen kann, dauert es länger und die politische Großwetterlage spielt immer eine Rolle”, so Schott über die Unterschiede zwischen Universitäts- und Bundesvertretung.

Kann die ÖH Mietsenkungen und billige Öffis durchsetzen? „Die Grenzen von dem, was wir erreichen können, sind da, wo die Regierung nicht will“, sagt Viktoria Spielmann: „Ich sehe die ÖH als progressive Gegenspielerin zur Regierung. Natürlich wird nicht immer alles so laufen, wie wir es uns wünschen, aber wir können den Fokus auf gewisse Themen legen und den Diskurs so mitbestimmen.“

Die ÖH wird – um ein Beispiel zu nennen, das sich in den Wahlprogrammen beinahe aller Fraktionen wiederfindet – die Hochschulen nicht ausfinanzieren können, aber sie wird den Diskurs darüber, wie Hochschulbildung finanziert werden soll, maßgeblich mitgestalten können. Bei stärkerer Wahlbeteiligung sogar mit mehr Nachdruck. Na, da lohnt sich der Weg ins Wahllokal doch.

 

Joël Adami studiert Umwelt­ und Bioressourcenmanage­ ment an der Universität für Bodenkultur Wien. 

 

AutorInnen: Joël Adami