Dezember 2010

Gutes Leben statt Wachstumswahn

  • 13.07.2012, 18:18

Von der Wachstumskritik zur solidarischen postwachstumsökonomie. Ein Kommentar von Matthias Schmelzer und Alexis J. Passadakis.

Von der Wachstumskritik zur solidarischen postwachstumsökonomie. Ein Kommentar von Matthias Schmelzer und Alexis J. Passadakis.

Die Weltwirtschaftskrise verläuft wie ein Schwelbrand, flackert erst hier und dann dort auf. Ein Ende ist nicht in Sicht. Das ist kein Wunder, denn Krisen gehören zur Normalität der kapitalistischen Ökonomie, wie ein Blick in die Geschichtsbücher schnell verrät. Und bis sich eine Krise vom Kaliber der Großen Depression der 1930er Jahre voll entfaltet hat, dauert es seine Zeit. Schließlich liegt der Kollaps der Lehmann Bank erst zwei Jahre zurück. Gleichzeitig wirft die Doppelkrise des fossilistischen Weltenergiesystems ihre verheerenden Schatten voraus. Die Fluten im Sommer dieses Jahres in Pakistan demonstrierten dramatisch die Folgen der Klimaerwärmung. Und Ressourcenkriege wie im Irak oder die Straßenproteste in Mosambique gegen hohe Lebensmittel- und Energiepreise Anfang September deuten an, wie sich Energie- und Rohstoffverknappung und das baldige Erreichen des Fördermaximums von Öl (Peak Oil) auswirken könnten.

Angesichts der Desaster, die das derzeitige Akkumulationsmodell (accumulare, lat.: anhäufen) des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus mit sich bringt, hat gegenwärtig eine Renaissance des Nachdenkens über andere ökonomische Systeme, über Leben und Wirtschaften ohne Wachstum, begonnen. Trotz der multiplen Krise sitzen allerdings die neoliberalen PropagandistInnen von „rationalen“ und „effizienten“ (Finanz-) Märkten weiterhin fest im Sattel. Lernkurve = sehr flach. Dementsprechend ist „mehr Wachstum“ die Parole aller Regierungen, um aus der Krise herauszukommen und insbesondere die Banken zu retten. Und welche Relevanz eine tatsächliche Bearbeitung der Klimakrise für die meisten Regierungen hat, ist an dem Kollaps der Klimaverhandlungen im vergangenen Dezember in Kopenhagen abzulesen: Keine Große. Dass ein auf Wachstum basiertes Wirtschaftssystem an ökologische Grenzen stoßen wird, ist allerdings spätestens seit Anfang der 1970er Jahre ein Allgemeinplatz. „Jeder, der glaubt, dass exponentielles Wachstum auf eine begrenzten Planeten unendlich weitergehen kann, ist entweder ein Verrückter oder ein Ökonom“, sagte in diesem Kontext Kenneth Boulding (1910–1993), selbst Mitglied der Ökonomenzunft und ehemals Präsident der einflussreichen American Economic Association.
Trotzdem greifen viele als Alternativmodell zum Casino-Kapitalismus auf die bis Ende der 1970er Jahre vorherrschenden so genannten keynesianischen Politikrezepte zurück. Der britische Ökonom John M. Keynes hatte in den 1930er Jahren eine ökonomische Entwicklungsweise skizziert, die auf hohen Löhnen, stabilen sozialen Sicherungsystemen und massiven öffentlichen Investitionen beruhte, um so die Basis für eine breite Massennachfrage zu schaffen. Ganz im Gegensatz also zum neoliberalen Modell, welches Niedrigstlöhne, Prekarisierung und mit Hilfe von Steuersenkungen für die Reichen nur ausgetrocknete öffentliche Haushalte im Angebot hat. Unbestritten boten keynesianische Strategien für viele Bevölkerungsgruppen einen Ausweg aus der Armut und einen angenehmen Lebensstandard – zumindest wenn man im Norden des Globus lebte und nicht im Süden, der schlicht billige Rohstoffe zu liefern hatte. Der Journalist Gerald Fricke fragt noch einen Schritt weiter: „War eigentlich früher, als der goldene Keynesianismus noch funktionierte, alles besser? Als man noch für sein Auto arbeitete, mit dem man dann zur Arbeit fuhr, um für sein Auto zu arbeiten, mit dem man dann wieder zur Arbeit fuhr, auf Straßen, die Papa Staat fleißig baute und Scheiß auf die Umwelt? Natürlich nicht, aber manchmal glaubt man‘s irgendwie fast.“

Einen ansatzweise kohärenten Versuch einer korrigierenden Weiterentwicklung bemühen sich (öko-) keynesianische Ansätze zu skizzieren – mit Hilfe von Regulierungskonzepten und Investitionen in zum Beispiel erneuerbare Energien und Bildung. Angesichts der Dimension der Verwerfungen der Weltwirtschaft und der Zerstörungen der Biosphäre greifen sie jedoch zu kurz. Ein Abschied vom Wachstumswahn wird nicht gewagt. Im Gegenteil: es geht gerade um die Dynamik eines neuen, „grünen“ oder „nachhaltigen“ Wachstumszyklus. Eine solidarische Gesellschaft, die ohne die Nutzung eines imperialen UmweltraumS (Öl aus Kuwait, Kohle aus Kolumbien, Soja aus Brasilien etc.) auskommt und darauf zielt, Bedingungen zu schaffen, die allen weltweit die Verwirklichung sozialer Rechte ermöglicht, wird es allerdings ohne den Schritt in eine Postwachstumsökonomie kaum geben können. Denn die imperiale Lebensweise, das fossilistische Produktionsund Konsummodell, das sich in den entwickelten Ökonomien des globalen Nordens durchgesetzt hat, ist  nicht verallgemeinerbar, auch nicht durch technischen Fortschritt. Zum Beispiel lassen sich die im Norden notwendigen CO2-Reduktionen um 95 Prozent bis 2050 nicht bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum erreichen. Die technischen (Effizienz-) Innovationen, die den notwendigen Grad von absoluter Entkopplung von BIP-Steigerung bei gleichzeitigem massivem Sinken des Naturverbrauchs ermöglichen, sind nicht möglich. Der Ausweg: Eine zunächst deutlich schrumpfende und sich dann auf einem ökologisch tragfähigen Niveau stabilisierende Ökonomie.

Inzwischen gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Tagungen, es werden laufend neue Artikel und Bücher veröffentlicht und die Diskussion wird von aktivistischen Klima- Aktionscamps bis in Parteien geführt. Dabei besteht zum einen die Gefahr, dass zwar die richtigen Fragen gestellt, die daraus folgenden weit reichenden Antworten aber gescheut werden. Schließlich würde der ernsthafte Versuch eine Postwachstumsökonomie zu denken und durchzusetzen, grundsätzliche Prinzipien von Wirtschaft und Gesellschaft umstoßen, insbesondere das Profitprinzip. Zum anderen besteht die Gefahr falscher, unsolidarischer Antworten: Einige Neoliberale – in Deutschland zum Beispiel Meinhard Miegel – sind inzwischen zu Wachstumskritikern geworden. Ihre Formel ist simpel: Wegen ökologischer Grenzen muss die Ökonomie schrumpfen, und auf diesem Wege kann man praktischerweise den Sozialstaat auch schrumpfen und das Rentenalter erhöhen. So kann Wachstumskritik zur Legitimaton von Armut benutzt werden, statt Umverteilung und soziale Gleichheit als Bedingung für eine schwierige Transformation zu fordern.

Besonders in Südeuropa gibt es seit einigen Jahren eine sehr lebendige Diskussion, die sowohl lokal in Netzwerken solidarischer Ökonomie verankert ist, als auch transnational vernetzt über die internationalen Degrowth Konferenzen (Paris 2008, Barcelona 2010) stattfindet. In Frankreich gibt sich diese Bewegung das Label décroissance – frei übersetzt „Ent-Wachstum“ (engl. degrowth), als der aktive Prozess der Rücknahme von Wachstum und Schrumpfung hin zu einer solidarischen Postwachstumsökonomie. Nur in einer solchen ist die Zukunft, die Verwirklichung sozialer Rechte und ein gutes Leben weltweit für alle möglich. Es geht daher darum, grundlegende Alternativen zu denken und diese in konkreten Kämpfen zuzuspitzen.

Blog: www.postwachstum.net

Kämpfen – Diskutieren – Mobilisieren

  • 13.07.2012, 18:18

Ein heißer Herbst wurde prophezeit, ein heißer Herbst ist es geworden.

Kommentar

Ein heißer Herbst wurde prophezeit, ein heißer Herbst ist es geworden. Doch niemand ahnte, wie drastisch die Auswirkungen des Sparbudgets tatsächlich sein würden, bis in Loipersdorf die Kürzung der Familienbeihilfe bekannt gegeben wurde. Seither heißt es kämpfen, diskutieren, mobilisieren – eben alle Mittel ausschöpfen, die wir haben.
Was die Regierung vorhat, wird sich zeigen. Bei den Gesprächen am so genannten Hochschulgipfel mit Bundeskanzler und Finanzminister wurde uns aber mehr als verdeutlicht, dass die derzeitige Regierung keine Ahnung von den Auswirkungen ihres eigenen Budgets hat. Sie haben es nicht mal der Mühe wert befunden sich über die Situation der Studierenden in Österreich zu informieren. Um genau diese Situation zu verdeutlichen haben wir 27.000 Handabdrücke auf 500 Metern Stoff ums Parlament gewickelt, genau so viele Studierende wären sofort von der Kürzung mit 2.700 Euro jährlich betroffen!
Die ÖH wird momentan überrannt, von Studierenden, die aus lauter Verzweiflung nicht mehr wissen, wie es weiter gehen soll. Doch es geht weiter, nach der großen Demonstration der Plattform Zukunftsbudget, an der sich über 100 Organisationen beteiligen, folgen jetzt Mahnwachen. Ab sofort werden wir die Regierung jeden Dienstag bis zu den Winterferien zwischen 16 und 19 Uhr daran erinnern, dass ihre Sparmaßnahmen nicht nur sozial ungerecht sind, sondern auch Menschen einen fixen Bestandteil ihrer Lebensgrundlage rauben.
Gemeinsam können wir etwas bewegen. In diesem Sinne: Frohe Proteste.

Die Jungen wählen links

  • 13.07.2012, 18:18

Wer österreichische Medien konsumiert, muss den Eindruck gewinnen, dass die Jugend mehrheitlich rechts wählt.

Kommentar

Wer österreichische Medien konsumiert, muss den Eindruck gewinnen, dass die Jugend mehrheitlich rechts wählt. „Jugend am rechten Rand“ schrieb das Profil, im Club 2 wurde die Frage gestellt: „Wandert Österreichs Jugend immer mehr nach rechts?“. Diese Schlagzeilen entwickelten bald ein Eigenleben und wurden in der Öffentlichkeit zusehends zu einer „gefühlten Tatsache“ – ohne Fragezeichen. Alle starrten vor den Wahlen – wie das Kaninchen vor der Schlange – auf die Raps, Comics und angeblichen „Discotouren“ von Heinz-Christian Strache. Die FPÖ, als ewiggestrige Partei, will sich seit Jahren ein jugendliches Image aufbauen. Um die Bilder zu produzieren, die diesen Schein erzeugen sollen, karrt sie für Wahlkampfauftakte schon mal aus ganz Österreich junge FPÖ-AktivistInnen mit Bussen an. Und fast alle Medien fallen auf dieses Spiel rein.
Nichtsdestotrotz haben bei der Wien-Wahl laut dem SORA-Institut 46 Prozent der 16- bis 20-Jährigen die SPÖ gewählt und 21 Prozent die Grünen. Die FPÖ kömmt nur auf 20 Prozent. Das Institut für Jugendkulturforschung sieht die Grünen bei 23 Prozent und die FPÖ nur bei 19 Prozent. Junge Frauen (SPÖ: 46 Prozent, Grüne: 30 Prozent) haben übrigens so mehrheitlich die beiden linken Parteien gewählt, dass FPÖ und ÖVP zusammen nur auf eine verschwindende Minderheit kommen.
Natürlich sind auch 19 Prozent junge FPÖ-WählerInnen noch zu viel, aber verglichen mit dem Gesamtergebnis der FPÖ von 25,8 Prozent ist das ziemlich schwach. Es gilt: Je älter, desto eher wird die FPÖ gewählt – je jünger, desto eher die Linke.
Während die SPÖ in allen sozialen Schichten recht ähnlich abschnitt, wurden die Grünen besonders stark von SchülerInnen und StudentInnen gewählt. Die FPÖ schnitt einzig bei Lehrlingen überdurchschnittlich ab.
Das gute Abschneiden der linken Parteien bei der Jugend hat auch damit zu tun, dass, während Strache seine PR-Luftblasen produziert hat, SPÖ und Grüne groß angelegte Jugendwahlkämpfe organisiert haben. Während die SPÖ mit der „Käfig-Fußball-WM“, Konzerten und dem Rapper Nazar die WählerInnen mobilisierte, haben die Grünen alles getan, um unter SchülerInnen für sich zu werben und haben außerdem monatelang jeden Abend Lokale in ganz Wien besucht, um ihre Botschaft unter die Menschen zu bringen.
Mit einem weiteren Vorurteil hat die Wiener Wahl ebenfalls aufgeräumt: Die Wahlbeteiligung war unter Jungen mit 80 Prozent (allgemein: 67,6 Prozent) überdurchschnittlich hoch. Für die interessierte Öffentlichkeit wäre es also wichtig, „liebgewordene“ Urteile über Bord zu werfen und Dinge beim Namen zu nennen: Die Jungen wählen mehrheitlich links.

Der Tod ist ein Klagenfurter

  • 13.07.2012, 18:18

Wien ist eine Weltstadt. Oder zumindest so ähnlich.

Wien ist eine Weltstadt. Oder zumindest so ähnlich. Immerhin: In Wien leben mehr Junge, mehr Fremde, mehr Aufrüher und Exoten als sonst wo in unserem kleinen Land. In Wien trifft sich alles, fließen Bosporus und Balkan zusammen. Auch ein Herr Strache kann nicht behaupten, Wien sei ein ödes Kuhdorf, eine reine Verwaltungshauptstadt, ein BeamtInnenest.
Ironischerweise war genau das die Befürchtung unserer Landsleute in den 1960er Jahren. In den Gründungsjahren der Zweiten Republik waren jene am Ruder, die noch das alte Österreich kannten, die Habsburger-Monarchie. Damals hatte Wien zwei Millionen EinwohnerInnen, und war die Hauptstadt für über 50 Millionen Menschen. Nach dem Krieg entleerte sich die Stadt, viele flohen aus der nunmehrigen sowjetischen Besatzungszone. Wien drohte zu überaltern, es war nicht mehr attraktiv für ZuwandererInnen.
Diese Malaise beklagte der konservative Publizist Alexander Vodopivec im Jahr 1966 in einem Buch, das lustigerweise den Titel Die Balkanisierung Österreichs trägt. Für Vodopivec war „Balkan“ ein Synonym für Korruption und Misswirtschaft. Verantwortlich dafür machte er die große Koalition, die er – Überraschung! – für ein Grundübel Österreichs hielt. Die BalkanesInnen und SlawInnen, die BosnierInnen und BöhmInnen, die beklagte er nur in ihrer Abwesenheit. Denn eine Stadt sei kaputt und nekrotisch, wenn keiner dort leben wolle, wenn alles wegwandere und wegsterbe, schrieb Vodopivec.

Das schlaue Argument von damals offenbart eine Wahrheit über das Heute. Wien ist eine Stadt der Fremden, ja wurde gar von Fremden gegründet – den Römern. Die Stadt lebte darauf vom Handel, später von der Industrie, immer brauchte sie ZuwandererInnen als Arbeitskräfte. Sie verliehen der Stadt ihren Charakter. Schon allein die Speisen, für die sich Wien feiern lässt, sind ausgeliehen: Das Wienerschnitzel aus dem Italienischen, das Gulasch von den UngarInnen, das meiste andere von den BöhmInnen.
Was also wollen die rechten Hetzer, wenn sie gegen Zuwanderung anschreien? Sie wollen den nekrophilen Mief vergangener Tage schnuppern. Wer zurückgeht hinter die Geschichte, wünscht sich keine wirkliche Weltstadt Wien. Der wünscht sich eine fade Provinzmetropole ohne urbanen Charakter, wo DorfgesellInnen und Döblinger SpießbürgerInnen das große Wort führen. Mit einem Wort: Die HetzerInnen wünschen sich, dass aus Wien Klagenfurt werde. Nur zu, liebe HetzerInnen!, geht doch einfach nach Kärnten, dort droht ohnehin EinwohnerInnenschwund.

Die Angst vor dem Demos

  • 13.07.2012, 18:18

Eine Demokratie lebt von informierten BürgerInnen. Aber in Österreichs Amtsstuben herrscht Verschwiegenheit. Ein Bericht.

Eine Demokratie lebt von informierten BürgerInnen. Aber in Österreichs Amtsstuben herrscht Verschwiegenheit. Ein Bericht.

Der ehemalige Präsident der USA, George W. Bush, schreibt in seiner Autobiografie, dass die mit Abstand schwierigste Aufgabe eines Gouverneurs oder einer Gouverneurin das Prüfen von Todesurteilen ist – die Entscheidung also, ob ein Todesurteil vollstreckt, aufgeschoben oder nicht durchgeführt wird. Dabei würde er alle Fakten nachdenklich und sorgfältig abwägen, und erst dann entscheiden, schreibt Bush. Ein Reporter der New York Times hat allerdings nachgewiesen, dass Bush sich für diese Frage von Leben und Tod in der Regel nur 15 Minuten Zeit genommen hat. Diese Konfrontation mit der tatsächlichen Vorgehensweise war nur aufgrund eines Informationsfreiheitsgesetzes im Bundesstaat Texas möglich. Nicholas D. Kristof von der Times stellte einen Antrag und bekam Einblick in den Terminkalender von Bush.
Eine Demokratie lebt von Informationen über die Tätigkeit des Staates und seines Personals. Nur ausreichend informierte BürgerInnen können an demokratischen Prozessen teilnehmen. Da kann es auch hilfreich sein, den Tagesablauf eines Amtsträgers oder einer Amtsträgerin zu kennen.
Aus gutem Grund sind daher in Österreich Parlamentssitzungen und Verhandlungen vor Gericht öffentlich zugänglich. Aber das ist nicht genug: In selbstbewussten Demokratien braucht es auch den geregelten Zugang zu Dokumenten von Behörden und Ämtern. Erst das ermöglicht Medien, NGOs und einzelnen BürgerInnen, ihre Regierung zu kontrollieren und ihre Rechte zu schützen. Die Einsicht in Originaldokumente und Akten ist ein wichtiges Instrument gegen Korruption und Amtsmissbrauch. Der freie Zugang soll Offenheit und Transparenz fördern. Als Folge kann sich auch die Akzeptanz für die Arbeit der Behörden verbessern. Soweit die Theorie.
Die Praxis sieht in Österreich freilich anders aus: Nach wie vor bestimmen Geheimniskrämerei und zugeknöpfte BeamtInnen das politische Geschehen und die Verwaltung. Ihre Verschwiegenheit wird durch die Verfassung geschützt. Franz C. Bauer, JournalistInnengewerkschafter und Präsident des Presserats, kritisiert die österreichische Situation: „Die Mächtigen haben kein Interesse an informierten Bürgern.“
freedominfo.org, ein Netzwerk von Initiativen für Informationsfreiheit aus verschiedenen Ländern, stellt in einem Report von 2006 fest, dass es derzeit in 70 Ländern Informationsfreiheitsgesetze gibt; in 50 weiteren sind Gesetze in Arbeit. Allerdings, schränkt der Report ein, sind die Gesetze in vielen Ländern längst nicht ausreichend. Durch zahlreiche Ausnahmeregelungen und hohe Gebühren, die für Auskünfte zu bezahlen sind, halten die Gesetze oft nicht, was ihr Name verspricht. Weiters beobachten die Initiativen im Zuge des „Kampfs gegen den Terror“ seit einigen Jahren den Trend, bestehende Gesetze durch neue Bestimmungen wieder einzuschränken.

Geist der Gegenaufklärung. Dennoch gibt es Staaten mit fest verankerten und schlagkräftigen Zugangsregeln zu Informationen. In Skandinavien ist die Behördentransparenz seit langem geregelt, Schweden hat das älteste derartige Gesetz. Es wurde vor 244 Jahren beschlossen. In den USA existiert der Freedom of Information Act seit 1966. Nicht nur der Terminkalender von George W. Bush wurde mit Hilfe von Gesetzen zu Tage gefördert, sondern auch viele Nachrichten über den Irak-Krieg. Der jüngste spektakuläre Fall: Ein Bericht des US-Justizministeriums, der jahrelang der Öffentlichkeit vorenthalten wurde. Er zeigt, wie Naziverbrecher nach dem Kriegsende vom Geheimdienst CIA geschützt wurden.
In Österreich hingegen weht noch immer der Geist der Gegenaufklärung und des staatlichen Absolutismus durch die Ämter. Nicht der freie Zugang zu Informationen ist in der Verfassung festgeschrieben, sondern deren Geheimhaltung. Sämtliche Organe der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung sind dazu angehalten, Tatsachen zu verschweigen, „deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist“. Das macht Kontrolle unmöglich. Recherchieren JournalistInnen heikle Themen, stoßen sie früher oder später auf eine Mauer des Schweigens – oder genauer: auf StaatsdienerInnen, die sich dahinter verschanzen.

Recht auf Information. Trotz dieser staatlich verordneten Geheimniskrämerei wird Österreich von dem Netzwerk freedominfo.org zu den Ländern gezählt, die ein Informationsfreiheitsgesetz haben. Hier wird das zahnlose Auskunftspflichtgesetz von 1987 angeführt, das schlicht erklärt: „Die Organe des Bundes (...) haben über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht.“ Der JournalistInnengewerkschafter Franz C.    Bauer sagt, das Gesetz „wird in keiner Form wahrgenommen, ganz zu schweigen von ernst genommen.“
Manfred Redelfs, Leiter der Recherche-Abteilung von Greenpeace Deutschland und Fürsprecher von Informationsfreiheitsgesetzen, vertritt die Meinung, es seien Gesetze notwendig, die „Amtsverschwiegenheit von der Regel zur begründungsbedürftigen Ausnahme machen und damit zu einem Klima der Offenheit beitragen“.
„Was in Österreich ganz einfach fehlt“, sagt Bauer, „ist das Recht jedes Staatsbürgers auf Information.“ Bei einer entsprechenden gesetzlichen Regelung sollten nur Themen der öffentlichen Sicherheit von der Akteneinsicht ausgenommen sein und der Schutz der Privatsphäre müsse gewahrt bleiben. Auch der Presseclub Concordia und der Verband der Österreichischen Zeitungen verlangen von der Regierung ein solches Gesetz, damit der Zugang zu Informationen garantiert sei und Medien ihre Kontrollfunktion erfüllen könnten.
Mit derartigen Vorschlägen, die es JournalistInnen erleichtern würden, ihrer „Watchdog“-Aufgabe nachzukommen, stieße er bei PolitkerInnen seit Jahren auf taube Ohren, erzählt Bauer. „Politiker haben immer nur Angst, dass wir sie nur durch den Kakao ziehen wollen.“

Reise zu einem alten Nachbarn

  • 13.07.2012, 18:18

Die Autorin des vorliegenden Artikels entdeckte bei ihrer Reise in die Vojvodina erstaunliche Parallelen zwischen ihrer Kärntner Heimat und Serbien. Ein Essay.

Die Autorin des vorliegenden Artikels entdeckte bei ihrer Reise in die Vojvodina erstaunliche Parallelen zwischen ihrer Kärntner Heimat und Serbien. Ein Essay.

Der die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte“, sagte einst Kurt Tucholsky. Diesen Sommer verschlug es mich nach Serbien, nach Novi Sad, in die Hauptstadt der Vojvodina, um Serbisch zu lernen und das nächste Sommersemester werde ich dort verbringen. In Österreich gehen diesbezüglich außer in slawophilen Kreisen die allgemeinen Reaktionen in Richtung „Aha, Serbien, wieso machst du denn das?“, was mich aber nicht nachhaltig erschüttert, weil die Reaktionen ähnlich waren, als ich mit dem Slowenischstudium begann.
Diesen, im Allgemeinen diffusen „antislawischen Reflex“, um mit den Worten eines Freundes zu sprechen, kannte ich schon: Schließlich gelten etwa slawische Sprachen immer noch als ExotInnenstudien, der Balkan und Südosteuropa immer noch als stiefmütterliche Gebiete der Geschichtswissenschaften und als terra incognita der DurchschnittsösterreicherInnen, wenn man von der kroatischen Küste mal absieht. Noch einmal schlimmer und eigentlich genauso diffus wütet dieser antislawische, hier antislowenische Reflex in meinem Heimatbundesland Kärnten. Gerade als Kärntnerin zeigten sich mir erstaunliche Parallelen, als ich nun Serbien ein bisschen kennen lernte: Die Vojvodina bzw. ganz Serbien und Kärnten sind aus ähnlichen Gründen wunderschön, wie sie auch an denselben Problemen und Krankheiten laborieren.

In Geiselhaft. Zunächst vielleicht eine kurze Vorstellung: Die Vojvodina, einst „Kornkammer Serbiens“ genannt, ist der nördlichste Teil des Landes und unterschiedet sich vom restlichen Serbien. Die Vojvodina ist bunt in vielerlei Hinsicht, war sie etwa immer schon Heimat vieler verschiedener Volksgruppen, Religionen und Sprachen. Neben SerbInnen, die mittlerweile die Mehrheit stellen, leben hier UngarInnen, SlowakInnen, Roma und Sinthi, KroatInnen, BulgarInnen, RumänInnen, BunjewatzInnen, GoranInnen, RussInnen und viele mehr. Die Provinz kann als ein vorbildliches Beispiel für Mehrsprachigkeit, Minderheitenschutz und politischer Partizipation der Volksgruppen gelten – also etwas, was man sich für Kärnten nur wünschen kann.
Als Folge dessen sind offizielle Aufschriften und Anschriften sehr lang: Der Stempel der Universität etwa ist handtellergroß, um dem Namen der Universität in allen Amtssprachen Platz zu bieten. Bunt ist die Vojvodina auch landschaftlich, durchzogen von Donau, Theiß, Save und ihren unzähligen Nebenarmen, und sehr fruchtbar: Pannonisch flach sieht man oft nicht, wo die riesengroßen Sonnenblumenoder Weizenfelder enden.
In Serbien gibt es wie in vielen anderen Staaten ein Nord-Südgefälle. Die Vojvodina gilt als reicher, relativ gut entwickelter Norden mit (für serbische Verhältnisse) viel Wohlstand und Stabilität und wenig Arbeitslosigkeit und Nationalismus. Nicht so zufällig also, dass das größte Musikfestival Südosteuropas Exit in Novi Sad stattfindet, wo es vor elf Jahren von einer studentischen Bewegung gegen das Milošević-Regime gegründet worden ist.
Was wir in den letzten 20 Jahren über die Medien von Serbien gehört haben lässt sich leicht unter ein paar Schlagwörtern zusammenfassen: Nationalismus, Milošević, Kriegsverbrechen. Serbien ist medial (aus gutem Grund) schlecht weggekommen. Aber: Es gibt auch ein anderes Serbien. So wie ich oft betonen muss, dass es auch ein anderes Kärnten gibt, fern von dem Haidergeprägten. Es gibt junge Menschen, denen bei diesen Parolen schlecht wird, die sich nicht damit identifizieren und versuchen, es besser zu machen. Und solche gibt es eben auch in Serbien.

Erzählt von uns! Ein Anliegen kam auf der Sommerschule der Universität, die wir besuchten, öfter auf: Ihr, die ihr hier wart, habt nun gesehen, dass Serbien sehr schön und lebenswert sein kann – wenn ihr wieder nach Hause geht, dann erzählt dort davon. Jenen, die in Serbien die Stellung halten, ist also glasklar, wie Serbien in den letzten Jahren medial im Ausland rezipiert wurde. Ich tue es hiermit sehr gerne, weil ich noch nie gastfreundlichere Menschen getroffen habe als dort. An dieses Ausmaß an Gastfreundschaft muss man sich erst mal gewöhnen: Manches Mal war es uns schon unangenehm, weil wir das Gefühl hatten, nicht genügend zurückzugegeben. Aber das war eine falsche Denkweise. Mittlerweise habe ich ihre Art von Gastfreundschaft verstanden: Sie ist kategorischer Imperativ und hat nichts mit Berechnung oder Reichtum zu tun. Ja, wir sind „dem Balkan“ in vielerlei Hinsicht voraus (demokratiepolitisch, wirtschaftlich, in der Bekämpfung von Korruption und Arbeitslosigkeit), aber in mancherlei Hinsicht sollten wir uns was von ihm abschauen.
Es gibt noch eine andere traurige Parallele zwischen Serbien und Kärnten: Der Exodus der jungen, unternehmungslustigen, gebildeten Elite. Kärnten entschwinden pro Tag vier KärntnerInnen und neben der geringen Zuwanderung und der niedrigen Geburtenrate ist das Auswandern der Bildungselite der Hauptgrund dafür. Serbien leidet im Vergleich noch viel stärker an diesem Brain-drain: In den Neunzigern verließen fast eine halbe Million junge, gut ausgebildete SerbInnen ihr Land (darunter 33 Prozent der 20- bis 30-Jährigen) – und dieser Trend hält an. In einer Umfrage gaben 20 Prozent der hochqualifizierten SerbInnen an, sie seien fest entschlossen auszuwandern, und immerhin 54 Prozent waren der Idee nicht abgeneigt. Zurück bleiben vielfach die Unterprivilegierten und die schlecht Gebildeten, denen die korrupten PolitikerInnen auf der Nase herumtanzen können.
Es liegt mir fern, ein romantisch- verklärtes Bild von Serbien zu zeichnen. Klar liegt dort vieles im Argen. Jahrzehnte nationalistischer Manipulation haben ihre Spuren hinterlassen. Allerdings sind wir sehr schnell mit einem Urteil bei der Hand, wenn es um ein Land geht, das nur die wenigsten von uns selbst bereist haben. Ganz klar, in unserem GastarbeiterInnenbus, der einmal die Woche die Route von Bregenz nach Požarevac abfährt, waren wir auf weiter Flur die einzigen NichtserbInnen. Klar, das Tourismusziel Nummer Eins ist es nicht, wie etwa Kroatien, das übrigens mit ähnlichen Übeln zu kämpfen hat. Der Unterschied ist nur: Kroatien sehen wir es eher nach, „weil dahin fahren wir ja so gern auf Urlaub“. Es ist viel leichter, unbekanntes Land und Leute zu verdammen. Insofern ist es uns nur zu wünschen, in der Zukunft noch stärker zusammenzuwachsen und unsere Nachbarländer überhaupt erst mal kennen zu lernen.

Von der UN ausgebeutet

  • 13.07.2012, 18:18

Der Einstieg in eine Karriere bei der UN ist teuer. Die Weltorganisation ist bei den Bedingungen für Praktika alles andere als fair.

Der Einstieg in eine Karriere bei der UN ist teuer. Die Weltorganisation ist bei den Bedingungen für Praktika alles andere als fair.

Die UN ist kein Ponyhof. Wer in der Weltorganisation arbeiten will, hat besser das nötige Startkapital zur Hand. Ein Polster von ein paar tausend Euro öffnet einem die Eingangstür. Wer weiter hinauf will, sollte schon den Gegenwert einer Luxuslimousine in die Hand nehmen.
Viele versuchen den Weg in die UN über ein Praktikum. Diese sind in der Regel unbezahlt. Die drei Hauptsitze der Organisation sind in Wien, Genf und New York. Die Lebenskosten in New York liegen laut Schätzungen des UN-Personalbüros bei rund 2.000 Euro im Monat. Ein Praktikum dauert in der Regel sechs Monate. Neben Wohnung, Essen und UBahntickets sind auch Flugreise und Unfallversicherung selbst zu bezahlen.
Ein Praktikum ist eine schwere finanzielle Belastung. Alles in allem kostet ein Aufenthalt am Hauptsitz der UN so viel wie ein neuer Kleinwagen. Wien ist zwar günstiger als New York, aber auch hier kostet das Leben zumindest ein paar hundert Euro im Monat; Genf gilt sogar als eine der teuersten Städte der Welt.
Ein fertiges Studium ist Grundvoraussetzung. Für die Bewerbung werden ein Bachelor-Abschluss und ausgezeichnetes Englisch gefordert, weitere Sprachen und Berufserfahrung gelten als unerlässlich. Qualifikationen, mit denen man gutes Geld verdient werden kann. Er hat Gerichtsurteile studiert, übersetzt und zusammengefasst, sagt Peter, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Der 27-Jährige studierte in Deutschland Jus und machte in einem Wiener UN-Office sein Praktikum.
PraktikantInnen sind billige Arbeitskräfte. Die Betreuung sei in Ordnung gewesen, hätte aber individueller sein können, sagt Peter. Ein anonymer UN-Mitarbeiter wird in einem Online-Forum expliziter: „Die Praktikanten seien meist reine Lückenbüßer für Aufgaben, für die es an bezahlten Mitarbeitern fehlt. Ehemalige PraktikantInnen bei mehreren UN-Organisationen berichten PROGRESS von ähnlichen Verhältnissen.
Zu Lernen gibt es bei den Praktika oft recht wenig. Bei der UN gebe es zwei Arten von ChefInnen, sagt Filip Aggestam, Sprecher des PraktikantInnen- Netzwerks UNIIN: „Die einen erlauben ihren Praktikanten nicht, substanzielle Arbeit zu übernehmen, und setzen sie für Sekretärs- Aufgaben ein.“ Andere bürdeten den Jungen ihre eigenen Aufgaben auf. Nur in seltenen Fällen erlaubten die ChefInnen echte Mitarbeit.
Bessere Bedingungen für Praktika könnten die UN stärken. „Um beruflich tatsächlich zu wachsen, sollte die Arbeit von PraktikantInnen viel genauer definiert werden“, sagt Aggestam. Das stärke die Fähigkeiten späterer Arbeitskräfte. Bezahlung für Praktika würde zudem mehr Menschen den Zugang zur UN ermögliche. Das ermögliche der UN, von einer breiteren Basis an möglichen MitarbeiterInnen zu rekrutieren, sagt der Sprecher des PraktikantInnen- Netzwerks.
Die Menschenrechtscharta der UN verbietet die Ausbeutung von Arbeitskräften. JedeR, der oder die arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz für sich selbst und die eigene Familie sichert, heißt es in Artikel 23. Offiziell argumentiert die UN, dass ein Praktikum eine Ausbildung sei, und darum nicht bezahlt wird.
Innerhalb der UN gibt es positive Ausnahmen. Einige kleinere UN-Unterorganisationen wie die Atomenergiebehörde in Wien und die Internationale Arbeitsorganisation in Genf zahlen PraktikantInnen eine Aufwandsentschädigung, decken aber damit aber oft bei weitem nicht alle Kosten ab. Intern gelten die diplomatischen VertreterInnen der Nationalstaaten als GegnerInnen einer Praktika-Entlohnung; diese seien Geldverschwendung, heißt es aus UN-Kreisen.
Durch die unbezahlte Arbeit öffnet sich eine soziale Schere, die von Stipendien kaum ausgeglichen wird. Staatliche Förderungen für UN-Praktika gibt es vor allem in großen Ländern wie Deutschland und den USA, die einen umfangreichen diplomatischen Stab unterhalten, und für dessen Nachwuchs sorgen müssen. Die große Mehrheit der PraktikantInnen bei der UN stammen ohnehin aus Europa und den USA, zeigt eine Studie von UNIIN.
Österreich bietet keine Förderung. Es existieren weder öffentliche noch private Stipendien für UN-Praktika, berichtet der Österreichische Austauschdienst. Im Ausland fördern private Stiftungen Aufenthalte bei der UN. Diese sind aber oft an spezielle Vorgaben gebunden, etwa eine bestimmten StaatsbürgerInnenschaft oder religiöse Zugehörigkeit.

The kids don’t stand a chance. Für eine Karriere reicht ein Praktikum meist ohnehin nicht. Kaderschmiede für die UN ist ein Zirkel von Elite- Universitäten mit speziellen Masterstudien. Die renommierteste Adresse ist das Graduate Institute, das direkt am UN-Sitz in Genf liegt. Zu den Lehrenden zählen Koryphäen aus den Vereinten Nationen und der Weltbank. „Wenn die UN Praktikanten braucht, kommt sie zu uns“, sagt die Sprecherin des Instituts. Neben fixen Praktikaplätzen bietet die Schule persönliche Beratung für Karriereplanung und Bewerbungen.
Die Studierenden profitieren dabei vom Netzwerk ihrer ProfessorInnen. „Wir verschaffen ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren Traumjob“, sagt die Sprecherin. Ein Viertel der Studierenden finde später eine Stelle bei der UN, der Rest komme bei anderen internationalen Organisationen unter.
Die Universitäten suchen sich ihre Studierenden genau aus. Weltweit gibt es ein Netzwerk von 33 solcher „Professional Schools“ für Internationale Beziehungen, neben dem Graduate Institute sind darunter auch bekannte Namen wie die Columbia in New York und Sciences Po in Paris. Nur ein paar Personen erhalten jedes Jahr einen Platz in deren Masterprogrammen.
Geld und Vorbildung entscheiden über die Studienplätze. Das Genfer Institut kostet zwar mit 3.700 Euro Studiengebühren für zwei Jahre im internationalen Vergleich wenig, für ein Jahr in der Schweiz brauche man aber rund 12.000 Euro zum Leben, rechnet das Institut vor. Ein zweijähriger Master kostet damit ähnlich viel wie ein Mercedes der C-Klasse. Bevorzugt werden BewerberInnen, die vorher an einer teuren Universität den Bachelor gemacht haben. Ein Oxford-Abschluss schade nicht, sagt die Pressereferentin.
Die Vereinten Nationen schließt damit die Mittelklasse nahezu aus, von finanz schwächeren Menschen nicht zu sprechen. Eine DiplomatInnenkarriere bei der UN kostet mehr Geld, als die meisten Studierenden aufbringen können. Der Weg steht damit für jene offen, denen die Höhe der anfänglichen „Investition“ egal sein kann. Die Weltorganisation hilft das zu schaffen, was ihre Gründerväter im Geiste von Demokratie und Aufklärung zu verhindern suchten – eine Weltaristokratie.

Zeit statt Zasta

  • 13.07.2012, 18:18

Tauschkreisexperimente verstehen sich als Alternative zum geldbestimmten Wirtschaftssystem und als eine Form von Solidarischer Ökonomie. Es gibt sie auch in Österreich.

Tauschkreisexperimente verstehen sich als Alternative zum geldbestimmten Wirtschaftssystem und als eine Form von Solidarischer Ökonomie. Es gibt sie auch in Österreich.

Die Idee der Solidarischen Ökonomie hat viele Projekte mit sehr unterschiedlichen Ansätzen hervorgebracht. In der Praxis werden unter diesem weitgefassten Begriff Initiativen wie Kost-Nix-Läden, Faire Gemeinden, ReproduktionsgenossInnenschaften, solidarische Mikrokredite und viele andere zusammengefasst. Ihr Ziel ist es eine Ökonomie zu schaffen, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht umgekehrt. Erreicht werden soll dies unter anderem über regionale Projekte, die sich aber durchaus interregional vernetzen. Ein Teil davon bilden Tauschkreise, auch Zeittauschbörsen genannt, bei denen geldloses Tauschen von Dienstleistungen und Waren auf regionaler Ebene ermöglicht wird.

Zeit ist Geld? Die ersten Tauschkreis- Projekte starteten in den 1990ern und konnten sich seither einer stetigen Verbreitung erfreuen. Vor allem in den letzten Jahren bildeten sich viele neue Zeittauschbörsen, nicht nur in Österreich. Die Idee leitet sich von einer grundsätzlichen Kritik am vom Geld gesteuerten Wirtschaftssystem ab. Vor allem Zins und Zinseszins werden dabei stark abgelehnt. Als Alternative wird bei Tauschkreisen die Zeit als „Währungseinheit“ begriffen. Eine Stunde bleibt immer gleich viel wert, egal ob es dabei ums Abwaschen oder Computer-Programmieren geht. Bei dieser Form von Tausch entsteht wegen Zins noch Wertverlust. Dabei muss es sich nicht um einen direkten Tausch zwischen zwei Personen handeln, es kann jede Leistung aus dem Pool an Angeboten ausgewählt werden. Ein einfaches Beispiel: Mirijam hilft Thomas eine Stunde lang bei der Gartenarbeit und lässt sich dafür zwei Wochen später beim Ausmalen von Nadin unterstützen. Auf diese Weise kann jede Person für eine erbrachte Leistung das Angebot von anderen Mitgliedern des Tauschkreises in Anspruch nehmen. Es können auch Schulden gemacht werden, die am Stunden-Konto der Person verbleiben.
In Niederösterreich beteiligen sich momentan etwa 300 Menschen am Talente-Tauschkreis, der in sieben Regionalgruppen unterteilt ist. Neben einer Online-Datenbank, die Übersicht für alle Mitglieder garantiert werden auch monatliche Koordinationstreffen veranstaltet.
Die aktive Teilnahme an dieser Form der Nachbarschaftshilfe ist für Menschen mit wenig Geld natürlich besonders interessant. So sind es hauptsächlich PensionistInnen, Arbeitslose und „Hausfrauen“, die das Angebot nutzen. Jugendliche und Erwerbstätige beteiligen sich nur in Ausnahmefällen am Projekt.
Für Arbeitslose etwa kann ein Tauschkreis eine wichtige Organisation sein. Ob die Teilnahme daran einen Arbeitsplatz ersetzen kann, dürfte aber von Fall zu Fall unterschiedlich zu bewerten sein. So können Zeit-Gutscheine, sofern diese in Anspruch genommen werden, nur zu einem gewissen Ausmaß eingesetzt werden, da das Finanzamt auch diese als Einkommen verrechnet und die Grenze von knapp 4000 Euro pro Jahr (1h = 10 Euro) nicht überschritten werden darf. Vergessen werden darf auch nicht, dass ein Tauschkreis nur Teilweise ein Ersatz für ein monetäres Einkommen ist. Die Miete für eine Wohnung etwa kann über dieses Tauschsystem nicht beglichen werden.

Barter-Ring. Auch für kleine und mittlere Unternehmen besteht die Möglichkeit, sich am Niederösterreichischen Tauschkreis zu beteiligen. Dieses System wird als Barter-Ring bezeichnet und bietet lokalen Unternehmen die Möglichkeit beim Tauschsystem mitzumachen. Dieser funktioniert in den Grundzügen gleich wie das Zeit-Tauschen zwischen Privatpersonen. Unternehmen, die Zeit-Gutscheine von Mitgliedern annehmen, können diese gleichwertig weiterverwenden. Entweder sie nehmen das Angebot einzelner Personen in Anspruch oder sie tauschen wiederum mit anderen Unternehmen in der Umgebung. Will ein Unternehmen aus den eingenommenen Zeit-Gutscheinen aber Geld machen, muss eine Abgabe entrichtet werden. Das soll dazu animieren, vermehrt Geschäfte mit andern regionalen Betrieben zu machen, als mit großen internationalen Billiganbietern. Auf diese Weise bekommt der Tauschkreis eine größere wirtschaftliche Bedeutung, indem lokale Unternehmen und ProduzentInnen gefördert werden. Die teilnehmenden Unternehmen sind auch dazu verpflichtet, die Leistungen, die mit Zeit-Gutscheinen beglichen werden, zu versteuern, denn ob in Zeit oder Geld bezahlt wird, ändert nichts an der Steuerpflicht.
Tauschkreise werden von Franz Holzer, Obmann des Talente- Tauschkreis Niederösterreich, aber nicht als Alternative zum bestehenden Wirtschaftssystem gesehen, sondern nur als Ergänzung dessen. Gezielt wird sowohl auf den lokalen Einfluss als auch in die Hoffnung, über kleine Veränderungen in der Gemeinde schließlich auch größere Prozesse anstoßen zu können. Der Tauschkreis ist gänzlich von der Motivation und Beteiligung der Mitglieder abhängig und kann auch in diesem Sinne mit anderen Projekten der Solidarischen Ökonomie verglichen werden. Im Unterschied zu Kost-Nix-Läden oder Volksküchen werden durch den Barter-Ring auch UnternehmerInnen in das Projekt einbezogen.
Franz Holzer sieht im Tauschkreisexperiment durchaus auch eine Perspektive für die Zukunft. Er geht davon aus, dass die regionalen Gruppen weiterhin an Zulauf gewinnen werden. Denn das Vertrauen in das gegenwärtige Wirtschaftssystem werde weiter sinken. Schließlich ist es schwer, Vorhersagen über die Entwicklung von Wert und Bedeutung des Geldes zu treffen. Eine Stunde, die ich heute tausche, bleibt aber voraussichtlich auch in 20 Jahren noch eine Stunde.

Welche Uni ist die beste?

  • 13.07.2012, 18:18

Hochschul-Rankings finden immer wieder ihren Weg in die Schlagzeilen: Österreich schneidet darin nie besonders gut ab. Doch beeinflussen Rankings tatsächlich bei der Studienwahl?

Hochschul-Rankings finden immer wieder ihren Weg in die Schlagzeilen: Österreich schneidet darin nie besonders gut ab. Doch beeinflussen Rankings tatsächlich bei der Studienwahl?

Mitte November wurde das Shanghai-Universitäts-Ranking veröffentlicht: Einmal mehr werden darin amerikanische Hochschulen wie Harvard und Stanford zu den besten Unis der Welt gekürt; europäische Hochschulen sind kaum unter den Spitzenplätzen zu finden. Die Universität Wien liegt zwischen Platz 151 und 200, weit entfernt von den Top-Unis der Welt. Der Umstand, dass die heimischen Hochschulen derart abgeschlagen sind, bietet jede Menge Stoff für Schlagzeilen samt Kritik am vorherrschenden Bildungssystem. Doch sind derartige Rankings für heimische Studierende überhaupt relevant? Beeinflussen sie die Studienwahl tatsächlich in einem derartigen Ausmaß?

Rankings sind relativ. „Nicht in erster Linie“, meint Richard (26), der an der Wirtschaftsuniversität Wien studiert hat und seinen PhD am Institut für Höhere Studien macht. „Für mich sind Rankings eine Orientierungshilfe. Die Kriterien der Rankings sind manchmal fraglich.“ Eine Meinung, die auch Theresa Oberauer teilt: Sie hat für das Buch Bologna – What’s next? Einen Beitrag zum Thema Uni-Rankings verfasst. „Es muss natürlich hinterfragt werden, auf Basis welcher Daten gerankt wird“, erklärt sie. Im Falle des kürzlich veröffentlichen Shanghai- Rankings wird beispielsweise die Anzahl der Nobelpreisträger, die die jeweilige Hochschule hervorgebracht hat, in die Wertung mit einbezogen. „Das ist eine Zahl, die sich im Laufe der Jahre nicht stark verändern wird – ich und viele Autoren bezweifeln die Aussagekraft dieses Indikators“, meint Oberauer.

Kaum vergleichbar. Doch wie könnten Rankings zu einer höheren Aussagekraft kommen? „Wenn man sich auf eine einheitliche Messmethode zur Evaluierung einigen könnte, würde ein Uni-Ranking sicher als Orientierungshilfe dienen“, ist Theresa Oberauer überzeugt. Doch die derzeitigen Evaluationen wie das Times Higher Education Ranking oder das Shanghai-Ranking arbeiten mit unterschiedlichen Indikatoren, die Vorgehensweisen bleiben intransparent. Dazu kommt, dass Hochschulen auf der ganzen Welt kaum miteinander vergleichbar sind. „Größere Universitäten schneiden bei Rankings immer besser ab, weil mehr Absolventen positive Angaben zur Hochschule machen können als in Kleinen“, erklärt Oberauer. „Dabei ist gerade in kleineren Universitäten das Betreuungsverhältnis meist besser.“
Relevant sind Uni-Rankings in jenen Ländern, in denen sie durchgeführt werden, wie beispielsweise in den USA. „In europäischen Breitengraden werden Rankings eher noch als Zusatzinformation beachtet“, meint Stefan Hopmann. In Österreich scheinen die Hochschul- Tests bei der Wahl von Auslandssemestern eine Rolle zu spielen: In Fächern wie Internationale Betriebswirtschaft, die das Absolvieren eines Auslandssemesters erfordern, werden Rankings doch zur Entscheidungshilfe herangezogen. Die 27-jährige Christine hat sich vor ihrem Auslandssemester in Lyon sehr wohl das Ranking der dortigen Uni näher angeschaut. Und trotz des guten Rankings waren „die Klassen nicht unbedingt kleiner, und die Lehre nicht besser“ im Vergleich zur WU. Ein Aspekt, der eine viel größere Rolle spielen dürfte, ist das Prestige einer Hochschule.

Heimische Tests. Rankings, die sehr wohl die Meinung von (Neo-) Studierenden bei der Wahl der Hochschule beeinflussen könnten, sind jene, die von heimischen Magazinen durchgeführt werden. „Es ist zu hinterfragen, wie qualitativ hochwertig diese Rankings sind“, gibt Oberauer zu bedenken.
 Letztendlich vertrauen (Neo-) Studierende dann doch am liebsten Referenzen von Bekannten und FreundInnen: Mundpropaganda und Sympathie für eine Hochschule sind die Indikatoren, die die Entscheidung für eine Universität maßgeblich beeinflussen. Auch Student Richard meint: „Es kommt darauf an was die langfristigen Ziele sind: Wie wichtig einem das Leben und die Stadt sind und Aspekte wie Freizeit, Sprache und Kultur.“ Indikatoren, die ein Ranking nur schwer messen kann.

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