Zeit statt Zasta

  • 13.07.2012, 18:18

Tauschkreisexperimente verstehen sich als Alternative zum geldbestimmten Wirtschaftssystem und als eine Form von Solidarischer Ökonomie. Es gibt sie auch in Österreich.

Tauschkreisexperimente verstehen sich als Alternative zum geldbestimmten Wirtschaftssystem und als eine Form von Solidarischer Ökonomie. Es gibt sie auch in Österreich.

Die Idee der Solidarischen Ökonomie hat viele Projekte mit sehr unterschiedlichen Ansätzen hervorgebracht. In der Praxis werden unter diesem weitgefassten Begriff Initiativen wie Kost-Nix-Läden, Faire Gemeinden, ReproduktionsgenossInnenschaften, solidarische Mikrokredite und viele andere zusammengefasst. Ihr Ziel ist es eine Ökonomie zu schaffen, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht umgekehrt. Erreicht werden soll dies unter anderem über regionale Projekte, die sich aber durchaus interregional vernetzen. Ein Teil davon bilden Tauschkreise, auch Zeittauschbörsen genannt, bei denen geldloses Tauschen von Dienstleistungen und Waren auf regionaler Ebene ermöglicht wird.

Zeit ist Geld? Die ersten Tauschkreis- Projekte starteten in den 1990ern und konnten sich seither einer stetigen Verbreitung erfreuen. Vor allem in den letzten Jahren bildeten sich viele neue Zeittauschbörsen, nicht nur in Österreich. Die Idee leitet sich von einer grundsätzlichen Kritik am vom Geld gesteuerten Wirtschaftssystem ab. Vor allem Zins und Zinseszins werden dabei stark abgelehnt. Als Alternative wird bei Tauschkreisen die Zeit als „Währungseinheit“ begriffen. Eine Stunde bleibt immer gleich viel wert, egal ob es dabei ums Abwaschen oder Computer-Programmieren geht. Bei dieser Form von Tausch entsteht wegen Zins noch Wertverlust. Dabei muss es sich nicht um einen direkten Tausch zwischen zwei Personen handeln, es kann jede Leistung aus dem Pool an Angeboten ausgewählt werden. Ein einfaches Beispiel: Mirijam hilft Thomas eine Stunde lang bei der Gartenarbeit und lässt sich dafür zwei Wochen später beim Ausmalen von Nadin unterstützen. Auf diese Weise kann jede Person für eine erbrachte Leistung das Angebot von anderen Mitgliedern des Tauschkreises in Anspruch nehmen. Es können auch Schulden gemacht werden, die am Stunden-Konto der Person verbleiben.
In Niederösterreich beteiligen sich momentan etwa 300 Menschen am Talente-Tauschkreis, der in sieben Regionalgruppen unterteilt ist. Neben einer Online-Datenbank, die Übersicht für alle Mitglieder garantiert werden auch monatliche Koordinationstreffen veranstaltet.
Die aktive Teilnahme an dieser Form der Nachbarschaftshilfe ist für Menschen mit wenig Geld natürlich besonders interessant. So sind es hauptsächlich PensionistInnen, Arbeitslose und „Hausfrauen“, die das Angebot nutzen. Jugendliche und Erwerbstätige beteiligen sich nur in Ausnahmefällen am Projekt.
Für Arbeitslose etwa kann ein Tauschkreis eine wichtige Organisation sein. Ob die Teilnahme daran einen Arbeitsplatz ersetzen kann, dürfte aber von Fall zu Fall unterschiedlich zu bewerten sein. So können Zeit-Gutscheine, sofern diese in Anspruch genommen werden, nur zu einem gewissen Ausmaß eingesetzt werden, da das Finanzamt auch diese als Einkommen verrechnet und die Grenze von knapp 4000 Euro pro Jahr (1h = 10 Euro) nicht überschritten werden darf. Vergessen werden darf auch nicht, dass ein Tauschkreis nur Teilweise ein Ersatz für ein monetäres Einkommen ist. Die Miete für eine Wohnung etwa kann über dieses Tauschsystem nicht beglichen werden.

Barter-Ring. Auch für kleine und mittlere Unternehmen besteht die Möglichkeit, sich am Niederösterreichischen Tauschkreis zu beteiligen. Dieses System wird als Barter-Ring bezeichnet und bietet lokalen Unternehmen die Möglichkeit beim Tauschsystem mitzumachen. Dieser funktioniert in den Grundzügen gleich wie das Zeit-Tauschen zwischen Privatpersonen. Unternehmen, die Zeit-Gutscheine von Mitgliedern annehmen, können diese gleichwertig weiterverwenden. Entweder sie nehmen das Angebot einzelner Personen in Anspruch oder sie tauschen wiederum mit anderen Unternehmen in der Umgebung. Will ein Unternehmen aus den eingenommenen Zeit-Gutscheinen aber Geld machen, muss eine Abgabe entrichtet werden. Das soll dazu animieren, vermehrt Geschäfte mit andern regionalen Betrieben zu machen, als mit großen internationalen Billiganbietern. Auf diese Weise bekommt der Tauschkreis eine größere wirtschaftliche Bedeutung, indem lokale Unternehmen und ProduzentInnen gefördert werden. Die teilnehmenden Unternehmen sind auch dazu verpflichtet, die Leistungen, die mit Zeit-Gutscheinen beglichen werden, zu versteuern, denn ob in Zeit oder Geld bezahlt wird, ändert nichts an der Steuerpflicht.
Tauschkreise werden von Franz Holzer, Obmann des Talente- Tauschkreis Niederösterreich, aber nicht als Alternative zum bestehenden Wirtschaftssystem gesehen, sondern nur als Ergänzung dessen. Gezielt wird sowohl auf den lokalen Einfluss als auch in die Hoffnung, über kleine Veränderungen in der Gemeinde schließlich auch größere Prozesse anstoßen zu können. Der Tauschkreis ist gänzlich von der Motivation und Beteiligung der Mitglieder abhängig und kann auch in diesem Sinne mit anderen Projekten der Solidarischen Ökonomie verglichen werden. Im Unterschied zu Kost-Nix-Läden oder Volksküchen werden durch den Barter-Ring auch UnternehmerInnen in das Projekt einbezogen.
Franz Holzer sieht im Tauschkreisexperiment durchaus auch eine Perspektive für die Zukunft. Er geht davon aus, dass die regionalen Gruppen weiterhin an Zulauf gewinnen werden. Denn das Vertrauen in das gegenwärtige Wirtschaftssystem werde weiter sinken. Schließlich ist es schwer, Vorhersagen über die Entwicklung von Wert und Bedeutung des Geldes zu treffen. Eine Stunde, die ich heute tausche, bleibt aber voraussichtlich auch in 20 Jahren noch eine Stunde.

AutorInnen: Lukas Ellmer