Reise zu einem alten Nachbarn

  • 13.07.2012, 18:18

Die Autorin des vorliegenden Artikels entdeckte bei ihrer Reise in die Vojvodina erstaunliche Parallelen zwischen ihrer Kärntner Heimat und Serbien. Ein Essay.

Die Autorin des vorliegenden Artikels entdeckte bei ihrer Reise in die Vojvodina erstaunliche Parallelen zwischen ihrer Kärntner Heimat und Serbien. Ein Essay.

Der die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte“, sagte einst Kurt Tucholsky. Diesen Sommer verschlug es mich nach Serbien, nach Novi Sad, in die Hauptstadt der Vojvodina, um Serbisch zu lernen und das nächste Sommersemester werde ich dort verbringen. In Österreich gehen diesbezüglich außer in slawophilen Kreisen die allgemeinen Reaktionen in Richtung „Aha, Serbien, wieso machst du denn das?“, was mich aber nicht nachhaltig erschüttert, weil die Reaktionen ähnlich waren, als ich mit dem Slowenischstudium begann.
Diesen, im Allgemeinen diffusen „antislawischen Reflex“, um mit den Worten eines Freundes zu sprechen, kannte ich schon: Schließlich gelten etwa slawische Sprachen immer noch als ExotInnenstudien, der Balkan und Südosteuropa immer noch als stiefmütterliche Gebiete der Geschichtswissenschaften und als terra incognita der DurchschnittsösterreicherInnen, wenn man von der kroatischen Küste mal absieht. Noch einmal schlimmer und eigentlich genauso diffus wütet dieser antislawische, hier antislowenische Reflex in meinem Heimatbundesland Kärnten. Gerade als Kärntnerin zeigten sich mir erstaunliche Parallelen, als ich nun Serbien ein bisschen kennen lernte: Die Vojvodina bzw. ganz Serbien und Kärnten sind aus ähnlichen Gründen wunderschön, wie sie auch an denselben Problemen und Krankheiten laborieren.

In Geiselhaft. Zunächst vielleicht eine kurze Vorstellung: Die Vojvodina, einst „Kornkammer Serbiens“ genannt, ist der nördlichste Teil des Landes und unterschiedet sich vom restlichen Serbien. Die Vojvodina ist bunt in vielerlei Hinsicht, war sie etwa immer schon Heimat vieler verschiedener Volksgruppen, Religionen und Sprachen. Neben SerbInnen, die mittlerweile die Mehrheit stellen, leben hier UngarInnen, SlowakInnen, Roma und Sinthi, KroatInnen, BulgarInnen, RumänInnen, BunjewatzInnen, GoranInnen, RussInnen und viele mehr. Die Provinz kann als ein vorbildliches Beispiel für Mehrsprachigkeit, Minderheitenschutz und politischer Partizipation der Volksgruppen gelten – also etwas, was man sich für Kärnten nur wünschen kann.
Als Folge dessen sind offizielle Aufschriften und Anschriften sehr lang: Der Stempel der Universität etwa ist handtellergroß, um dem Namen der Universität in allen Amtssprachen Platz zu bieten. Bunt ist die Vojvodina auch landschaftlich, durchzogen von Donau, Theiß, Save und ihren unzähligen Nebenarmen, und sehr fruchtbar: Pannonisch flach sieht man oft nicht, wo die riesengroßen Sonnenblumenoder Weizenfelder enden.
In Serbien gibt es wie in vielen anderen Staaten ein Nord-Südgefälle. Die Vojvodina gilt als reicher, relativ gut entwickelter Norden mit (für serbische Verhältnisse) viel Wohlstand und Stabilität und wenig Arbeitslosigkeit und Nationalismus. Nicht so zufällig also, dass das größte Musikfestival Südosteuropas Exit in Novi Sad stattfindet, wo es vor elf Jahren von einer studentischen Bewegung gegen das Milošević-Regime gegründet worden ist.
Was wir in den letzten 20 Jahren über die Medien von Serbien gehört haben lässt sich leicht unter ein paar Schlagwörtern zusammenfassen: Nationalismus, Milošević, Kriegsverbrechen. Serbien ist medial (aus gutem Grund) schlecht weggekommen. Aber: Es gibt auch ein anderes Serbien. So wie ich oft betonen muss, dass es auch ein anderes Kärnten gibt, fern von dem Haidergeprägten. Es gibt junge Menschen, denen bei diesen Parolen schlecht wird, die sich nicht damit identifizieren und versuchen, es besser zu machen. Und solche gibt es eben auch in Serbien.

Erzählt von uns! Ein Anliegen kam auf der Sommerschule der Universität, die wir besuchten, öfter auf: Ihr, die ihr hier wart, habt nun gesehen, dass Serbien sehr schön und lebenswert sein kann – wenn ihr wieder nach Hause geht, dann erzählt dort davon. Jenen, die in Serbien die Stellung halten, ist also glasklar, wie Serbien in den letzten Jahren medial im Ausland rezipiert wurde. Ich tue es hiermit sehr gerne, weil ich noch nie gastfreundlichere Menschen getroffen habe als dort. An dieses Ausmaß an Gastfreundschaft muss man sich erst mal gewöhnen: Manches Mal war es uns schon unangenehm, weil wir das Gefühl hatten, nicht genügend zurückzugegeben. Aber das war eine falsche Denkweise. Mittlerweise habe ich ihre Art von Gastfreundschaft verstanden: Sie ist kategorischer Imperativ und hat nichts mit Berechnung oder Reichtum zu tun. Ja, wir sind „dem Balkan“ in vielerlei Hinsicht voraus (demokratiepolitisch, wirtschaftlich, in der Bekämpfung von Korruption und Arbeitslosigkeit), aber in mancherlei Hinsicht sollten wir uns was von ihm abschauen.
Es gibt noch eine andere traurige Parallele zwischen Serbien und Kärnten: Der Exodus der jungen, unternehmungslustigen, gebildeten Elite. Kärnten entschwinden pro Tag vier KärntnerInnen und neben der geringen Zuwanderung und der niedrigen Geburtenrate ist das Auswandern der Bildungselite der Hauptgrund dafür. Serbien leidet im Vergleich noch viel stärker an diesem Brain-drain: In den Neunzigern verließen fast eine halbe Million junge, gut ausgebildete SerbInnen ihr Land (darunter 33 Prozent der 20- bis 30-Jährigen) – und dieser Trend hält an. In einer Umfrage gaben 20 Prozent der hochqualifizierten SerbInnen an, sie seien fest entschlossen auszuwandern, und immerhin 54 Prozent waren der Idee nicht abgeneigt. Zurück bleiben vielfach die Unterprivilegierten und die schlecht Gebildeten, denen die korrupten PolitikerInnen auf der Nase herumtanzen können.
Es liegt mir fern, ein romantisch- verklärtes Bild von Serbien zu zeichnen. Klar liegt dort vieles im Argen. Jahrzehnte nationalistischer Manipulation haben ihre Spuren hinterlassen. Allerdings sind wir sehr schnell mit einem Urteil bei der Hand, wenn es um ein Land geht, das nur die wenigsten von uns selbst bereist haben. Ganz klar, in unserem GastarbeiterInnenbus, der einmal die Woche die Route von Bregenz nach Požarevac abfährt, waren wir auf weiter Flur die einzigen NichtserbInnen. Klar, das Tourismusziel Nummer Eins ist es nicht, wie etwa Kroatien, das übrigens mit ähnlichen Übeln zu kämpfen hat. Der Unterschied ist nur: Kroatien sehen wir es eher nach, „weil dahin fahren wir ja so gern auf Urlaub“. Es ist viel leichter, unbekanntes Land und Leute zu verdammen. Insofern ist es uns nur zu wünschen, in der Zukunft noch stärker zusammenzuwachsen und unsere Nachbarländer überhaupt erst mal kennen zu lernen.

AutorInnen: Karin Almasy