Praktikum

Mythos Praktikum

  • 11.05.2017, 19:54
Der Arbeitsalltag von Studierenden ist von prekären Arbeitsverhältnissen geprägt. Immer mehr junge ArbeitnehmerInnen finden sich in Scheinselbständigkeit, Praktika und Volontariaten wieder. Viele Unternehmen nutzen rechtliche Grauzonen schamlos aus, um sich auf ihre Kosten zu bereichern.

Der Arbeitsalltag von Studierenden ist von prekären Arbeitsverhältnissen geprägt. Immer mehr junge ArbeitnehmerInnen finden sich in Scheinselbständigkeit, Praktika und Volontariaten wieder. Viele Unternehmen nutzen rechtliche Grauzonen schamlos aus, um sich auf ihre Kosten zu bereichern.

Die meisten Jobausschreibungen beinhalten den kleinen Satz „mehrjährige Erfahrung im Bereich xy wünschenswert“. Um diese geforderte Erfahrung sammeln zu können, verschlägt es angehende ArbeitnehmerInnen dann in sogenannte Praktika. Die Unternehmen locken mit aufregenden Tätigkeiten und versüßen einem die Arbeit oftmals mit der Option auf Verlängerung oder gar Fixanstellung. Hier wären wir auch schon beim Mythos Praktikum angelangt, denn die Realität sieht meist leider anders aus: mangelnde Einschulung, schlechte oder keinerlei Bezahlung und nach einigen Monaten des Schuftens heißt es dann auf Wiedersehen. Anschließend beginnt für viele das ganze Spiel wieder von vorne. Für eine richtige Anstellung bringt man zu wenig Erfahrung mit, darum wird einem ein weiteres Praktikum angeboten oder empfohlen.

Kein Wunder also, dass laut einer aktuellen Erhebung der GPA-djp (Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier) mehr als ein Viertel der jungen ArbeitnehmerInnen schon vier oder mehr (freiwillige und verpflichtende) Praktika absolviert haben. 92 Prozent der Studierenden sehen zudem die Notwendigkeit, weitere Praktika zu absolvieren, um ihre Jobchancen am Arbeitsmarkt zu verbessern. ExpertInnen zufolge steigt die Anzahl an Praktikumsplätzen stetig, während die Aussichten auf ordentliche Arbeitsplätze auch für AbsolventInnen von BMS, BHS, Fachhochschulen und Universitäten eher trist sind. Die Zahl der arbeitslosen JungakademikerInnen ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass immer mehr Studierende sich in prekäre Arbeitsverhältnisse drängen lassen, sind diese doch allemal besser als gänzlich arbeitslos zu sein, oder? Der Bundesjugendsekretärin der GPAdjp Barbara Kasper zufolge verschließt die österreichische Wirtschaftskammer vor dem Prekariat die Augen. Die Unternehmen seien nur daran interessiert, durch Praktika Nachwuchs auszubilden und zu rekrutieren.

DER MYTHOS. Ein großes Problem ist, dass es laut Arbeitsrecht das Praktikum gar nicht gibt. Menschen in Österreich können als ArbeiterIn oder Angestellte/r beschäftigt werden oder freie DienstnehmerInnen sein, aber die Anstellungsform des Praktikums existiert nicht. Diese Titulierung dient in erster Linie dazu, die Entlohnung zu schmälern. Unternehmen wird so die Möglichkeit geboten, sich in rechtlichen Graubereichen zu bewegen und sogenannte Praktika werden zum lukrativen Geschäftsmodell auf Kosten der Jugend. Gerade das Argument der Unternehmen, man müsse sich neue MitarbeiterInnen erst einmal ansehen, ist an den Haaren herbeigezogen. Dafür gibt es längst ein geeignetes Mittel, genannt Probemonat.

Praktikum ist nicht gleich Praktikum. Pflichtpraktika sind im Rahmen einer (Hoch-)Schulausbildung zu absolvieren und können sowohl in Form eines Arbeitsverhältnisses als auch eines Ausbildungsverhältnisses gemacht werden, je nachdem welcher Aspekt überwiegt. Handelt es sich dabei um ein Arbeitsverhältnis, steht PraktikantInnen durchaus Gehalt zu. Als praktische Indikatoren können folgende Fragen dienen: Bin ich in die Hierarchie des Unternehmens eingegliedert? Gibt es jemanden, der mir anordnen kann, was ich zu tun und zu lassen habe? Übernehme ich eine betriebliche Aufgabe (zum Beispiel EMail- Korrespondenz für das Unternehmen)? Habe ich einen fixen Arbeitsplatz und eine eigene Mailadresse? Dank der Bemühungen der Gewerkschaft bilden viele Kollektivverträge die besondere Situation von PflichtpraktikantInnen inzwischen ab. Laut KV für Angestellte im Metallgewerbe werden PflichtpraktikantInnen die ersten zwei Monate mit 80 Prozent des regulären Einstiegsgehalts entlohnt, anschließend sogar voll. Volontariate sind hingegen reine Ausbildungsverhältnisse und dienen dem Hineinschnuppern in bestimmte Berufe. Man erhält dafür kein Geld, ist aber in keiner Art weisungsgebunden. Sprich: Es gelten keine Bürozeiten oder Kündigungsfristen. Nimmt man neben Schule oder Studium aber ein freiwilliges Praktikum an, handelt es sich hierbei in der Regel um ganz normale befristete Dienstverhältnisse, die dem jeweiligen Kollektivvertrag unterliegen und entsprechend bezahlt werden müssen.

ZWANGSBEGLÜCKT. Die Studierenden- Sozialerhebung 2016 zeigt, dass 2015 44 Prozent der 47.000 befragten Studierenden mindestens ein Praktikum absolviert haben, 25 Prozent ein Pflichtpraktikum und 28 Prozent ein freiwilliges. Die Ergebnisse der zuvor angesprochenen Studie der GPA-djp sind noch erheblich erschreckender. Es wurden 400 Universitäts- und FH-Studierende sowie SchülerInnen aus BMS, BHS oder sonstigen berufsbildenden Schulen befragt. 61 Prozent aller Studierenden und 82 Prozent aller SchülerInnen müssen im Rahmen ihrer Ausbildung ein Pflichtpraktikum vorweisen können. Diese nehmen nicht nur prozentual, sondern auch an zeitlichem Ausmaß zu. Bis zu 20 Wochen oder mehr müssen absolviert werden, um die Ausbildung beenden zu können. Wann und unter

welchen Bedingungen ihre Auszubildenden gezwungen sind zu arbeiten, interessiert die (Hoch-)Schulen in der Regel kaum. Kritisch hinterfragt werden muss hier, wozu Praktika in immer mehr universitäre Studienpläne aufgenommen werden. Warum müssen zum Beispiel Studierende des Bachelors Japanologie an der Uni Wien ein Praktikum im Ausmaß von 160 Stunden absolvieren?

Die Tätigkeitsfelder können bei der Absolvierung von Praktika stark variieren: bergeweise Akten kopieren, Kaffee kochen, Telefonzentrale spielen, für Vorgesetzte Einkäufe tätigen oder Recherchen erledigen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Doch auch anspruchsvolle Positionen werden fallweise mit billigen PraktikantInnen besetzt, um etwa längere Krankenstände oder Karenzzeiten von MitarbeiterInnen zu überbrücken. So erlangt man mit Sicherheit wertvolle Berufserfahrungen, aber auch viel Stress um wenig Geld. Laut der psychologischen Studierendenberatung haben ca. ein Viertel aller Studierenden psychische Probleme wie Ängste, Depressionen und Krisen. Inwiefern hier ein Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und dem wachsenden Druck besteht, sei jetzt einmal dahingestellt. Doch der Studierenden-Sozialerhebung 2016 zufolge waren 61 Prozent der Studierenden auch unter dem Semester erwerbstätig, 18 Prozent davon sogar Vollzeit, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Von den Befragten gaben 54 Prozent an, Probleme dabei zu haben, Studium und Erwerbstätigkeit unter einen Hut zu bringen, und 26 Prozent waren stark von finanziellen Schwierigkeiten betroffen.

ARBEITEN ZUM NULLTARIF. Die traurige Wahrheit sieht zudem so aus, dass jede/r dritte Studierende zum Nulltarif arbeitet. Während der Verdienst bei SchülerInnen noch 68 Prozent des Anreizes ausmacht, sind es bei den Studierenden nur mehr ernüchternde 53 Prozent. Nur ein Drittel der Studierenden verdient bei Praktika mehr als 1.000 Euro und ein weiteres Drittel muss sich mit einem Gehalt von unter 800 Euro zufriedengeben.

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Auch in Bezug auf das Arbeitsverhältnis machen sich die ArbeitgeberInnen die Unwissenheit der jungen ArbeitnehmerInnen zum Vorteil. ArbeiterIn, Angestelle/r, DienstnehmerIn, freie/r DienstnehmerIn, Werkvertrag, Honorarnote – bitte was? Jeder Begriff steht für andere Rahmenbedingungen, Pflichten und Rechte, doch den Überblick zu behalten, fällt oft schwer. In der Regel lassen einem die Unternehmen ohnehin keine Wahl. Sollte es sich bei einem Praktikum aber um ein Arbeitsverhältnis handeln, kann auch im Nachhinein entsprechende Entlohnung bzw. die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen erstritten werden. Es empfiehlt sich dabei bereits vor Antritt eines Praktikums oder kurz nach dessen Beendigung, juristische Beratung aufzusuchen, um Ansprüche abzuklären. Nützliche Informationen hierzu bieten unter anderem die Arbeiterkammer, das Sozialreferat der ÖH sowie die GPA-djp. Diese setzt sich für eine einheitliche Regelung von Pflichtpraktika in den Kollektivverträgen im Sinne fairerer Entlohnung und Arbeitsbedingungen für die PraktikantInnen ein.Auch ein Verbot von Praktika nach der Fach- bzw. Hochschulausbildung steht auf dem Programm! Allerdings sind diese Forderungen nur dann von Erfolg gekrönt, wenn sie von den Betroffenen mitgetragen werden.

SICH ZUR WEHR SETZEN. Doch was kann man tun, wenn man un(ter)- bezahlt ist, einen falschen Werkvertrag ausübt oder in die Scheinselbstständigkeit gedrängt wird? Welche Mittel und Wege stehen einem/einer zur Verfügung, um doch noch zu seinem/ ihem Recht zu kommen? Es wäre schön, wenn es jungen ArbeitnehmerInnen finanziell möglich wäre, solch fragwürdige Jobangebote ablehnen zu können. Da aber die meisten auf Geld und/oder Berufserfahrung angewiesen sind, muss man zu anderen Mitteln greifen. Neben teuren Rechtsschutzversicherungen gibt es die Möglichkeit, die Arbeiterkammer aufzusuchen oder Gewerkschaftsmitglied zu werden. Die GPA-djp bietet beispielsweise eine kostenlose individuelle Erstberatung an. Möchte man anonym Missstände in seinem Praktikum melden, kann man dies unter watchlist-praktikum.at tun. Diese Plattform leitet die Daten auf Wunsch der PraktikantInnen an die Gebietskrankenkassen weiter, die die Unternehmen dann gegebenenfalls einer Prüfung unterziehen. Auch Stelleninserate, die mit dem Titel Praktikum versehen sind und hinsichtlich Entlohnung, Versicherung und Arbeitszeit zweifelhaft erscheinen, können dort gemeldet werden.

Möchte man sich den Ärger ganz ersparen, ist es ratsam, auf schwarzesbrett.oeh.ac.at nach Jobs mit dem Gütesiegel Praktikum der ÖH Ausschau zu halten. Diese müssen bestimmte Kriterien erfüllen und achten beispielsweise auf eine gerechte Entlohnung, die Art der Anstellung und den Umfang. Zudem legt die ÖH Wert auf eine geschlechts- und nationalitätsneutrale Formulierung der Inserate. Egal, an welche der Stellen man sich am Ende des Tages wendet, fair statt prekär ist einfach besser.

Julia Coufal hat Deutsche Philologie an der Universität Wien studiert und ist Funktionärin in der GPA-djp-Jugend Wien.

Vom Regen in die Traufe? – Aus dem Alltag einer (angehenden) Gerichtspraktikantin

  • 10.03.2016, 18:22
Insgesamt 41.856 Menschen haben im Studienjahr 2014/15 in Österreich Rechtswissenschaften studiert. Das sind immerhin 15 Prozent der Studierenden an öffentlichen Universitäten. Die allermeisten von uns machen nach dem Studienabschluss die Gerichtspraxis.

Insgesamt 41.856 Menschen haben im Studienjahr 2014/15 in Österreich Rechtswissenschaften studiert. Das sind immerhin 15 Prozent der Studierenden an öffentlichen Universitäten. Die allermeisten von uns machen nach dem Studienabschluss die Gerichtspraxis.

Mit einem juristischen Abschluss besteht ein Rechtsanspruch auf Zulassung zum Praktikum in der österreichischen Justiz – ein Masterstudium Wirtschaftsrecht erfüllt diese Voraussetzung auch. Die Anmeldung erfolgt am entsprechenden Oberlandesgericht. Die meisten verfügbaren Informationen über die Gerichtspraxis sind auf der Seite des BMJ abrufbar, unter anderem auch die notwendigen Angaben und Beilagen zum Gesuch, die sich je nach OLG-Sprengel durchaus unterscheiden.

Von der Seite kommst du auch in das ELAN-RP, ein Online-Lernprogramm, das vom BMJ zur Verfügung gestellt wird. Öffne es nicht in öffentlichen Räumen, zwinge Unbeteiligte nicht, mit dir zu leiden. Rechne mit dem Schlimmsten und finde dich einfach damit ab, denn nichts wird die Roboterstimme, den völlig unübersichtlichen Aufbau, die Schneckengeschwindigkeit, mit der das Programm Seiten lädt und die PDFs, die sich auch beim zwanzigsten Anklicken nicht öffnen lassen, erträglicher machen können.

In den fünf Monaten deiner Praxis kommst du an zumindest zwei verschiedene Gerichte, eine Strafzuteilung und eine Zivilzuteilung. Dabei handelt es sich um Bezirks- oder Landesgerichte. In den OLG-Sprengeln Linz und Innsbruck erfolgt die erste Zuteilung meist an ein Bezirksgericht. Bei Abgabe des Gesuchs ist anzugeben, ob eine Aufnahme in den richterlichen Ausbildungsdienst angestrebt wird. Diese Angabe kann in Wien während der ersten beiden Wochen der Praxis abgeändert werden, in Innsbruck jederzeit. Für die OLG-Sprengel Graz und Linz sind hierfür keine Informationen auffindbar.

Wer sich nicht um eine Übernahme bewirbt, kann auch einer Staatsanwaltschaft zugeteilt werden. Gegen Ende der Gerichtspraxis beginnt für die Übernahmswerber_innen das Auswahlverfahren der Richter_innenamtsanwärter_ innen, das aus einer regional unterschiedlichen Kombination von schriftlichen und mündlichen Prüfungen und psychologischen Tests besteht.

Prekariat, olé! Der OLG-Sprengel steckt auch die Grenzen der möglichen Zuteilung ab. Es kann gut passieren, dass in Folge einer Anmeldung beim OLG Graz eine Zuteilung im BG Hermagor hereinflattert. Frist für den Erhalt der Zuteilung gibt es übrigens keine, und Einspruchsmöglichkeiten auch nicht. Wenn zwei Tage vor Dienstbeginn noch kein Brief da ist, darf im OLG angerufen werden, früher bitte nicht.

Wie die Zuteilung erfolgt, ist ein wohlgehütetes Geheimnis, die Gerüchteküche reich und ergiebig. Angeblich hilft es, auf dem Gesuch zu erwähnen, dass einem kein Auto zur Verfügung steht, angeblich ist es besser BGs als Präferenz anzugeben als LGs. Angeblich werden verheiratete Gerichtspraktikant_innen und solche mit Kindern weniger oft zum Pendeln verurteilt. Wissen tut niemand so richtig irgendwas.

Ganz klar ist dafür, dass Gerichtspraktikant_ innen laut § 17 RPG ein Ausbildungsgehalt von € 1.035 Euro brutto erhalten, das sind netto ziemlich genau € 878,51 Euro. Mal abgesehen davon, dass es sich dabei um ein absolut indiskutables Vollzeitgehalt handelt, bringt es die statistischen zwei Drittel von uns, die bereits neben dem Studium aus finanzieller Notwendigkeit berufstätig waren, in ziemliche Schwierigkeiten. Neben einer Vollzeitbeschäftigung weiter einer anderen Arbeit nachzugehen, ist schwierig. Zudem fällt die Gerichtspraxis mit einer Zeit zusammen, in der viele finanzielle Erleichterungen wegfallen: Studienabschluss bedeutet auch den Abschied von Semesterticket, Studierendenheim, Familien- und Studienbeihilfe.

Zeig mir deine Eltern … In meinem OLG-Sprengel hält die Checkliste für das Gesuch zwei besonders schöne Details bereit. Erstens ist dem Gesuch ein handschriftlicher Lebenslauf beizulegen. Und das ist kein Witz. Sie nehmen nichts, das nicht mit der Hand geschrieben wurde. Nachdem ich keine Lust hatte, mit Bleistift kleine Kästchen für einzelne Worte zu basteln und mit bunten Zierzeilen zu versehen, und meine Schreibschriftversuche schlechter waren als die meines achtjährigen Cousins, habe ich zwei Stunden meines Lebens damit verschwendet, mit einer Lampe unter einem Glastisch meinen CV abzupausen – möglicherweise ist ja irgendwer von euch auf der Suche nach einer möglichst effizienten Methode. Allerdings müsst ihr dann damit rechnen, dass ein bebrilltes Gesicht mit blitzenden kleinen Greifvogelaugen euer Kugelschreiberwerk mit rümpfender Nase und abgespreiztem kleinen Finger entgegennimmt.

Zweitens müssen Namen und Beruf deiner Eltern auf dem Gesuch angegeben werden. Nicht nur dass man sich fragt, wann das mit den Eltern endlich aufhört, spätestens wenn sie dich fragt, ob das BA MA nach dem Namen deiner Mutter bedeutet, dass deine Eltern nicht verheiratet sind, oder ob das so ein ausländisches Ding ist, möchte die Donaustädterin in mir das Licht in ihren kleinen Greifvogelaugen abdrehen.

Und just in dem Moment drückt sie mir einen gelben Marker in die Hand und sagt „bitte die Fünfer anstreichen“. Als ob sie im Sammelzeugnis nicht sichtbar genug wären. Und dann sieht sie mir über die Schulter, damit ich ja nichts vergesse, und lässt mich dann die Summe meines Versagens unterschreiben. Ich denke an meinen kleinen Cousin, der eine bessere Schreibschrift hat als ich, und halte den Mund. Hätte ich das auf der Uni öfter gemacht, hätte ich jetzt weniger Fünfer anstreichen müssen.

Tamara Felsenstein studierte Jus an der Universität Wien und begann ihre Gerichtspaxis am 1. März 2016.

Petzt doch!

  • 23.10.2014, 01:52

Fast 200.000 StudentInnen absolvieren jährlich Praktika, meistens unter prekären Bedingungen. Jetzt gibt es eine Möglichkeit, diesem System entgegenzuwirken. Ein Interview mit Veronika Kronberger von der Plattform Generation Praktikum.

Fast 200.000 StudentInnen absolvieren jährlich Praktika, meistens unter prekären Bedingungen. Jetzt gibt es eine Möglichkeit, diesem System entgegenzuwirken. Ein Interview mit Veronika Kronberger von der Plattform Generation Praktikum. 

progress: Man spricht heute oft von der „Generation Praktikum“. Gibt es überhaupt noch eine Möglichkeit, ohne Praktikum im Lebenslauf nach der Ausbildung einen Job zu bekommen?

Veronika Kronberger: Nein, die gibt es nicht. Es wird von den ArbeitgeberInnen inzwischen erwartet, dass man Berufserfahrung mitbringt. Daran ist einerseits die Bildungsexplosion in den 70er Jahren Schuld und andererseits auch die Wirtschaftskrise. Konkret bedeutet das, dass ein Überangebot an qualifizierten ArbeitnehmerInnen einem Markt mit zu wenig freien Arbeitsplätzen gegenübersteht. Die Anforderungen der ArbeitgeberInnen werden dadurch immer höher: Neben einem Studienabschluss müssen BewerberInnen heute auch noch jede Menge Berufs- und Auslandserfahrung und vorzugsweise Kenntnis mehrerer Sprachen vorweisen können. Dass sich die Jobsuche heute als so schwierig gestaltet, wird später natürlich auch zu einem volkswirtschaftlichen Problem: Denn in der Regel dauert es drei Jahre bis JungakademikerInnen in ein unbefristetes Dienstverhältnis einsteigen, bei 25 Prozent sogar fünf Jahre. Bei unserem derzeitigen Pensionssystem sind die Folgen davon dann allerdings weitreichend: Wenn zu wenig Pensionsjahre gesammelt werden, werden immer mehr Menschen unserer Generation zukünftig von Altersarmut betroffen sein.

Warum werden Praktika oft als prekär bezeichnet?

Das Problem ist in den meisten Fällen, dass viele Praktika, die als solche ausgeschrieben werden, in der Realität keine echten Praktika sind, sondern schlichtweg versteckte herkömmliche Dienstverhältnisse. Unternehmen schreiben ihre freien Stellen als Praktika aus, um Personalkosten zu sparen. 60 Prozent aller ab solvierten Pflichtpraktika sind in Österreich unbezahlt. De facto werden so arbeitsrechtliche Bestimmungen umgangen und das ist illegal. Bei den freiwilligen Praktika ist die Situation ähnlich: Davon gelten zwei Drittel als unbezahlt. Unternehmen vernichten damit die eigentlichen Arbeitsplätze. Ein großes Problem ist auch, dass jene, die sich diese unbezahlten Praktika nicht leisten können, nach dem Studium Schwierigkeiten beim Jobeinstieg haben. Das führt zu sozialer Selektion. Das betrifft keineswegs nur StudentInnen, beinahe alle Bildungsschichten sind mit dieser Praktikums-Problematik konfrontiert.

Wie erkenne ich als PraktikantIn, ob mein Praktikum auch tatsächlich ein solches ist?

Das wesentliche Kennzeichen von Praktika ist der Ausbildungscharakter. Ein Praktikum sollte eigentlich zur Hälfte aus Arbeit und zur Hälfte aus Ausbildung bestehen. Es dürfen außerdem keine fixen Dienstzeiten gelten und es darf kein eigener Arbeitsbereich vorgesehen sein. Denn PraktikantInnen sollen in erster Linie in den Arbeitsmarkt hineinschnuppern.

Gibt es auch Möglichkeiten, diesem System entgegenzuwirken?

Das schwerwiegendste Problem war bisher, dass junge Menschen keine Möglichkeiten hatten, diesem rechtswidrigen System ein Ende zu bereiten, ohne dabei Gefahr zu laufen, dass ihnen der Eintritt in eine bestimmte Berufsbranche verweigert wird. Die gute Nachricht ist, dass das ab sofort möglich ist: Denn wir von der Plattform Generation Praktikum haben zusammen mit dem Sozialministerium und der GPA-djp die sogenannte watchlist-praktikum.at ins Leben gerufen. Diese „Watchlist“ macht es möglich, Unternehmen, die ihre PraktikantInnen unter illegalen Bedingungen beschäftigen, zur Rechenschaft zu ziehen. Das Ganze funktioniert so: Wenn Bedenken bezüglich der eigenen Praktikumsanstellung vorliegen, gibt es online die Möglichkeit, anonym ein Formular auszufüllen, das an die Gebietskrankenkasse weitergeleitet wird. Diese prüft dann unter dem Deckmantel einer Stichprobenkontrolle, ob es sich tatsächlich um eine Praktikumsanstellung handelt. Bewahrheitet sich der Verdacht, werden vermeintliche PraktikantInnen rückwirkend sozialversichert und bekommen das vorenthaltene Gehalt rückerstattet. Dadurch sollen die Rechte von jungen Menschen in der Arbeitswelt gestärkt und faire Arbeit zu fairem Lohn garantiert werden.

Welche Bilanz zieht ihr für das Projekt „Watchlist“?

Es hat sich gezeigt, dass die Idee fruchtet. Seit Juli 2014 gibt es die Seite und es wurden bereits 100 Unternehmen gemeldet, bei denen die Praktikumssituation als bedenklich einzustufen war. Wir sind selbst überrascht – oder besser gesagt – schockiert, denn die Lage ist tatsächlich schlimmer als erwartet. Das Beste ist natürlich, sich immer im Vorhinein abzusichern. Das heißt konkret: Bevor ein Dienstverhältnis eingegangen wird, den Praktikumsvertrag genau zu prüfen. Die ÖH und die Arbeiterkammer bieten solche Prüfungen kostenlos an.

Wie wird noch versucht, aktiv Hilfe zu leisten?

Sehr wichtig war uns bei der Gründung 2006, diese Thematik publik zu machen und eine stärkere mediale Verbreitung zu erreichen. Damals wurden schließlich auch erste Studien durchgeführt, vorher hatte es gar keine empirischen Untersuchungen in Österreich gegeben. In letzter Zeit sind wir aber auch politisch aktiv geworden: Wir lobbyieren und organisieren Veranstaltungen zum Thema. Natürlich ist unsere Organisation auch durch Service geprägt. Wesentlich ist für uns, die Probleme der „Generation Praktikum“ sichtbar und vor allem greifbarer zu machen.

Das Interview führte Anne Schinko.

 

Vertragscheck

Die ÖH bietet gemeinsam mit der GPA-djp Jugend den Vertragscheck an. Hilfe gibt es zu Fragen rund um Arbeitsverträge, Arbeitsrecht, ArbeitnehmerInnenschutz, Versicherung, Dienstverhältnisse und KonsumentInnenschutz. Terminvereinbarung: vertragscheck@oeh.ac.at

Gütesiegel Praktikum

Um zukünftigen PraktikantInnen ein faires Praktikum zu ermöglichen, hat die ÖH gemeinsam mit anderen Interessensvertretungen das „Gütesiegel Praktikum“ ins Leben gerufen. Unternehmen, die PraktikantInnen unter guten Bedingungen anstellen, werden mit dem Gütesiegel ausgezeichnet. www.oeh.ac.at/guetesiegel

Sinn und Unsinn von Praktika

  • 13.07.2012, 18:18

Der offizielle Sinn eines Praktikums während der Studienzeit ist relativ naheliegend: Berufserfahrungen zu sammeln. Doch wird dieses Ziel auch wirklich erreicht und vor allem: Ist dieses Ziel genug, um den oft steinigen Weg zu rechtfertigen? – Ein Kommentar.

Der offizielle Sinn eines Praktikums während der Studienzeit ist relativ naheliegend: Berufserfahrungen zu sammeln. Doch wird dieses Ziel auch wirklich erreicht und vor allem: Ist dieses Ziel genug, um den oft steinigen Weg zu rechtfertigen? – Ein Kommentar.

Viele PraktikantInnen werden als billige Arbeitskräfte missbraucht und nur allzu oft lernen sie dabei nicht einmal sonderlich viel über den eigentlichen Job, sondern bekommen Aufgaben zugeteilt, die sonst niemand machen möchte. Gerade im sozialen Bereich dürfen sie nicht einmal mit einer Entlohnung für ihre Dienste rechnen, und wenn, dann ist es meist eher angebracht, diese kleine Summe als Entschädigung zu bezeichnen denn als tatsächlichen Lohn. Aber auch hier bestätigen natürlich Ausnahmen die Regel: Einige wenige glückliche PraktikantInnen können gleich mit dem Einstiegsgehalt von regulären MitarbeiterInnen in einem Betrieb anfangen. Da dies aber eben leider nur die Ausnahme ist, stellt sich die Frage: Warum sollte ich tun, was von mir verlangt wird, wenn ich dies absolut nicht will und ich noch nicht einmal dafür entlohnt werde? In einigen Studienrichtungen sind Praktika ja verpflichtend. Gerade hier und wiederum gerade im Sozialbereich ist die Wahrscheinlichkeit, dafür bezahlt zu werden, sehr gering. Dafür ist allerdings ein anderer Ansporn gegeben: Du wirst für das, was du tust, bewertet und diese Bewertung fließt in den Studienerfolg ein. Wenn ich jedoch aus eigenem Antrieb ein Praktikum mache und mir dieses dann nicht zusagt, ich das Gefühl habe, bloß ausgebeutet zu werden – was hält mich davon ab, alles sofort wieder hinzuschmeißen, wenn ich dafür weder sinnbringende Erfahrung, noch verwendbare Kontakte, noch Geld bekomme? Ich würde sagen, nichts. Also, fades Praktikum ade, ich wende mich lieber einem anderen zu, das mir Spaß macht. Und vielleicht gibt’s als i-Tüpfelchen sogar noch ein bisschen Bares oben drauf. Studierende haben’s ja schließlich nicht unbedingt so dick.

Der richtige Zeitpunkt. Ob es überhaupt notwendig ist, während des Studiums Berufserfahrung zu sammeln, ist eine andere Frage. Eigentlich sollte ein Studium an sich schon genug Vorbereitung auf das Berufsleben bieten, vor allem die Bachelorstudiengänge, die sich ja genau damit so sehr zu rühmen versuchen. Ich halte es allerdings sehr wohl für sinnvoll, sich das wirkliche Leben außerhalb der Uni oder FH einmal anzusehen, bevor sie eineN sozusagen ins kalte Wasser schmeißen. Klug wäre es wahrscheinlich auch, dies nach einer nicht allzu hohen Semesteranzahl zu tun. Wenig ist zermürbender als mit einem Studienabschluss in der Tasche in einem Beruf zu landen, von dem du dann herausfinden musst, dass er nicht das Richtige für dich ist. Außerdem kann es natürlich auch bereits während der Ausbildung nicht schaden, sich gewisse Bänder zu knüpfen.

Kontakte knüpfen. Im Zuge eines Berufspraktikums erschließt sich die Möglichkeit, nicht nur einen Arbeitsbereich und die wirkliche Arbeitswelt kennen zu lernen, sondern auch gleich einige Pfade auszutreten, deren Betreten nach dem Studium dadurch erleichtert wird. Und wenn du nach dem Studienabschluss schon weißt, welches Arbeitsklima und welche KollegInnen dich im Beruf erwarten, dann ist die wirkliche Welt doch gleich um einiges weniger anonym und beängstigend. Selbst wenn ich in einem Praktikum herausfinden sollte, dass ich diese Arbeitsstelle sicher nie wieder betreten möchte, so bin ich zumindest um diese Erfahrung reicher geworden und weiß, wo ich mich später nicht mehr bewerben muss. Auch die umgekehrte Variante des Kontakte-Knüpfens ist sicherlich nützlich: In einem Betrieb, in dem ich schon gearbeitet habe, muss ich nicht mehr lange getestet und eingeschult werden, sondern ich kann direkt dort eingesetzt werden, wo ich gut bin. Dies ist sowohl ein Argument für den Betrieb, mich zu nehmen, da die dortigen MitarbeiterInnen sich dadurch natürlich Arbeit sparen und auch für mich selbst vorteilhaft, weil ich schon weiß, was ich hier machen kann und möchte.

Arbeit als Gnade

  • 13.07.2012, 18:18

Der Praktika-Wahnsinn greift weiter um sich: Mehrmonatige Praktika ohne (nennenswerte) Bezahlung scheinen zum Standard zu werden – auch in öffentlichen Einrichtungen. Doch auch „normale“ Nebenjobs haben oft einen Haken.

Der Praktika-Wahnsinn greift weiter um sich: Mehrmonatige Praktika ohne (nennenswerte) Bezahlung scheinen zum Standard zu werden – auch in öffentlichen Einrichtungen. Doch auch „normale“ Nebenjobs haben oft einen Haken.

Das Inserat ist so knapp wie die Bezahlung: EineN PraktikantIn „ab sofort für 6 Monate – 40 Wochenstunden“ sucht eine bekannte Wiener Werbeagentur. In Aussicht gestellt wird eine „Taschengeldpauschale“ (!) von € 306 im Monat. Schlecht oder gar nicht bezahlte Praktika stehen mittlerweile auf der Tagesordnung – und das nicht nur in der Medien- und Werbebranche. 

Für reiche Kinder. Oft lautet das Tauschgeschäft, welches beiden Seiten recht bewusst ist: Tausche unbezahlte Arbeit gegen Referenz im Lebenslauf. Schließlich macht sich ein Praktikum bei einem renommierten Unternehmen oder einer bekannten Institution gut bei späteren Bewerbungen. In der Hoffnung auf zukünftig gute Jobs beißen Studierende nur allzu oft in den sauren Apfel schlechter Bezahlung und mieser Arbeitsbedingungen. Gerade was die Karriereplanung betrifft, offenbart sich ein weiterer Pferdefuß von Praktika: Ein mehrmonatiges Praktikum im Ausland muss meistens selbst finanziert werden. So sucht das österreichische Außenministerium für seine Botschaften in aller Welt VolontärInnen. Für die Dauer von zwei bis sechs Monaten wird dort gleich gar nichts bezahlt, auch Anreise und Unterkunft müssen selbst getragen werden. Statt in der Behandlung von PraktikantInnen mit gutem Beispiel voranzugehen, stellt sich so selbst die österreichische Bundesregierung auf eine Ebene mit den schlimmsten AusbeuterInnen auf dem studentischen Arbeitsmarkt.
Die Gesamtkosten für ein solches Praktikum werden sich je nach Arbeitsstandort und Land auf mehrere tausend Euro belaufen. Für Studierende, deren Eltern das nötige Kleingeld für diese Form der Karriereplanung nicht haben, eine unerreichbare Größenordnung. Und so fügt sich zur allgemeinen Ungerechtigkeit noch jene hinzu, dass das Außenministerium eine „Renommee-Zeile“ im Lebenslauf anbietet, die sich nur Kinder reicher Eltern leisten können.

Schmutzige Tricks. Selbst dort, wo die Entlohnung auf den ersten Blick nicht ganz so furchtbar scheint, lauern Fallen: Ein Sprachinstitut sucht beispielsweise für sechs Monate eineN PraktikantIn mit Studienabschluss „im Bereich KundInnenbetreuung“. € 1000 sind versprochen – kein sonderlich angemessener Lohn für Uni-AbsolventInnen. Dazu kommt die Abrechnung über einen Werkvertrag. Urlaubsanspruch, Weihnachts- und Urlaubsgeld, Krankenstand? Bei Werkverträgen fällt das alles flach. Auch die Sozialversicherung fällt unter die Eigenverantwortung. Die Umgehung von echten Angestelltenverträgen durch Werkverträge ist ein beliebter Trick der ArbeitgeberInnen, der immer mehr um sich greift. Für so mancheN wirkt eine Anstellung schon wie ein Lottogewinn.

Flexibel oder prekär? Dabei würde Flexibilität beim Job gerade Studierenden entgegenkommen: zum Beispiel an eigene Lehrveranstaltungen angepasste Arbeitszeiten. Fast immer läuft die vermeintliche „Flexibilität“ jedoch nur in eine Richtung: zugunsten der ArbeitgeberInnen. Schlechte Arbeitsbedingungen, beispielsweise kaum planbare Arbeitszeiten, und ganz allgemein das Vorenthalten von sozialen Rechten machen studentische JobberInnen oft zu prekär Beschäftigten.
Die Frage nach den Ursachen solcher Entwicklungen ist dabei gar nicht schwer zu beantworten: Die ArbeitgeberInnen nutzen die schwierige Lage vieler Studierender aus, die auf Nebenjobs und Praktika angewiesen sind. Aus vielen Kollektivverträgen, die einen Großteil der ArbeitnehmerInnenrechte in Österreich regeln, sind PraktikantInnen gänzlich ausgenommen. Ein Mindestlohn für Praktika steht nach wie vor nicht auf dem Programm der Regierung. Auch bei der Umschichtung in Dienstverhältnisse „zweiter Klasse“ ziehen Studierende oft den Kürzeren. 

Im Paragrafendschungel. Eine weitere Schwierigkeit sind die oft kaum durchschaubaren, unterschiedlichen Regelungen bei Beihilfen, Sozialversicherung und Steuer. Sich genug Geld dazuzuverdienen wird zum Spießrutenlauf zwischen unterschiedlichen Zuverdienstgrenzen bei Familien- und Studienbeihilfe oder Unterhaltsleistungen der Eltern. Ein einzelner Euro über einer Einkommensgrenze kann beispielsweise die Rückzahlung der Familienbeihilfe für ein ganzes Jahr – über € 2.000  – bedeuten. 

SuperpraktikantIn? Der Finanzminister und Vizekanzler Josef Pröll (ÖVP) sucht zur Zeit „den Superpraktikanten“. Wer eine Woche mit dem Minister verbringen möchte, muss sich online bewerben, „gewählt“ werden und „darf“ dann für fünf Tage Finanzministerluft schnuppern – danach bekommt die „auserwählte Person“ einen Urlaub geschenkt. Obwohl sich die Regierung in ihrem Programm vorgenommen hat, etwas für PraktikantInnen zu tun, schlägt das genau in die oben beschriebene Kerbe des Prekariats. Denn bei Prölls SuperpraktikantIn geht es nicht um die Verbesserung der Dienstverhältnisse und soziale Absicherung sowie Rechte für PraktikantInnen, sondern um PR für ihn selbst. Was die Studierenden aber brauchen, nicht nur auf der Uni, sondern auch in der Arbeitswelt, sind Superrechte. 

 

Von der UN ausgebeutet

  • 13.07.2012, 18:18

Der Einstieg in eine Karriere bei der UN ist teuer. Die Weltorganisation ist bei den Bedingungen für Praktika alles andere als fair.

Der Einstieg in eine Karriere bei der UN ist teuer. Die Weltorganisation ist bei den Bedingungen für Praktika alles andere als fair.

Die UN ist kein Ponyhof. Wer in der Weltorganisation arbeiten will, hat besser das nötige Startkapital zur Hand. Ein Polster von ein paar tausend Euro öffnet einem die Eingangstür. Wer weiter hinauf will, sollte schon den Gegenwert einer Luxuslimousine in die Hand nehmen.
Viele versuchen den Weg in die UN über ein Praktikum. Diese sind in der Regel unbezahlt. Die drei Hauptsitze der Organisation sind in Wien, Genf und New York. Die Lebenskosten in New York liegen laut Schätzungen des UN-Personalbüros bei rund 2.000 Euro im Monat. Ein Praktikum dauert in der Regel sechs Monate. Neben Wohnung, Essen und UBahntickets sind auch Flugreise und Unfallversicherung selbst zu bezahlen.
Ein Praktikum ist eine schwere finanzielle Belastung. Alles in allem kostet ein Aufenthalt am Hauptsitz der UN so viel wie ein neuer Kleinwagen. Wien ist zwar günstiger als New York, aber auch hier kostet das Leben zumindest ein paar hundert Euro im Monat; Genf gilt sogar als eine der teuersten Städte der Welt.
Ein fertiges Studium ist Grundvoraussetzung. Für die Bewerbung werden ein Bachelor-Abschluss und ausgezeichnetes Englisch gefordert, weitere Sprachen und Berufserfahrung gelten als unerlässlich. Qualifikationen, mit denen man gutes Geld verdient werden kann. Er hat Gerichtsurteile studiert, übersetzt und zusammengefasst, sagt Peter, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Der 27-Jährige studierte in Deutschland Jus und machte in einem Wiener UN-Office sein Praktikum.
PraktikantInnen sind billige Arbeitskräfte. Die Betreuung sei in Ordnung gewesen, hätte aber individueller sein können, sagt Peter. Ein anonymer UN-Mitarbeiter wird in einem Online-Forum expliziter: „Die Praktikanten seien meist reine Lückenbüßer für Aufgaben, für die es an bezahlten Mitarbeitern fehlt. Ehemalige PraktikantInnen bei mehreren UN-Organisationen berichten PROGRESS von ähnlichen Verhältnissen.
Zu Lernen gibt es bei den Praktika oft recht wenig. Bei der UN gebe es zwei Arten von ChefInnen, sagt Filip Aggestam, Sprecher des PraktikantInnen- Netzwerks UNIIN: „Die einen erlauben ihren Praktikanten nicht, substanzielle Arbeit zu übernehmen, und setzen sie für Sekretärs- Aufgaben ein.“ Andere bürdeten den Jungen ihre eigenen Aufgaben auf. Nur in seltenen Fällen erlaubten die ChefInnen echte Mitarbeit.
Bessere Bedingungen für Praktika könnten die UN stärken. „Um beruflich tatsächlich zu wachsen, sollte die Arbeit von PraktikantInnen viel genauer definiert werden“, sagt Aggestam. Das stärke die Fähigkeiten späterer Arbeitskräfte. Bezahlung für Praktika würde zudem mehr Menschen den Zugang zur UN ermögliche. Das ermögliche der UN, von einer breiteren Basis an möglichen MitarbeiterInnen zu rekrutieren, sagt der Sprecher des PraktikantInnen- Netzwerks.
Die Menschenrechtscharta der UN verbietet die Ausbeutung von Arbeitskräften. JedeR, der oder die arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz für sich selbst und die eigene Familie sichert, heißt es in Artikel 23. Offiziell argumentiert die UN, dass ein Praktikum eine Ausbildung sei, und darum nicht bezahlt wird.
Innerhalb der UN gibt es positive Ausnahmen. Einige kleinere UN-Unterorganisationen wie die Atomenergiebehörde in Wien und die Internationale Arbeitsorganisation in Genf zahlen PraktikantInnen eine Aufwandsentschädigung, decken aber damit aber oft bei weitem nicht alle Kosten ab. Intern gelten die diplomatischen VertreterInnen der Nationalstaaten als GegnerInnen einer Praktika-Entlohnung; diese seien Geldverschwendung, heißt es aus UN-Kreisen.
Durch die unbezahlte Arbeit öffnet sich eine soziale Schere, die von Stipendien kaum ausgeglichen wird. Staatliche Förderungen für UN-Praktika gibt es vor allem in großen Ländern wie Deutschland und den USA, die einen umfangreichen diplomatischen Stab unterhalten, und für dessen Nachwuchs sorgen müssen. Die große Mehrheit der PraktikantInnen bei der UN stammen ohnehin aus Europa und den USA, zeigt eine Studie von UNIIN.
Österreich bietet keine Förderung. Es existieren weder öffentliche noch private Stipendien für UN-Praktika, berichtet der Österreichische Austauschdienst. Im Ausland fördern private Stiftungen Aufenthalte bei der UN. Diese sind aber oft an spezielle Vorgaben gebunden, etwa eine bestimmten StaatsbürgerInnenschaft oder religiöse Zugehörigkeit.

The kids don’t stand a chance. Für eine Karriere reicht ein Praktikum meist ohnehin nicht. Kaderschmiede für die UN ist ein Zirkel von Elite- Universitäten mit speziellen Masterstudien. Die renommierteste Adresse ist das Graduate Institute, das direkt am UN-Sitz in Genf liegt. Zu den Lehrenden zählen Koryphäen aus den Vereinten Nationen und der Weltbank. „Wenn die UN Praktikanten braucht, kommt sie zu uns“, sagt die Sprecherin des Instituts. Neben fixen Praktikaplätzen bietet die Schule persönliche Beratung für Karriereplanung und Bewerbungen.
Die Studierenden profitieren dabei vom Netzwerk ihrer ProfessorInnen. „Wir verschaffen ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren Traumjob“, sagt die Sprecherin. Ein Viertel der Studierenden finde später eine Stelle bei der UN, der Rest komme bei anderen internationalen Organisationen unter.
Die Universitäten suchen sich ihre Studierenden genau aus. Weltweit gibt es ein Netzwerk von 33 solcher „Professional Schools“ für Internationale Beziehungen, neben dem Graduate Institute sind darunter auch bekannte Namen wie die Columbia in New York und Sciences Po in Paris. Nur ein paar Personen erhalten jedes Jahr einen Platz in deren Masterprogrammen.
Geld und Vorbildung entscheiden über die Studienplätze. Das Genfer Institut kostet zwar mit 3.700 Euro Studiengebühren für zwei Jahre im internationalen Vergleich wenig, für ein Jahr in der Schweiz brauche man aber rund 12.000 Euro zum Leben, rechnet das Institut vor. Ein zweijähriger Master kostet damit ähnlich viel wie ein Mercedes der C-Klasse. Bevorzugt werden BewerberInnen, die vorher an einer teuren Universität den Bachelor gemacht haben. Ein Oxford-Abschluss schade nicht, sagt die Pressereferentin.
Die Vereinten Nationen schließt damit die Mittelklasse nahezu aus, von finanz schwächeren Menschen nicht zu sprechen. Eine DiplomatInnenkarriere bei der UN kostet mehr Geld, als die meisten Studierenden aufbringen können. Der Weg steht damit für jene offen, denen die Höhe der anfänglichen „Investition“ egal sein kann. Die Weltorganisation hilft das zu schaffen, was ihre Gründerväter im Geiste von Demokratie und Aufklärung zu verhindern suchten – eine Weltaristokratie.