Vom Regen in die Traufe? – Aus dem Alltag einer (angehenden) Gerichtspraktikantin

  • 10.03.2016, 18:22
Insgesamt 41.856 Menschen haben im Studienjahr 2014/15 in Österreich Rechtswissenschaften studiert. Das sind immerhin 15 Prozent der Studierenden an öffentlichen Universitäten. Die allermeisten von uns machen nach dem Studienabschluss die Gerichtspraxis.

Insgesamt 41.856 Menschen haben im Studienjahr 2014/15 in Österreich Rechtswissenschaften studiert. Das sind immerhin 15 Prozent der Studierenden an öffentlichen Universitäten. Die allermeisten von uns machen nach dem Studienabschluss die Gerichtspraxis.

Mit einem juristischen Abschluss besteht ein Rechtsanspruch auf Zulassung zum Praktikum in der österreichischen Justiz – ein Masterstudium Wirtschaftsrecht erfüllt diese Voraussetzung auch. Die Anmeldung erfolgt am entsprechenden Oberlandesgericht. Die meisten verfügbaren Informationen über die Gerichtspraxis sind auf der Seite des BMJ abrufbar, unter anderem auch die notwendigen Angaben und Beilagen zum Gesuch, die sich je nach OLG-Sprengel durchaus unterscheiden.

Von der Seite kommst du auch in das ELAN-RP, ein Online-Lernprogramm, das vom BMJ zur Verfügung gestellt wird. Öffne es nicht in öffentlichen Räumen, zwinge Unbeteiligte nicht, mit dir zu leiden. Rechne mit dem Schlimmsten und finde dich einfach damit ab, denn nichts wird die Roboterstimme, den völlig unübersichtlichen Aufbau, die Schneckengeschwindigkeit, mit der das Programm Seiten lädt und die PDFs, die sich auch beim zwanzigsten Anklicken nicht öffnen lassen, erträglicher machen können.

In den fünf Monaten deiner Praxis kommst du an zumindest zwei verschiedene Gerichte, eine Strafzuteilung und eine Zivilzuteilung. Dabei handelt es sich um Bezirks- oder Landesgerichte. In den OLG-Sprengeln Linz und Innsbruck erfolgt die erste Zuteilung meist an ein Bezirksgericht. Bei Abgabe des Gesuchs ist anzugeben, ob eine Aufnahme in den richterlichen Ausbildungsdienst angestrebt wird. Diese Angabe kann in Wien während der ersten beiden Wochen der Praxis abgeändert werden, in Innsbruck jederzeit. Für die OLG-Sprengel Graz und Linz sind hierfür keine Informationen auffindbar.

Wer sich nicht um eine Übernahme bewirbt, kann auch einer Staatsanwaltschaft zugeteilt werden. Gegen Ende der Gerichtspraxis beginnt für die Übernahmswerber_innen das Auswahlverfahren der Richter_innenamtsanwärter_ innen, das aus einer regional unterschiedlichen Kombination von schriftlichen und mündlichen Prüfungen und psychologischen Tests besteht.

Prekariat, olé! Der OLG-Sprengel steckt auch die Grenzen der möglichen Zuteilung ab. Es kann gut passieren, dass in Folge einer Anmeldung beim OLG Graz eine Zuteilung im BG Hermagor hereinflattert. Frist für den Erhalt der Zuteilung gibt es übrigens keine, und Einspruchsmöglichkeiten auch nicht. Wenn zwei Tage vor Dienstbeginn noch kein Brief da ist, darf im OLG angerufen werden, früher bitte nicht.

Wie die Zuteilung erfolgt, ist ein wohlgehütetes Geheimnis, die Gerüchteküche reich und ergiebig. Angeblich hilft es, auf dem Gesuch zu erwähnen, dass einem kein Auto zur Verfügung steht, angeblich ist es besser BGs als Präferenz anzugeben als LGs. Angeblich werden verheiratete Gerichtspraktikant_innen und solche mit Kindern weniger oft zum Pendeln verurteilt. Wissen tut niemand so richtig irgendwas.

Ganz klar ist dafür, dass Gerichtspraktikant_ innen laut § 17 RPG ein Ausbildungsgehalt von € 1.035 Euro brutto erhalten, das sind netto ziemlich genau € 878,51 Euro. Mal abgesehen davon, dass es sich dabei um ein absolut indiskutables Vollzeitgehalt handelt, bringt es die statistischen zwei Drittel von uns, die bereits neben dem Studium aus finanzieller Notwendigkeit berufstätig waren, in ziemliche Schwierigkeiten. Neben einer Vollzeitbeschäftigung weiter einer anderen Arbeit nachzugehen, ist schwierig. Zudem fällt die Gerichtspraxis mit einer Zeit zusammen, in der viele finanzielle Erleichterungen wegfallen: Studienabschluss bedeutet auch den Abschied von Semesterticket, Studierendenheim, Familien- und Studienbeihilfe.

Zeig mir deine Eltern … In meinem OLG-Sprengel hält die Checkliste für das Gesuch zwei besonders schöne Details bereit. Erstens ist dem Gesuch ein handschriftlicher Lebenslauf beizulegen. Und das ist kein Witz. Sie nehmen nichts, das nicht mit der Hand geschrieben wurde. Nachdem ich keine Lust hatte, mit Bleistift kleine Kästchen für einzelne Worte zu basteln und mit bunten Zierzeilen zu versehen, und meine Schreibschriftversuche schlechter waren als die meines achtjährigen Cousins, habe ich zwei Stunden meines Lebens damit verschwendet, mit einer Lampe unter einem Glastisch meinen CV abzupausen – möglicherweise ist ja irgendwer von euch auf der Suche nach einer möglichst effizienten Methode. Allerdings müsst ihr dann damit rechnen, dass ein bebrilltes Gesicht mit blitzenden kleinen Greifvogelaugen euer Kugelschreiberwerk mit rümpfender Nase und abgespreiztem kleinen Finger entgegennimmt.

Zweitens müssen Namen und Beruf deiner Eltern auf dem Gesuch angegeben werden. Nicht nur dass man sich fragt, wann das mit den Eltern endlich aufhört, spätestens wenn sie dich fragt, ob das BA MA nach dem Namen deiner Mutter bedeutet, dass deine Eltern nicht verheiratet sind, oder ob das so ein ausländisches Ding ist, möchte die Donaustädterin in mir das Licht in ihren kleinen Greifvogelaugen abdrehen.

Und just in dem Moment drückt sie mir einen gelben Marker in die Hand und sagt „bitte die Fünfer anstreichen“. Als ob sie im Sammelzeugnis nicht sichtbar genug wären. Und dann sieht sie mir über die Schulter, damit ich ja nichts vergesse, und lässt mich dann die Summe meines Versagens unterschreiben. Ich denke an meinen kleinen Cousin, der eine bessere Schreibschrift hat als ich, und halte den Mund. Hätte ich das auf der Uni öfter gemacht, hätte ich jetzt weniger Fünfer anstreichen müssen.

Tamara Felsenstein studierte Jus an der Universität Wien und begann ihre Gerichtspaxis am 1. März 2016.

AutorInnen: Tamara Felsenstein