Petzt doch!

  • 23.10.2014, 01:52

Fast 200.000 StudentInnen absolvieren jährlich Praktika, meistens unter prekären Bedingungen. Jetzt gibt es eine Möglichkeit, diesem System entgegenzuwirken. Ein Interview mit Veronika Kronberger von der Plattform Generation Praktikum.

Fast 200.000 StudentInnen absolvieren jährlich Praktika, meistens unter prekären Bedingungen. Jetzt gibt es eine Möglichkeit, diesem System entgegenzuwirken. Ein Interview mit Veronika Kronberger von der Plattform Generation Praktikum. 

progress: Man spricht heute oft von der „Generation Praktikum“. Gibt es überhaupt noch eine Möglichkeit, ohne Praktikum im Lebenslauf nach der Ausbildung einen Job zu bekommen?

Veronika Kronberger: Nein, die gibt es nicht. Es wird von den ArbeitgeberInnen inzwischen erwartet, dass man Berufserfahrung mitbringt. Daran ist einerseits die Bildungsexplosion in den 70er Jahren Schuld und andererseits auch die Wirtschaftskrise. Konkret bedeutet das, dass ein Überangebot an qualifizierten ArbeitnehmerInnen einem Markt mit zu wenig freien Arbeitsplätzen gegenübersteht. Die Anforderungen der ArbeitgeberInnen werden dadurch immer höher: Neben einem Studienabschluss müssen BewerberInnen heute auch noch jede Menge Berufs- und Auslandserfahrung und vorzugsweise Kenntnis mehrerer Sprachen vorweisen können. Dass sich die Jobsuche heute als so schwierig gestaltet, wird später natürlich auch zu einem volkswirtschaftlichen Problem: Denn in der Regel dauert es drei Jahre bis JungakademikerInnen in ein unbefristetes Dienstverhältnis einsteigen, bei 25 Prozent sogar fünf Jahre. Bei unserem derzeitigen Pensionssystem sind die Folgen davon dann allerdings weitreichend: Wenn zu wenig Pensionsjahre gesammelt werden, werden immer mehr Menschen unserer Generation zukünftig von Altersarmut betroffen sein.

Warum werden Praktika oft als prekär bezeichnet?

Das Problem ist in den meisten Fällen, dass viele Praktika, die als solche ausgeschrieben werden, in der Realität keine echten Praktika sind, sondern schlichtweg versteckte herkömmliche Dienstverhältnisse. Unternehmen schreiben ihre freien Stellen als Praktika aus, um Personalkosten zu sparen. 60 Prozent aller ab solvierten Pflichtpraktika sind in Österreich unbezahlt. De facto werden so arbeitsrechtliche Bestimmungen umgangen und das ist illegal. Bei den freiwilligen Praktika ist die Situation ähnlich: Davon gelten zwei Drittel als unbezahlt. Unternehmen vernichten damit die eigentlichen Arbeitsplätze. Ein großes Problem ist auch, dass jene, die sich diese unbezahlten Praktika nicht leisten können, nach dem Studium Schwierigkeiten beim Jobeinstieg haben. Das führt zu sozialer Selektion. Das betrifft keineswegs nur StudentInnen, beinahe alle Bildungsschichten sind mit dieser Praktikums-Problematik konfrontiert.

Wie erkenne ich als PraktikantIn, ob mein Praktikum auch tatsächlich ein solches ist?

Das wesentliche Kennzeichen von Praktika ist der Ausbildungscharakter. Ein Praktikum sollte eigentlich zur Hälfte aus Arbeit und zur Hälfte aus Ausbildung bestehen. Es dürfen außerdem keine fixen Dienstzeiten gelten und es darf kein eigener Arbeitsbereich vorgesehen sein. Denn PraktikantInnen sollen in erster Linie in den Arbeitsmarkt hineinschnuppern.

Gibt es auch Möglichkeiten, diesem System entgegenzuwirken?

Das schwerwiegendste Problem war bisher, dass junge Menschen keine Möglichkeiten hatten, diesem rechtswidrigen System ein Ende zu bereiten, ohne dabei Gefahr zu laufen, dass ihnen der Eintritt in eine bestimmte Berufsbranche verweigert wird. Die gute Nachricht ist, dass das ab sofort möglich ist: Denn wir von der Plattform Generation Praktikum haben zusammen mit dem Sozialministerium und der GPA-djp die sogenannte watchlist-praktikum.at ins Leben gerufen. Diese „Watchlist“ macht es möglich, Unternehmen, die ihre PraktikantInnen unter illegalen Bedingungen beschäftigen, zur Rechenschaft zu ziehen. Das Ganze funktioniert so: Wenn Bedenken bezüglich der eigenen Praktikumsanstellung vorliegen, gibt es online die Möglichkeit, anonym ein Formular auszufüllen, das an die Gebietskrankenkasse weitergeleitet wird. Diese prüft dann unter dem Deckmantel einer Stichprobenkontrolle, ob es sich tatsächlich um eine Praktikumsanstellung handelt. Bewahrheitet sich der Verdacht, werden vermeintliche PraktikantInnen rückwirkend sozialversichert und bekommen das vorenthaltene Gehalt rückerstattet. Dadurch sollen die Rechte von jungen Menschen in der Arbeitswelt gestärkt und faire Arbeit zu fairem Lohn garantiert werden.

Welche Bilanz zieht ihr für das Projekt „Watchlist“?

Es hat sich gezeigt, dass die Idee fruchtet. Seit Juli 2014 gibt es die Seite und es wurden bereits 100 Unternehmen gemeldet, bei denen die Praktikumssituation als bedenklich einzustufen war. Wir sind selbst überrascht – oder besser gesagt – schockiert, denn die Lage ist tatsächlich schlimmer als erwartet. Das Beste ist natürlich, sich immer im Vorhinein abzusichern. Das heißt konkret: Bevor ein Dienstverhältnis eingegangen wird, den Praktikumsvertrag genau zu prüfen. Die ÖH und die Arbeiterkammer bieten solche Prüfungen kostenlos an.

Wie wird noch versucht, aktiv Hilfe zu leisten?

Sehr wichtig war uns bei der Gründung 2006, diese Thematik publik zu machen und eine stärkere mediale Verbreitung zu erreichen. Damals wurden schließlich auch erste Studien durchgeführt, vorher hatte es gar keine empirischen Untersuchungen in Österreich gegeben. In letzter Zeit sind wir aber auch politisch aktiv geworden: Wir lobbyieren und organisieren Veranstaltungen zum Thema. Natürlich ist unsere Organisation auch durch Service geprägt. Wesentlich ist für uns, die Probleme der „Generation Praktikum“ sichtbar und vor allem greifbarer zu machen.

Das Interview führte Anne Schinko.

 

Vertragscheck

Die ÖH bietet gemeinsam mit der GPA-djp Jugend den Vertragscheck an. Hilfe gibt es zu Fragen rund um Arbeitsverträge, Arbeitsrecht, ArbeitnehmerInnenschutz, Versicherung, Dienstverhältnisse und KonsumentInnenschutz. Terminvereinbarung: vertragscheck@oeh.ac.at

Gütesiegel Praktikum

Um zukünftigen PraktikantInnen ein faires Praktikum zu ermöglichen, hat die ÖH gemeinsam mit anderen Interessensvertretungen das „Gütesiegel Praktikum“ ins Leben gerufen. Unternehmen, die PraktikantInnen unter guten Bedingungen anstellen, werden mit dem Gütesiegel ausgezeichnet. www.oeh.ac.at/guetesiegel

AutorInnen: Anne Schinko