Mythos Praktikum

  • 11.05.2017, 19:54
Der Arbeitsalltag von Studierenden ist von prekären Arbeitsverhältnissen geprägt. Immer mehr junge ArbeitnehmerInnen finden sich in Scheinselbständigkeit, Praktika und Volontariaten wieder. Viele Unternehmen nutzen rechtliche Grauzonen schamlos aus, um sich auf ihre Kosten zu bereichern.

Der Arbeitsalltag von Studierenden ist von prekären Arbeitsverhältnissen geprägt. Immer mehr junge ArbeitnehmerInnen finden sich in Scheinselbständigkeit, Praktika und Volontariaten wieder. Viele Unternehmen nutzen rechtliche Grauzonen schamlos aus, um sich auf ihre Kosten zu bereichern.

Die meisten Jobausschreibungen beinhalten den kleinen Satz „mehrjährige Erfahrung im Bereich xy wünschenswert“. Um diese geforderte Erfahrung sammeln zu können, verschlägt es angehende ArbeitnehmerInnen dann in sogenannte Praktika. Die Unternehmen locken mit aufregenden Tätigkeiten und versüßen einem die Arbeit oftmals mit der Option auf Verlängerung oder gar Fixanstellung. Hier wären wir auch schon beim Mythos Praktikum angelangt, denn die Realität sieht meist leider anders aus: mangelnde Einschulung, schlechte oder keinerlei Bezahlung und nach einigen Monaten des Schuftens heißt es dann auf Wiedersehen. Anschließend beginnt für viele das ganze Spiel wieder von vorne. Für eine richtige Anstellung bringt man zu wenig Erfahrung mit, darum wird einem ein weiteres Praktikum angeboten oder empfohlen.

Kein Wunder also, dass laut einer aktuellen Erhebung der GPA-djp (Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier) mehr als ein Viertel der jungen ArbeitnehmerInnen schon vier oder mehr (freiwillige und verpflichtende) Praktika absolviert haben. 92 Prozent der Studierenden sehen zudem die Notwendigkeit, weitere Praktika zu absolvieren, um ihre Jobchancen am Arbeitsmarkt zu verbessern. ExpertInnen zufolge steigt die Anzahl an Praktikumsplätzen stetig, während die Aussichten auf ordentliche Arbeitsplätze auch für AbsolventInnen von BMS, BHS, Fachhochschulen und Universitäten eher trist sind. Die Zahl der arbeitslosen JungakademikerInnen ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass immer mehr Studierende sich in prekäre Arbeitsverhältnisse drängen lassen, sind diese doch allemal besser als gänzlich arbeitslos zu sein, oder? Der Bundesjugendsekretärin der GPAdjp Barbara Kasper zufolge verschließt die österreichische Wirtschaftskammer vor dem Prekariat die Augen. Die Unternehmen seien nur daran interessiert, durch Praktika Nachwuchs auszubilden und zu rekrutieren.

DER MYTHOS. Ein großes Problem ist, dass es laut Arbeitsrecht das Praktikum gar nicht gibt. Menschen in Österreich können als ArbeiterIn oder Angestellte/r beschäftigt werden oder freie DienstnehmerInnen sein, aber die Anstellungsform des Praktikums existiert nicht. Diese Titulierung dient in erster Linie dazu, die Entlohnung zu schmälern. Unternehmen wird so die Möglichkeit geboten, sich in rechtlichen Graubereichen zu bewegen und sogenannte Praktika werden zum lukrativen Geschäftsmodell auf Kosten der Jugend. Gerade das Argument der Unternehmen, man müsse sich neue MitarbeiterInnen erst einmal ansehen, ist an den Haaren herbeigezogen. Dafür gibt es längst ein geeignetes Mittel, genannt Probemonat.

Praktikum ist nicht gleich Praktikum. Pflichtpraktika sind im Rahmen einer (Hoch-)Schulausbildung zu absolvieren und können sowohl in Form eines Arbeitsverhältnisses als auch eines Ausbildungsverhältnisses gemacht werden, je nachdem welcher Aspekt überwiegt. Handelt es sich dabei um ein Arbeitsverhältnis, steht PraktikantInnen durchaus Gehalt zu. Als praktische Indikatoren können folgende Fragen dienen: Bin ich in die Hierarchie des Unternehmens eingegliedert? Gibt es jemanden, der mir anordnen kann, was ich zu tun und zu lassen habe? Übernehme ich eine betriebliche Aufgabe (zum Beispiel EMail- Korrespondenz für das Unternehmen)? Habe ich einen fixen Arbeitsplatz und eine eigene Mailadresse? Dank der Bemühungen der Gewerkschaft bilden viele Kollektivverträge die besondere Situation von PflichtpraktikantInnen inzwischen ab. Laut KV für Angestellte im Metallgewerbe werden PflichtpraktikantInnen die ersten zwei Monate mit 80 Prozent des regulären Einstiegsgehalts entlohnt, anschließend sogar voll. Volontariate sind hingegen reine Ausbildungsverhältnisse und dienen dem Hineinschnuppern in bestimmte Berufe. Man erhält dafür kein Geld, ist aber in keiner Art weisungsgebunden. Sprich: Es gelten keine Bürozeiten oder Kündigungsfristen. Nimmt man neben Schule oder Studium aber ein freiwilliges Praktikum an, handelt es sich hierbei in der Regel um ganz normale befristete Dienstverhältnisse, die dem jeweiligen Kollektivvertrag unterliegen und entsprechend bezahlt werden müssen.

ZWANGSBEGLÜCKT. Die Studierenden- Sozialerhebung 2016 zeigt, dass 2015 44 Prozent der 47.000 befragten Studierenden mindestens ein Praktikum absolviert haben, 25 Prozent ein Pflichtpraktikum und 28 Prozent ein freiwilliges. Die Ergebnisse der zuvor angesprochenen Studie der GPA-djp sind noch erheblich erschreckender. Es wurden 400 Universitäts- und FH-Studierende sowie SchülerInnen aus BMS, BHS oder sonstigen berufsbildenden Schulen befragt. 61 Prozent aller Studierenden und 82 Prozent aller SchülerInnen müssen im Rahmen ihrer Ausbildung ein Pflichtpraktikum vorweisen können. Diese nehmen nicht nur prozentual, sondern auch an zeitlichem Ausmaß zu. Bis zu 20 Wochen oder mehr müssen absolviert werden, um die Ausbildung beenden zu können. Wann und unter

welchen Bedingungen ihre Auszubildenden gezwungen sind zu arbeiten, interessiert die (Hoch-)Schulen in der Regel kaum. Kritisch hinterfragt werden muss hier, wozu Praktika in immer mehr universitäre Studienpläne aufgenommen werden. Warum müssen zum Beispiel Studierende des Bachelors Japanologie an der Uni Wien ein Praktikum im Ausmaß von 160 Stunden absolvieren?

Die Tätigkeitsfelder können bei der Absolvierung von Praktika stark variieren: bergeweise Akten kopieren, Kaffee kochen, Telefonzentrale spielen, für Vorgesetzte Einkäufe tätigen oder Recherchen erledigen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Doch auch anspruchsvolle Positionen werden fallweise mit billigen PraktikantInnen besetzt, um etwa längere Krankenstände oder Karenzzeiten von MitarbeiterInnen zu überbrücken. So erlangt man mit Sicherheit wertvolle Berufserfahrungen, aber auch viel Stress um wenig Geld. Laut der psychologischen Studierendenberatung haben ca. ein Viertel aller Studierenden psychische Probleme wie Ängste, Depressionen und Krisen. Inwiefern hier ein Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und dem wachsenden Druck besteht, sei jetzt einmal dahingestellt. Doch der Studierenden-Sozialerhebung 2016 zufolge waren 61 Prozent der Studierenden auch unter dem Semester erwerbstätig, 18 Prozent davon sogar Vollzeit, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Von den Befragten gaben 54 Prozent an, Probleme dabei zu haben, Studium und Erwerbstätigkeit unter einen Hut zu bringen, und 26 Prozent waren stark von finanziellen Schwierigkeiten betroffen.

ARBEITEN ZUM NULLTARIF. Die traurige Wahrheit sieht zudem so aus, dass jede/r dritte Studierende zum Nulltarif arbeitet. Während der Verdienst bei SchülerInnen noch 68 Prozent des Anreizes ausmacht, sind es bei den Studierenden nur mehr ernüchternde 53 Prozent. Nur ein Drittel der Studierenden verdient bei Praktika mehr als 1.000 Euro und ein weiteres Drittel muss sich mit einem Gehalt von unter 800 Euro zufriedengeben.

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Auch in Bezug auf das Arbeitsverhältnis machen sich die ArbeitgeberInnen die Unwissenheit der jungen ArbeitnehmerInnen zum Vorteil. ArbeiterIn, Angestelle/r, DienstnehmerIn, freie/r DienstnehmerIn, Werkvertrag, Honorarnote – bitte was? Jeder Begriff steht für andere Rahmenbedingungen, Pflichten und Rechte, doch den Überblick zu behalten, fällt oft schwer. In der Regel lassen einem die Unternehmen ohnehin keine Wahl. Sollte es sich bei einem Praktikum aber um ein Arbeitsverhältnis handeln, kann auch im Nachhinein entsprechende Entlohnung bzw. die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen erstritten werden. Es empfiehlt sich dabei bereits vor Antritt eines Praktikums oder kurz nach dessen Beendigung, juristische Beratung aufzusuchen, um Ansprüche abzuklären. Nützliche Informationen hierzu bieten unter anderem die Arbeiterkammer, das Sozialreferat der ÖH sowie die GPA-djp. Diese setzt sich für eine einheitliche Regelung von Pflichtpraktika in den Kollektivverträgen im Sinne fairerer Entlohnung und Arbeitsbedingungen für die PraktikantInnen ein.Auch ein Verbot von Praktika nach der Fach- bzw. Hochschulausbildung steht auf dem Programm! Allerdings sind diese Forderungen nur dann von Erfolg gekrönt, wenn sie von den Betroffenen mitgetragen werden.

SICH ZUR WEHR SETZEN. Doch was kann man tun, wenn man un(ter)- bezahlt ist, einen falschen Werkvertrag ausübt oder in die Scheinselbstständigkeit gedrängt wird? Welche Mittel und Wege stehen einem/einer zur Verfügung, um doch noch zu seinem/ ihem Recht zu kommen? Es wäre schön, wenn es jungen ArbeitnehmerInnen finanziell möglich wäre, solch fragwürdige Jobangebote ablehnen zu können. Da aber die meisten auf Geld und/oder Berufserfahrung angewiesen sind, muss man zu anderen Mitteln greifen. Neben teuren Rechtsschutzversicherungen gibt es die Möglichkeit, die Arbeiterkammer aufzusuchen oder Gewerkschaftsmitglied zu werden. Die GPA-djp bietet beispielsweise eine kostenlose individuelle Erstberatung an. Möchte man anonym Missstände in seinem Praktikum melden, kann man dies unter watchlist-praktikum.at tun. Diese Plattform leitet die Daten auf Wunsch der PraktikantInnen an die Gebietskrankenkassen weiter, die die Unternehmen dann gegebenenfalls einer Prüfung unterziehen. Auch Stelleninserate, die mit dem Titel Praktikum versehen sind und hinsichtlich Entlohnung, Versicherung und Arbeitszeit zweifelhaft erscheinen, können dort gemeldet werden.

Möchte man sich den Ärger ganz ersparen, ist es ratsam, auf schwarzesbrett.oeh.ac.at nach Jobs mit dem Gütesiegel Praktikum der ÖH Ausschau zu halten. Diese müssen bestimmte Kriterien erfüllen und achten beispielsweise auf eine gerechte Entlohnung, die Art der Anstellung und den Umfang. Zudem legt die ÖH Wert auf eine geschlechts- und nationalitätsneutrale Formulierung der Inserate. Egal, an welche der Stellen man sich am Ende des Tages wendet, fair statt prekär ist einfach besser.

Julia Coufal hat Deutsche Philologie an der Universität Wien studiert und ist Funktionärin in der GPA-djp-Jugend Wien.

AutorInnen: Julia Coufal