Nationalsozialismus

Durch die Heirat ins Exil

  • 14.07.2014, 14:32

Die NS-Rassegesetze machten Beziehungen zwischen Deutschen und Jüdinnen und Juden kompliziert, ein normales Familienleben unmöglich. Schein-Scheidungen um Berufsverbote zu umgehen gab es ebenso, wie Schein-Ehen, um sich nach der Flucht vor der Abschiebung zu schützen. Irene Messinger hat untersucht, wie Jüdinnen die Heirat zur Flucht nutzten.

Die NS-Rassegesetze machten Beziehungen zwischen Deutschen und Jüdinnen und Juden kompliziert, ein normales Familienleben unmöglich. Schein-Scheidungen um Berufsverbote zu umgehen gab es ebenso, wie Schein-Ehen, um sich nach der Flucht vor der Abschiebung zu schützen. Irene Messinger hat untersucht, wie Jüdinnen die Heirat zur Flucht nutzten.

Rosl Ebners Hochzeit war wohl keine besonders romantische Angelegenheit. „Wir haben im Rathaus in einem kleinen Zimmer unterm Hitlerbild den Segen des Standesbeamten bekommen.“, beschreibt sie später trocken die Zeremonie. Mit ihrem frisch angetrauten Mann, einem Franzosen mit polnischen Wurzeln, konnte sich die gebürtige Österreicherin kaum verständigen; für die Eheschließung war er bezahlt worden. Damit die Hochzeit wenigstens ein bisschen feierlich wirkte, besorgte Rosls Schwester noch schnell einen Blumenstrauß.

Die Hochzeit zwischen Schriftstellerin und Kabarettistin Erika Mann und dem britischen Lyriker Wystan Hugh Auden war wohl ähnlich unromantisch. Er war homosexuell und die beiden kannten sich bis dahin nicht.

Das Ja-Wort gaben sich die beiden Paare aus einem einzigen Grund: Durch die Heirat wurden die beiden Jüdinnen Rosl Ebner und Erika Mann französische bzw. britische Staatsbürgerinnen – die Garantie, nach der Flucht nicht zurück nach Deutschland abgeschoben zu werden. „Komisch, dass wir gerade in den Tagen heirateten, in denen meine Ausbürgerung von den Nazis beschlossen worden sein muss.“ schreibt Erika Mann in einem Brief.

Solche Scheinehen zwischen deutschen oder österreichischen Jüdinnen und Franzosen oder Briten sind in den späten Dreißiger Jahren keine Einzelfälle. Über 60 Ehen wie die von Rosl Ebner und Erika Mann hat Politikwissenschaftlerin Irene Messinger aufgespürt und untersucht. Da Frauen damals mit einer Heirat noch automatisch die Staatsbürgerschaft ihres Mannes annahmen, war die Heirat im Ausland für viele Jüdinnen die Gelegenheit zur Flucht. Manchen vermittelten Freunde oder politische Organisationen potentielle Ehemänner, andere heirateten einfach ihre Cousins im Nachbarland.

progress: Ich würde gerne zuerst allgemein über die Situation von „gemischten“ Paaren in Nazi-Deutschland sprechen. Wie war die rechtliche Situation solcher Paare? Und wie wurden Mischehen überhaupt definiert?

Messinger: Als Mischehen wurden nur Ehen zwischen – immer in Anführungszeichen, weil ich keine Definitionen des NS-Regimes übernehmen möchte – „Deutschblütigen“ und „Nicht-Deutschblütigen bezeichnet, also mehrheitlich Juden und Jüdinnen, aber auch Menschen, die  heute mit dem N-Wort oder dem Z-Wort bezeichnet würden. Ehen mit Ausländern wurden nicht als Mischehen bezeichnet. Ich habe das nur in meinem Vortrag unter „Ehen mit Fremden“ zusammengefasst, weil ich es spannend fand, die beiden Konzepte in Relation zu setzen. Mischehen waren starken Repressionen ausgesetzt, während es vergleichsweise einfach war einen Ausländer oder eine Ausländerin zu heiraten.

Gab es bei den Repressionen auch innerhalb der Kategorie der Mischehen rechtliche Unterschiede?

Ja, das war sehr komplex. Es gab Unterschiede ob der Mann oder die Frau jüdisch war, ob sie Kinder hatten, ob sie Mitglieder der Kultusgemeinde waren. Die besten Chancen hatten Ehen, bei denen der Mann – also der Familienerhalter und so weiter – „deutschblütig“ war.

Hier spielten also auch Geschlechterstereotype eine Rolle.

Ja, vor allem auch, wenn es darum ging, dass nicht nur die Ehefrau, sondern die Mutter der Kinder „deutschblütig“ war. Das war sozusagen die zweitbeste Gruppe. Paare mit Kindern waren immer besser geschützt als kinderlose Paare. In der Nazi-terminologie wurde dann unterschieden in „privilegierte“ und nicht-privilegierte Mischehen, mit unterschiedlichen Konsequenzen für den Alltag und die Überlebenschancen.

Welche Repressalien gab es nun für Mischehen?

Es wurde auf politischer wie sozialer Ebene Druck ausgeübt: Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, regelmäßige Denunziationen der Nachbarn. Aber man muss sich die regionalen Unterschiede anschauen. In Deutschland wurden Vorschriften oft ganz anders ausgelegt als in Österreich. In Wien haben zum Beispiel die meisten Mischehen überlebt. Sie waren natürlich schon Repressalien ausgesetzt und wurden in so genannte Judenhäuser umgesiedelt, aber in Deutschland kam es dazu, dass die jüdischen Partner aus Mischehen ins KZ kamen.

Gab es deswegen auch Trennungen?

Ja, im Ehegesetz 1938 gab es die Möglichkeit, sich aus rassischen Gründen scheiden zu lassen. Aber es wurde nicht nur die Scheidung erleichtert, sondern es wurde auch massiver Druck von der Gestapo ausgeübt. Und durch Arbeitsverbote und so weiter wurden die Paare ohnehin in eine sehr prekäre Situation gedrängt. Bei den Scheidungen gab es aber auch geschlechterspezifische Unterschiede. Frauen sind eher zu ihren jüdischen Männern gestanden, während sich Männer eher von ihren jüdischen Partnerinnen getrennt haben. Vielleicht auch aus Karrierebewusstsein. Ein schönes Beispiel ist da der Schauspieler Hans Albers: Dem wurde gesagt, entweder er kann nicht weiter als Schauspieler arbeiten oder er lässt sich von seiner jüdischen Frau Hansi Burg scheiden. Es gab aber ein großes Interesse im NS-Regime, dass er weiter Schauspieler bleibt. Sie haben also einen Deal eingefädelt: Er hat sich offiziell getrennt, seine Frau hat zum Schein einen Norweger geheiratet, aber sie blieben weiter ein Paar. Es gab also unterschiedliche Formen, Druck auszuüben, aber auch unterschiedliche Formen, damit umzugehen.

Es gab aber nicht nur Schein-Scheidungen sondern auch Schein-Ehen. Was hast du hier untersucht?

Ich habe mit die Eheschließungen im Jahr 1938 angeschaut, die von der jüdischen Gemeinde in Wien registriert wurden. Ich habe mir gedacht, mal schauen, wer hier in Wien geheiratet hat, aber auch, welche Ehen im Ausland geschlossen wurden. Das war ja einfacher. Und bis wann konnten Jüdinnen überhaupt noch ausreisen, um im Ausland zu heiraten? Das machten vor allem Frauen, die im Grenzgebiet lebten. So haben zum Beispiel Grazerinnen Männer aus dem ehemaligen Jugoslawien geheiratet oder Wienerinnen Prager Juden.

Wie lange war so etwas möglich?

Von den Fällen, die ich kenne, fanden die meisten Eheschließungen in den Jahren 38 und 39 statt, vereinzelt auch noch 1940, allerdings nicht in Österreich. Dann war das nicht mehr möglich.

Wie wurden nun solche Scheinehen angebahnt? Man braucht dazu ja Kontakte im Ausland.

Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Kontakte waren unumgänglich. Es gab Kontakte in politischen Netzwerken. Zum Beispiel habe ich viele Frauen im Internationalen Sozialistischen Kampfbund gefunden, der viele Mitglieder mit Briten verheiratet hat. Oder auch Vereinigungen in den Exilländern, wo es mehr darum ging, dass die Frauen nun nicht mehr abgeschoben werden konnten. Großbritannien und die Schweiz haben etwa oft nur kurzfristig Schutz geboten. Aber es sind auch familiäre Netzwerke wirksam geworden, wo dann Frauen ihren Cousin geheiratet haben oder die Mutter als Kupplerin tätig war.

Aber man brauchte ja nicht nur Kontakte, sondern wahrscheinlich auch Geld. Ich kann mir vorstellen, dass vor allem Frauen aus gut situierten Familien ins Ausland geheiratet haben. Was hast du dazu herausgefunden?

Bei den Fällen, die ich untersucht habe, kamen die Frauen tatsächlich aus der politischen Elite oder aus der künstlerischen Ecke. Die Frage ist nur: Finde ich diese Fälle einfach leichter, weil über diese Frauen Biographien geschrieben werden und sie Autobiographien hinterlassen haben? Ich habe auch vereinzelt Fälle aus der Arbeiterklasse gefunden – zum Beispiel  ein Hausmädchen, das nach Großbritannien gegangen ist und dort geheiratet hat. Aber die waren natürlich unter Druck und haben sich wahrscheinlich bemüht, keine Spuren zu hinterlassen. Ich glaube, die Eliten haben sich ganz einfach leichter getan, nachher darüber zu reden und zu dieser Fluchtstrategie zu stehen.

Was geschah nach der Eheschließung? Wurden die Ehen gleich wieder geschieden nachdem die Frau die Staatsbürgerschaft bekommen hatte?

Manche Ehen, die ich untersucht habe, wurden noch im selben Jahr oder im Jahr danach wieder geschieden. Es gibt auch Fälle – allerdings kenne ich die nur aus Erzählungen – von palästinensischen Männern, die nach Polen gefahren sind, dort eine Polin geheiratet haben, sie nach Palästina oder Israel gebracht haben, um sie in Sicherheit zu bringen, sich scheiden ließen und gleich wieder nach Europa fuhren, um die nächste Polin zu heiraten.

 

 

Zur Person: Irene Messinger ist ausgebildete Sozialarbeiterin und studierte Politikwissenschaften an der Universität Wien. Sie schrieb ihre Dissertation zum Thema „Verdacht auf Scheinehe. Intersektionelle Analyse staatlicher Konstruktionen von 'Schein- und Aufenthaltsehe' und ihrer Auswirkungen im Fremdenpolizeigesetz 2007“. Sie arbeitete in der Rechtsberatung für Asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren und ist Lehrbeauftragte für „Gender & Diversity“ an der FH Wien für Soziale Arbeit.

Links zum Thema

Website von Irene Messinger homepage.univie.ac.at/irene.messinger

Verein Fibel www.verein-fibel.at

 

Magdalena Liedl studiert Anglistik und Zeitgeschichte an der Uni Wien.

Strache im braunen Sumpf

  • 22.06.2013, 23:10

Hans-Henning Scharsach legt in seinem politischen Sachbuch „Strache im braunen Sumpf“ die Verflechtungen der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) unter Heinz-Christian Strache mit rechtsextremen und neonazistischen Organisationen dar. Eine Rezension.

Hans-Henning Scharsach legt in seinem politischen Sachbuch „Strache im braunen Sumpf“ die Verflechtungen der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) unter Heinz-Christian Strache mit rechtsextremen und neonazistischen Organisationen dar.

„Mit Straches Machtübernahme wurde 2005 die Wende rückwärts eingeleitet“, schreibt der Journalist und langjährige Leiter des Auslandsressorts von Kurier und News Hans-Henning Scharsach (70) in dem Vorwort seiner Publikation, „Der neue FPÖ-Chef ersetzte die Buberlpartie [Anm.: Jörg Haiders] durch eine Burschenpartie – stramme Hardcore-Ideologen aus jenem korporierten Milieu, das sich von den Traditionen des Nationalsozialismus bis heute nicht gelöst hat.“ Hans-Henning Scharsach weiß, wovon er spricht, denn er hatte sich zuvor mit Jörg Haiders FPÖ in den von ihm verfassten Sachbüchern „Haiders Kampf“, „Haider. Österreich und die rechte Versuchung“, „Haiders Clan. Wie Gewalt entsteht“ sowie „Haider. Schatten über Europa“ auseinandergesetzt. Auch die europäische Dimension der politisch Rechten hat er in seinem Buch „Rückwärts nach rechts. Europas Populisten“ beschrieben. In seinem Buch „Strache im braunen Sumpf“ hält er fest, dass Jörg Haider den Burschenschafteranteil bei den FPÖ-Parlamentariern auf elf Prozent zurückgedrängt hatte. Seit der Nationalratswahl 2008 gehören aber mehr als ein Drittel der 34 FPÖ-Abgeordneten einer schlagenden, deutschnationalen Studentenverbindung an. Auch im Europaparlament sind die beiden Sitze der Freiheitlichen mit deutschnationalen Burschenschaftern besetzt. Seit den Wiener Gemeinderatswahlen 2010 besteht die Wiener Parteiführung der FPÖ fast ausschließlich aus Burschenschaftern, der Wiener Rathausklub zu 50 Prozent. Eine brisante Thematik, die den meisten ÖsterreicherInnen erst aufgrund der Nachrichtenberichterstattung über die Demonstrationen rund um den WKR-Ball 2012 bewusst wurde. Im Gegensatz zur oftmals oberflächlichen Berichterstattung der österreichischen Medien vermittelt Scharsach den LeserInnen einen umfassenden und tiefen Einblick in die Zusammenarbeit zwischen FPÖ-PolitikerInnen, deutschnationalen Burschenschaften und Neonazis. Dabei greift er auch historisch zurückliegende Ereignisse auf und belässt es nicht bei der Analyse der letzten Jahre. Obwohl es sich um ein politisches Sachbuch handelt, bemüht sich Hans-Henning Scharsach wissenschaftliche Kriterien einzuhalten und alle Aussagen sowie Thesen zu belegen. Das Manuskript des Buches wurde vor dessen Druck von einem Juristen geprüft.

Scharsachs Buch ist in vierzehn Überkapitel gegliedert, an deren Ende er stets die wichtigsten inhaltlichen Punkte zusammengefasst hat. Das erste Kapitel „Im braunen Sumpf: Es begann mit Fotos“ erläutert die Diskussion rund um die von Heinz-Christian Strache 2007 auftauchenden Bilder, die den jungen Strache als Teilnehmer von Wehrsportübungen zeigen. Scharsach thematisiert in diesem Kapitel die damalige politische Vergangenheit Straches, der mit der Tochter des Rechtsextremen Norbert Burger verlobt war und während eines „volkstreuen Fest“ der (mittlerweile vom deutschen Verfassungsschutz verbotenen) Wiking-Jugend unter dem Titel „Zum Teufel mit der 1945er-Demarkationslinie“ zu Silvester 1989/1990 in Fulda in eine neunstündige Verwahrungshaft genommen wurde. Scharsach geht auch auf die Vergangenheit Norbert Burgers ein, der für Strache eine Vaterfigur war. Burger war Mitbegründer der deutschnationalen Burschenschaft „Olympia“ und Gründungsmitglied des Rings Freiheitlicher Studenten (RFS), den Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) machte er zu einer Terrororganisation. 1963 trat er aus der FPÖ aus und 1967 gründete er die neonazistische Nationaldemokratische Partei (NDP), die 1988 auf Basis des Verbotsgesetzes aufgelöst wurde. In seinem Buch zitiert er Herbert Scheibner und Peter Westenthaler, die heute beide dem Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) angehören. Peter Westenthaler bestätigte, dass Strache damals in Wort, Tat und Optik zur extrem rechten Szene gehörte. Bis 1994 hatte ihm Westenthaler als damaliger Wiener RFJ-Chef verboten den Keller des Rings Freiheitlicher Jugend (RFJ) zu betreten. Und das obwohl Strache seit 1989 FPÖ-Mitglied und seit 1991 Bezirksrat der FPÖ-Landstraße war. Scharsach hält fest, dass sich Strache von Anfang darum bemüht hatte seine Vergangenheit zu vertuschen. Der Fokus von Scharsachs Buch liegt jedoch nicht auf der Vergangenheit des FPÖ-Vorsitzenden. Vielmehr  setzt sich Scharsach mit der Zusammenarbeit zwischen FunktionärInnen der FPÖ und deutschnationalen Burschenschaften sowie rechtsextremen und neonazistischen Organisationen auseinander.

Die Ideologie der FPÖ erläutert er in den Kapiteln „Wende rückwärts: Das Weltbild und Frauenbild in der neuen FPÖ“, „Burschenschaften: Antisemitisch und antidemokratisch“, „Bekenntnisse und braune Traditionen“ und „Braune Traditionen gegen antifaschistische Verfassung“. Die Geschichte und Ideologie der deutschnationalen Burschenschaft Olympia behandelt Scharsach in einem eigenen Kapitel. In diesem thematisiert er u.a. die von der Olympia veranstalteten Gastverträge des Holocaust-Leugners David Irving, den Besuch des Neonazi-Sängers Frank Reinnicke sowie die Mitgliedschaft des dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf. Scharsach präsentiert in seinem Buch auch bislang Unbekanntes, wie die 2003 erfolgte Wahl Grafs zum Vorsitzenden des österreichischen Witiko-Bundes sowie in den Vorstand des pangermanischen Witko-Bundes. Nach Scharsach ist dieser die radikalste Gruppierung der „Vertriebenen“, die nach zwölf Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung die „Einheit Deutschlands“ – und somit unter anderem auch Österreichs propagierte. Zudem weist Scharsach auch auf den Antisemitismus und den rechten Geschichtsrevisionismus, des von der Organisation herausgegebenen Witiko-Briefs hin. Auch die Kooperationen von Mitgliedern des Ring freiheitlicher Jugend (RFJ) mit Neonazi-Organisationen werden von Scharsach in dem Kapitel „Der Ring freiheitliche Jugend. Rechte Speerspitze der Partei“ anhand von Quellen beschrieben. Er zieht das Resümee, dass es sich beim RFJ weniger um eine Nachwuchsorganisation einer demokratischen Partei handelt, die gelegentlich an den Neonazismus anstreift, als vielmehr um eine in weiten Teilen neonazistische Gruppierung, die sich des Schutzes der FPÖ bedient, um das Risiko juristischer Verfolgung zu minimieren. In diesem Kontext weist er auf den demonstrativen Austritt von 600 RFJ-Mitgliedern  hin, die damit ihren Missmut über den Ausschluss von fünf RFJ-Mitgliedern wegen neonazistischer Tätigkeiten durch den Tiroler FPÖ-Landesparteimann Gerald Hauser, ausdrückten. Auch der Einsatz von Neonazis bei Straches Wahlkämpfen werden von Scharsach in dem Kapitel „Wahlkämpfer Strache: Braune Helfer, braune Fans“ thematisiert.

Das Kapitel „Braune Bekenntnisse: ‚Sieg Heil‘ und ‚Heil Hitler‘“ setzt sich anhand von einzelnen Personen wie bspw. Clemens Otten und Wolfgang Haberler mit den Kooperationen zwischen FPÖ-Politikern und Neonazis auseinander. Am Ende dieses Kapitels erwähnt er auch jene FPÖ-Politiker, die aus Protest gegen die rechtsextremen Tendenzen innerhalb der Partei aus dieser ausgetreten sind. Unter anderem erwähnt er den Fürstenfelder Bezirksobmann Karl Pledl, der die FPÖ deshalb verlassen hatte, weil der mittlerweile wegen NS-Wiederbetätigung verurteilte oststeirische Rechtsextreme Frau Radl, bei einer Ortsgruppensitzung nicht nur anwesend war, sondern auch mit einem Hitlergruß empfangen wurde. In dem Kapitel „Signale an den rechten Rand: Der Vergangenheit verbunden“ thematisiert Scharsach u.a. die von der FPÖ konstruierten Feindbilder, deren Strategien hinsichtlich der „Täter-Opfer-Umkehr“ in Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit sowie den Antisemitismus und Rassismus innerhalb der Partei. Eines der informativsten und interessantesten Kapitel des Buches stellt „Internet. Das braune Netzwerk“ dar. Scharsach betont, dass das Internet einen Einblick in die Persönlichkeitsprofile der Freiheitlichen gibt und ihre Freunde, Interessensgebiete sowie die Organisationen, mit denen diese vernetzt sind, offenbart. Dabei weist Scharsach auf das „basisdemokratische Web-Kollektiv bawekoll“ und die Plattform „rfjwatch“ hin, die den Freundeskreis der FPÖ dokumentieren. Die von dem Grünen Abgeordneten Karl Öllinger betriebene Plattform „Stoppt die Rechten“ sowie das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) fassen die wichtigsten Ereignisse zusammen. Hans-Henning Scharsach hat in seinem Buch die politisch brisantesten Vernetzungen und Freundschaften von FPÖ-Politikern zu Rechtsextremen sowie antisemitische, rassistische und neonazistische Äußerungen auf den Facebook-Profilen der Politiker festgehalten. In seinem abschließenden Resümee hält Scharsach seine wichtigsten Erkenntnisse fest.

Fazit: Hans-Henning Scharsach vermittelt den LeserInnen einen umfassenden Überblick in die rechten Netzwerke der einzelnen FPÖ-Politiker. In einer sprachlich leicht verständlichen Sprache eignet sich das Buch auch für SchülerInnen und Menschen ohne akademischen Hintergrund. Scharsach schafft es in seinem politischen Sachbuch - trotz enormer Informationsdichte und ausgiebiger Erläuterungen – die LeserInnen bis zum Schluss zu fesseln. Am Ende seines Buchs hält er folgendes fest: „Jede Stimme für die FPÖ zementiert die Macht von Burschenschaften wie der Olympia, die Träger, Verteidiger und Verbreiter neonazistischer Traditionen sind.“ Die Lektüre von Hans-Henning Scharsachs Buch „Strache. Im braunen Sumpf“ wird daher allen politisch interessierten Menschen im Wahljahr 2013 dringend empfohlen.

 

Hans-Henning Scharsach: Strache im braunen Sumpf, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2012, 336 Seiten. Preis: 24 Euro.

Hörbuch: Hans-Henning Scharsach/Sprecher: Alfons Haider: Strache im braunen Sumpf, Mono-Verlag, Wien 2013. Preis: 19,95 Euro.

Links:

RFJ Watch: http://rfjwatch.wordpress.com/

Basisdemokratische Web-Kollektiv „bawekoll“:  http://bawekoll.wordpress.com/

DÖW „Neues von ganz rechts“: http://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz-rechts

Stoppt die Rechten: http://www.stopptdierechten.at/

Erschreckend und bizarr

  • 04.05.2013, 20:00

Man möchte es so schnell wie möglich weglegen. Der Bann, in den einen Kubans investigative Journale über die deutschsprachige Rechts-Rock-Szene ziehen, entspricht einer dualen Faszination.

Rezension.

Man möchte es so schnell wie möglich weglegen. Der Bann, in den einen Kubans investigative Journale über die deutschsprachige Rechts-Rock-Szene ziehen, entspricht einer dualen Faszination: Einerseits ist da die morbide Schaulust angesichts einer Gesellschaft, die so fremd und zugleich nah erscheint, und andererseits ist da das Erschrecken über die politische und soziale Vernachlässigung des – ohne Zweifel abscheulichen – Themas. Beides zwingt einen zum Weiterlesen. Ähnliche Diskrepanz muss Thomas Kuban gefühlt haben, als er Jahre seines Privatlebens geopfert und seine finanzielle Existenzgrundlage aufs Spiel gesetzt hat, um die musikalisch motivierte Neonazi-Szene zu unterwandern. Das Bild, das sich dem wagemutigen Journalisten dabei bot, war erschreckend und oft bizarr. Die Organisatoren der Nazi-Konzerte bewegen sich jenseits unserer scheinbar sicheren gesellschaftlichen Normen. Sie wirken über „politisch nicht motivierte“ Veranstaltungen der NDP bis in die Wohnzimmer konservativer Weltanschauungen hinein, stets mit dem Ziel, ihre menschenverachtenden Ideologien gängig zu machen. Die Vorgehensweise ist dabei oft konspirativ: Flugzettel als Wegweiser, Autobahnraststätten als Treffpunkte, geheime Telefonnummern etc. Der Weg des Reporters zu den Hasskonzerten hat dabei den Touch einer Schnitzeljagd, die bis hin zu Organisationen wie der NSU führt. Blut muss fließen, ist nicht zuletzt aufgrund der erschreckenden Szenarien während der Konzerte, sondern auch wegen des allgemeinen öffentlichen und medialen Desinteresses, auf das Kuban während seiner Recherchen stieß, überaus beklemmend.

Thomas Kuban, Blut muss fließen: Undercover unter Nazis, Campus Verlag: 2012, 317 S., EUR 19,99.

Federico Grössing studiert Vergleichende Literaturwissenschaften in Wien.

Link: Das Geschäft mit dem Rechtsrock

Hintergrundgespräch: Wer sind die Identitären?

  • 10.02.2013, 18:40

Progress hat mit dem Rechtsextremismusexperten Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) über die politische Ideologie und die Hintergründe der Identitären gesprochen.

Progress hat mit dem Rechtsextremismusexperten Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) über die politische Ideologie und die Hintergründe der Identitären gesprochen.

 

Ausschnitt aus dem Interview:

progress: Welche Ideologie vertreten die Identitären?

Wir müssen zwei Gruppen – bei aller personellen Überschneidung – unterscheiden: auf der einen Seite die eher inhaltlich arbeitende WIR - Wiener Identitäre Richtung und der aktionistische Flügel „Die Identitären“ . Inhaltlich behaupten beide in der Tradition der „neuen Rechten“ zu stehen. Das ist eine Strömung des Rechtsextremismus, die in Frankreich in den späten 1960er Jahren ihren Ausgang nahm. Der Auslöser für das Entstehen der neuen Rechten im Rechtsextremismus war das Scheitern der parteiförmigen Rechten in Frankreich und dann auch in Deutschland in Form der NPD. Aus diesem Scheitern entstand der Ansatz heraus, weg von der Parteienpolitik hin zur Metapolitik. Inhaltlich unterscheidet sich die neue Rechte von der alten. Sie weigert sich mit dem Nationalsozialismus und vor allem seinen Verbrechen auseinanderzusetzen. Statt des Nationalsozialismus waren vielmehr die anderen europäischen Faschismen der Bezugspunkt. Dahinter stand der Glaube, dass diese nicht derart wie die NS-Ideologie diskreditiert wären. Auch die Konservative Revolution ist ein Schlagwort der neuen Rechten

[…]

Das Gewaltmoment der Identitären wird jedoch immer wieder übersehen. Denn wer von einer Kriegserklärung spricht, der droht mit Gewalt. Diese Gewaltdrohung wurde auch von einem Identitären in der rechtsextremen Publikation „Zuerst!“formuliert. […] Zitat: „Als Symbol haben sie sich das Lambda-Zeichen gewählt, das in der Antike die Schilde der spartanischen Hopliten (Bürgersoldaten) zierte. Ein weiterer Hinweis auf eine kämpferische Grundhaltung.“ Also diese kämpferische Grundhaltung nehmen sie für sich in Anspruch. Und wenn man jetzt weiß, wie die Spartaner gekämpft haben, so ist dies nicht zufällig. Sie nehmen die Spartaner, da das mit der Männlichkeit zu tun hat – Stichwort: Männerfantasien –, da deren Kampf ein aussichtsloser war. Und wenn ein Mensch in einer aussichtslosen Lage ist, so ist er zu übermenschlichen Taten und extremer Gewalttätigkeit bereit. Das hat auch apokalyptische Züge. […] Und das muss man kritisieren: Denn wer nach Anders Behring Breivik [Anm.: dem Attentäter von Oslo 2011] noch davon spricht, dass Europa untergeht, dass man die letzte Generation sei, die die Chance habe, das noch aufzuhalten und dazu noch die kämpferische Grundhaltung betont, der ist zumindest unverantwortlich! […]

Link:

Dokumentationsarchav des österreichischen Widerstandes

Eindrücke des Tages: UnterstützerInnen der Flüchtlinge, die seit Wochen in der Votivkirche protestieren, eilen herbei. Laut eigenen Angaben reichen die Flüchtlinge den rechten Aktivisten die Hand und bieten ihnen unter anderem Tee an.

(Fotos: C. Glanzl)

Die Kunststücke des Lebens

  • 18.12.2012, 18:55

Ruth Klüger über ihre Beziehung zu Österreich, Vertrauen und Eitelkeit.

Ruth Klüger über ihre Beziehung zu Österreich, Vertrauen und Eitelkeit.

Zur Linzer Premiere ihres Films kommt Ruth Klüger mit dem ICE von ihrem Zweitwohnsitz in Göttingen angereist, auf ihrem Kindle hat sie eine ganze Bibliothek gespeichert und kurz vor dem Treffen über die Situation der Frauen in Ägypten gelesen. Auf die Frage, ob sie das Interview autorisieren möchte, winkt sie ab: ,,Schicken Sie mir einfach das pdf – nicht die Printausgabe. Bücher sterben sowieso aus.’’ Dass progress-Redakteurin Vanessa Gaigg das nicht so sieht, findet sie konservativ.

progress: Am Anfang Ihres Filmes Das Weiterleben der Ruth Klüger steht das Zitat „Wiens Wunde, die ich bin, und meine Wunde, die Wien ist, sind unheilbar“ – wie fühlt sich das jetzt für Sie an, nach Österreich, nach Linz, zu kommen?

Klüger: Ich komm’ ganz gern her und rede mit Leuten wie Ihnen. Sie sind ja nicht mal mehr meine Kindergeneration, vielleicht meine Enkelgeneration. Linz kenne ich nicht so gut, abgesehen davon, dass es diese entsetzliche Euthanasieanstalt hier gab, die ich des Langen und Breiten besucht habe.

Sie meinen Hartheim?

Ja, dieses schöne Schloss, wo die ersten Gaskammern waren. Der Rest von Österreich ist mir überhaupt fremd, ich konnte den Dialekt auch nicht verstehen im Zug. Ich komm’ eigentlich aus Wien, ich komm nicht in dem Sinn aus Österreich.

Wie hat sich die Beziehung zu Wien verändert über die Jahre?

Das hat sich insofern verändert, als ich da jetzt Freunde habe. Das ist eine Gruppe von Frauen – es sind vor allem Frauen – die sich um die Zeitschrift AUF gebildet hat, die ja leider eingegangen ist. Aber wenn ich in Wien bin, gehe ich über gewisse Plätze und durch gewisse Straßen und man wird erinnert, dass man hier mit dem Judenstern herumgelaufen ist und ganz unsicher war, nicht  hergehört hat. Das geht nicht weg.

Im Film sieht man auch, wie Sie Ihre alte Wohnung besichtigen.

Ja, weil mein Sohn darauf bestanden hat. Aber wir konnten nicht rein, Gott sei Dank.

Der Kontrast, der Sie vor allem interessiert, ist der zwischen Opfer und Freiheit und nicht der zwischen Opfer und Täter. Wann haben Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben das Gefühl erreicht, frei zu sein?

Zum ersten Mal in meinem Leben ... Das war, als wir weggelaufen sind, von diesem Todesmarsch nach Bergen-Belsen. Das war ein großes Gefühl von Freiheit. Man beherrscht dann eine Situation, nicht nur in der Wirklichkeit, sondern auch geistig – dass man sich über die Dinge erheben kann. So, dass man nicht gebunden ist an die Täter.

Ist es wichtig, sich nicht als Opfer fühlen zu müssen?

Naja, das Opfer wird bemitleidet und als minderwertig angesehen. Und das will man natürlich nicht sein. Aber wenn Opfer einfach bedeutet, dass einem was angetan wurde, dann kommt man nicht hinweg über diesen Begriff. Aber: Man ist noch was anders. Man ist vor allem was anderes. Ich sag ja: Ich stamm’ nicht aus Auschwitz, ich stamm’ aus Wien. Wien bedeutet mir etwas, aus Wien hab ich was gemacht. Wien ist ein Teil meiner Eigenständigkeit. Aber Auschwitz nicht. Das ist der Opferteil. Und den lehn ich ab, als mir nicht zugehörig.

Als Sie und Ihre Mutter nach Amerika emigriert sind, da gab es keine Anlaufstelle oder Möglichkeit, das Erlebte mit Hilfe zu  verarbeiten.

Ja, das war eine schwere Zeit. Ich hatte das weggeschoben, was in Europa passiert ist. Und wollte einfach nur weiter, neu anfangen. Es ist alles auf mich zugekommen, Erinnerungen, Schuldgefühle, außerdem hab ich mich mit meiner Mutter nicht gut verstanden.

Ihre Mutter hat ja bis zu ihrem Tod Angst gehabt, wenn sie amerikanische PolizistInnen sah, weil sie glaubte, dass sie sie deportieren.

Sie ist paranoid geblieben bis zum Tod, aber hat ganz gut damit gelebt. Das weiß man auch oft nicht, dass die Leute, die so halb verrückt sind, ganz gut auskommen mit ihrer Verrücktheit. Meine Mutter hat New York gehasst.

Sie haben bereits als Kind Gedichte auswendig gelernt ...

Und verfasst!

... wie kam der Zugang zur Literatur so früh, wurde der familiär gefördert?

Das hat dazugehört. Ich hab angefangen mit Kinderversen. Wissen Sie, in so einem mittelständischen jüdischen Haushalt waren die Bücher einfach da.

Können Sie sich noch an Kinderbücher erinnern, die Sie gelesen haben?

Ja klar, Biene Maja und Bambi und Hatschi Bratschi – wie hieß das nur?

Luftballon?

Ja siehst du wohl – da fliegt er schon! Das war ein Nazi, der das geschrieben hat. Das hab’ ich vor einigen Jahren herausgefunden, sehr zu meinem Betrübnis. Das war so ein lustiges Buch, der konnte das. Und dann hab ich immer klassische Gedichte oder  Antologien von klassischen Gedichten gelesen. Wörter zu lernen, die man nicht versteht, das hat mich überhaupt nicht gestört. So wie man ja auch Unsinnwörter als Kind ganz gern hat.

Warum glauben Sie, dass die Kindheit so eine große Bedeutung hat?

Naja, weil ich eine Freudianerin bin. Das hat Freud entdeckt, und vorher hat man es nicht so richtig gewusst. Das ist die Wurzel von allem, man kommt nicht darüber hinweg. Freud hat gedacht, bis zum Alter von sechs, aber das geht noch weiter. Ich glaub’, da hat er die Grenze zu eng gezogen. Man hat ja früher gedacht, alles was vorgeht, bevor man so ein richtiges Verständnis hat, ist  unwichtig.

Sie beschreiben Ihre unterschiedlichen Wohnorte zwar oft als vertraut, so auch ihren Zweitwohnsitz in Göttingen, aber trotzdem schreiben Sie in ,,unterwegs verloren’’, dass man sich nirgendwo ganz wohlfühlen sollte. Wieso?

Schreib ich das?

Ja, ich habe es so interpretiert, dass man nie allen Menschen völlig vertrauen sollte, egal, wie wohl man sich fühlt.

Einerseits muss man vertrauen, wenn man überhaupt nicht vertraut, dann ist man verrückt. Das war das Problem meiner Mutter, sie hat nicht genug Vertrauen gehabt. Ich will das nicht überkandidln, aber wenn man einem Menschen gegenüber steht, musst du ihm glauben, außer, du hast einen Grund dazu, es nicht zu tun. Alles andere ist abwegig. Das steckt auch dahinter, wenn Kant so absolut gegen die Lüge  ist. Das ist das Verbrechen schlechthin. Weil die Gesellschaft nur zusammenhält, wenn man einander vetraut. Und andererseits besteht eben die Notwendigkeit, Zweifel zu hegen und zu hinterfragen. Und das auszubalancieren ist eines der großen Kunststücke des Lebens.

Für jede Person?

Für jede Person! Aber wenn man zu einer Minderheit gehört, die verfolgt wurde, dann steckt natürlich ein Misstrauen in einem, zu Recht.

Sehen Sie Feminismus immer noch als Notwendigkeit an?

Ja sicher, das ist ganz klar. Die meisten Studierenden der Geisteswissenschaften sind Frauen und die Professoren sind Männer. Bei der Belletristik ist das haaresträubend: Die meisten Leser sind Leserinnen, die meisten Rezensenten – jedenfalls für wichtige Bücher –  und Herausgeber von Zeitschriften sind natürlich Männer. Aber das weltweite Problem ist weibliche Versklavung. Damit meine ich  diese Massen von Mädchen, Kindern, aber auch erwachsenen Frauen, die Sklavenarbeit verrichten müssen oder sexuell  missbraucht werden. Das ist ein Problem, das in diesem Ausmaß früher nicht bestanden hat. Das geht uns was an. Und ich meine  eben, dass jede Missachtung von Frauen, jeder sexistische Witz und jede Form von Missachtung schon die Wurzel und die Grundlage bildet für die massivere Ausbeutung von Frauen auf anderen Gebieten. Und darum ist es wichtig, dass man auch Sprache kontrolliert. Ich bin immer schon für political correctnes. Das bedeutet ja eigentlich nur, dass man die Leute nicht beleidigt.

In Österreich ist political correctness ganz verpönt.

Ja ich weiß, aber verpönt sein sollte die political incorrectness.

Sie haben im Film angesprochen, dass sie mit dem sozialistischen Bewusstsein aufgewachsen sind, dass Schönheit bei einer Frau keine große Rolle spielen sollte. Welche Rolle spielt das jetzt mit 81?

(lacht) Dass ich meinen Lippenstift nicht finden kann und ihn auch nie verwende. Ja, mit 81 spielt das natürlich keine Rolle mehr. Warum sollte man sich schön machen wollen mit 81?

Warum vorher?

Auch nicht besonders. Das hat bei mir nie so eine Rolle gespielt, so dass ich meistens als verschlampt galt. Oder unrichtig angezogen. Ich frag’ lieber meine Freundinnen, was man sich anziehen soll. Das hat sicher auch was mit diesem frühen sozialistischen Bewusstsein zu tun, dass von den Menschen ausging, die ich auch im Lager, besonders in Theresienstadt, gekannt hab. Das waren Sozialisten und Zionisten. Dieses Jagen nach Schönheitsidealen ist etwas Bürgerliches, das abgeschafft werden soll,weil es sich nicht lohnt.

Das heißt, Sie haben ein sozialistisches Umfeld gehabt?

Ja, wenn Sie so wollen, hab ich dort irgendwie eine Grundlage für ein politisches Denken aufgegabelt, die weitergewirkt hat. Aber das war schwer zu sagen, weil wir sind nach Amerika gekommen und der Umkreis dort war liberal-demokratisch und jüdische Emigranten waren doch alle Roosevelt-Bewunderer.

Was stört Sie eigentlich an ,,Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“?

Weil’s wieder geschehen ist. Man sagt „Nie wieder“ und dann schauen Sie sich mal all die Massaker an, die inzwischen passiert sind. Es ist absurd zu sagen, es soll nicht wieder passieren. Und das andere ist, dass das Gedenken abschrecken soll von  Wiederholungen. Aber das kann auch das Gegenteil sein, nämlich dass die Erinnerung an das, was geschen ist, auch die Neonazis inspiriert. Die sagen: Diese SS-Leute waren doch fesch! Sie schauen mich entsetzt an, das ist aber schon passiert. Der Leiter der Buchenwald-Gedenkstätte hat mir mal gesagt, dass die Neonazis nach Buchenwald gekommen sind, um ihre Versammlungen dort zu haben. Und man konnte sie nicht rausschmeißen, denn man kann ja nicht die Öffentlichkeit aussperren. Das war zumindest kurze Zeit lang ein Problem.

Das heißt, man muss der Gedenkkultur kritisch gegenüberstehen?

Mir geht das Getue an den Gedenkstätten ein bisschen auf die Nerven. Ich sehe die Heroisierung der Opfer, der Helden und Märtyrer irgendwie als falsch und verlogen an. Ich habe schon Leute empört, wenn ich sowas gesagt habe. Ein KZ war ein Saustall, eine Jauche. Das ist weder heroisch noch märtyrer-artig. Und das will man nicht hören, aber so ist meine Erinnerung.

Sie finden ja auch die Glorifizierung des Widerstands oft verlogen.

Über den Widerstand ist einiges zu sagen. Dort, wo Widerständler die Oberhand hatten, zum Beispiel in Buchenwald, hatten sie oft Gelegenheit, die Listen zu verändern, die in Vernichtungslager geschickt wurden. Und da haben sie natürlich ihre eigenen Leute geschützt und lieber Juden geschickt. Außerdem ist es ihnen überall besser gegangen, außer natürlich, wenn sie erschossen oder zu Tode gequält wurden. Aber wenn man sich Filme ansieht von der Befreiung von gewissen Konzentrationslagern, einschließlich Buchenwald, natürlich waren da alle Häftlinge verhungert, aber die Juden waren wirklich am Rande des Todes. Das andere, das ideelle daran ist, dass die Veherrlichung des Widerstands dazu führt, dass das Ausmaß des Widerstands übertrieben wird.

Es ist also auch gefährlich, wenn man sich dann im Nachhinein Schuld abladen kann, indem man daran glaubt, dass es genug oder viel Widerstand gab.

Ja. Dachau war das erste Lager, das erste KZ in Deutschland, und da war eine ganze Reihe von Politischen, aber später auch eine ganze Menge Juden. Und die werden irgendwie beiseite geschoben. Bei einem Treffen des Vorstands (Anm.: der Gedenkstätte Dachau) wurde darüber gesprochen, dass man sich hüten muss vor der ,,Auschwitzisierung’’ von Dachau. Also bitte dieses Wort ,,Auschwitzisierung’’, das heißt, dass Dachau als jüdisches Lager betrachtet wird. Was sind das für Konflikte, die da aufkommen?
Von wegen: Wer waren die ärgeren Opfer oder die bewundernswerteren Opfer? Das Ganze ist ja eine Frage, wie sowas zustande kommen kann und konnte, und was das über uns als Menschen aussagt, dass es geschehen ist.

Wie fühlt sich das an, wenn Zivildiener für die Instandhaltung der ehemaligen KZs verantwortlichsind?

Ich hab jetzt nichts mehr mit ihnen zu tun. Früher hab ich mit verschiedenen gesprochen, die das wahnsinnig ernst genommen haben. Aber ich konnte es nicht recht ernst nehmen. Aber ich respektiere das, dass sich so viele junge Leute damit auseinandersetzen wollen. Wenn sie es ernst meinen und darüber nachdenken wollen, wird vielleicht doch eine bessere Welt entstehen.

Viele Leute unserer Generation haben Angst davor, dass es in absehbarer Zeit keine Möglichkeit mehr gibt, mit ZeitzeugInnen zu reden.

Ja ich weiß, das wird fortwährend gesagt. Darum bin ich auf einmal so beliebt geworden, weil niemand weiß – ich bin 81 –, ob ich noch 82 sein werde. Das ist mit uns allen so. Aber ist es wirklich derartig wichtig? Die Vergangenheit wird in das Bewusstsein der nächsten Generation eingearbeitet, und was diese Generation damit macht, ist nicht vorauszusagen. Die Überlebenden der KZs haben weiß Gott genug gesagt und geschrieben. Nicht gleich – nicht in den ersten Jahren, aber danach. Und wenn es darauf ankommt, das Zeugnis derjenigen, die es mitgemacht haben, zu bewahren: Das haben sie. Aber es ist ein Problem, über das man natürlich nicht aufhören sollte, sich den Kopf zu zerbrechen.
Das, was mich nach wie vor immer umtreibt, ist, warum gerade in Deutschland und Österreich? Das waren doch Länder, die ganz hoch gebildet waren. Als hätte man nichts gelernt in der Kindheit. Das war nicht Unwissenheit. Das ist übrigens eines der Dinge, die mich stören an diesem beliebten Roman Der Vorleser von Bernhard Schlink. Da ist das Problem, dass die Verkörperung des Nazismus durch eine Analphabetin erfolgt. Und Analphabetismus hat es praktisch nicht gegeben in Deutschland. Das heißt, die Implikation ist irgendwie, dass Unwissenheit ein Grund war. Aber das war nicht der Fall. Warum ist Antisemitismus in dieser Mordsucht ausgeartet, gerade in Deutschland? Wenn Sie das herausfinden können, philosophisch oder historisch, das wär’ was.

Es gibt ja HistorikerInnen, die behaupten, die Shoah hätte in jedem Land stattfinden können.

Ja, aber sie hat nicht. Das ist der Punkt. Sie hätte können in dem Sinne, dass es überall Antisemitismus gab und zwar oft virulenten, schäumenden Antisemitismus, aber Tatsache ist, dass er nicht ausgeartet ist in Massenmord.

In Israel gibt es viele junge Menschen, die sich die KZ-Nummern von ihren Großeltern eintätowieren lassen.

Ich hab das gehört, das ist irre. Das ist eine Mode, die ich ablehne.

Die Anschrift der Universität Wien hat ja bis vor kurzem noch Karl Lueger im Namen getragen.

Ich habe mich vor langer Zeit aufgeregt über diese fortwährende Bewunderung für den Lueger. Er hat ja noch immer dieses blöde Denkmal am Karl Lueger Platz, nicht? Zumindest eines weniger!

Im Film gibt es eine Szene, wo Sie mit einem langjährigen Freund, Herbert Lehnert, diskutieren. Der war Wehrmachts-Soldat.

Ja, und ein Nazi, sagt er selber. Wie kann man da befreundet sein? Er ist es ja schon längst nicht mehr. Der ist durch die amerikanische Re-education völlig bekehrt und kein Faschist. Das ist ein guter Demokrat, aber es steckt eben noch immer  irgendwas in ihm – das diese Vergangenheit nicht vertuschen will – aber ein bisschen leichter machen will. Und darüber sprachen wir eben in der Filmszene, wie wir herumgelaufen sind am Strand. Um diese Stelle noch einmal zu rekapitulieren: Er sagt: ,,Die Nazizeit war nur eine Epoche von zwölf Jahren in einer Geschichte, die 1200 Jahre alt ist.“ Meine Antwort darauf wäre: Wenn ein 40Jähriger vor Gericht steht und sagt: Ich habe nur einen Nachmittag gebraucht, um meine Familie und die Nachbarn umzubringen, und der Rest meiner vierzig Jahre war ich unschuldig, so ist das eigentlich kein Alibi. Das hängt von der Tat ab und nicht von der Länge. Die Nazizeit ist ein gewaltiger Einschnitt in die deutsche Geschichte und es ist nicht eine Frage, wieviele Jahre sie angedauert hat. Wir haben verschiedene Perspektiven. Aber: Haben Sie nicht schon genug? Ich glaub’ ich bestell jetzt diese Grünkernknödel mit rotem Rübengemüse.

Das war wirklich meine letzte Frage. Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Vanessa Gaigg.

ZeitzeugInnen und der österreichische Opfermythos

  • 11.11.2012, 09:27

Claudia Aurednik diskutierte am Nationalfeiertag mit der Zeitzeugin Dora Schimanko (Young Austria) und Judith Goetz (Politik- und Literaturwissenschafterin) über jene Menschen, auf die im Zuge des österreichischen Mythos, das erste Opfer Hitler gewesen zu sein, vergessen wurde.

Claudia Aurednik diskutierte am Nationalfeiertag mit der Zeitzeugin Dora Schimanko (Young Austria) und Judith Goetz (Politik- und Literaturwissenschafterin)  über  jene Menschen, auf die im Zuge des österreichischen Mythos, das erste Opfer Hitler gewesen zu sein, vergessen wurde.

Gäste:

Judith Goetz (Jg. 1983) präsentiert ihre aktuelle Publikation „Bücher gegen das Vergessen. Kärntnerslowenische Literatur über Widerstand und Verfolgung“. Das Buch setzt sich mit der Literatur von Kärntner SlowenInnen, in der die Zwangsaussiedlungen, die Zeit in den Konzentrationslagern und dem Kampf der PartisanInnen eine zentrale Rolle zukommt. Das Buch wurde 2011 mit dem Herbert-Steiner-Förderpreis und 2012 mit dem Theodor-Körner-Preis ausgezeichnet.

(ab Minute 16:24): Dora Schimanko (Jg. 1932) musste im Alter von sechs Jahren mit einem Kindertransport vor den Nationalsozialisten fliehen. Ein Teil ihrer Familie wird in der Shoah ermordet, ein anderer Teil vertrieben. 1946 kehrt Dora Schimanko nach Wien zurück und engagiert sich in der FÖJ (Freie Österreichische Jugend). Im Nachkriegsösterreich hat sie mit der Ignoranz und dem Antisemitismus der Nachkriegsgesellschaft zu kämpfen. In ihrem Buch „Warum so und nicht anders. Die Schiffs: Eine Familie wird vorgestellt“ setzt sie sich mit der Geschichte ihrer jüdischen Großfamilie auseinander.

Links zur Literatur:

Warum so und nicht anders von Dora Schimanko

Bücher gegen das Vergessen von Judith Goetz

Die ganze Sendung:

Diskurs am Freitag:„ZeitzeugInnen und der österreichische Opfermythos“

Auf der Uni verprügelt

  • 05.11.2012, 20:38

Österreichs Hochschulen pflegen das Image, Orte kritischer Reflexion und Toleranz zu sein. Im 20. Jahrhundert allerdings waren sie jahrzehntelang Hochburgen des Antisemitismus und der Deutschtümelei. Ein Blick auf eine verdrängte Geschichte, die nach 1945 keineswegs zu Ende war.

Österreichs Hochschulen pflegen das Image, Orte kritischer Reflexion und Toleranz zu sein. Im 20. Jahrhundert allerdings waren sie jahrzehntelang Hochburgen des Antisemitismus und der Deutschtümelei. Ein Blick auf eine verdrängte Geschichte, die nach 1945 keineswegs zu Ende war.

„Ich weiß nicht, ob ich da die richtige Ansprechpartnerin bin. Denn es war ja so, dass ich mich nur in der Jüdischen Hochschülerschaft bewegt habe. In den anderen Studierenden habe ich ja mutmaßliche Nazis oder Mitläufer gesehen“, erklärt Lucia Heilman (83) am Telefon. Zwei Stunden später öffnet sie trotzdem die Tür zu ihrer Wohnung. Sie ist eine lebhafte und aufgeschlossene Frau mit warmen Augen und einem lebenslustigen Lachen und auf dem Coverfoto dieser progress-Ausgabe zu sehen. Ihr sommersprossiges Gesicht spiegelt ihre Emotionen wider. Die Kindheit und Jugend der pensionierten Ärztin war vom Terror der Nazis gekennzeichnet. Nach der Volksschule durfte sie als Tochter einer Jüdin nicht mehr zur Schule gehen, die Wohnung ihrer Eltern wurde „arisiert“. Ihr Vater befand sich während dieser Zeit aus beruflichen Gründen in Persien und bemühte sich vergeblich, seine Frau Regina und Tochter Lucia nachzuholen. Als Lucia mit ihrer Mutter aus Wien deportiert werden sollte, hat Reinhold Duschka, ein Bergsteigerfreund des Vaters, den beiden das Leben gerettet. Er versteckte Lucia und ihre Mutter von 1939 bis zum Bombardement 1944 in seiner Werkstätte für Kunstgewerbe in Wien-Mariahilf. Nach dem Bombardement brachte er die beiden in einem kleinen Sommerhaus in Wien-Hütteldorf unter. Heilman erinnert sich daran, dass Duschka ihr Lehrbücher mitbrachte und wie wissbegierig sie war. Nach der Befreiung Österreichs holte sie die Matura nach und begann 1948 an der Universität Wien Medizin zu studieren. Dort bemerkte sie auch die antisemitische Kontinuität: „Ich erinnere mich an die Anatomievorlesungen während der Jahre 1948 bis 1950. Der damalige Professor unterrichtete die Inhalte der nationalsozialistischen ‚Rassenkunde‘ ohne diese als solche zu bezeichnen“, erzählt Lucia Heilman entrüstet. „Niemand hat das in Frage gestellt. Und auch die Bücher waren aus der Nazizeit.“ Lucia und ihre jüdischen StudienkollegInnen haben sich darüber geärgert; sie waren wütend. Auch die medizinischen Lehrbücher, wie beispielsweise der Pernkopf-Atlas, stammten noch aus der Nazizeit. Am meisten verärgert Lucia Heilman aber bis heute die Scheinheiligkeit der Bevölkerung: „Denn nach 1945 ist ja niemand mehr ein Nazi gewesen“, sagt sie stirnrunzelnd.

Gewalt an Universitäten. Linda Erker vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien erzählt, dass in den universitären Quellen der Nachkriegszeit die Zeit des Nationalsozialismus nur als „dunkle Zeit, die über uns hereingebrochen ist“ beschrieben wird. Schuldeingeständnisse seitens der Universität und Politik gab es damals keine. Dabei hatten die Deutschtümelei und der Antisemitismus an den Universitäten eine lange und überaus gewalttätige Vorgeschichte. Linda Erker und ihr Kollege Herbert Posch kramen Fotos aus den Jahren 1931 und 1933 hervor. Eines davon zeigt deutschnationale Studenten vor dem Haupteingang der Universität Wien, die die rechte Hand zum Hitlergruß heben. Dazwischen hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Juden raus“. Auf einem anderen Bild fliehen StudentInnen über Leitern aus dem ersten Stock des Anatomischen Instituts der Universität Wien. In ihren Gesichtern sind Angst und Panik zu erkennen. Posch erläutert den Kontext: „Hier müssen Studierende die Hörsäle über Leitern verlassen, weil die deutschnationalen Studierenden vor dem Ausgang rechts und links sogenannte ‚Salzergassen‘ gebildet haben. Sie haben auf die jüdischen Studierenden gewartet, um sie mit Prügelstöcken zu verdreschen.“ Der Anteil der jüdischen Studierenden lag zu dieser Zeit österreichweit bei etwa 13 Prozent. 75 Prozent davon studierten an der Universität Wien, nur zwei Prozent an der Universität Graz und nur ein Prozent an der Universität Innsbruck. Der Antisemitismus an den Universitäten Graz und Innsbruck war jedoch genauso stark wie an der Universität Wien und der Technischen Hochschule, der heutigen TU Wien. „Während der Studienzeit der 1920er- und 1930er- Jahre herrschte eine Gewalt an den Universitäten, die wir uns heute gar nicht vorstellen können“, erzählen Posch und Erker. „Schädelbasisbrüche, Knochenbrüche und existenzielle Gewalt gegenüber jüdischen und linken Studierenden standen damals an der Tagesordnung. Diese Gewalt hat sich auch im öffentlichen Raum an der Universitätsrampe zugetragen. Die Polizei hat zugeschaut und sich auf das Hausrecht des Rektors berufen. Die Universität Wien musste während dieser Zeit aufgrund der gewalttätigen Ausschreitungen sogar mehrmals im Jahr geschlossen werden.“ Manche jüdische Studierende, wie der spätere israelische Diplomat und Schriftsteller Benno Weiser Varon, erwarben in der zionistischen Selbstverteidigungsgruppe Haganah Selbstverteidigungskenntnisse, die sich an der Universität als überlebenswichtig erwiesen.

TechnikerInnen. Die Leiterin des Universitätsarchivs an der TU Wien, Juliane Mikoletzky, erzählt, dass auch an der Technischen Hochschule bis zur Zeit des Austrofaschismus wöchentlich Prügelorgien stattfanden. „Die Techniker hatten eine gewisse Affinität zu dem von den Nazis propagierten Fortschritt. Sie hofften, durch die Nazis viele technische Arbeitsplätze zu bekommen.“ An der Technischen Hochschule hatte es zunächst aber durchaus einen hohen Anteil an jüdischen Studierenden gegeben. Ihre Zahl sank jedoch im Sommersemester 1938 von 230 auf 16. Denn an allen Hochschulen und Universitäten wurden ab dem Sommersemester 1938 in der NS-Terminologie als „Volljuden“ bezeichnete Personen nicht mehr zum Studium zugelassen. Mikoletzky erwähnt, dass der Übergang von Austrofaschismus zum Nationalsozialismus an der Technischen Hochschule gesetzesmäßiger und „ziviler“ als an der Universität Wien vor sich ging. Sie vermutet, dass dieser schon länger vorbereitet worden war. Nach dem Novemberpogrom 1938 durften die sogenannten „VolljüdInnen“ die Universitäten nicht mehr betreten. Selbst der Besuch der Bibliothek wurde ihnen untersagt. Nur noch sogenannten „Mischlingen“ war bis in die 1940er- Jahre das Studium erlaubt. „Auch an der damaligen Hochschule für Bodenkultur (BOKU) hatte es nie über fünf Prozent jüdische HörerInnen gegeben. Dennoch war der Antisemitismus sehr stark und es gab auch gewalttätige Ausschreitungen“, berichtet Paulus Ebner, der im Archiv der TU arbeitet. In seiner Dissertation hat er sich mit der Hochschule für Bodenkultur als Ort der Politik von 1914 bis 1955 auseinandergesetzt. Eine Besonderheit stellte in diesem Kontext das Handeln Franz Sekeras dar, streicht er hervor. Dieser hatte sich eigenmächtig nach dem sogenannten „Anschluss“ zum „kommissarischen Leiter“ der Hochschule ernannt und verfügt, dass keine jüdischen HörerInnen mehr an der BOKU zugelassen wurden. Sekera galt als Hardliner und war bereits vor 1938 am Aufbau einer illegalen NSZelle an der Hochschule beteiligt. Nach 1945 wurde er zu zweieinhalb Jahren Kerker verurteilt und durfte nicht mehr an der BOKU unterrichten. „Die nationalsozialistischen Hardliner wurden sowohl auf der heutigen BOKU als auch der TU 1945 entlassen. Sie sind auch nicht mehr zurückgekehrt“, resümieren Ebner und Mikoletzky.

Robert Rosner. „Ich hatte in England neben der Arbeit eine Abendschulmatura absolviert und große Lücken im naturwissenschaftlichen Wissen. Aber mir haben meine Kollegen während des Chemiestudiums sehr geholfen“, erzählt Robert Rosner (88). „Bobby“ Rosner ist ein sehr aufgeschlossener Mensch, der gerne über seine Lebenserfahrungen berichtet. In seinem Arbeitszimmer befindet sich eine gut sortierte Heimbibliothek. In seiner Pension hat der Intellektuelle Politikwissenschaft studiert. Seither hat er mehrere Publikationen zur Wissenschaftsgeschichte veröffentlicht. In seiner Jugend musste Rosner mit seiner Familie vor den Nazis nach England fliehen. Dort kam er mit der EmigrantInnenorganisation Young Austria in Kontakt, die ihn stark geprägt hat. Als er mit seiner Frau nach dem Ende des Krieges nach Wien zurückkehrte, engagierte er sich in der Kommunistischen Partei und der Kommunistischen StudentInnenorganisation. 1968 trat er im Zuge des Prager Frühlings allerdings aus der KPÖ aus. Von 1947 bis 1955 studierte er Chemie an der Universität Wien. „Meine Studienkollegen wussten von meiner Lebensgeschichte als jüdischer Flüchtling und meiner politischen Einstellung. Dennoch hatte ich auch mit meinen linkskatholischen Studienkollegen ein gutes Verhältnis. Das lag daran, dass wir bei den stundenlangen Laborübungen enge Beziehungen aufgebaut haben“, resümiert er. „Ein bis zwei Studienkollegen waren gesinnungsmäßig braun geblieben. Aber sonst hatte ich das Gefühl, dass ich als gleichwertiger Studienkollege wahrgenommen wurde. Vielleicht lag das auch daran, dass ich mit den Jahrgängen 1928 und 1929 zu studieren begonnen hatte. Meine ältere Schwester hat als Lehrerin den Antisemitismus viel stärker gespürt als ich.“ Rosner erzählt, dass auch die Nazi-Professoren am Chemischen Institut 1945 entlassen wurden. „Im Keller des Chemischen Instituts hatte es bereits während der Nazizeit Widerstand gegeben. Unter anderem wurden auch jüdische Menschen versteckt. An der Physik hat es aber wesentlich schlechter ausgeschaut.“

Späte Auseinandersetzung. Im Zuge des NS-Verbotsgesetzes wurden die meisten nationalsozialistischen Professoren aus ihren Ämtern enthoben. Die Geschichte der vertriebenen Studierenden und Lehrenden wurde jedoch erst spät thematisiert. Denn nach 1945 wurde über Politik an den Universitäten nicht mehr gesprochen. Und mit der Lockerung der Gesetze kehrten nationalsozialistische Professoren im Laufe der 1950er-Jahre wieder an die Universitäten zurück. Herbert Posch war 1998 Teil des Projektes „Bildungsbiographien und Wissenstransfer, Studierende der Universität Wien vor und nach 1938“, das sich auf die Suche nach vertriebenen Studierenden und Lehrenden machte. Insgesamt 150 Personen haben sich bereit erklärt, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Unter anderem hat er auch in New York Interviews geführt. „Es wurde viel zu spät damit begonnen. Aber ich bin froh, dass wir damals dennoch angefangen und soviel Resonanz erhalten haben.“ 2009 wurde in Form eines Gedenkbuches der Universität Wien an die vorwiegend jüdischen Vertriebenen erinnert. Das Buch befindet sich im Denkmal Marpe Lanefesh am Universitätscampus Wien. Posch betreut die Online- Version des Gedenkbuchs, das laufend ergänzt wird. „Durch das Online-Gedenkbuch melden sich jene, die ihre Geschichte beisteuern wollen. Es sind Menschen wie du und ich, die von der Forschung unbeachtet geblieben sind. Und es sind nicht nur erfolgreiche Wissenschafter darunter. Auch diese Menschen dürfen nicht vergessen werden.“
 

Das Projekt der ÖH ,,Hochschulen in der NS-Zeit‘‘ startet in diesem Herbst. An mehreren Universitäten finden Lehrveranstaltungen zum Thema statt, Studierende werden wissenschaftliche Beiträge verfassen, die als Publikation veröffentlicht werden.

Mehr Infos: zeitgeschichte.oeh.ac.at

Sodom und Andorra

  • 04.10.2012, 23:44

Was in Schulen gelesen wird und wo dabei das Problem liegt. Ein Kommentar von Simon Sailer.

Was in Schulen gelesen wird und wo dabei das Problem liegt. Ein Kommentar von Simon Sailer.

Seit 1989 gibt es im österreichischen Lehrplan für den Deutschunterricht keine Leselisten mehr. Allerdings sieht er weiterhin vor, für die verschiedenen Epochen der Literaturgeschichte repräsentative Werke zu behandeln. Gerade, wenn es um Antisemitismus und Nationalsozialismus geht, wird jedoch auch ohne Liste immer wieder zu den gleichen Werken gegriffen. Und so arbeitet sich jede  Klasse aufs Neue durch das Tagebuch der Anne Frank, Andorra und Auszüge aus der Blechtrommel. Hin und wieder werden vielleicht auch Thomas Bernhards Heldenplatz oder Passagen aus Karl Kraus’ Die letzten Tage der Menschheit berücksichtigt. Dabei werden diese Werke – das kann aus eigener Erfahrung und den Berichten anderer mit einiger Gewissheit gesagt werden – meist nicht problematisiert, sondern als die Wahrheit über die Zeit, den Antisemitismus und die Menschen im Allgemeinen präsentiert.

Probleme. Zu problematisieren gäbe es an manchen der genannten Schriften aber durchaus einiges. Max Frischs Andorra wurde etwa von dem Kabarettisten Georg Kreisler als „schwach auf der Brust und latent antisemitisch“ angesehen. Ein Urteil, das Kreisler nicht nur so nebenher gegen einen von ihm Ungeliebten losließ. Zusammen mit KünstlerInnen wie Topsy Küppers und Kurt Sowinetz vertonte er sogar eine Parodie, die den plakativen Titel Sodom und Andorra trägt. Frisch versucht in seinem Stück die Funktionsweise von Antisemitismus aufzuzeigen. Die recht durchsichtige These lautet, dass es das antisemitische Vorurteil sei, welches die Juden zu Juden mache. In dem Stück gilt der junge Andri in seinem Dorf im erfundenen Land Andorra als Jude und nimmt aufgrund der Behandlung durch die Bevölkerung schließlich jene Eigenschaften an, die nach Frisch das antisemitische Stereotyp charakterisieren. Der Tischler will die Meisterschaft seiner Arbeit nicht anerkennen und zwingt ihn in den Verkauf, der Pfarrer dagegen will eine besondere Gabe bemerkt haben und empfiehlt ihm, in die Wissenschaft zu gehen. Der derart gegängelte Andri wird schließlich nervös, unruhig, wittert überall Antisemitismus und zieht sich schließlich auf die Position zurück, sich nur  noch um Geld kümmern zu wollen.

Der wohl gut gemeinte Versuch, die Wirkmächtigkeit von Vorurteilen zu demonstrieren, endet, genauer betrachtet, in einer Affirmation der antisemitischen Karikatur, die Andri schließlich darstellt. Fast als wäre Frisch der Ansicht, die Juden – bei ihm ist der archetypische Jude schließlich ein Mann – sind schon so, nur liege dies nicht in ihrem Wesen, sondern die antisemitische Gesellschaft habe sie selbst hervorgebracht. Da wundert es dann wenig, dass in seinem Stück keine Jüdinnen oder Juden in positiven Rollen vorkommen. Andri stellt sich schließlich als Andorraner heraus, positive jüdische Figuren würden das Bild des Juden als manifestierte Projektion nur stören.

Würden solche Probleme im Unterricht behandelt werden, wäre an der Lektüre nichts auszusetzen. Aber in der Praxis werden diese Werke als Lehrstücke behandelt, fast als aus der Wirklichkeit genommene Beispiele. Was will uns der Autor sagen? Was lernen wir daraus?

Textwahl. Darüber hinaus ist bemerkenswert, welche Schriften nie oder nur sehr selten im Unterricht behandelt werden: so beispielsweise Bertolt Brechts Furcht und Elend des Dritten Reichs, ein Stück, das der Autor im Exil in den 1930er-Jahren verfasste. Oder Edgar Hilsenraths Der Nazi und der Friseur, das zunächst nur in der englischen Übersetzung erscheinen konnte, weil im  Deutschland der 1960er niemand bereit war, diesen Roman zu veröffentlichen, der als Anti-Blechtrommel bezeichnet werden könnte. Hilsenrath schildert den Nationalsozialismus aus der ungeschönten Sicht eines Täters in seiner Kontinuität bis in die Gegenwart. Anders als bei den nivellierenden Formulierungen Grass’ handelt es sich um eine wirkliche Groteske: eine, die real bleibt.

Hilsenraths Darstellung spitzt die Brutalität aufs Äußerste zu und steigert sie ins Unmögliche, ohne dabei den Charakter der Realität einzubüßen. In Deutschland konnte dieses Buch erst Ende der 1970er-Jahre erscheinen, obwohl es zuvor bereits in den USA große Erfolge erzielt hatte. Es ist kein Zufall, dass Die Blechtrommel als das Buch der Deutschen bezeichnet werden kann, während sich  ein Autor wie Edgar Hilsenrath erst allmählich etablieren konnte. In Schulen wird er wohl niemals vergleichbar oft gelesen werden wie Grass.

Kritik. Natürlich kann die Konsequenz daraus nicht darin bestehen, die Lektüre dieses oder jenes Werkes anzuempfehlen. Es ist durchaus eine Errungenschaft, dass Lehrern und Lehrerinnen große Freiheit in der Auswahl der behandelten Texte zugestanden und dadurch eine Vielfalt der behandelten Werke begünstigt wird. Das Problem liegt allerdings in der unkritischen Behandlung der schließlich ausgewählten Texte. Literatur, die sich kritisch mit Nationalsozialismus und Antisemitismus befasst, müsste daraufhin untersucht werden, ob sie ihrem Anspruch gerecht wird, welche Vorstellungen von Antisemitismus, von Geschichte und Gesellschaft ihr zugrunde liegen und ob sie womöglich selbst antisemitische Topoi enthält oder Entlastungsangebote macht. Auch diese Aufgabe obliegt schließlich den Lehrenden. Ihre Erfüllung könnte aber von einem gesellschaftlichen Klima gestützt werden, in dem nicht alles, was kritisch daherkommt, zum nicht zu hinterfragenden Nonplusultra erklärt wird – je plakativer desto besser.

Treue um Treue

  • 28.09.2012, 10:12

Feldbach in der Steiermark galt den Nazis 1945 als Bollwerk gegen die Allierten. Daran erinnern sich bis heute die lokalen Bevölkerung, SS-Veteranen und auch der Bürgermeister gerne.

Feldbach in der Steiermark galt den Nazis 1945 als Bollwerk gegen die Allierten. Daran erinnern sich bis heute die lokalen Bevölkerung, SS-Veteranen und auch der Bürgermeister gerne.

Seit knapp 60 Jahren treffen sich jährlich Mitte Mai Veteranen von Gebirgsjäger- und Fallschirmjäger-Einheiten des Dritten Reiches in Gniebing, einem Ortsteil von Feldbach, in der Südoststeiermark. Dabei wird zweier Schlachten der Wehrmacht gedacht: der Eroberung Kretas durch deutsche Fallschirmjäger und Gebirgsjäger im Jahr 1941 sowie der Eroberung der bereits von der Roten Armee befreiten Stadt Feldbach durch Fallschirmjäger und Waffen-SS im Jahr 1945. Veteranenorganisationen der Wehrmacht und SS, deutschnationale Burschenschaften, PolitikerInnen, Geistliche, Bundesheer und Polizei sind hier Jahr für Jahr anzutreffen. Sie betrauern die Toten auf Seiten der Nazis, den Heldenkampf und versichern sich gegenseitig „ewiger“ und „wahrer“ Werte.

Befreiung und Rückeroberung. Im März und April 1945 stand die Rote Armee kurz davor, Österreich von Osten und Südosten her zu befreien. Am 29. März wurde die „Reichsgrenze“ überschritten, schon am 3. April 1945 begann die Befreiung Wiens. Zu diesem Zeitpunkt strömten über Kärnten/Koroška und die Steiermark zahlreiche Verbände der Wehrmacht und SS nach Österreich zurück; die meisten hatten den Glauben an den Endsieg schon lange aufgegeben und versuchten, von den Westalliierten statt von der Roten Armee gefangen  genommen zu werden, um einer Strafverfolgung durch den „bolschewistischen Untermensch“ zu entgehen.

Nicht so jedoch die in der Steiermark liegenden Verbände, die auch 1945 noch vom Endsieg überzeugt waren. Feldbach wurde am 1. April von der Roten Armee befreit, aber nur schwach gesichert: Die Rote Armee konzentrierte sich auf die Befreiung Wiens. Es gelang der Wehrmacht, Feldbach zurückzuerobern: Vom 5. auf den 6. April 1945 wurde die heutige Bezirkshauptstadt von Westen her von einer Fallschirmjäger-Einheit, die gerade zufällig aus Italien kommend im Raum Graz eintraf und von einigen Wehrmachts- und SS-Einheiten unterstützt wurde, aus NS-deutscher Sicht „zurückbefreit“. Der Angriff kostete die schlecht ausgerüsteten und kaum aufeinander eingespielten Verbände viele Opfer. Die deutsche Propaganda berichtete ausführlich über die Rückeroberung Feldbachs sowie weiterer steirischer Städte, wodurch das Unternehmen auch  eine propagandistische Bedeutung für den im April 1945 bröckelnden „Durchhaltewillen“ in der „Alpenfestung“ erhielt. Auch als am 27. April die Unabhängigkeit Österreichs proklamiert wurde, am 28. April Benito Mussolini und am 30. April Adolf Hitler starben, dauerte die Verteidigung Feldbachs weiter an.

Niederbrennen von Ortschaften. Griechenland war zu Beginn der 40er-Jahre noch kein Schauplatz des Zweiten Weltkrieges, die militärische Strategie der NationalsozialistInnen konzentrierte sich auf die Vorbereitungen für den Überfall auf die Sowjetunion. Aber Anfang April 1941 eroberte die Wehrmacht  Jugoslawien und Griechenland. Die Eroberung Kretas wurde von bayrischen und österreichischen Fallschirmjägern und Gebirgsjägern getragen und vom  österreichischen Generaloberst Alexander Löhr geleitet. Am 20. Mai 1941  startete die Luftlandung der Fallschirmjäger, am 27. Mai zogen sich die Alliierten zurück. Die kretische Bevölkerung leistete – zur Überraschung der Wehrmacht und der abziehenden Alliierten – starken Widerstand, ohne von den Alliierten dazu aufgefordert oder dafür ausgerüstet worden zu sein.

Die Besatzer setzten von Anfang an Vergeltungs- und Sühnemaßnahmen ohne Einschränkungen ein. Ihr Befehlshaber Kurt Student wies die Besatzungstruppen auf Kreta am 31. Mai 1941 an: „Als Vergeltungsmaßnahmen kommen in Frage: 1.) Erschießungen 2.) Kontributionen 3.) Niederbrennen von Ortschaften 4.) Ausrottung der männlichen Bevölkerung ganzer Gebiete.“ Mit diesem Befehl, dem ähnliche folgten, war schon 1941 vorweggenommen, was später den „Partisanenkrieg“ prägen sollte: freie Hand für Übergriffe durch Soldaten, Sühnemaßnahmen und Vergeltungen gegen die Zivilbevölkerung. Der Wehrmachtseinsatz auf Kreta sticht durch seine immense und beispielgebende Grausamkeit gegenüber der Zivilbevölkerung heraus.

Ablauf der jährlichen Feier. Das Veteranen-Denkmal, das sich heute am Rande von Feldbach befindet, besteht aus einem auf einer übergroßen Steinsäule sitzenden Adler und mehreren Widmungstafeln. Auf einer dieser Tafeln steht: „Hier kämpften und fielen in den ersten Apriltagen des Schicksalsjahres 1945 deutsche Fallschirmjäger. Getreu ihrem Eid und Gehorsam der beschworenen Pflicht.“ Darunter befindet sich eine große Platte mit kretischer Erde samt eingraviertem Wehrmachts-Fallschirmschützenabzeichen. Die Gedenkfeier in Feldbach findet seit 1954 immer rund um den 20. Mai statt – an jenem Tag, an dem der Überfall auf Kreta begonnen hatte. Die TeilnehmerInnen marschieren schweigend, begleitet von Trommelschlägen, zum Denkmal: 2012 waren es rund 200 Personen. An der Feier beteiligen sich nicht nur der oder die durchschnittliche FeldbacherIn, GemeinderätInnen verschiedener Parteien, der Bürgermeister und Militärgeistliche und Nationalratsabgeordnete, sondern auch in- und ausländische Militaristen, Weltkriegsveteranen, Ritterkreuzträger, Kameradschaftsverbände von Wehrmacht und (Waffen-)SS und deutschnationale Burschenschafter.

Im Jahr 2011 nahm auch die SPÖ-Abgeordnete zum Nationalrat Sonja Steßl-Mühlbacher teil. Einen militärischen Charakter bekommt die Veranstaltung durch eine bewaffnete Bundesheer-Ehrengarde sowie PolizistInnen in Uniform. Seit 2009 wird die Veranstaltung von einem ehemaligen General des  Österreichischen Bundesheeres ausgerichtet, der seit Jahrzehnten im Netzwerk
 rechter Veteranen-Organisationen fest verankert ist, etwa an der Veteranenfeier in Mittenwald in Bayern teilnimmt und immer wieder in rechtsextremen Medien publiziert. Die TeilnehmerInnenzahl nimmt in den letzten Jahren kontinuierlich zu. Bei den Feiern selbst werden die Veteranen der Wehrmacht und SS namentlich begrüßt und ihre „Leistungen“ erläutert. Die Veteranen nehmen samt aller ihnen vom Dritten Reich verliehenen Auszeichnungen teil, darunter Ritterkreuz, Erdkampfabzeichen, Bandenkampfabzeichen und Kreta-Ärmelband.

Bei dem auf etlichen Fahnen von Verbänden ehemaliger Fallschirmjäger  aufgedruckten Spruch „Treue um Treue“ handelt es sich um die Parole der Fallschirmjäger der Wehrmacht. Auch das Fallschirmschützenabzeichen, dessen Kopie zahlreiche Teilnehmer der Feier auf dem Barett tragen, ist eine direkte Übernahme aus der Wehrmacht. Auf den Fahnen der Waffen-SS-Kameradschaft K IV ist der Spruch „Unsere Ehre heißt Treue“ rund um ein Balkenkreuz angeordnet. Es handelt sich dabei um den leicht abgewandelten Schwurspruch der SS „Meine Ehre heißt Treue“. Zum Programm gehört außerdem Wehrmachtsliedgut wie das Edelweiß-Lied und das Fallschirmjäger-Lied.

Die andere Geschichte. In Feldbach befanden sich bis 1945 eine Kaserne der Waffen-SS sowie mehrere Lager mit jüdischen ZwangsarbeiterInnen, die beim Stellungsbau eingesetzt wurden. Das Kommando für einen Bauabschnitt des „Südostwalls“ befand sich ebenfalls hier, sowie ein für das Militär und für den Transport von ZwangsarbeiterInnen wichtiger Bahnhof. Als regionaler Knotenpunkt wurde Feldbach zum Schauplatz des NS-Alltags: Zwangsarbeit, Durchhalteparolen, Erschießungen. Mit Hilfe des „Südostwalls“ – einem tiefen Graben rund um Ostösterreich – glaubten die Nazis vor der Roten Armee sicher zu sein. ZivilistInnen, kriegsgefangene Soldaten und rund 30.000 ungarische Juden und Jüdinnen wurden zum Ausschaufeln des Grabens gezwungen. Alleine im Bauabschnitt Feldbach waren es 3.000 ZwangsarbeiterInnen. Die Bauleitung des Abschnitts befand sich in Feldbach, ebenso die jeweiligen Stellen der für den Bau zuständigen „Organisation Todt“. Daneben bestand ein Kasernen- beziehungsweise Lagerkomplex der Waffen-SS in Feldbach, in dem der größte Teil der jüdischen ZwangsarbeiterInnen untergebracht war.

Die ZwangsarbeiterInnen wurden teils in der Stadt Feldbach selbst zur Arbeit gezwungen, zum größten Teil aber per Zug zu den Schanzarbeiten transportiert. Zahlreiche Ermordungen und Übergriffe sind überliefert. Zum Beispiel kam am 25. März 1945 eine größere Anzahl Gefangener direkt in Feldbach zu Tode: Die Gefangenen befanden sich in Eisenbahnwaggons während der Bahnhof von alliierten Fliegern angegriffen wurde. Der Angriff forderte einige Tote und vor allem Verletzte. Das “Problem” wurde so gelöst, dass die überlebenden jüdischen ZwangsarbeiterInnen die Verletzten und Toten auf einen LKW laden mussten und alle zum nahen Mühldorfer “Judenfriedhof” gebracht wurden. Die Unverletzten mussten ein Grab ausheben und wurden sodann zusammen mit den Verletzten erschlagen oder erschossen.

Das „Drama vom Bahnhof“ stellt sich in der Dorfgeschichte anders dar: An den Toten dieses Angriffs hätten die Alliierten Schuld, andere Opfer als jene der Amerikaner hat es nicht gegeben. In der Ortsgeschichte liest sich das so: „Das grauenhafte Blutbad bei der Beschießung des 'Judenzuges' durch den Tieffliegerangriff der Amerikaner im Bahnhof von Feldbach ist für mich persönlich ein unvergeßliches Ereignis. Es gab viele Tote, zahlreiche Verletzte, schreckliches Angstgeschrei, durchlochte und blutbespritzte Waggons.“ Dass die meisten Toten dieses Tages von örtlichen Nazis und der SS erschossen wurden, kommt in dieser Geschichte nicht vor.

Maschinenpistolen gegen Flecktyphus. In der unmittelbaren Umgebung von Feldbach befinden sich, neben dem Massengrab am Friedhof, zahlreiche weitere Massengräber mit jüdischen Opfern. Diese sind das Ergebnis zahlreicher Massaker und Übergriffe auf Juden und Jüdinnen, sehr häufig etwa im Rahmen „systematischer Erschießungen von Kranken“ zur „Bekämpfung“ von Flecktyphus in den Lagern. Ende März und Anfang April 1945 wurden die Gefangenen auf Todesmärsche Richtung Oberösterreich getrieben, wobei nicht mehr marschfähige ArbeiterInnen von den Wachmannschaften systematisch ermordet wurden. Eines der größten Massaker im Rahmen eines solchen Todesmarsches fand nahe Graz statt. Rund 200 Menschen wurden erschossen.

In vielen Städten der Steiermark war das Los der Jüdinnen und Juden sichtbar und allen BewohnerInnen bekannt. Trotzdem erinnert heute nichts an ihre Qualen – ihren Bewachern und Mördern wurden hingegen Denkmale gesetzt. Insbesondere die Rückeroberung Feldbachs hatte katastrophale Konsequenzen: Durch den Stopp der Roten Armee konnten einerseits die Wehrmachtsverbände fliehen und darüber hinaus vor allem die Todesmärsche gedeckt und ungehindert durchgeführt werden. Die Darstellung von “Feldbach als Bollwerk” geht dabei direkt auf NS-Propaganda zurück, die im April 1945 sonst nirgendwo von Erfolgen berichten konnte. Zwar ist dies auf Basis der österreichischen Opferthese nicht unüblich, doch selten wird heute so unverfroren eine Umkehrung von Tätern und Opfern betrieben wie in Feldbach.

Während die Feier in den letzten 60 Jahren unhinterfragt stattfinden konnte, wurden 2012 einzelne Aspekte erstmals in der Wochenzeitung Falter und in der Tageszeitung Der Standard skandalisiert. Ähnlich wie in der Berichterstattung zum Ulrichsbergtreffen in Kärnten/Koroška drehen sich die Kritikpunkte um die Bundesheer-Teilnahme und die Gemeinde Feldbach als Veranstalterin. Aus antifaschistischer Sicht müsste die Palette an Problemfeldern etwa um die dort erfolgende Identifizierung mit Soldaten der Wehrmacht und der (Waffen-)SS genauso thematisiert werden wie die totale Ausblendung von jüdischen Opfern – sowohl im Stadtbild als auch während der Feier. Auch müsste einer „typisch österreichischen“ Lösung entgegengetreten werden, einfach TäterInnen wie  auch Opfern unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ gleichermaßen zu gedenken. Proteste gibt es 2013 aber jedenfalls bestimmt.

Die lange Version dieses Artikels könnt in Kürze ihr hier nachlesen: akhinterland.wordpress.com

Verzögerte Erinnerung

  • 28.09.2012, 00:24

Etwa 8000 tschechische Roma fielen zwischen 1939 und 1944 dem Holocaust zum Opfer. Über einen Kampf ums Gedenken, bei dem kein Ende in Sicht ist.

Etwa 8000 tschechische Roma fielen zwischen 1939 und 1944 dem Holocaust zum Opfer. Über einen Kampf ums Gedenken, bei dem kein Ende in Sicht ist.

20 Kilometer nördlich von Brünn liegt Hodonín. Mitten im böhmisch-mährischen Plateau gelegen, windet sich - von Süden kommend - eine Landstraße zu der kleinen, versteckt gelegenen Gemeinde hinauf. Verlässt man Hodonín nordöstlich auf derselben Straße, gelangt man nach etwa 500 Metern zu einer Abzweigung, die in den Wald hineinführt. Wer an dieser Stelle abbiegt, kommt zu einem umzäunten Areal, das, auf einem Abhang gebettet und von Bäumen umgeben, von der Straße aus nicht sichtbar ist. Hinter dem Zaun befinden sich ein großes Haus und mehrere kleine Holzhütten. In der Mitte eine etwas größere Baracke mit gemauerten Schornsteinen, daneben ein Swimmingpool. Keine Menschenseele. Vor dem Zaun ein großer Stein mit goldener Inschrift.

Zwischen Mai und August 1943 wurden aus Hodonín 849 Menschen in Lastwägen direkt nach Auschwitz II (Birkenau) deportiert. Im Protektorat Böhmen und Mähren war Hodonín eines von zwei „Zigeunerlagern“, in denen gemäß der NS-deutschen Reichsverordnung „Bekämpfung der Zigeunerplage“ Frauen, Männer und Kinder inhaftiert waren, die als „Zigeuner“, „Zigeunermischlinge“ oder „nach Zigeunerart Umherziehende“ klassifiziert wurden. Im mährischen Hodonín und dem böhmischen Lager Lety leisteten die InsassInnen unter einem rigorosen Strafregiment und verheerenden hygienischen Bedingungen Zwangsarbeit. Es brachen Epidemien aus, Hunderte starben an Typhus und Fleckfieber. Etwa 8000 tschechische Roma, deren Namen in Listen erfasst wurden, kamen nach Auschwitz. Knapp 1000 überlebten, 600 kehrten in ihre Heimat zurück.

SPÄT EINGESTANDENE SCHULD. Da der Holocaust in den Schulbüchern der ČSSR, der tschechoslowakischen sozialistischen Republik, gänzlich ausgespart wurde, war es auch lange Zeit ein Tabu, über die Verfolgung von Angehörigen der Roma-Minderheit zu sprechen. Gedenken fand bis zur Revolution 1989 ausschließlich im geheimen Kreis der Betroffenen statt, daran änderte sich auch in der Tschechoslowakei nach der Wende zunächst nichts. Der Knalleffekt kam 1994, als Paul Polansky, ein amerikanischer Hobbyhistoriker, den tschechischen Staat der Vertuschung eines Völkermords bezichtigte. Eine Gruppe ehemaliger Dissidenten griff Polanskys Anschuldigungen auf und erhob Anklage gegen die Tschechische Republik. Erstmals wurde die tschechische Bevölkerung, und nicht, wie zuvor, die deutschen Nazis, offen mit der Frage der Schuld und der MittäterInnenschaft konfrontiert. Die Untersuchungen ergaben, dass an jeglichen Elementen der Verfolgung - von der Administration bis zu den Erschießungskommandos in den Lagern - durchwegs tschechische BeamtInnen beteiligt gewesen waren. Unter den Überlebenden und jenen geschätzt 300.000 slowakischen Roma, die heute in Tschechien leben, überwog ab diesem Zeitpunkt die Angst, Opfer rassistischer Übergriffe zu werden: Insbesondere nach der Gründung der Republik erklomm der Hass gegen Roma als lebendiges Relikt einer ungeliebten Ära neue Höhen. Die meisten Betroffenen der NS-Verfolgung, die als ZeitzeugInnen für historische Recherchen helfen wollten, baten um Anonymität. Dennoch wurde 1998 das „Komitee für die Entschädigung des Roma-Holocaust“ gegründet, dessen Präsident Čeněk Růžička, Sohn eines Überlebenden des KZ Lety, seither der wichtigste Ansprechpartner auf Seiten der Roma ist. 2001 erhielten erstmals auch Roma Entschädigungszahlungen, die Tschechien seit Ende der 1990er an Holocaust-Opfer zahlte. Der öffentliche Diskurs um die Erinnerung kam erst nach dem EU-Beitritt Tschechiens ins Rollen, als im Brüsseler Sitz des EU-Parlaments die Ausstellung „Lety - Die Geschichte eines verschwiegenen Völkermords“ gezeigt wurde. Initiator war Milan Horáček, gebürtiger Tscheche und Europaabgeordneter für die deutschen Grünen. In Tschechien entpuppte sich der amtierende konservative Präsident Václav Klaus als Vertreter einer revisionistischen Position, der äußere Umstände (Flecktyphus-Epidemie in einem Lager für „Arbeitsscheue“ des Protektorats) für den Tod von Lagerinternierten machte. Dieses Paradigma fiel, als der damalige sozialdemokratische Premierminister Jiří Paroubek öffentlich zu Protokoll gab, dass das ehemalige Lager wohl tatsächlich ein KZ gewesen sei. Die Ausstellung wurde daraufhin in den Tschechischen Senat verlegt, und Paroubek setzte mit seinem Besuch eine symbolische Geste der Anerkennung.

DAS SYMBOL LETY. Wer in Tschechien Lety hört, denkt jedoch sofort an die sich heute dort befindende Schweinemast. In den vergangenen Jahren konnte die tschechische Regierung das Versprechen, die Farm den Besitzern abzukaufen und dem Komitee zur Errichtung eines Mahnmals zur Verfügung zu stellen, dazu nutzen, mit der antiziganistisch gefärbten Einstellung der Mehrheitsbevölkerung zu spielen. Als 2008 der Kauf des Areals kurz bevorstand, verlautbarte Premier Paroubek, man wolle die angeblich benötigten 25 Millionen Dollar doch lieber in das Bildungsniveau sozial benachteiligter Roma-Kinder investieren. Seit einigen Jahren fragt das Europäische Parlament regelmäßig nach „Fortschritten“ in der Sache Lety. Der Grund dafür ist, dass eine Resolution des Europäischen Parlaments, die allgemeine Standards für einen menschenwürdigen Umgang mit der europäischen Roma- und Sinti-Minderheit definierte, als einzige konkrete Forderung an einen konkreten Mitgliedsstaat die Schließung der Farm enthielt.

Um von Lety abzulenken, bemühte sich die tschechische Regierung um eine „Ersatzleistung“, was 2009 den Lagerort Hodonín zurück auf die Bildfläche brachte. Es sollte ein „internationales Forschungs- und Ausbildungszentrum“ für Schulklassen auf dem Arsenal entstehen. Doch auch drei Jahre später sucht man dieses vergebens. Nur der Gedenkstein gibt etwaigen BesucherInnen ein sicheres Indiz, dass sie hier überhaupt richtig sind. Seitens der Mediensprecherin des Museums heißt es auf Anfrage, dass man „mit dem Projekt schon seit Längerem nichts mehr zu tun“ habe. „Bitte wenden Sie sich an das Pädagogische Museum in Prag.“ Der Verantwortliche in Prag kann zu seiner eigenen Arbeit keine nähere Auskunft geben, man beschäftige sich aber intensiv mit den Plänen für eine Gedenkstätte.

EUROPÄISCHE WILLKÜR? Die Sturheit im Umgang mit Lety und die zeitweilige Ignoranz gegenüber Forderungen der Hinterbliebenen fügt sich gut in ein Bild Tschechiens als Land ein, dessen Probleme von der wachsenden Zahl gewaltsamer rassistischer Übergriffe bis zur selbstverschuldeten Ohnmacht gegenüber einer verelendeten und zusehends sozial isoliert lebenden Minderheit reichen. Was dabei schnell übersehen wird: „Zigeunerlager“ gab es nicht nur in Tschechien. Und: Antiziganismus ist ein europäisches Problem, das alle EU-Mitgliedstaaten betrifft. In Österreich wurde zuletzt wegen des Verbots des sogenannten „bandenmäßigen Bettelwesens“ über die Kriminalisierung einer ohnehin stigmatisierten Bevölkerungsgruppe - nämlich jener der Roma und Sinti - diskutiert. Im burgenländischen Lackenbach waren nach dem „Anschluss“ 2300 Roma unter KZ-ähnlichen Bedingungen inhaftiert. 1941 erfolgte die Deportation von 5000 Burgenland-Roma in das Ghetto Łódź in Polen. Niemand überlebte. Weitere 2900 wurden 1943 direkt nach Auschwitz deportiert. In Lackenbach steht schon lange ein Mahnmal. Ob es jemand kennt?

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