Medien

„Unsere Zukunft ist so schwarz wie der Bildschirm“

  • 15.10.2014, 06:48

Vor über einem Jahr wurde der staatliche griechische Rundfunk von einem Tag auf den anderen geschlossen - ein Novum in der Geschichte der EU. Was ist seitdem geschehen? Dieter Diskovic hat sich über die Hintergründe und Auswirkungen der Schließung, die Protestbewegung und die aktuelle griechische Medienlandschaft informiert.

Vor über einem Jahr wurde der staatliche griechische Rundfunk von einem Tag auf den anderen geschlossen - ein Novum in der Geschichte der EU. Was ist seitdem geschehen? Dieter Diskovic hat sich über die Hintergründe und Auswirkungen der Schließung, die Protestbewegung und die aktuelle griechische Medienlandschaft informiert.

11. Juni 2013. Die griechische Bevölkerung ist fassungslos: Soeben hat Regierungssprecher Simos Kedikoglou in einer Fernsehansprache angekündigt, den staatlichen Rundfunk ERT, das griechische Äquivalent zum ORF, innerhalb der nächsten Stunden zu schließen. Sofort strömen tausende wütende Bürger_innen zur Rundfunkstation in Athen, singen Widerstandslieder, versuchen diesen beispiellosen Akt der Regierung irgendwie zu verhindern. Ohne Erfolg: Um 23 Uhr wird das Signal gekappt, die Bildschirme werden schwarz.

„Wie in Zeiten der Militärdiktatur“

Die Mitarbeiter_innen, die dieses Vorgehen vollkommen unvorbereitet getroffen hat, geben jedoch nicht auf: Sie okkupieren die Rundfunkstationen, senden trotz Drohungen der Regierung weiterhin ein Notprogramm – erst über den Kanal der kommunistischen Partei, später mit Unterstützung der Europäischen Rundfunkunion.

In den nächsten Tagen formiert sich eine breite Protestbewegung: Neben einem Streik der Journalist_innen und einem 24-stündigen Generalstreik verurteilen die Generaldirektor_innen wichtigster europäischer öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten – u.a. ZDF, ARD, ORF und der Schweizer RTS –  die Aktion als „undemokratisch und unprofessionell“. Um das nach wie vor besetzte Hauptgebäude von ERT finden zahlreiche Solidaritätskonzerte statt. Viele Menschen können es noch immer nicht glauben: „Es ist, als würden wir wieder die Zeit der Militärdiktatur erleben“, sagt eine Demonstrantin in einem Interview. „Unsere Zukunft ist so schwarz wie der Bildschirm.“ Andere erwarten einen baldigen Rückzieher der Regierung. Doch diese bleibt hart: Sämtliche 2.656 Mitarbeiter_innen von ERT werden entlassen. Gleichzeitig bedeutet dies das Ende von fünf Fernsehprogrammen, 29 nationalen und regionalen Radiostationen, einer Zeitschrift, einem Internetportal und drei der besten Orchester und Chöre des Landes.

Als der Oberste Gerichtshof die Schließung des öffentlichen Rundfunks für verfassungswidrig erklärt, zieht sich die Regierung mit einem Taschenspielertrick aus der Affäre: Ab Oktober werden aus einem angemieteten Studio unter dem Namen EDT (Hellenisches Öffentliches Fernsehen) nonstop alte Filme aus den 50er und 60er Jahren gezeigt, Nachrichtensendungen gibt es keine.

Die Schlachtung der heiligen Kuh

Die Schließung von ERT war ein Alleingang von Ministerpräsident Antonis Samaras und seiner rechtspopulistischen Nea Dimokratia. Nicht einmal die sozialdemokratischen Koalitionspartner waren informiert, die DIMAR (Demokratische Linke) verließ aus Protest gegen diese Vorgehensweise die Regierungskoalition. Regierungssprecher Simos Kedikoglou begründete die drastische Maßnahme mit der schlechten Führung und den hohen Kosten des Senders. Tatsächlich war ERT jedoch einer der wenigen öffentlichen Unternehmen, die Gewinne erwirtschafteten. Etwa 120 Millionen des Gewinns flossen jährlich in die Staatskasse, die Schließung des Senders brachte also keine finanziellen Vorteile. Die Regierung hatte sich jedoch gegenüber der Troika verpflichtet, weitere 2.000 Staatsbedienstete zu entlassen. Mit der Schließung von ERT konnte diese Vorgabe auf einen Schlag erfüllt werden, dem nächsten Hilfspaket stand nichts mehr im Weg.

Katerina Anastasiou, Aktivistin und Mitglied von Solidarity4all Vienna, sieht jedoch auch andere Motive: „Die Schließung hatte vor allem politische Hintergründe: ERT galt als linker Sender, war offen für Bewegungen von unten und sendete großartige, kritische Dokumentationen. ERT war eine heilige Kuh, und nach ihrer Schlachtung hatte die Regierung die Medien komplett unter ihrer Kontrolle.“ Schon vor der Schließung war ERT der Regierung ein Dorn im Auge: Während die privaten Sender weitgehend auf Regierungslinie waren, kritisierte ausgerechnet der öffentliche Rundfunk staatliche Austeritätspolitik, Misswirtschaft und Polizeigewalt. Noch im Jahr vor der Einstellung des Senders hatte man kritische Journalist_innen entlassen und durch Parteisoldat_innen in „Beraterpositionen“ mit teils exorbitanten Gehältern ersetzt.

Protesttransparente gegenüber eines ERT-Gebäudes. Foto: Dieter Diskovic

Die Stürmung des „Widerstandszentrums“

7. November 2013: Spezialeinheiten der griechischen Polizei stürmen das Gebäude des ehemaligen Staatsrundfunks in Athen, das bereits seit fünf Monaten von Beschäftigten besetzt gehalten wird. Sämtliche Büros werden geräumt und etwa 200 Besetzer_innen auf die Straße gedrängt. Laut Regierungssprecher Simos Kedikoglou wurde die Räumung angeordnet, um Recht und Gesetz wiederherzustellen: „Sie hatten das Rundfunkgebäude in eine Art Widerstandszentrum gegen die Regierungsentscheidungen verwandelt".

ERT Open, wie sich der selbstverwaltete Sender der ehemaligen ERT-Mitarbeiter_innen nennt, sendet unterdessen von anderen Orten weiter. Anastasiou: „ERT Open ist besser als es ERT jemals war, das belegen auch die Zuschauerzahlen. Generell hat sich die Qualität seit der Selbstverwaltung enorm gesteigert. Die Ressourcen werden jedoch immer weniger, denn die Leute arbeiten ohne Gehalt. Trotzdem hat dieses Projekt Auswirkungen auf die gesamte griechische Medienlandschaft: Es entstehen neue selbstverwaltete und basisdemokratische Medienströmungen als Gegenpol zur Regierungspropaganda.“

NERIT - Der Sender, den keiner will

4. Mai 2014: Nachdem die Rundfunkeinrichtungen wieder in den Händen der Regierung sind, geht der neue, verschlankte staatliche Rundfunk Griechenlands, NERIT, erstmals auf Sendung. Katerina Anastasiou hält davon wenig: „Der neue Fernsehsender ist viel weniger kritisch und wurde dubios besetzt.“ Mit dieser Meinung steht sie nicht alleine da. Die größte Oppositionspartei Syriza erkennt NERIT nicht an, verweigert Interviews und jede Zusammenarbeit. Die Journalist_innen stehen nun vor der Wahl, ohne Maulkorb, aber mehr oder weniger unentgeltlich für ERT Open zu arbeiten, oder sich beim neuen Sender NERIT zu bewerben. Die meisten der Journalist_innen stehen inhaltlich ERT Open näher, für viele ist es jedoch eine Frage der finanziellen Machbarkeit. Während die Entschädigungen noch nicht voll ausgezahlt wurden, ist die einjährige Arbeitslosenhilfe bereits ausgelaufen. Die Journalist_innengewerkschaft unterstützt ERT Open mit Lebensmittelpaketen und Geldern aus Streikfonds. Auch viele einfache Bürger_innen, besonders in kleinen Städten, helfen ihren regionalen Sendern mit Geld und Sachspenden aus. Das ist besonders für die Motivation der Mitarbeiter_innen wichtig.

Flashmob am ersten Jahrestag der Schließung im Wiener Resselpark. Foto: Dieter Diskovic

Am ersten Jahrestag der Schließung des öffentlichen Rundfunks kommt es in zahlreichen Städten Griechenlands, aber auch in anderen Ländern, zu den bislang letzten großen Demonstrationen gegen die Schließung von ERT. Während man in Athen vor dem Rundfunk-Hauptgebäude protestiert, gibt es auch im Wiener Resselpark einen Flashmob. Die Regierung soll daran erinnert werden, dass man noch lange nicht vergessen und schon gar nicht vergeben hat.

In der griechischen Medienlandschaft schaut es derweil nicht allzu rosig aus: Man hat nun einen relativ unkritischen staatlichen Sender, dem die Mehrheit der Bevölkerung misstraut, einige private Sender, die allesamt in der Hand der reichsten griechischen Familien sind und sich aus dem politischen Geschehen weitgehend raushalten, und selbstverwaltete Medien wie ERT Open, die kritisch und unabhängig, aber in einer finanziell äußerst prekären Lage sind. So gibt es für ERT Open drei mögliche Szenarien: die Auflösung aus Mangel an Ressourcen, die Umwandlung in einen kommerziellen Privatsender oder der Weiterbestand durch ausreichende lokale und internationale Unterstützung. Die Vorbehalte gegen den neuen staatlichen Sender NERIT haben sich derweil als begründet erwiesen: Im September traten der Direktor und sein Stellvertreter zurück. Regierungschef Samaras hatte interveniert, um die Übertragung einer Rede von Oppositionsführer Alexis Tsipras (Syriza) zu verhindern.

Dieter Diskovic studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und engagiert sich bei der Screaming Birds Aktionsgruppe.

 

Schulterklopftage

  • 10.04.2014, 13:41

Die Österreichischen Journalismustage, die am zweiten und dritten April 2014 zum ersten Mal organisiert wurden, hatten ein hehres Ziel: Statt wie sonst nur über Reichweite, Verbreitungskanäle und Finanzierung zu sprechen, wollte man „guten Journalismus“ und „gute Geschichten“ zum Thema machen.

Die Österreichischen Journalismustage, die am zweiten und dritten April 2014 zum ersten Mal organisiert wurden, hatten ein hehres Ziel: Statt wie sonst nur über Reichweite, Verbreitungskanäle und Finanzierung zu sprechen, wollte man „guten Journalismus“ und „gute Geschichten“ zum Thema machen.

Damit aus der eintägigen Konferenz im Museumsquartier doch noch die Journalismustage werden konnten, starteten die Journalismustage am Mittwochabend im Presseclub Concordia mit einer kurzen Einführung von Astrid Zimmermann, danach trug Florian Scheuba („Wir Staatskünstler“) aus seinem Programm vor. Das sollte dazu anregen, über die angeblich unklaren Grenzen zwischen Journalismus und Satire zu reflektieren, löste bei manchen aber eher Kopfschütteln aus. 

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Über Satiregeschmack lässt sich streiten – über die Frage, ob ein Satireprogramm über die österreichische Politik der letzten zwanzig Jahre so viel mit Journalismus zu tun hat, ebenfalls. Die befürchteten „Satiretage“ sollten jedoch ausbleiben, wurde auf twitter beruhigt.

Tweet:

Eine Diskussion über die Frage, was Satire denn eigentlich darf, wäre auf jeden Fall lehrreicher gewesen.

Nach Frühstück und Begrüßung begann die eigentliche Konferenz gleich mit der Keynote, die ZiB2-Moderator Armin Wolf hielt. Er beantwortete die rhetorische Frage „Machen die Medien die Politik kaputt?“ mit einem deutlichen Jein, um dann die Fehlleistungen heimischer Politiker_innen aufzuzählen und genüsslich auszubreiten. Wenn „Medien“ die Politik kaputt machen, dann laut Wolf aber nicht die professionellen, sondern Online-Foren und soziale Medien. Das Leben von Journalist_innen würde dazu immer schwieriger, denn viele Politiker_innen hätten ein Mediencoaching und würden Interviewfragen nicht wie gewünscht beantworten. Fast hätte man glauben können, der Titel der Keynote sei „Macht die Politik die Medien kaputt?“ gewesen, da kam zum Schluss doch noch das wenig überraschende Eingeständnis, dass Medien „alles andere als fehlerlos“ seien. Wir lernen: Auch ein verdienter Journalist wie Armin Wolf ist nicht davor gefeit, sein Thema zu verfehlen. Und spricht nur dann von „Kolleginnen", wenn es um Ballkleider geht.

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Für alles andere reichten die „Kollegen“. Die ganze Keynote lässt sich auf diepresse.com nachlesen.

Das folgende Programm bestand vor allem aus Diskussionsrunden, denen ein kurzer Vortrag voranging. Über die Schwierigkeiten von guter Recherche, über gesponserte und organisierte Auslandsberichterstattung und über das oft problematische Näheverhältnis von Politik und Journalismus (schon wieder) wurde diskutiert, das aber wenig kontrovers. Wie auch, denn jene, die schlechten Journalismus machen, waren an den Journalismustagen nicht anwesend. So klopfte man sich gegenseitig auf die Schulter und zeigte mit dem Finger auf den Boulevard (oder „die Politik“), die nötige Selbstkritik blieb aber leider aus.

Spätestens beim Thema Auslandsberichterstattung zeigte sich, dass sich Journalismus leider nicht abgekapselt von der finanziellen Situation der Medienhäuser betrachten lässt: Auslandskorrespondent_innen sind teuer und wer sie sich nicht leisten kann oder will, schickt seine Journalist_innen eben auf die von NGOs oder Regierung bezahlten und organisierten Reisen. Am Podium und im Publikum schien eine gewisse Nostalgie vorzuherrschen, denn über die Zukunft des Journalismus wurde erstaunlich wenig gesprochen.

Lichtblicke waren die Präsentationen abseits der Diskussionsrunden. Ein Vertreter des Medienwatchblogs Kobuk zeigte ein „Best Of“ vergangener Medienpannen und -katastrophen. Boulevardmedien, insbesondere Gratiszeitungen kamen hier zur Belustigung der Anwesenden natürlich sehr schlecht weg. Die sogenannten „Kurzmeldungen“, in denen Journalist_innen fünf Minuten und fünf Slides lang Zeit hatten, ihre Thesen zum Journalismus vorzustellen, waren besonders erfrischend. Das Format, auf Technologie- und Hacker_innenkonferenzen als „Lighting Talks“ bekannt, lockerte die Konferenz auf und bot interessante Inputs, zum Beispiel über die Recherchemöglichkeit von staatlichen und amtlichen Informationen durch die Initiative „Frag den Staat“. Auch über Quellentransparenz, Links als Qualitätsmerkmal und sogenannte „he said she said“-Geschichten waren kluge Gedanken zu hören.

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Eindeutiger Höhepunkt des Tages war die Präsentation des Dossier.at-Schwerpunkts zum Thema Asyl. Florian Skrabal erklärte die Herangehensweise an Materialsammlung, Recherche und Aufbereitung des Pilotprojektes, das die Lebensbedingungen von Asylsuchenden in Österreich genauestens dokumentierte. Leider war der Saal des Quartier21 im Wiener Museumsquartier bereits deutlich leerer als noch am Vormittag.

Insgesamt dürfen die Veranstalter_innen der Journalismustage wohl zufrieden sein: das Event war gut (und in sehr kurzer Zeit) organisiert, die Räumlichkeiten ansprechend, die Geschlechterquote auf der Bühne ausgewogen. Die Themenauswahl hätte aber breiter sein können, denn abgedeckt waren so gut wie nur die  Ressorts „Wirtschaft“, „Innenpolitik“ und „Außenpolitik“. Feuilleton, Wissenschaft und Sport waren leider so gut wie kein Thema. Dabei gilt es auch in diesen Sparten, die eigenen journalistischen Arbeitsweisen immer wieder kritisch in Frage zu stellen. Journalist_innen mit Migrationshintergrund oder People of Colour fehlten ebenfalls auf der Bühne. Blogs und soziale Netzwerke kamen in den Diskussionen fast nur als Gegenspieler_innen der klassischen Medien vor. Dabei hat Österreich doch grandiose Projekte wie zum Beispiel neuwal.com. Freie Medien (wie z.B. die freien Radios, freie Kanäle oder Zeitschriften wie MALMÖ oder über.morgen) wurden weitestgehend ignoriert, dabei findet sich wirklich kritischer Journalismus oft in diesen Redaktionen. Wünschenswert wären neben einem kritischeren Umgang mit Sprache auch mehr Diskussion zur Zukunft von Journalismus, mehr Visionen darüber, wie Medien in zehn Jahren funktionieren könnten, gewesen.

Allerdings: Die Journalismustage 2015 sind angedacht und bringen hoffentlich einen tiefergehenden Diskurs über die österreichische Medienlandschaft.

 

Anmerkung: Auch Maximilian H. Tonsern besuchte die Veranstaltung. Seinen Eindruck könnt ihr hier nachlesen.

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

 

Webtipp: http://journalismustage.at/

Twitternachlese: #jt14

In persönlicher Integrität unangreifbar

  • 10.04.2014, 13:22

Am 03. April 2014 fanden in Wien die ersten Österreichischen Journalismustage statt. Namhafte JournalistInnen trafen sich mit anderen, eher unbekannteren, aber nichtsdestotrotz dennoch qualitativ hochwertig arbeitenden KollegInnen zum Stelldichein. Von kritischen Blicken, Verhaberung mit Bier und vielen aufgestellten Thesen.

Am 03. April 2014 fanden in Wien die ersten Österreichischen Journalismustage statt. Namhafte JournalistInnen trafen sich mit anderen, eher unbekannteren, aber nichtsdestotrotz dennoch qualitativ hochwertig arbeitenden KollegInnen zum Stelldichein. Von kritischen Blicken, Verhaberung mit Bier und vielen aufgestellten Thesen.

Einen kritischeren und etwas ehrlicheren Blick auf „die Branche“ zu werfen, das war laut Ingrid Brodnig (Falter) Sinn und Zweck der Journalismustage, die am 2. und 3. April im Museumsquartier in Wien stattfanden. Brodnig, die neben Josef Barth (Forum Informationsfreiheit), Mitglied des Organisationsteams war und auch selbst einen kurzen Vortrag zur Quellentransparenz hielt, wollte einen Mix aus Journalisten und Journalistinnen, die entweder schon lange im Geschäft sind und „wissen, wie der Hase läuft“, oder die noch nicht so weit in ihrer Karriere sind und dennoch schon spannende eigene Projekte aufgestellt haben.

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Mit Referenten und Referentinnen wie Renate Graber (Der Standard), Antonia Gössinger (Kleine Zeitung), Martin Staudinger (profil) und Martin Blumenau (FM4) sowie Armin Wolf (ORF) gelang dieser Mix durchaus. Wolf, der den Hauptteil der Veranstaltung mit einem Vortrag zum Thema „Machen Medien Politik kaputt?“ eröffnete, startete damit eine durchaus selbstkritische und  bemühte Vortragsreihe, die im gesamten nur dadurch negativ auffiel, dass sich fast niemand um gendergerechte Sprache kümmerte.

Wolf, der die Frage in den Raum warf, ob Medien Politik kaputt machen respektive ob es nicht gar die Politiker und Politikerinnen seien, die ihren Berufsstand zerstören, konnte die Frage im Vortrag nicht beantworten. Dennoch wartete er mit interessanten Statements auf. Und mit Zugeständnissen: „Nicht immer ist das, worüber am ausführlichsten berichtet wird, auch das Wichtigste. Nicht jede Journalistenfrage ist immer von überragender Sachkenntnis getragen.“

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Weiters denkt er, dass der Journalismus eine Branche sei, in der Selbstkritik vernünftigerweise relativ offen verläuft – und es notwendig sei, dass das Publikum Medien auf Fehler hinweist. Die passieren nämlich häufig und öfters als in anderen Berufen. Die Gründe darin findet Wolf im extremen Zeitdruck und in der geringen Größe österreichischer Redaktionen.

Nach Wolf betrat Renate Graber, Wirtschaftsredakteurin von Der Standard, das Podium. Sie sprach über den schmalen Grat zwischen Mut und journalistischer Sorgfaltspflicht. Durch mehrere Praxisbeispiele bewies sie, dass Recherchieren durchaus Freude bereiten kann, aber auch Mut und vor allem Vertrauen von Seiten der Chefredaktion braucht. Mit dem mutigen Plädoyer, dass JournalistInnen manchmal an die Grenze gehen müssen, vor allem wenn der Staat Grenzen überschreitet, spricht sie auch die These, Journalismus müsse als vierte Macht im Staat fungieren, an. Diese Ansicht teilt auch Josef Barth, der die Journalismustage initiierte: „Ich glaube, es ist unglaublich notwendig, den Charakter von Journalismus als vierte Macht in Österreich aufrechtzuerhalten.

In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es aber von bekräftigenden Worten wieder zurück zu einer Diskussion rund um Fehler. Von Quellentransparenz, die keine Möglichkeit, sondern eine Verpflichtung sein sollte, war die Rede. Davon, dass Journalismus ein Gedächtnis braucht. Köpfe nickten, das Mikrofon wurde für Wortmeldungen herumgereicht. Und ein Teil der österreichischen Twitteria explodierte nahezu.

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Im weiteren Verlauf des Vormittages stellte Helge Fahrnberger ein Best-Of des erfolgreichen Medien-Watchblogs Kobuk.at vor und zeigte, dass nicht nur im Boulevard Kampagnenjournalismus und Spins zu finden sind. Nach der Mittagspause referierte Martin Staudinger (profil) über Auslandsberichterstattung und dessen Achillessehne. Die reißt nämlich gerne, wenn AuslandsjournalistInnen Reisen angeboten bekommen - zum Beispiel von Kanzler oder Caritas - und so wiederkäuen, was ihnen gegeben wird, anstatt sich selbst Geschichten zu suchen.

Zudem verlor er einige Worte zur Euromaidan-Krise. Diese war nämlich ein Armutszeugnis für den Journalismus: Es wurde erst umfassend berichtet, als es Tote gab, und jene, die bereits zuvor kontinuierlich berichteten, könne man an einer Hand abzählen. Weiters besteht ein krasser Gegensatz zwischen Kommentaren und Reportagen – anhand der Tageszeitung Der Standard, die aber mit dieser Negativserie nicht alleine im österreichischen Mediendschungel dasteht, wurde dies mehr als offensichtlich dargestellt.

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Im darauffolgenden „Kurzmeldungsblock“, in dem mehrere Referenten und Referentinnen jeweils fünf Minuten über diverse Themen sprachen, kamen nebst Ingrid Brodnig auch Christine Grabner (ORF), Markus Hametner (transparenzgesetz.at), Sonja Fercher (Freischaffende) und Dominik Sinnreich (Puls 4) zu Wort, ehe Antonia Gössinger (Kleine Zeitung) ihren Vortrag „Zu nah dran“ über die Begünstigung von JournalistInnen durch PolitikerInnen hielt.

Während es Armin Wolf am Vormittag noch in Ordnung fand, mit PolitikerInnen auf einen Kaffee zu gehen (Bier trinkt er nämlich nicht), da dies zum Job gehöre, plädierte Gössinger darauf zu achten, dass „der Journalist nur über ein Kapital verfüge – seine Glaubwürdigkeit.“ Und mit der habe er/sie gut umzugehen, denn Verhaberung mindere den Qualitätsjournalismus enorm. „Der Anspruch am Journalisten“, so Gössinger, „muss sein, dass er in seiner persönlichen Integrität unangreifbar ist.“

Seltsamerweise sprach Gössinger aber auch, wie schon ReferentInnen zuvor, davon, dass die „ältere Generation“ den jüngeren, unerfahrenen JournalistInnen vermitteln solle, wie journalistisches Handwerk zu funktionieren habe. Die Meinung, dass auch Jüngere den „Alten“ etwas mitteilen, zeigen und lehren können, schien unter den Vortragenden niemand zu vertreten.

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Nach Gössinger bewies Florian Skrabal mit Dossier.at, dass Idealismus durchaus belohnt wird - und es mehr als verdient, mit #goodjournalism betitelt zu werden. Nach dem letzten Klatschen kehrten die meisten der Besucher und Besucherinnen wieder dahin zurück, wo sie herkamen – in eine Redaktion. Um, vielleicht im Glauben gestärkt, weiterhin auszuüben, worüber den herrlichen Tag lang Diskurs geführt wurde: qualitativ hochwertigen Journalismus.

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Anmerkung: Auch Joël Adami besuchte die Veranstaltung. Seinen Eindruck könnt ihr hier nachlesen.

 

Maximilian H.Tonsern studiert Journalismus & PR an der FH Joanneum in Graz.

 

Webtipp: http://journalismustage.at/

Twitternachlese: #jt14

 

 

Über den „Guten Journalismus“ – Zwei Perspektiven

  • 10.04.2014, 13:05

Am 2. und 3. April fanden im Museumsquartier in Wien die Österreichischen Journalismustage statt.
Unsere beiden Autoren Joel Adami und Maximilian H. Tonsern waren unter den TeilnehmerInnen und beschrieben für progress online ihre Eindrücke. Zwei unterschiedliche Perspektiven:

Zwischen unangreifbarer Integrität und gegenseitigem Schulterklopfen – Die Österreichischen Journalismustage aus zwei Perspektiven

Am 2. und 3. April fanden im Museumsquartier in Wien die Österreichischen Journalismustage statt.
Unsere beiden Autoren Joël Adami und Maximilian H. Tonsern waren unter den TeilnehmerInnen und beschrieben für progress online ihre Eindrücke.

Dieselbe Veranstaltung aus zwei unterschiedlichen Perspektiven:

 

In persönlicher Integrität unangreifbar - Maximilian H. Tonsern

Schulterklopftage - Joël Adami

 

Webtipp: http://journalismustage.at/

Twitternachlese: #jt14

Distanzirkus

  • 12.12.2014, 17:51

Warum das Distanzieren plötzlich derart in Mode gekommen ist und was es wirklich bedeutet.

„Treffen sich zwei Linke und spalten sich“: Seit Neuestem wird dazu bewusst und manipulativ durch eine unvergleichliche Zusammenarbeit zwischen Medien und Rechten angestiftet. Das geschieht durch einen hinterhältigen rhetorischen Trick: die Distanzierungsaufforderung.

Parteien, Organisationen und Unternehmen werden ja regelmäßig dazu aufgerufen, sich von bestimmten Aussagen oder Vorkommnissen zu distanzieren. Das gehört zum gesellschaftlichen Diskurs dazu und ist als Methode gar nicht so originell. So werden auch Rechte regelmäßig aufgefordert, von „Einzelfällen“ in ihren Parteien oder „verbalen Entgleisungen“ Abstand zu nehmen – was sie dann auch mehr oder weniger herzhaft regelmäßig machen (müssen).

Was allerdings derzeit vergleichsweise neu ist, sind die Aufrufe beziehungsweise der vorauseilende Ge- horsam, sich von einer Materie zu distanzieren, die nichts mit einem zu tun hat. So müssen sich neuerdings etwa Parteien und Menschenrechtsorganisationen von den Protesten gegen den Akademikerball und gegen die Identitären distanzieren, obwohl sie weder Organisator*innen noch Teilnehmer*innen der antifaschistischen Demos waren.

Der letzte Schrei

Ein Auszug aus dem aktuellen Programm des Distanzzirkus: Die ÖVP ruft etwa in einer Aussendung dazu auf, „linke Gewalttäter“ zu verurteilen. Prompt antwortet der grüne Bildungssprecher Harald Walser und distanziert sich „von allen Gewaltanwendern“ (außer der Polizei natürlich, die immerhin ein Gewaltmonopol hat). Werner Herbert von den Freiheitlichen Arbeitnehmern formuliert seinen Distanzierungswunsch penibelst vor: „Wir, die Organisatoren der Gegendemonstration von letztem Samstag, distanzieren uns in aller Schärfe von den Ausschreitungen linksextremer, krimineller Gewalttäter“, so der Vorschlag. Und nicht zuletzt appellieren auf Twitter ORF-Journalist*innen an die ÖH, von „Gewaltbereiten“ abzurücken.

Die Distanzierung ist der letzte politische Schrei, wie schon auf die Schnelle durchgeführte Presseagentur- und Mediensuchen zeigen. Zur Erinnerung: Niemand, der jemals in diesen Zusammenhängen zur Distanzierung aufgerufen wurde oder sich distanziert hat, war nachweislich an irgendwelchen „Gewaltexzessen“ oder Scheibeneinschlägereien beteiligt. Niemand. Die Unschuldsvermutung interessiert Medien wie auch die Politik, wenn es um die vermeintlich „kriminelle“ Antifa geht, ja auch gar nicht: Diese ist nur bei namhaften Menschen mit der Bereitschaft und den Möglichkeiten zu klagen, wie Grasser, Strasser und Co., zu beachten.

Distanzierungswut

Die in Österreich als distanzierungswürdig eingestuften Scheibenbrüche werden übrigens wegen den niedrigen Sachschäden und ausbleibender Gewalt in anderen Ländern als „kleine Zwischenfälle“ oder „friedliche Demos“ beschrieben. Die hetzerische Berichterstattung in Österreich und die Diffamierung von friedlichem antifaschistischem Protest als „Gewaltexzess“, „Straßenschlacht“ und „Bürgerkrieg“ heizt die Distanzierungswelle an. Ohne Skandalisierung nämlich keine Distanzierungswut.

Jede und jeder fühlt sich aber nun plötzlich dazu be- und aufgerufen, sich von NOWKR, #blockit und der Ausübung von Demonstrationsrecht generell zu distanzieren – was auch immer das eigentlich in diesem Zusammenhang bedeuten soll. Oftmals erschöpfen sich Kommentare zu wichtigen Themen wie dem Rechtsruck und Antifaschismus lediglich darin, dass Abstand gesucht wird. Ist die brennend aktuelle Materie vielleicht auch einfach zu unbequem? Es ist für politisch Agierende jedenfalls viel einfacher, sich pauschal von irgendwelchen fiktiven Krawallen abzugrenzen, als sich inhaltlich mit den Fragen und den gesellschaftlichen Anliegen auseinanderzusetzen, die antifaschistische Proteste aufwerfen. Eine Distanzierung ist auch eine konsequente Verweigerung, Position zu beziehen.

Zu dieser Nicht-Ortung in der österreichischen Politik gehört meistens auch die fahrlässige und unglaublich fakten- und geschichtsblinde Gleichsetzung von Rechtsextremismus und (in Österreich nicht-existentem) „Linksextremismus“. Dazu kann nur eins gesagt werden: Wer von links und rechts gleich weit entfernt stehen will, befindet sich mitten in der Scheiße.

Jedenfalls führt die hysterische Distanzierungsmode zu einer breiten Entsolidarisierung mit antifaschistischem Protest und seinen Anliegen – eine perfide Strategie der Rechten, auf welche die Medien hereinfallen. Es ist eine enge Zwickmühle, aus der es nur schwer ein Entkommen gibt. Der Populismus ist nämlich eine gut geölte Maschine, die die mediale und politische Rhetorik fest in ihren Zahnrädern mahlt.

Entsolidarisierung

Ein besonders eindrückliches und erschreckendes Beispiel für die Entsolidarisierung war etwa die Kundgebung gegen den Putin-Besuch in Wien am 24. Juni: Die Organisator*innen der Demo gegen die homophobe Politik Russlands hatten die Antifa dezidiert ausgeladen – eine Antifa, die immer auch für die Rechte von Homosexuellen auf die Straße gegangen ist und sich – im Falle der Regenbogenparade etwa – dafür sogar festnehmen ließ.

Sich von Dingen zu distanzieren, die nichts mit einem zu tun haben – etwa zu Bruch gegangenen Scheiben – ist entbehrlich. Distanzieren muss oder kann man sich nur von Dingen, die man selbst angestellt hat oder für die man namentlich bürgt. In Österreich grenzt eine Distanzierung vom Antifaschismus an ein Verbrechen. Immerhin steht der antifaschistische Grundkonsens der Zweiten Republik trotz aller rechten Polemik mahnend im Raum. Trotzdem wird etwa in Interviews und Fernsehdiskussionen ständig zur Distanzierung gedrängt und selbstständig darauf hingestürmt.

Somit entgeht dem Antifaschismus in Österreich die Solidarität und Unterstützung einer breiteren Mitte. Es entsteht eine tiefe Kluft zwischen jenen, die für den Antifaschismus auf die Straße gehen, und jenen, die diesen prinzipiell oder zumindest feigenblättrig unterstützen würden. Diese Entsolidarisierung ermöglicht eine immer stärkere Kriminalisierung von Antifaschismus, eine Diffamierung aller, die ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen, und absurde Polizeigewalt und -strategien. Um diese Entwicklung zu stoppen, müssten Journalist*innen und Medien aufhören, ständig zur dieser gesellschaftlichen Spaltung aufzurufen.

 

Olja Alvir studiert Germanistik und Physik an der Universität Wien.

                               

                       

               

 

Pornos sind niemals Missbrauch

  • 15.05.2014, 10:10

 

Feministische Pornos sind ein Versuch den Porno neu zu definieren. Dabei sollen Frauen ihre sexuellen Einschränkungen ablegen und zu neuen Lustufern aufbrechen. Und am besten die Männer noch mit ins Boot nehmen.

Von der Feuchte des letzten Ficks Zwei formlose Körper winden sich, nähern sich einander an. Sie treffen sich, immer wieder, drücken sich aneinander. Zwei Mal zwei längliche Auswölbungen. Küsse. Zwei hautfarbene Stoffhüllen, Silhouetten menschlicher Körper, die sich aneinander reiben. Ein Arm streichelt den anderen, der unter der Berührung erschaudert. Mit der zunehmenden Heftigkeit ihrer Bewegungen finden sich immer mehr markante Auswölbungen, die ihren glatten Hüllen mehr Form geben. Die Berührungen, die zwischen den beiden stattfinden, sind zutiefst menschlich, doch erst dunkle Stellen im Stoff verraten zwei Menschen unter den Anzügen. Es sind die Stellen, die nass werden mit Speichel, Sperma, Schweiß und Scheidenflüssigkeit. Nach und nach werden mit einer Schere immer mehr Teile des Polyesteranzugs herausgeschnitten und die Haut der DarstellerInnen wird sichtbar.

Skin ist der erste Teil einer Sammlung von insgesamt zwölf erotischen Kurzfilmen, die den Titel Dirty Diaries trägt. Es ist eine DVD voll mit feministischem Porno. Die per Handykamera aufgenommenen Kurzfilme zeigen wie vielfältig Porno ist, dessen Fokus nicht auf der männlichen, sondern auf der weiblichen Sexualität liegt. Die von Mia Engberg produzierte Sammlung Dirty Diaries widerspiegelt sexuelle Ausdrucksweisen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Neben Skin wird ein Sexdate mit einem Mann über die Website Bodycontact ausgemacht; ein illustrierter, masturbierender Mann wird als Dildo verwendet bis er tot ist; eine verhaftete Frau wird von einer Polizistin in BDSM Sex verwickelt; und eine Frau vor Fahrgästen in einer Pariser Ubahnstation gefilzt .

Ausgehend von dem Film Come Together, in dem sich Mia Engberg und andere mit Handykameras beim Masturbieren und anschließendem Orgasmus selbst filmten, wurde die Idee zum Projekt Dirty Diaries geboren. Als Reaktion auf sexistische Kritiken von Männern, die die in Come Together vorkommenden DarstellerInnen als zu hässlich schimpften, wurde ein Manifest formuliert, das den Kurzfilmen in Dirty Diaries zu Grunde liegt. Es ist eine Kritik an gängigen Schönheitsidealen, dem Patriarchat und dem Kapitalismus, der einen selbstbestimmten Umgang mit der weiblichen Sexualität und Lust, auch im Porno, im Wege steht.

 

 

Wissen ist sexy Dass sich am Porno nicht nur Konservative stoßen, zeigt die rege PorNObewegung unter FeministInnen, die besonders in den 70ern diskutiert wurde. Eines der bedeutendsten Gesichter war damals die Pornodarstellerin Linda Lovelace aus dem Porno Deep Throat, einer der ersten Mainstreampornofilme, der in den USA in den Kinos gezeigt wurde. Linda Lovelace, deren bürgerlicher Name Linda Boreman war, klagte nach der Veröffentlichung des Films, mit besonderer Unterstützung der Feminstin Gloria Steinem, die Umstände an, unter denen sie den Film gedreht hatte. Sie sprach von mehrfachen Misshandlungen und minimaler Bezahlung, die angesichts dessen, dass der Film geschätzte 600 Millionen US-Dollar einspielte, unangemessen war.

Für viele FeministInnen wurden die Ausbeutung und sexuelle Gewalt im Porno als Auswirkungen des Patriarchats, zu etwas das es zu bekämpfen und zu verbieten galt. Dass Porno aber per se nicht sexistisch und böse sein muss, ist für die 29-jährige unabhängige Pornoproduzentin Åslög Enochsson Ausgangspunkt ihrer sexpositiven Arbeit. Für sie steht fest, dass man als junges Mädchen mit der eigenen Sexualität und Lustbefriedigung konfrontiert ist. Sie selbst fand zum Porno, als sie anfing mit ihrem Körper zu experimentieren. Ihren ersten Orgasmus hatte sie nicht mit ihrem Freund, sondern nach einem Mainstreamfernsehporno. “Es war sehr lehrreich und die Wahrheit ist, dass unsere Körper auf sexuelle Stimulation reagieren, auch wenn die Bilder und Körper nicht nach unserem Geschmack sind. Sex riecht wie Sex, so oder so.” Niemand ist also gefeit vor Sex. Umso wichtiger wird die Etablierung einer fundierten Wissensbasis über Sexualtität, der eigene Körper und der Umgang mit dem Körper anderer kann nicht unter den Tisch gekehrt werden. Die Sexaktivistin Laura Méritt sieht darin eine wichtige Funktion des reflektierten, feministischen Pornos: “Pornografie, also die Darstellung von Sexualität, ist Teil einer Kultur, die gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegelt. Sexualität ist lernbar und wenn wir eine erotische Kultur etablieren und selbstbestimmte Sexualität fördern wollen, ist sexpostitiver Porno eine Möglichkeit. Das Private ist politisch und Wissen macht sexy.” Laura Méritt will sexpositives Angebot betonen und versucht in ihren sexualpolitischen Aktivitäten, Konditionierungen aufzulösen, die Frauen und Männer in ihrer Sexualität beschränken. Sie ist eine Stimme von vielen, die in der Zensur von erotischem Filmmaterial eine einseitige Ausrichtung der Frauenbewegung fürchtet. Denn auch in Deutschland verbreitete sich unter einer Fraktion von Feminst_innen, unter anderem auch durch die von Alice Schwarzer geführte PorNO Kampagne, die Forderung nach einem generellen Verbot von Porno.

Auch Dirty Dairies sorgte für einige Kontroversen. Vor und nach der Veröffentlichung von Dirty Diaries entzündete sich heftige Kritik an dem Umstand, dass die feministische Pornosammlung finanziell hauptsächlich über das Schwedische Filminstitut und damit staatlich gefördert wurde. Die Leiterin des Instituts Cissi Elwin Frenkel verteidigte die Förderung in einem Brief an die Schwedische Kulturministerin Lena Adelsohn Liljeroth damit, dass Dirty Diaries eine neue Herangehensweise weibliche Sexualität darzustellen aufzeigt.

Dauerständer und Wunscherfüllerin Enochsson wollte ebenfalls in Schweden als unabhängige Pornoproduzentin Fuß fassen, doch sie wurde enttäuscht. “Vier Jahre habe ich versucht in Schweden eine Produktion zum Laufen zu bringen, aber es war fast unmöglich.” Um ihrer Arbeit nachgehen zu können, zog sie nach Berlin und fand dort eine rege Aufnahme ihre Projekte. Seitdem hat sie in eineinhalb Jahren mehr Workshops, Filmdrehs, Vorträge und Ausstellungen gemacht als ihr ganzes Leben lang in Schweden. Enochsson will mit ihren Filmen den Porno für die Frauen erobern. Es ist ein Versuch die weibliche Sexualität, die auf “beschämende Weise falsch interpretiert” und “unzureichend dargestellt” wird, in den Mittelpunkt zu rücken. Mit ihrer Arbeit will sie dazu aufrufen, mehr Selbstbewusstsein gegenüber der eigenen sexuellen Erfahrung zu finden. “Ich möchte, dass mehr Frauen, vor allem heterosexuelle Frauen über ihre Feuchte vom letzten Fick prahlen, als darüber wie glücklich sie ihre männlichen Partner gemacht haben.”

Auch Méritt ist überzeugt, dass im Mainstreamporno Frauen zu passiven Wunscherfüllerinnen und Männer zu “unsensiblen, irrealen Dauerständern” reduziert werden, indem eine feste Struktur der Standard-Sexpraktik, also Fellatio, die Penetration mit dem Penis in alle Öffnungen der Frau, der Höhepunkt und die Ejakulation des Mannes als Abschluss,abgearbeitet werden. “Das lässt wenig Raum für einen positiven Umgang mit dem eigenen und anderen Körper.”

Szenen aus der Dokumentation 9 to 5 - Days in Porn des deutschen Regisseurs Jens Hoffmann belegen Méritts Eindruck mit Bildern. Die Dokumentation begleitet über ein Jahr MainstreampornodarstellerInnen aus San Fernando Valley beruflich und privat. Die Stadt San Fernando Valley ist PornomacherInnen bekannt, denn sie ist der Sitz der US amerikanischen Pornoindustrie. Hier werden jährlich mehr als 10.000 Pornofilme produziert. In 9 to 5 – Days in Porn wird gezeigt, wie Sex zur Arbeit werden kann, bei der sich die ProtagonistInnen ebenfalls mit gerechter Bezahlung und gerechten Arbeitsbedingungen, Anerkennung, Ausnutzung, Machtkämpfen, Gesundheitsschutz und Gewalt am Arbeitsplatz auseinandersetzen müssen. Hinter die Kulissen eines Pornos zu blicken, ist eine seltene Möglichkeit. In9 to 5 – Days in Porn sieht man Pornodarsteller hinter der Kamera nackt in einer Reihe stehen und Hand an ihren Penis legen bis er hart und steif ist, um dann ins Set einsteigen zu können. Sobald sie aus einer Szene raus sind, wird wieder der Platz in der Reihe eingenommen, wie Ständermaschinen mit automatisierten Bewegungen. Was zu sehen ist, ist Leistungsdruck pur.  

Für Méritt sind die Umstände des Mainstreampornos Anlass genug die Pornolandschaft wieder mit einer Vielfalt zu bereichern und auf bereits bestehende Pionierinnen, wie Petra Joy, Maria Beatty oder Catherine Breillats zu verweisen. Sie und Corinna Rückart wollten dem frauenfreundlichen Erotikfilm zu mehr Öffentlichkeit verhelfen und die grundsätzliche Frage klären, was eigentlich feministischer Porno sei. Aus diesen Überlegungen heraus, entstand die Idee zu einem europaweiten, feministischen Pornofilmpreis, der 2009 unter dem Namen PorYes Award gegründet wurde. Er soll eine Umdeutung des Mainstreampornos herbeiführen, hin zu einem feministischen Porno, der Frauen vor und hinter der Kamera in den Fokus nimmt. Dass im Sinne der Vielfalt nicht nur heterosexueller Sex zum Tragen kommt, sondern auch queere Formen von Sexualität dargestellt werden, ist erwünscht. „Vielfalt und sexuelles Bewusstsein, sowie sexuelle Kommunikation sind der Schlüssel zur erotischen Kultur oder zur Integration von Sexualität in die gesellschaftliche Kultur.“ Unter diesen Bedingungen wurde auch die Produzentin von Dirty Diaries Mia Engberg ausgezeichnet.

Mehr Sex Eine kritische Frage bleibt, ob der feministische Porno in eine erotische und sexualisierte Form von Kunst übergeht. Auch wenn diese Szene wie eine erotische Performance wirkt, lässt sich darüber streiten, wie viel der Kurzfilm Skin in Dirty Diaries mit Kunst zu tun . Méritt ist der Meinung, dass Porno nicht strikt getrennt werden sollte vom herkömmlichen Spielfilm und spricht sich für mehr Sexszenen in diesem aus. Dem französischen Film La vie d’Adèle – chapitres 1&2 (Blau ist eine warme Farbe) von Abdellatif Kechiche, der auf Grunde der darin vorkommenden Sexszenen zwischen den Protagonistinnen Adéle und Emma kritisiert wurde, steht Méritt eher positiv gegenüber. “In Blau ist eine warme Farbe werden Klischees, auch lesbische Klischees reproduziert, aber immerhin ist lesbischer Sex zu sehen und auf dem Hintergrund der französischen Debatte um Homosexualität ist das ein großer Schritt, daher ja auch die Auszeichnung in Cannes.” Dass sich die Darstellerinnen aber oft zu Szenen gedrängt und sich beim Drehen der Sexszenen unwohl fühlten, darf nicht unerwähnt bleiben. Die Unklarheit der Anforderungen an die Schauspieler_innen macht es schwierig eine Gleichsetzung von Porno und Spielfilm durchzuführen. Enochsson will ihre Pornoproduktion strikt von Kunst getrennt verstanden sehen. Für sie ist das Produzieren von Pornos eine sehr soziale Angelegenheit. Die Vermutung liegt nahe, dass in einer reflektierten und einvernehmlichen feministischen Pornoproduktion die Gefahr des Missbrauchs sinkt. Das, was Enochsson zum Schluss des Gesprächs mit progress online über Porno sagt, zeigt in der Klarheit ihrer Aussage Wirkung: “Porno ist niemals Missbrauch. Wenn es Missbrauch ist, dann ist es nur Missbrauch.” Es ist zugleich eine Kampfansage und ein Weg zu einem neuen Verständnis von Porno.

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Uni Wien.

 

 

Feministische Pornotips von Åslög Enochsson und Laura Méritt:

Dirty Diaries, Mia Engberg

Heterosexuell: Anna Span

Queer: Courtney Trouble

Punk Rock: Burning Angel

BDSM (Bondage and Discipline, Domination and Submission, Sadism and Masochism): Maria Beatty

Makelovenotporn.tv

Kink.com

 

Wer zahlt, schafft an

  • 02.01.2013, 17:42

Frank Stronach stellt die Medien vor ein Problem, mit dem sie schon bei Jörg Haider überfordert waren. Was tun mit TabubrecherInnen?

Frank Stronach stellt die Medien vor ein Problem, mit dem sie schon bei Jörg Haider überfordert waren. Was tun mit TabubrecherInnen?

Einer, der Milliardenumsätze in der weiten Welt macht, hält sich nicht an Spielregeln. Die ersten Auftritte des aus der Steiermark nach Kanada ausgewanderten Milliardärs Frank Stronach waren ein Vorgeschmack auf das, was im kommenden Wahljahr auf Österreich zukommt. Die Moderatorin der Zeit im Bild 2 traute ihren Augen nicht, als sich der Austro-Kanadier Anfang Juli in einem  Interview systematisch ihren Fragen entzog und sie anblaffte, dass er jetzt einmal reden wolle. Die KollegInnen aus der Branche  gratulierten Lou Lorenz-Dittelbacher über den Kurznachrichtendienst Twitter dennoch zu ihrem Auftritt. Von „geistiger Inkontinenz“ bei ihrem Gegenüber ist da bei Kurier-Redakteur Michael Hufnagl die Rede, Autor und Kabarettist Dieter Chmelar lobt die „grandiose“ Arbeit. Am nächsten Tag richtet Stronach über die Krone aus, er lasse sich von einem „Schulmädchen“ nicht so behandeln. ORF-Kollege Armin Wolf fragt „Geht‘s noch?“, Standard-Blogger Robert Misik nennt den Milliardär einen „senilen Lustgreis“. Die Moderatorin selbst bedankt sich über Facebook bei Frank Stronach: „Ausgerechnet am 38. Geburtstag als Schulmädchen bezeichnet zu werden, ist ein echtes Kompliment.“

Franks mächtige Freundinnen. Mit Frank Stronachs Promi-Fotos könnte man Bücherwände füllen. In einem Werbeclip spielt Stronach eine herzliche Szene mit US-Präsident Bill Clinton ein. Ein Mann von Welt? Zahlreiche österreichische PolitikerInnen fast aller Couleurs standen und stehen auf der Magna-Payroll. Der rote Ex-Kanzler Vranitzky und der langjährige ehemalige  SPÖ-Bundesgeschäftsführer Rudas, Ex-Finanzminister Grasser, der blaue Ex-Minister Reichhold und der steirische Ex-Wirtschaftslandesrat Paierl sind die prominentesten Beispiele. Auch in Kanada hat Stronach ein Naheverhältnis zur Politik gepflegt – das soll ihn, berichtet die Wiener Stadtzeitung Falter, 1988 vor dem Bankrott gerettet haben: Der Finanzminister intervenierte bei jener Bank, bei der Magna Schulden angehäuft hatte und die den Konzernchef aus dem Amt jagen wollte. 1990 kaufte sich die staatliche VOEST Alpine in Stronachs Europageschäft ein und rettete so mit öffentlichen Geldern die vier deutschen  und österreichischen Fabriken. Stronachs Biograph Norbert Mappes-Niediek resümiert: Der Milliardär „agiert am besten im Milieu der größtmöglichen Vermischung von privaten und öffentlichen Interessen“.

Harter österreichischer Boden. Der Mann wollte daheim am alten Kontinent immer ein Großer sein. Anders als in Kanada. Für sein wohl letztes großes Projekt nach dem vergeblichen Polit-Einstieg in Kanada, einer nicht ausgelasteten Pferderennbahn und einer gescheiterten Großinvestition in den österreichischen Fußball, muss sich Stronach mit der zweiten Reihe einer sich in  Auflösung befindlichen Partei zufriedengeben. Sein skurrilster Mitstreiter: Der rote Regional-Bürgermeister aus Kärnten. 2001 bekam Gerhard Köfer den „Big Brother Award“ für seine Idee verliehen, ein Kopfgeld für DrogendealerInnen zu zahlen. Eine Wahlempfehlung für Jörg Haider gab‘s vom Spittaler Ortschef auch. Stronachs Spitzenkandidat für die Kärntner Landtagswahl ist Wunderheiler und soll seine übernatürlichen Fähigkeiten auch an Frank Stronachs Pferden ausprobiert haben. Das Dilemma der Medien. Wie geht man mit einem wie Stronach um? Gekränkter Stolz spricht aus seinen Augen, wenn er in Fernseh-Auftritten
rabiat wird und Beleidigungen austeilt. Anstatt ihn, der als Held empfangen werden sollte, gebührend zu feiern, gräbt die journalistische Szene in seinen Schweizer Steuererklärungen, in den Eurofighter- Gegengeschäften und in den Lücken seiner Biographie.

Das Absurde daran: Es schadet dem Milliardär vorerst nicht. Der Aufwärtstrend in den Wahlumfragen ist trotz viel kritischer  Berichterstattung ungebrochen. Zuletzt kratzte Stronach an der 20-Prozent- Hürde. Das liegt zum einen daran, dass Stronach alsAnti-Establishment-Kandidat antritt. Medien werden von vielen ÖsterreicherInnen als Teil des Establishments wahrgenommen. Dementsprechend prallt die dort formulierte Kritik an Stronach weitgehend an ihm ab – noch mehr: Er kann sich als Opfer darstellenoder als gefährlicher Gegner eines Systems, obwohl er so viele Jahre daran mitgenascht hat. Das Haider‘sche und bereits von Strache kopierte „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“ feiert fröhliche Urständ‘. Regionalmedien sind auffällig vorsichtig im Umgang mit Stronach. Der hat angekündigt, mindestens 25 Millionen Euro in den Wahlkampf investieren zu wollen – in etwa soviel,  wie SPÖ und ÖVP zusammen im letzten Nationalratswahlkampf 2008 ausgegeben haben. Der Spagat zwischen der Kritik an zahlungskräftigen WerbekundInnen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten ist ein täglicher Kampf in den Redaktionen von Eisenstadt bis Bregenz.

Stronach ist ein schwieriger Fall: Ausufernd in seinen Attacken auf Medien und gleichzeitig einer der zahlungskräftigsten Kunden für 2013. Das Dilemma der Redaktionen ist ein Ausblick auf das, was den BürgerInnen dieser Republik droht, wenn sie ihn im  nächsten Jahr zum Kanzlermacher wählen.

Paul Aigner hat Politikwissenschaft und Pädagogik in Innsbruck und Wien studiert und bloggt, unter anderem zum Team Stronach, auf www.querschrift.me.

Lektüre für Lila Pudel

  • 13.07.2012, 18:18

Über memmige Männer, Strickjacken und zeitungsübergreifende Geschlechterklischees: Eine Bestandsaufnahme über „Feminismus“ in deutschen Medien von an.schläge-Redakteurin Lea Susemichel.

Über memmige Männer, Strickjacken und zeitungsübergreifende Geschlechterklischees: Eine Bestandsaufnahme über „Feminismus“ in deutschen Medien von an.schläge-Redakteurin Lea Susemichel.

Im Feuilleton der konservativen FAZ wird erklärt, was mit „hegemonialer Männlichkeit“ gemeint ist. Braucht es da überhaupt noch feministische Medien? Feministische Fragen werden schließlich tatsächlich längst auch in etablierten Medien verhandelt. Das war in der Gründungsphase vieler Zeitschriften der Zweiten Frauenbewegung in den 1970ern noch anders (von den Organen der ersten Frauenbewegung gar nicht zu reden): Wer damals frauenpolitische Forderungen stellen und verbreiten wollte, musste fast notgedrungen etwas Eigenes gründen, anderswo kamen sie einfach nicht vor.
Doch auch wenn sie heute vorkommen: Schaut man sich zum Beispiel jene Diskussion, in deren Rahmen in der FAZ über Geschlechterkonstruktion nachgedacht werden durfte, genauer an, wird sehr schnell klar, dass man dem medialen Main- und Malestream weiterhin tunlichst nicht das Feld in Sachen Feminismus überlassen sollte.

Das deutsche Feuilleton und der Macho. Im konkreten Fall ging es um die sogenannte „Schmerzensmänner“-Debatte. Deren Anfang machte Nina Pauer mit einem Zeit-Artikel dieses Titels über identitätsirritierte junge Männer in Strickjacken, die aufgrund vielfältiger Anforderungen nicht mehr wissen, wie und wer sie sein sollen, und die deshalb eigentlich nicht mehr zu gebrauchen sind. Es folgten Repliken unter anderem in der taz, in der Süddeutschen und im Spiegel, und nur vereinzelt wird darin der naheliegende Einwand formuliert, dass ein verändertes männliches Rollenverständnis doch wohl eigentlich ein Grund zur Freude sei. Und dass die Alternative doch nicht ernsthaft sein könne, sich den Macho zurückzuwünschen.
Doch der allgemeine Tenor der Diskussionsbeiträge ist ein ganz anderer: Solche Typen wollen wir nicht, ist man sich einig, der Feminismus mit seinem Männer-Umerziehungsprogramm habe mal wieder übers Ziel hinausgeschossen, die jungen Frauen würden es nun ja selbst merken und wieder nach starken Schultern schreien. Dieses zeitungsübergreifende Resümee klingt vertraut, denn zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt die Presse immer wieder gerne anlässlich der seltenen Gelegenheiten, bei denen sie sich ausnahmsweise eingehender mit dem Geschlechterverhältnis befasst. Dass sich auch linke Medien wie die Jungle World dieser Einschätzung anschließen und im Rahmen der Debatte ganz besonders hämisch über die memmige „Metrosexualität“ dieser neuen Männer ätzen (Magnus Klaue: „Weicher werden“), macht klar, wie dünn gesät konsequent feministische Positionen im medialen Spektrum weiterhin sind, selbst in Alternativmedien.
Das Jammern über verweichlichte Männer ist dabei so alt wie die Angst vor männlichem Autoritäts- und Machtverlust. Und es wird gegenwärtig auch besonders gerne von aggressiv antifeministischen Männerrechtlern betrieben, die vom neuen Mann als „Lila Pudel“ sprechen. Von „Softies“ spricht man spöttisch schon seit den 1980ern, einer Zeit, in der bereits das Tragen eines Strickpullis für dieses Label vollauf genügte. Wenn heute nun Strickjacken das zeitgemäße Erkennungsmerkmal des scheinbar in seinem Rollenverhalten tief verunsicherten Mannes sind, dann geht das leider ebenso wenig wie damals notwendigerweise mit einer gewandelten Gesinnung ihres Trägers einher. Er hat weder verlässlich Queer Theorie gelesen, noch ist er zwingend Vater in Kinderkarenz oder teilt sich die Hausarbeit fifty-fifty mit seiner Partnerin. Und selbst wenn er überraschenderweise all dies doch erfüllt – er stellt beileibe nicht die männliche Mehrheit.

Eine Vorliebe für Strickmode macht noch keinen Feministen. Und ein Feminist in Strickjacke macht noch keine gleichberechtigte Gesellschaft. Auf solch simple Zusammenhänge hinzuweisen, bleibt nun also nach wie vor feministischen Medien überlassen. Wie sie auch die einzigen sind, die argumentieren, dass eine grundlegende Änderung des Geschlechterverhältnisses letztlich unweigerlich mit einer Infragestellung von Identität einhergehen müsse, und memmige Männer demnach ein höchst begrüßenswertes und positives Phänomen darstellen würden. Anders als alle anderen, freuen wir uns also aufrichtig über echte neue Weicheier.
Feministischer Journalismus muss zudem unermüdlich darauf hinweisen, dass zum Thema Männer weiterhin Wichtigeres festgehalten werden muss: Wie gering ihre Wandlungsbereitschaft im Privaten und wie groß ihr Beharrungsvermögen im Beruflichen ist, beispielsweise. Wie unerträglich schleppend deshalb Veränderungen passieren. Wie verbreitet Sexismus und Frauenverachtung weiterhin sind. Wie viel Männergewalt es immer noch gibt. Und wie himmelschreiend ungerecht die globale Macht- und Ressourcenverteilung ist.
Die Kernaufgabe feministischer Medien besteht also weiterhin schlicht und ergreifend darin, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu fordern. Denn es gibt sie noch nicht.
In diesem Punkt geben uns inzwischen glücklicherweise auch viele Mainstreammedien prinzipiell Recht. Denn ungeachtet aller Kritik an medialen Debatten wie dieser jüngsten Neuauflage der alten Softie-Schelte: Im Unterschied zu den Anfängen emanzipatorischer Medienproduktion hat sich die Situation in den letzten Jahrzehnten selbstverständlich deutlich verändert. Über die Diskriminierung von Frauen berichtet heute jedes Medium zumindest dann und wann, und noch dem kleinsten Lokalblatt sind Vokabeln wie Lohnschere und gläserne Decke inzwischen durchaus geläufig. Doch dass es diese Begriffe selbst in die Politikressorts der konservativen Presse oder der Boulevardmedien geschafft haben – das ist letztlich der Erfolg eines zähen feministischen (Medien-)Aktivismus, dessen langfristiger Einfluss nicht zu unterschätzen ist. Diese Gegenöffentlichkeit beteiligt sich kontinuierlich an gesellschaftlichen Diskursen und nutzt dafür unterschiedlichste mediale Mittel: handkopierte DIY-Zines ebenso wie Fernseh- und Radiosendungen, klassische Magazine oder die, vor allem im letzten Jahrzehnt entstandenen, unzähligen Blogs und Websites.

Die Notwendigkeit feministischer Medien. Und trotz widrigster Bedingungen hat sich diese feministische Medienlandschaft im Laufe der Zeit immer weiter professionalisiert und ausdifferenziert. Die Kritik, die sie formuliert, ist fundamental. Feministischer Journalismus belässt es idealerweise nicht alleine bei der Forderung nach einer Neuverteilung von Macht, Arbeit und Geld zwischen den Geschlechtern. Er stellt gesellschaftliche Grundstrukturen infrage und beschränkt sich bei der Analyse von Ungleichheit auch keineswegs auf das Geschlechterverhältnis.
Was auch die Eingangsfrage erneut unmissverständlich beantwortet: Es braucht diese Medien unbedingt weiterhin. Denn im Unterschied zu einer bloß punktuellen Berichterstattung über gesellschaftspolitische „Frauenthemen“ wird Feminismus darin als ressort- und themenübergreifende Querschnittsmaterie behandelt. Das heißt, ausnahmslos alles wird immer auch aus einer feministischen Perspektive beleuchtet, egal, ob es um die Finanzkrise, die Arabischen Revolutionen, um Occupy oder Lana Del Rey geht. Denn alles ist immer auch von frauenpolitischer Relevanz. Manchmal eben sogar ein neuer Strickmoden-Trend.

Lea Susemichel ist Redakteurin der an.schläge. Das feministische Magazin und Mitherausgeberin von Feministische Medien. Öffentlichkeiten jenseits des Malestream (Helmer Verlag 2008).

Warum wir Medien brauchen

  • 13.07.2012, 18:18

Gerade erleben wir in Deutschland, was das heißt, wenn viele Menschen einen Sachverhalt, der sie alle betrifft, anders wahrnehmen und verstehen als die Fachleute und repräsentativen Entscheidungsgremien.

Ein Auszug der Rede Uwe Kammanns beim Dialogforum „Orientierung“ im ORF-RadioKulturhaus.

Gerade erleben wir in Deutschland, was das heißt, wenn viele Menschen einen Sachverhalt, der sie alle betrifft, anders wahrnehmen und verstehen als die Fachleute und repräsentativen Entscheidungsgremien. Ich spreche vom Widerstand und vom Protest gegen Stuttgart 21, ein Umgestaltungsprojekt der Bahn, das sieben, vielleicht zehn Milliarden Euro kosten soll und sicher für zehn Jahre die Stuttgarter Innenstadt in eine lästige Baustelle verwandelt.
Schon hier, bei einem doch regional begrenzten Projekt mit einer vergleichsweise klassischen Technik und einem überschaubarem Instrumentarium, wird deutlich: Direkt kommunizieren lassen sich Für und Wider nur schwer, viele Sektoren des heftigen Austausches berühren Bauchgefühle, stehen für Annahmen, mutieren zu Glaubensfragen. Solche Vorbehalte, was Verstehen betrifft, gelten natürlich erst recht für andere Groß-Fragen: Von der Atomkraft über den Klimawandel und die Gen- Technologie bis hin zur Konflikt-Aufrüstung der Welt, zu Kriegsschauplätzen und Terrorismus.
Doch gleichwohl, wie komplex die Sachstände auch sein mögen, wie fremd uns Entwicklungen sind, wie weit entfernt sie zu sein scheinen von unserer Lebenspraxis und unseren Handlungsoptionen: Ohne mediale Vermittlung wären wir noch viel stärker nichts als potentielle passive Zuschauer, erduldende Objekte, bloße Zufallsgeneratoren. Das hat sich eindrucksvoll bestätigt während der Finanzkrise, einer Krise, die sicher auch deshalb so über alle Maßen dimensioniert war, weil zuvor die kritische Wachsamkeit und die finanzwirtschaftliche Vorstellungskraft der Medien nicht einmal im Ansatz taugte, um zumindest als Frühwarnsystem zu wirken. Wir sahen: Komplizenschaft statt nüchterne Analyse, opportune Bewunderung von scheinbar erfolgreichen Akteuren statt kritischer Distanz, eingebundene Nähe statt kühler Einordnung und unerschrockener Kommentierung.
Doch gibt es natürlich auch eine andere Seite der Münze. Und auch das gehört zu den Grundmustern der Moderne, ist eingefangen beispielsweise im berühmten Schlussvers eines Gedichtes von Charles Baudelaire. Der Dichter, Zauberer des Medialen, spricht dort mit dem Leser. Und was ist danach ihr gemeinsamer Spiegel, in brüderlicher Erkenntnis?
Nichts Schrecklicheres als der ennui – Langeweile, Überdruss!
Was nichts anderes heißt, als dass der Kern des ewigen Spiels ausgehöhlt wird. Auf einmal schauen immer mehr Menschen nur noch angewidert dem Treiben und den Erscheinungen zu, ekeln sich vor dem inszenatorischen Charakter, auf welcher Ebene auch immer – vom Schaugeschäft bis zur Politik – und wollen die politische wie die mediale Bühne am liebsten abschaffen.

Was sie dabei übersehen: Natürlich gibt es Unterschiede in den medialen Leistungen, sehr große sogar.
Da gibt es die großen Presse-Publikationen, überregional, die investieren in redaktionelle Ressourcen, in Recherche, in Dokumentationsgenauigkeit und in Darstellungsvielfalt. Da gibt es die Fachpresse, da gibt es Bücher, Foren, Symposien. Und da gibt es auch Fernseh- und Radiosendungen, in gar nicht geringer Zahl, welche genaue und weiterführende Anschauung bieten, welche audiovisuelle Bereicherung bieten, ihre Möglichkeiten ausreizend.
Und natürlich ist eine ganz neue Informationswelt entstanden. Das Netz ist in seinem Grundcharakter anarchisch, chaotisch, unübersichtlich. Was auch heißt: Die Genauigkeit und die Seriosität der Informationen (um es neutral zu sagen) ist erst einmal nichts als eine Wunschvorstellung der Nutzer.
Und doch: In diesem Netzprinzip steckt auch eine ungeheure Stärke: Nämlich ohne innere Restriktionen, ohne falsche Rücksichtnahmen, ohne institutionelle Einengungen publizieren zu können. Wer hatte früher Zugang zu Bibliotheken, zu Filmen, zu Akten, zu Verwaltungsdokumenten?
Hier, wie an vielen anderen Punkten tut sich mit dem Netz tatsächlich eine Welt des Info-Mehrwerts auf, auch der Demokratisierung von Wissen, der Förderung des politischen, des wirtschaftlichen Handelns und der eigenen Kultivierung.
Aber zugleich wird etwas anderes produziert und transportiert: Nämlich die rasante Entgrenzung. Denn mit jedem Klick tun sich potentiell Milliarden von Infowelten auf – was dann wieder die Unübersichtlichkeit steigert.
In der Inflationierung verliert die vielfach gerühmte Schwarmintelligenz ganz schnell jegliche Richtung und jeglichen Bezugspunkt: Mit der logischen Folge für die Akteure auf allen Ebenen, ohne Orientierung zu sein, hilflos zu wirken.
Aber einsichtig ist auch: Ein anderes, ein verordnetes Grundmuster kann es nicht geben – denn die sinngebenden Großordnungen sind nicht mehr zu haben. Deshalb müssen wir uns im System einrichten, müssen es herrichten als Erkenntnisinstrument. Genau hierin liegt eine große Chance: Es braucht offen sichtbare Umschlagpunkte, es braucht noch nicht festgelegte Baustellen von neuen Plattformen, um sich neu zu vergewissern, was die Ziele des eigenen medialen Handelns – im Herstellen, im Verbreiten, im Wahrnehmen – ausmacht und bestimmt.

Ohne ein weitergehendes Bild von sich und der Welt (und allen vielfältigen Beziehungen dazwischen) würde unsere eigene menschliche und mitmenschliche Dimensionalität verflachen – zusammengeschrumpft auf den alleinigen Mechanismus von Angebot und Nachfrage, von Stärke und Schwäche. Eine dagegen sich aufbäumende Leistung ist unter Kultivierung zu verstehen, individuell und gesellschaftlich. Und hiervon dürfen die Medien – auch jene, welche sich den schlichten Verkaufsgesetzen verdanken – nicht dispensiert werden.
Dies wiederum setzt voraus, dass es noch eine Vorstellung von Allgemeinheit, von Gesellschaft, von Öffentlichkeit gibt – schlicht: Von den res publica. Und zur Vorstellung muss der politische Wille gehören, diesen öffentlichen Raum zu gestalten und auch gegen einengende und widrige Umstände zu bewahren, wenn es denn notwendig ist.
Christina Weiss, Ex-Medien- und Kulturbeauftragte des Bundes, hatte dies in ihrer schönen Schiller- Rede 2004 klar formuliert. Danach ist eben die Vorstellung der ästhetischen Erziehung keine leere Formel, sondern ein ganz und gar lebendiger Auftrag.
Schiller selbst war dabei nicht blauäugig, sondern hat den unauflöslichen, zirkelhaften Zusammenhang zwischen Idee und Praxis klar benannt, indem er die Frage stellte: „Die theoretische Kultur soll die praktische herbeiführen und die praktische doch die Bedingung der theoretischen sein?“ Und weiterfragte: „Alle Verbesserung im Politischen soll von Veredlung des Charakters ausgehen – aber wie kann sich unter den Einflüssen einer barbarischen Staatsverfassung der Charakter veredeln?“
Die Antwort war für ihn einfach: Die Kunst sollte das ausdrücken und hervorbringen, als Werkzeug mit unsterblichen Mustern, um schöne und lebbare Konventionen vorzuzeigen, welche der Willkür einen zivilisierenden Entwurf des eigenen Ich und der Gesellschaft entgegensetzen.
Wenn man Kunst unter den heutigen Möglichkeiten weiter übersetzt, dann gehören die Medien in allen ihren Ausprägungen unbedingt dazu. Und dann darf ganz einfach gefordert werden, dass die Medienmacher den Zirkel von theoretischer und praktischer Kultur nicht vergessen machen wollen, sondern dass sie auf dessen reflektiertem Vorschein bestehen – und damit auf einem Bild des reflektierenden Menschen.
Es muss gelingen, diesen Prozess dauerhaft und gesellschaftlich gut verankert zu etablieren. Denn er ist notwendige Voraussetzung einer Bürgergesellschaft, die sich nicht vom ökonomischen Egoismus, sondern von der steten Verantwortung für das Allgemeine leiten lässt. Einer Bürgergesellschaft, die auf einem selbst bestimmten und selbst bestimmenden Menschen besteht. Eines Menschen, der immer und notwendigerweise auf Medien angewiesen ist, weil eine Welt ohne Vermittlung schlichtweg nicht denkbar ist.

Uwe Kammann ist Direktor des Adolf-Grimme-Instituts.
Die ungekürzte Rede wird in der Jänner-Ausgabe der ORF-Schrift „Texte“ abgedruckt.

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