Joël Adami

Unseren Bass den könnt ihr haben

  • 13.01.2016, 21:51

Seit fünf Jahren gibt es nicht nur Demos und Blockaden gegen den Akademikerball der FPÖ (ehemals WKR-Ball), sondern auch einen Gegenball. Wir haben mit dem „Ballkommitee” des WTF?!-Ball über politische Partys, Barrierefreiheit und Mitternachtseinlagen gesprochen.

Seit fünf Jahren gibt es nicht nur Demos und Blockaden gegen den Akademikerball der FPÖ (ehemals WKR-Ball), sondern auch einen Gegenball. Wir haben mit dem „Ballkommitee” des WTF?!-Ball über politische Partys, Barrierefreiheit und Mitternachtseinlagen gesprochen.

progress: Am 15.1. findet der WTF-Ball zum 5. Mal statt. Wie kam es vor fünf Jahren zum ersten WTF-Ball?

WTF-Ballkomitee: Vor 5 Jahren gab es von einigen Personen aus dem Umfeld des backlab-Kollektivs und einigen weiteren die Idee, die Proteste gegen den damaligen WKR-Ball um eine Facette zu erweitern und eine Art Gegenball zu machen, der Protest, Demoaufruf und gleichzeitig Party sein sollte. Natürlich wollten wir uns aber nicht in die Reihe der „normalen” Bälle einordnen, sondern das Konzept eines Balles auch gewissermaßen persiflieren. Außerdem war es uns wichtig, mit dem Ball Zeichen gegen jene Dinge zu setzen, die den WKR-Ball und jetzt den Akademikerball auszeichnen, also entschieden gegen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie aufzutreten.
 

Wie ist das Team hinter dem Ball organisiert? Ist es „nur" eine weitere Party vom backlab-Kollektivs oder ist das Organisationsteam größer?
Das „Ballkommitee” hat sich über die Jahre hinweg etwas verändert. Im Kern gibt es immer noch Menschen, die auch bei backlab engagiert sind. Das war aber nicht vorrangig für das Entstehen des Orga-Teams: Es handelte sich vorrangig um das Umfeld der früheren discolab-Party, die sich immer als Event mit politischem Anspruch verstanden hat. Über die Jahre kamen interessierte Freund_innen und Genoss_innen dazu. Das Künstler_innenkollektiv backlab, welches ja ursprünglich auch aus Oberösterreich stammt, veranstaltet heuer zudem erstmals  den WurstvomHund-Ball, der als Gegenball zum Linzer Burschenbundball konzipiert ist und am 6. Februar in Linz stattfindet.


Wie wählt ihr die Künstler_innen aus, die am WTF-Ball auftreten? Was ist euch dabei wichtig?
Wir versuchen einerseits immer einen Mainact zu haben, der_die in das politische Konzept des WTF?!-Balls passt und auch einen gewissen Bekanntheitsgrad mit sich bringt. Wichtig ist auch, dass sich die Kosten der Acts in Grenzen halten und durch solidarische Auftritte der Spendenbetrag größer wird. Wir bemühen uns auch so gut es geht, nicht nur Männer als Mainacts zu haben. Das ist uns in den meisten Jahren geglückt. Auch heuer gibt es in der Fluc Wanne keinen Slot ohne mindestens eine Frau.


Viele Partys sind nicht für alle zugänglich, weil an Barrierefreiheit oder an Awarenessteams nicht gedacht wird. Wie geht ihr mit diesen Themen um?
In den ersten beiden Jahre des WTF?!-Balls mussten wir organisatorisch noch einiges lernen und schafften es noch nicht ausreichend Engagement in Barrierefreiheit und Awareness zu setzen. Seit wir im Fluc sind und auch schon etwas Routine bekommen haben, haben wir uns verstärkt auf diese Themen konzentriert. Das Fluc selbst ist überwiegend barrierefrei. Bezüglich der Awareness haben wir uns dafür entschieden, das Thema auf dem gesamten Ball präsent zu haben. Schon beim Eintritt bekommen alle Besucher_innen einen Flyer und eine kleine „Ballspende”, die sie auf die Thematik aufmerksam machen sollen. Außerdem haben wir über die gesamte Zeit der Veranstaltung an der unteren Kassa eine zusätzliche Person aus dem Orga-Team als Ansprechperson, auf die auch auf dem Flyer verwiesen wird. Die Ansprechperson hat die Aufgabe, im Fall von Übergriffen oder Grenzüberschreitungen gemeinsam mit den Securities vom Fluc einen Rauswurf zu veranlassen, wenn die belästigte Person dies wünscht. Darüber hinaus gibt es an vielen Orten im Fluc Plakate, die noch einmal auf die “no means no”-Policy und die Vorgehensweise hinweisen. Wir freuen uns außerdem sehr, dass das Fluc seit einem Jahr auch abseits des WTF-Balls bemüht ist, eine „no means no”-Policy umzusetzen.


 

Wie sorgt ihr dafür, dass sich am WTF-Ball alle sicher fühlen können?
Die genannten Maßnahmen sind der Beitrag den wir leisten können, um den Ball für alle Besucher_innen so angenehm und sicher wie möglich zu gestalten. Wir sind uns aber bewusst, dass wir es mit unserem Konzept nicht schaffen werden, den Ball als Gesamtes zum einem „Safe-Space” zu machen. Es ist uns wichtig von vornherein eine eindeutige Botschaft auszusenden, dass Übergriffe, Belästigung und Gewalt auf unserem Ball nichts verloren haben. Wir hoffen und vertrauen darauf, dass diese Botschaft auch bei den Besucher_innen ankommt und dass es, falls es doch zu Problemen kommen sollte, diese schnell an uns herangetragen werden, damit wir reagieren können.

 

Der Reinerlös des Balls geht heuer an die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung Wien und die QueerBase. Warum?
Diese beiden Organisationen unterstützen jene Menschen, die unter der Hetze der Besucher_innen des Akademikerballs am meisten zu leiden haben. Wir kennen und schätzen die Arbeit beider Organisationen und es ist uns ein Anliegen, sie mit dem Reinerlös des Balls zu unterstützen. Wir spenden generell vorwiegend an Organisationen, die kritsche und/oder emanzipatorische Unterstützung für Geflüchtete und Flüchtende anbieten. Die meisten davon sind auf private Spenden angewiesen.

 

Von der Party zur Politik: Seit letztem Jahr gibt es neben dem Akademikerball der FPÖ auch den „Wiener Ball der Wissenschaften". Letzterer ist eine Reaktion auf den Akademikerball. Seht ihr darin einen weiteren Gegenball?
Der “Wiener Ball der Wissenschaften” ist eher nicht als Gegenball einzuschätzen. Viel mehr ist er eine Reaktion, in der es darum geht sich den Ball als bürgerliches Konzept nicht wegnehmen zu lassen und auch das Wort „Akademiker” im Kontext eines Balles nicht der FPÖ zu überlassen. Gleichzeitig ist es vorstellbar, dass es Besucher_innen gibt, die sich auf beiden Bällen wohl fühlen. Immerhin reproduziert der Wissenschaftsball auch klassische Geschlechterrollen und ein gewisses Elitendenken. Für den WTF?!-Ball können wir ausschließen, dass sich FPÖler_innen und Burschenschafter wohlfühlen.Dafür sollen sich bei uns alle wohl fühlen, die sich nicht in irgendwelche Rollen oder Konzepte zwängen lassen.

 

Der Akademikerball wird, so heißt es zumindest, in der rechten Szene weniger wichtig. Das Bündnis NOWKR hat sich – unter anderem deswegen – 2015 aufgelöst. Könnt ihr euch vorstellen, dass sich der Fokus des WTF-Balls verschiebt?
Sollten sich die Proteste gegen den Akademikerball gänzlich auflösen, würde der WTF?!-Ball in seiner derzeitigen Form nicht mehr funktionieren. Der WTF?!-Ball soll eben nicht nur eine Party sein, sondern auch Protest und Mobilisierung zu Protesten, weswegen wir auch immer den Organisationen, die zu Demonstrationen und Blockaden gegen den Akademikerball aufrufen, anbieten, mit einem Infostand am Ball vertreten zu sein. Unserer Einschätzung nach ist es nach wie vor notwendig, gegen diesen Ball zu protestieren und so lange es größere organisierte Proteste gibt, macht auch der WTF?-Ball Sinn.

 

Wie viel kann eine Party wie der WTF-Ball in der Szene, der Gesellschaft verändern und bewirken? Was sind eure Erfahrungen aus den letzten fünf Jahren?
Indem wir immer wieder Mainacts und sonstige Künstler_innen haben, die auch abseits des politischen Kontextes Menschen anziehen, denken wir, dass wir es sehr gut schaffen, mit dem WTF?!-Ball auch Menschen zu mobilisieren, die ansonsten keinen direkten Zugang zu den Protesten gegen den Akademikerball haben. Natürlich ist es für uns schwer nachvollziehbar, wie viele Menschen wir tatsächlich mobilisieren, aber eine gewisse Medienöffentlichkeit und die Verbreitung über Social Media tragen gewiss einen Teil zur Wirksamkeit bei. Auch die Wahl unserer Locations und Acts soll vor allem Menschen abseits der Politszene und junge Leute ansprechen, sich als Teil einer Gegenöffentlichkeit zu verstehen und ein niederschwelliger Einstieg ist nun einmal das gemeinsame Feiern.

 

Für alle, die noch nie auf einem Ball waren: WTF ist eine Mitternachtseinlage und warum lässt ihr da eine Partei auftreten?
Unsere Mitternachtseinlage ist Teil der Persiflage von herkömmlichen Bällen und immer irgendeine künstlerische Darbietung, die auf normalen Bällen wohl für Kopfschütteln sorgen würde. Am WTF?!-Ball funktioniert sie jedoch gut und passt auch in unser Konzept. Wir verbinden die Mitternachtseinlage immer mit einem expliziten Aufruf, sich an den Protesten zu beteiligen. Der Cut zwischen den Acts gibt uns die Möglichkeit dazu. Obwohl wir uns als WTF?!-Ball als politische Veranstaltung verstehen, haben wir uns von Parteipolitik bisher distanziert. Dass sich das heuer ändert, liegt wohl an der performativen Kompetenz der Perversen Partei Österreichs (PPÖ).

Links:
Webseite
Facebookevent
Gewinnspiel der ÖH-Bundesvertretung für Eintrittskarten zum Ball.
 

Das Interview führte Joël Adami.

Beam us up

  • 24.06.2015, 20:47

Science-Fiction ist mehr als nur Unterhaltung. Sie regt zum Träumen an: über medizinische Scanner, Weltraumkanonen und utopische Gesellschaften.

Science-Fiction ist mehr als nur Unterhaltung. Sie regt zum Träumen an: über medizinische Scanner, Weltraumkanonen und utopische Gesellschaften.

„Er ist tot, Jim.“ Dieser Satz wurde wegen des hohen Verschleißes an Statist_innen zum Markenzeichen des grantigen Schiffsarztes McCoy aus der originalen Star Trek-Serie der 1960er. Doch bevor „Bones“ seine Diagnose stellen konnte, bediente er sich eines speziellen Gerätes, dem Tricorder: ein medizinischer Scanner, der dem Weltraumarzt ohne Berührung alle möglichen Daten über seine Patient_innen verriet. Bis das Realität wird, müssen wir allerdings nicht mehr allzu lange warten: Vor kurzem präsentierte die Firma Scanadu ihren „Scout“, der wie das Vorbild aus Star Trek funktioniert und Daten wie Puls, Körpertemperatur, Blutdruck, Atemfrequenz und den Sauerstoffgehalt im Blut messen kann. „Um 1800 wurde das Thermometer erfunden. Das war bisher die letzte große Revolution im Bereich medizinischer Diagnose, die zu Hause durchgeführt werden kann“, erklärt Walter de Brouwer, der Gründer von Scanadu, das passenderweise ein Spin-off der US-Raumfahrtbehörde NASA ist.

TRICORDER™. Allerdings bauen noch neun andere Teams im Rahmen eines Wettbewerbs des Prozessorherstellers Qualcomm an medizinischen Tricordern. Der hat dafür nicht nur zehn Millionen US-Dollar Preisgeld bereitgestellt, sondern auch Lizenzgebühren für die Verwendung des Begriffs „Tricorder" gezahlt. Das zeigt nicht nur, dass Erfinder innen und Designer_innen sich bei ihrer Arbeit von Science-Fiction inspirieren lassen, sondern  auch,  dass  Firmen  bereit  sind, Geld dafür zu zahlen, um ihre Geräte nach ihrer Inspiration benennen zu dürfen. Und auch wenn die Mondlandung letztendlich mit einer Rakete und nicht statt wie von Jules Verne beschrieben mit einer Kanone durchgeführt wurde: Das heißt nicht, dass niemand es versucht hätte. Das US-Militär versuchte in den 1960er Jahren mit dem Projekt HARP eine von Verne inspirierte Weltraumkanone zu bauen.

In seinem Essay „Design Fiction“ erklärt der Künstler Julian Bleecker, warum sich Science-Fiction und De- sign so nahe sind: „Bei Science-Fiction erschaffen Autor innen Prototypen anderer Welten, anderer Erfahrungen, anderer Kontexte für Leben. Designte Objekte können sehr ähnlich verstanden werden.“ Wer einen Prototyp erschaffen will, schaut sich also erst einmal die fiktiven Prototypen von Sci-Fi-Autor_innen an. Die Geschichte kann übrigens auch anders verlaufen: Syd Mead, der als Konzeptkünstler für Filme wie Blade Runner, Alien oder Tron gearbeitet  hat, verdiente sein Brot vor seiner Karriere in Hollywood als Designer für den Automobilhersteller Ford.

Illustration: Veronika Lambertucci

HOSENTASCHENAVANTGARDE. Was ist überhaupt  Science-Fiction? So einfach ist die Frage gar nicht zu beantworten, gibt es doch einige Möglichkeiten der Definition. Beispielsweise sagt der Autor Basil Davenport: „Science-Fiction ist Fiktion, die auf der imaginierten Entwicklung der Wissenschaft oder auf der Extrapolation von gesellschaftlichen Tendenzen beruht.“ Einer der bekanntesten Science- Fiction-Schriftsteller seiner Zeit, der Biochemiker Isaac Asimov, meinte dagegen: „Science-Fiction kann als Zweig der Literatur definiert werden, der sich mit der Reaktion von menschlichen Wesen auf Veränderungen in Wissenschaft und Technik beschäftigt." Der Sci-Fi-Begriff setzt sich aus den englischen Wörtern science und fiction zusammen. Sci-Fi hat sich erst mit der stärkeren Entwicklung eines zunehmenden Interesses an Wissenschaft und Technik in der Literatur etabliert. Als Begründerin des Genres gilt die Schriftstellerin Mary Shelley, die mit ihrem Roman „Frankenstein“, den sie während eines sehr verregneten Sommerurlaubs schrieb, große Erfolge erzielte. Weitere frühe Science-Fiction Werke wurden von Jules Verne („Reise zum Mittelpunkt der Erde“) und H. G. Welles („Die Zeitmaschine“) verfasst, die sich mit  wissenschaftlich-romantischen und technisch-gesellschaftskritischen Themen befassen. Heute wirken viele dieser Geschichten, gerade jene von Jules Verne, antiquiert, weil die großen technischen Errungenschaften, von denen sie erzählen, in vielen Fällen zum alten Eisen gehören: Ein U-Boot oder eine Raumkapsel mögen zwar immer noch imposante technische Gefährte sein, sie versprühen aber nicht mehr den avantgardistischen Charme, den sie im 19. Jahrhundert hatten. Erfindungen wie Videokonferenzen oder Nachrichtensendungen passen heute in die Hosentasche.

In den 1920er Jahren wurde Sci-Fi immer populärer, die Geschichten wurden in sogenannten Pulp-Fiction-Heftchen wie den berühmten „Amazing Stories“ verkauft. Ende der 1930er begann dann das sogenannte „Golden Age“, in dem besonders durch Geschichten von Autor_innen wie John W. Campbell, Clare Winger Harris und Catherine Lucille Moore immer mehr Leser_innen in den Bann futuristischer Welten gezogen  wurden. Der Fokus der Erzählungen entwickelte sich weg von der Technik hin zu den Benutzer_innen und ihrem Umgang mit der Technik. So schrieb zum Beispiel Karel Capek über das Problem von Robotern mit Selbstbewusstsein. In der Nachkriegszeit wuchs insbesondere in den USA die Popularität der Sci-Fi: In Filmen wie „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ von Robert Wise konnten tabuisierte Themen wie die Angst vor einem Atomkrieg verarbeitet werden. In der Sowjetunion konnte Systemkritik in die ferne Zukunft geschoben und so an den Augen der Zensor_innen vorbeigebeamt werden.

THE KISS. Bei Star Trek waren Atomkriege und Systemkritik kein Thema: In dieser Zukunft leben und arbeiten Menschen aller Ethnien ohne Probleme zusammen. Besonders die Rolle von Nichelle Nichols, die die Kommunikationsoffizierin Uhura spielte, war für die 1960er Jahre bahnbrechend: Sie war die erste schwarze Frau in einer Führungsposition im US-Fernsehen. Ein Kuss zwischen ihr und Captain Kirk war der erste Kuss zwischen einem weißen Mann und einer schwarzen Frau der Fernsehgeschichte. Mit realen Folgen: Sowohl die Schauspielerin Whoopi Goldberg als auch die Physikerin und Astronautin Mae Jemison nannten Uhura als Inspiration für ihre Karrieren. Utopien und Dystopien gibt es aber schon wesentlich länger. Unter den Begriffen wird immer eine alternative Gesellschaftsordnung verstanden, in einem Werk wird also eine andere Gesellschaft visualisiert. Sowohl Utopien als auch Dystopien haben einen gesellschaftskritischen Charakter und hinterfragen bestehende Ordnungen. Besonders in Science-Fiction-Filmen unterwirft sich die Gesellschaft oft entweder einer neuen Klassenstruktur oder überwindet diese komplett. Ein Beispiel für ersteres ist die Zweiklassengesellschaft im Filmklassiker „Metropolis“. 

U- ODER DYSTOPIE? Mit einer gesellschaftskritischen Perspektive soll Sci-Fi die derzeitigen politischen Missstände aufdecken und die Leser_innen zu neuen Ansätzen anregen. Eines der frühesten Werke dieser Art ist der französische Roman „Das Jahr 2440. Ein Traum aller Träume“ von Louis-Sébastien Mercier. Er beschrieb 1771 eine Zukunft ohne Monarchie, in der alle Bürger_innen von Paris Intellektuelle sind, die sich freiwillig einer moralischen Zensur unterwerfen: Was als Utopie gedacht war, könnte heute auch als Dystopie gelesen werden.

Illustration: Veronika Lambertucci

Das mag aber auch daran liegen, dass wir heute  oft  mit  dieser Spielart zu tun haben: In der Science-Fiction des späten 20. Jahrhunderts wurden dys- topische Erzählungen immer wichtiger. Technische Errungenschaften und Entwicklungen werden nicht mehr als Standarten einer besseren Zukunft gesehen, sondern im Gegenteil als Bedrohung.  Beispiele  sind  Serien wie „Fringe", in denen neue Erfindungen die Menschheit bedrohen. Themen wie Krisen des Kapitalismus, totalitäre Gewaltherrschaft, Furcht vor atomaren Massenvernichtungswaffen und anderen Katastrophen, die zu neuen Kriegen führen könnten, sind Szenarien dystopischer Erzählungen. Postapokalyptische Weltuntergangsgeschichten, die unter dem Oberbegriff „Dark Future“ bekannt sind, spiegeln heute wohl oft die Angst vor der drohenden Klimakatastrophe wider, ohne diese je- doch unbedingt explizit zu benennen. Der damals „teuerste Film aller  Zeiten“, „Waterworld“, ist ein drastisches Exempel für diese Spielart der Sci-Fi. Vielleicht prägen solche Filme ja eine neue Generation von Umweltschützer_ innen. Sci-Fi diente aber auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder dazu, die eigenen Vorstellungen einer besseren Welt in die Zukunft zu projizieren oder Gedankenspiele ausführen zu können. Die Autorin Ursula Le Guin beschrieb 1974 in „Die Enteigneten“ eine Utopie, in der Anarchist_innen vor autoritären Systemen auf den Nachbar innenplaneten geflohen sind. Das Buch war eins der wenigen westlichen Werke, das in der DDR erscheinen durfte, trotz Kritik am autoritären Kommunismus. In „Die linke Hand der Dunkelheit“ beschreibt Le Guin einen Planeten, dessen Bewohner_innen androgyn sind – und die Reaktion eines menschlichen  Besuchers.

SCHÖNER WOHNEN IM 26. JHD. Leben Menschen in utopischen Welten mit Raumschiffen und Tricordern besser? In ihrer Diplomarbeit „Die Technisierung des menschlichen Leibes“ schreibt die Medienwissenschaftlerin Andrea Wöger, dass der Tenor von Sci-Fi-Filmen anfangs eher ein optimistischer Fortschrittsglaube war, der sich jedoch zu einer Skepsis entwickelt hat. Heute kann jede Entfaltung, jeder Fortschritt außer Kontrolle geraten und düstere Szenarien wie etwa eine Herrschaft der Maschinen, wie wir sie aus „Matrix“ und „Terminator“ kennen, ins Rollen bringen.

Düstere Szenarien tun sich jedoch auch auf, wenn man einen genaueren Blick in die Sci-Fi-Szene wirft: Seit Jahren versuchen konservative Autor_innen und ihre Fans, die Hugo-Awards, die wichtigsten Literatur- preise der Szene, mit Nominierungsvorschlägen zu unterwandern. Den sogenannten „Sad Puppies“ zufolge würden die Preise nämlich immer nur PoC und Frauen gewinnen, eben weil sie PoC und Frauen sind; nicht etwa, weil ihre Werke literarisch anspruchs- voll und die von ihnen entworfenen Szenarien  inspirierend seien.  Zu dieser „Social Justice"-Mafia gehören im Weltbild der „Sad Puppies“ übrigens auch Filme wie „Der Hobbit“, der 2013 einen Hugo-Award erhielt. Heuer haben es besonders viele der „Sad Puppies“-Vorschläge in die Nominierungen der Hugo-Awards geschafft.

Spannend, dass bei einer Gruppe, die vorgibt, rein auf die literarische Qualität zu achten, vor allem einer der „Sad Puppies“-Initiatoren nominiert wird: John C. Wright, der 2013 zum ersten Mal wegen seiner homofeindlichen Ansichten auffiel. Letztes Jahr hat den Hugo für den besten Roman Ann Leckie mit „Ancillary Justice“ gewonnen: Sie beschreibt eine Gesellschaft, in der Geschlecht keine Rolle spielt und alle im generischen Femininum miteinander reden. Heuer ist – trotz „Sad Puppies“-Lobbyarbeit, ihr Nachfolgeroman „Ancillary Sword“ nominiert.

Vielleicht färbt Sci-Fi ja doch nicht nur auf Produktdesigner_innen ab.


Ralph Chan studiert Soziologie an der Universität Wien.
Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Politik, die wirkt?

  • 11.05.2015, 08:36

Im ÖH-Wahlkampf wird viel versprochen und gefordert – doch nur wenige Forderungen wird die ÖH selbst umsetzen können. Wie viel Einfluss hat die ÖH und wo sind ihre Grenzen?

Im ÖH-Wahlkampf wird viel versprochen und gefordert – doch nur wenige Forderungen wird die ÖH selbst umsetzen können. Wie viel Einfluss hat die ÖH und wo sind ihre Grenzen?

Leistbares Wohnen, günstige Mobilitätsangebote, mehr Freiräume für Studierende – die Forderungen der Fraktionen, die zur ÖH-Wahl antreten, beschränken sich nicht nur auf das unmittelbare Umfeld der Hochschule, sondern beziehen sich oft gleich auf das ganze Studierendenleben. Die Österreichische Hochschüler_ innenschaft (ÖH) hat ein allgemeinpolitisches Mandat, was grundsätzlich auch nicht-bildungspolitische Forderungen absolut legitim macht. Das ist in anderen Ländern oft anders, so zum Beispiel in Deutschland, wo es Studierendenvertretungen teilweise sogar gesetzlich verboten ist, solche Interessen zu artikulieren. Die ÖH wird dennoch auch nach dem 21. Mai nicht im Alleingang Mieten senken oder billige Öffis anbieten können.

ÖH GEGEN TUBERKULOSE. Als die ÖH 1945 gegründet wurde, waren Wohnungsnot und die soziale und gesundheitliche Lage von Studierenden die brennendsten Themen. So wurden in den 1940ern und 1950ern ein Heim gebaut und eine Tuberkulose- Vorsorge eingerichtet, die später zu einer allgemeinen Krankenversicherung ausgebaut wurde. Obwohl die ÖH damals unter konservativer Führung war, organisierte sie Demonstrationen, zum Beispiel gegen Erhöhungen der Studien- und Prüfungsgebühren. „Einmal sollten ja die Gebühren empfindlich erhöht werden – und zwar um 30 Prozent. Wir sind dann rebellisch geworden und haben 1952 einen Sitzstreik am Ring organisiert. Mit Erfolg: Die Gebühren wurden nur geringfügig erhöht. Wenn es uns zu dumm geworden ist, haben wir immer gesagt, dann gehen wir wieder auf den Ring“, erzählte Günther Wiesinger, von 1952 bis 1954 Vorsitzender des Zentralausschusses (so hieß damals die ÖH-Bundesvertretung), in der Broschüre zum 60. Geburtstag der Österreichischen Hochschüler_innenschaft.

In den 1960ern führten gesellschaftspolitische Debatten über Professor_innen mit Nazi-Vergangenheit zu heftigen Protesten und zu einer Demonstration, die ein Todesopfer forderte: Ernst Kirchweger wurde von einem rechtsextremen Burschenschaftler erschlagen. Die ÖH erwies sich in der Debatte um die nicht sehr gründlich durchgeführte Entnazifizierung als Vorreiterin. In den 1970ern begleitete sie bedeutende Reformen wie die Einführung des Wissenschaftsministeriums, in den 1980ern wurde der Protest gegen das Wasserkraftwerk in der Hainburger Au von der ÖH getragen, obwohl sie bis in die Mitte der 1990er Jahre konservativ geführt wurde.

ERFOLGE IN DER DUNKELKAMMER. Und wie sieht es heute aus? „Ein riesengroßer Erfolg waren sicherlich das neue Hochschüler_innenschaftsgesetz und die entsprechende Wahlordnung“, erklärt Viktoria Spielmann vom Vorsitzteam der ÖH-Bundesvertretung. Nun sind auch Studierenden an Privatunis Mitglied der ÖH und können aktives und passives Wahlrecht ausüben, die Direktwahl der Bundesvertretung wurde wieder eingeführt – alles Bestimmungen, die die ÖH direkt mit dem zuständigen Wissenschaftsministerium ausgehandelt hat. Es ist aber bei weitem nicht das einzige Gesetz, bei dem die ÖH ihre Finger mit im Spiel hatte: „Auch das Studienförderungsgesetz und die letzte Novelle des Universitätsgesetzes haben wir mitverhandelt“, erläutert Spielmann: „Außerdem fungieren wir als Expert_innen in den Arbeitsgruppen der Hochschulkonferenz und beeinflussen so Bestimmungen, die in Gesetze und Satzungen der Universitäten einfließen.“ Ein großer Teil der bildungspolitischen Arbeit passiert also in Verhandlungen und Arbeitsgruppen, ohne dass davon viel an die Öffentlichkeit gelangt.

„Wenn die ÖH für das Prinzip eines offenen Hochschulzugangs einsteht, dann gibt es kein Kasterl mit ,erreicht‘, das man abhaken kann, sondern dann ist das ein kontinuierlicher Prozess“, sagt Martin Schott, der von 2011 bis 2013 im Vorsitzteam der Bundes- vertretung aktiv war und zuvor an der Spitze der ÖH BOKU saß. Er denkt, dass die ÖH viel erreichen kann, vor allem in einem spezifischen Spektrum: „Die Stärke der ÖH liegt im Hochschulbereich, da kann sie auf allen Ebenen etwas erreichen, von der Bundes- bis hin zu den Studienvertretungen. Auch die Änderung eines Studienplans ist ein politischer Akt, der große Erleichterungen für Studierende mit sich bringen kann.“ Die unterste Ebene der ÖH, die Studienvertretungen, die in einigen Studiengängen selbstverwaltet als Fachschaften oder Basisgruppen organisiert sind, wirkt im unmittelbaren Umfeld von Studierenden. Ob studentische Interessen bei der Erstellung von Studienplänen, der Habilitation von Lehrenden und der Berufung von Professor_innen berücksichtigt werden, hängt davon ab, wie gut die Studienvertretungen arbeiten und wie sehr sie es schaffen, Lehrende von ihren Ideen zu überzeugen. Allerdings kann auch die beste Studienvertretung nicht mehr Seminarplätze erstreiten, wenn dafür beim Institut kein Geld vorhanden ist.

PROGRESSIVE GEGENSPIELERIN. „Ich hatte das Gefühl, auf der Ebene der Universitätsvertretung war es nicht unbedingt leichter, Dinge umzusetzen, aber es ging schneller. Da der Wirkungsbereich einer Uni kleiner ist, ist der Handlungsspielraum größer. Bis eine Idee der Bundesvertretung in ein Gesetz einfließen kann, dauert es länger und die politische Großwetterlage spielt immer eine Rolle”, so Schott über die Unterschiede zwischen Universitäts- und Bundesvertretung.

Kann die ÖH Mietsenkungen und billige Öffis durchsetzen? „Die Grenzen von dem, was wir erreichen können, sind da, wo die Regierung nicht will“, sagt Viktoria Spielmann: „Ich sehe die ÖH als progressive Gegenspielerin zur Regierung. Natürlich wird nicht immer alles so laufen, wie wir es uns wünschen, aber wir können den Fokus auf gewisse Themen legen und den Diskurs so mitbestimmen.“

Die ÖH wird – um ein Beispiel zu nennen, das sich in den Wahlprogrammen beinahe aller Fraktionen wiederfindet – die Hochschulen nicht ausfinanzieren können, aber sie wird den Diskurs darüber, wie Hochschulbildung finanziert werden soll, maßgeblich mitgestalten können. Bei stärkerer Wahlbeteiligung sogar mit mehr Nachdruck. Na, da lohnt sich der Weg ins Wahllokal doch.

 

Joël Adami studiert Umwelt­ und Bioressourcenmanage­ ment an der Universität für Bodenkultur Wien. 

 

Verteidigung gegen die dunklen Künste

  • 11.05.2015, 08:00

Was denkt eigentlich der zuständige Minister über die ÖH-Wahl? Wir haben bei Reinhold „Django“ Mitterlehner nachgefragt, was er von Koalitionspoker, Direktwahl und mehr Mitspracherechten hält.

Was denkt eigentlich der zuständige Minister über die ÖH-Wahl? Wir haben bei Reinhold „Django“ Mitterlehner nachgefragt, was er von Koalitionspoker, Direktwahl und mehr Mitspracherechten hält.

progress: Haben Sie ein Lieblingsplakat oder ein Lieblingsanliegen bei der ÖH-Wahl?
Reinhold Mitterlehner: Vielleicht nicht das Lieblingsplakat, aber diskutieren könnte man über ein rosarotes, wo draufsteht: „zu viele Ideen für ein Plakat“. Das erinnert mich ein wenig an die allgemeine Politik. Mein Lieblingsanliegen bei der ÖH-Wahl bezieht sich auf die Beteiligung. Ich hoffe, dass möglichst Viele von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen und dass wir mit dem neuen Wahlrecht auch wieder attraktive direkt-demokratische Mitgestaltungsmöglichkeiten haben.

Sind Sie vor der ÖH-Wahl gespannt, welche Koalition sich bildet? Oder ist im Ministerium sowieso business as usual, egal was die Studis sich da zusammenreimen?
Ja und Nein. Zu viel öffentliche Auseinandersetzung und Streiterei würde auch dem Ansehen der Körperschaft nicht gut tun. Ansonsten nehmen wir die jeweilige konkrete Zusammensetzung als Gegebenheit. Die letzte Konstellation hat schon gezeigt, dass es trotz vorheriger Vorbehalte und unterschiedlicher Auffassungen eine konstruktive sachliche Zusammenarbeit geben kann.

Sie sind in der ÖVP. Die ÖVP-Vorfeldorganisation Aktionsgemeinschaft „gewinnt“ meist die ÖH-Wahlen, ist aber seit 1995 nicht mehr in der Exekutive gewesen. Ist das demokratiepolitisch bedenklich?
Erstens einmal ist die Aktionsgemeinschaft keine Vorfeldorganisation, steht uns aber inhaltlich in vielen Punkten erfreulicherweise sehr nahe. Ich wünsche der AG viel Erfolg. Wenn der Erfolg da ist, dann sollte man auch an der Umsetzung beteiligt sein. Das ist durchaus ein demokratiepolitischer Anspruch, wenn sich verhandlungstechnisch etwas anderes ergibt, dann muss man aber auch das respektieren.

Auch heuer im Wahlkampf gibt es die Forderung, die ÖH solle weniger (Gesellschafts-)Politik betreiben und mehr Service anbieten. Soll die ÖH eine Beratungsstelle werden?
Die ÖH ist beides. Die gesetzliche Interessensvertretung aller Studierenden, aber vor Ort auch direkter Ansprechpartner, was Service betrifft. Wichtig wird sein, eine entsprechende Balance zu finden. Wer da die richtige Schwerpunktsetzung anbietet, das müssen die Studierenden dann selbst entscheiden.

Struktur, Aufgaben und Bedeutung der ÖH scheinen bei den Wähler_innen und vielleicht auch Politiker_innen noch nicht so wirklich angekommen zu sein. Seltsam, bei einer Organisation, die es länger gibt als ein freies Österreich. Wie kann das sein?
Ein Problem war sicher die unübersichtliche Struktur der Bundesvertretung, mit 100 Mitgliedern. Daher haben wir jetzt die Größe der Bundesvertretung auf 55 Personen verkleinert, dafür werden alle Mitglieder direkt durch die Studierenden gewählt. Je nach Hochschule wird die Qualität der ÖH von den Studierenden unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Grundsätzlich sollte man gerade auf Instituts- und Universitätsebene von der Beratung und den Serviceeinrichtungen der ÖH profitieren. Wenn diese Leistungen zu wenig bemerkt werden, sind die örtlichen Vertretungen gefordert, entweder aktiver zu werden oder ihre Leistungen besser sichtbar zu machen.

Die ÖH wird alle zwei Jahre neu gewählt – im Endeffekt bedeutet das, dass sie vielleicht ein Jahr effektiv arbeiten kann. Ist die Amtsperiode zu kurz?
Ich glaube, man kann damit leben. Man kann ja Erfahrungen an die nächste Vertretung weitergeben und auch die zur Verfügung stehende Zeit intensiv nutzen. Thema war das jedenfalls keines bei den letzten Verhandlungen um das neue Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz (HSG, Anm.). Durch die stärkere Mobilität der Studierenden, aber auch das Bologna-System halte ich die aktuelle Amtszeit für durchaus angemessen.

Die Durchschnittsstudienzeiten sind ja wesentlich länger als drei Jahre. Insofern könnte man die Amtsperiode doch verlängern, ohne Leute um ihre Partizipationsmöglichkeiten zu bringen.

Wie dem auch sei: Es treten heuer auch wieder Fraktionen zur Wahl an, deren Forderungen praktisch bedeuten würden, dass die ÖH sich selbst abschafft, zum Beispiel wenn sogenannte „Zwangsbeiträge“ beseitigt würden. Ist das nicht eigentümlich, wenn man zur Wahl einer Vertretung antritt, die man abschaffen möchte?
Grundsätzlich sind bei einer Wahl alle Forderungen erlaubt, sofern sie sich auf dem Boden des Rechtsstaates befinden. Das ist auch im aktuellen Fall gegeben. Es liegt natürlich an den Studierenden, eine Gruppierung zu wählen, die eine möglichst realistische und die Institution selbst stärkende Politik anbietet. Wenn jemand eine andere Meinung hat, ist natürlich auch die zu akzeptieren.

Momentan arbeiten in der ÖH Engagierte ehrenamtlich und bekommen nur eine relativ geringe Aufwandsentschädigung. Das führt dazu, dass alle unterschiedlich viel Zeit in ihre Aufgaben investieren. Manche machen sehr wenig, andere beuten sich selbst bis zum Burnout aus. Sollten demokratisch gewählte Vertreter_innen in herkömmlichen Arbeitsverhältnissen beschäftigt werden?
Herkömmliche, weisungsabhängige Arbeitsverhältnisse würden die unabhängige Perspektive der Studierendenvertretung trüben. Das derzeitige System der Abgeltung der mit dem Mandat verbundenen Aufwendungen, die in den einzelnen ÖH-Satzungen festgeschrieben werden, ist sachgerechter. Um die teilweise hohen Zeitaufwände zu kompensieren, regelt das Gesetz zudem unterschiedliche studienrechtliche Begünstigungen, wie etwa die Anrechnung der Tätigkeit auf freie Wahlfächer.

Für einige ÖH-Aktivist_innen erweist sich ihre Tätigkeit später als Sprungbrett in die Politik. Ist das nicht ein Problem, wenn es mehr um die Vertretung der eigenen Interessen geht?
Ich selbst und viele andere frühere ÖH-Funktionäre und Funktionärinnen waren in der Hochschulpolitik tätig und sind dann in die Politik gegangen. Zum damaligen Zeitpunkt war das aber nicht mein Ziel. Sehr wohl habe ich aber die Erfahrung, die ich in der Hochschulpolitik gesammelt habe, insbesondere Formulieren und auch entsprechendes Argumentieren, dann später nutzen können. Daher würde ich diese Phase der Hochschulpolitik von einer späteren Phase ganz einfach unterscheiden und keinen ursächlichen Zusammenhang sehen.

Bei der aktuellen Debatte um die Uniräte wurde uns in Erinnerung gerufen, dass die Studierenden in diesen „Aufsichtsräten“ kein Mitspracherecht haben – soll das geändert werden?
Im Universitätsgesetz ist bereits geregelt, dass die oder der Vorsitzende der ÖH an der betreffenden Universität das Recht hat, in den Sitzungen des Universitätsrats zu Tagesordnungspunkten angehört zu werden, die ihren Aufgabenbereich betreffen.

Überhaupt ist die Drittelparität, also die Stimmengleichheit der Kurien „Professor_innen“, „Mittelbau“ und „Studierende“, in vielen Uni-Gremien, wie zum Beispiel dem Senat, abgeschafft worden. Hängt die geringe Wahlbeteiligung möglicherweise damit zusammen, dass Studierende nirgends mehr mitreden dürfen?
Den Studierenden ist durch das Universitätsgesetz und das HSG ein umfassendes Mitspracherecht bei Themen eingeräumt, die sie betreffen. Darüber hinaus sind die Studierenden im Senat und entsprechend eingesetzten Kollegialorganen vertreten. Das Mitspracherecht der gesetzlich als Körperschaft öffentlichen Rechts verankerten Studierendenvertretung ist auch im internationalen Vergleich stark ausgeprägt: Der ÖH sind alle Gesetzesentwürfe, die Studierendenangelegenheiten betreffen, vor ihrer Vorlage an die Bundesregierung zur Begutachtung zu übermitteln. Unabhängig davon pflegen wir vor allem mit der ÖH-Bundesvertretung einen regelmäßigen Austausch. Zudem steht es den einzelnen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaften jederzeit frei, innerhalb ihrer Zuständigkeit, insbesondere den staatlichen Behörden, den jeweils zuständigen Bundesministern und Bundesministerinnen, den universitären Organen und anderen Einrichtungen Gutachten und Vorschläge zu unterbreiten.

Warum wechseln in Österreich die Wissenschaftsminister_innen schneller als in Hogwarts die Lehrer_innen für Verteidigung gegen die Dunklen Künste?
Die Zahl der Minister und Ministerinnen ist nicht ausschlaggebend für eine kontinuierliche Politik. Ich persönlich erlebe aktuell in Deutschland gerade den fünften Wirtschaftsminister, seit ich in Österreich für diesen Bereich verantwortlich bin. Wir haben im Hochschulbereich mit dem Universitätsgesetz eine solide gesetzliche Grundlage und ich setze den eingeschlagenen Kurs meiner Vorgänger und Vorgängerinnen fort.

War das neue HSG ein „Zuckerl“, das Sie der ÖH aus strategischen Überlegungen hingeworfen haben, damit sie wohlgesinnt bleibt und nicht stärker gegen die Abschaffung des Wissenschaftsministeriums mobilisiert und protestiert?
Gemeint ist wahrscheinlich die Zusammenlegung mit dem Wirtschaftsministerium. Aber auch dort hat sich die Zusammenarbeit als durchaus fruchtbringend erwiesen und die Abhängigkeitsbefürchtungen sind ja nicht eingetreten. Das neue Gesetz haben wir deswegen gemacht, weil die indirekte Wahl sich nicht bewährt hat, weil wir einfach mehr Akzeptanz bei dem neuen System erwarten und weil wir auch eine relativ einheitliche Regelung für alle Bereiche geschaffen haben.

Warum ist eine starke ÖH wichtig?
Vertretung ist eine zeitintensive, wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe. Je stärker die Legitimation der Studierendenvertretung ist, umso mehr Gewicht hat ihre Stimme beim Einsatz für die Interessen. Das gilt für die Instituts- und Universitätsebene, aber natürlich auch gegenüber der Politik.

 

Reinhold Mitterlehner (geboren 1955) studierte Rechtswissenschaften an der JKU in Linz, wo er auch in der ÖH tätig war. Er ist seit 2008 für die ÖVP Wirtschaftsminister und wurde Ende 2013 zusätzlich Wissenschaftsminister, womit er zum Hauptansprechpartner für die ÖH wurde.

 

Olja Alvir studiert Physik und Germanistik an der Universität Wien.
Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien. 

 

Einstürzende Neubauten

  • 04.02.2015, 16:40

Von maroden Hörsälen bis zu herabfallenden Fassaden – Österreichs Unigebäude sind nicht gerade in Topform. Wer ist hier zuständig und wie viel kostet das Ganze eigentlich?

Von maroden Hörsälen bis zu herabfallenden Fassaden – Österreichs Unigebäude sind nicht gerade in Topform. Wer ist hier zuständig und wie viel kostet das Ganze eigentlich?

2. Jänner 2015: Vom „Learning Center“ der neuen WU fällt eine 80 Kilo schwere Betonplatte. Das Gleiche ist ein halbes Jahr zuvor – im Juli 2014 – schon einmal passiert. Der Campus der WU wurde erst im Herbst 2013 eingeweiht, nun sieht der Vorplatz der Bibliothek wieder wie eine Baustelle aus: Ein Gerüst soll vor weiteren herabstürzenden Fassadenelementen schützen, bis die Ursachen endgültig geklärt sind. Herabfallende Fassadenteile sind an Österreichs Universitäten nicht unbedingt eine Seltenheit: Im Herbst 2012 fiel etwa eine Fensterscheibe aus dem zweiten Stock des Türkenwirt-Gebäudes der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). Auch hier steht seitdem ein Gerüst, das die Studierenden vor ihrer eigenen Universität schützen soll. Und auch hier kam durch die fallende Fensterscheibe glücklicherweise niemand zu Schaden.

Diese doch recht dramatischen Beispiele illustrieren, womit Studierende alltäglich konfrontiert sind: Österreichs Universitätsgebäude sind nicht in bestem Zustand. Zwar stürzen nicht ständig Betonplatten von allen Universitäten zu Boden, aber die Liste der Beschwerden ist doch lang: Sie reicht von zu wenig Lern- und Gruppenräumen über inadäquate Toiletten bis hin zu groben baulichen Mängeln, beispielsweise im Fall von Türen, die ständig kaputt gehen, weil sie nicht für die hohe Frequenz an ein- und ausgehenden Studierenden ausgelegt sind. Hinzu kommt, dass viele Universitätsgebäude nicht barrierefrei sind. Der Klassiker ist die Klage über zu kleine Hörsäle, die an manchen Hochschulen schon wenige Jahre nach ihrer Entstehung ertönt.

MIETKARUSSELL. Was sind die Ursachen für bauliche Mängel? Warum kriegen es die österreichischen Universitäten nicht hin, ihren Studierenden genug Platz und annehmbare Konditionen zum Lernen und Studieren zu bieten? Viele von uns würden mit dem ewigen Mantra, das die österreichische Hochschullandschaft seit vielen Jahren begleitet, antworten:Es fehlt den Universitäten einfach an Geld, um ihre Gebäude zu erhalten oder neue zu errichten. Aberso einfach ist das mit „ihren Gebäuden“ nicht. Die wenigsten Universitäten besitzen die Gebäude, die sie benutzen, selbst. Als die Unis im Jänner 2004 in die sogenannte „Autonomie“ entlassen wurden, haben sie zwar die Hoheit über ihr Finanzgebahren erhalten, die Gebäude blieben jedoch im Besitz einer GmbH: die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG).

(c) Mafalda Rakoš

Die BIG, die in die drei Unternehmensbereiche Universitäten, Schulen und Spezialimmobilien gegliedert ist, ist Vermieterin von beinahe allen Universitätsgebäuden Österreichs. Sie steht zu 100 Prozent im Eigentum der Republik Österreich. Dabei kommt es zu einer paradoxen Situation: Der Bund vergibt in Form von Steuergeldern finanzielle Mittel an die Universitäten, die wiederum diese Gelder als Mieten an die Bundesimmobiliengesellschaft zahlen. Die Mieteinnahmen fließen in der Folge wieder dem Bund selbst zu. Das Geld wird also einmal im Kreis herumgereicht, mit der BIG als mittlere Instanz. Und wenn Geld von einem Konto auf das nächste wandert, wird es natürlich nicht mehr, sondern weniger. Es fallen schließlich Bankgebühren, Verwaltungs- und Transaktionskosten an.

355 MILLIONEN. Die BIG wurde im Jahr 1992 gegründet und löste damit die Bundesgebäudeverwaltung (beziehungsweise die Bundesbaudirektion Wien) ab. Die BIG verwaltet seither den überwiegenden Teil der Immobilien der Republik Österreich. Damals wurde argumentiert, eine staatliche Verwaltung sei zu ineffizient und führe zu langen Wartezeiten bei Bauprojekten, Schwierigkeiten bei der Verwertung nicht mehr benötigter Gebäude und mangelndem Kostenbewusstsein. Das Bewusstsein für die Kosten eines Gebäudes fehlte offenbar sowohl bei den Benutzer_innen der Gebäude als auch bei der Bundesgebäudeverwaltung. Bis 1992 war die Benutzung der Gebäude durch öffentliche Stellen – wie zum Beispiel Universitäten – nämlich kostenlos. Mit der Gründung der BIG änderte sich das: Sie handelte mit den einzelnen Mieter_innen Mieten zu marktüblichen Preisen aus. Bis zum Jahr 2000 verwaltete die BIG zunächst nur Schulen und Universitäten, dann wurde ihr zu einem Preis von 2,4 Milliarden Euro das Eigentumsrecht an fast allen Bundesgebäuden übertragen. Heute betreut die BIG mit ihren Tochtergesellschaften 2.800 Gebäude, die ungefähr einen Wert von neun Milliarden Euro ausmachen. Ungefähr 23 Prozent dieser Gebäude werden von Universitäten genutzt. Die Bundesimmobiliengesellschaft ist die erste Ansprechpartnerin für die Mieter_innen, sie wickelt Bauvorhaben ab, regelt Miet- und Vertragsverhältnisse und kümmert sich um die Instandhaltung ihrer Gebäude. Unter der schwarz-blauen Koalition wurden 2000 ein weiteres Mal die Rechte der BIG erweitert: Mit dem „Bundesimmobiliengesetz zur Verwertung nicht mehr benötigter Liegenschaften“ ist es der BIG nun auf höchster Ebene gestattet, Teilbereiche von universitären Gebäudekomplexen zu verkaufen – etwa an zahlungskräftige Privatinteressent_innen.

Ebenso wie die BIG Gebäude an Private verkaufen kann, können die Unis auch andere Vermieter_innen finden. Allerdings gehören 90 Prozent aller Unigebäude der BIG. Einige Unis besitzen selbst einzelne Grundstücke, so zum Beispiel die Veterinärmedizinische Universität (VetMed): „Das Lehr- und Forschungsgut im Bezirk Baden in Niederösterreich, bestehend aus vier landwirtschaftlichen Betrieben, gehört der VetMed selbst“, erklärt Doris Sallaberger vom Büro des Rektorats der VetMed.

(c) Mafalda Rakoš

Trotzdem muss die VetMed ungefähr 33 Prozent ihres Globalbudgets für Mieten aufbringen – der höchste Anteil aller Unis. Insgesamt mussten die Unis 2013 etwas mehr als 355 Millionen Euro an Miete zahlen. Wie viel Miete die einzelnen Universitäten zahlen, ist dabei sehr unterschiedlich. „Die Lage ist sehr entscheidend, denn jede Uni hat einen eigenen Mietvertrag mit der BIG“, legt Wolfgang Nedobity dar, der bei der Österreichischen Universitätenkonferenz (UNIKO) für Gebäude- und Infrastrukturfragen zuständig ist. Relativ gesehen kommen die BOKU und die TU Wien am zweitschlechtesten weg: Fast 22 Prozent ihres Globalbudgets müssen die technisch-naturwissenschaftlichen Unis für Mieten ausgeben.

HERUNTERKRACHENDE STUDIERENDE. An der BOKU wird derzeit von der BIG das Hauptgebäude renoviert. Damit trotzdem Lehrveranstaltungen abgehalten werden können, ist die „Universität des Lebens“ in die Augasse gezogen. Das klingt ein bisschen nach Hobbit-Romantik, dieser temporäre Standort ist aber in Wirklichkeit der Betonklotz der alten WU. Manche Hörsäle und Büroräumlichkeiten kann die BOKU ohne Mehrkosten nutzen, für das Audimax der alten WU muss sie jedoch extra Miete zahlen, da sie in ihrem Hauptgebäude keinen so großen Hörsaal besitzt. Wohlgemerkt würde dieser Hörsaal ansonsten einfach nur leer herumstehen, wie große Teile der alten WU es momentan tun. Immerhin müssen die BOKU-Erstsemestrigen nicht mehr in ein Großkino am anderen Ende der Stadt fahren, um ihre Vorlesungen zu hören. So richtig zufrieden sind die Studierenden mit ihrem „Ausweichquartier“ aber dennoch nicht: „Es ist bereits mehrmals während der Vorlesungen passiert, dass die Stühle einfach so zerbrachen; die Studierenden purzelten dann mit lautem Krachen runter“, erzählt Simon, der sich auch über fehlende Infrastruktur wie WLAN oder Uhren beklagt: „Ein Lehrender bringt immer selbst eine Wanduhr mit, damit alle die Zeit im Blick haben.“ Auch wenn manche BOKU-Studierende die gute Verkehrsanbindung oder den „post-apokalyptischen Charme“ der Augasse schätzen, so klagen doch beinahe alle über die Klimaanlage, die auch im Winter für arktische Temperaturen in den Hörsälen sorgt.

Pro Studierende_r zahlt die BOKU insgesamt circa 2.050 Euro im Jahr Miete. Damit liegt sie im oberen Mittelfeld, noch mehr zahlen vor allem die künstlerischen Unis, die mit niedrigen Studierendenzahlen und großem Flächenanspruch in dieser Wertung natürlich ziemlich schlecht abschneiden. Das günstigste Verhältnis von Studierenden zu Mieten hat die einzige „Universität“ Österreichs, die auch ihr eigenes Gesetz hat: die Universität für Weiterbildung in Krems zahlte 2013 pro Studi nur 120 Euro Miete, allerdings nicht an die BIG, sondern an das Land Niederösterreich, das die Gebäude für die Donau-Uni bereitstellt.

(c) Mafalda Rakoš

So unterschiedlich die Ansprüche der einzelnen Unis an ihre Gebäude sind, so unterschiedlich entwickeln sich auch ihre Mieten: Vom Jahr 2012 auf das Jahr 2013 war von Steigerungen von bis zu 19 Prozent (JKU Linz) und Minderungen von bis zu zehn Prozent (WU – trotz des Umzuges auf einen neuen Campus) alles dabei. Auch die Erfahrungen der Unis mit der BIG sind höchst unterschiedlich.

Die BIG ist nämlich föderal strukturiert. Die Zentrale in Wien hat jedoch für jedes Bundesland eigene Betreuer_innen, die mit den Universitäten vor Ort zusammenarbeiten; „mehr oder weniger“, wie Reinhold Strasser, Leiter der Abteilung Gebäude und Technik der Paris Lodron Universität Salzburg sagt. Die Zusammenarbeit der Zentrale mit den Salzburger Landesstellen sei problematisch. Kleinste Gebäudereparaturen müssten jedes Mal zuvor in Wien genehmigt werden. Auch die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Universitäten und der BIG selbst sei ausbaufähig. Ein Beispiel, das absurd klingt, aber die Causa veranschaulicht wie kein zweites, sind Doppelfenster: Bei Reparaturen von Fenstern ist die BIG für die äußere Fensterscheibe, die Uni für die innere zuständig. Dabei handle es sich um eine normale Klausel des Mietgesetzes, wie progress von den Universitäten immer wieder versichert wurde. Wie sinnvoll diese im universitären Alltag ist oder ob sie gar zur angestrebten Kosteneffizienz führt, ist fraglich.

BUNDESLUXUSWOHNUNGEN. Einen ärgeren Konflikt tragen die Studierenden der Universität für Musik und darstellenden Kunst Wien (mdw) mit der BIG aus: Auf der Homepage der Hochschüler_innenschaft der mdw werden Bauspekulation und BIG in einem Satz erwähnt. Darunter sind jede Menge Fotos einer Brachfläche, die an einen Gebäudeflügel der Uni angrenzt. Augenscheinlich eine Baustelle: Rote, gelbe und blaue Container sind darauf zu sehen, umgrenzt von einem grauen Stahlzaun. Bevor die Container auftauchten, gab es uniinterne Bestrebungen, die ohnehin schon begrenzte Nutzfläche der Universität durch die Bebauung dieser anschließenden Brachfläche zu vergrößern: Immer wieder waren solche Pläne aber aus Gründen des Denkmalschutzes abgelehnt worden. Nun hat die BIG, der die Liegenschaft in der Beatrixgasse 11-17 gehört, diese an eine Firma namens „Beatrixgasse 11-17 GmbH“ verkauft – einer Tochter der ARE Development GmbH, die wiederum eine Tochter der BIG ist. 31 Luxuswohnungen mit Blick auf den Stephansdom sollen hier nun gebaut werden.

Die Universität für Musik und darstellende Kunst bietet diverse Instrumentalstudienrichtungen an. Elementarer Bestandteil ist das regelmäßige Üben. Laut Hochschüler_innenschaft laufen aktuell schon täglich Beschwerden von Anrainer_innen, die sich durch die lauten Proben der Studierenden gestört fühlen, bei der Universität ein. Kommt demnächst ein neuer Wohnbau in unmittelbare Nähe der Uni, könnten die ohnehin schon begrenzten Probezeiten ein weiteres Mal gekürzt werden.

(c) Mafalda Rakoš

WIDERSTAND. Studentischer Widerstand gegen BIG-Projekte ist aber nichts Neues: Mitte der 2000er-Jahre kämpfte das selbstverwaltete TüWi-Lokal gegen Pläne der BOKU, das Gebäude (und damit die Grundlage des Lokals und des angeschlossenen Hofladens) der BIG zu überlassen. Dies war nämlich in den Leistungsvereinbarungen festgehalten worden. Der Protest wirkte: Das TüWi, das offiziell auf Flächen der ÖH BOKU (die diese widerum von der BOKU zur Verfügung gestellt bekommt, die sie von der BIG anmietet) steht, blieb. Und wird auch nach dem geplanten Abriss und Neubau des Gebäudes wieder einziehen dürfen.

2013 forderte die UNIKO, dass die BIG sämtliche Unigebäude an die Universitäten zurückgeben sollte, damit diese von der Last der hohen Mieten befreit werden und es auch leichter haben, Kredite aufzunehmen. Heute will von dieser Forderung fast keine Uni mehr etwas wissen: „Die Probleme der Finanzierung der Gebäudeerhaltung bleiben gleich und das was die Universitäten jetzt für die Mieten vom Bund bekommen, würde dann eben nicht mehr gezahlt werden. Tatsache ist aber, dass die Konstruktion Eigentümerin BIG – Mieterinnen Universitäten auch nicht sinnvoll ist, da hier Geld gewissermaßen im Kreis geschickt wird und letztlich profitieren davon die Banken“, erklärt die Rektorin der Akademie der Bildenden Künste, Eva Blimlinger.

Die BIG war bis zu Redaktionsschluss nicht für eine Stellungnahme zu haben. Aber ob mit oder ohne sie: Probleme an Unigebäuden werden letzten Endes nur durch eine höhere Finanzierung gelöst werden können.

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Anne Schinko studiert Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien.

Studierendenvertretung à la Luxembourgeoise

  • 12.08.2014, 17:00

Sie hat nur wenige aktive Mitglieder und die sind dazu noch über den Globus verstreut. Dennoch gelingt es der UNEL, tausende Studierende für Demonstrationen zu mobilisieren. Wir werfen einen Blick auf die luxemburgische Studierendenvertretung.

Sie hat nur wenige aktive Mitglieder und die sind dazu noch über den Globus verstreut. Dennoch gelingt es der UNEL, tausende Studierende für Demonstrationen zu mobilisieren. Wir werfen einen Blick auf die luxemburgische Studierendenvertretung.

In einer Artikelserie wollen wir verschiedene Studierendenvertretungen, die neben der ÖH in der gemeinsamen europäischen Studierendenorganisation European Student‘s Union (ESU) vertreten sind, vorstellen. Wir fangen mit einem Land an, das bis vor zehn Jahren noch überhaupt keine Uni hatte: Luxemburg. Die Studierendenvertretung Union Nationale des Étudiant-e-s du Luxembourg (UNEL) ist dennoch schon beinahe ein Jahrhundert alt.

25. April 2014, Luxemburg-Stadt. 17.000 Studierende und Schüler_innen demonstrieren gegen die geplanten Kürzungen der Studienbeihilfe. Innerhalb weniger Wochen wurde in sozialen Netzwerken und in Schulen für den „Streik“ mobilisiert. Die Demonstration ist ein voller Erfolg, die pittoreske Altstadt Luxemburgs platzt aus allen Nähten. Aus dem ganzen Land sind Schüler_innen und Studierende angereist, um ihren Unmut gegen die Reform der Studienbeihilfen, die im Gesetz mit der Nummer 6670 beschlossen werden sollen, kundzutun. Sprüche wie „Dir soot kierzen, mir soe stierzen“ (Ihr sagt kürzen, wir sagen stürzen) oder „Wem seng Bildung? – Eis Bildung!“ (Wessen Bildung – Unsere Bildung!) lassen erkennen, dass die Demonstrierenden von den #unibrennt-Protesten inspiriert wurden. Die ehemals großzügige Beihilfe, die fast alle Studierenden beziehen konnten, soll von der neuen sozialdemokratisch- liberal-grünen Regierung massiv gekürzt und in ein bürokratisches Ungetüm verwandelt werden. Es ist die erste Sparmaßnahme der Regierung, sie findet ausgerechnet im Bildungsbereich statt. Hinter den Protesten steht das „Streikkomitee 6670“, ein Zusammenschluss aus verschiedenen Studierenden- und Schüler_innenorganisationen. Eine der wichtigsten Organisationen in diesem Bündnis ist die UNEL, die nationale Union der luxemburgischen Studierenden.

Einzigartige Situation. „Unsere Situation ist einzigartig. Nur 20 Prozent der luxemburgischen Studierenden bleiben in ihrem Heimatland, alle anderen studieren im Ausland“, erklärt Pol Reuter, Präsident der UNEL. Er selbst studiert Politikwissenschaften in Nancy. „Wir kümmern uns aber nicht nur um Studierende aus Luxemburg, sondern auch um jene aus der Grenzregion. Außerdem vertreten wir die Rechte von Schüler_innen in Luxemburg“, ergänzt Reuter. Viele Bewohner_innen der grenznahen Gebiete in Deutschland, Frankreich und Belgien pendeln jeden Tag nach Luxemburg, um dort zu arbeiten. Damit haben sie und ihre Kinder auch Anrecht auf luxemburgische Sozialhilfen, zum Beispiel auch Studienbeihilfen. Deswegen ist es der UNEL wichtig, auch deren Rechte zu vertreten: „Wenn wir über Studienbeihilfen reden, müssen wir auch über die Kinder der Pendler_innen reden. Ihre Eltern tragen zum Reichtum Luxemburgs bei, also sollten sie auch von den Beihilfen profitieren können!“, meint Reuter. Der EuGH hat der UNEL Recht gegeben: 2013 erklärte er die Regelung, dass die Kinder von Pendler_innen keine Studienbeihilfen erhalten, für rechtswidrig.

Turbulente Geschichte. Die Universität Luxemburg ist erst zehn Jahre alt, die UNEL vertritt die Rechte der luxemburgischen Studierenden aber schon viel länger, wie Pol Reuter erzählt: „Wir wissen gar nicht, wie alt die UNEL wirklich ist, die ganzen Einträge im Vereinsregister sind verloren gegangen. Es müssen aber schon mehr als 90 Jahre sein.“ In den 1960ern erlebte die UNEL turbulente Zeiten: „Es gab Flügelkämpfe zwischen verschiedenen linken Gruppierungen wie Leninist_innen, Trotzkist_innen und Sozialdemokrat_innen. Die UNEL war damals in verschiedene Ortsgruppen unterteilt, von denen sich einige abspalteten und einen eigenen Verein gründeten, die ACEL.“ Die Association des Cercles d‘Étudiants Luxembourgeois (ACEL) sei als Vertretung der Vereine luxemburgischer Studierender in Hochschulstädten aber seit jeher sehr unpolitisch und beschränke sich beinahe ausschließlich auf die Organisation von Partys. „Die UNEL war damals auch Teil der Friedensbewegung und hat es geschafft, dass die Wehrpflicht 1967 in Luxemburg abgeschafft wurde. In den 1980ern waren hingegen eher konservative Kräfte in der UNEL aktiv. Heute sind wir eine progressive Bewegung und arbeiten neben den Studierenden- und Schüler_innenrechten auch zu Themen wie Gender, Rassismus und Jugendarbeitslosigkeit“, fasst Reuter die Geschichte der Studierendenvertretung zusammen.

International vernetzt. Die unpolitische ACEL ist nicht in der ESU vertreten, dennoch ist die UNEL nicht die einzige luxemburgische Organisation dort: Die Luxembourg University Students’ Organization (LUS) ist als eigene Vertretung der Studierenden der Universität Luxemburg seit einigen Jahren ebenfalls Mitglied in der europäischen Studierendenorganisation. „In den letzten Jahren ist die LUS merklich weniger aktiv. Wir sind oft gleicher Meinung und stimmen in der ESU auch in den meisten Fällen gleich ab“, so Reuter, der auch im Rahmen des Streikkomitees mit Aktivist_innen der LUS zusammengearbeitet hat. Eine Vertretung zu organisieren, deren Mitglieder in ganz Europa und der halben Welt verstreut sind, ist keine leichte Aufgabe. „Wir sehen uns vielleicht vier Mal im Jahr. In den Weihnachtsferien organisieren wir unseren Kongress, auf dem die Vorstandsmitglieder gewählt werden. Auf dem Papier sind das neun Leute, in Wirklichkeit können aber alle kommen, die interessiert sind, die UNEL aktiv mitzugestalten“, erklärt Pol Reuter. Die Kommunikation zwischen den rund 20 aktiven Mitgliedern läuft vor allem online ab, in sozialen Netzwerken oder per Skype werden die nächsten Kampagnen geplant. Je nach Thema verwendet die UNEL verschiedene Taktiken, um ihr Ziel zu erreichen: „Wir fangen meist mit Unterredungen mit Politiker_innen an. Wenn solche Verhandlungen zu nichts führen, beginnen wir mit Protesten oder anderen Aktionsformen“, so Reuter. Bisher haben jedoch weder die Proteste noch Verhandlungen die Kürzung der Studienbeihilfen kippen können. Nun soll eine selbst durchgeführte Studie, in der erstmals die Lebenshaltungskosten luxemburgischer Studierender erfasst wurden, Argumente liefern, um den Gesetzesvorschlag doch noch in ihrem Sinne zu ändern.

Nachtrag: Nach Redaktionsschluss teilte uns Pol Reuter mit, dass die UNEL erstmals 1920 von der linken Studierendenvertretung ASSOSS und der rechten Studierendenvertretung AV gegründet wurde.
Die Kürzungen der Studienbeihilfen wurden am 10. Juli 2014 von den Abgeordneten der Regierungsparteien im luxemburgischen Parlament beschlossen. Die Opposition stimmte geschlossen dagegen.

Linktipps:

http://www.unel.lu
http://www.streik.lu

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenma­nagent an der Universität für Bodenkultur Wien.

Ein Leben (fast) ohne Supermarkt

  • 10.06.2014, 16:04

Auf der Suche nach nachhaltigen und regionalen Lebensmitteln schließen sich immer mehr Menschen zu Foodcoops zusammen. progress hat sich angesehen, wie ein Leben fast ohne Supermarkt funktionieren kann.

Auf der Suche nach nachhaltigen und regionalen Lebensmitteln schließen sich immer mehr Menschen zu Foodcoops zusammen. progress hat sich angesehen, wie ein Leben fast ohne Supermarkt funktionieren kann.

Dienstagabend in einem Kellergeschoss im 15. Wiener Gemeindebezirk. In den Räumen des PerpetuuMobile 2.3 stapeln sich Kisten mit Gemüse, Getreide, Nudeln und Sojaprodukten. Dazwischen wuseln Menschen umher, vergleichen den Inhalt der Kisten mit Listen und wiegen Erdäpfel, Frühlingszwiebeln, Salat, Rüben und Pastinaken ab. Es ist Abholtag in der vegan food coop, einer von über 20 Foodcoops in Österreich. Gerade ist eine Lieferung eingetroffen, frisch vom Bauernhof.

„Ich hatte sehr lange Zeit eine Biokiste, aber ich wollte dann noch einen Schritt weiter gehen. Ich wollte wissen, wo mein Essen herkommt“, erzählt Christina. Sie studiert an der BOKU und ist seit anderthalb Jahren Mitglied der vegan food coop. Der Kontakt zu Produzent_innen ist ihr besonders wichtig: „Ich kann hier wirklich sehen und nachprüfen, wie meine Lebensmittel angebaut werden. Wir organisieren öfters Reisen zu Bauernhöfen und können uns anschauen, wie die wirtschaften.“

Genossenschaftlich organisiert. Foodcoops oder Lebensmittelkooperativen sind keine neue Erfindung. Schon im 19. Jahrhundert wurde in Großbritannien die erste Konsumgemeinschaft gegründet. Im Kontext der beginnenden Industrialisierung schlossen sich Arbeiter_innen zusammen, um der Abhängigkeit von Händler_innen, denen oft Betrug und der Verkauf minderwertiger Ware vorgeworfen wurden, zu entfliehen und organisierten den Einkauf ihrer Lebensmittel gemeinsam. Eine Foodcoop funktioniert im Prinzip genauso: Gemeinsam wird entschieden, was und wo eingekauft wird. Auch heute ist die Motivation vor allem das fehlende Vertrauen in die vorhandenen Strukturen wie Supermärkte oder Diskonter. „Für manche Dinge gehe ich schon noch in den Supermarkt, nicht alles kann ich über die Foodcoop besorgen. Aber immer öfters verlasse ich in den Supermarkt, ohne etwas gekauft zu haben, weil ich alles, was mir interessant erscheint, auch in der Foodcoop bekomme“, sagt Christina.

Nicht weit entfernt vom PerpetuuMobile 2.3, das sich die vegan food coop mit einer Siebdruckerei und diversen anderen linken Projekten teilt, hat eine der ältesten Foodcoops Wiens ihr Lokal. In den hellen Räumlichkeiten von D’Speis riecht es wie im Bioladen, neben Gemüse stehen hier auch Wein, Bier, Öl und Essig in den Regalen. Lange Bestelllisten hängen an der Wand, in verschiedenen Kühlschränken warten Milchprodukte, Tofu und Fleisch darauf, abgeholt zu werden. Samuel, der seit fast zwei Jahren bei D’Speis aktiv ist, hat auch davor schon Bio-Lebensmittel gekauft und ist dumpstern gegangen. „Für mich gab es mehrere Gründe, einer Foodcoop beizutreten: Einerseits natürlich die Qualität und der Preis der Lebensmittel. Andererseits ist eine Foodcoop auch ein politisches Statement. Wir sind nicht von Supermärkten oder Großhändler_innen abhängig, sondern bestimmen selbst, was wir wann einkaufen und unterstützen damit Kleinbäuer_innen.“ Dazu kommt für Samuel noch die soziale Komponente. Er grinst und erzählt: „Wenn ich mein Zeug in der Speis abhole, muss ich dafür immer mindestens eine Stunde einrechnen. Nicht, weil das Abholen so lange dauert, sondern weil ich hier Menschen treffe und mit ihnen plaudere.“ Dabei schätzt der Student es sehr, aus seinem gewohnten Umfeld herauszukommen und sich auch mal mit älteren Menschen auszutauschen.

Gemüsekisten in einer foodcoop

Unregelmässige Regelmässigkeit. In der vegan food coop wird es derweil ruhiger, der große Andrang ist vorbei. Jede Woche ist eine andere Person dafür zuständig, das Lokal aufzusperren, damit alle Mitglieder der Foodcoop ihre bestellten Lebensmittel abholen können. „In unregelmäßiger Regelmäßigkeit kann sich jede_r online für diesen Dienst eintragen“, erklärt Christina. Alle Aufgaben in der Foodcoop werden abwechselnd übernommen: Die Bestellungen werden online gesammelt und an die Produzent_innen übermittelt, neue Produzent_innen oder Produkte, die für die Foodcoop interessant sein könnten, werden gesucht und der Kontakt mit den Produzent_innen muss aufrecht erhalten werden. „Wir nennen das Produzent_innenrelationshipmanagement“, erklärt die Studentin. Bei welchen Bäuer_innen bestellt wird, entscheidet die Foodcoop basisdemokratisch im Plenum. Dort werden auch für eine rein vegane Gruppe heikle Diskussionen geführt. Etwa, ob sich Produkte wie Honig mit den Prinzipien der Foodcoop vereinen lassen. Diese Selbstbestimmung kostet Zeit und Engagement. Christina wird nachdenklich, als sie erklärt, dass Foodcoops nicht für jede_n das Richtige seien: „In den Supermarkt zu gehen, ist bequem, in der Foodcoop musst du die Arbeit der Kassiererin selbst übernehmen und den Preis deiner Bestellung auf einem Kontoblatt ausrechnen. Wer in einer Foodcoop einkaufen will, muss bereit sein, Aufgaben zu übernehmen.“

Basisdemokratie für Anfänger_innen. Bei D’Speis, die ungefähr 70 Mitglieder zählt, überlegt man sich, wie damit umgegangen werden kann, wenn nicht alle, die von der Foodcoop profitieren, auch Aufgaben übernehmen: „Grundsätzlich ist unser Motto, dass sich alle entsprechend ihrer Fähigkeiten einbringen sollen, aber leider gibt es schon aktivere und weniger aktive Leute. Für Neulinge wollen wir ein Buddy-System einführen, damit sie anfangs von erfahrenen Mitgliedern lernen, wie die einzelnen Arbeitsschritte in der Foodcoop erledigt werden“, erzählt Samuel. Die Foodcoop versucht auch, gezielt Menschen aus der Nachbarschaft anzusprechen und einzubinden. So beteiligen sich neben Studierenden auch einige ältere Menschen, vor allem Frauen – trotz Hürden, wie Samuel berichtet: „Das ist schwierig, weil unsere Organisationsform auf den ersten Blick chaotisch wirkt. Viele erleben bei uns zum ersten Mal ein basisdemokratisches Plenum und müssen sich erst mit dieser Art der Entscheidungsfindung anfreunden.“ Das monatliche Plenum von D’Speis läuft aber gut, auch wenn es schon mal voll werden oder lange dauern kann. Große ideologische Fragen werden auf Klausuren geklärt und verschiedene Arbeitskreise entlasten das Plenum bei alltäglichen Arbeiten. 

Beim Salzkörndl gibt es noch keine Probleme mit untätigen Mitgliedern. Die Foodcoop hat sich im letzten Sommer in Salzburg gegründet und besteht derzeit aus 35 bis 40 Leuten, vor allem Studierenden. Luisa ist eine von ihnen, sie kannte das Prinzip der Foodcoops von Freund_innen aus Berlin. „Aus meinem erweiterten Freundeskreis erfuhr ich, dass geplant war, in Salzburg eine Foodcoop zu gründen. Ich war also von Anfang an dabei. Die Gründung war ein langer Prozess, schon die Namensfindung war nicht so leicht, und dann mussten wir auch noch ein Lokal finden.“ Die junge Foodcoop trifft sich alle zwei Wochen und versucht gemeinsam, neue Lieferant_innen zu finden, um das Produktsortiment zu erweitern. Dieses besteht derzeit aus Gemüse, Eiern, Milchprodukten, Brot, Getreide und Hülsenfrüchten, die alle regional und biologisch angebaut werden. „Nicht alle Produzent_innen haben das Bio-Siegel, auch wenn sie nach diesen Kriterien anbauen. Wir schauen uns die Betriebe genau an und wenn wir ihnen vertrauen, müssen die Lebensmittel nicht zertifiziert sein. Persönlicher Kontakt ist dafür natürlich eine Voraussetzung“, erzählt Luisa. Neben den regionalen Produkten gibt es bei Salzkörndl auch Fairtrade-Kaffee und Selbstgemachtes: „Jede Woche macht eine andere Person von uns einen Aufstrich, der dann gegen freie Spende mitgenommen werden kann. Manchmal organisieren wir auch BrotbackWorkshops.“

Wenn Samuel und Christina von den nicht-regionalen Lebensmitteln erzählen, die die Wiener Foodcoops gemeinsam bestellen, klingen sie beinahe so, als hätten sie ein schlechtes Gewissen. Neben Kaffee von linken Genossenschaften aus Südamerika gibt es Zitrusfrüchte und Avocados aus Italien. „Unsere Lebensmittel sind regional, mit Ausnahmen, wo es nicht anders geht. Zusätzlich versuchen wir, unsere Sachen möglichst unverpackt oder mit Pfandsystemen zu bekommen“, erklärt Samuel die Kriterien von D’Speis. Neben den Avocados und Zitronen bestellen die gut vernetzten Wiener Foodcoops auch andere Lebensmittel gemeinsam, zum Beispiel Nudeln, Hülsenfrüchte oder Getreide. Um Letzteres selbst weiterverarbeiten zu können, besitzt D’Speis eine Getreidemühle und eine Haferflockenpresse, die von allen Mitgliedern der Lebensmittelkooperative benutzt werden kann. Eine kooperativenübergreifende Brotbackgruppe bäckt mit dem selbst gemahlenen Mehl. „Es gibt auch eine Tofugruppe, die für alle Wiener Foodcoops Tofu produziert“, erzählt Samuel begeistert und beginnt zu träumen: „In Zukunft wäre es toll, auch eigene Felder oder Gärten in der Umgebung zu haben und Foodcoops mit der Ernte zu beliefern.“ So könnte nach und nach eine kleine Wirtschaft nach den Vorstellungen der Lebensmittelkooperativen entstehen: solidarisch, regional, nachhaltig und selbstverwaltet.

Grenzen des Wachstums. Eine andere alternative Form der Lebensmittelbeschaffung ist Community Supported Agriculture (CSA), das wie eine Art Crowdfunding für Landwirt_innen funktioniert: Bereits vor dem Anbau wird gemeinsam entschieden, was angebaut wird. Durch zugesicherte Abnahmemengen können die Bäuer_innen besser planen und sind finanziell abgesichert. „Foodcoops und CSA gehen Hand in Hand“, erklärt Christina: „Die vegan food coop ist auch eine Abholstelle für einen CSA-Hof. Die Foodcoop selbst hat aber keine Anteile und kein Mitbestimmungsrecht.“

Foodcoops werden zunehmend zu einer Konkurrenz für (Bio-)Supermärkte, denn viele von ihnen wachsen stetig. Auch das Salzkörndl will größer werden: „In Zukunft wollen wir bis zu 60 Mitglieder haben. Alles darüber ist zu groß“, so Luisa. Bei D’Speis hat man diese Erfahrung schon gemacht. Samuel berichtet von einer freundschaftlichen Abspaltung: „Als wir zu viele wurden, haben einige von uns eine neue Foodcoop gegründet. Sie konnten dabei von unseren Erfahrungen profitieren. Das ist das Ziel: viele kleine Foodcoops, in jedem Grätzel eine!“

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

Webtipp: Verzeichnis aller österreichischen Foodcoops: foodcoops.at

 

Schulterklopftage

  • 10.04.2014, 13:41

Die Österreichischen Journalismustage, die am zweiten und dritten April 2014 zum ersten Mal organisiert wurden, hatten ein hehres Ziel: Statt wie sonst nur über Reichweite, Verbreitungskanäle und Finanzierung zu sprechen, wollte man „guten Journalismus“ und „gute Geschichten“ zum Thema machen.

Die Österreichischen Journalismustage, die am zweiten und dritten April 2014 zum ersten Mal organisiert wurden, hatten ein hehres Ziel: Statt wie sonst nur über Reichweite, Verbreitungskanäle und Finanzierung zu sprechen, wollte man „guten Journalismus“ und „gute Geschichten“ zum Thema machen.

Damit aus der eintägigen Konferenz im Museumsquartier doch noch die Journalismustage werden konnten, starteten die Journalismustage am Mittwochabend im Presseclub Concordia mit einer kurzen Einführung von Astrid Zimmermann, danach trug Florian Scheuba („Wir Staatskünstler“) aus seinem Programm vor. Das sollte dazu anregen, über die angeblich unklaren Grenzen zwischen Journalismus und Satire zu reflektieren, löste bei manchen aber eher Kopfschütteln aus. 

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Über Satiregeschmack lässt sich streiten – über die Frage, ob ein Satireprogramm über die österreichische Politik der letzten zwanzig Jahre so viel mit Journalismus zu tun hat, ebenfalls. Die befürchteten „Satiretage“ sollten jedoch ausbleiben, wurde auf twitter beruhigt.

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Eine Diskussion über die Frage, was Satire denn eigentlich darf, wäre auf jeden Fall lehrreicher gewesen.

Nach Frühstück und Begrüßung begann die eigentliche Konferenz gleich mit der Keynote, die ZiB2-Moderator Armin Wolf hielt. Er beantwortete die rhetorische Frage „Machen die Medien die Politik kaputt?“ mit einem deutlichen Jein, um dann die Fehlleistungen heimischer Politiker_innen aufzuzählen und genüsslich auszubreiten. Wenn „Medien“ die Politik kaputt machen, dann laut Wolf aber nicht die professionellen, sondern Online-Foren und soziale Medien. Das Leben von Journalist_innen würde dazu immer schwieriger, denn viele Politiker_innen hätten ein Mediencoaching und würden Interviewfragen nicht wie gewünscht beantworten. Fast hätte man glauben können, der Titel der Keynote sei „Macht die Politik die Medien kaputt?“ gewesen, da kam zum Schluss doch noch das wenig überraschende Eingeständnis, dass Medien „alles andere als fehlerlos“ seien. Wir lernen: Auch ein verdienter Journalist wie Armin Wolf ist nicht davor gefeit, sein Thema zu verfehlen. Und spricht nur dann von „Kolleginnen", wenn es um Ballkleider geht.

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Für alles andere reichten die „Kollegen“. Die ganze Keynote lässt sich auf diepresse.com nachlesen.

Das folgende Programm bestand vor allem aus Diskussionsrunden, denen ein kurzer Vortrag voranging. Über die Schwierigkeiten von guter Recherche, über gesponserte und organisierte Auslandsberichterstattung und über das oft problematische Näheverhältnis von Politik und Journalismus (schon wieder) wurde diskutiert, das aber wenig kontrovers. Wie auch, denn jene, die schlechten Journalismus machen, waren an den Journalismustagen nicht anwesend. So klopfte man sich gegenseitig auf die Schulter und zeigte mit dem Finger auf den Boulevard (oder „die Politik“), die nötige Selbstkritik blieb aber leider aus.

Spätestens beim Thema Auslandsberichterstattung zeigte sich, dass sich Journalismus leider nicht abgekapselt von der finanziellen Situation der Medienhäuser betrachten lässt: Auslandskorrespondent_innen sind teuer und wer sie sich nicht leisten kann oder will, schickt seine Journalist_innen eben auf die von NGOs oder Regierung bezahlten und organisierten Reisen. Am Podium und im Publikum schien eine gewisse Nostalgie vorzuherrschen, denn über die Zukunft des Journalismus wurde erstaunlich wenig gesprochen.

Lichtblicke waren die Präsentationen abseits der Diskussionsrunden. Ein Vertreter des Medienwatchblogs Kobuk zeigte ein „Best Of“ vergangener Medienpannen und -katastrophen. Boulevardmedien, insbesondere Gratiszeitungen kamen hier zur Belustigung der Anwesenden natürlich sehr schlecht weg. Die sogenannten „Kurzmeldungen“, in denen Journalist_innen fünf Minuten und fünf Slides lang Zeit hatten, ihre Thesen zum Journalismus vorzustellen, waren besonders erfrischend. Das Format, auf Technologie- und Hacker_innenkonferenzen als „Lighting Talks“ bekannt, lockerte die Konferenz auf und bot interessante Inputs, zum Beispiel über die Recherchemöglichkeit von staatlichen und amtlichen Informationen durch die Initiative „Frag den Staat“. Auch über Quellentransparenz, Links als Qualitätsmerkmal und sogenannte „he said she said“-Geschichten waren kluge Gedanken zu hören.

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Eindeutiger Höhepunkt des Tages war die Präsentation des Dossier.at-Schwerpunkts zum Thema Asyl. Florian Skrabal erklärte die Herangehensweise an Materialsammlung, Recherche und Aufbereitung des Pilotprojektes, das die Lebensbedingungen von Asylsuchenden in Österreich genauestens dokumentierte. Leider war der Saal des Quartier21 im Wiener Museumsquartier bereits deutlich leerer als noch am Vormittag.

Insgesamt dürfen die Veranstalter_innen der Journalismustage wohl zufrieden sein: das Event war gut (und in sehr kurzer Zeit) organisiert, die Räumlichkeiten ansprechend, die Geschlechterquote auf der Bühne ausgewogen. Die Themenauswahl hätte aber breiter sein können, denn abgedeckt waren so gut wie nur die  Ressorts „Wirtschaft“, „Innenpolitik“ und „Außenpolitik“. Feuilleton, Wissenschaft und Sport waren leider so gut wie kein Thema. Dabei gilt es auch in diesen Sparten, die eigenen journalistischen Arbeitsweisen immer wieder kritisch in Frage zu stellen. Journalist_innen mit Migrationshintergrund oder People of Colour fehlten ebenfalls auf der Bühne. Blogs und soziale Netzwerke kamen in den Diskussionen fast nur als Gegenspieler_innen der klassischen Medien vor. Dabei hat Österreich doch grandiose Projekte wie zum Beispiel neuwal.com. Freie Medien (wie z.B. die freien Radios, freie Kanäle oder Zeitschriften wie MALMÖ oder über.morgen) wurden weitestgehend ignoriert, dabei findet sich wirklich kritischer Journalismus oft in diesen Redaktionen. Wünschenswert wären neben einem kritischeren Umgang mit Sprache auch mehr Diskussion zur Zukunft von Journalismus, mehr Visionen darüber, wie Medien in zehn Jahren funktionieren könnten, gewesen.

Allerdings: Die Journalismustage 2015 sind angedacht und bringen hoffentlich einen tiefergehenden Diskurs über die österreichische Medienlandschaft.

 

Anmerkung: Auch Maximilian H. Tonsern besuchte die Veranstaltung. Seinen Eindruck könnt ihr hier nachlesen.

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

 

Webtipp: http://journalismustage.at/

Twitternachlese: #jt14

Liberal, demokratisch, deutschnational?

  • 20.03.2014, 16:43

Immer wieder versuchen Burschenschaften, ihre Rolle während der Deutschen Revolution 1848 zu glorifizieren und ihre Beteiligung am Nationalsozialismus kleinzureden. Ein Fest am 8. Mai soll die Mythen der Burschenschaften zementieren.

Immer wieder versuchen Burschenschaften, ihre Rolle während der Deutschen Revolution 1848 zu glorifizieren und ihre Beteiligung am Nationalsozialismus kleinzureden. Ein Fest am 8. Mai soll die Mythen der Burschenschaften zementieren.

24. Jänner, Wien. Auf den Straßen demonstrieren Antifaschist_innen gegen den von der Wiener FPÖ organisierten „Akademikerball“, in der Hofburg tanzen schlagende Burschenschaftler und rechte Politiker_innen. In den darauffolgenden Tagen und Wochen wird eins dieser Ereignisse heiß diskutiert: die Demonstrationen und ihre Kollateralschäden, vor allem umgeworfene Mistkübel und eingeschlagene Fensterscheiben. Am achten Februar findet darauffolgend in Linz der „Burschenbundball“ statt. Auch hier findet eine große antifaschistische Kundgebung statt, bei der allerdings Menschen aufgrund dunkler Kleidung von Demoordner_innen vom Rest der Demonstration ausgegrenzt wurden. Angeblich, um Szenarien wie in Wien zu vermeiden. Gebracht hat diese Entsolidarisierung außer einer fragwürdigen Spaltung der Demonstration nichts: Ein Diskurs um den Auslöser der Demonstrationen blieb, wie in Wien, aus. Stattdessen reden rechte Politiker_innen von der bedeutenden liberaldemokratischen Rolle der Burschenschaften während der Revolution 1848, im gleichen Atemzug wird dann meistens auch ihre Auflösung 1938 als „Beweis“ dafür genannt, dass die deutschnationalen Männerbünde nicht rechtsextrem seien.

166 Jahre. Für den 8. Mai hat der Wiener Kooperationsring (WKR) ein „Fest der Freude“ angekündigt. Nicht um, wie im restlichen Europa, den Sieg der Alliierten über den Nationalsozialismus, sondern die misslungene deutsche Revolution von 1848 zu feiern. 166 Jahre liegt die zurück – ein runder Jahrestag ist es nicht, den der WKR von der „Forschungsgesellschaft Revolutionsjahr 1848“ unter Leitung eines Olympia-Mitglieds ausrichten lassen will. Das geplante Großereignis wird aber nicht nur von unrunden Jahreszahlen getrübt: In Österreich wurden die ersten Burschenschaften nämlich erst 1859 gegründet. Nichtsdestotrotz will der WKR sein offenbar doch angeschlagenes Image aufpolieren, indem der Mythos, Burschenschaftler hätten in Wien 1848 für liberal-demokratische Grundwerte gekämpft, gefeiert wird.

Es ist nicht das erste Mal, dass deutschnationale Burschenschaften ihren revolutionären Moment zelebrieren . Im Mai 1998 veranstalten Burschenschaftler einen „Revolutionskommers“, der ausgerechnet in der Wiener Hofburg stattfand. Neben 130 verschiedenen Kooperationen kamen auch CV-Mitglieder und, wie die Burschenschaft Aldania stolz auf ihrer Webseite berichtet, eine „Abordnung der Südtiroler Freiheitskämpfer“. Die Burschenschaftler versuchen in ihrer Beschreibung des Fests gar nicht erst, ihre großdeutschen Intentionen zu verstecken: Die Wahlen zum „ersten und einzigen gesamtdeutschen demokratisch gewählten Parlament“ seien Anlass zum Feiern. Mit „demokratisch“ ist hier ein Wahlsystem gemeint, dass nur selbstständigen, also mit einem gewissen Besitz ausgestatteten Männern das Wahlrecht verlieh, mit Parlament die Frankfurter Nationalversammlung. Die zu erwartenden Proteste gegen das „Fest der Freude“ am 8. Mai werden wohl mit ähnlichen Argumentationsmustern von Burschenschaftlern und ihren Befürworter_innen konfrontiert sein.

Akademische Legion. Zwar beteiligten sich 1848 in Wien anfänglich tatsächlich Studenten Seite an Seite mit Arbeiter_innen und Handwerker_innen an der Revolution, dennoch war deren Ziel stets die Errichtung einer großdeutschen Nation. Der Mythos einer gemeinsamen Achse von Studenten und Arbeiter_innen starb spätestens als sich die Studenten vom Kaiser bewaffnen ließen und die „akademische Legion“ gründeten. Diese bekämpfte als Teil der Wiener Nationalgarde allzu „radikaldemokratische“ Kräfte. Der Ort für den „Revolutionskommers“ 1998 war damit vielleicht doch nicht so abstrus gewählt, wie er auf den ersten Blick scheinen mag.

Wenn sich österreichische Burschenschaften heute auf ihre Rolle in der deutschen Revolution 1848 beziehen, beziehen sie sich auf die Taten von Burschenschaftlern in Deutschland. Diese verbrannten dreißig Jahre zuvor auf der Wartburg Uniformen, „undeutsche Bücher“ und Literatur jüdischer Schriftsteller_innen, um danach eine konstitutionelle Monarchie und die Wehrpflicht für Deutschland zu fordern. Heute erscheint es eher skurril, solche Forderungen unter die Banner des Liberalismus und der Demokratie zu stellen.

Wie liberal die frühen Burschenschaften tatsächlich waren, zeigt auch das Beispiel des „Arierparagraphen“, den die Wiener Burschenschaft Libertas 1878 als erste Burschenschaft im deutschsprachigen Raum einführte. Die Idee dafür stammte vom österreichischen Antisemit Georg von Schönerer, einem Mitglied der Libertas, der die Bestimmung, nur mehr „arische“ Menschen aufzunehmen, in das deutschnationale Linzer Programm einbrachte.

Mythos Auflösung. Ein weiterer Mythos, der gerne als Schutzschild vor die Burschenschaften gehalten wird, ist deren Auflösung im Nationalsozialismus. Es stimmt, dass katholische, liberale oder zionistische Verbindungen zerschlagen wurden, die deutschnationalen Burschenschaften wurden jedoch als sogenannte Kameradschaften in den nationalsozialistischen deutschen Studentenbund (NSDStB) aufgenommen. In Deutschland geschah dies 1935 auf der Wartburg, wo die Burschenschaftler ihre „alten Farben als Bekenntnis zur neuen Form im alten Geist feierlich ablegen“, wie der Burschenschaftenführer Otto Schwab es ausdrückte. Die Burschenschaften stellten eine direkte Verbindung zwischen ihrer Beteiligung an der Revolution 1848 und dem Nationalsozialismus her.

Auch die österreichischen Burschenschaftler, die zuvor im Untergrund für die verbotene NSDAP gekämpft hatten, sahen sich 1938 am Ziel ihres deutschnationalen Strebens: „Fast wollte es keiner glauben, dass das alles über Nacht zu Ende und der langersehnte Anschluss an das Reich durchgeführt sein sollte. Jeder kann sich noch an den unendlichen und dankbaren Jubel erinnern“, berichteten die Burschenschaftler der Kameradschaft Adolf Ritter von Guttenberg, die ehemalige Hausburschenschaft der Hochschule für Bodenkultur, Sylvania, in ihren „Kameradschaftsmitteilungen“. Der völkische Nationalismus und Antisemitismus der Burschenschaften war mit dem Nationalsozialismus ohne Weiters kompatibel. .

Die unrühmlichen Aktivitäten der Burschenschaftler endeten 1945 nicht. In den 1960er und 1970er Jahren wurden Proteste linker Studierender regelmäßig durch Kooperierte aufgelöst. Das „Fest der Freude“ im Mai jedenfalls scheint eine Imagekampagne zu sein – wohl nicht zuletzt, um die leeren Säle der Hofburg am nächsten Akademikerball wieder voller zu machen.

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

 

Press Start

  • 25.05.2015, 12:01

Absolutely terrifying
Das erste Computerspiel der Geschichte, das Mathematik- Spiel „Nim“, konnte gegen den Computer NIMROD, der 1951 für das Festival of Britain gebaut wurde, gespielt werden. Ein BBC-Reporter, der es ausprobierte, bezeichnete die Erfahrung als „absolutely terrifying“. Das erste Spiel mit grafischen Elementen war „OXO“, eine Version von „Tic-Tac- Toe“, die 1952 entwickelt wurde. Darauf folgten Kriegssimulationen und Schach-Computer. In den 1960ern verbreitete sich „Spacewar!“ in den Computerlaboratorien US-amerikanischer Universitäten. In den 1970ern begann der Siegeszug der Videospiele mit den Acarde-Spielen, die in Spielhallen und Bars aufgestellt werden. Am erfolgreichsten: die Tischtennis- Simulation „Pong“. In den 1980ern tauchten die ersten Gaming-PCs wie der Commodore 64 auf, bald bevölkerten die Geräte von Nintendo, Sega und Sony (Playstation) die Wohnzimmer. Heute sind Videospiele allgegenwärtig: Hatte der erste Gameboy 1989 noch die Maße eines Ziegelsteins, so trägt nun fast jede_r eine Mini-Spielkonsole in Form eines Smartphones in der Hosentasche.

Super Daisy Land
Videospiele lassen sich aufgrund ihres digitalen Formates leicht verändern. So verschwimmen die Grenzen zwischen Konsument_innen und Entwickler_ innen immer mehr. Vielen Spielen liegt ein Level-Editor bei, mit dem eigene Szenarien gestaltet werden können. Doch selbst dort, wo diese Tools nicht mitgeliefert wurden, finden kreative Köpfe einen Weg, Spiele zu modifizieren und sogenannte Mods, also veränderte Versionen des Originalspiels, zu entwickeln. So gibt es seit längerem Programme, mit denen sich die Grafiken von frühen Nintendo- Spielen ohne Programmierkenntnisse austauschen lassen. So rettet in „Super Daisy Land“ zur Abwechslung die Prinzessin den Installateur. In der Datenbank Mutation.fem finden sich Grafiken und Sounddateien für weibliche Charaktere, um mit ihnen die meist männlichen Helden zu ersetzen. Andere Mods haben fast nichts mehr mit dem ursprünglichen Spiel gemeinsam. Das experimentelle Kunstspiel „Dear Esther“ wurde zum Beispiel mit dem Unterbau eines Egoshooters entwickelt und sogar das berühmte „Counter-Strike“ war ursprünglich eine Mod.

Game over! Insert coin!
Die ersten Acarde-Games kosteten 25 US-Cent pro Spiel. Wer das nötige Geschick hatte, konnte das Spiel in einem Zug durchspielen. Wer verlor und die Game-over-Botschaft sah, konnte sich mit einer weiteren „Quarter“-Münze die nächste Chance kaufen. Spiele und Geschäftsmodelle haben sich seitdem stark verändert: Seit 2009 nimmt die Spieleindustrie mehr Geld ein als die Filmindustrie. 2013 waren es weltweit knapp 52 Milliarden Euro. Allerdings verschlingen große Blockbuster-Titel wie „Grand Theft Auto V“ auch enorme Summen: Produktion und Marketing kosteten 211 Millionen Euro, bis zu 1.000 Menschen arbeiteten an dem Spiel. Neben dem bekannten Modus, einmalig für ein Spiel zu zahlen, haben sich in den letzten Jahren weitere Modelle entwickelt: Bei Online-Multiplayer- Games sind oft monatliche Gebühren fällig, andere Entwickler_innen lassen sich per Crowdfunding ihr Spiel vorfinanzieren. Auf mobilen Plattformen sind „Freemium“-Modelle beliebt: Das eigentliche Spiel ist gratis, aber für bestimmte Spielobjekte, Optionen oder gar leichteren Spielerfolg muss gezahlt werden.

Do it yourself!
Wer selbst ein Spiel entwickeln will, muss heute nicht mehr programmieren können. Mit Tools wie auf stencyl.com oder gamesalad.com lassen sich Spiele kreieren, ohne eine einzige Zeile Code zu schreiben. In ihrem Buch „Rise of the Videogame Zinesters“ beschreibt die Spielentwicklerin Anna Anthropy den Anfang einer neuen Kultur von Hobby-Entwickler_innen, die Games dafür benutzen, ihre persönlichen Geschichten zu erzählen: ein langsamer Paradigmenwechsel von grafisch perfekten Studio-Blockbustern zu selbstgemachten, oft experimentellen Spielen, die gute und ergreifende Geschichten erzählen. Manche Hobby-Entwickler_innen nehmen an Marathons teil und klicken innerhalb von ein paar Stunden mit dem eigentlich für Kinder gedachten Entwicklungstool „Klik & Play“ ein Spiel zusammen. Wer sich mit Text wohler fühlt, kann mit „twine“ (twinery.org) eigene Textabenteuer schreiben, die als Webseite veröffentlicht werden können. Der eigenen interaktiven Geschichte stehen also nur noch so lästige Dinge wie Hausarbeiten und Prüfungen im Weg.

ÖH-Simulator 3000
Politiker_innen reden nicht sehr oft über Videospiele. Meistens werden Verbote oder Indizierungen von sogenannten „Killerspielen“ diskutiert, im besten Fall werden Spiele als Industrie und damit als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen. Um diese Berührungsängste abzubauen, fand 2011 im deutschen Bundestag eine LAN-Party statt. In Österreich wurde das Medium Computerspiel schon von Politiker_innen im Wahlkampf benutzt: Das geschmacklose Minarett-Spiel der FPÖ Steiermark ist ein abschreckendes Beispiel. Spieler_innen haben in vielen anderen Spielen aber die Möglichkeit, in die Rolle von Politiker_innen zu schlüpfen: als Bürgermeister_ in in „Sim City“ oder Diktator_in einer kleinen tropischen Insel in „Tropico“. Wer ein ganzes Land nach seinen politischen Vorstellungen regieren will, kann das in „Democracy“ ausprobieren. Sachzwänge und verschiedene Interessensgruppen können die eigene Utopie dabei aber vermiesen. Einzig eine ÖH-Simulation fehlt noch im Reich der Politik-Spiele.

Grenzen des Spiels
Was ist eigentlich ein Spiel? Die Entwicklerin Anna Anthropy definiert Spiele als „an experience created by rules“, also eine Erfahrung, die durch Regeln zustande kommt. Das trifft allerdings auch auf die Steuererklärung zu, die auch durch diese Definition nicht spaßiger wird. Experimentelle Spiele brechen mit den Konventionen des Mediums und stellen die Frage, was überhaupt alles ein Videospiel sein kann, immer neu. In dem als Kunstprojekt programmierten „The Endless Forest“ nehmen die Spieler_innen die Rolle eines Hirsches ein, den sie durch einen endlosen Wald navigieren können. Viel mehr Inhalt hat das Spiel nicht: Mit anderen Spieler_innen lässt sich durch verschiedene Aktionen nonverbal kommunizieren, aber es gibt keine Ziele oder Levels. In „Desert Bus“ kann die achtstündige Busfahrt von Tucson nach Las Vegas nachgespielt werden – in Echtzeit, ohne Möglichkeit zum Pausieren oder Speichern. Wer das schafft, darf zur Belohnung wieder zurückfahren.

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