Beam us up

  • 24.06.2015, 20:47

Science-Fiction ist mehr als nur Unterhaltung. Sie regt zum Träumen an: über medizinische Scanner, Weltraumkanonen und utopische Gesellschaften.

Science-Fiction ist mehr als nur Unterhaltung. Sie regt zum Träumen an: über medizinische Scanner, Weltraumkanonen und utopische Gesellschaften.

„Er ist tot, Jim.“ Dieser Satz wurde wegen des hohen Verschleißes an Statist_innen zum Markenzeichen des grantigen Schiffsarztes McCoy aus der originalen Star Trek-Serie der 1960er. Doch bevor „Bones“ seine Diagnose stellen konnte, bediente er sich eines speziellen Gerätes, dem Tricorder: ein medizinischer Scanner, der dem Weltraumarzt ohne Berührung alle möglichen Daten über seine Patient_innen verriet. Bis das Realität wird, müssen wir allerdings nicht mehr allzu lange warten: Vor kurzem präsentierte die Firma Scanadu ihren „Scout“, der wie das Vorbild aus Star Trek funktioniert und Daten wie Puls, Körpertemperatur, Blutdruck, Atemfrequenz und den Sauerstoffgehalt im Blut messen kann. „Um 1800 wurde das Thermometer erfunden. Das war bisher die letzte große Revolution im Bereich medizinischer Diagnose, die zu Hause durchgeführt werden kann“, erklärt Walter de Brouwer, der Gründer von Scanadu, das passenderweise ein Spin-off der US-Raumfahrtbehörde NASA ist.

TRICORDER™. Allerdings bauen noch neun andere Teams im Rahmen eines Wettbewerbs des Prozessorherstellers Qualcomm an medizinischen Tricordern. Der hat dafür nicht nur zehn Millionen US-Dollar Preisgeld bereitgestellt, sondern auch Lizenzgebühren für die Verwendung des Begriffs „Tricorder" gezahlt. Das zeigt nicht nur, dass Erfinder innen und Designer_innen sich bei ihrer Arbeit von Science-Fiction inspirieren lassen, sondern  auch,  dass  Firmen  bereit  sind, Geld dafür zu zahlen, um ihre Geräte nach ihrer Inspiration benennen zu dürfen. Und auch wenn die Mondlandung letztendlich mit einer Rakete und nicht statt wie von Jules Verne beschrieben mit einer Kanone durchgeführt wurde: Das heißt nicht, dass niemand es versucht hätte. Das US-Militär versuchte in den 1960er Jahren mit dem Projekt HARP eine von Verne inspirierte Weltraumkanone zu bauen.

In seinem Essay „Design Fiction“ erklärt der Künstler Julian Bleecker, warum sich Science-Fiction und De- sign so nahe sind: „Bei Science-Fiction erschaffen Autor innen Prototypen anderer Welten, anderer Erfahrungen, anderer Kontexte für Leben. Designte Objekte können sehr ähnlich verstanden werden.“ Wer einen Prototyp erschaffen will, schaut sich also erst einmal die fiktiven Prototypen von Sci-Fi-Autor_innen an. Die Geschichte kann übrigens auch anders verlaufen: Syd Mead, der als Konzeptkünstler für Filme wie Blade Runner, Alien oder Tron gearbeitet  hat, verdiente sein Brot vor seiner Karriere in Hollywood als Designer für den Automobilhersteller Ford.

Illustration: Veronika Lambertucci

HOSENTASCHENAVANTGARDE. Was ist überhaupt  Science-Fiction? So einfach ist die Frage gar nicht zu beantworten, gibt es doch einige Möglichkeiten der Definition. Beispielsweise sagt der Autor Basil Davenport: „Science-Fiction ist Fiktion, die auf der imaginierten Entwicklung der Wissenschaft oder auf der Extrapolation von gesellschaftlichen Tendenzen beruht.“ Einer der bekanntesten Science- Fiction-Schriftsteller seiner Zeit, der Biochemiker Isaac Asimov, meinte dagegen: „Science-Fiction kann als Zweig der Literatur definiert werden, der sich mit der Reaktion von menschlichen Wesen auf Veränderungen in Wissenschaft und Technik beschäftigt." Der Sci-Fi-Begriff setzt sich aus den englischen Wörtern science und fiction zusammen. Sci-Fi hat sich erst mit der stärkeren Entwicklung eines zunehmenden Interesses an Wissenschaft und Technik in der Literatur etabliert. Als Begründerin des Genres gilt die Schriftstellerin Mary Shelley, die mit ihrem Roman „Frankenstein“, den sie während eines sehr verregneten Sommerurlaubs schrieb, große Erfolge erzielte. Weitere frühe Science-Fiction Werke wurden von Jules Verne („Reise zum Mittelpunkt der Erde“) und H. G. Welles („Die Zeitmaschine“) verfasst, die sich mit  wissenschaftlich-romantischen und technisch-gesellschaftskritischen Themen befassen. Heute wirken viele dieser Geschichten, gerade jene von Jules Verne, antiquiert, weil die großen technischen Errungenschaften, von denen sie erzählen, in vielen Fällen zum alten Eisen gehören: Ein U-Boot oder eine Raumkapsel mögen zwar immer noch imposante technische Gefährte sein, sie versprühen aber nicht mehr den avantgardistischen Charme, den sie im 19. Jahrhundert hatten. Erfindungen wie Videokonferenzen oder Nachrichtensendungen passen heute in die Hosentasche.

In den 1920er Jahren wurde Sci-Fi immer populärer, die Geschichten wurden in sogenannten Pulp-Fiction-Heftchen wie den berühmten „Amazing Stories“ verkauft. Ende der 1930er begann dann das sogenannte „Golden Age“, in dem besonders durch Geschichten von Autor_innen wie John W. Campbell, Clare Winger Harris und Catherine Lucille Moore immer mehr Leser_innen in den Bann futuristischer Welten gezogen  wurden. Der Fokus der Erzählungen entwickelte sich weg von der Technik hin zu den Benutzer_innen und ihrem Umgang mit der Technik. So schrieb zum Beispiel Karel Capek über das Problem von Robotern mit Selbstbewusstsein. In der Nachkriegszeit wuchs insbesondere in den USA die Popularität der Sci-Fi: In Filmen wie „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ von Robert Wise konnten tabuisierte Themen wie die Angst vor einem Atomkrieg verarbeitet werden. In der Sowjetunion konnte Systemkritik in die ferne Zukunft geschoben und so an den Augen der Zensor_innen vorbeigebeamt werden.

THE KISS. Bei Star Trek waren Atomkriege und Systemkritik kein Thema: In dieser Zukunft leben und arbeiten Menschen aller Ethnien ohne Probleme zusammen. Besonders die Rolle von Nichelle Nichols, die die Kommunikationsoffizierin Uhura spielte, war für die 1960er Jahre bahnbrechend: Sie war die erste schwarze Frau in einer Führungsposition im US-Fernsehen. Ein Kuss zwischen ihr und Captain Kirk war der erste Kuss zwischen einem weißen Mann und einer schwarzen Frau der Fernsehgeschichte. Mit realen Folgen: Sowohl die Schauspielerin Whoopi Goldberg als auch die Physikerin und Astronautin Mae Jemison nannten Uhura als Inspiration für ihre Karrieren. Utopien und Dystopien gibt es aber schon wesentlich länger. Unter den Begriffen wird immer eine alternative Gesellschaftsordnung verstanden, in einem Werk wird also eine andere Gesellschaft visualisiert. Sowohl Utopien als auch Dystopien haben einen gesellschaftskritischen Charakter und hinterfragen bestehende Ordnungen. Besonders in Science-Fiction-Filmen unterwirft sich die Gesellschaft oft entweder einer neuen Klassenstruktur oder überwindet diese komplett. Ein Beispiel für ersteres ist die Zweiklassengesellschaft im Filmklassiker „Metropolis“. 

U- ODER DYSTOPIE? Mit einer gesellschaftskritischen Perspektive soll Sci-Fi die derzeitigen politischen Missstände aufdecken und die Leser_innen zu neuen Ansätzen anregen. Eines der frühesten Werke dieser Art ist der französische Roman „Das Jahr 2440. Ein Traum aller Träume“ von Louis-Sébastien Mercier. Er beschrieb 1771 eine Zukunft ohne Monarchie, in der alle Bürger_innen von Paris Intellektuelle sind, die sich freiwillig einer moralischen Zensur unterwerfen: Was als Utopie gedacht war, könnte heute auch als Dystopie gelesen werden.

Illustration: Veronika Lambertucci

Das mag aber auch daran liegen, dass wir heute  oft  mit  dieser Spielart zu tun haben: In der Science-Fiction des späten 20. Jahrhunderts wurden dys- topische Erzählungen immer wichtiger. Technische Errungenschaften und Entwicklungen werden nicht mehr als Standarten einer besseren Zukunft gesehen, sondern im Gegenteil als Bedrohung.  Beispiele  sind  Serien wie „Fringe", in denen neue Erfindungen die Menschheit bedrohen. Themen wie Krisen des Kapitalismus, totalitäre Gewaltherrschaft, Furcht vor atomaren Massenvernichtungswaffen und anderen Katastrophen, die zu neuen Kriegen führen könnten, sind Szenarien dystopischer Erzählungen. Postapokalyptische Weltuntergangsgeschichten, die unter dem Oberbegriff „Dark Future“ bekannt sind, spiegeln heute wohl oft die Angst vor der drohenden Klimakatastrophe wider, ohne diese je- doch unbedingt explizit zu benennen. Der damals „teuerste Film aller  Zeiten“, „Waterworld“, ist ein drastisches Exempel für diese Spielart der Sci-Fi. Vielleicht prägen solche Filme ja eine neue Generation von Umweltschützer_ innen. Sci-Fi diente aber auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder dazu, die eigenen Vorstellungen einer besseren Welt in die Zukunft zu projizieren oder Gedankenspiele ausführen zu können. Die Autorin Ursula Le Guin beschrieb 1974 in „Die Enteigneten“ eine Utopie, in der Anarchist_innen vor autoritären Systemen auf den Nachbar innenplaneten geflohen sind. Das Buch war eins der wenigen westlichen Werke, das in der DDR erscheinen durfte, trotz Kritik am autoritären Kommunismus. In „Die linke Hand der Dunkelheit“ beschreibt Le Guin einen Planeten, dessen Bewohner_innen androgyn sind – und die Reaktion eines menschlichen  Besuchers.

SCHÖNER WOHNEN IM 26. JHD. Leben Menschen in utopischen Welten mit Raumschiffen und Tricordern besser? In ihrer Diplomarbeit „Die Technisierung des menschlichen Leibes“ schreibt die Medienwissenschaftlerin Andrea Wöger, dass der Tenor von Sci-Fi-Filmen anfangs eher ein optimistischer Fortschrittsglaube war, der sich jedoch zu einer Skepsis entwickelt hat. Heute kann jede Entfaltung, jeder Fortschritt außer Kontrolle geraten und düstere Szenarien wie etwa eine Herrschaft der Maschinen, wie wir sie aus „Matrix“ und „Terminator“ kennen, ins Rollen bringen.

Düstere Szenarien tun sich jedoch auch auf, wenn man einen genaueren Blick in die Sci-Fi-Szene wirft: Seit Jahren versuchen konservative Autor_innen und ihre Fans, die Hugo-Awards, die wichtigsten Literatur- preise der Szene, mit Nominierungsvorschlägen zu unterwandern. Den sogenannten „Sad Puppies“ zufolge würden die Preise nämlich immer nur PoC und Frauen gewinnen, eben weil sie PoC und Frauen sind; nicht etwa, weil ihre Werke literarisch anspruchs- voll und die von ihnen entworfenen Szenarien  inspirierend seien.  Zu dieser „Social Justice"-Mafia gehören im Weltbild der „Sad Puppies“ übrigens auch Filme wie „Der Hobbit“, der 2013 einen Hugo-Award erhielt. Heuer haben es besonders viele der „Sad Puppies“-Vorschläge in die Nominierungen der Hugo-Awards geschafft.

Spannend, dass bei einer Gruppe, die vorgibt, rein auf die literarische Qualität zu achten, vor allem einer der „Sad Puppies“-Initiatoren nominiert wird: John C. Wright, der 2013 zum ersten Mal wegen seiner homofeindlichen Ansichten auffiel. Letztes Jahr hat den Hugo für den besten Roman Ann Leckie mit „Ancillary Justice“ gewonnen: Sie beschreibt eine Gesellschaft, in der Geschlecht keine Rolle spielt und alle im generischen Femininum miteinander reden. Heuer ist – trotz „Sad Puppies“-Lobbyarbeit, ihr Nachfolgeroman „Ancillary Sword“ nominiert.

Vielleicht färbt Sci-Fi ja doch nicht nur auf Produktdesigner_innen ab.


Ralph Chan studiert Soziologie an der Universität Wien.
Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

AutorInnen: Ralph Chan, Joël Adami