Oktober 2010

Endstation Mundtot

  • 13.07.2012, 18:18

Die Regierung feilt an einem Terrorismuspräventionsgesetz, das eine lebendige Protestkultur gefährden könnte. Schuld daran sind vor allem unpräzise Formulierungen.

Die Regierung feilt an einem Terrorismuspräventionsgesetz, das eine lebendige Protestkultur gefährden könnte. Schuld daran sind vor allem unpräzise Formulierungen.

„Der Glaube an eine größere und bessere Zukunft ist einer der mächtigsten Feinde gegenwärtiger Freiheit.“ (Aldous Huxley)

Angst zu haben, das kennen wir. Mal sind es Banalitäten des Lebens, wie eine bevorstehende Prüfung, ein Zahnarztbesuch oder das Leben in  einer fremden Stadt. Mal geht es tiefer, wird existenzieller, wenn einem die Angst vor dem Tod die Nächte zum Tag macht. Angst besteht meist vor etwas Unbestimmtem, etwas, das vor uns liegt oder vor uns liegen könnte.
Seit 9/11 hat man mehr denn je Angst vor Terrorismus. Seit dem TierschützerInnenprozess Angst vor dem Mafiaparagraphen. Und nachdem vier AktivistInnen, die Mistkübel angezündet haben, nun die Anklage nach dem Terrorismusparagraphen droht, muss sich nun gänzlich vor dem Staat gefürchtet werden. Plant die politische Elite gegenwärtig unter dem Deckmantel Terrorismus die Zivilgesellschaft mundtot zu machen?

Terrorcamp. Am 26. April stellte Innenministerin Maria Fekter gemeinsam mit dem Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Peter Gridling den neuen Verfassungsschutzbericht 2010 vor. Sie plauderten ein wenig über die Zunahme linksextremer Delikte, die Teilnahme von etwa 20 ÖsterreicherInnen an ausländischen Terrorcamps und den Rückgang von Strafrechtshandlungen von militanten Tierrechtsgruppen auf ganze drei Fälle.
Alles in allem wurde festgestellt, dass keine größere Bedrohungen der Sicherheit Österreichs bestehe. Damit das so bleibt, verwies Fekter stolz auf das im April im Ministerrat durchgewinkte Terrorismuspräventionsgesetz: „Radikalisierung und Extremismus haben keinen Platz in unserem Land. Daher ist das Terrorismuspräventionsgesetz ein unverzichtbarer Baustein für die Grundwerte unseres Rechtsstaates.“
Was zur Vollendung dieses Terrorismuspräventionsgesetzes noch fehlt, sind die Paragraphen 278e (Ausbildung für terroristische Zwecke), 278f (Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat) und 282a (Aufforderung zu terroristischen Straftaten und Gutheißung terroristischer Straftaten), über die in einem Justizausschuss im November wohl noch heftig debattiert werden wird.
Schon im Jänner hagelte es Kritik aus der Zivilgesellschaft, nicht nur in Bezug auf die oben genannten Paragraphen, sondern auch hinsichtlich der Paragraphen 278a (Bildung einer kriminellen Organisation), 278b (Bildung einer terroristischen Vereinigung), 278c (Terroristische Straftaten), 278d (Terrorfinanzierung), die bereits in Kraft getreten sind.
Die Mehrheit jener, die sich in den Stellungnahmen auf der Parlamentsseite äußerten, forderte eine komplette Abschaffung der Entwürfe. Das Gesetz sei „absurd“, bestenfalls in der „Müllverbrennungsanlage“ aufgehoben, hier würde man unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung BürgerInnenrechte, ja sogar Meinungs- und Pressefreiheit untergraben. Sämtliche JuristInnen sprechen von zu unpräzisen Formulierungen und einer völlig überzogenen Erweiterung des Strafrechts.
Auffallend war der Verweis der PolitikerInnen, internationale Abkommen einhalten zu müssen. Seit 9/11 hat sich in der westlichen Welt ein regelrechter Sicherheitswahn entwickelt. Rahmenbeschlüsse wie der europäische Haftbefehl, die davor jahrelang auf Eis gelegt waren, wurden in nur wenigen Monaten durchgepeitscht. Plötzlich waren polizeiliche und justizielle Sonderbefugnisse – Stichwort Überwachung und Lauschangriff – zum Wohle der „braven BürgerInnen“ besser argumentierbar. Nach und nach verschoben sich die Verdachtslogik der Nachrichtendienste und die Beweislogik der Justiz.

Online Durchsuchungen. Sämtliche Antiterrorgesetze und Rahmenbeschlüsse zur Prävention von Terrorismus zeichneten den Weg vor, dass bereits der bloße Verdacht der Begehung einer terroristischen Tat genügt, um eine Person strafrechtlich zu verurteilen. „Österreichs Kampf gegen den Terrorismus ist im internationalen Vergleich noch recht zögerlich. Onlinedurchsuchungen, die in Deutschland bereits angewendet werden, sind bei uns noch nicht genehmigt. Auch ist es im Moment unvorstellbar, Personen, die als TerroristInnen verdächtigt werden, zu inhaftieren – wie es in Großbritannien der Fall ist", sagt Ingeborg Zerbes vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien.
Kann man nun aufatmen, weil Österreich nicht die Speerspitze der Terrorismusgesetzgebung ist? Nein – sind sich unter anderen der Österreichische Rechtsanwaltskammertag, das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte oder Amnesty International (Österreich) einig. Der Hund liegt nämlich im Detail begraben: In der Formulierung der Gesetze, die äußerst unpräzise und weit gefasst ist. Hier ein kleiner Auszug:

§ 282a. (1) Wer in einem Druckwerk, im Rundfunk oder in einem anderen Medium oder sonst öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird […].
(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer auf die im Abs. 1 bezeichnete Weise eine terroristische Straftat (§ 278c Abs. 1 Z 1 bis 9 oder 10) in einer Art gutheißt, die geeignet ist, das allgemeine Rechtsempfinden zu empören oder zur Begehung einer solchen Handlung aufzureizen.

Allein dieser Gesetzestext wirft dutzende Fragen auf: Ist es strafbar, wenn man die Vorgehensweise der Attentäter auf das World Trade Center detailliert in einem stark frequentierten Blog zu beschreiben? Was geschieht, wenn das Stauffenberg-Attentat gutgeheißen wird? Wie weit darf gegangen werden, um das Rechtsempfinden zu empören? Gerhard Benn-Ibler vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag äußert sich dazu mit den Worten: „Diese Straftaten zu potentiell terroristischen zu machen, verlässt endgültig den Bereich des Vertretbaren.“

Unibrennt-Bewegung. Je nach Auslegung könnte auch die jüngste Audimax-Besetzung Elemente einer terroristischen Straftat erfüllen. Konkret heißt es im Paragraph 273c, dass folgendes unter eine terroristische Straftat fällt: Wenn die Tat dazu geeignet ist, „eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens […] herbeizuführen“. Nun ist die Unibrennt-Bewegung logischerweise darauf ausgerichtet, durch eine langhaltende Besetzung das öffentliche Leben zu stören, um die Behörden zum Handeln zu zwingen.
Das wohl aktuellste Beispiel dafür, wie das neue Terrorismuspräventionsgesetz missbraucht werden könnte, ist die mögliche Anklage nach Paragraph 278b (Bildung einer terroristischen Vereinigung) der vier Wiener Studierenden, die. in der Nacht von 26. auf 27. Juni zwei Mistkübel vor der Filiale des Arbeitsmarkservice in der Wiener Redergasse im fünften Bezirk angezündet haben sollen. Im Moment wird wegen verbrecherischem Komplott, Brandstiftung und Sachbeschädigung gegen sie ermittelt und geprüft, ob der Paragraph 278b auf sie anwendbar ist.
Würden die vier, die auch an der Unibrennt-Bewegung mitwirkten, nach dem Paragraph 278b angeklagt werden, so könnte auch die studentische Protestbewegung ins Visier der Behörden geraten.
Es scheint nicht gut zu stehen um die politische Kultur in diesem Land. Anstatt die Zivilgesellschaft zu schützen, werden ihre Freiheiten beschnitten. Anstatt sie zum Reden und Handeln zu ermuntern, wird Angst geschürt. Angst vor dem Staat zu haben ist fatal für eine Demokratie.

Sinn und Unsinn von Praktika

  • 13.07.2012, 18:18

Der offizielle Sinn eines Praktikums während der Studienzeit ist relativ naheliegend: Berufserfahrungen zu sammeln. Doch wird dieses Ziel auch wirklich erreicht und vor allem: Ist dieses Ziel genug, um den oft steinigen Weg zu rechtfertigen? – Ein Kommentar.

Der offizielle Sinn eines Praktikums während der Studienzeit ist relativ naheliegend: Berufserfahrungen zu sammeln. Doch wird dieses Ziel auch wirklich erreicht und vor allem: Ist dieses Ziel genug, um den oft steinigen Weg zu rechtfertigen? – Ein Kommentar.

Viele PraktikantInnen werden als billige Arbeitskräfte missbraucht und nur allzu oft lernen sie dabei nicht einmal sonderlich viel über den eigentlichen Job, sondern bekommen Aufgaben zugeteilt, die sonst niemand machen möchte. Gerade im sozialen Bereich dürfen sie nicht einmal mit einer Entlohnung für ihre Dienste rechnen, und wenn, dann ist es meist eher angebracht, diese kleine Summe als Entschädigung zu bezeichnen denn als tatsächlichen Lohn. Aber auch hier bestätigen natürlich Ausnahmen die Regel: Einige wenige glückliche PraktikantInnen können gleich mit dem Einstiegsgehalt von regulären MitarbeiterInnen in einem Betrieb anfangen. Da dies aber eben leider nur die Ausnahme ist, stellt sich die Frage: Warum sollte ich tun, was von mir verlangt wird, wenn ich dies absolut nicht will und ich noch nicht einmal dafür entlohnt werde? In einigen Studienrichtungen sind Praktika ja verpflichtend. Gerade hier und wiederum gerade im Sozialbereich ist die Wahrscheinlichkeit, dafür bezahlt zu werden, sehr gering. Dafür ist allerdings ein anderer Ansporn gegeben: Du wirst für das, was du tust, bewertet und diese Bewertung fließt in den Studienerfolg ein. Wenn ich jedoch aus eigenem Antrieb ein Praktikum mache und mir dieses dann nicht zusagt, ich das Gefühl habe, bloß ausgebeutet zu werden – was hält mich davon ab, alles sofort wieder hinzuschmeißen, wenn ich dafür weder sinnbringende Erfahrung, noch verwendbare Kontakte, noch Geld bekomme? Ich würde sagen, nichts. Also, fades Praktikum ade, ich wende mich lieber einem anderen zu, das mir Spaß macht. Und vielleicht gibt’s als i-Tüpfelchen sogar noch ein bisschen Bares oben drauf. Studierende haben’s ja schließlich nicht unbedingt so dick.

Der richtige Zeitpunkt. Ob es überhaupt notwendig ist, während des Studiums Berufserfahrung zu sammeln, ist eine andere Frage. Eigentlich sollte ein Studium an sich schon genug Vorbereitung auf das Berufsleben bieten, vor allem die Bachelorstudiengänge, die sich ja genau damit so sehr zu rühmen versuchen. Ich halte es allerdings sehr wohl für sinnvoll, sich das wirkliche Leben außerhalb der Uni oder FH einmal anzusehen, bevor sie eineN sozusagen ins kalte Wasser schmeißen. Klug wäre es wahrscheinlich auch, dies nach einer nicht allzu hohen Semesteranzahl zu tun. Wenig ist zermürbender als mit einem Studienabschluss in der Tasche in einem Beruf zu landen, von dem du dann herausfinden musst, dass er nicht das Richtige für dich ist. Außerdem kann es natürlich auch bereits während der Ausbildung nicht schaden, sich gewisse Bänder zu knüpfen.

Kontakte knüpfen. Im Zuge eines Berufspraktikums erschließt sich die Möglichkeit, nicht nur einen Arbeitsbereich und die wirkliche Arbeitswelt kennen zu lernen, sondern auch gleich einige Pfade auszutreten, deren Betreten nach dem Studium dadurch erleichtert wird. Und wenn du nach dem Studienabschluss schon weißt, welches Arbeitsklima und welche KollegInnen dich im Beruf erwarten, dann ist die wirkliche Welt doch gleich um einiges weniger anonym und beängstigend. Selbst wenn ich in einem Praktikum herausfinden sollte, dass ich diese Arbeitsstelle sicher nie wieder betreten möchte, so bin ich zumindest um diese Erfahrung reicher geworden und weiß, wo ich mich später nicht mehr bewerben muss. Auch die umgekehrte Variante des Kontakte-Knüpfens ist sicherlich nützlich: In einem Betrieb, in dem ich schon gearbeitet habe, muss ich nicht mehr lange getestet und eingeschult werden, sondern ich kann direkt dort eingesetzt werden, wo ich gut bin. Dies ist sowohl ein Argument für den Betrieb, mich zu nehmen, da die dortigen MitarbeiterInnen sich dadurch natürlich Arbeit sparen und auch für mich selbst vorteilhaft, weil ich schon weiß, was ich hier machen kann und möchte.

Allheilmittel

  • 13.07.2012, 18:18

Bildungspolitik wird derzeit in Österreich so heiß diskutiert wie schon lange nicht, allerdings mangelt es in der Diskussion an neuen Ideen. Schon werden die „Allheilmittel“ Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen aus der Schublade gezogen. Während Wissenschaftsministerin Karl agiert wie ein hilfloser Käfer, der am Rücken liegt, dreht sich die Diskussion um die Zukunft der Hochschulen weiter im Kreis.

Bildungspolitik wird derzeit in Österreich so heiß diskutiert wie schon lange nicht, allerdings mangelt es in der Diskussion an neuen Ideen. Schon werden die „Allheilmittel“ Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen aus der Schublade gezogen. Während Wissenschaftsministerin Karl agiert wie ein hilfloser Käfer, der am Rücken liegt, dreht sich die Diskussion um die Zukunft der Hochschulen weiter im Kreis.

Die Wissenschaftsministerin möchte auf den Hochschulen die besten Köpfe Österreichs versammeln, die Drop Out Rate senken und mehr Studierende für die so genannten MINTFächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) begeistern. Das alles will sie durch Zugangsbeschränkungen erreichen und findet bei RektorInnen, Industriellenvereinigung und in der ÖVP großen Zuspruch. Als Standardbeispiel für den Erfolg von Zugangsbeschränkungen wird gerne auf das Medizinstudium mit der Einführung des EMS-Tests verwiesen. Dass jedoch seit 2006, als der Test zum ersten Mal durchgeführt wurde, die soziale Durchmischung an den medizinischen Universitäten Wien und Innsbruck stark gesunken ist, Frauen benachteiligt und so weniger oft zum Studium zugelassen werden und nebenbei die Nachhilfeindustrie für Hochschulprüfungen boomt, wird verschwiegen. Wie es auch gedreht wird sind auch heuer wieder nur 45 Prozent der StudienanfängerInnen in Medizin Frauen. Obwohl mehr Frauen als Männer zu diesem Test antreten. Auch der Versuch über die zusätzliche Testung von sozialen Kompetenzen in Graz änderte an der Benachteiligung von Bewerberinnen nichts.

Das Zauberwort heißt MINT. Publizistik als so genanntes Massenstudium wurde mit einer Aufnahmeprüfung versehen, die so abschreckend wirkte, dass sich in Wien weniger Studierende angemeldet haben, als Plätze zur Verfügung stünden. Auch dieses Faktum wird vom Wissenschaftsministerium gern als Zeichen gesehen, dass sie sich auf richtigen Pfaden bewegen. Es bleibt abzuwarten wohin die Studierendenströme ausweichen, denn dass es zu Verdrängungseffekten kommen wird, war bereits bei Psychologie zu beobachten. So wird das nächste Fach zum Massenfach, dann wohl auch beschränkt, so dass die Studierenden wieder ausweichen, fertig ist der Teufelskreis. Fakt ist, dass das Modell Planwirtschaft im 10-Jahres Takt auf den Hochschulsektor nicht anwendbar ist. Wenn Gehrer vor zehn Jahren Panik verbreitet hat in Österreich gäbe es viel zu viele LehrerInnen und LehramtstudentInnen würden brotlos ohne Arbeit enden, so zeigt sich heute, dass derartige Eingriffe in Studienwahlentscheidungen kein gutes Ende nehmen. So droht uns in den nächsten Jahren dank Pensionierungswelle auch ein Mangel an zukünftigen ÄrztInnen, aber von einer Aufstockung der Plätze in Wien, Innsbruck und Graz oder dem Bau einer Meduni Linz, will im Ministerium niemand etwas wissen. Im Ministerium wird lieber fleißig Werbung für die unterbesetzten MINT-Fächer betrieben. Wer Publizistik oder Psychologie studieren möchte, lässt sich im Regelfall auch nicht durch tägliche Inserate in diversesten Printmedien von den Vorzügen eines MINT-Studiums überzeugen. Dass die Kapazitäten in Informatik in Wien längst ausgeschöpft sind, weil kein Geld für neue Infrastruktur und Lehrmittel da ist, scheint dabei egal zu sein. Karl will auf den Hochschulen die besten Köpfe versammeln. Die „besten Köpfe“ Österreichs werden aber kaum nützlich sein, wenn sie nicht das studieren können, was sie möchten, geschweige denn, dass, dank chronischer Unterfinanzierung, die derzeitigen Studienbedingungen zu Hochleistungen anspornen.

Fünf vor Zwölf. Österreich braucht eine Gesamtstrategie im Bildungsbereich, scheitert aber am politischen Hick-Hack der verschiedenen Parteien. Bildung darf in ihren einzelnen Segmenten, angefangen beim Kindergarten, über den Pflichtschulbereich, bis hin zur höheren Bildung nicht weiter isoliert betrachtet werden. Es ist also auch nicht förderlich zwei Ministerien mit derselben Materie zu beschäftigen, denn nichts kann eine tiefgreifende Reform besser verhindern, als willkürlich zwischen zwei Parteien aufgeteilte Kompetenzen.
Die Uhr tickt, denn ab 2012 ist Peak Student erreicht, das heißt, dass ab diesem Zeitpunkt auf Grund sinkender MaturantInnenzahlen auch die StudienanfängerInnenzahlen sinken werden, und das in einem Land, das im Bezug auf StudienanfängerInnen, ohnehin schon 17 Prozent unter dem OECD-Schnitt liegt. Umso absurder ist es gerade jetzt die Studienfächer zu beschränken und so die Zahl der Studierenden weiter zu dezimieren. Doch der Kurs, der bei Gehrer begann, wird auch nach der Ära Hahn fortgeführt. Wenn die Politik weiterhin auf ein Allheilmittel im Bildungssektor wartet, wird sich an der Misere nichts ändern, mittlerweile gibt es einfach zu viele Baustellen. Wohin uns das alles führt wird sich zeigen, die Folgen dieser desaströsen Politik werden wohl auch noch die nächsten Generationen beschäftigen. Frei nach Kafka liegt der Käfer weiter auf seinem Rücken, seine vielen Beine flimmern ihm hilflos vor den Augen.

Die ewige Party

  • 13.07.2012, 18:18

Nach Rom gehen und kein Italienisch sprechen ist ein Sprung ins kalte Wasser. Und ein Abenteuer mit Irrwegen.

Nach Rom gehen und kein Italienisch sprechen ist ein Sprung ins kalte Wasser. Und ein Abenteuer mit Irrwegen.

Kaum war ich in Rom angekommen, in diesem verregneten Jänner, flatterten die E-Mails beinahe täglich in meinen Posteingang.
„Benvenuto, ti invitiamo al Cuccagna Pub – il piu famoso Cocktail Bar!!! Cocktails per gli studenti Erasmus solo 3,50€, vieni vieni!!“
Morgen wird es eine Einladung in die In-Disco Loft sein, übermorgen eine Einladung zum Picknick im Circo Massimo, Sackhüpfen inklusive - Wein und Bier wird vom Erasmus Student Network (ESN) gratis zur Verfügung gestellt. Demnächst steht auch die „Elegant Party“ im Alpheus an, und schon jetzt wird auf den zweitägigen Ausflug nach Sizilien aufmerksam gemacht.
Mangels Alternativen geht es heute Abend also in die Cuccagna- Bar, malerisch gelegen in einer Seitengasse des „schönsten Platzes Europas“, dem Piazza Navona, mitten im centro storico von Rom. Die ewige Stadt platzt vor kulturellen Highlights, kleinen Plätzen, Kunstschätzen aus allen Epochen der Geschichte; an jeder Ecke gibt es etwas Neues zu entdecken. Rom ist ein spannendes Chaos, erfüllt mit Autohupen, Vespagetröte und Handyklingeltönen. Das kann mitunter auch stressig und verwirrend sein.
80 Prozent aller Erasmusstudierender halten sich das erste Mal für längere Zeit im Ausland auf, daher gibt es auch hier in Rom einen Ableger der Non-Profit-Organisation ESN, die versucht, den Neulingen den Einstieg leichter zu machen, indem sie Partys, Ausflüge und ähnliche Gelegenheiten zum interkulturellen Austausch organisiert. ESN bietet einen ersten Anker in einer neuen fremden Stadt. Man hat vielleicht noch kein Zimmer in Rom, aber nach nur einer Woche schon hunderte neue FreundInnen, die aus allen Ländern Europas kommen.

Die Sprachbarriere. Es sind die kleinen und großen Probleme des Auslandsemesters, die die Erasmus- Studierenden zusammenschweißen. Wie finde ich ein günstiges Zimmer, wie finde ich mich auf der fremden Uni zurecht? Und über allem steht die Sprachbarriere. Während der durchschnittliche Erasmus-Studierende gut Englisch spricht, ist das unter den heimischen italienischen Studierenden nicht so sicher. In der Cuccagna scheinen alle recht froh darüber zu sein, dass alle mit den gleichen Problemen kämpfen. Und so stößt man gerne gemeinsam darauf an.
Anschluss finden kann man hier nur zu anderen Erasmus-StudentInnen, denn die genießen bei fast allen ESN-Veranstaltungen ermäßigten oder gar freien Eintritt, während ItalienerInnen immer den (teils sehr hohen) Normalpreis zahlen müssen. Wie man Kontakt zum italienischen Alltag herstellt, bleibt einem selbst überlassen. Die Möglichkeiten stehen und fallen mit den eigenen Italienisch-Kenntnissen.

Grenzüberschreitende Freundschaften. Eines Abends redet ein dänischer Politikwissenschaftsstudent im Dandy-Look gerade vor dem Lokal auf einige ItalienerInnen ein. „Franco Fini is right! You have to beware of the immigrants!“ Manche der ZuhörerInnen wenden sich ab, bei einigen erwacht nun das Interesse. „Do you really want them to overtake Italia?! In the future you will loose your language, non c‘e Italia, solo Islamistan!“ Große Zustimmung von Seiten der ItalienerInnen. Sie prosten sich zu und legen die Arme gegenseitig um ihre Schultern. Der Beginn einer grenzüberschreitenden Freundschaft?

Nicht alles ist billig. „Erasmus ist die längste Party meines Lebens“, bringt es eine deutsche Studentin eines Abends auf den Punkt. Leider ist sie nicht die billigste. Während ErasmusstudentInnen in Rom sehr viele Vergünstigungen genießen, ist das Konzept „Erasmus“ trotzdem noch lange nicht sozial ausgereift. Bei einer durchschnittlichen Monatsmiete von 400-500 Euro pro Zimmer in Rom machen die 280 Euro monatlichen Zuschuss noch lange keine Überlebensbasis aus.
Vier Monate und drei Italienisch- Intensivkurse später sitze ich am Piazza von San Lorenzo, dem StudentInnen-Viertel von Rom. Im Sommer treffen sich hier abends täglich hunderte Studierende und lassen bei selbst mitgebrachtem Bier und Wein die Abende ausklingen. ESN ist nicht hier.
Die ESN-MitarbeiterInnen sind selber alle ErasmusabsolventInnen. Das erklärte Ziel von ESN ist, so wird mir gesagt, „holding on to the Erasmus-Spirit.“ Und was ist dieser „Erasmus-Spirit“? Ein junger Italiener meint, dass ich das wissen werde, wenn ich wieder zuhause bin. Nach einer kurzen Pause ruft ein anderer lachend herüber: „Alcohol.“, und sofort ein weiterer: „To get in touch with French and Italian boys!“

Studienzeitverzögerung

  • 13.07.2012, 18:18

Unverschuldete Verzögerungen im Studium stehen für sehr viele StudentInnen an der Tagesordnung. Ein Musterprozess der ÖH hat nun einen Entscheid hervorgebracht der bestätigt, dass das nicht passieren darf – wir rufen zur Massenklage auf.

Unverschuldete Verzögerungen im Studium stehen für sehr viele StudentInnen an der Tagesordnung. Ein Musterprozess der ÖH hat nun einen Entscheid hervorgebracht der bestätigt, dass das nicht passieren darf – wir rufen zur Massenklage auf.

Wer kennt es nicht – das Zittern zu Semesterbeginn, das sekundengenaue Einloggen in Online-Systeme beim Start der Lehrveranstaltungsanmeldung in der Hoffnung, zumindest ein paar der fehlenden Seminare zu ergattern. Doch wir haben oft Pech – und wieder heißt es ein Semester warten bis zur nächsten Chance. Der Mangel an Lehrveranstaltungsplätzen und die verschulte Struktur unserer Curricula verunmöglichen es uns oft, in der vorgesehenen Zeit zu studieren. Eigentlich haben wir aber ein Recht auf ein Studium in Mindestzeit. §54 Abs 8 des Universitätsgesetzes sieht vor, dass Studierenden keine Studienzeitverzögerung erwachsen darf und die Uni entsprechend viele Parallellehrveranstaltungen zu organisieren hat. Da sie das oft nicht tut, hat die ÖH-Bundesvertretung einen entsprechenden Fall eingeklagt. Dabei musste ein Medizinstudent der MedUni Graz lange Wartezeiten in Kauf nehmen, weil er trotz Erfüllung der Anmeldungsvoraussetzungen keinen Lehrveranstaltungsplatz erhalten hatte. Er klagte auf Schadensersatz, verlor in erster und zweiter Instanz – doch der Oberste Gerichtshof traf nun einen anderen Beschluss: Was im Gesetz steht, stimmt, Studierende dürfen keine Studienzeitverzögerungen erleiden – auch wenn es sich nur um ein paar Wochen handelt. Deshalb kann der Grazer Student nun seinen Anspruch auf Schadensersatz geltend machen. Die einzige Einschränkung, die der OGH trifft, sind „massive wirtschaftliche Gründe“ die es der Uni verunmöglichen genügend Lehrveranstaltungen anzubieten – ein Umstand, der bei einzelnen Lehrveranstaltungen in den seltensten Fällen argumentierbar sein wird. Die Universitäten sind also dazu verpflichtet, das entsprechende Lehrangebot zur Verfügung zu stellen. Die Frage ist allerdings wie sie das anstellen sollen.

Schwarze Chaospolitik. Die österreichischen Hochschulen sind seit Jahrzehnten chronisch unterfinanziert und weder das Finanzministerium noch das Wissenschaftsministerium tun etwas dagegen. Der Wissenschaftsministerin Karl fällt es wohl schwer gegen ihren Parteifreund Josef Pröll anzutreten und mehr Geld aus dem Bundesbudget zu fordern. Ganz im Gegenteil. Anstatt das Hochschulbudget wie versprochen bis 2020 auf zwei Prozent zu erhöhen, müssen die Universitäten von 2011 bis 2014 weitere 322 Millionen Euro einsparen. Diese Einsparungen bedeuten womöglich den Kollaps für unsere Unis. Die Studierenden haben zwar das Recht auf ein zügiges Fortkommen im Studium, die Universitäten allerdings nicht das Geld, genügend Lehrveranstaltungen anzubieten. Die verlorenen Beihilfen, Stipendien, Verdienstentgänge usw., die nun zu Recht von Studierenden eingeklagt werden, hätten besser gleich in die Universitäten investiert werden sollen.

Bologna und STOP. Studienzeitverzögerungen haben in den letzten Jahren, seit der Umstellung der Curricula auf die Bologna-Struktur, stark zugenommen. In der völlig fehlgeleiteten österreichischen Umsetzung haben die Curricula-Kommissionen die Studienpläne sehr stark verschult und viele Voraussetzungsketten eingebaut: Bevor Lehrveranstaltung x nicht absolviert wurde, darf die Lehrveranstaltung y nicht besucht werden. Dass das Universitätsgesetz 2002 vorsieht, dass solche Sequenzierungen nur dann erlaubt sind, wenn sie inhaltlich zwingend notwendig sind wurde meist ignoriert. Und so kommt es, dass zum Beispiel zuerst das Fach Statistik gemacht werden muss, bevor die Einführung in die österreichische Politik belegt werden darf. Der Hintergrund dazu ist, dass die Grundhaltung gegenüber Studierenden sehr negativ ist und ProfessorInnen der Meinung sind, sie müssten den Studierenden genau vorgeben in welcher Reihenfolge sie studieren sollen. Dass Studierende selbstbestimmt entscheiden können, welche Lehrveranstaltung  sie sich wann zumuten wird ihnen abgesprochen. Deshalb wurden auch freie Wahlfächer gestrichen und Studienpläne gleichen eher Stundenplänen. Inflexible Studien und die entsprechenden Verzögerungen sind die Folge.
Doch wenn es nach Ministerin Karl geht, soll es noch schlimmer kommen: Sie will die Studieneingangsphasen
noch strenger gestalten und sie zur Selektion nutzen. Die STEP, STEOP oder (wohl am treffendsten) STOP soll verschärft, keine Lehrveranstaltungen mehr vorgezogen werden dürfen. Das bedeutet noch mehr Studienzeitverzögerungen – und noch mehr Klagen.

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INFO

Du bist von Studienzeitverzögerung betroffen?

Damit Dein Fall in Frage kommt, müssen folgende Kriterien erfüllt sein:

  1. Das Curriculum muss eine Lehrveranstaltung mit beschränkter TeilnehmerInnenzahl vorsehen (meist Veranstaltungen mit immanentem Prüfungscharakter wie Seminare).
  2. Du hast trotz Erfüllung der formellen Teilnahmevoraussetzungen vor Ende der Anmeldefrist keinen Platz in dieser Lehrveranstaltung erhalten.
  3. Dir entsteht dadurch eine Studienzeitverzögerung, welche auch nicht durch Umschichtungen wie zum Beispiel durch Vorziehen anderer Lehrveranstaltungen aufgeholt werden kann.
  4. Es wurden keine Parallellehrveranstaltungen angeboten, die eine Studienzeitverzögerung verhindern hätte können.
  5. Durch die Verlängerung des Studiums drohen Dir materielle Schäden wie zum Beispiel Verdienstentgang bei späterem Berufseintritt, Verlust von Beihilfen, Kosten des Studiums (Studiengebühren), …

Unter www.oeh.ac.at/klage findest du ein Formular in das Du Deine Daten eintragen kannst. Wir prüfen dann Deinen Fall und melden uns bei Dir sobald wir wissen ob in Deinem Fall eine Klage möglich ist oder nicht.

 

Das Kreuz mit den Formulierungen

  • 13.07.2012, 18:18

Ingeborg Zerbes forscht am Institut für Strafrecht und Kriminologie unter anderem über österreichisches und europäisches Strafrecht. Mit PROGRESS sprach sie über das Terrorismuspräventionsgesetz, die Unwissenheit der Gesetzes-Schreiberlinge und die Absurdität des TierschützerInnenprozesses.

Ingeborg Zerbes forscht am Institut für Strafrecht und Kriminologie unter anderem über österreichisches und europäisches Strafrecht. Mit PROGRESS sprach sie über das Terrorismuspräventionsgesetz, die Unwissenheit der Gesetzes-Schreiberlinge und die Absurdität des TierschützerInnenprozesses.

PROGRESS: Frau Zerbes, haben Sie Angst vor Terrorismus?

Ingeborg Zerbes: Nein, nicht vor einem konkreten Anschlag in Österreich. Natürlich ist mir bewusst, dass es weltweit ein Problem ist.

Im österreichischen Strafgesetzbuch ist der Begriff Terrorismus nicht definiert. Es wird lediglich ein Typ von Straftaten beschrieben, die unter Terrorismus fallen. Warum ist das so?

Terrorismus ist schwer fassbar. In einem frühen UN-Übereinkommen wird Terrorismus so beschrieben, dass es dabei nicht darum geht, gezielt einer Person Schaden zuzufügen, sondern es sollen so viele Personen wie möglich getroffen werden. Das Ziel von Terrorismus ist es, in der Gesellschaft eine besonders nachhaltige Verunsicherung zu schaffen.

Laut Verfassungsschutzbericht stellt der Terrorismus für Österreich keine größere Bedrohung dar. Dennoch feilt man an einem Terrorismuspräventionsgesetz. Ist die Verhältnismäßigkeit für so ein Gesetz überhaupt gegeben?

Verhältnismäßigkeit ist ein unglaublich dehnbarer Begriff. Wenn es letzten Endes um Leib und Leben geht, dann ist die Verhältnismäßigkeit auf dieser Ebene durchaus gegeben, aber in Hinblick auf die Effizienz und Notwendigkeit eines solchen Gesetzes möglicherweise nicht.

Viele Formulierungen im Terrorismuspräventionsgesetz sind dermaßen unbestimmt, dass ein großer Interpretationsspielraum bleibt. Warum kann man das nicht klarer definieren?

Es ist schwierig – auch für die Autoren von Gesetzestexten – mit Sprache umzugehen. Die Schwierigkeit wird umso größer, wenn bereits der Tatbestand eines Delikts nicht klar umrissen ist. Woraus soll sich ein Verdacht ergeben? Welche Handlungen machen denn verdächtig, wenn man in irgendeiner Vereinigung ein Mitglied ist? Bei dem Tatbestand, die sich gegen gefährliche Gruppen richten, weiß niemand, wann denn eigentlich ein Verdacht vorliegt und damit strafrechtliche Ermittlungen beginnen dürfen.

Wie hoch sehen Sie die Chancen, dass das Terrorismuspräventionsgesetz überarbeitet wird? Beziehungsweise: Glauben Sie, dass die Paragraphen, die noch verhandelt werden, ganz verworfen werden?

Ich denke, die Gesetze werden ohne wesentliche Veränderung durchgesetzt werden. Die Strafdrohung als solche ist nicht das Problem. Ich glaube nicht, dass viele Personen aus Österreich zu Ausbildungslagern fahren und deshalb verurteilt werden. Das Problem ist die Verdachtsrecherche. Bei so einem Gesetz kann es theoretisch passieren, dass Menschen mit muslimischen Wurzeln verdächtigt werden, zu einem Terrorcamp zu fahren, wenn sie ihre Angehörigen in arabischen Ländern besuchen.

Woher kommt der Glaube, dass man mit solchen Gesetzen Terrorismus verhindern kann?

Wenn man naiv ist, könnte man sagen, dass von jenen, die in einem Ausbildungslager waren und deshalb verhaftet worden sind, keine Gefahr mehr ausgeht. Außerdem können Strafdrohungen eine abschreckende Wirkung haben – das ist schließlich der Sinn, eben solche einzuführen.

Ich bezweifle, dass TerroristInnen sich von einer härteren Gesetzgebung abschrecken lassen.

Ich kann mir das auch nicht vorstellen. Im Gegenteil! Ich denke, dass die Wut auf die staatliche Autorität nur noch größer wird. Die Gruppe, vor der man am meisten Angst hat, sind Muslime. Vorbehalte gegen diese Menschen und Strafgesetze, die auf diese Menschen zugeschnitten sind, verursachen noch tiefere Gräben. Ein Kopftuchverbot beispielsweise – das ist jetzt zwar kein Straftatbestand – geht letzten Endes in die gleiche Richtung.

Der §278 wurde nicht nur in Bezug auf das Terrorismuspräventionsgesetz heiß diskutiert, sondern vor allem in Bezug auf den §278a. Er war der Auslöser für den größten TierschützerInnenprozess, der je in der Zweiten Republik stattgefunden hat. Sind die TierschützerInnen eine kriminelle Organisation?

Nein. Nur weil die Tierschützer Wertkartenhandys und einen EDVSpezialisten haben, sind sie noch lange nicht unternehmensähnlich organisiert. Ein Unternehmen hat eine glasklare Weisungshierarchie. Dort kann man sich nicht aussuchen, bei welcher Aktion man teilnimmt oder nicht. Die Tierschützer können das.

Wann hätten Sie den Prozess beendet?

Schon nach der Anklageschrift. Ich hätte die meisten Beweise gar nicht aufgenommen. Wenn es sich um konkrete Delikte handelt, die die Angeklagten begangen haben, dann müssen sie dafür bestraft werden und nicht wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation. Mir kommt es so vor, als würde sich die Richterin verpflichtet dazu fühlen, nachträglich all diese Ermittlungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Es wurden Beweisaufnahmen bei Dingen geführt, die mit der Sache gar nichts zu tun haben.

Glauben Sie, dass der Prozess mit einem Freispruch endet?

Ich hoffe es.

In der Diskussion rund um den § 278a fordern nun viele, dass man den Paragraphen mit der Bereicherungsabsicht einer kriminelle Organisation einschränkt. Mit diesem Zusatz wäre eine Überwachung der TierschützerInnen nicht möglich gewesen. Warum wird das nicht geändert?
 
Es ist im Moment ein Gesetzesvorhaben in Arbeit. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass so eine Veränderung auch verhindern würde, dass zum Beispiel eine rechtsradikale Organisation über den Paragraph 278a bekämpft werden kann. Wenn Rechtsradikale sich organisieren, etwa um Kebap-Stände zu zerstören oder Ausländer zu nötigen, dann können sie auch nur mehr wegen des konkreten Straftatbestandes zur Verantwortung gezogen werden und nicht bereits wegen ihres Zusammenschlusses.

Wiener Melange oder Filterkaffee?

  • 13.07.2012, 18:18

Die Wiener-Blut-Plakate der FPÖ schlagen wieder einmal ein Stückchen weiter in die in unserem Land ohnehin schon unerträglich tiefe rassistische Kerbe. Doch wofür steht das Wiener Blut? Ein Streifzug durch die einenden und trennenden Facetten eines Begriffs.

Die Wiener-Blut-Plakate der FPÖ schlagen wieder einmal ein Stückchen weiter in die in unserem Land ohnehin schon unerträglich tiefe rassistische Kerbe. Doch wofür steht das Wiener Blut? Ein Streifzug durch die einenden und trennenden Facetten eines Begriffs.

Blut ist ein ganz besondererSaft“, doziert Mephistopheles in Goethes Faust. Blut sei „dicker als Wasser“, meint der Volksmund und die AnhängerInnen der größten und mächtigsten Religionsgemeinschaft in Österreich trinken während ihrer sonntäglichen Messen regelmäßig symbolisch das Blut ihres Gründers. Die Metaphorik des Blutes als lebengebendes und verbindendes Element ist unumstritten.
Das Wiener Blut hingegen stellt nicht nur eine gemeinsame Symbolik verschiedener Wiener Lebensarten dar, es ist mittlerweile auch ein viel strapaziertes Klischee. Nicht nur politische Parteien bedienen sich seiner, auch in die Populärkultur hat es Einzug genommen: Die Deutsch-Rock- Export-Combo Rammstein verarbeitet in ihrem Lied Wiener Blut den Fall des Josef F. aus Amstetten und Fußballikone Toni Polster singt in einem musikalischen Intermezzo mit der Kölner Kultband Fabulöse Thekenschlampen vom Wiener Blut, das in seinen „Wadln“ fließe, um nur zwei – sehr gegensätzliche Beispiele – aus diesem Bereich zu nennen.

Kein blaues Blut,... Die Operette von Johann Strauß Sohn, die den Begriff des Wiener Blutes erst prägte, singt von der Spontanität, dem Charme und auch der Schlitzohrigkeit, die für die EinwohnerInnen Wiens vermeintlich typisch sei. Jedenfalls bezog sich dieser Begriff in seiner Entstehung um die Jahrhundertwende nicht auf Menschen einer bestimmten sozialen Herkunft (ganz im Gegensatz zum „Blauen Blut“) oder eines bestimmten ethnischen Hintergrunds. Das Wien des Jahres 1899 war das Zentrum eines Vielvölkerstaates, ein Schmelztiegel in dem soziale Rangordnungen zwar durchaus manifest waren, für dessen Funktionieren aber das reibungslose Zusammenleben Menschen unterschiedlicher Herkunft zentral war.
Johann Strauß Sohns Vermächtnis geriet übrigens in der Zeit des deutschen Faschismus ins Fadenkreuz des Rassenwahns und stellte die Nazis vor größere Widersprüche. Einerseits war Strauß in der Nazi- Diktion „Achteljude“, andererseits galt seine Musik als „überaus deutsch und volksnah“. Die beiden Texter des Librettos zum „Wiener Blut“ (Victor León und Leo Stein) stammten übrigens aus Polen und Bratislava, Steins Grab befindet sich im alten israelitischen Trakt des Wiener Zentralfriedhofes.
Das Wiener Blut war also in der Realität wie in der Literatur eine Melange und kein Filterkaffee. Auch der viel beschworene „echte Wiener“ heißt und hieß, wie schon in der allseits bekannten Fernsehsendung der 70er Jahre, eben nicht nur Sackbauer, sondern auch Blahovec und Vejvoda.

... kein reines Blut, ... Aus heutiger Sicht und bei Ausblendung der damaligen sozio-kulturellen Gegebenheiten können natürlich auch Gruppen definiert werden, die vom Begriff des Wiener Blutes exkludiert waren, die mit dem „echten Wiener“ nicht mitgemeint waren. Die Multikulturalität des Wiens von 1900 war geprägt von einer christlich-jüdischmitteleuropäischen Vielfalt und einer eurozentrischen Perspektive. In Wien lebende Menschen nicht-europäischer Herkunft waren nur schwach vertreten.
Dieser Umstand wird auch heute bewusst verwendet, um Ressentiments zu schüren. Nicht zufällig versucht sich HC Strache durch das Tragen von bestimmten Symbolen bei MigrantInnen serbischer Herkunft anzubiedern, nicht zufällig wird nach dem Motto „Divide et Impera“ im FPÖ-Sprech neuerdings immer stärker zwischen den „braven, anständigen“ MigrantInnen, mit „gemeinsamer christlich-abendländischer“ Kultur und Menschen islamischen Glaubens unterschieden. Eine latente Islamophobie könnte dem Wiener Blut also durchaus unterstellt werden, wenngleich auch die, die den Begriff geschaffen und geprägt haben, nur Kinder ihrer Zeit waren.

(K)ein böses Blut? Eine totalitäre und verbrecherische Funktion spielte der Begriff des Blutes im Vokabular der Nazis. Die Reinhaltung des Blutes wurde bereits in Hitlers Mein Kampf als eine der obersten Zielsetzungen der deutschen FaschistInnen festgeschrieben, die Metapher von Schädlingen, die dem Volk das Blut aussaugen, wurde systematisch etabliert. Dies ebnete zunächst den Weg dafür, dass bestimmten Gruppen von Menschen ihre Lebensberechtigung abgesprochen werden konnte und ermöglichte in weiterer Folge die industrielle Vernichtung von Menschen.
Diese bestimmte geschichtliche Epoche der Blut-Rhetorik ist es auch, die der aktuellen Debatte ihren Zündstoff gibt. Das Wiener Blut war und ist ein eng mit der ethnischen und sozialen Vielfalt einer Stadt verbundenes sprachliches Bild. Wer es aber in einer Stadt, deren Bevölkerung den Holocaust aktiv mitgetragen hat, in einer restriktiv geführten Integrationsdebatte verwendet, ist wohl von bestimmten Faktoren getrieben. Etwa von der Absicht, Menschen gegeneinander aufzuhetzen, von bewusster und absoluter Respektlosigkeit den Opfern dieser unbegreiflichen Verbrechen gegenüber oder im besten Fall einfach nur von komplett mangelndem Fingerspitzengefühl. Ein Blick in die jüngere Geschichte der FPÖ lässt nicht auf Letzteres schließen.

Gutes Tun und drüber reden

  • 13.07.2012, 18:18

Mikrokredite boomen nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in Österreich und Europa. Doch was ist der Inhalt dieses Konzepts und warum ist es so erfolgreich?

Mikrokredite boomen nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in Österreich und Europa. Doch was ist der Inhalt dieses Konzepts und warum ist es so erfolgreich?

Klein- und Kleinstkredite für Menschen, die bei jeder anderen Bank als kreditunwürdig gelten würden. Das ist das Erfolgsrezept von Muhammad Yunus. Der Wirtschaftsprofessor aus Bangladesch gründete 1983 die sozial orientierte Grameen Bank und ermöglichte so vielen armen Menschen, sich eine wirtschaftliche Existenz aufbauen zu können. Dafür wurde er 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Inzwischen gibt es viele Organisationen, die Yunus‘ Idee aufgreifen. Auch hier in Österreich: Mit 1. Mai 2010 startete das Sozialministerium das Pilot-Programm „Der Mikrokredit“ für Arbeitslose und wirtschaftlich selbstständige Klein-Unternehmen in Österreich. Für alle, die ein Unternehmen gründen, fortführen, ausdehnen oder übernehmen wollen, steht das nötige Startkapital oder Vermögen für die laufende Finanzierung zur Verfügung. Das Programm soll helfen, tragfähige Geschäftsideen in die Tat umzusetzen, und finanziert Einzelpersonen mit bis zu 12.500 Euro, Personengesellschaften mit bis zu 25.000 Euro. Zielgruppe sind vor allem Arbeitslose, am Arbeitsmarkt Benachteiligte oder Menschen mit erschwertem Zugang zum klassischen Kreditmarkt. Zurzeit läuft das Programm allerdings nur in der Steiermark und in Wien.

Hebelwirkung. Aber nicht nur der Staat, sondern auch private Unternehmen und NGOs mischen bei den Mikrokrediten in Europa mit. Eines davon istdie EntwicklungsgenossInnenschaft Oikocredit. Die Kredite variieren zwischen 50 und 1500 Dollar und werden in Asien, Afrika und immer öfter auch in Osteuropa vergeben. Finanziert wird die Non-Profit-Organisation von 36.000 AnlegerInnen, davon mehr als 2000 in Österreich. Ab 200 Euro kann man GenossInnenschaftsanteile erwerben. Die Rendite von zwei Prozent ist zwar gering, die Hebelwirkung des angelegten Geldes aber enorm.
Eine andere Möglichkeit der Mikrofinanzierung ist der Dual Return Fund. Der Fonds, der in Österreich von VermögensberaterInnen vertrieben wird, bietet AnlegerInnen die Möglichkeit, ihr Geld in Mikrokredite zu veranlagen und eine „doppelte Rendite“ – als Dividende und als gute Tat – zu lukrieren. Er verwaltet rund 100 Millionen Euro und gibt Gelder an Mikrokreditinstitute in armen Ländern weiter, die diese in lokale Kleinprojekte investieren.
Ein Problem dabei ist, dass Armut nicht in jedem Land gleich definiert ist. Um die Höhe der Kredite in verschiedenen Ländern besser bestimmen zu können, entwickelte Oikocredit gemeinsam mit der Grameen Bank den Progress out of Poverty Index (PPI). Zehn aussagekräftige Länderindikatoren wurden entwickelt, um ein Armutsprofil zu erstellen. Dabei werden beispielweise die klimatischen Begebenheiten, aber auch die Grundsituation der KreditnehmerInnen berücksichtigt. Der PPI dokumentiert zudem auch die sozial nachhaltige Entwicklung durch den Mikrokredit über einen längeren Zeitraum hinweg.
Auch österreichische Banken spielen ihre Rolle bei der Mikrokreditfinanzierung. Die Erste Bank versucht mit ihrem Projekt Die Zweite Sparkasse Menschen dabei zu helfen, aus den Schulden zu kommen und sich ein neues Leben aufzubauen. 400 ehrenamtliche MitarbeiterInnen arbeiten eng mit der Caritas und der Schuldnerberatung zusammen, um die KundInnen umfassend beraten zu können. Mit der Social Business Tour 2010 zieht die Erste durch osteuropäische Hauptstädte, um das Konzept zu propagieren. Da stellt sich natürlich die Frage, ob die Marke Social Business für Marketing-Zwecke missbraucht wird.
Erste Bank-Chef Andreas Treichl sagte dazu nur, selbst wenn das Engagement der Banken auch mit Marketing zu tun haben sollte, profitieren Menschen, die sonst nie an einen Kredit kämen. Und: „Wenn ein Kleinstunternehmer mit einem Mikrokredit den Aufstieg zum wirklich Kreditwürdigen schaffte, werde ihm die Erste Bank nicht böse sein, wenn sie in guter Erinnerung geblieben ist.“
Auch die Volksbanken-Gruppe steht vor dem Einstieg in die Mikrokredtivergabe in Osteuropa, wobei sie sich mit vor Ort tätigen MikrofinanzpartnerInnen zusammenschließen. Die Kreditsummen richten sich nach der Nation: In Bosnien rechnet die VBI mit bis zu 1000 Euro, in Rumänien von 2000 bis 9000 Euro.

Auch Risiken. Mikrokredite sind keine eierlegende Wollmilchsau, sie bergen auch Risiken: Es gibt erste Anzeichen einer Mikrokreditblase. Kommerzielle Unternehmen versprechen ihren AnlegerInnen hohe Renditen und KundInnen zahlen alte Kredite mit neuen zurück. Ein Ausweg wäre ein UN-Gütesiegel, wie es Oikocredit-Chef Peter Püspök fordert.
Das Risiko hält aber die Europäische Union nicht ab, mit von der Partie bei den Mikrokrediten zu sein: Insgesamt vergibt sie 45.000 davon. Der EU-Kommissar für Soziales, Laszlo Andor, will mit Klein- und Kleinstkrediten im Umfang von insgesamt 500 Millionen Euro den UnternehmerInnengeist fördern. Nach Erkenntnissen der EU-Kommission wird schon jetzt jedes dritte Unternehmen in Europa von einem oder einer Arbeitslosen gegründet.

Der Gegenstand Lernen

  • 13.07.2012, 18:18

Ohne weiteres kann ich eine Reihe von klugen und einverständigen Bemerkungen zum Lernen machen.

Ein Gastkommentar.

Ohne weiteres kann ich eine Reihe von klugen und einverständigen Bemerkungen zum Lernen machen. Dass es nützlich ist und notwendig, dass es Spaß machen kann und Mühe bereiten, dass es lebenslänglich geschieht, dass es allgemein menschlich ist, dass aber auch Tiere selbstverständlich in der Lage sind zu lernen… Solche Sätze stehen um mich wie ein gepflegter Garten, in dem ich auf eigens dafür angelegten Wegen gehe, ohne dass ich etwas zertrete, mich etwas mit Dornen ergreift und verletzt. Ich bin unangefochten.
Dabei löst das Wort Lernen, wenn ich es nur nah genug an mich heranlasse, ein tiefes Unbehagen aus. Es heftet sich an Erinnerungen von Befehl und versuchtem Gehorsam, von Versagen und Unlust, von Schuld. Im Schacht meines Gedächtnisses sind unter dem Namen Lernen vornehmlich Erlebnisse abgelegt, in denen es mir gerade nicht gelang zu lernen, was ich sollte oder wollte. Erinnerung an Unvermögen, Verweigerung, Blockade.

Lernen als Tätigkeit. Ist Lernen also etwas, das nur sprechbar und erkennbar wird im Moment, in dem ein geplantes Ziel nicht erreicht wird, in dem eigene Strategien und Mühe entfaltet werden müssen, und das daher benennbar und erinnerbar ist zunächst als Negativerlebnis, als misslingendes Lernen.
Ich kann das nicht glauben. Ich weiß von Neugier und Lernlust. Also muss es doch in der Erinnerung, wie verschüttet auch immer, gelingende, positive Lernerlebnisse geben. Aber warum solche Vergrabung? Warum diese Unlustbesetzung des Wortes Lernen in eigener Erinnerung bei gleichzeitigem Wissen, dass Lernen gesellschaftlich zu den positiven, anerkannten, guten Tätigkeiten gehört?
Vielleicht ist es sinnvoll, von Lernen nur in Zusammenhängen zu sprechen, in denen für die Bewältigung bestimmter Praxen eigene Schritte gegangen werden müssen, Strategien ergriffen, Fähigkeiten bewusst erlangt werden– und die Hoffnung, es gäbe so etwas wie lustvolles glückliches Lernen dem Reich der Wunschphantasien zuzuschreiben? Lernen wäre demnach an Training gebunden und es gälte, erfolgreiche Programme zu entwerfen und existierende ständig zu verbessern, um den größtmöglichen Lernerfolg zu erzielen? Fähigkeiten müssen durch harte Übung erlangt werden, der Weg ist steinig, das Gehen nur durch äußeren oder/und inneren Zwang möglich. Es ist günstig, in sehr jungem Alter damit anzufangen, wenn die Menschen noch biegsam sind. »Früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will.« Alles, was man durch freudiges Tun gleichsam im Fluge erlernt, wäre dann für eine Theorie des Lernens und entsprechende Pädagogik ebenso wenig von Interesse wie die schleichende Ein- und Unterordnung, die das Leben in herrschender Gesellschaft erbringt?
Ich bin nicht überzeugt. Aber es irritiert mich, dass mir immer weiter negative Lernerlebnisse einfallen, bis zu einem gewissen Grade zumindest, und dann der eigentliche Lernschub wie ausgelöscht ist, sodass ich aus ihm wiederum nichts lernen kann.
Ich nehme ein Beispiel aus höherem Alter, sodass kindliche Unlust und womöglicher Unwille, die Fähigkeit hier und jetzt sich anzueignen, keine Rolle spielen können, sondern ich davon ausgehen kann, dass ich als rationales Subjekt lernen wollte.

Die Frage. Die Erinnerung ist wie ein Alptraum. Ich sitze in einem Seminar. Wie selbstverständlich ist meine Hauptkraft darauf gerichtet, nicht aufzufallen und doch aufzufallen. Es darf niemand merken, dass ich rein gar nichts weiß, kaum etwas verstehe, schon gar nicht, wozu ich es verstehen sollte, dass ich die Texte nicht durchdringend gelesen habe, nicht lesen konnte, weil sie mir nichts sagten und anderes mir mehr. Auch sitze ich hier in einem Hauptseminar, obwohl dies erst mein drittes Semester ist, weil es mir gelungen war, den Eindruck zu vermitteln, sehr klug zu sein und strebsam. Das scheint mir mit einem Mal kein so großer Erfolg mehr zu sein, sondern eine selbst gestellte Falle. Ich schreibe in jedem Semester wenigstens vier Referate und bin also fleißig, habe aber mehr und mehr den Eindruck, hauptsächlich eine Inszenierung zu betreiben, nichts wirklich zu sein und also vergeblich den Versuch zu machen, Lernbissen zu ergattern. Fieberhaft überlege ich, was ich fragen könnte. Dies scheint die hauptsächliche Erwartung zu sein, dass die Studenten Fragen stellen und so Verständnis, Wissensdurst, Interesse zeigen. Es muss mir einfach eine Frage einfallen, bevor ich plötzlich an die Reihe komme, in den Mittelpunkt rücke und jedermann sieht, dass ich nichts zu fragen weiß. Um mich herum sitzen die Studenten, es sind fast alles Männer, und daher wundere ich mich nicht, dass sie eifrig und fähig aussehen. Sie sitzen also gespannt wie Bögen und stellen Frage auf Frage: Schon gibt es eine lange Liste der Fragenwollenden, und wenn ich mich nicht jetzt melde, komme ich in dieser Sitzung überhaupt nicht mehr dran. Jede Studentenfrage ist eingebettet in einen Urstrom an Wissen. Querverweise, Namen, Bezüge – wenn mir doch auch bloß eine so intelligente Frage einfallen würde. Mein Gesicht fühlt sich von innen an, als sei es außen rot vor Anstrengung, meine Hände sind schweißnass– der Rest meines Körpers ist verschwunden, da keimt in mir eine Fragemöglichkeit.
Es ist nicht meine Frage – um zu fragen, verstehe ich zu wenig –, es ist eine mögliche Frage in diesem hochintelligenten Raum. Ich melde mich, bin die Achte auf der Liste und begebe mich in die schreckliche Zeit des gespannten Wartens, der Hoffnung, ich möge gar nicht mehr drankommen, der Gewissheit, dass es jetzt unvermeidlich ist. Ich forme elegante und gelehrte Sätze in meinem Kopf, fange immer wieder von vorn an, bis die Frage– sie ist beileibe nicht lang– jene unverwechselbare Gestalt erhält, unerhört wichtig zu klingen, klug und gelehrt, und doch sich nicht als eine zu verraten, die von mir gar nicht ausgeht, nicht auf Antwort drängt, sondern die nichts vorhat, als im Raume zu stehen und auf mich als ihre Urheberin zu verweisen und solcherart ein glänzendes Licht auf mich zu werfen, allgemeine Anerkennung, einverständiges Nicken: bedeutend. Der Punkt, an dem ich einsetzen muss, rückt näher. Immerhin ist es eine Diskussion und ich habe schon geraume Zeit überhaupt nicht mehr zugehört, worum es geht. So weiß ich, als ich endlich aufgerufen werde, nicht, ob die Frage überhaupt noch sinnvoll in den Raum passt, und ausgerechnet jetzt muss ich daran denken, damit überhaupt an Sinn und Bedeutung der Frage, und beginne zu stottern. Die auswendig gelernten wohlgeformten Sätze haben meinen Kopf verlassen. In die Leere und allgemeine Stille hinein sage ich irgendetwas und lehne mich wieder zurück, jetzt erst bemerkend, dass ich mich angespannt ganz nach vorne gebeugt hatte, und bin verzweifelt enttäuscht, dass meine Frage, die ich nicht mehr weiß, von niemandem aufgenommen und beantwortet wird. Die ganze Anstrengung war umsonst.

Privilegierte Möglichkeit. Wieder eine Lernsituation aus einem institutionellen Raum, wieder eine Erinnerung an Unsicherheit, Vergeblichkeit, jetzt Täuschung, an den Versuch, sich in die Welt zu begeben, wie es erwartet wird, aber kaum eine Erinnerung an Neugier, an die Lust des Lernens, gar an das Studium als eine privilegierte Möglichkeit, Welt zu erkunden. Vor allem heftet sich Erinnerung wieder an Leid, an Unvermögen, an Misslingen. Wie von ungefähr mischen sich in die Erinnerung Kritik an der Lernsituation, Spott über womöglich leere Worte, Bedeutung produzierende Anordnung, die anderen Studenten– jedoch bleiben dies bloße Gesten, da in der Erinnerung kein eigenes Wollen, keine tatsächliche Frage, kein Wissenszuwachs verzeichnet ist. Lernen scheint eingeklemmt zwischen individuellem Wollen, das sich aber noch nicht kennt, und gesellschaftlicher Institution, deren objektiver Sinn verschlossen bleibt, ein Ausflug in eine unerkennbare Fremde.

Auszug aus meinem Buch Lernverhältnisse. Selbstbewegungen und Selbstblockierungen, Hamburg 2003, 2.A 2007

Frigga Haug, Dr. phil. Habil. Ist Vorsitzende des Berliner Instituts für kritische Theorie.

Auf einen heißen Sommer folgt ein heißer Herbst

  • 13.07.2012, 18:18

Die österreichischen Hochschulen stehen kurz vor dem Kollaps, die Situation hat sich in den letzten Monaten noch einmal verschärft. Wissenschaftsministerin Karl zeigt keine Motivation gegen Parteifreund und Finanzminister Pröll antreten zu wollen und mehr Mittel aus dem Bundesbudget zu erstreiten. Im Gegenteil.

Die österreichischen Hochschulen stehen kurz vor dem Kollaps, die Situation hat sich in den letzten Monaten noch einmal verschärft. Wissenschaftsministerin Karl zeigt keine Motivation gegen Parteifreund und Finanzminister Pröll antreten zu wollen und mehr Mittel aus dem Bundesbudget zu erstreiten. Im Gegenteil: Karl richtet ihre Energie gegen uns Studierende mit der erneuten Forderung nach Studiengebühren und droht den Universitäten mit Schließungen und Personalabbau. Wenn Karl nicht bald beginnt ihr Amt auszufüllen und sich in den Budgetverhandlungen durchsetzt, ist das Schlimmste zu erwarten. Seit dem letzten Jahr hat sich also nichts zum Besseren gewendet. In einer ersten Aktion im September, hat die ÖH-Bundesvertretung gemeinsam mit der unibrennt-Bewegung im Rahmen der Kundgebung machen-wir-uns-stark ein erstes Zeichen gesetzt – schon vor dem Semesterbeginn gingen Studierende auf die Straße und forderten lautstark einen radikalen Kurswechsel in der Bildungspolitik. Die Bundesregierung kann sich auf einen heißen Herbst einstellen. Im Rahmen der geplanten Budgetkürzungen drohen auch Einsparungen im Sozialbereich. Gerade im Bezug auf die mangelnde soziale Absicherung von Studierenden, wie auch die Ergebnisse der aktuellen Studierendensozialerhebung aufs Neue zeigen, wären Kürzungen fatal. Von ÖH-Seite versuchen wir Dich so gut wie möglich zu unterstützen, hier gibt es zwei Neuigkeiten: Sehr viele Studis sind von Studienzeitverzögerungen betroffen, weil die Unis es nicht schaffen ausreichend Lehrveranstaltungen anzubieten. Falls das auch Dich betrifft, findest du genauere Infos zur Klagemöglichkeit auf Seite 11. Ein weiterer Service-Ausbau betrifft Deine Versicherung: Als ÖH-Mitglied bist Du im Rahmen Deines Studiums automatisch haftplicht- und unfallversichert. Wir haben einen neuen Vertrag mit der Allianz abgeschlossen und die bisherigen Leistungen noch weiter ausgebaut. Mehr dazu auf www.oeh.ac.at/versicherung. Ob Ministerin Karl und ihr Kollege Pröll endlich zur Vernunft kommen, wird sich zeigen, wir Studierende werden uns auf alle Fälle keine weiteren Verschlechterungen gefallen lassen. Wir wünschen Dir trotz dieser zugegebenermaßen etwas düsteren Aussichten einen guten Start ins neue Semester.

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