Jänner 2010

Von der Angst zu versagen

  • 13.07.2012, 18:18

Prüfungsangst ist den meisten Studierenden bekannt. Manchmal mehr, manchmal weniger stark hat sie fast jedeR Studierende schon erlebt. Antje Dörr schildert wie es sich anfühlt, wenn die Prüfungsangst die Überhand gewinnt.

Prüfungsangst ist den meisten Studierenden bekannt. Manchmal mehr, manchmal weniger stark hat sie fast jedeR Studierende schon erlebt. Antje Dörr schildert wie es sich anfühlt, wenn die Prüfungsangst die Überhand gewinnt.

Ich kann mich noch genau an den letzten Abend vor meiner Englischprüfung erinnern. Ich saß auf meinem Bett, rauchte eine Zigarette nach der anderen und klammerte mich an meine Mitschriften wie eine Ertrinkende an die letzte Planke. Irgendwann ist meine Mitbewohnerin in mein Zimmer gekommen, hat mir die Karteikarten aus der Hand genommen und mich in die Küche geführt. „Das bringt doch jetzt nichts mehr“, hat sie gesagt und mir eine Tasse Tee gemacht. Ich hätte am liebsten geheult.
Fast vier Jahre danach kann ich darüber lachen, aber damals habe ich mich so elend, klein und unsicher gefühlt wie danach nie wieder in meinem Leben. Dabei war das objektiv betrachtet völliger Quatsch. Ich hatte in meinem ganzen Studium immer gute Noten gehabt, die Bibliothek war mir in dieser Phase vertrauter als mein eigenes Zimmer und ich war gründlich vorbereitet. Außerdem interessierten mich die Prüfungsinhalte, das Lernen hatte sogar Spaß gemacht. Und dennoch packte mich in den letzten Tagen die nackte Panik.
Wie passend, dass eines meiner Prüfungsthemen in der englischen Literatur shame lautete, also Scham. Viele Menschen empfinden dann Scham, wenn sie Gefahr laufen, zu versagen. Und genau diese Angst hing an mir wie eine böse Vorahnung, die ich einfach nicht abschütteln konnte. Ich schätzte die Professorin, die mir die Prüfung abnehmen sollte, sehr, verehrte sie fast ein bisschen. Vor ihr wollte ich mir auf keinen Fall die Blöße geben, etwas nicht zu wissen. Dazu kam, dass mich die englische Literatur all die Jahre, in denen ich in Vorlesungen gesessen und unzählige Bücher gelesen hatte, so begeistert hatte. Die Prüfung sollte der Höhepunkt werden, kein Ende mit Schrecken. Der Erwartungsdruck, den ich an mich selbst hatte, war dementsprechend groß.
Rückblickend denke ich, dass das normal ist. Ich würde sogar behaupten, dass Menschen, die gar keine Prüfungsangst empfinden, ihrem Fach gegenüber gleichgültig sind. Wer sich für etwas begeistert, wird sich immer davor fürchten, im entscheidenden Moment zu versagen. Um es kurz zu machen: Ich habe im entscheidenden Moment versagt. Als mich meine Lieblingsprofessorin in der Prüfung in eine komplizierte Diskussion über shame verwickelte, wurde mein Kopf plötzlich ganz leer. Ich hörte, wie das Blut in meinen Ohren rauschte und wie ich mit weit entfernter Stimme immer wieder „I’m sorry, I don’t know“ stammelte. Ja, diese Situation war beschämend. Aber ich habe sie überlebt. Meiner Note hat der Blackout nicht geschadet. Und ich bin dadurch stärker geworden. Diese Erfahrung kann einem niemand abnehmen. Da müssen alle durch.

Bologna: Reform der sieben Fehler

  • 13.07.2012, 18:18

Die Reform der Hochschulen unter- und überfordert die Studierenden zugleich, sagt der deutsche Bildungsexperte Rolf Schulmeister. „Wenn wir das nicht hinbekommen, ist Bologna kaputt.“

Die Reform der Hochschulen unter- und überfordert die Studierenden zugleich, sagt der deutsche Bildungsexperte Rolf Schulmeister. „Wenn wir das nicht hinbekommen, ist Bologna kaputt.“

Es ist nicht alles eitel Wonne mit Bologna. Der Hamburger Bildungsexperte Rolf Schulmeister will Bologna zwar nicht „den Prozess machen“, wie die BildungsaktivistInnen in Deutschland und Österreich. Bei seinem Vortrag Mitte Jänner an der FH Wien hat er jedoch die sieben größten Fehler der Bologna-Reform identifiziert.

Querkopf. Als Student in Hamburg war Schulmeister an den Protesten von 1967 beteiligt. Damals hatten StudentInnen ein Transparent vor dem festlichen Zug der ProfessorInnen hergetragen. Was darauf zu lesen war, wurde zum geflügelten Wort: „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“. Die Perspektive des kritischen Studenten, des Querkopfs, wenn man so will, hat sich Schulmeister erhalten. Das gefällt seinem studentischen Publikum.
Schulmeister fordert die Reform der Reform. Was er sagt, ist mit Zahlen untermauert. Er spricht druckreif zu einer ungewohnt gutaussehenden Präsentation, die effektvoll aus seinem schicken Apple-Computer auf die Leinwand purzelt. Der Knackpunkt seiner Bologna-Kritik ist das Selbststudium. „Die Studierenden verfolgen die Strategie, auf Sparflamme durchs Studium zu kommen“, kritisiert Schulmeister. Die Bologna-Reform würde Anreize für Minimalismus geben.

Bachelor zu dicht. Fehler Nummer eins sind die überfrachteten Stundenpläne. Schulmeister argumentiert, dass 45 Wochen zu 40 Stunden pro Studienjahr zu viel seien. „Der Bachelor ist zu dicht“, sagt er. 65 Prozent der Studierenden sind neben dem Studium berufstätig. Dazu kommen Referate und Prüfungen. Zu viele Prüfungen, wie Schulmeister findet. Fehler Nummer zwei. Zwei bis drei Prüfungen pro Semester reichen doch. Und nicht alle auf einmal am Ende des Semesters. Wo der Bildungsexperte Recht hat, hat er Recht. Er fordert, dass wenige, größere Module nacheinander stattfinden. Das heißt in der Praxis: Nicht mehrere Vorlesungen, die über das ganze Semester gehen und am Ende geprüft werden, sondern interdisziplinäre Blockveranstaltungen, die nacheinander stattfinden. „Als Student habe ich mich auf zwei Veranstaltungen pro Semester konzentriert. Bei allen anderen war ich nur Zuhörer“, sagt Schulmeister und identifiziert die Denkweise in Semesterwochenstunden als Fehler Nummer drei.

Bulimie-lernen. Begleitend müsse die Uni „Verantwortung für das Selbststudium“ übernehmen. In persönlichen Interviews hat er herausgefunden, dass Literatur und andere Inhalte, die sich Studierende außerhalb der Zeit im Hörsaal erarbeiten müssen, in der Vorlesung gar nicht vorkommen. „Wozu soll ich das lernen?“, ist die Reaktion der Studierenden. Fehler Nummer vier: Es stellt sich heraus, dass die Studierenden kaum Selbststudium betreiben. Unmittelbar vor Prüfungen steigt der tägliche Lernaufwand auf vier Stunden. „Bulimie-lernen“ nennt Schulmeister das. Bologna würde diese Entwicklung noch begünstigen. Fehler Nummer fünf: 17 Wochen pro Jahr sind Studierende generell unbetreut. Im Sommer und über Weihnachten lernt kaum jemand. Die Ergebnisse stammen aus einer Zeitbudgetanalyse in sechs Studiengängen an vier deutschen Unis. 

Sechs und sieben. Fehler Nummer sechs auf der schwarzen Liste: studienbegleitende Leistungen. Die sollen Prüfungen ersetzen, nicht den Studierenden zusätzlich aufgebürdet werden! Der siebente Fehler betrifft E-Learning. Dokumente werden bloß zum Download angeboten. Dass StudentInnen der Einstieg in die Wissenschaft nicht online erleichtert wird, hält Schulmeister für eine vergebene Chance.

„Sonst ist die Reform kaputt.“ Weniger Themen pro Woche, interdisziplinäre Blockveranstaltungen und dezidiertes Selbststudium, das im Laufe der Lehrveranstaltung angewendet wird, wünscht sich Schulmeister. „Die Studenten müssen die Zeitsouveränität zurückbekommen und gleichzeitig in die Verantwortung genommen werden. Wenn wir das Selbststudium nicht hinbekommen, ist die ganze Reform kaputt.“

StudentInnen im Stress

  • 13.07.2012, 18:18

Vom Bachelor und davon, dass dieser so rein gar nichts mit JunggesellInnenpartys zu tun hat, dafür aber so einiges mit Leistungsdruck und Prüfungsstress.

Vom Bachelor und davon, dass dieser so rein gar nichts mit JunggesellInnenpartys zu tun hat, dafür aber so einiges mit Leistungsdruck und Prüfungsstress.

Karteikarten, Zusammenfassungen, Vorlesungsfolien, Notizen. Versuche, die verbleibenden Minuten zu nutzen. Nervöse Blicke. Alles mitnehmen, was noch geht. Textmarker, Kugelschreiber, StudentInnenausweis. Ein letztes Mal alles durchgehen. Klausuren, Tests, Prüfungen – Angst!
„Ich muss diese Klausur schaffen, sonst verlier ich ein ganzes Semester!“ Ein Gedanke, der den meisten StudentInnen seit der Umstellung von Diplom- und Magistra- bzw. Magisterlehrgängen auf die neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master nicht mehr fremd sein dürfte. Die neuen Abschlüsse sollen das Studium durch strengere und straffere Prüfungsordnungen effizienter, praxisnäher und schneller machen und StudentInnen ordentlich antreiben. LangzeitstudentInnen sollen vermieden werden. Der Druck, der dabei entsteht, lässt einige StudentInnen auf dem steilen Weg zum Ziel Bachelor zurück. Verzweiflung macht sich breit, da für StudentInnen ab Beginn des Studiums jede einzelne Note zählt. Um einen Masterstudienplatz zu bekommen, zählt das Gesamtergebnis des Bachelorstudiengangs. Die Umsetzung von Bologna in Österreich liefert ein klares Ergebnis: immer größerer Lern- und Leistungsdruck, dem kaum noch jemand entgehen kann.

Nebenjob?! Wer sich das Studium durch einen Nebenjob finanzieren muss oder das spärliche Studierendenbudget aufbessern will, dem gelingt das durch die hohe zeitliche Belastung im Bachelor nur unter erschwerten Bedingungen. Wer es dann noch wagt, eine Doppelqualifikation im Sinne eines Doppelstudiums anzustreben, erntet spöttische Blicke oder anerkennendes Kopfnicken. Für das Studium wird dies zu einer problematischen Mehrfachbelastung.
Durch die andauernden Klausuren und Tests zur Leistungskontrolle, welche als Voraussetzung dienen, um weitere Module absolvieren zu können, bestehen die Tage der meisten StudentInnen im Grunde nur noch aus einem: Lernen. Die Bibliotheken sind überfüllt, die Köpfe der Studierenden auch, und ihre Ausdauer und Konzentration sind schlichtweg erschöpft. Der Universitätsalltag wird immer stressiger. Vorlesungen, die früher keine Anwesenheitspflicht vorschrieben, haben mit der neuen Umstellung nun auch einen prüfungsimmanenten Charakter. Es gibt nicht nur Prüfungen, sondern noch dazu verpflichtende Hausübungen als Voraussetzung für den positiven Abschluss einer Lehrveranstaltung. Die Universität gleicht einem Schulsystem mit vollgestopften Stundenplänen und Klausurenmarathon. Freie Tage werden zur Mangelware. Zukunftssorgen gehören zum Alltag. Selbst Semesterferien sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Die vorlesungsfreie Zeit wird genutzt, um sich auf die nächsten Klausuren vorzubereiten. Die Anforderungen des Studiums betreffen nicht mehr nur solche im Leistungsbereich, sondern erstrecken sich auch auf organisatorische, soziale und persönliche Bereiche. Wenn es den StudentInnen nicht gelingt, in der wenigen verbleibenden Freizeit einen Ausgleich zu schaffen, um dem Druck auch einmal zu entgehen, schleicht sich schnell das unverdrängbare Gefühl ein, nur noch funktionieren zu müssen. Die psychologischen Studierendenberatungen der Universitäten in Österreich bekommen alle Hände voll zu tun, denn die Anforderungen der Studienpläne werden für StudentInnen zu Überforderungen.
Die Folgen dieser neuen Belastungen wiegen schwer: von Prüfungsangst über Depression bis hin zu Drogenproblemen und Burn-out. 

Leistungsdruck mit Folgen. Deutlich zeigt sich der enorme Leistungsdruck unter StudentInnen in deren zunehmenden Suchtproblemen. Der erhöhte Drogenkonsum wird zum Ventil gegen den Leistungsdruck und gegen Versagens- oder Prüfungsängste. Er dient zur Kompensation des immer größer werdenden Drucks. Prüfungsangst zieht einen Teufelskreis, aus dem auszubrechen zu einer großen Herausforderung wird: Wird die Leistungsfähigkeit durch die starke Angst vor der Prüfung, dem Ergebnis und der daraus folgenden Konsequenzen für das weitere Studium wesentlich beeinträchtigt, wird Leidensdruck verursacht. Ein schlechtes Ergebnis schürt erneut die Angst vor weiteren Klausuren. Der entstehende Stress, der dem Leben im Normalfall Spannung gibt, wird gesundheitsschädigend, wenn wir ihm dauerhaft ausgesetzt sind und wir keine Möglichkeit finden, ihn zu bewältigen, abzubauen oder umzuwandeln. Psychosomatische Beschwerden wie Bluthochdruck,  Herzerkrankungen, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Geschwüre und Diabetes sind nur einige der möglichen Folgen.
Im Falle eines Burn-outs trifft es Student-Innen noch deutlich schlimmer. Wenn die Begeisterung, mit der das Studium begonnen wurde, bald durch frustrierende Erlebnisse und enorme Belastungen getrübt wird, kann dies zu Desillusionierung und Apathie, bis hin zu Aggressivität und Depressionen oder erhöhtem Suchtpotential und psychosomatischen Erkrankungen führen. Die Aussage „Die Klausur bereitet mir Magenschmerzen“ erhält vor diesem Hintergrund eine viel schwerwiegendere Bedeutung. Gerade wenn StudentInnen viel leisten, aber durch schlechte Prüfungsergebnisse oder dadurch, dass kein Ende in Sicht ist, entmutigt werden, leidet die Psyche nachhaltig unter dem Stress. Die Reaktion auf die ständige Frustration und das Gefühl, die eigenen Ziele nicht zu erreichen, ist Burn-out.

Wenn Zweiteilen nicht mehr ausreicht

  • 13.07.2012, 18:18

Madeleine Garbsch, Leiterin der Beratungsstelle Psychologische Studentenberatung, spricht mit PROGRESS über Leistungsdruck, Ritalin und die Belastung, Arbeit und Studium zu verknüpfen.

Madeleine Garbsch, Leiterin der Beratungsstelle Psychologische Studentenberatung, spricht mit PROGRESS über Leistungsdruck, Ritalin und die Belastung, Arbeit und Studium zu verknüpfen.

PROGRESS: Was für Aufgaben hat die Psychologische Stundentenberatung und wer kommt zu Ihnen?

MADELEINE GARBSCH: Wir sind für alle Studienwerber – also Schüler im Maturajahr – und für die Studierenden in ganz vielen Belangen zuständig, sowohl im universitären als auch nicht-universitären Bereich. Dies umfasst allerdings nicht den pragmatischen, organisatorischen Teil, wie Stipendienansuchen, sondern alle Probleme, die die Person an sich betreffen. 

Welche Probleme werden häufig angesprochen?

Besonders häufig geht es hier einerseits um Fragen bezüglich der Studienwahl und des Studienwechsels, andererseits um Lernprobleme und Prüfungsangst oder Probleme im Persönlichkeitsbereich. Wir haben auch Klienten, die sich schwer tun, an der Uni Anschluss zu finden – für die gibt es beispielsweise Selbsterfahrungsgruppen. Wenn jemand Schwierigkeiten mit dem Lernen hat, können sogenannte Lerntrainings in der Gruppe helfen, z.B. mit Hilfe von Zeitmanagement und Lernmethoden. Oder wenn es Unsicherheiten bei der Studienwahl gibt, evaluieren wir einzeln mit der betreffenden Person, welches Studium vielleicht interessant sein könnte. Es kommen auch Personen, die Probleme im psychischen Bereich haben, wie Beziehungsprobleme oder Essstörungen. Alle diese Themen können sich auf das Studium auswirken, auch wenn sie jetzt nicht unmittelbar was mit dem Uni-Bereich zu tun haben.

Ist die Hilfe, die Sie anbieten, eher kurz- oder langfristig angelegt?

Klar ist, dass jeder Studierende, der ein Problem hat, zu uns kommen kann. Dass sie oder er langfristig bei uns bleiben kann, wird aber seltener, weil wir immer mehr Zulauf haben. Wir können an Angebote von außen vermitteln und so als eine Art Schnittstelle agieren. Es wird sehr genau darauf geschaut, was dieser Person helfen kann – das muss ja nicht immer jahrelange Therapie bedeuten. Wir sind eine Anlaufstelle, wenn etwas nicht in Ordnung ist, und bieten eine gute Möglichkeit, etwas anzugehen.

Welche geschlechterspezifischen Unterschiede gibt es bei Ihren KlientInnen?

Rund 70 Prozent unserer Klient-Innen sind weiblich, da sich Frauen einfach öfter und schneller Hilfe holen. Bei den Männern steckt meistens eine viel längere Leidensgeschichte dahinter, bevor sie den Weg zu uns finden.

Haben sich die Probleme im Laufe der Zeit verändert?

Wir haben dies nicht empirisch untersucht, aber meine Kollegen und ich haben den Eindruck, dass der Druck auf die Studierenden zunimmt. Die Anforderungen des Studiums steigen und auch der finanzielle Druck, die Prüfungen und das Studium möglichst rasch zu erledigen, nimmt zu – beispielsweise wegen Studiengebühren. Grundsätzlich ist ein gewisser Druck gut, um Leistung zu erbringen, zu viel Druck wirkt aber kontraproduktiv.

Wie kann das vermieden werden?

Da wir jeden Menschen als Individuum sehen, kann man auch keine allgemeinen Tipps geben. Wir schauen, was dieser spezifischen Person Druck macht, erst dann versuchen wir dagegen zu arbeiten und den Druck zu nehmen. Der Druck kann von innen kommen, wie etwa mangelndes Selbstbewusstsein oder Perfektionismus und infolge das schlechte Gefühl, vielleicht noch ein Semester länger zu brauchen. Es gibt aber natürlich auch Druck von außen, wenn Eltern wegen der Studiendauer Druck machen oder wenn sich die Eltern ein bestimmtes Studienfach wünschen. Wir versuchen, den Personen Lösungsansätze für ihre Probleme zu geben.

Besteht zwischen Ihnen und StudienprogrammleiterInnen ein direkter Kontakt, um Probleme anzusprechen?

Ein direkter Kontakt diesbezüglich besteht nicht, die offiziellen Stellen von der Universität würden sich da ans Ministerium wenden. Ich bin überzeugt, den verantwortlichen Personen auf der Uni ist schon bewusst, dass die Studierenden unter Druck stehen. Wir haben zwar Kontakt mit einigen Leuten von der Uni, aber das ist sehr individuell – zum Beispiel wenn ein Student oder eine Studentin auffällig geworden ist oder wir an einer Sitzung teilnehmen sollen. 

Ist bei Ihnen Arbeiten neben dem Studieren ein Thema?

Unsere Wahrnehmung ist, dass nahezu alle Studierenden nebenbei arbeiten. Manchmal müssen sich diese zwei- oder sogar dreiteilen. Gerade Diplomanden arbeiten manchmal bis zu 30 Stunden pro Woche und wir müssen ihnen dann sagen, dass man so im Allgemeinen keine Diplomarbeit schreiben kann. Das geht einfach nicht, außer in Einzelfällen vielleicht.

Haben Sie in der Praxis auch von Mitteln zur Konzentrationssteigerung, wie etwa Ritalin, gehört?

Das wird von den Medien hochgefahren, ist aber dort sicher mehr Thema als bei uns. Die Studierenden wissen es, wir wissen es. Ab und zu werden vor allem Kollegen, die die Lerntrainings machen, gefragt, wie sich solche Mittel auswirken. Aber ich kann nicht behaupten, dass das großen Platz bei uns einnimmt. Es kommen keinesfalls viele zu uns und erzählen, dass sie Ritalin oder Ähnliches nehmen – vielleicht sagen sie es uns auch nicht. Es ist zweischneidig zu betrachten, die Berichterstattung kann sicherlich auch abschrecken. Auf der anderen Seite wird dieses Thema dadurch öffentlich gemacht und kann jemanden auch erst auf die Idee bringen. Es ist sicher ein Problem, vor fünf Jahren war das noch nicht so.

Woran liegt es, dass immer mehr Studierende Hilfe suchen?

Auch darüber haben wir keine genauen Untersuchungen. Wir vermuten, dass sowohl die Hemmschwelle für psychologische Beratung sinkt, aber auch, dass der steigende Druck auf die Studierenden Grund dafür ist. Hauptsächlich kommen die Leute über Mundpropaganda und über das Internet zu uns, aber wir versuchen schon, die Erstsemestrigen zu erreichen, indem unsere Kontaktdaten in den Unterlagen enthalten sind, die jeder am Anfang des Studiums bekommt.

Wer finanziert die Beratungsstelle?

In Wien sind wir 15 beratende Personen – bis auf einen Mitarbeiter alles Psychologen – und werden vom Wissenschaftsministerium finanziert. Ich würde mir aber wünschen, dass wir mehr Personal bekommen, weil wir steigende Klientenzahlen haben und diese nicht mehr optimal betreuen können, wenn es noch mehr werden. Letztes Jahr waren insgesamt 4.000 Klienten bei der Beratungsstelle, mit denen mehr als 14.000 Beratungskontakte stattfanden. Die Tendenz ist eindeutig, es kommen immer mehr Leute und wir sind wirklich am Limit.

Ganz normaler Wahnsinn

  • 13.07.2012, 18:18

Mit der Schau Dino Risi und der Commedia all’italiana setzte das Österreichische Filmmuseum eine schon 2003 mit der Michelangelo Antonioni gewidmeten Retrospektive eingeführte jährliche Begegnung mit dem italienischen Kino fort und knüpft an die Jänner-Programme der letzten beiden Jahre an

Mit der Schau Dino Risi und der Commedia all’italiana setzte das Österreichische Filmmuseum eine schon 2003 mit der Michelangelo Antonioni gewidmeten Retrospektive eingeführte jährliche Begegnung mit dem italienischen Kino fort und knüpft an die Jänner-Programme der letzten beiden Jahre an – Roberto Rossellini und der Neorealismus; Pier Paolo Pasolini und das italienische Kino der 1960er Jahre. Mit dem Projekt zur Commedia allitaliana wollen wir versuchen, auch das populäre Kino für unser Publikum – neu – zu erschließen. Dino Risi wird dabei hervorgehoben: ein Filmschaffender, dessen Bedeutung nicht hinter Rossellini und Pasolini zurücksteht, ein Meister zwischen Melancholie und Zynismus, dessen Werk der italienischen Gesellschaft auf hohem künstlerischen Niveau einen Spiegel vorhält.
Commedia all’italiana zählt zu den spannendsten Phänomenen in der Geschichte des populären Kinos, wurde jedoch bislang außerhalb Italiens kaum genauer betrachtet. In einer Zeit, in der dem Kino die Idee des genuin Populären (statt Populistischen bzw. Konsumeristischen) immer fremder wird, schien es interessant, diesen langen Augenblick der italienischen Filmgeschichte unter die Lupe zu nehmen. Dies geschieht auch im Einklang mit der Art, wie die Commedia all’italiana derzeit auch in ihrem Heimatland radikal neu bewertet wird. Hinzu kommt der besondere Umstand, dass in diesem Genre die nicht-regieführenden Kräfte mindestens so bedeutend sind wie die Regisseure – die Commedia all’italiana ist nämlich auch eine Schöpfung ihrer großen SchauspielerInnen und DrehbuchautorInnen.

Seit seiner Gründung 1964 will das Filmmuseum Wien ein lebendiger Ort für die Auseinandersetzung mit dem Medium Film sein. Schwerpunkt liegt in der Vorführung im Rahmen der zwei Zyklen „Die Utopie Film“ und „Was ist Film“, das Filmmuseum bietet aber auch Programme für SchülerInnen an, hält Lehrveranstaltungen an der Uni Wien und veranstaltet Vorträge sowie Symposien.

Was können GenossInnenschaften heute schaffen?

  • 13.07.2012, 18:18

Bereits das Wort GenossInnenschaft klingt schon nach verstaubtem Gerümpel am Dachboden der Großelterngeneration. Ein genauerer Blick auf die Geschichte dieser Zusammenschlüsse ergibt, dass der erste Eindruck nicht getäuscht hat.

Kommentar

Bereits das Wort GenossInnenschaft klingt schon nach verstaubtem Gerümpel am Dachboden der Großelterngeneration. Ein genauerer Blick auf die Geschichte dieser Zusammenschlüsse ergibt, dass der erste Eindruck nicht getäuscht hat. GenossInnenschaften gibt es schon lange. Der Grundgedanke ist seit damals gleich geblieben. Die Mitglieder sind gleichzeitig auch BesitzerInnen und KapitalgeberInnen. Entscheidungen werden demokratisch getroffen.
GenossInnenschaften sind trotz ihrer langen Geschichte aber keinesfalls reif für den Müllcontainer. Ganz im Gegenteil. Auch wenn manche bekannte Vereinigungen zu großen Firmen herangewachsen oder bereits wieder in der Versenkung verschwunden sind, bilden sich weiterhin auf der ganzen Welt neue GenossInnenschaften. Sie versuchen, ihren Mitgliedern wirtschaftlich unter die Arme zu greifen oder bessere Arbeitsbedingungen für sie zu schaffen.
Diese Ziele klingen nach Weltverbesserung. In einigen Bereichen gelingt das auch. Fairtrade ist wohl das bekannteste Beispiel dafür, dass durch faire Entlohnung bessere Lebensbedingungen für ganze Dörfer geschaffen werden können. Das Vorleben von neuen Formen der Produktion und des Konsums trägt mit Sicherheit dazu bei, Impulse für die Wirtschaft außerhalb der GenossInnenschaften zu geben.
Gleichzeitig erschleicht einen bei der Beschäftigung mit dieser Form von Zusammenarbeiten und Konsumieren auch ein wenig das Gefühl, dass viele dieser neuen Co-Ops, die es auch in Österreich gibt, zwar von einer besseren Welt träumen, diese aber nur im kleinen Kreis für ihre Mitglieder schaffen. Ein Umsturz des kapitalistischen Systems ist über die Grenzen der eigenen Vereinigung hinaus nur schwer bewirkbar. Hinzu kommt noch, dass viele der neuen GenossInnenschaften eine eingeschränkte Zielgruppe haben – die Bevölkerung der gehobenen Schichten kann so ohne schlechtes Gewissen einkaufen und hat dabei noch das Gefühl, die Welt zu verändern. Mit fair gehandelten und demokratisch produzierten Produkten wollen sie zeigen, dass sie trotz voller Geldbörse nicht auf die Probleme dieser Welt vergessen haben. Ein Statussymbol also für ein paar wenige, die es sich leisten können.
Das bewusste Konsumieren darf nicht die einzige engagierte Tat bleiben, wenn das derzeitige ausbeuterische System verändert werden soll. Allerdings sind GenossInnenschaften ein wichtiger Schritt in Richtung einer Gesellschaft, in der alle Menschen ihre Umwelt demokratisch mitgestalten können, und sie schaffen heute schon faire Arbeitsbedingungen.

StudentInnenaufstand gestern und morgen

  • 13.07.2012, 18:18

Die seit Oktober andauernden Studierendenproteste dürfen nicht nur als Streit um verbesserte Lehre und einer Ausfinanzierung des hochschulischen Betriebs gesehen werden, sondern als eine Bewegung, die für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller kämpft.

Die seit Oktober andauernden Studierendenproteste dürfen nicht nur als Streit um verbesserte Lehre und einer Ausfinanzierung des hochschulischen Betriebs gesehen werden, sondern als eine Bewegung, die für die Verbesserung der Lebensbedingungen aller kämpft. Zu dieser Verbesserung gehört Bildung, die eine Entwicklung zum emanzipierten Individuum fördert und zu einer gesellschaftlichen Transformation beiträgt.  In der Zeit der Besetzung der Hörsäle haben Studierende diese nicht veruntreut, sondern ihren eigenen Bedürfnissen dienstbar gemacht und in ihre Verantwortung genommen! Sie wehrten sich gegen ein System, das ihnen unmenschlich erscheint, und gegen die Entfremdung, die es mit sich bringt. Es kann dabei kein Unterschied gemacht werden zwischen den gesetzlichen Vertretungen und den protestierenden Studierenden – die Vertretung besteht aus Studierenden und die ÖH-Bundesvertretung identifiziert sich inhaltlich mit den Anliegen der protestierenden Studierenden, ist Teil davon, auch weiterhin.
Zu unrealistisch, zu unbedacht, zu wenige heißt es immer wieder. Das Wort utopisch wird zum Synonym für die Forderungskataloge der Studierenden. Herbert Marcuse, Vertreter der Frankfurter Schule, wusste zu gesellschaftlichen Vorstellungen, die als utopisch bezeichnet werden, in einem Interview 1976 folgendes zu sagen: „Der Begriff (Utopie) ist Propaganda von der Seite des Bestehenden. Es gibt nichts was nicht realisierbar ist, sofern die Menschen ihre Gesellschaft vernünftig einrichten.“ Wir fordern also das Utopische, ohne uns zu schämen, ohne eine Überprüfung der Verträglichkeit mit bestehenden Konformitäten.
Als Bundesvertretung würden wir uns freuen, gemeinsam mit euch die bestehende Diskussion und die Ideen der Bewegung weiterzuentwickeln und weiterzutragen. Gelegenheit dazu gibt es bei einem von uns organisierten Hochschulkongress vom 19. – 21. Februar (Anmeldungen unter  www.her2010.at) und beim Bologna-Gegengipfel zur Bologna Ministerial Anniversary Conference 2010 der europäischen HochschulministerInnen.

Mobilität im Studium

  • 13.07.2012, 18:18

Ein Auslandsemester, wie es zum Beispiel im Rahmen des Erasmus- oder des Joint Study-Programms gefördert wird, bietet Studierenden die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln, die für das weitere Leben nützlich und prägend sein können.

Ein Auslandsemester, wie es zum Beispiel im Rahmen des Erasmus- oder des Joint Study-Programms gefördert wird, bietet Studierenden die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln, die für das weitere Leben nützlich und prägend sein können.

ProfessorInnen und Lehrende raten Studierenden, Auslandserfahrungen zu sammeln. Das Erasmusprogramm unterstützt dabei die Outgoings (Studierende die für ein oder zwei Semester an einer Partnerinnenuniversität im Ausland studieren) sich an der neuen Hochschule zurechtzufinden. Dabei wird versucht, den Studierenden den bürokratischen Aufwand zu erleichtern und sie finanziell zu unterstützen.
Der Vorteil eines Auslandsaufenthaltes während des Studiums besteht darin, eine neue Hochschule kennenzulernen. Das bietet die Möglichkeit, den akademischen Horizont um neue Perspektiven zu erweitern, eine neue Kultur kennenzulernen und wichtige Lebenserfahrungen im Umgang mit anderen Menschen zu sammeln.

Herausforderungen im Ausland. Zum einen gibt es die sprachliche Barriere, die vorherrscht, wenn der Auslandsaufenthalt in einem Land verbracht wird, dessen Sprache nicht bzw. nur gering beherrscht wird. Dabei kann es schon Mal passieren, dass im Umgang mit der Universität, den Behörden oder beim täglichen Einkauf Missverständnisse auftreten. Die Lehrenden sind jedoch oft bemüht, den Mobilitätsstudierenden entgegenzukommen, und oft werden durch einen längeren Auslandsaufenthalt Fremdsprachenkenntnisse verbessert.
Ein Problem auf akademischer Ebene ergibt sich durch die Einführung des Bachelor-Master-Systems im Rahmen des Bologna-Prozesses. Die Lehrpläne im Bachelorstudium sind zum Teil sehr straff und aufeinander aufbauend konzipiert, so dass es oft erschwert wird, zwei Semester im Ausland zu verbringen und äquivalent anrechenbare Lehrveranstaltungen zu finden, was wiederum den Studienabschluss an der Heimatuniversität verzögern und weitere Kosten für das Studium verursachen kann. Im Rahmen eines Mobilitätsprogramms wird jedoch schon vor dem Auslandsaufenthalt ein Learning Agreement abgeschlossen, bei dem im Vorhinein mit dem Heim-Institut und dem Institut an der Partnerinnenuniversität vereinbart wird, welche Lehrveranstaltungen im Ausland besucht werden.
Es ist auf jeden Fall ratsam, sich mit anderen Mobilitätsstudierenden in Verbindung zu setzen, um Erfahrungen auszutauschen und so auf die neue akademische Einrichtung und den nicht zu unterschätzenden bürokratischen Aufwand gefasst zu sein sowie alles ohne Komplikationen zu meistern.

Mehr als nur studieren. Zu einem Auslandssemester gehört aber neben der Bekanntschaft mit einer neuen Universität auch, in einem anderen Land zu leben. Es werden Kontakte mit Personen aus der ganzen Welt geknüpft, das funktioniert vor allem in internationalen StudentInnenwohnheimen sehr gut, in welchen Studierende der verschiedensten Studienrichtungen und aus den verschiedensten Ländern Europas und der Welt zusammenwohnen und ihren Alltag im Ausland gemeinsam meistern. Dabei können lebenslange FreundInnenschaften entstehen. Das Erasmusprogramm bzw. die PartnerInnenuniversitäten unterstützen die Outgoings oft bei der Suche nach einem Zimmer im Ausland. Es ist auch oft sehr hilfreich, Personen um sich zu haben, die mit denselben Problemen im Alltag konfrontiert sind.
Im Rahmen des Erasmusprogramms bietet ESN (Erasmus Student Network) Trips in dem jeweiligen Land und regelmäßige Partys an. Es handelt sich um eine Organisation von Studierenden der Partnerinnenuniversität, die den mobilen Studierenden den Aufenthalt erleichtern, dabei helfen Kontakte zu knüpfen sowie die Kultur des jeweiligen Landes kennenzulernen.

Informationen und Erfahrungsberichte zum Thema Mobilität im Studium findet man unter: http://forschung.univie.ac.at/de/portal/
mobilitaet/studierende.

 

Gemeinschaftliches Arbeiten und Konsumieren weltweit

  • 13.07.2012, 18:18

Die GenossInnenschaftsbewegung breitet sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts weltweit aus. In Österreich oft mit Raiffeisen-Bank und Konsum gleichgesetzt, gibt es international Beispiele, die ein moderneres Bild auf den Zusammenschluss von Menschen zu Produktions- oder Konsumgemeinschaften werfen.

Die GenossInnenschaftsbewegung breitet sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts weltweit aus. In Österreich oft mit Raiffeisen-Bank und Konsum gleichgesetzt, gibt es international Beispiele, die ein moderneres Bild auf den Zusammenschluss von Menschen zu Produktions- oder Konsumgemeinschaften werfen.

GenossInnenschaften oder auch Kooperativen gibt es schon seit dem Altertum. Damals schlossen sich Menschen zu Bündnissen wie Glaubensgemeinschaften zusammen, die genossInnenschaftliche Züge hatten. Im Mittelalter bildeten sich unter sozial oder wirtschaftlich schwachen Personen Vereinigungen, die zum Beispiel die Begräbnisse der Mitglieder finanzierten. Aus GenossInnenschaften, die sich um die gemeinschaftliche Verwaltung der Almen kümmerten, entstand später die Schweizer EidgenossInnenschaft, die eine Form der direkten Demokratie darstellt.
Im Dezember 1844 gründeten 28 WeberInnen die Rochdale Society of Equitable Pioneers. Robert Owen, ein englischer Unternehmer, gründete diese ProduktivgenossInnenschaft, um die Lage der FabriksarbeiterInnen zu verbessern. Außerdem gründete er eine KonsumgenossInnenschaft in Form eines Ladens, um den Menschen leistbare Lebensmittel zur Verfügung zu stellen. Owen gilt als der Begründer der modernen Form dieses Zusammenschlusses. Das BesucherInnenbuch der Pioneers zeigte unter anderem Namen aus England, Deutschland, Spanien, Japan, Italien und Russland. George Jacob Holyoake veröffentlichte die Geschichte der Rochdale Pioneers 1858 unter dem Titel Self-Help by the People. Es wurde in mehrere Sprachen übersetzt.
Die GenossInnenschaftsbewegung breitete sich ab diesem Zeitpunkt rasch aus. Im deutschsprachigen Raum wurden die ersten GenossInnenschaften 1847 von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch gegründet. Aus Raiffeisen’s Vereinigung zur Bekämpfung von Armut der ländlichen Bevölkerung entstand später ein Darlehenskassenverein. In Europa gibt es heute 300.000 GenossInnenschaften mit über 140 Millionen Mitgliedern.

Was ist das denn? GenossInnenschaften sind Zusammenschlüsse von natürlichen oder auch juristischen Personen. Das so genannte S-Prinzip bedeutet hier: Selbstverwaltung, Selbstverantwortung und Selbsthilfe. Die KapitalgeberInnen und Mitglieder sind gleichzeitig EntscheidungsträgerInnen und GeschäftspartnerInnen der Vereinigung.
Laut Gesetz müssen GenossInnenschaften den Erwerb oder die Wirtschaft der Mitglieder fördern. Sie müssen dies in Abstimmung mit ihren Mitgliedern durch sinnvolles unternehmerisches und marktgestalterisches Handeln erfüllen. Das besondere an dieser Form des wirtschaftlichen Zusammenarbeitens besteht darin, dass hier die erwirtschafteten Gewinne direkt an die Mitglieder weitergegeben werden. Eine Nichtweitergabe erfolgt nur dann, wenn neu investiert werden muss. Gewinn ist aber nicht der Selbstzweck einer GenossInnenschaft. Je nach Zweck muss das erwirtschaftete Geld auch entsprechend eingesetzt werden.
Die Mitglieder in solchen Zusammenschlüssen sind nicht auf eine bestimmte Zahl beschränkt. Die Anzahl kann je nach neu gewonnenen und ausgeschiedenen Mitgliedern ständig schwanken. Durch die Mitgliedschaft verpflichten sich die Personen zwar zur Einzahlung von Kapital und zur Entrichtung von etwaigen Mitgliedsbeiträgen, können aber dann von der jeweiligen Leistung der GenossInnenschaft profitieren.

Österreichische Varianten. Das klingt zuerst alles sehr theoretisch. Bei genauerer Betrachtung kennt aber jede Person in Österreich zumindest eine GenossInnenschaft. Die Raiffeisen-Gruppe mit ihrem Giebelkreuz als Markenzeichen ist in jedem Teil Österreichs zu finden. 1,7 Millionen Menschen sind in Österreich Mitglied und 40 Prozent der Bevölkerung sind KundInnen. Somit stellt sie die größte Bankengruppe in Österreich dar.
Die erste Raiffeisenkasse wurde in Österreich 1886 gegründet, weitere EinzelgenossInnenschaften folgten. Ab 1894 gab es landesweite Zentralen, und seit 1898 gibt es den Österreichischen Raiffeisenverband. Die Struktur ist seit damals stark gewachsen. In Österreich gibt es derzeit 560 selbstständige Raiffeisenbanken mit insgesamt 1.800 Filialen. Raiffeisenbanken wurden zur wirtschaftlichen Absicherung ihrer Mitglieder gegründet. Neben der Möglichkeit, die Entscheidungen innerhalb des Verbandes mit zu bestimmten, sind Mitglieder vor allem auch MiteigentümerInnen.
Eine weitere bekannte GenossInnenschaft stellte Konsum dar. Sie war bis zu ihrer Insolvenz 1995 eine KonsumgenossInnenschaft. Gemeinsam mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund war Konsum mehrere Jahrzehnte lang Besitzerin der BAWAG (Bank für Arbeit und Wirtschaft). Konsum wurde deshalb oft als gewerkschaftliches Unternehmen wahrgenommen, was aber rein rechtlich nicht der Fall war.
Die ersten KonsumgenossInnenschaften wurden in Österreich bereits 1852 gegründet. Viele ArbeiterInnen wollten den steigenden Preisen für Lebensmittel entgehen und solidarisierten sich. Die Zusammenschlüsse befassten sich mit dem Vertrieb von Nahrungsmitteln und anderen Gütern des täglichen Gebrauchs. 1903 kam es mit Unterstützung der damaligen SPÖ zur Gründung des Zentralverbandes österreichischer Konsumgesellschaften. Nach dem Ersten Weltkrieg versuchte der Konsumverband aber parteilich unabhängig zu werden.
Nach schwierigen Phasen für die GenossInnenschaften während des Ständestaats und dem Nationalsozialismus begann nach dem Zweiten Weltkrieg ein rascher Aufbau des Konsumverbandes. Ab Mitte der 1950er Jahre nahm der Mitgliederzuwachs aber ab, die Mitglieder waren veraltet und viele GenossInnenschaften waren nahe am finanziellen Ruin. Ein neues Konzept war von Nöten. 1970 wurde daher der erste Konsum-Großmarkt und 1971 das erste Konsum-Möbelhaus eröffnet. Der Verband sollte sich zur Konsum-Einzelhandelskette weiterentwickeln. Anfänglich steigende Gewinne konnten sich aber nicht auf Dauer einstellen. Konsum musste Anfang der 90er Anteile an der BAWAG verkaufen. 1995 wurden die bestehenden Filialen von anderen Unternehmen übernommen oder aufgelöst.

GenossInnenschaften auswärts. Österreichische GenossInnenschaften hören sich ein wenig nach Großkonzern oder verstaubter Vergangenheit an. International sieht das ein wenig anders aus. Auf Englisch heißen diese Vereinigungen Co-Operatives oder kurz Co-Ops. In Großbritannien begannen sich Anfang des 19. Jahrhunderts Menschen gegen die Form der Wohlfahrt zu wehren. Sowohl Staat als auch Kirche begannen zwischen „förderungswürdigen“ und „unwürdigen“ Armen zu unterscheiden. Daher wurden die ersten Friendly Societies gegründet. Ende des 19. Jahrhunderts waren knapp 80 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Großbritannien und 90 Prozent in Australien Mitglieder einer Friendly Society. Sie waren damit die größte Form von Vereinigungen von ArbeiterInnen im angelsächsischen Raum vor der Gründung von Gewerkschaften.
GenossInnenschaften stellen eine Form der wirtschaftlichen Demokratie dar und sollen so die politische Demokratie ergänzen. Diese Motive sind in den großen österreichischen GenossInnenschaften kaum noch sichtbar, im internationalen Bereich stehen sie dafür stärker im Vordergrund. So sind gerade viele kleinere Co-Ops klar im linken bzw. sozialistischen Spektrum anzusiedeln. Ein Beispiel hierfür stellt The London Socialist Film Co-Op dar. Sie zeigen aktuelle und ältere Filme, um sozialistische Kultur weiterzutragen. Nach den Veranstaltungen werden die TeilnehmerInnen zu Diskussionen angeregt. Mitglieder werden dazu ermuntert, eigene Filme zu drehen, sich aktiv an der Organisation von Veranstaltungen zu beteiligen oder Vorschläge für gezeigte Filme zu machen.
Rainbow Grocery in San Francisco wurde 1975 gegründet und ist ein vegetarischer Supermarkt. Er entstand aus einem Projekt namens People‘s Common Operating Warehouse of San Francisco, bei dem Essen von Menschen der Umgebung in Großmengen eingekauft und danach untereinander aufgeteilt wurde, um das Zusammenleben in der Gemeinschaft und politisches Denken zu fördern. Aus diesem zuerst religiösen Projekt entstand dann der säkulare Verkaufsladen.
Den Titel Co-Operative konnte Rainbow Grocery erst 1993 führen, denn bis dahin besaß Kalifornien keinen rechtlichen Terminus für Arbeiter-Innen-Co-Ops. Doch schon von Beginn an war Rainbow Grocery ein von den Mitgliedern demokratisch organisierter und gemeinsam besessener Laden. Im Unterschied zu KonsumgenossInnenschaften ist das Geschäft aber nicht in Besitz der Menschen, die dort einkaufen, sondern gehört den ArbeiterInnen. Die Vereinigung beschreibt sich selbst als Zusammenschluss der einzelnen Abteilungen im Laden wie Einkauf, Käse, Reinigung oder Bäckerei. Auf der Abteilungsebene werden die Entscheidungen wie Neueinstellungen oder Einkauf eigenständig getroffen. Nur größere finanzielle oder rechtliche Entscheidungen werden von dem jährlich gewählten Board, das sieben Mitglieder hat, getroffen. Zur Wahl für das Board können sich alle MitarbeiterInnen bzw. Mitglieder aufstellen – egal in welcher Abteilung sie arbeiten. Zusätzlich zum Board gibt es monatliche Treffen der Mitglieder, in denen Entscheidungen besprochen und abgestimmt werden.

Fairer Handeln. Natürlich gibt es auch internationale Vereinigungen, die auf größerer Ebene agieren. Als bekannte Vertreterin sei hier Fairtrade genannt. Die Organisation versucht weltweit, durch fairen Handel und gerechte Löhne benachteiligte kleinbäuerliche Familien zu unterstützen. Bei Plantagen werden die PflückerInnen gefördert, da sie die Benachteiligsten in der Produktionskette sind. Die einzelnen ProduzentInnen müssen sich, um das Fairtrade-Siegel zu erhalten und mit Hilfe von Fairtrade Produkte erzeugen zu dürfen, zu GenossInnenschaften zusammenschließen. Wenn dies noch nicht möglich ist, muss zumindest auf demokratische Strukturen hingearbeitet und die ArbeiterInnen gerecht entlohnt werden. Neben Schulungen in den Bereichen Marketing und Produktionsverfahren unterstützt Fairtrade auch soziale Projekte wie den Bau von Schulen, Brunnen und Apotheken.
Die gerechte Produktion von Kaffee ist im öffentlichen Bewusstsein wohl am stärksten mit Fairtrade verbunden. Die Produktpalette umfasst heute aber weit mehr. Schokolade, Datteln und Gewürze sind genauso wie Baumwolle, Teppiche und Fußbälle erhältlich. Das Fairtrade-Gütesiegel zeigt den KundInnen in aller Welt, welche Erzeugnisse unter demokratischen Bedingungen hergestellt wurden. Die Preise sind zwar in den meisten Fällen höher als bei vergleichbaren Produkten ohne Siegel, allerdings können die KonsumentInnen neben dem Erwerb eines guten Gewissens so auch einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen von ArbeiterInnen leisten.
GenossInnenschaften gibt es weltweit in vielen verschiedenen Formen. Allen gemeinsam ist eine demokratische Struktur, die für alle Mitglieder Mitsprache garantiert. Diese Form von Demokratie in Arbeits- und Produktionsprozessen ist ein wichtiger Wegweiser zu einer Gesellschaft, die auf die Bedürfnisse aller eingeht. Viele, vor allem größere, Vereinigungen stellen heute gleichzeitig multinationale Unternehmen dar, die stark im kapitalistischen System verankert sind. GenossInnenschaften müssen daher nicht zwingend zur Veränderung des bestehenden Systems beitragen. Sie können jedoch einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen gerecht bezahlt und in Entscheidungsprozesse eingebunden werden.

Glück im Unglück

  • 13.07.2012, 18:18

Das Wiener Filmmuseum würdigt mit seinem Jänner-Schwerpunkt Dino Risi und die Commedia all’italiana eine Lebenseinstellung, die das Unglück der Welt nicht relativiert, sich davon aber auch nicht verrückt machen lässt. Eine Analyse.

Das Wiener Filmmuseum würdigt mit seinem Jänner-Schwerpunkt Dino Risi und die Commedia all’italiana eine Lebenseinstellung, die das Unglück der Welt nicht relativiert, sich davon aber auch nicht verrückt machen lässt. Eine Analyse.

Das Filmmuseum in Wien wurde im Jänner gestürmt. Beinahe vor jeder Vorführung spielten sich an der Kassa hektische Szenen ab. Die Karten waren viel zu schnell weg, die sich drängenden BesucherInnen wurden ersucht, doch bitte Reservierungen vorzunehmen. Was zog die Menschen an? Diese Frage kann auf den ersten Blick leicht beantwortet werden: Der Filmschwerpunkt Dino Risi und die Commedia all’italiana schaffte es, das Publikum zu unterhalten, zu belustigen und zu begeistern. Italienischer Film von den späten 1950er Jahren bis tief hinein in die 1970er. Es gab Vorführungen, in denen die ZuseherInnen durchgehende 120 Minuten nicht zur Ruhe kamen. Szene für Szene folgte ein Gag dem nächsten, die Leinwand wurde zur Dirigentin eines Lachkonzerts. Am Ende konnten sich einige das Lachen sogar dann nicht verkneifen, wenn es in Wirklichkeit keinen Grund dafür gab. 

Die dramatische Wende. Das Fröhliche und Lustige stand bei den Filmen aber immer nur scheinbar im Vordergrund. Bei nicht wenigen scheint es, als ob der Humor beim Publikum Blockaden abtragen soll, um empfänglich für die eigentliche, tiefere Botschaft zu machen. „Risis Filme zeigen meist eine Fröhlichkeit, die sich ins Dramatische verkehrt“, schreibt der Spiegel mit Recht. Das Fröhliche fällt dann dem Dramatischen in Form des Lebens mit all seinen Unzulänglichkeiten zum Opfer.
Warum aber reißen sich Scharen von Menschen darum, vierzig bis sechzig Jahre alte Filme zu sehen, in denen lockerer Spaß zum Drama wird? Was für eine Aktualität tragen diese alten Streifen in sich, die die ZuseherInnen zu fesseln vermag? Diese Fragen führen uns zum zweiten, genaueren Blick: Auf diesen zweiten Blick ist die Frage nach dem Erfolg des Jänner-Schwerpunkts des Filmmuseums nicht mehr ganz so einfach zu beantworten. Womöglich ist es an dieser Stelle wichtig zu wissen, dass der 2008 in Rom verstorbene Risi nicht nur Regisseur und Drehbuchautor, sondern auch Psychiater war.
Ein Psychiater, der mit seinen Filmen darstellt, dass kleines Glück oft gar nicht so klein und auch in einer unglücklichen Welt möglich, ja notwendig ist. Risi zeigt, dass es vielleicht im falschen Leben tatsächlich kein richtiges gibt, aber dass wir uns davon besser nicht verrückt machen lassen sollten. 

Intensives Leben. Risi zeichnet das Bild eines Nachkriegs-Italiens mit all seinen Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten. Er nimmt die ganz großen Themen seiner Zeit ins Visier: Es geht um die Kluft zwischen (zumeist) durchtrieben und sinister dargestellten Bourgeoises und den Besitzlosen, um Korruption, Verbrechen, den Faschismus und seine (ungenügende) Bewältigung und den rapiden wirtschaftlichen Aufschwung jener Jahre. Und sehr oft handeln die Filme ganz einfach von den Beziehungen zwischen Mann und Frau in einem patriarchalen Italien, das so klare Geschlechterrollen vorgab, dass ihnen letztlich niemand entsprechen konnte.
Aber zwischen all diesen Brüchen, Widersprüchen und Ungerechtigkeiten tauchen in Risis Filmen Menschen auf, die darum kämpfen, ihren Stolz nicht zu verlieren und ihre Rolle zu finden. Sie sehen die Ungerechtigkeit und die eigene Unzulänglichkeit, aber sie sehen auch, dass es keinen Sinn hat, auf das Gesehene mit Hass zu reagieren. Risi macht aus dem Leben mit all seinen Baustellen eine eigene Ästhetik des Seins, die von den ProtagonistInnen laut und lebendig und oft genug auch rabiat gelebt wird. Dabei werden alle Italien-Klischees bedient, für die die Italiener und Italienerinnen so weit über ihre Staatsgrenzen hinaus bekannt und beliebt sind. Kurz: Der Drang zum intensiven Leben.  
Natürlich geht das nicht immer gut. Viele der Film-Charaktere sind zum Scheitern verurteilt. Sie scheitern direkt vor den Augen des Publikums, werden dabei für Verhältnisse bestraft, für die sie nichts können. Aber Risis Verdienst ist es, genau an diesem Punkt des Scheiterns zu zeigen, dass nicht alles verloren ist. Die hätten es auch irgendwie schaffen können, ein Schlupfloch finden können, das es in Italien immer gibt – die Frage lautet nur wo. Ein paar dieser Schlupflöcher hat das Filmmuseum mit seinem Risi-Schwerpunkt nach Österreich geholt. Das ist schön, denn wir können sie gut brauchen.

 

 

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