Jänner 2010

„Seit damals sind wir die Nazis“

  • 13.07.2012, 18:18

In der Wiener Brigittenau wird seit Jahren um den Ausbau eines islamischen Kulturzentrums gerungen. Das Problem? BefürworterInnen und GegnerInnen leben in zwei getrennten Welten. Eine Reportage.

In der Wiener Brigittenau wird seit Jahren um den Ausbau eines islamischen Kulturzentrums gerungen. Das Problem? BefürworterInnen und GegnerInnen leben in zwei getrennten Welten. Eine Reportage.

Ein Mann springt auf eine Parkbank und hält eine Moschee aus Pappe in die Höhe. „Anzünden!“, tönt es vereinzelt, aber kräftig aus den Reihen der sechshundert Demonstrantinnen und Demonstranten. Die verstreuten Schreihälse haben etwas gemein: Sie tragen Glatzen, Bomberjacken und Springerstiefel. Ihr Geifer steckt die Masse an: „Anzünden!“, „Niederbrennen!“, schreien nun RentnerInnen und Hausfrauen mit Neo-Nazis um die Wette. Einige schnappen sich die Papp-Moschee, werfen sie zu Boden, trampeln sie platt.
Vor zwei Jahren trug sich dieses Schauspiel im Wiener Stadtteil Brigittenau zu. Es sollte das Zusammenleben im Bezirk verändern. Hannelore Schuster, 61, verzieht der Ärger das Gesicht, wenn sie an diesen Tag erinnert wird. „Seit damals sind wir die Nazis“, sagt sie. Schuster ist die Sprecherin der Bürgerinitiative Dammstraße, die damals zur Demonstration aufgerufen hat. Sie will verhindern, dass der türkische Kulturverein Atib sein Vereinshaus zu einem fünfstöckigen Veranstaltungszentrum ausbaut. Ein Platz für tausend Musliminnen und Muslime? Nicht in der Dammstraße.

Islamisierung. Die GegnerInnen des Ausbaus treffen sich monatlich zu einem Stammtisch, veranstalten Informationsabende und riefen bisher zu zwei Demonstrationen auf. Die BürgerInnen-initiative entstand im Sommer 2007, wenige Tage nachdem die Baubehörde der Stadt Wien der Vergrößerung des türkischen Vereinshauses zugestimmt hatte. Trotz eines alten Gegen-Antrags aller Parteien des Bezirksparlaments, der vor Parkplatznot und Lärmbelästigung warnt.
Schusters Wohnung ist eine von 1.400, die in der Nachbarschaft des Zentrums liegen. Ihr Balkon im fünften Stock gibt den Blick frei auf den Gebäudekomplex. Wer ihr zuhört, merkt schnell, dass es um mehr geht als bloß um Lärm und Parkplätze. Um eine Parallelgesellschaft, die keine Zweifel am Koran dulde und für Zwangsverheiratungen stehe, geht es dann. Schuster greift nach einem Ordner, darin sind die Unterschriften von 11.400 Menschen aufgelistet, die mit ihrem Namen gegen die Islamisierung der Brigittenau protestieren.
Die Dammstraße ist ein ruhiger Teil von Wien, Bäume und Sträucher lockern Asphalt und Beton auf. Die meisten der mehrstöckigen Wohnhäuser gehören der sozialdemokratisch verwalteten Stadt, die Wohnungen darin werden unter dem Marktpreis vermietet. Hier leben vor allem TürkInnen und ÖsterreicherInnen – Tür an Tür aneinander vorbei. „Die Türken tun einfach so, als ob wir nicht hier wären“, sagt eine Frau, die am Atib-Zentrum vorbeispaziert. Die Türkinnen und Türken auf der anderen Seite der Mauer wünschten, sie könnten dasselbe von den Österreicherinnen und Österreichern behaupten.

Eine Fehlermeldung. Wer sich im umstrittenen Gebäude umsehen will, kommt nicht weit. Ein erster persönlicher Besuch scheitert, da sich unter den fünfzehn anwesenden Männern keiner findet, der Deutsch spricht. Atib hat eine Infotafel aufgestellt, die über die Ausbaupläne informieren soll. Wer eine E-Mail an die dort angegebene Adresse sendet, erhält eine Fehlermeldung: „I‘m sorry to have to inform you that your message could not be delivered.“ Erst gemeinsam mit einer türkischen Übersetzerin, die mit Atib nichts zu tun hat, lässt sich eine Besichtigung arrangieren. Die Männer machen für die türkische Studentin eine Ausnahme, eigentlich dürfe nur Pressesprecher Nihat Koca mit JournalistInnen reden.
Im Zentrum findet sich fast alles, was man zum täglichen Leben braucht. Ein Lebensmittelladen, ein Frisör, ein Gesellschaftsraum mit Fernseher und Billardtisch, eine Großküche, Klassenzimmer und zwei Gebetshäuser. Eines für Männer, eines für Frauen.
Das Gebetshaus der Männer ist ein hoher Saal, sechshundert Quadratmeter groß, die Wände werden von türkisfarbenen Keramikfliesen verziert – ein Import aus der fernen Heimat. Die gewölbte Decke wird von drei Bögen getragen, zwischen ihnen sind Dachfenster aus Glas eingelassen, die den Raum in ein angenehmes Licht tauchen.
Der Gebetsraum der Frauen sieht anders aus. Es ist ein dunkles, fensterloses Zimmer, keine hundert Quadratmeter groß. Die Decke und die Wände sind weiß, ohne jede Dekoration, in einer Ecke steht ein Radiator, an den Wänden lehnen Biergartentische. Es riecht muffig. Es gebe keinen besseren Platz, sagen die Männer.
Atib wird laut Pressesprecher Koca mit dem Ausbau nicht vor 2011 beginnen. Die Sprecherin der BügerInneninitiative, Hannelore Schuster, rechnet sich Chancen aus, das Projekt davor noch zu verhindern. Im kommenden Herbst finden in Wien Wahlen statt. Wenn der Bürgermeister seine absolute Mehrheit im Stadtparlament verliert, werden die Karten neu gemischt. „Tausende Menschen unterstützen uns“, sagt Schuster. Dass darunter auch Neo-Nazis sind, nimmt sie in Kauf? Sie will nicht daran erinnert werden.

„Es kann notwendig sein, Tausende zu opfern“

  • 13.07.2012, 18:18

Was wissen wir heute über den Zweiten Weltkrieg?

Was wissen wir heute über den Zweiten Weltkrieg? Beginn 1938, Ende 1945. Hitler, Churchill, Roosevelt. Auschwitz und Holocaust. Hiroshima und Nagasaki. Die Epoche des Zweiten Weltkriegs ist wohl diejenige, über die auch SchülerInnen, die Semester für Semester um ihre Geschichtsnoten kämpfen mussten, halbwegs Bescheid wissen. Dementsprechend niedrig ist daher die Motivation, sich mit Literatur zu einer solchen Epoche zu befassen, da das Gefühl vorherrscht, bereits zur Genüge gelehrt worden zu sein. Nicholson Bakers Textcollage Menschenrauch ist aber auch gerade jenen ans Herz zu legen, die sich in den obigen Zeilen beschrieben meinen. Ohne sich selbst zu Wort zu melden, schafft Baker es, mittels Zeitungsausschnitten, Tagebucheinträgen, Reden und Briefen eine Chronik des Zweiten Weltkriegs zu schaffen, die durch die Zurschaustellung der bizarren Handlungsweisen der Kriegsführer starke Zweifel bezüglich dessen Unabwendbarkeit aufkommen lassen. Durch die zitierten Dokumente werden bei LeserInnen Reaktionen ausgelöst, die von ungläubigem Lachen bis hin zu angewidertem Kopfschütteln reichen. Und immer wieder kommt die Frage auf, ob denn nicht alles hätte ganz anders laufen können, wären die Zeichen, die auf einen drohenden Krieg und den bestialischen Holocaust hinwiesen, schneller erkannt worden. Gleichgültig, wie viel Wissen bereits über den Verlauf des Zweiten Weltkriegs vorhanden ist – gewisse Gegebenheiten überraschen garantiert. So zum Beispiel Mahatma Gandhis Opfertheoretik, mit der er sein Konzept der Gewaltlosigkeit zu untermauern versucht: „Ich weiß, dass es notwendig sein kann, Hunderte wenn nicht gar Tausende zu opfern, um den Hunger von Diktaturen zu stillen.“ Die Praxis der Gewaltlosigkeit – ashimsa – sei am wirksamsten angesichts schrecklicher Gewalt, schrieb Gandhi, „auch wenn die Opfer nicht mehr erleben, wofür sie gelitten haben“. Bakers Buch sorgte für allerlei Kritik. Die Verbrechen der NationalsozialistInnen würden verharmlost, Hitler mit Churchill auf eine Ebene gestellt und außerdem würde Baker mit den Quellentexten zu frei hantieren. Angesichts der Tatsache, dass Baker lediglich vorhandenes Material zu einem großen Ganzen zusammengestellt hat, scheinen derartige Vorwürfe nicht wirklich gerechtfertigt. Vielmehr versucht er seinen pazifistischen Standpunkt zu verständlichen, indem er mit leichtem Hohn das Verhalten der EngländerInnen und AmerikanerInnen ebenso für den Verlauf des Krieges verantwortlich macht, wie das der Deutschen. Er verachtet alle am Krieg Beteiligten gleichermaßen. Die einzige Gruppierung, die mit gewisser Würde aussteigt, ist eben jene der bedingungslosen PazifistInnen. Die Verachtung auf alle anderen zu vermitteln, gelingt Baker ohne selbst zur Feder zu greifen. Diese Aufgabe dürfen die LeserInnen übernehmen. Zusammengefasst also eine Lobeshymne auf den Pazifismus, die allerdings hauptsächlich von dessen GegnerInnen gesungen wird. 

European Student Summit in Wien

  • 13.07.2012, 18:18

Der European Student Summit findet zweimal jährlich statt und wird von der Europäische StudentInnenvereinigung (kurz ESU) und der zuständigen nationalen StudentInnenvereinigung organisiert.

Der European Student Summit findet zweimal jährlich statt und wird von der Europäische StudentInnenvereinigung (kurz ESU) und der zuständigen nationalen StudentInnenvereinigung organisiert. Der Summit findet üblicherweise in dem Land statt, welches auch gleichzeitig der Gastgeber der EU-Präsidentschaft ist. Diese Veranstaltung ermöglicht eine Zusammenkunft der Studentierenden aus Europa in einem Forum außerhalb der üblichen Sitzungen der Europäischen StudentenInnenvereinigung. Durch diese wird auch die Möglichkeit geschaffen, Fragen und Anliegen im Zusammenhang mit Studierenden aus ganz Europa zu diskutieren.
Der erste European Student Summit für dieses Jahr findet in Wien vom 8. März bis zum 10. März an der Veterinärmedizinischen Universität Wien statt und wird von der ÖH in Kooperation mit der Europäischen StudentenInnenvereinigung veranstaltet. Der Summit wird sich diesmal mit dem Thema „Bologna and Lisbon: mutually exclusive or sides of the same coin?“ beschäftigen. N

 

 

Die Vernetzungsmaschinerie

  • 13.07.2012, 18:18

Das Internet hat die Struktur von Studierendenprotesten nachhaltig verändert. Die entscheidende Frage wird in der Zukunft sein, wie es am besten gelingen kann, Online- und Offline-Aktivitäten zu verbinden. Eine Analyse.

Das Internet hat die Struktur von Studierendenprotesten nachhaltig verändert. Die entscheidende Frage wird in der Zukunft sein, wie es am besten gelingen kann, Online- und Offline-Aktivitäten zu verbinden. Eine Analyse.

Anfang der 1980er. Die englische Punkband The Clash stellt sich die alles entscheidende Frage: Should I stay or should I go? Der Studierendenprotest ist zwar keine Liebesgeschichte, jedoch geht es wie in der Liebe um die gemeinsame Zukunft. „Hingehen oder heimgehen?“, denkt sich der Publizistikstudent Luca Hammer am Nachmittag des 22. Oktobers. Soeben hat ihm ein Tweet mitgeteilt, dass das Audimax besetzt ist.
24 Stunden später sitzt er dort. Den Arm mit dem Handy in der Hand in die Höhe gereckt, filmt er das Geschehen mit und überträgt es live ins Internet. Hammer mutiert zur digitalen Schnittstelle. Zwischen denen, die hingehen, und jenen, die daheim bleiben. Tags darauf nimmt der Student seine Kamera und den Laptop mit; abends bespricht er mit ein paar Leuten die Webseite; in der Nacht von Samstag auf Sonntag geht unsereuni.at online. Fortan bündelt die Webseite sämtliche Aktivitäten der Studierenden. Links zum Live-Stream, Facebook und Wiki vergrößern den Kreis der AnhängerInnen. Mit der Übersichtlichkeit der Webseite haben die Studierenden einen entscheidenden Trumpf in der Hand.
Dem bekannten Blogger Gerald Bäck zufolge stieg die theoretische Reichweite der Tweets bereits nach vier Wochen auf 21,5 Millionen. Hunderttausende fieberten bei Plenarsitzungen, Diskussionen und Vorträgen, die live aus dem Audimax gesendet wurden, mit. Bis heute hat die Facebook-Gruppe „Audimax Besetzung an der Uni Wien – Die Uni brennt!“ mehr als 30.000 Mitglieder. Die Solidarität ist groß. Auch nach der Räumung des Audimax am 21. Dezember. 

Medien springen auf. Der Schritt, soziale Netzwerke zur Aufmerksamkeitssteigerung und Vernetzung zu nutzen, stellt eine Emanzipation von herkömmlichen Medien dar. Nicht mehr Fernsehen, Radio oder Print entscheiden, was die Öffentlichkeit erfährt, sondern die Studierenden selbst. Die professionelle Vernetzung via Internet motiviert die Protestierenden, hält sie am Laufenden und die Proteste für lange Zeit am Leben. Nach kürzester Zeit springen die traditionellen Medien auf. Nicht nur, weil das Audimax voll ist, sondern vor allem weil ihnen der Protest im Internet imponiert. Sie stilisieren die professionelle Vernetzung der Studierenden als Innovation hoch.
„Während das Web 1.0 rein zur Informationsbeschaffung diente, steht das Web 2.0 für Koordination. Die Studierendenbewegung ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Protestbewegungen im Internet organisieren und in reale Bewegungen umgesetzt werden“, sagt Alexander Banfield-Mumb, der an der Universität Salzburg die Rolle von digitalen Medien in Protestbewegungen erforscht.
Studentische Milieus gelten traditionell als beweglich.  Die Organisation entsteht spontan, ist oft basisdemokratisch und wird von einer hohen Fluktuation geprägt.  Wenn jemand ausfällt, bricht nicht das ganze System zusammen, sondern die Lücke wird gefüllt. Zu viel Bewegungsfreiheit kann jedoch Chaos schaffen. Das Internet gibt dem Protest eine Struktur. In ihm wird koordiniert und kaum jemand hat sich daran gestoßen, dass alle Tätigkeiten in einem Presseraum der Uni Wien zusammenliefen. Zentralismus wird in diesem Aspekt akzeptiert. Die Arbeitsgruppe Presse, ein Team aus ständig wechselnden Menschen, ist das Herz der Bewegung. Weil sie Übersicht schafft. 

Couch Aktivismus. Das geschmeidige Zusammenspiel von Online-Vorbereitungen und Offline-Aktivitäten ist kein Novum. Wie gut so etwas funktioniert, hat man sowohl bei den WahlkampfhelferInnen von Obama als auch bei den Protesten im Iran gesehen. Zu einem Großteil scheitern jedoch Protestaktionen, die im Internet geschmiedet wurden. Couch-Aktivismus nennt sich das Phänomen, wenn trotz großer AnhängerInnenschaft im Internet kein Protest auf der Straße zustande kommt.
Soziale Netzwerke scheinen das Benzin für die Maschine der österreichischen Studierendenproteste gewesen zu sein. Was wäre passiert, wenn das Benzin weniger professionell aufbereitet gewesen wäre? Wäre die Maschine kollabiert? Eine Antwort darauf wäre reine Spekulation. Der Blick über die Grenzen Österreichs zeigt jedoch, dass es auch anders gehen kann. „In Deutschland wurde das Web 2.0 viel weniger in die Proteste eingebunden“, stellt Christoph Bieber, Politologe an der Justus-Liebig Universität in Gießen, fest. Als Begründung nennt er drei Schlagworte: StudiVZ, Dezentralisierung, Twitter.
Das Image von Twitter sei in Deutschland angeknackst und deshalb weniger beliebt bei den Studierenden, vermutet Bieber. Außerdem habe man sich schwergetan, die verschiedenen Proteste zu koordinieren. Das mag einerseits an der hohen Anzahl der streikenden Unis gelegen sein, andererseits habe man sich schlichtweg für das „falsche“ Netzwerk entschieden: „Die deutschen Studierenden setzten auf StudiVZ. Ein Fehler, da sich StudiVZ nur beschränkt für externe Vernetzungen eignet.“ 

Lucky Streik. Vor rund 13 Jahren hatten die deutschen Studierenden den Aufstand im Internet unter dem Slogan „Lucky Streik“ schon erprobt. Die Zeitungsberichte von damals lesen sich ähnlich euphorisch wie heute. Netzbegeisterte StudentInnen erstellten Webseiten und Streik-E-Mail-Listen.  Audio- und Videodateien peppten das Angebot auf und sogar Chats soll es auf den Seiten gegeben haben. Der Betreuer einer Webseite erinnert sich an die „atemberaubende“ Zeit: „Am Abend vor der Bonner Demo kam durchschnittlich alle zwei Minuten eine E-Mail mit einer neuen streikenden Uni an.“
Die Webseiten haben den Streik 1997 überdauert. Das Erfahrungswissen ist den ProtestlerInnen geblieben. Auch bei der aktuellen Studierendenbewegung in Österreich wird die Infrastruktur und das Know-How die Protagonisten und Protagonistinnen überdauern. „Das Mobilisierungspotential des Web 2.0 ist längst nicht ausgenutzt“, sagt Banfield-Mumb, „und auch die nächste Stufe, das Web der Kooperation, blieb so gut wie unberührt.“
Verbesserungsvorschläge gibt es viele – etwa wie die Stimmen im Chat neben dem Live-Stream am besten in Diskussionen eingebunden oder wie im Wiki gemeinsam Themen bearbeitet werden können. Eine Chance, Online- und Offline-Protest weiter zu professionalisieren, bietet jedenfalls der Gegengipfel zur Jubiläumsfeier des Bologna-Prozesses im März. Die AktivistInnen könnten zeigen, dass der Protest einen längeren Atem hat als einigen PolitikerInnen lieb ist. Wenn nur genug Leute hingehen.  N

 

Spende gut, alles gut?

  • 13.07.2012, 18:18

Über das Märchen vom Spendenweltmeister Österreich und warum spenden zwar gut, aber eine gerechte Verteilung besser ist.

Über das Märchen vom Spendenweltmeister Österreich und warum spenden zwar gut, aber eine gerechte Verteilung besser ist.

Armut tut weh, Licht für die Welt, ist da jemand? Sprüche wie diese sind immer wieder in allen möglichen Variationen zu hören und zu sehen. Die Armenhilfe ist in unserem christlichen Wertesystem stark verankert und wer Almosen gibt, der gilt als selbstlos und gut. Speziell um Weihnachten rufen österreichweit unzählige Spendenorganisationen einen Kampf um diese Nächstenliebe aus: Wer bekommt wie viel vom schlechten Gewissen der ÖsterreicherInnen? Viele wichtige soziale Organisationen wie die Caritas, Volkshilfe, Rotes Kreuz, SOS Kinderdorf oder auch Umweltschutzorganisationen sind massiv von privaten Spenden abhängig – die Konkurrenz zwischen ihnen wird größer und der Spendentopf ist begrenzt. Genug Gründe also, sich das Prinzip des Spendens in Österreich einmal genauer anzusehen.
Die österreichische Öffentlichkeit sieht sich selbst gern als Spendenweltmeister. Auf den ersten Blick scheint sich dies zu bestätigen: In kaum einem anderen Land geben so viele Leute an, mindestens einmal im Jahr in irgendeiner Form Geld zu spenden. 1996 gaben 46 Prozent an, dies einmal im Jahr zu tun, 2006 waren es 81 Prozent, und 2008 wieder nur 60 Prozent. Der Teufel steckt aber bekanntlich im Detail: In Deutschland wird pro Kopf eineinhalb Mal so viel gespendet, in Großbritannien fast fünfmal, und in den USA überhaupt achtzehn Mal so viel wie in Österreich. Man kann also sagen: Viele Menschen in Österreich spenden eher wenig.

Konkurrenz. Der absolute Betrag, der im Jahr gespendet wird, liegt wahrscheinlich in einer Größenordnung zwischen 300 und 400 Millionen Euro und ist in den letzten Jahren nur leicht gestiegen. Auf der anderen Seite gibt es rund 500 relevante Organisationen, die sich um diesen Topf streiten. Ihre Zahl steigt kontinuierlich und auch deutsche Spenden-Organisationen drängen zunehmend auf den österreichischen Markt. Dazu kommt, dass die SpenderInnen sich zunehmend lieber an Einzelprojekten beteiligen, als sich langfristig zu binden. Laut Rainer Stoiber von der Volkshilfe lastet auf den Non-Profit-Organisationen (NPOs) ein „enormer Konkurrenz-Druck“, es muss immer mehr Geld für Werbekampagnen ausgegeben werden, um die Leute überhaupt zu erreichen.
Zusätzlich steigt der Druck aufgrund staatlicher Einsparungen: Momentan stammt noch die Hälfte der Mittel von NPOs aus staatlicher Hand, 37 Prozent aus Eigenerwirtschaftung und lediglich 13 Prozent aus privaten Spenden. Viele Organisationen fürchten, dass in den kommenden Jahren aus Spargründen die sichere staatliche Unterstützung abgebaut, und stattdessen der Anteil privater Spenden vergrößert werden soll. Die steuerliche Spendenabsetzbarkeit ist ein Vorbote dieser Entwicklung: Der Staat verzichtet auf Steuereinnahmen, um freiwilliges Spenden schmackhafter zu machen. Speziell aus unpopulären Bereichen ziehen die MinisterInnen von SPÖ und ÖVP bereits jetzt massiv Unterstützungsgelder ab. Herbert Langthaler von der Österreichischen Asylkoordination beklagt beispielsweise, dass in seinem Bereich „laufend staatliche Gelder aus dem Integrations-, Asylrechtsberatungs- und therapeutischen Bereich abgezogen werden. Diese Kosten würden zunehmend auf die Zivilgesellschaft abgewälzt. Auch Andreas Zembaty vom Bewährungshilfe-Verein Neustart spürt die Einsparungen: „Wir müssen immer mehr KlientInnen mit immer weniger Personal betreuen. Wir sind zu 90 Prozent vom Staat abhängig, Spenden bekommen wir kaum, da unsere Materie zu komplex ist. Wer spendet schon für Ex-TäterInnen? Dass damit künftige Opfer vermieden werden, kann man SpenderInnen schwer erklären.“ 

Fast ein Todesurteil. Damit sind wir bei einem der größten Probleme des Spendenwesens angekommen: Das private Geld bekommen meist nur diejenigen Hilfsprojekte, welche in der öffentlichen Meinung gut dastehen. Es wird nicht das objektiv Richtige oder Notwendigste gefördert, sondern das anerkannt Unschuldigste. An erster Stelle der SpendenempfängerInnen stehen Kinder, Tiere, Menschen mit Behinderung, Katastrophenhilfe im Inland und Hunger leidende Kinder in der Welt. Natürlich ist auch hier jeder Euro wichtig, aber wer in der öffentlichen Meinung als „selbst schuld!“ abgestempelt wird, schaut durch die Finger. Für ihr Schicksal selbst verantwortlich gelten in Österreich z.B. Drogenabhängige, Flüchtlinge, Arme, Arbeitslose und Menschen mit Kriminalitätshintergrund. Für Vereine wie Neustart oder Integrationsprojekte ist diese Spendenabhängigkeit daher fast ein Todesurteil.
Ein weiterer Punkt ist, dass immer nur recht wenige Menschen spenden, aber meist die gesamte Gesellschaft von der Arbeit einer NPO profitiert, also auch Leute, die keinen Euro dafür hergeben und lieber ein achtes Paar Schuhe kaufen. Steuern hingegen muss jede und jeder bezahlen. Zweifellos sind hier Steuern gerechter. Die Frage ist nur, ob die Politik diese Steuern auch dort einsetzt, wo sie am notwendigsten und am nachhaltigsten investiert sind – auch wenn der Verwendungszweck unpopulär ist.
Anstatt wie Finanzminister Pröll monatelang in allen Zeitungen die Spendenabsetzbarkeit und sich selbst zu bewerben, statt des teuren Werbe-Konkurrenzkampfs der NPOs um die Spenden und ohne die Society-schwangeren Gala Dinners wäre das Geld womöglich besser gleich in einem lückenlosen Sozialsystem angelegt. Und auch die NPOs und ihre SpenderInnen wären wahrscheinlich dankbar dafür, nicht mehr benötigt zu werden. 

Wie weiter mit den Hochschulen?

  • 13.07.2012, 18:18

Ende Dezember wurde das Audimax in Wien geräumt, die Debatte um die Hochschulen in Österreich ist aber weiterhin am Kochen. Noch Ende des Jahres 2009 wurde der Hochschuldialog initiiert. Was aber passiert in diesem Dialog? Wer spricht mit wem? Und was wird am Ende stehen?

Ende Dezember wurde das Audimax in Wien geräumt, die Debatte um die Hochschulen in Österreich ist aber weiterhin am Kochen. Noch Ende des Jahres 2009 wurde der Hochschuldialog initiiert. Was aber passiert in diesem Dialog? Wer spricht mit wem? Und was wird am Ende stehen?

Die österreichweiten Proteste ließen den ganzen Herbst über die Wogen in der Hochschuldebatte hochgehen. Durch die Masse der Studierenden, die sich das Versagen der österreichischen Bildungspolitik nicht länger gefallen lassen wollten, kamen Universitäten und Politik in Zugzwang. Die Rektorate der besetzten Unis mussten mit den Studierenden verhandeln und Lösungen finden. An einigen Universitäten gibt es nun eigene Vernetzungsräume für Studierende, die Forderungen der Studierenden mussten beachtet werden.
Aber nicht nur die Universitäten wurden zum Handeln gezwungen. Auch die Bundesregierung musste reagieren: Erster Schritt war die Auflösung der MinisterInnenreserve, 35 Millionen Euro für die Hochschulen – bei genauerem Blick auf die Misere der Unis und nach Einschätzung der Österreichischen HochschülerInnenschaft nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Proteste gingen unbeirrt weiter und Noch-Wissenschaftsminister Hahn kam immer mehr ins Straucheln und rief für 25. November 2009 den Dialog Hochschulpartnerschaft (kurz: Hochschuldialog) aus. Im November und Dezember sollte ein Prozess gestartet werden, der in „Empfehlungen“ an die Regierung mündet und laut Auskunft des Ministeriums schon „seit dem Sommer“ im Zuge des Hochschulplans vorgesehen war.

Was bisher geschah. Am 25. November 2009 setzte das Ministerium den Startschuss für den Hochschuldialog und lud alle PartnerInnen zum ersten Treffen, bei dem – nach einem Vorbereitungsworkshop – über die Aufteilung der Themen diskutiert wurde. Seit Dezember wird in fünf so genannten Arbeitsforen gearbeitet. Eingeladen sind alle, die das Ministerium als HochschulpartnerInnen sieht. Das sind beispielsweise das Bildungsministerium, die Parteien, die Österreichische HochschülerInnenschaft, die Protestbewegung und die SozialpartnerInnen. Die HochschulpartnerInnen sollen in den Arbeitsforen Empfehlungen erarbeiten. Die Studierenden fordern eine Öffnung des Dialogs für alle Studierenden und Beteiligten – der Livestream konnte bereits für einige Arbeitsforen erkämpft werden.

Große Erwartungen? Die Anforderungen an den Hochschuldialog sind hoch – alle Partner-Innen erwarten sich Ergebnisse in ihrem Sinne. Für die VertreterInnen der Studierenden ist klar: Es braucht Verbesserungen an den Hochschulen. „Die Forderungen der StudentInnen müssen in der Umsetzung der offenen und demokratischen Hochschulen münden“, heißt es in einer Meldung der Österreichischen HochschülerInnenschaft. Die Empfehlungen, die am Ende des Dialogs stehen sollen, sieht die ÖH vorerst kritisch. Eva Maltschnig, ÖH-Generalsekretärin, meint dazu: „Wir erwarten uns vom Hochschuldialog mehr als Absichtserklärungen und Manuskripte, die in Schubladen verschwinden. Die Regierung ist aufgefordert, mehr Ernsthaftigkeit für das Thema zu entwickeln – sie muss die Ergebnisse einer parlamentarischen Behandlung zuführen!“.
Das Ministerium bleibt sowohl in der Beschreibung auf der Homepage als auch auf direkte Nachfrage des PROGRESS unverbindlich: „Wir erwarten uns eine faktenorientierte Diskussion, alle Partner sollen mitgestalten können“, gibt das Büro Johannes Hahns bekannt. (Anm. d. V.: zur Zeit der Verfassung des Artikels ist noch nicht bekannt, wer neueR MinisterIn wird.)
Die PartnerInnen im Hochschuldialog haben ihre Standpunkte gleich rund um den ersten Termin am 25. November klargestellt. So steht die Bundesarbeitskammer (BAK) für „mehr und nicht weniger Uni-AbsolventInnen“ und den Ausbau der Fachhochschulen, die Rektoren wollen nicht in ihrer Autonomie beschnitten werden und wenn möglich selbst über Zugangsregelungen entscheiden. Was das für die Studierenden bedeutet ist nicht ganz klar, aber – so die Einschätzung von StudierendenvertreterInnen – gefährlich, macht doch die Wirtschaftsuniversität beispielsweise keinen Hehl daraus, am liebsten die gesamte Uni beschränken und Unmengen an Menschen dadurch ein Studium verwehren zu wollen. Der Kampf gegen Zugangsbeschränkungen an den Unis und für bessere Studienbedingungen geht für die Studierenden also auch im Hochschuldialog weiter. 

Den Hochschulsektor bearbeiten. Im Arbeitsforum Gesellschaftlicher Auftrag des tertiären Sektors soll es um den Bildungsbegriff, Aufgaben der Hochschulen, Bildung/Ausbildung, Hochschulen und Standortwettbewerb/Arbeitsmarkt sowie Gender- und Diversitymanagement gehen. Das Arbeitsforum Koordinierte Entwicklung des tertiären Sektors soll sich unter anderem mit der demokratischen Mitbestimmung an den Hochschulen befassen: Ein Thema, das für die Studierenden längst überfällig ist. Mit dem Universitätsgesetz 2002 wurde die Mitbestimmung der Studierenden massiv beschnitten – die Österreichische HochschülerInnenschaft kämpft seitdem für den Wieder-Ausbau der Mitbestimmung an den Hochschulen. Die Studierenden-Mitbestimmung an den Fachhochschulen lässt für FH-VertreterInnen auch noch zu wünschen übrig – und die Proteste zeigen: die Studierenden wollen mitbestimmen und nicht nur wie BildungskonsumentInnen behandelt werden.  Das Arbeitsforum Bologna und Studienstruktur soll unter anderem die Ausgestaltung der Lehre bearbeiten. Im Arbeitsforum  Studienwahl und Hochschulzugang soll es um die Optimierung der Nahtstelle mit dem Schulbereich und Vorlaufprozessen im Schulbereich, Studienberatung und -information, Zugangsregeln, soziale Durchlässigkeit, soziale Absicherung von Studierenden und Drop-Out gehen. Themengebiete die sich in zwei Halbtagen und einem ganzen Tag vermutlich schwer abarbeiten lassen, so die Einschätzung einiger TeilnehmerInnen. Mit der Frage, woher das Geld kommen soll, über dessen Vermehrung sich alle einig zu sein scheinen, befasst sich das Arbeitsforum Ressourcen und Finanzierung von Lehre und Forschung.

Der kleinste gemeinsame Nenner. Worauf sich aber scheinbar alle PartnerInnen als Ziel einigen können ist die finanzielle Ausstattung der Universitäten. „Hinsichtlich der Uni-Finanzierung müssen keine Ergebnisse abgewartet werden, hier besteht bereits ein Konsens unter allen Beteiligten. Die von der ÖH und vielen anderen geforderten zwei Prozent des BIP für die Hochschulen bis 2015 müssen jetzt angegangen werden“, heißt es von der ÖH.  Selbst die Vertretung der Rektoren, die Universitätenkonferenz, ist sich sicher: „Die erforderlichen Mittel sind beträchtlich, aber bei entsprechender Schwerpunktsetzung seitens der Politik ist ein solcher Wachstumskurs realisierbar.“
Wie das Geld aufgetrieben wird, bleibt freilich zu diskutieren – für viele der Beteiligten scheint die Einführung einer Vermögenssteuer unumgänglich.

Higher Education Reloaded. Und wie ist die Rolle der Studierenden im Hochschuldialog? In einem Kommentar schreibt Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid von den Studierenden als der betrogenen Generation – denn die PensionistInnen würden schneller erreichen was sie wollen und konkrete Ergebnisse zu Gesicht bekommen, wie das Plus von 1,5 Prozent im November. Im Gegensatz dazu würde die „junge Generation“ auf Empfehlungen vertröstet. „So wird bei Vertretern der jungen Generation das Gefühl verstärkt, dass sie zwar angehört, aber nicht gehört werden.“ Die Studierenden selbst wollen beim Dialog sinnvoll mitgestalten und nicht nur gehört werden.
Aber auch darüber hinaus sollen sich alle Studierenden an der Hochschuldebatte beteiligen können. Flankierend zum Hochschuldialog gibt es offene Veranstaltungen und die Möglichkeit, sich online zu beteiligen – die Diskussion soll allen möglich sein. Die ÖH organisiert außerdem einen offenen Kongress mit dem Titel Higher Education Reloaded: Von 19. – 21. Februar soll an der Technischen Universität Wien ein offener Diskussionsraum die Möglichkeit zu Debatte, Information und Austausch über den tertiären Hochschulbereich geben. Ziel ist die Vernetzung von Studierenden mit anderen PlayerInnen im Bildungsbereich. 

Wachgeküsst? Durch die Besetzungen an Österreichs Unis, die Dauer und die Schlagkraft der Protestierenden wurde Österreich – zumindest für eine gewisse Zeitspanne – wachgerüttelt. Die Studierendenproteste haben zweifelsohne zu diesem Hochschuldialog geführt. Was am Ende des Dialogs stehen wird, scheint offen. Die Entscheidung über die Empfehlungen des Dialogs treffen aber Nationalrat und Regierung. Die Universitäten – und das ist Konsens unter den HochschulpartnerInnen – brauchen mehr Geld. Was die Studierenden brauchen sind konkrete, sichtbare und sinnvolle Veränderungen: Studienbedingungen, die fördern statt hindern, ausreichend Studienplätze und keine Knock-Out-Mechanismen. Die ÖH und die BesetzerInnen appellieren an die Bundesregierung, „nach dem jetzigen Weckruf nicht erneut in einen zehnjährigen Dornröschenschlaf in Sachen Bildungspolitik zu verfallen“. Denn, so ÖH-Generalsekretärin Eva Maltschnig: „Wenn die Politik glaubt, sie hätte den Widerstand ausgesessen, wird sie sich noch wundern. Als Dekoration für einen Diskussionsprozess, der am Ende bloß das Mascherl ‚die Studis waren ohnehin dabei‘ trägt, stehen wir nicht zur Verfügung.“

Neue Bildung braucht das Land

  • 13.07.2012, 18:18

Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist Geschichte. Dass jetzt bei der Bildung Schluss sein muss mit Rumwurschteln, sollte mittlerweile allen klar sein. Die ÖH zieht ein Fazit über 2009, und hat Hoffnung für 2010.

Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist Geschichte. Dass jetzt bei der Bildung Schluss sein muss mit Rumwurschteln, sollte mittlerweile allen klar sein. Die ÖH zieht ein Fazit über 2009, und hat Hoffnung für 2010.

Abschaffung von Mitbestimmungsrechten und demokratischen Organen. Zugangsbeschränkungen. Verschulung. Leistungsdruck. Studiengebühren. Die hochschulpolitischen Assoziationen zu den Nuller-Jahren halten sich fast durchgehend im negativen Bereich auf. Kaum ein Jahr, in dem nicht irgendetwas am österreichischen Hochschulsystem schlimmer wurde. Auch das Schulsystem wurde durch einfaches Nicht-Reformieren dem endgültigen Verfall preisgegeben.
Immer wieder haben sich Studierende zusammengetan, um gegen diese Verschlechterungen zu protestieren: Die Einführung der Studiengebühren, die Umsetzung des Universitätsgesetzes, das Elitenförderungsprogramm der schwarz-blauen Bundesregierung, schulpolitische Katastrophen und der rote Studiengebühren-Umfaller hatten immer wieder Demos, Kundgebungen, riesige Umzüge, Aktionen und (Rektorats-)Besetzungen zur Folge. Rückwirkend stellt sich für alle Involvierten die Frage, ob diese Proteste abseits einer massiven Förderung der transparentstoffverkaufenden Wirtschaft nachhaltige Verbesserungen erzielen konnten. Zum Teil, würden einige sagen. Fast 90 Prozent aller Studierenden zahlen mittlerweile keine Studiengebühren mehr, die Studienbeihilfe wurde geringfügig angehoben (nominell, nicht real), die Studierenden an Fachhochschulen sind jetzt Teil der ÖH und verfügen damit über eine gesetzliche Vertretung.
Das Fazit ist also eher mau. Von gefühlten tausend Demos und realen hunderttausenden Protestierenden ist politisch nicht viel übrig geblieben. Frei nach Antonio Gramsci drohte der Optimismus des Willens am Pessimismus des Verstandes zu scheitern. Schließlich wurde im Juli 2009 das undemokratische Universitätsgesetz reformiert, mit der grundlegenden Konsequenz, dass Zugangsbeschränkungen nun in so gut wie jedem Fach eingeführt werden können. Aufsehen erregte das aber keines. 

Bildung brennt. Die Politikverdrossenen strafte das Jahr 2009 aber Lügen – weder von langer Hand geplant noch von Institutionen organisiert beschloss eine große Zahl von Studierenden schlicht und ergreifend, dass es jetzt genug ist. Genug mit Ellbogentechnik, Sitzplatzproblemen, engen Studienplan-Korsetten und prekären Lebensverhältnissen. Wie ein Waldbrand weitete sich der Protest in unglaublicher Geschwindigkeit von der Akademie der Bildenden Künste auf ganz Österreich aus. Die heftigsten Bildungsproteste ausgerechnet am Ende der Nuller-Jahre, wo doch die Reform der Hochschulen zu standortgerechten Dienstleistungsanbietern längst abgeschlossen sein hätte sollen und die Kundschaft StudentInnen gelangweilt an der Kassa steht.
Es hat sich ausgesessen. Für die ÖH bieten diese Proteste auf der einen Seite große Unterstützung in ihren Anliegen. Sie zeigen, dass die Forderungen nach offenen Universitäten, freier Bildung und sozialer Absicherung von Studierenden nicht aus der Luft gegriffen sind, sondern über eine riesige Basis verfügen. Auf der anderen Seite sind in ÖH-Strukturen Erinnerungen an vergebliche alte Kämpfe stets präsent. Besonders unter Schwarz-Blau wurden Proteste regelmäßig einfach ausgesessen. Erstmals in der Frage der Studiengebühren führte ein Zusammenspiel aus einem günstigen innenpolitischen Moment und der Tatsache, dass die ÖH die Abschaffung der Studiengebühren zur Glaubwürdigkeitsfrage für die SPÖ gemacht hatte, zu dem Erfolg der teilweisen Abschaffung. Für die ÖH gilt es demnach, die Forderungen der Studierendenbewegung von 2009 politischer Umsetzung zuzuführen und dafür alle Kanäle zu nützen.

Vorsätze und Hoffnungen. 2009 ist das Fass mit der Novelle des Universitätsgesetzes übergelaufen – die StudentInnen haben begonnen, sich zu wehren. Der Dialog Hochschulpartnerschaft, den das Wissenschaftsministerium daraufhin einleitete, soll eine grundlegende Veränderung des Hochschulwesens anstreben. Inwieweit sich innerhalb dieser Struktur Verbesserungen erzielen lassen, wird sich aber erst zeigen. Jedenfalls nehmen wir unsere Zielsetzung ernst – allen voran die Zurückeroberung freier, demokratischer Hochschulen – und werden aktiv Verbesserungsvorschläge liefern.
Für 2010 hat sich die ÖH-Bundesvertretung einiges an Projekten vorgenommen. Das Jahr startet für uns politisch mit dem Kongress Higher Education Reloaded (siehe Seite 11), mit dem wir Student-Innen die Möglichkeit geben wollen, sich zu vernetzen und ihr bildungspolitisches Wissen zu erweitern. Darüber hinaus wollen wir natürlich auch 2010 das StudentInnenleben ein Stück schöner, gerechter und einfacher machen: Wir vertreten euch wie immer in wohnpolitischen Fragen, beraten euch in sozialrechtlichen und studienrechtlichen Angelegenheiten. Außerdem haben wir uns vorgenommen, unser Beratungsangebot in Form eines Studien- und Sozialrechtswikis besser aufzubereiten, uns für den Arbeitsmarktzugang von Studierenden aus Nicht-EWR-Staaten einzusetzen und endlich studienrechtliche Mindeststandards für FH-Studierende zu erreichen.
Die Hoffnung, dass in den Zehner-Jahren einiges besser wird, lebt – nicht zuletzt aus der traurigen Gewissheit, dass die Nuller-Jahre ein verlorenes Jahrzehnt für emanzipatorische Hochschulpolitik waren.

 

 

Show essen Politik auf

  • 13.07.2012, 18:18

Politik wird immer öfter zur geschickten medialen Inszenierung. Doch dort, wo sich Politik und Unterhaltungskultur treffen, lauert auch die Gefahr, dass die Show für bare Münze genommen wird.

Politik wird immer öfter zur geschickten medialen Inszenierung. Doch dort, wo sich Politik und Unterhaltungskultur treffen, lauert auch die Gefahr, dass die Show für bare Münze genommen wird.

Ende Jänner, im Uniqua Tower in Wien. Das große Finale. Josef Pröll, Vizekanzler und Finanzminister Österreichs, veranstaltet eine Castingshow: Er sucht einen Superpraktikanten. Unter lautem Johlen aus dem Saal wird eingezählt, dann geht’s los: Über zehn Wochen haben sich die Kandidat-Innen im Onlinevoting durchgesetzt, jetzt müssen sie so schnell wie möglich im Publikum ein Ersatz-Sakko für Pröll suchen. Eine Spaßaufgabe, quasi als Einstimmung auf die kommende Woche Praktikum, falls der Chef sich beim Essen einmal anpatzen sollte.
„Das ist aber ein Damensakko.“ Pröll steckt lachend in einem viel zu kleinen Jackett, rot bis zu den Ohren, gut gelaunt. Er verzieht auch keine Miene, als ihm die anderen Sakkos nicht wirklich passen. Pröll sitzt lässig auf einem silbernen Fauteuil, einem Quasi-Thron, in der Mitte des Saals. Es kommt das Gefühl auf, der Vizekanzler genießt das bunte Treiben, wie um ihn herumscharwenzelt wird. Er gibt sich selbstironisch, scherzt herum. Das ist sein Abend. Durch den Raum dröhnen Popmusik und Videozuspielungen, die Menge jubelt. Als am Ende Reez Wollner, die 26-jährige Medientechnikerin in rosa Strumpfhosen, das Rennen um den Posten des Superpraktikanten gewinnt, folgt noch eine kleine Pyro-Einlage. Entertainment pur. Die politischen Einstellungen der KandidatInnen? Nebensächlich.
Neu ist dieser Ansatz nicht. Schon Franz Vranitzky war bei Wetten, dass..., so wie auch der deutsche Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und Karl-Heinz Grasser nach ihm. Guido Westerwelle, heute deutscher Außenminister, damals FDP-Generalsekretär, besuchte im Jahr 2000 gar den Big Brother-Container, brachte Whiskey mit und berichtete ganz volksnah, die Spritpreise stünden draußen „beschissen“. 

Politik macht Show. Diesen Trend zur politischen Selbstdarstellung bezeichnet der deutsche Politologe Andreas Dörner als „Politainment“. Dieses entsteht dort, wo Politik und Entertainment sich treffen. Dabei gibt es zwei Spielarten von Politainment: unterhaltende Politik und politische Unterhaltung. Bei ersterer greifen PolitikerInnen immer häufiger auf Mittel der Unterhaltungskultur zurück, um erfolgreich mit potentiellen UnterstützerInnen zu kommunizieren, frei nach dem Motto: „Supershow macht WählerInnen froh.“ Inszenierungen treten in den Vordergrund. Christina Stürmer singt für eine Kampagne der SPÖ-Bildungsministerin die Nationalhymne neu. HC Strache rappt und inszeniert sich selbst als Comic-Held im Kampf gegen die EU. Pröll sucht den Superpraktikanten und greift dabei auf das bei Jugendlichen beliebte Genre der Castingshow zurück. In Deutschland lief letztes Jahr auf ZDF die JungpolitikerInnen-Suchshow Ich kann Kanzler, vielleicht haben sich die ParteistrategInnen da etwas abgeschaut.
Bewusst suchen PolitikerInnen in Unterhaltungsformaten Kontakt zu politikferneren Bevölkerungsgruppen, um auch hier für sich zu mobilisieren. Menschen, die an Politik entweder kaum interessiert sind oder sich frustriert abgewendet haben, kann man über die Entertainment-Schiene erreichen. Politainment hat das Potential, Menschen wenigstens ansatzweise zu politisieren und für Politik zu interessieren. Nur: Die reale Botschaft tritt dabei oft in den Hintergrund, stattdessen gilt es Feel-Good-Nachrichten zu verbreiten. Politik kann verkürzt oder im schlechtesten Fall gar nicht beim Publikum ankommen.
Auf der anderen Seite wird das Thema Politik aber auch von der Medien- und Kulturindustrie gerne zu Unterhaltungszwecken verwendet. Fernsehserien, Talkshows, aber auch Filme werden zunehmend mit politischen Inhalten aufgefettet. Ziel ist dabei aber nicht Meinungsbildung und Überzeugung, sondern Quote und Erfolg am massenmedialen Markt, so Andreas Dörner. Diese beiden Ebenen des Politainment sind oft eng miteinander verflochten. ATV bringt eine Reportage über die SuperpraktikantInnen, die Gratiszeitung Heute bringt die Superpraktikantin Reez Wollner auf ihr Titelblatt, die KroneHit Morgenshow-Moderatorin darf die Castingshow präsentieren. Das schafft Öffentlichkeit für Pröll, der sich als lustiger Onkel inszenieren kann, und Quote für die Medien. Eine in der Sprache von StrategInnen so genannte Win-Win-Situation. Denn ohne dass Medien kooperieren, können PolitikerInnen heute kaum noch öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Doch weil diese die Politik brauchen, um Seiten und Sendeplätze zu füllen, funktioniert das Gegengeschäft.

Die Unterhaltungsfalle. Wie ist es dazu gekommen? Und seit wann folgt Politik so stark der Logik der Medien? Thomas Hofer, Politikberater in Wien, erklärt diese Tendenz durch Internationalisierung und die zunehmende Medienvielfalt. „Heute muss man eine Geschichte erzählen, um durchzukommen.“ Aufgrund eines immer breiteren Angebots sei es nämlich gar nicht mehr so leicht für die Politik, ihre Botschaften durch den „Wust an Informationen“ an das potentielle WählerInnenvolk zu bringen. „Ein österreichischer Bundeskanzler oder auch ein oppositioneller Politiker in den Sechzigern hatte es bedeutend leichter, seine Wählerschaft zu erreichen, als es heute der Fall ist. Sie mussten nämlich nur irgendwie in der Zeit im Bild vorkommen oder haben überhaupt Belangsendungen geschalten und damit war sichergestellt, dass sie durchgeschaltet werden.“
Seit den Neunziger Jahren folgt politische Kommunikation in Österreich immer stärker dem internationalen Trend zur Mediatisierung und Personalisierung. Prominente PolitikerInnen begannen bei unpolitischen Unterhaltungsshows wie Wetten, dass... aus und ein zu gehen und dabei über Privates zu plaudern, SPÖ-Bundeskanzler Viktor Klima tauchte bei einer Überschwemmungskatastrophe in Gummistiefeln unter den Helfenden auf. Doch Letzterer scheiterte schließlich als Spitzenkandidat bei der Nationalratswahl 1998, als die positive Inszenierung letztlich ins Gegenteil umkippte, da zu wenig politische Substanz zu erkennen war. Denn „sprichwörtlich in die Hose“ geht Politainment laut Politik-Experte Thomas Hofer dann, „wenn das im Wort steckende Entertainment im Vordergrund steht und zum eigentlichen Inhalt wird.“ So tappte auch Andrea Kdolsky in die Unterhaltungsfalle, als sie mehr durch Schweinsbraten-Rezepte auffiel als durch ihre Kompetenz als Gesundheitsministerin. Und so musste sich auch Guido Westerwelle für seinen Big Brother Besuch den Vorwurf des Populismus gefallen lassen; ebenso wie der ehemalige SPD-Politiker Gerhard Schröder, als er in seinem ersten Kanzler-Wahlkampf bei der deutschen Seifenoper Gute Zeiten, Schlechte Zeiten mitspielte und damit Rekord-Einschaltquoten erzielte, aber damit alles andere als Politik machte.

Inszenierungen vereinnahmen. Immer öfter werden politische Inszenierungen von BürgerInnen hinterfragt. Auch die ÖVP-Aktion Superpraktikant musste einiges an Kritik einstecken. Schon allein, dass man in Zeiten prekärer Arbeitsverhältnisse und unbezahlter Praktika mit einem ebensolchen wirbt, stieß vielen jungen Menschen, aber auch dem österreichischen Gewerkschaftsbund oder den Grünen sauer auf und wurde als Respektlosigkeit wahrgenommen. Dass die „Stellenausschreibung“ zusätzlich nicht geschlechtergerecht (sowie grammatikalisch etwas holprig) nur einen männlichen „Superpraktikant“ suchte, tat sein Übriges zu einer (teils auch belustigten) Entrüstung. Mit deplorablen Shows zur Ermittlung eines Supermodels verglich Armin Thurnher, Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung Falter, den Superpraktikanten in einem Leitartikel. Passend zu einer Castingshow wurde die SuperkandidatInnenwahl in Hi Society, der – mittlerweile ehemaligen – Promi-Fernsehsendung von Dominic Heinzl, mit einem ausführlichen Interview mit dem Vizekanzler lanciert. Da sprach Josef Pröll über den Jojo-Effekt seiner letzten Diät und wünschte sich einen Kandidaten, der ihn „schon stärkt und nicht schwächt“.
Doch auch trotz (oder wegen) seiner zweifelhaften Form und Botschaft, hatte die PR-Aktion bereits in den ersten Tagen nicht zuletzt auf Twitter und Facebook eine immense mediale Aufmerksamkeit. Auch kritische KandidatInnen wie Falter-Journalistin Barbara Tóth, Globalisierungsgegner Klaus Werner-Lobo oder Niko Alm, der laizistisch veranlagte Herausgeber des Lifestyle-Magazins Vice, bewarben sich. Damit hätte die ÖVP anfangs nicht gerechnet, sagt Barbara Tóth, die die Kampagne gerne als Kandidatin journalistisch begleitet hätte – hätte sich nicht die Jugendorganisation der Volkspartei, die JVP, in der zweiten Runde so stark mobilisiert, dass sie schließlich aufgab. „Gleich zu Beginn, als ich mich beworben habe, gab es Kontakte von führenden Parteimanagern der ÖVP und die Nachfrage, warum ich mitmache. Das waren Bemerkungen, so als ob sie nicht wüssten, wie sie damit umgehen sollen.“
ÖVP-Generalsekretär Fritz Kaltenegger betonte dennoch beim Finale, dass die Tatsache, dass die Aktion polarisiert habe und nicht unumstritten war, die Partei nicht gestört habe. Politikberater Thomas Hofer sieht darin – auch wenn er einräumt, dass die Kampagne vielleicht nicht bis zum Ende durchdacht war – auch ein Kernvorhaben solcher Aktionen verwirklicht: „Das ist schon mal die halbe Miete, wenn man Aufmerksamkeit erreicht.“ Denn das Hauptziel von Superpraktikant sei sicherlich gewesen, „Heinz Christian Strache etwas entgegenzusetzen, wenn es um unter Anführungszeichen ‚junge Kommunikation‘ geht.“  In den vergangenen Jahren sei dieses Feld von den anderen Parteien eher der FPÖ überlassen worden, die mittels Comic und Rap geschickt jugendliche Zielgruppen adressiert haben. Und diese werden eben stark mit Inszenierungen erreicht, die versuchen, die Sprache und Lebensrealität (Praktika!) von Jugendlichen einzufangen und Aufmerksamkeit zu erregen.

Die bessere Show. Letzteres tut auch Klaus Werner-Lobo. Der Autor des Schwarzbuchs Markenfirmen, freiberuflicher Clown und Globalisierungsgegner, ist neuerdings Kandidat der Wiener Grünen bei der Wiener Gemeinderatswahl. Werner-Lobo schwört auf die Methode der Kommunikationsguerilla. Deshalb hatte auch er sich bei Prölls Superpraktikant beworben, als „trojanisches Pferd der Zivilgesellschaft“, wie er sagt. Aber irgendwie auch als Wahlkandidat einer anderen Partei. Trotzdem ging es ihm vor allem darum, die ÖVP zu entlarven. „Wenn die ÖVP Politik als reine Show betreibt, dann sehe ich es als meine Aufgabe, das transparent zu machen.“ Mittels der Kommunikationsguerilla-Methode der subversiven Affirmation, der übertriebenen Bestätigung der Botschaften des politischen Gegners, bewarb Werner-Lobo sich gleich einmal öffentlichkeitswirksam als Hofnarr Prölls. Also Show, um die Show der ÖVP zu kritisieren. Aber nicht der Show willen, wie er betont: „Es gibt halt schlechte Shows und gute Shows. Ich erhebe den Anspruch, die bessere Show zu machen als die ÖVP, aber mit dem Ziel, tatsächliche politische Veränderung zu bewirken."
Reez Wollner ist seit 21. Jänner Prölls Superpraktikantin und darf ihn eine Woche lang bei seiner Arbeit begleiten, von der ÖVP verordnete Twitter- und Facebook-pflicht am geschenkten PC inklusive. Die 26-jährige Medientechnikerin mit Hello Kitty Wohnungseinrichtung interessierte sich die letzten 26 Jahre nicht für Politik wie sie zugibt. Beim Superpraktikant-Casting hätte sie auch mitgemacht, wäre es von der SPÖ oder den Grünen veranstaltet worden. „Weil ich keine politischen Inhalte präsentieren kann, kann ich mich zumindest selbst präsentieren“, sagt sie und lacht. Wir glauben es ihr. Reez Wollner hat die Pröll-Aktion genutzt, um sich selbst in Szene zu setzen und so die Inszenierung irgendwie auch ein bisschen für sich vereinnahmt. Sie hat auf YouTube eine Neujahrsansprache hochgeladen und eine eigene pinke Partei gegründet. Nach ihrer Meinung gefragt, gibt sie zum Vizekanzler medienversiert und diplomatisch Antworten wie diese: „Josef und ich sind beide Sternzeichen Jungfrau und Aszendent Waage. Außerdem hat er am selben Tag Geburtstag wie meine Mutter. Das macht ihn natürlich sympathisch.“
Wenn Menschen wie Reez Wollner Politainment betreiben, dann ist das harmlos, charmant und witzig und mehr politische Unterhaltung als unterhaltende Politik. Doch bei Politainment besteht immer die Gefahr, diese beiden Ebenen nicht mehr unterscheiden zu können. Symbolische Politik triumphiert über den Inhalt. Was ist Show, was ist real? Wo politische Unterhaltung mit unterhaltender Politik verschmilzt, spricht Andreas Dörner von einer „neuen, fiktionalisierten Realität des Politischen“. So sollen Filme wie Independence Day und Airforce One, in denen der – gespielte – US-Präsident eine Heldenrolle ausfüllte, in den Neunziger Jahren nachweislich zu einem realen Popularitätsgewinn für den Präsidenten Bill Clinton in den USA geführt haben.

Das A und O einer glücklichen Studienzeit

  • 13.07.2012, 18:18

Wissensgesellschaft und Leistungsgesellschaft sind Schlagworte, die längst Einzug ins Alltags-Vokabular gehalten haben. Dieser Leistungsdruck macht in einer Wissensgesellschaft vor allem vor den Hochschulen keinen Halt. Ergebnis: Überforderte Studierende. An einen glücklichen Ausgang des Lebensabschnitts Studium dürfen wir aber trotzdem glauben.

Wissensgesellschaft und Leistungsgesellschaft sind Schlagworte, die längst Einzug ins Alltags-Vokabular gehalten haben. Dieser Leistungsdruck macht in einer Wissensgesellschaft vor allem vor den Hochschulen keinen Halt. Ergebnis: Überforderte Studierende. An einen glücklichen Ausgang des Lebensabschnitts Studium dürfen wir aber trotzdem glauben.

Müde Gesichter, dunkle Augenringe, bleiche Haut. Wer in diesen Tagen durch die Eingangshalle des AKH Wien geht, sieht wochenlange Strapazen in die Gesichter vieler Kaffeebecher-umklammernder Gestalten geschrieben. Die Rede ist aber nicht von PatientInnen oder ÄrztInnen des Krankenhauses. Die Rede ist von hunderten StudentInnen, die früh am Morgen den Lesesaal im hinteren Eingangsbereich stürmen, um ihn erst lange nach Einbruch der Dunkelheit wieder zu verlassen. Zehn bis zwölf Stunden am Tag lernen ist keine Seltenheit für die StudentInnen der Universitäten in Österreich. Kein Wunder, dass sich viele überfordert fühlen. Die immer präsente Angst vor dem Scheitern hat schon so mancheN in die Knie gezwungen. Dennoch schließen viele Studierende ihr Studium ab. Ganz ohne Depression, Drogenmissbrauch, Bestechung oder Burn-out. Mit einigen Tipps und Tricks wird das möglich.

Die Qual der Wahl. Eine der wichtigsten Zutaten für das erfolgreiche Weiterkommen im Studium ist ein prinzipielles Interesse am Studienfach. Das klingt relativ selbstverständlich, ist es aber leider nicht. Indikatoren dafür, dass du eventuell den falschen Studiengang gewählt hast: Du wurdest von deinen Eltern gezwungen, du studierst das Fach, weil es alle machen, weil es eben nicht alle machen oder weil das Studienfach so klug klingt. Oder du willst eigentlich nicht wirklich studieren, weißt aber auch nicht, was du sonst tun solltest. Ist diese anfängliche Problemstellung jedoch überwunden, können sich nur noch Leistungsdruck, Prüfungsangst, finanzielle Not im Allgemeinen und Studiengebühren im Speziellen, Druck durch das soziale Umfeld, schlechte Studienbedingungen und veraltete Lehrmethoden in den Weg zum positiven Abschluss stellen. Doch so einschüchternd das jetzt klingen mag, es gibt ein paar Methoden und Tricks, die, wenn sie richtig angewandt werden, in den meisten Fällen zum Erfolg führen.

Mehr Zeit für anderes. Planung ist das A und O der meisten langfristigen Unternehmungen, und so leider auch im Studium. Zwar behaupten viele Menschen, dass sie ihr Chaos lieben, sich bestens in dem Berg aus Essensresten, dreckigen Taschentüchern und Lernunterlagen zurechtfinden und sowieso Dinge nur dann nicht finden, wenn sie gerade aufgeräumt haben. Aber die Wahrheit ist ganz einfach: Sie lügen. Denn wer genauer hinschaut, erkennt bald, dass genau diese Menschen die MathematikstudentInnen ohne Taschenrechner, die JusstudentInnen ohne Gesetzestext oder die ArchitekturstudentInnen ohne Karton für die Modelle sind. Leider sind es oft so banale Missgeschicke, die über Bestehen oder Scheitern entscheiden. Und außerdem: Wer zuerst gut plant, hat später mehr Zeit für anderes.

Raunzen und Jammern. Studieren gleichzusetzen mit dem Auswendiglernen von Unmengen an Prüfungsstoff, führt schnell dazu, dass Studierende jammern, raunzen, leiden. Vor sich selbst und vor anderen. Das Leiden vor anderen ist hier generell als positiv hervorzuheben. Die befreiende Wirkung von Raunzen, Jammern und Herzausschütten ist allgemein bekannt. Jedoch sollte dies nicht zu exzessiv betrieben werden, sonst könnten sich zu den Studienproblemen bald soziale Probleme gesellen. Das Leiden vor sich selbst ist im Allgemeinen abzulehnen. Durch Selbstmitleid hat sich noch niemand besser gefühlt, und außerdem verbraucht es Zeit. Zeit, die einerseits natürlich zum Lernen verwendet werden kann, andererseits zur sinnvollen Ablenkung.
Zum Glück ist es schon seit langem bewiesen, dass höhere Lernzeit pro Tag nicht gleich einen höheren Lernerfolg bedeutet. Abgesehen von kurzen Pausen zwischen dem Lernen ist bei allen irgendwann der Punkt erreicht, an dem einfach nichts mehr geht. Und wenn es einmal so weit kommt, ist es meistens sowieso schon viel zu spät. Wer regelmäßig ein oder zwei Stunden Lernen durch Sport oder entspannende Beschäftigungen wie durch die Stadt spazieren, gemütlich Kaffeetrinken oder in der Wiese liegen ersetzt, wird (hat er oder sie die Sache mit der Planung beachtet) mindestens genauso gut durchs Studium kommen. Und ist ganz nebenbei auch ausgeglichener und glücklicher. 

Ruhe bewahren. Generell ausgeglichenen und glücklichen Menschen wird es auch leichter fallen, in Stresssituationen die Ruhe zu bewahren. Nicht zuletzt die rasende Angst vor schweren Prüfungen, sadistischen ProfessorInnen und drakonischen Notenschlüsseln ruft den Großteil der Studienprobleme hervor. Angst, die nebenbei bemerkt, fast immer unbegründet ist. Denn meistens fallen bei der Knock-Out-Prüfung sowieso nur drei Viertel durch und der Sadismus der ProfessorInnen beschränkt sich auf verbale Erniedrigung. Genauso ist es möglich, in der Pflichtübung im Audimax für die positive Note mitzuarbeiten, vorausgesetzt der oder die Studierende sitzt in den ersten vier Reihen.
Die dunklen Augenringe der müden StudentInnen im AKH-Lesesaal werden vermutlich trotz aller gut gemeinten Ratschläge erst nach der letzten Prüfung verschwunden sein. Die umklammerten Kaffeebecher werden in noch vielen Nächten aufgefüllt werden. Trotzdem: Aufgeben hat noch niemanden durch die Prüfungen gebracht. Und auch wenn das StudentInnenleben oft hoffnungslos und verloren wirkt, ist eines jedoch sicher: Den anderen geht’s genauso. Und geteiltes Leid ist ja (angeblich) halbes Leid.

Drug Me Smart!

  • 13.07.2012, 18:18

Nur noch ein paar Stunden konzentriert arbeiten. Dafür eine Tasse grüner Tee oder doch lieber eine Ritalin Tablette? Länger munter bleiben, um das Referat noch fertig zu bekommen. Eine Modafinil? Nach Alltagsstress und reichlich Kaffee wieder runterkommen. Ein paar Bier, ein Ofen. Out of script oder zurück zum Skript? Können wir die Anforderungen unseres Studien- und Arbeitsalltags noch ohne Hilfssubstanzen bewältigen?

Nur noch ein paar Stunden konzentriert arbeiten. Dafür eine Tasse grüner Tee oder doch lieber eine Ritalin Tablette? Länger munter bleiben, um das Referat noch fertig zu bekommen. Eine Modafinil? Nach Alltagsstress und reichlich Kaffee wieder runterkommen. Ein paar Bier, ein Ofen. Out of script oder zurück zum Skript? Können wir die Anforderungen unseres Studien- und Arbeitsalltags noch ohne Hilfssubstanzen bewältigen?

Praktikum in Japan. Vor einem Monat begann er Japanisch zu lernen. Jetzt spricht er die Sprache fließend. Lea hat gerade ihren Master in Neurophysik abgeschlossen. Vor sechs Monaten erst hat sie ihr Studium begonnen. Klingt ungewohnt? Forschung und Pharmaindustrie könnten uns eine solch immens gesteigerte Lernfähigkeit bald ermöglichen. Sophie wiederum steht kurz vor einer wichtigen Prüfung. Ein paar Concerta Tabletten könnten helfen, den Stoff zu bewältigen, denkt sie sich. Auch Jan hat in Kürze eine Abschlussprüfung und bearbeitet seine Nervosität mit klassischen Entschleunigern wie Cannabis oder Alkohol.
Substanzen zur Verbesserung von Konzentration, Gedächtnis oder für eine bessere Laune sind vielfältig und werden ebenso zahlreich eingesetzt. Dabei entzünden sich gesellschaftliche Debatten über diese Substanzen oft nicht nur an unserer Fähigkeit, mit diesen umsichtig umzugehen, sondern auch an den Voraussetzungen, die uns zum Einsatz solcher Mittel bringen. Oder anders gesagt: Unsere Leistungsgesellschaft verlangt weit mehr als eine 40-Stunden-Woche, um am Ball zu bleiben. Um da noch den Ausgleich zwischen Privat, Beruf und Studium finden zu können, wird der Griff zur Tablette immer beliebter.

Am Anfang kam Ritalin. In den 1950ern kam dieses Medikament zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (ADHS) auf den Markt. Der darin enthaltene Wirkstoff Methylphenidat steigert die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitsspanne. Heute werden Ritalin und ähnliche Medikamente wie Concerta oder Adderall  (ein Amphetamin) längst nicht mehr nur von Personen mit ADHS eingenommen – die Diagnose ADHS wird übrigens nicht von allen ExpertInnen anerkannt. Besonders bei Menschen, die sich unter hohem Leistungsdruck befinden, werden diese Präparate immer beliebter. In Österreich ist es zwar verschreibungspflichtig, es stellt aber kein Problem dar, sich das Präparat von ausländischen Apotheken liefern zu lassen. Online-Foren, die über Bestellmöglichkeiten informieren, gibt es zahlreiche.
Schätzungen aus dem Jahr 2007 ergaben, dass ungefähr 1,6 Millionen U.S. BürgerInnen eines dieser, auch als Smart Drugs bekannten, Medikamente regelmäßig gebrauchen. Eine 2009 publizierte Studie der deutschen Krankenkasse DAK hat ergeben, dass unter 3.000 befragten Angestellten rund ein Fünftel zu Stimulanzien (z.B. Adderall), Antidementiva (steigern die Gedächnisleistung, z.B. Arivept), oder Antidepressiva (z.B. Aponal) greifen, ohne eine Erkrankung zu haben. Darunter wurden am häufigsten Präparate, die Methylphenidat enthalten, konsumiert. Für Österreich sind vergleichbare Studien nicht verfügbar. Der nationale Drogenbericht erwähnt diese Substanzen und Präparate nicht einmal.

Risiken und (Neben-)Wirkungen? Viele der Langzeitwirkungen von etwa Ritalin sind immer noch nicht ausreichend erforscht. Als gesichert gilt, dass Langzeitfolgen Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems beinhalten können. Die U.S. Gesundheitsbehörde FDA hat infolge 2006 verordnet, dass Medikamente, welche Methylphenidat enthalten, das sogenannte BlackBox-Label tragen müssen. Die gewichtigste Kennzeichnung, die dieser Behörde zur Verfügung steht.
Umstritten ist unter ExpertInnen auch,  wie sich die Substanz bei gesunden Menschen auswirkt. Zumindest eine quantitative Steigerung der Lernfähigkeit scheint möglich. Ob der Einsatz für Prüfungssituationen zum gewünschten Ergebnis führt, bleibt dennoch zweifelhaft. Eine Befragung an einer U.S. Universität unter den Studierenden ergab, dass jene 13 Prozent, die angaben, Ritalin für eine Prüfung genommen zu haben, im Durchschnitt schlechter abgeschnitten haben als die Vergleichsgruppe, die keines nahm.  Der Grund für ein solches Ergebnis könnte laut einem Artikel der Wissenschaftszeitschrift Spektrum aber daran liegen, dass die Einnahme von Ritalin eben auch das Selbstwertgefühl und die Impulsivität steigert. In einer Prüfungssituation kann dies dann in vorschnellen Antworten resultieren. Einigkeit scheint in der wissenschaftlichen Gemeinschaft darüber zu bestehen, dass derzeitige Präparate keine qualitative Steigerung unseres Lernens bringen. Das Erlernen von Musikinstrumenten, Sprachen oder der menschlichen Anatomie muss also auch mit diesen Hilfssubstanzen über ständiges Üben und Wiederholen geschehen.

Die neuen Menschen. Rund 600 neue Smart Drugs stehen weltweit vor der Zulassung und werden in absehbarer Zukunft auf den Markt kommen. Was dieser Trend für unsere Gesellschaft bedeutet und ob und wie wir darauf reagieren sollen, wird nicht nur in den USA, sondern seit kurzem auch wieder in Europa diskutiert. Anstoß der jüngsten Debatte war ein Memorandum („Das optimierte Gehirn“) einer Gruppe von WissenschafterInnen, welches eine Lanze für die Freiheit, das eigene Gehirn nach Belieben modellieren zu können, bricht. Die Implikationen dieser Forderung schlugen hohe Wellen. Nicht nur in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Zivilgesellschaft, auch die deutsche Bundesregierung befasst sich nun mit diesem Thema. Die KritikerInnen führen zu Recht an, dass freier Zugang zu diesen Präparaten ohne Verschreibungspflicht eine neue Qualität in unsere Leistungsgesellschaft einführen würde. Die BefürworterInnen sehen dahinter wiederum Panikmache und versuchen, die Debatte auf eine Ebene mit Schönheitschirurgie und Anti-aging-Pillen zu bringen.
Dass sich mit der Ausbreitung dieser Präparate aber dringende Fragen nach der demokratischen Legitimation oder über die Auswirkungen auf soziale Scheren stellen, kann nur schwer weggeredet werden. Wird es die eingangs erwähnten Lea und Stefan also in absehbarer Zukunft geben? Die Meinungen hierzu gehen auch abseits der neuro-ethischen Debatte weit auseinander. Wichtiger als diese Frage scheint aber, dass unsere Leistungsgesellschaft die Voraussetzung für diese Entwicklung ist. Diese gilt es also eigentlich zu diskutieren.

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