Gemeinschaftliches Arbeiten und Konsumieren weltweit

  • 13.07.2012, 18:18

Die GenossInnenschaftsbewegung breitet sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts weltweit aus. In Österreich oft mit Raiffeisen-Bank und Konsum gleichgesetzt, gibt es international Beispiele, die ein moderneres Bild auf den Zusammenschluss von Menschen zu Produktions- oder Konsumgemeinschaften werfen.

Die GenossInnenschaftsbewegung breitet sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts weltweit aus. In Österreich oft mit Raiffeisen-Bank und Konsum gleichgesetzt, gibt es international Beispiele, die ein moderneres Bild auf den Zusammenschluss von Menschen zu Produktions- oder Konsumgemeinschaften werfen.

GenossInnenschaften oder auch Kooperativen gibt es schon seit dem Altertum. Damals schlossen sich Menschen zu Bündnissen wie Glaubensgemeinschaften zusammen, die genossInnenschaftliche Züge hatten. Im Mittelalter bildeten sich unter sozial oder wirtschaftlich schwachen Personen Vereinigungen, die zum Beispiel die Begräbnisse der Mitglieder finanzierten. Aus GenossInnenschaften, die sich um die gemeinschaftliche Verwaltung der Almen kümmerten, entstand später die Schweizer EidgenossInnenschaft, die eine Form der direkten Demokratie darstellt.
Im Dezember 1844 gründeten 28 WeberInnen die Rochdale Society of Equitable Pioneers. Robert Owen, ein englischer Unternehmer, gründete diese ProduktivgenossInnenschaft, um die Lage der FabriksarbeiterInnen zu verbessern. Außerdem gründete er eine KonsumgenossInnenschaft in Form eines Ladens, um den Menschen leistbare Lebensmittel zur Verfügung zu stellen. Owen gilt als der Begründer der modernen Form dieses Zusammenschlusses. Das BesucherInnenbuch der Pioneers zeigte unter anderem Namen aus England, Deutschland, Spanien, Japan, Italien und Russland. George Jacob Holyoake veröffentlichte die Geschichte der Rochdale Pioneers 1858 unter dem Titel Self-Help by the People. Es wurde in mehrere Sprachen übersetzt.
Die GenossInnenschaftsbewegung breitete sich ab diesem Zeitpunkt rasch aus. Im deutschsprachigen Raum wurden die ersten GenossInnenschaften 1847 von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch gegründet. Aus Raiffeisen’s Vereinigung zur Bekämpfung von Armut der ländlichen Bevölkerung entstand später ein Darlehenskassenverein. In Europa gibt es heute 300.000 GenossInnenschaften mit über 140 Millionen Mitgliedern.

Was ist das denn? GenossInnenschaften sind Zusammenschlüsse von natürlichen oder auch juristischen Personen. Das so genannte S-Prinzip bedeutet hier: Selbstverwaltung, Selbstverantwortung und Selbsthilfe. Die KapitalgeberInnen und Mitglieder sind gleichzeitig EntscheidungsträgerInnen und GeschäftspartnerInnen der Vereinigung.
Laut Gesetz müssen GenossInnenschaften den Erwerb oder die Wirtschaft der Mitglieder fördern. Sie müssen dies in Abstimmung mit ihren Mitgliedern durch sinnvolles unternehmerisches und marktgestalterisches Handeln erfüllen. Das besondere an dieser Form des wirtschaftlichen Zusammenarbeitens besteht darin, dass hier die erwirtschafteten Gewinne direkt an die Mitglieder weitergegeben werden. Eine Nichtweitergabe erfolgt nur dann, wenn neu investiert werden muss. Gewinn ist aber nicht der Selbstzweck einer GenossInnenschaft. Je nach Zweck muss das erwirtschaftete Geld auch entsprechend eingesetzt werden.
Die Mitglieder in solchen Zusammenschlüssen sind nicht auf eine bestimmte Zahl beschränkt. Die Anzahl kann je nach neu gewonnenen und ausgeschiedenen Mitgliedern ständig schwanken. Durch die Mitgliedschaft verpflichten sich die Personen zwar zur Einzahlung von Kapital und zur Entrichtung von etwaigen Mitgliedsbeiträgen, können aber dann von der jeweiligen Leistung der GenossInnenschaft profitieren.

Österreichische Varianten. Das klingt zuerst alles sehr theoretisch. Bei genauerer Betrachtung kennt aber jede Person in Österreich zumindest eine GenossInnenschaft. Die Raiffeisen-Gruppe mit ihrem Giebelkreuz als Markenzeichen ist in jedem Teil Österreichs zu finden. 1,7 Millionen Menschen sind in Österreich Mitglied und 40 Prozent der Bevölkerung sind KundInnen. Somit stellt sie die größte Bankengruppe in Österreich dar.
Die erste Raiffeisenkasse wurde in Österreich 1886 gegründet, weitere EinzelgenossInnenschaften folgten. Ab 1894 gab es landesweite Zentralen, und seit 1898 gibt es den Österreichischen Raiffeisenverband. Die Struktur ist seit damals stark gewachsen. In Österreich gibt es derzeit 560 selbstständige Raiffeisenbanken mit insgesamt 1.800 Filialen. Raiffeisenbanken wurden zur wirtschaftlichen Absicherung ihrer Mitglieder gegründet. Neben der Möglichkeit, die Entscheidungen innerhalb des Verbandes mit zu bestimmten, sind Mitglieder vor allem auch MiteigentümerInnen.
Eine weitere bekannte GenossInnenschaft stellte Konsum dar. Sie war bis zu ihrer Insolvenz 1995 eine KonsumgenossInnenschaft. Gemeinsam mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund war Konsum mehrere Jahrzehnte lang Besitzerin der BAWAG (Bank für Arbeit und Wirtschaft). Konsum wurde deshalb oft als gewerkschaftliches Unternehmen wahrgenommen, was aber rein rechtlich nicht der Fall war.
Die ersten KonsumgenossInnenschaften wurden in Österreich bereits 1852 gegründet. Viele ArbeiterInnen wollten den steigenden Preisen für Lebensmittel entgehen und solidarisierten sich. Die Zusammenschlüsse befassten sich mit dem Vertrieb von Nahrungsmitteln und anderen Gütern des täglichen Gebrauchs. 1903 kam es mit Unterstützung der damaligen SPÖ zur Gründung des Zentralverbandes österreichischer Konsumgesellschaften. Nach dem Ersten Weltkrieg versuchte der Konsumverband aber parteilich unabhängig zu werden.
Nach schwierigen Phasen für die GenossInnenschaften während des Ständestaats und dem Nationalsozialismus begann nach dem Zweiten Weltkrieg ein rascher Aufbau des Konsumverbandes. Ab Mitte der 1950er Jahre nahm der Mitgliederzuwachs aber ab, die Mitglieder waren veraltet und viele GenossInnenschaften waren nahe am finanziellen Ruin. Ein neues Konzept war von Nöten. 1970 wurde daher der erste Konsum-Großmarkt und 1971 das erste Konsum-Möbelhaus eröffnet. Der Verband sollte sich zur Konsum-Einzelhandelskette weiterentwickeln. Anfänglich steigende Gewinne konnten sich aber nicht auf Dauer einstellen. Konsum musste Anfang der 90er Anteile an der BAWAG verkaufen. 1995 wurden die bestehenden Filialen von anderen Unternehmen übernommen oder aufgelöst.

GenossInnenschaften auswärts. Österreichische GenossInnenschaften hören sich ein wenig nach Großkonzern oder verstaubter Vergangenheit an. International sieht das ein wenig anders aus. Auf Englisch heißen diese Vereinigungen Co-Operatives oder kurz Co-Ops. In Großbritannien begannen sich Anfang des 19. Jahrhunderts Menschen gegen die Form der Wohlfahrt zu wehren. Sowohl Staat als auch Kirche begannen zwischen „förderungswürdigen“ und „unwürdigen“ Armen zu unterscheiden. Daher wurden die ersten Friendly Societies gegründet. Ende des 19. Jahrhunderts waren knapp 80 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Großbritannien und 90 Prozent in Australien Mitglieder einer Friendly Society. Sie waren damit die größte Form von Vereinigungen von ArbeiterInnen im angelsächsischen Raum vor der Gründung von Gewerkschaften.
GenossInnenschaften stellen eine Form der wirtschaftlichen Demokratie dar und sollen so die politische Demokratie ergänzen. Diese Motive sind in den großen österreichischen GenossInnenschaften kaum noch sichtbar, im internationalen Bereich stehen sie dafür stärker im Vordergrund. So sind gerade viele kleinere Co-Ops klar im linken bzw. sozialistischen Spektrum anzusiedeln. Ein Beispiel hierfür stellt The London Socialist Film Co-Op dar. Sie zeigen aktuelle und ältere Filme, um sozialistische Kultur weiterzutragen. Nach den Veranstaltungen werden die TeilnehmerInnen zu Diskussionen angeregt. Mitglieder werden dazu ermuntert, eigene Filme zu drehen, sich aktiv an der Organisation von Veranstaltungen zu beteiligen oder Vorschläge für gezeigte Filme zu machen.
Rainbow Grocery in San Francisco wurde 1975 gegründet und ist ein vegetarischer Supermarkt. Er entstand aus einem Projekt namens People‘s Common Operating Warehouse of San Francisco, bei dem Essen von Menschen der Umgebung in Großmengen eingekauft und danach untereinander aufgeteilt wurde, um das Zusammenleben in der Gemeinschaft und politisches Denken zu fördern. Aus diesem zuerst religiösen Projekt entstand dann der säkulare Verkaufsladen.
Den Titel Co-Operative konnte Rainbow Grocery erst 1993 führen, denn bis dahin besaß Kalifornien keinen rechtlichen Terminus für Arbeiter-Innen-Co-Ops. Doch schon von Beginn an war Rainbow Grocery ein von den Mitgliedern demokratisch organisierter und gemeinsam besessener Laden. Im Unterschied zu KonsumgenossInnenschaften ist das Geschäft aber nicht in Besitz der Menschen, die dort einkaufen, sondern gehört den ArbeiterInnen. Die Vereinigung beschreibt sich selbst als Zusammenschluss der einzelnen Abteilungen im Laden wie Einkauf, Käse, Reinigung oder Bäckerei. Auf der Abteilungsebene werden die Entscheidungen wie Neueinstellungen oder Einkauf eigenständig getroffen. Nur größere finanzielle oder rechtliche Entscheidungen werden von dem jährlich gewählten Board, das sieben Mitglieder hat, getroffen. Zur Wahl für das Board können sich alle MitarbeiterInnen bzw. Mitglieder aufstellen – egal in welcher Abteilung sie arbeiten. Zusätzlich zum Board gibt es monatliche Treffen der Mitglieder, in denen Entscheidungen besprochen und abgestimmt werden.

Fairer Handeln. Natürlich gibt es auch internationale Vereinigungen, die auf größerer Ebene agieren. Als bekannte Vertreterin sei hier Fairtrade genannt. Die Organisation versucht weltweit, durch fairen Handel und gerechte Löhne benachteiligte kleinbäuerliche Familien zu unterstützen. Bei Plantagen werden die PflückerInnen gefördert, da sie die Benachteiligsten in der Produktionskette sind. Die einzelnen ProduzentInnen müssen sich, um das Fairtrade-Siegel zu erhalten und mit Hilfe von Fairtrade Produkte erzeugen zu dürfen, zu GenossInnenschaften zusammenschließen. Wenn dies noch nicht möglich ist, muss zumindest auf demokratische Strukturen hingearbeitet und die ArbeiterInnen gerecht entlohnt werden. Neben Schulungen in den Bereichen Marketing und Produktionsverfahren unterstützt Fairtrade auch soziale Projekte wie den Bau von Schulen, Brunnen und Apotheken.
Die gerechte Produktion von Kaffee ist im öffentlichen Bewusstsein wohl am stärksten mit Fairtrade verbunden. Die Produktpalette umfasst heute aber weit mehr. Schokolade, Datteln und Gewürze sind genauso wie Baumwolle, Teppiche und Fußbälle erhältlich. Das Fairtrade-Gütesiegel zeigt den KundInnen in aller Welt, welche Erzeugnisse unter demokratischen Bedingungen hergestellt wurden. Die Preise sind zwar in den meisten Fällen höher als bei vergleichbaren Produkten ohne Siegel, allerdings können die KonsumentInnen neben dem Erwerb eines guten Gewissens so auch einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen von ArbeiterInnen leisten.
GenossInnenschaften gibt es weltweit in vielen verschiedenen Formen. Allen gemeinsam ist eine demokratische Struktur, die für alle Mitglieder Mitsprache garantiert. Diese Form von Demokratie in Arbeits- und Produktionsprozessen ist ein wichtiger Wegweiser zu einer Gesellschaft, die auf die Bedürfnisse aller eingeht. Viele, vor allem größere, Vereinigungen stellen heute gleichzeitig multinationale Unternehmen dar, die stark im kapitalistischen System verankert sind. GenossInnenschaften müssen daher nicht zwingend zur Veränderung des bestehenden Systems beitragen. Sie können jedoch einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen gerecht bezahlt und in Entscheidungsprozesse eingebunden werden.

AutorInnen: Sophie Lojka