Drug Me Smart!

  • 13.07.2012, 18:18

Nur noch ein paar Stunden konzentriert arbeiten. Dafür eine Tasse grüner Tee oder doch lieber eine Ritalin Tablette? Länger munter bleiben, um das Referat noch fertig zu bekommen. Eine Modafinil? Nach Alltagsstress und reichlich Kaffee wieder runterkommen. Ein paar Bier, ein Ofen. Out of script oder zurück zum Skript? Können wir die Anforderungen unseres Studien- und Arbeitsalltags noch ohne Hilfssubstanzen bewältigen?

Nur noch ein paar Stunden konzentriert arbeiten. Dafür eine Tasse grüner Tee oder doch lieber eine Ritalin Tablette? Länger munter bleiben, um das Referat noch fertig zu bekommen. Eine Modafinil? Nach Alltagsstress und reichlich Kaffee wieder runterkommen. Ein paar Bier, ein Ofen. Out of script oder zurück zum Skript? Können wir die Anforderungen unseres Studien- und Arbeitsalltags noch ohne Hilfssubstanzen bewältigen?

Praktikum in Japan. Vor einem Monat begann er Japanisch zu lernen. Jetzt spricht er die Sprache fließend. Lea hat gerade ihren Master in Neurophysik abgeschlossen. Vor sechs Monaten erst hat sie ihr Studium begonnen. Klingt ungewohnt? Forschung und Pharmaindustrie könnten uns eine solch immens gesteigerte Lernfähigkeit bald ermöglichen. Sophie wiederum steht kurz vor einer wichtigen Prüfung. Ein paar Concerta Tabletten könnten helfen, den Stoff zu bewältigen, denkt sie sich. Auch Jan hat in Kürze eine Abschlussprüfung und bearbeitet seine Nervosität mit klassischen Entschleunigern wie Cannabis oder Alkohol.
Substanzen zur Verbesserung von Konzentration, Gedächtnis oder für eine bessere Laune sind vielfältig und werden ebenso zahlreich eingesetzt. Dabei entzünden sich gesellschaftliche Debatten über diese Substanzen oft nicht nur an unserer Fähigkeit, mit diesen umsichtig umzugehen, sondern auch an den Voraussetzungen, die uns zum Einsatz solcher Mittel bringen. Oder anders gesagt: Unsere Leistungsgesellschaft verlangt weit mehr als eine 40-Stunden-Woche, um am Ball zu bleiben. Um da noch den Ausgleich zwischen Privat, Beruf und Studium finden zu können, wird der Griff zur Tablette immer beliebter.

Am Anfang kam Ritalin. In den 1950ern kam dieses Medikament zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (ADHS) auf den Markt. Der darin enthaltene Wirkstoff Methylphenidat steigert die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitsspanne. Heute werden Ritalin und ähnliche Medikamente wie Concerta oder Adderall  (ein Amphetamin) längst nicht mehr nur von Personen mit ADHS eingenommen – die Diagnose ADHS wird übrigens nicht von allen ExpertInnen anerkannt. Besonders bei Menschen, die sich unter hohem Leistungsdruck befinden, werden diese Präparate immer beliebter. In Österreich ist es zwar verschreibungspflichtig, es stellt aber kein Problem dar, sich das Präparat von ausländischen Apotheken liefern zu lassen. Online-Foren, die über Bestellmöglichkeiten informieren, gibt es zahlreiche.
Schätzungen aus dem Jahr 2007 ergaben, dass ungefähr 1,6 Millionen U.S. BürgerInnen eines dieser, auch als Smart Drugs bekannten, Medikamente regelmäßig gebrauchen. Eine 2009 publizierte Studie der deutschen Krankenkasse DAK hat ergeben, dass unter 3.000 befragten Angestellten rund ein Fünftel zu Stimulanzien (z.B. Adderall), Antidementiva (steigern die Gedächnisleistung, z.B. Arivept), oder Antidepressiva (z.B. Aponal) greifen, ohne eine Erkrankung zu haben. Darunter wurden am häufigsten Präparate, die Methylphenidat enthalten, konsumiert. Für Österreich sind vergleichbare Studien nicht verfügbar. Der nationale Drogenbericht erwähnt diese Substanzen und Präparate nicht einmal.

Risiken und (Neben-)Wirkungen? Viele der Langzeitwirkungen von etwa Ritalin sind immer noch nicht ausreichend erforscht. Als gesichert gilt, dass Langzeitfolgen Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems beinhalten können. Die U.S. Gesundheitsbehörde FDA hat infolge 2006 verordnet, dass Medikamente, welche Methylphenidat enthalten, das sogenannte BlackBox-Label tragen müssen. Die gewichtigste Kennzeichnung, die dieser Behörde zur Verfügung steht.
Umstritten ist unter ExpertInnen auch,  wie sich die Substanz bei gesunden Menschen auswirkt. Zumindest eine quantitative Steigerung der Lernfähigkeit scheint möglich. Ob der Einsatz für Prüfungssituationen zum gewünschten Ergebnis führt, bleibt dennoch zweifelhaft. Eine Befragung an einer U.S. Universität unter den Studierenden ergab, dass jene 13 Prozent, die angaben, Ritalin für eine Prüfung genommen zu haben, im Durchschnitt schlechter abgeschnitten haben als die Vergleichsgruppe, die keines nahm.  Der Grund für ein solches Ergebnis könnte laut einem Artikel der Wissenschaftszeitschrift Spektrum aber daran liegen, dass die Einnahme von Ritalin eben auch das Selbstwertgefühl und die Impulsivität steigert. In einer Prüfungssituation kann dies dann in vorschnellen Antworten resultieren. Einigkeit scheint in der wissenschaftlichen Gemeinschaft darüber zu bestehen, dass derzeitige Präparate keine qualitative Steigerung unseres Lernens bringen. Das Erlernen von Musikinstrumenten, Sprachen oder der menschlichen Anatomie muss also auch mit diesen Hilfssubstanzen über ständiges Üben und Wiederholen geschehen.

Die neuen Menschen. Rund 600 neue Smart Drugs stehen weltweit vor der Zulassung und werden in absehbarer Zukunft auf den Markt kommen. Was dieser Trend für unsere Gesellschaft bedeutet und ob und wie wir darauf reagieren sollen, wird nicht nur in den USA, sondern seit kurzem auch wieder in Europa diskutiert. Anstoß der jüngsten Debatte war ein Memorandum („Das optimierte Gehirn“) einer Gruppe von WissenschafterInnen, welches eine Lanze für die Freiheit, das eigene Gehirn nach Belieben modellieren zu können, bricht. Die Implikationen dieser Forderung schlugen hohe Wellen. Nicht nur in der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Zivilgesellschaft, auch die deutsche Bundesregierung befasst sich nun mit diesem Thema. Die KritikerInnen führen zu Recht an, dass freier Zugang zu diesen Präparaten ohne Verschreibungspflicht eine neue Qualität in unsere Leistungsgesellschaft einführen würde. Die BefürworterInnen sehen dahinter wiederum Panikmache und versuchen, die Debatte auf eine Ebene mit Schönheitschirurgie und Anti-aging-Pillen zu bringen.
Dass sich mit der Ausbreitung dieser Präparate aber dringende Fragen nach der demokratischen Legitimation oder über die Auswirkungen auf soziale Scheren stellen, kann nur schwer weggeredet werden. Wird es die eingangs erwähnten Lea und Stefan also in absehbarer Zukunft geben? Die Meinungen hierzu gehen auch abseits der neuro-ethischen Debatte weit auseinander. Wichtiger als diese Frage scheint aber, dass unsere Leistungsgesellschaft die Voraussetzung für diese Entwicklung ist. Diese gilt es also eigentlich zu diskutieren.

AutorInnen: Georg Sattelberger