Rechtsextremismus

Distanzirkus

  • 12.12.2014, 17:51

Warum das Distanzieren plötzlich derart in Mode gekommen ist und was es wirklich bedeutet.

„Treffen sich zwei Linke und spalten sich“: Seit Neuestem wird dazu bewusst und manipulativ durch eine unvergleichliche Zusammenarbeit zwischen Medien und Rechten angestiftet. Das geschieht durch einen hinterhältigen rhetorischen Trick: die Distanzierungsaufforderung.

Parteien, Organisationen und Unternehmen werden ja regelmäßig dazu aufgerufen, sich von bestimmten Aussagen oder Vorkommnissen zu distanzieren. Das gehört zum gesellschaftlichen Diskurs dazu und ist als Methode gar nicht so originell. So werden auch Rechte regelmäßig aufgefordert, von „Einzelfällen“ in ihren Parteien oder „verbalen Entgleisungen“ Abstand zu nehmen – was sie dann auch mehr oder weniger herzhaft regelmäßig machen (müssen).

Was allerdings derzeit vergleichsweise neu ist, sind die Aufrufe beziehungsweise der vorauseilende Ge- horsam, sich von einer Materie zu distanzieren, die nichts mit einem zu tun hat. So müssen sich neuerdings etwa Parteien und Menschenrechtsorganisationen von den Protesten gegen den Akademikerball und gegen die Identitären distanzieren, obwohl sie weder Organisator*innen noch Teilnehmer*innen der antifaschistischen Demos waren.

Der letzte Schrei

Ein Auszug aus dem aktuellen Programm des Distanzzirkus: Die ÖVP ruft etwa in einer Aussendung dazu auf, „linke Gewalttäter“ zu verurteilen. Prompt antwortet der grüne Bildungssprecher Harald Walser und distanziert sich „von allen Gewaltanwendern“ (außer der Polizei natürlich, die immerhin ein Gewaltmonopol hat). Werner Herbert von den Freiheitlichen Arbeitnehmern formuliert seinen Distanzierungswunsch penibelst vor: „Wir, die Organisatoren der Gegendemonstration von letztem Samstag, distanzieren uns in aller Schärfe von den Ausschreitungen linksextremer, krimineller Gewalttäter“, so der Vorschlag. Und nicht zuletzt appellieren auf Twitter ORF-Journalist*innen an die ÖH, von „Gewaltbereiten“ abzurücken.

Die Distanzierung ist der letzte politische Schrei, wie schon auf die Schnelle durchgeführte Presseagentur- und Mediensuchen zeigen. Zur Erinnerung: Niemand, der jemals in diesen Zusammenhängen zur Distanzierung aufgerufen wurde oder sich distanziert hat, war nachweislich an irgendwelchen „Gewaltexzessen“ oder Scheibeneinschlägereien beteiligt. Niemand. Die Unschuldsvermutung interessiert Medien wie auch die Politik, wenn es um die vermeintlich „kriminelle“ Antifa geht, ja auch gar nicht: Diese ist nur bei namhaften Menschen mit der Bereitschaft und den Möglichkeiten zu klagen, wie Grasser, Strasser und Co., zu beachten.

Distanzierungswut

Die in Österreich als distanzierungswürdig eingestuften Scheibenbrüche werden übrigens wegen den niedrigen Sachschäden und ausbleibender Gewalt in anderen Ländern als „kleine Zwischenfälle“ oder „friedliche Demos“ beschrieben. Die hetzerische Berichterstattung in Österreich und die Diffamierung von friedlichem antifaschistischem Protest als „Gewaltexzess“, „Straßenschlacht“ und „Bürgerkrieg“ heizt die Distanzierungswelle an. Ohne Skandalisierung nämlich keine Distanzierungswut.

Jede und jeder fühlt sich aber nun plötzlich dazu be- und aufgerufen, sich von NOWKR, #blockit und der Ausübung von Demonstrationsrecht generell zu distanzieren – was auch immer das eigentlich in diesem Zusammenhang bedeuten soll. Oftmals erschöpfen sich Kommentare zu wichtigen Themen wie dem Rechtsruck und Antifaschismus lediglich darin, dass Abstand gesucht wird. Ist die brennend aktuelle Materie vielleicht auch einfach zu unbequem? Es ist für politisch Agierende jedenfalls viel einfacher, sich pauschal von irgendwelchen fiktiven Krawallen abzugrenzen, als sich inhaltlich mit den Fragen und den gesellschaftlichen Anliegen auseinanderzusetzen, die antifaschistische Proteste aufwerfen. Eine Distanzierung ist auch eine konsequente Verweigerung, Position zu beziehen.

Zu dieser Nicht-Ortung in der österreichischen Politik gehört meistens auch die fahrlässige und unglaublich fakten- und geschichtsblinde Gleichsetzung von Rechtsextremismus und (in Österreich nicht-existentem) „Linksextremismus“. Dazu kann nur eins gesagt werden: Wer von links und rechts gleich weit entfernt stehen will, befindet sich mitten in der Scheiße.

Jedenfalls führt die hysterische Distanzierungsmode zu einer breiten Entsolidarisierung mit antifaschistischem Protest und seinen Anliegen – eine perfide Strategie der Rechten, auf welche die Medien hereinfallen. Es ist eine enge Zwickmühle, aus der es nur schwer ein Entkommen gibt. Der Populismus ist nämlich eine gut geölte Maschine, die die mediale und politische Rhetorik fest in ihren Zahnrädern mahlt.

Entsolidarisierung

Ein besonders eindrückliches und erschreckendes Beispiel für die Entsolidarisierung war etwa die Kundgebung gegen den Putin-Besuch in Wien am 24. Juni: Die Organisator*innen der Demo gegen die homophobe Politik Russlands hatten die Antifa dezidiert ausgeladen – eine Antifa, die immer auch für die Rechte von Homosexuellen auf die Straße gegangen ist und sich – im Falle der Regenbogenparade etwa – dafür sogar festnehmen ließ.

Sich von Dingen zu distanzieren, die nichts mit einem zu tun haben – etwa zu Bruch gegangenen Scheiben – ist entbehrlich. Distanzieren muss oder kann man sich nur von Dingen, die man selbst angestellt hat oder für die man namentlich bürgt. In Österreich grenzt eine Distanzierung vom Antifaschismus an ein Verbrechen. Immerhin steht der antifaschistische Grundkonsens der Zweiten Republik trotz aller rechten Polemik mahnend im Raum. Trotzdem wird etwa in Interviews und Fernsehdiskussionen ständig zur Distanzierung gedrängt und selbstständig darauf hingestürmt.

Somit entgeht dem Antifaschismus in Österreich die Solidarität und Unterstützung einer breiteren Mitte. Es entsteht eine tiefe Kluft zwischen jenen, die für den Antifaschismus auf die Straße gehen, und jenen, die diesen prinzipiell oder zumindest feigenblättrig unterstützen würden. Diese Entsolidarisierung ermöglicht eine immer stärkere Kriminalisierung von Antifaschismus, eine Diffamierung aller, die ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen, und absurde Polizeigewalt und -strategien. Um diese Entwicklung zu stoppen, müssten Journalist*innen und Medien aufhören, ständig zur dieser gesellschaftlichen Spaltung aufzurufen.

 

Olja Alvir studiert Germanistik und Physik an der Universität Wien.

                               

                       

               

 

100 % rassistisch

  • 18.05.2014, 22:21

Spätestens mit ihrer Aktion gegen die Refugees in der Wiener Votivkirche letztes Jahr, erlangte die „Identitäre Bewegung“ hierzulande mediale Aufmerksamkeit. Ein Buch legt nun die Ideologie und Strategien der neuen Rechtsextremen offen. progress traf die Autor_innen Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl zum Interview.

Spätestens mit ihrer Aktion gegen die Refugees in der Wiener Votivkirche letztes Jahr, erlangte die „Identitäre Bewegung“ hierzulande mediale Aufmerksamkeit. Ein Buch legt nun die Ideologie und Strategien der neuen Rechtsextremen offen. progress traf die Autor_innen Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl zum Interview.

progress: Entgegen ihrer Selbstdarstellung als politisch in der Mitte stehend, charakterisiert ihr die Identitären in eurem Buch als Jugendbewegung der Neuen Rechten. Was bedeuten die Begriffe „identitär“ und „Neue Rechte“?

Bruns: Die Alte Rechte hat eindeutig einen biologistischen Rassismus an den Tag gelegt, sich antisemitisch positioniert, etc. Das war nach dem Holocaust verpönt und in dieser Form nicht mehr möglich.

Strobl: Die Neue Rechte versucht durch neue Kommunikationsstrategien subtiler zu wirken. Typisch ist die „Salamitaktik“, also Positionen erst nach und nach preis zu geben.

Glösel: Der Begriff „identitär“ wird von den Gruppen selbst nicht definiert, er ist eher eine Projektionsfläche für diverse Sehnsüchte. „Identitär“ bleibt so zwar schwammig, ist gleichzeitig aber auch unverbraucht, unbelastet und selbstbejahend.

Was unterscheidet die Identitären von herkömmlichen rechtsextremen oder neonazistischen Gruppierungen?

Strobl: Identitäre haben ihr Vorbild in CasaPound aus Italien. Das ist eine Bewegung, die Codes und Aktionsformen, wie Hausbesetzungen oder Flashmobs, aus dem linken politischen Spektrum übernimmt und Stilmittel der modernen Werbeindustrie verwendet. Mit dem klassischen Rechtsextremismus verbindet man ja eher militantes Auftreten. Die Jugendbewegung der Neuen Rechten hingegen ist viel weichgezeichneter, jünger und popkultureller.

Glösel: Aktionismus ist ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal, weil Identitäre ihre Öffentlichkeit selber herstellen. Anders als Player_innen der Alten Rechten beharren sie nicht auf Anonymität, sondern inszenieren sich als Celebrities.

Bruns: Oberflächlich grenzen sie sich außerdem von Rassismus ab. Einer ihrer Sprüche lautet „0 % Rassismus, 100 % identitär“. Das ist ein Versuch, aus der rechtsextremen Schmuddelecke rauszukommen und junge Menschen anzusprechen, die sich als in der politischen Mitte stehend definieren.

Strobl: Dabei ist diese sogenannte Mitte erfunden. In der Vorstellung von Verfassungsschutz und Parteien ist sie normativ positiv und erstrebenswert. Sie wird einem gleichermaßen negativ besetzten links- und rechtsextremen Rand gegenübergestellt. Anhand der Neuen Rechten sieht man gut, dass so ein Extremismuskonzept nicht haltbar ist.

Wo können die ideologischen Bezugspunkte und politischen Einstellungen der Identitären verortet werden?

Bruns: Ein wesentlicher Eckpunkt ihrer Ideologie ist der Ethnopluralismus. Dabei gehen sie von verschiedenen, in sich homogenen Ethnien aus, deren Vermischung immer Konflikte auslöse. Die Konsequenz dieses originär neurechten Konzepts wäre weltweite Apartheid, um das Bedrohungsszenario des Verlustes der Identität abzuwehren.

Strobl: Identitäre propagieren auch einen krassen antimuslimischen Rassismus, damit stehen sie der Alten Rechten in nichts nach.

Glösel: Auch ihr Heterosexismus und ihr biologistisch aufgeladenes Geschlechterbild sind nichts Neues. Sie bieten auch lediglich Männern eine Identifikationsfläche und konstruieren ein soldatisches Männlichkeitsbild.

Bruns: Ein weiterer markanter Eckpunkt der Neuen Rechten ist, dass alle mit der 68er-Bewegung verbundenen Errungenschaften und Begriffe – zum Beispiel „political correctness“ oder Emanzipation – große Feindbilder sind.

Wie wollen die Neuen Rechten intervenieren?

Bruns: Identitäre fallen durch Aktionen auf, die nicht viel kosten, die leicht und schnell zu organisieren sind und die man filmen und ins Internet stellen kann. Sie bringen sich zum Beispiel bei Protesten gegen Asylwerber_innenheime ein.

Strobl: Ihr Ziel ist es, auf den vorpolitischen Raum einzuwirken. Mithilfe dieser „metapolitischen“ Strategie sollen der öffentliche Diskurs und Meinungsbildner_innen beeinflusst werden.

Glösel: Wir haben versucht zu zeigen, dass es der Neuen Rechten um den Aufbau einer Gegenkultur geht. Bei den Identitären merkt man das daran, dass sie ein ganzes Repertoire, das von einem eigenen Verlag bis hin zu einer eigenen Ästhetik reicht, aufgebaut haben.

Warum spricht die Identitäre Bewegung vor allem Student_innen und Schüler_innen an?

Glösel: Das liegt an ihren Themen, an der Weise, wie sie diese ansprechen und an den Mitteln, die sie dazu verwenden. Viele junge Erwachsene sind erstmals mit sozialen Unsicherheiten konfrontiert. Identitäre greifen genau das auf, allerdings ohne profunde Kritik am ökonomischen System. Ihre aktionistische Ausrichtung und ihre Medien ermöglichen es, schnell mitzumachen.

Strobl: In Gruppierungen wie den Identitären ist es außerdem sehr leicht, dem eigenen Rassismus und den eigenen Vorurteilen Raum zu geben, ohne sich vor sich selbst rechtfertigen zu müssen. Identitäre Aktivist_innen haben sicher nicht das Gefühl, bei den Stiefelnazis gelandet zu sein. Trotzdem können sie gegen dieselben Feindbilder hetzen.

Warum sollten wir die Identitäre Bewegung nicht einfach ignorieren?

Strobl: Historisch war es noch nie besonders sinnvoll Rechtsextremismus zu ignorieren. Man muss sich vor Augen halten, dass jene, die mehr Ressourcen haben und sich in bürgerlichen Kreisen bewegen, oft gefährlicher sind als diejenigen, die man sofort als Rechtsextreme erkennt.

Glösel: Die Identitären schaffen sich ihre Öffentlichkeit selbst, sie zu ignorieren würde ihren Handlungsspielraum vergrößern. Außerdem sehe ich ein Auftreten gegen Identitäre als Möglichkeit gegen das Extremismuskonzept des Verfassungsschutzes zu arbeiten. Wir wollen zeigen, dass Rechtsextreme immer von der Ungleichheit von Menschen ausgehen und gegen Marginalisierte agitieren. Das unterscheidet sich diametral von dem, wofür Linke auftreten. Wer links und rechts ständig gleichsetzt, übersieht das und ist dann völlig überrascht, dass es Bewegungen wie die Identitären gibt.

Bruns: Wir wollen Identitäre nicht über-, aber sicher auch nicht unterschätzen. Es ist uns wichtig, aufzuzeigen, dass diese Bewegung nicht harmlos ist. Sie kommt aus demselben Lager wie die NPD, die Pro-Bewegung in Deutschland oder die FPÖ. Dass die Identitären weichgezeichneter auftreten, ändert nichts an ihrer rechtsextremen Ideologie.

Das Interview führte Sonja Luksik.

 

 

Strache im braunen Sumpf

  • 22.06.2013, 23:10

Hans-Henning Scharsach legt in seinem politischen Sachbuch „Strache im braunen Sumpf“ die Verflechtungen der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) unter Heinz-Christian Strache mit rechtsextremen und neonazistischen Organisationen dar. Eine Rezension.

Hans-Henning Scharsach legt in seinem politischen Sachbuch „Strache im braunen Sumpf“ die Verflechtungen der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) unter Heinz-Christian Strache mit rechtsextremen und neonazistischen Organisationen dar.

„Mit Straches Machtübernahme wurde 2005 die Wende rückwärts eingeleitet“, schreibt der Journalist und langjährige Leiter des Auslandsressorts von Kurier und News Hans-Henning Scharsach (70) in dem Vorwort seiner Publikation, „Der neue FPÖ-Chef ersetzte die Buberlpartie [Anm.: Jörg Haiders] durch eine Burschenpartie – stramme Hardcore-Ideologen aus jenem korporierten Milieu, das sich von den Traditionen des Nationalsozialismus bis heute nicht gelöst hat.“ Hans-Henning Scharsach weiß, wovon er spricht, denn er hatte sich zuvor mit Jörg Haiders FPÖ in den von ihm verfassten Sachbüchern „Haiders Kampf“, „Haider. Österreich und die rechte Versuchung“, „Haiders Clan. Wie Gewalt entsteht“ sowie „Haider. Schatten über Europa“ auseinandergesetzt. Auch die europäische Dimension der politisch Rechten hat er in seinem Buch „Rückwärts nach rechts. Europas Populisten“ beschrieben. In seinem Buch „Strache im braunen Sumpf“ hält er fest, dass Jörg Haider den Burschenschafteranteil bei den FPÖ-Parlamentariern auf elf Prozent zurückgedrängt hatte. Seit der Nationalratswahl 2008 gehören aber mehr als ein Drittel der 34 FPÖ-Abgeordneten einer schlagenden, deutschnationalen Studentenverbindung an. Auch im Europaparlament sind die beiden Sitze der Freiheitlichen mit deutschnationalen Burschenschaftern besetzt. Seit den Wiener Gemeinderatswahlen 2010 besteht die Wiener Parteiführung der FPÖ fast ausschließlich aus Burschenschaftern, der Wiener Rathausklub zu 50 Prozent. Eine brisante Thematik, die den meisten ÖsterreicherInnen erst aufgrund der Nachrichtenberichterstattung über die Demonstrationen rund um den WKR-Ball 2012 bewusst wurde. Im Gegensatz zur oftmals oberflächlichen Berichterstattung der österreichischen Medien vermittelt Scharsach den LeserInnen einen umfassenden und tiefen Einblick in die Zusammenarbeit zwischen FPÖ-PolitikerInnen, deutschnationalen Burschenschaften und Neonazis. Dabei greift er auch historisch zurückliegende Ereignisse auf und belässt es nicht bei der Analyse der letzten Jahre. Obwohl es sich um ein politisches Sachbuch handelt, bemüht sich Hans-Henning Scharsach wissenschaftliche Kriterien einzuhalten und alle Aussagen sowie Thesen zu belegen. Das Manuskript des Buches wurde vor dessen Druck von einem Juristen geprüft.

Scharsachs Buch ist in vierzehn Überkapitel gegliedert, an deren Ende er stets die wichtigsten inhaltlichen Punkte zusammengefasst hat. Das erste Kapitel „Im braunen Sumpf: Es begann mit Fotos“ erläutert die Diskussion rund um die von Heinz-Christian Strache 2007 auftauchenden Bilder, die den jungen Strache als Teilnehmer von Wehrsportübungen zeigen. Scharsach thematisiert in diesem Kapitel die damalige politische Vergangenheit Straches, der mit der Tochter des Rechtsextremen Norbert Burger verlobt war und während eines „volkstreuen Fest“ der (mittlerweile vom deutschen Verfassungsschutz verbotenen) Wiking-Jugend unter dem Titel „Zum Teufel mit der 1945er-Demarkationslinie“ zu Silvester 1989/1990 in Fulda in eine neunstündige Verwahrungshaft genommen wurde. Scharsach geht auch auf die Vergangenheit Norbert Burgers ein, der für Strache eine Vaterfigur war. Burger war Mitbegründer der deutschnationalen Burschenschaft „Olympia“ und Gründungsmitglied des Rings Freiheitlicher Studenten (RFS), den Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) machte er zu einer Terrororganisation. 1963 trat er aus der FPÖ aus und 1967 gründete er die neonazistische Nationaldemokratische Partei (NDP), die 1988 auf Basis des Verbotsgesetzes aufgelöst wurde. In seinem Buch zitiert er Herbert Scheibner und Peter Westenthaler, die heute beide dem Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) angehören. Peter Westenthaler bestätigte, dass Strache damals in Wort, Tat und Optik zur extrem rechten Szene gehörte. Bis 1994 hatte ihm Westenthaler als damaliger Wiener RFJ-Chef verboten den Keller des Rings Freiheitlicher Jugend (RFJ) zu betreten. Und das obwohl Strache seit 1989 FPÖ-Mitglied und seit 1991 Bezirksrat der FPÖ-Landstraße war. Scharsach hält fest, dass sich Strache von Anfang darum bemüht hatte seine Vergangenheit zu vertuschen. Der Fokus von Scharsachs Buch liegt jedoch nicht auf der Vergangenheit des FPÖ-Vorsitzenden. Vielmehr  setzt sich Scharsach mit der Zusammenarbeit zwischen FunktionärInnen der FPÖ und deutschnationalen Burschenschaften sowie rechtsextremen und neonazistischen Organisationen auseinander.

Die Ideologie der FPÖ erläutert er in den Kapiteln „Wende rückwärts: Das Weltbild und Frauenbild in der neuen FPÖ“, „Burschenschaften: Antisemitisch und antidemokratisch“, „Bekenntnisse und braune Traditionen“ und „Braune Traditionen gegen antifaschistische Verfassung“. Die Geschichte und Ideologie der deutschnationalen Burschenschaft Olympia behandelt Scharsach in einem eigenen Kapitel. In diesem thematisiert er u.a. die von der Olympia veranstalteten Gastverträge des Holocaust-Leugners David Irving, den Besuch des Neonazi-Sängers Frank Reinnicke sowie die Mitgliedschaft des dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf. Scharsach präsentiert in seinem Buch auch bislang Unbekanntes, wie die 2003 erfolgte Wahl Grafs zum Vorsitzenden des österreichischen Witiko-Bundes sowie in den Vorstand des pangermanischen Witko-Bundes. Nach Scharsach ist dieser die radikalste Gruppierung der „Vertriebenen“, die nach zwölf Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung die „Einheit Deutschlands“ – und somit unter anderem auch Österreichs propagierte. Zudem weist Scharsach auch auf den Antisemitismus und den rechten Geschichtsrevisionismus, des von der Organisation herausgegebenen Witiko-Briefs hin. Auch die Kooperationen von Mitgliedern des Ring freiheitlicher Jugend (RFJ) mit Neonazi-Organisationen werden von Scharsach in dem Kapitel „Der Ring freiheitliche Jugend. Rechte Speerspitze der Partei“ anhand von Quellen beschrieben. Er zieht das Resümee, dass es sich beim RFJ weniger um eine Nachwuchsorganisation einer demokratischen Partei handelt, die gelegentlich an den Neonazismus anstreift, als vielmehr um eine in weiten Teilen neonazistische Gruppierung, die sich des Schutzes der FPÖ bedient, um das Risiko juristischer Verfolgung zu minimieren. In diesem Kontext weist er auf den demonstrativen Austritt von 600 RFJ-Mitgliedern  hin, die damit ihren Missmut über den Ausschluss von fünf RFJ-Mitgliedern wegen neonazistischer Tätigkeiten durch den Tiroler FPÖ-Landesparteimann Gerald Hauser, ausdrückten. Auch der Einsatz von Neonazis bei Straches Wahlkämpfen werden von Scharsach in dem Kapitel „Wahlkämpfer Strache: Braune Helfer, braune Fans“ thematisiert.

Das Kapitel „Braune Bekenntnisse: ‚Sieg Heil‘ und ‚Heil Hitler‘“ setzt sich anhand von einzelnen Personen wie bspw. Clemens Otten und Wolfgang Haberler mit den Kooperationen zwischen FPÖ-Politikern und Neonazis auseinander. Am Ende dieses Kapitels erwähnt er auch jene FPÖ-Politiker, die aus Protest gegen die rechtsextremen Tendenzen innerhalb der Partei aus dieser ausgetreten sind. Unter anderem erwähnt er den Fürstenfelder Bezirksobmann Karl Pledl, der die FPÖ deshalb verlassen hatte, weil der mittlerweile wegen NS-Wiederbetätigung verurteilte oststeirische Rechtsextreme Frau Radl, bei einer Ortsgruppensitzung nicht nur anwesend war, sondern auch mit einem Hitlergruß empfangen wurde. In dem Kapitel „Signale an den rechten Rand: Der Vergangenheit verbunden“ thematisiert Scharsach u.a. die von der FPÖ konstruierten Feindbilder, deren Strategien hinsichtlich der „Täter-Opfer-Umkehr“ in Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit sowie den Antisemitismus und Rassismus innerhalb der Partei. Eines der informativsten und interessantesten Kapitel des Buches stellt „Internet. Das braune Netzwerk“ dar. Scharsach betont, dass das Internet einen Einblick in die Persönlichkeitsprofile der Freiheitlichen gibt und ihre Freunde, Interessensgebiete sowie die Organisationen, mit denen diese vernetzt sind, offenbart. Dabei weist Scharsach auf das „basisdemokratische Web-Kollektiv bawekoll“ und die Plattform „rfjwatch“ hin, die den Freundeskreis der FPÖ dokumentieren. Die von dem Grünen Abgeordneten Karl Öllinger betriebene Plattform „Stoppt die Rechten“ sowie das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) fassen die wichtigsten Ereignisse zusammen. Hans-Henning Scharsach hat in seinem Buch die politisch brisantesten Vernetzungen und Freundschaften von FPÖ-Politikern zu Rechtsextremen sowie antisemitische, rassistische und neonazistische Äußerungen auf den Facebook-Profilen der Politiker festgehalten. In seinem abschließenden Resümee hält Scharsach seine wichtigsten Erkenntnisse fest.

Fazit: Hans-Henning Scharsach vermittelt den LeserInnen einen umfassenden Überblick in die rechten Netzwerke der einzelnen FPÖ-Politiker. In einer sprachlich leicht verständlichen Sprache eignet sich das Buch auch für SchülerInnen und Menschen ohne akademischen Hintergrund. Scharsach schafft es in seinem politischen Sachbuch - trotz enormer Informationsdichte und ausgiebiger Erläuterungen – die LeserInnen bis zum Schluss zu fesseln. Am Ende seines Buchs hält er folgendes fest: „Jede Stimme für die FPÖ zementiert die Macht von Burschenschaften wie der Olympia, die Träger, Verteidiger und Verbreiter neonazistischer Traditionen sind.“ Die Lektüre von Hans-Henning Scharsachs Buch „Strache. Im braunen Sumpf“ wird daher allen politisch interessierten Menschen im Wahljahr 2013 dringend empfohlen.

 

Hans-Henning Scharsach: Strache im braunen Sumpf, Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2012, 336 Seiten. Preis: 24 Euro.

Hörbuch: Hans-Henning Scharsach/Sprecher: Alfons Haider: Strache im braunen Sumpf, Mono-Verlag, Wien 2013. Preis: 19,95 Euro.

Links:

RFJ Watch: http://rfjwatch.wordpress.com/

Basisdemokratische Web-Kollektiv „bawekoll“:  http://bawekoll.wordpress.com/

DÖW „Neues von ganz rechts“: http://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz-rechts

Stoppt die Rechten: http://www.stopptdierechten.at/

Hintergrundgespräch: Wer sind die Identitären?

  • 10.02.2013, 18:40

Progress hat mit dem Rechtsextremismusexperten Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) über die politische Ideologie und die Hintergründe der Identitären gesprochen.

Progress hat mit dem Rechtsextremismusexperten Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) über die politische Ideologie und die Hintergründe der Identitären gesprochen.

 

Ausschnitt aus dem Interview:

progress: Welche Ideologie vertreten die Identitären?

Wir müssen zwei Gruppen – bei aller personellen Überschneidung – unterscheiden: auf der einen Seite die eher inhaltlich arbeitende WIR - Wiener Identitäre Richtung und der aktionistische Flügel „Die Identitären“ . Inhaltlich behaupten beide in der Tradition der „neuen Rechten“ zu stehen. Das ist eine Strömung des Rechtsextremismus, die in Frankreich in den späten 1960er Jahren ihren Ausgang nahm. Der Auslöser für das Entstehen der neuen Rechten im Rechtsextremismus war das Scheitern der parteiförmigen Rechten in Frankreich und dann auch in Deutschland in Form der NPD. Aus diesem Scheitern entstand der Ansatz heraus, weg von der Parteienpolitik hin zur Metapolitik. Inhaltlich unterscheidet sich die neue Rechte von der alten. Sie weigert sich mit dem Nationalsozialismus und vor allem seinen Verbrechen auseinanderzusetzen. Statt des Nationalsozialismus waren vielmehr die anderen europäischen Faschismen der Bezugspunkt. Dahinter stand der Glaube, dass diese nicht derart wie die NS-Ideologie diskreditiert wären. Auch die Konservative Revolution ist ein Schlagwort der neuen Rechten

[…]

Das Gewaltmoment der Identitären wird jedoch immer wieder übersehen. Denn wer von einer Kriegserklärung spricht, der droht mit Gewalt. Diese Gewaltdrohung wurde auch von einem Identitären in der rechtsextremen Publikation „Zuerst!“formuliert. […] Zitat: „Als Symbol haben sie sich das Lambda-Zeichen gewählt, das in der Antike die Schilde der spartanischen Hopliten (Bürgersoldaten) zierte. Ein weiterer Hinweis auf eine kämpferische Grundhaltung.“ Also diese kämpferische Grundhaltung nehmen sie für sich in Anspruch. Und wenn man jetzt weiß, wie die Spartaner gekämpft haben, so ist dies nicht zufällig. Sie nehmen die Spartaner, da das mit der Männlichkeit zu tun hat – Stichwort: Männerfantasien –, da deren Kampf ein aussichtsloser war. Und wenn ein Mensch in einer aussichtslosen Lage ist, so ist er zu übermenschlichen Taten und extremer Gewalttätigkeit bereit. Das hat auch apokalyptische Züge. […] Und das muss man kritisieren: Denn wer nach Anders Behring Breivik [Anm.: dem Attentäter von Oslo 2011] noch davon spricht, dass Europa untergeht, dass man die letzte Generation sei, die die Chance habe, das noch aufzuhalten und dazu noch die kämpferische Grundhaltung betont, der ist zumindest unverantwortlich! […]

Link:

Dokumentationsarchav des österreichischen Widerstandes

Eindrücke des Tages: UnterstützerInnen der Flüchtlinge, die seit Wochen in der Votivkirche protestieren, eilen herbei. Laut eigenen Angaben reichen die Flüchtlinge den rechten Aktivisten die Hand und bieten ihnen unter anderem Tee an.

(Fotos: C. Glanzl)

Iberien igelt sich ein

  • 02.01.2013, 17:27

Im von Massenarbeitslosigkeit geplagten Spanien verfestigt sich die Meinung, dass Migration ein verzichtbares Übel sei, warnt die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Im von Massenarbeitslosigkeit geplagten Spanien verfestigt sich die Meinung, dass Migration ein verzichtbares Übel sei, warnt die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Die nicht enden wollende Wirtschaftskrise lässt die Ablehnung von MigrantInnen in Spanien deutlich steigen. Immer mehr SpanierInnen sind der Meinung, sie sollten das Land verlassen. „Das Klima gegenüber jenem Bevölkerungsteil hat sich besorgniserregend verschlechtert“, zu diesem Schluss kommt auch die Internationale Organisation für Migration (IOM) in ihrem jüngsten Länderbericht „Die Auswirkung der Krise auf Immigranten in Spanien“. 37 Prozent lehnen mittlerweile Einwanderung generell ab. Demgegenüber stehen 33 Prozent der SpanierInnen, die sich tolerant zeigen. Ein Drittel der Befragten gab sich gleichgültig in dieser Thematik, wenngleich die IOM diesen Bevölkerungsteil als „eher ablehnend“ einstuft. Vier von fünf SpanierInnen sind zudem überzeugt, dass Migration zu Lohndumping führt. Die Mehrheit der MigrantInnen verdient in Spanien weniger als den Mindestlohn. Wie der IOM-Bericht überdies darlegt, steigen Arbeitslosigkeit und extreme Armut unter EinwandererInnen (10,8 Prozent) weit rascher als unter SpanierInnen (6,7 Prozent).

Gefährliches Klima. „Der Nährboden istgesättigt. Wenn wir nicht gegensteuern, wird dies zu einer Situation der Fragmentierung der Gesellschaft und der Exklusion der Immigranten führen“, warnt Walter Actis, Co-Studienautor. Zwischen 1996 und 2010 stieg, angetrieben vom Bauboom und einer blühenden Tourismuswirtschaft, die Zahl der gemeldeten MigrantInnen in Spanien von knapp 500.000 auf mehr als 5,5 Millionen – inklusive der EU-BürgerInnen und Eingebürgerten. „Die Krise hat zwar den Migrationsdruck gebremst. Die Bedingungen, unter denen MigrantInnen leben, sind aber besorgniserregend“, so Actis.

2007 waren lediglich zwölf Prozent der SpanierInnen der Meinung, Menschen mit irregulärem Aufenthaltsstatus sollten abgeschoben werden. Mit 2010 stieg der Wert bereits auf ein Fünftel. 43 Prozent fordern die Ausweisung von ImmigrantInnen, die lange Zeit ohne Erwerb verbleiben. Die Arbeitslosigkeit unter MigrantInnen war zwischen 2008 und 2011 doppelt so hoch wie jene unter SpanierInnen, die zuletzt 25 Prozent überschritten hat. Sowohl die amtierende Rechtsregierung unter Premier Mariano Rajoy als auch dessen sozialistischer Vorgänger, José Luis Rodríguez Zapatero, haben MigrantInnen über weiterlaufende Arbeitslosenbezüge zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer bewegt. Zugleich forcierte Spanien Abschiebungen. 2011 waren mehr als 13.000 MigrantInnen in den Auffanglagern C.I.E (in den Nordafrika-Exklaven CETI genannt) interniert. 60 Tage dürfen sie bleiben, und offiziellen Zahlen zu Folge wurden 48 Prozent in ihre Ursprungsländer abgeschoben. Laut Zahlen von NGOs hingegen waren es mehr als 11.000 Menschen, die im Vorjahr in ihre Heimatstaaten zurückgeschickt wurden. Mit Ende 2012 soll die 24.000-Personen-Schwelle überschritten werden.

Vor 20 Jahren, am 13. November 1992 erschütterte der rassistische Mord an der aus der Dominikanischen Republik stammenden Lucrecia Pérez das Land. Es war der erste dieser Art im demokratischen Spanien nach der Franco-Diktatur, die 1977 ihr Ende gefunden hatte. Eine Gruppe junger Neo-Faschisten hatte Pérez mit der Dienstwaffe eines Zivilgardebeamten, der an der Bluttat beteiligt war, erschossen. „Damals erkannte man ebenso wenig wie heute, dass es eine gefährliche Strömung gewaltbereiter Rassisten in Spanien gibt“, sagt Macel Camacho, Sprecher der Plattform gegen Xenophobie und Rassismus: „Es gilt, die Erinnerung an Lucrecia wachzuhalten, um einem aktuellen Widererstarken dieses Übels entgegenzuwirken.“

In den letzten zwei Dekaden hat Zuwanderung nach Spanien ein spektakuläres Wachstum erfahren, sagt Tomás Calvo Buezas, emeritierter Universitätsprofessor für Sozialanthropologie an der Madrider Universidad Complutense und Gründer des  Studienzentrums für Migration und Rassismus an der hiesigen politikwissenschaftlichen Fakultät. Dem Anstieg von einem auf zwölf Prozentpunkte gemessen an der spanischen Gesamtbevölkerung, exklusive der „Sin Papeles“ ohne legalen Aufenthaltsstatus, steht ein knapp fünfprozentiger Zuwachs an rassistischen Gewalttaten gegenüber. Bislang funktionierten, so Calvo Buezas, die Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung, die nun jedoch deutliche Bugdetkürzungen erfahren haben. Doch damit nicht genug, wie Calvo Buezas betont: „Die Krise schafft rascher ein immer gefährlicheres Klima. Denn die Neonazi-Fraktionen oder NeofaschistInnen, wie die Goldene Morgenröte in Griechenland, nähren sich an der Mittel- und Unterschicht, indem sie diesen einen Konkurrenzkampf um Jobs und Gehälter mit MigrantInnen vorgaukeln.“

Online-Bastionen. Auch im Internet wachsen spanische Neonazi-Communities. Gab es 1992 lediglich 200 einschlägige Websites, gibt es aktuell mehr als 2000. Gleichzeitig steigt die Zahl an Lokalen, Bars und Konzerten von Neonazi-Bands landesweit. „Die Krise ist der ideale Nährboden, auf dem Neonazi- Bewegungen wachsen und gedeihen“, warnt der Sozialanthropologe weiter. Nicht minder steigt die Zahl der rechtsextremen Parteien in Spanien abseits der üblichen, wie der einstigen Einheitspartei Francisco Francos, der Falange de las J.O.N.S., und ihrer unzähligen ideologischen Klone. In den vergangenen Jahren schafften deklariert xenophobe neue Fraktionen wie España 2000 in Alcalá de Henares – einer der Wiegen der spanischen Sprache – und anderen Orten der Region Valencia, Plataforma per Catalunya im katalanischen Vic oder Democracia Nacional auch den Einzug in Stadt- und Gemeinderäte, nicht jedoch in Regionalregierungen.

In den Einsparungen im Sozialwesen, dem Aus der Gesundheitsversorgung (progress berichtete) für Menschen ohne legalen  Aufenthaltsstatus, dem von Amnesty International mehrmals angeprangerten Kontrollwahn der spanischen Polizei gegenüber MigrantInnen und Massenabschiebungen sieht Calvo  Buezas „institutionellen Rassismus“.

Übergriffe auf Chinesinnen. Der steigende Rassismus gilt längst nicht mehr ausschließlich LateinamerikanerInnen, MaghrebbürgerInnen oder Menschen aus dem Subsahara-Afrika. Seit der Polizeiaktion Operación Emperador gegen die chinesischeMafia Mitte Oktober, die in Spanien bis zu 1,2 Milliarden Euro jährlich „gewaschen“ habe, sehen sich nun auch chinesische StaatsbürgerInnen in Spanien Übergriffen ausgesetzt. Anfang November streikte das Gros der von chinesischen ImmigrantInnen betriebenen Geschäfte. „SchülerInnen werden von KollegInnen und Eltern als Mafiosi beschimpft. GeschäftsinhaberInnen ergeht es gleich. ChinesInnen wurden sogar in der Metro Madrids verfolgt“, beklagt Jorge García, Sprecher der Spanisch-Chinesischen Handelskammer. Ende November wurden einige der Hauptangeklagten bereits wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Ressentiments bleiben aber weiterhin bestehen.

Der Autor Jan Marot ist freier Journalist für Iberien und den Maghreb und lebt in Granada, Spanien.

Tag der Ehre

  • 06.12.2012, 10:24

In Ungarn wird am „Tag der Ehre“ und am Tag der „Schlacht um Budapest“ SS-Verbündeten gedacht. Ein Gastkommentar von Magdalena Marsovszky.

In Ungarn wird am „Tag der Ehre“ und am Tag der „Schlacht um Budapest“ SS-Verbündeten gedacht. Ein Gastkommentar von Magdalena Marsovszky.

Nächsten Februar ist es wieder so weit: Neben Dresden richtet man die Aufmerksamkeit auf Budapest, denn die ungarische Hauptstadt ist in den letzten Jahren zum Schauplatz des zweitgrößten Nazi- Aufmarsches in Europa geworden. Bis 2010 fanden die Kundgebungen inmitten der Hauptstadt auf dem imposanten Heldenplatz statt. Seither sind sie in die umliegenden Wälder verlagert worden. Doch die Hauptstadt ist deshalb am 11. Februar keineswegs verwaist: Der „Gedenktag“, der seit 2005 auch auf dem Burgberg stattfindet und von der Kommunalverwaltung, der Regierungspartei Fidesz und vom Militärhistorischen Museum ausgerichtet wird, zieht weiterhin alte und neue Nazis aus ganz Europa an. Ihre Zahl ist vorerst gering, steigt aber stetig. Heuer waren etwa dreihundert dabei.

Anlass des „Gedenkens“ rund um den 11. Februar ist der Ausbruch mehrerer zehntausend deutscher und ungarischer Soldaten aus dem von der Roten Armee eingekesselten Stadtteil auf dem Burgberg in Buda im Jahre 1945, bei dem mehr als 39.000 Menschen ums Leben kamen. Der erste Gedenkmarsch fand 1997 mit etwa 150 TeilnehmerInnen in der Burg statt, die erste Gedenkveranstaltung unter dem Titel „Tag der Ehre“, organisiert von B&H Hungaria am 9. Februar 2003, bereits am imposanten Heldenplatz. Die B&H Hungaria, 1998 mit etwa 500 bis 600 Mitgliedern ins Leben gerufen, war damals eine der aktivsten Neonazi-Organisationen Ungarns. Dennoch wurde sie 2002 als gemeinnütziger kultureller Verein anerkannt, weil in ihrer Satzung als Ziel „die Erschaffung einer organisch gewachsenen und auf starkem nationalem Bewusstsein und sozialer Gerechtigkeit basierende Gesellschaft“ sowie die Unterstützung von „benachteiligten Rockmusikern“ stand. Man darf nicht vergessen, dass zwar im Mai 2002 die völkische Koalition, angeführt von Fidesz (1998–2002), von einer sozialliberalen Koalition abgelöst wurde, aber vorausgegangen waren vier Jahre intensive völkischkulturpolitische Mobilisierung.

Waren 2004 etwa 500 TeilnehmerInnen an der Neonazi-Veranstaltung beteiligt, erreichte ihre Zahl bis 2009, dem Jahr, in dem sie verboten wurde, die 2000. Im Jahr nach ihrem Verbot, 2010, gelang es den Neonazis, die Behörden auszutricksen. Wegen der Parlamentswahlen in Ungarn im April war es bereits Mitte Februar möglich, Veranstaltungen, die als Teil der Wahlkampagne deklariert wurden, legal durchzuführen. So gründeten sie in Eile eine neue Partei mit dem Namen Nationale Revolutionäre Front (MNF), die dann etwas verspätet, am 13. März als Wahlkampagne getarnt, in die Burg marschierte und vor einer Gedenktafel am Fuße des Magdalenenturmes am Kapisztrán Platz im ersten Stadtbezirk Budapests Kränze niederlegte. Dies ist die Gedenktafel, die am 12. Februar 2005 vom Bürgermeisteramt des ersten Bezirks von Budapest und vom Militärhistorischen Museum „zum sechzig jährigen Gedenken den ehrenhaften Soldaten gewidmet“ wurde, „die in der Schlacht um Budapest heldenhaft starben“. Seit jener Zeit begeht also auch die größte Partei Ungarns den Gedenktag, allerdings unter dem Namen „Schlacht um Budapest“. War also 1997 lediglich eine kleine Neonazi-Gruppe an dem Gedenktag interessiert, hat er mit der Zeit nicht nur Eingang in die Erinnerungspolitik in der Mitte der Gesellschaft gefunden, sondern ist seit 2010 kulturpolitisch für das gesamte Ungarn maßgeblich, weil Fidesz – zusammen mit der KDNP (Christlich Demokratische Volkspartei) – seit den letzten Parlamentswahlen im Mai 2010 die Regierung des Landes bildet.

Die Gedenkfeier, organisiert vom Militärhistorischen Museum mit dessen Direktor, Generalleutnant a. D. József Holló, und dem Bürgermeisteramt des ersten Bezirks mit Bürgermeister Tamás Gábor Nagy, verläuft auch hier jedes Jahr gleich: Zunächst halten an der Gedenktafel zwei als Soldaten gekleidete Männer Ehrenwache in Uniformen aus dem Zweiten Weltkrieg – Leihgaben aus dem Militärmuseum. Im Tarnanzug schildert Holló in seiner Ansprache die Ereignisse und die damit verbundenen menschlichen Leiden auf der Seite des Militärs und unter den ZivilistInnen. Er zitiert immer wieder ein Gedicht des vor einigen Jahren verstorbenen ungarischen Dichters und Sängers Tamás Cseh, das heutzutage als wahre Hymne im Zusammenhang mit dem Gedenktag in Umlauf ist: „Eines Nachts haben die Deutschen Buda nicht mehr länger verteidigt“, heißt es darin, „weil draußen, am Széna Platz die Russen warteten /.../ und das Feuer eröffneten. /.../ hier lagen viele Zehntausende /.../“.

Bürgermeister Nagy spricht zwar über das Verhältnis von individueller und kollektiver Verantwortung, doch an eine reflexive gesellschaftliche Verantwortung, die auch den Holocaust miteinbezieht, denkt er nicht. Niemand weist darauf hin, dass etwa ein halbes Jahr vor der „Schlacht um Budapest“, im Sommer 1944, durch die bereitwillige Mithilfe Einheimischer binnen acht Wochen beinahe eine halbe Million ungarischer Juden und Jüdinnen deportiert wurde. Nach ihrer Machtübernahme im Oktober 1944 haben die Pfeilkreuzler sogar noch um die Jahreswende 1944/1945, also nur wenige Wochen vor dem Ausbruchsversuch, Tausende ungarische Juden und Jüdinnen am Ufer der Donau erschossen. Der Bürgermeister und der Generalleutnant a.D., vor deren Amtssitzen die „feierlichen Kranzniederlegungen“ jährlich stattfinden, erinnern in ihren Reden an den „Ausbruchsversuch der deutsch-ungarischen Garnison aus dem Budapester Kessel“, ohne dabei auch nur mit einem Wort zu erwähnen, dass damit verharmlosend Einheiten der Waffen-SS und deren ungarische Verbündete gemeint sind.

Im Gegenteil. „Ehrerbietung gehört demjenigen, der heilig ist“, sagte Nagy in seiner von den Medien als besonders bewegend erlebten Rede 2009: „… So auch den Soldaten, die im eisigen Februar, inmitten des Budapester Kessels trotz einer vielfachen Überlegenheit des Gegners und völliger Entkräftung, in völliger Aussichtslosigkeit und Hoffnungslosigkeit /…/ dem Tod ins Auge blickten und bereit waren, ihr Leben für andere zu opfern.“ Er charakterisierte die Soldaten, entweder Mitglieder oder Verbündete der Waffen-SS, als, „heilig“ und ihr Verhalten als „beispielhaft“. Die Trauer und den Schmerz sowie die Katharsis der Erinnerung leitet er nicht etwa von der Seite der Opfer, aus dem Holocaust ab, sondern von der Seite der TäterInnen, von der Seite derer, die zumindest als Verbündete am Holocaust beteiligt waren. Dass diese Denkweise, die in der Antisemitismusforschung als „Täter-Opfer-Umkehr“ bekannt ist, erneut zum Antisemitismus führt, beweisen die Schlussworte des Bürgermeisters. Am Ende seiner Rede bietet er auch eine vermeintliche Lösung an, nämlich die Besinnung auf die Nation mit Hilfe des kulturellen Erbes.

Regelmäßiger Gastredner ist der Veteran Zsolt Lányi, Leiter des parlamentarischen Verteidigungsausschusses a. D., Präsident des Kameradschaftsvereins des 1. und 2. Königlichen Ungarischen Universitäts-Sturmbataillons. Er bittet darum, der noch lebenden Veteranen der ehemaligen Kampfverbände zu gedenken und wehrt sich entschieden gegen Vorwürfe, dass sie alle Faschisten gewesen seien. „Es ist furchtbar, wenn jemand, der als Held gefallen ist, im Nachhinein als Faschist diffamiert wird“, sagte er 2010. Veteran Ervin Galántay, der als Fahnenträger in Militäruniform der „Gedenkfeier“ beiwohnt und als 14-jähriger Kadett der ungarischen Armee selbst an den Kampfhandlungen teilgenommen hatte, sagte 2010 in einem Interview mit der Budapester Zeitung, für ihn sei die Verteidigung Budapests ein „moralischer Imperativ“ gewesen. „Der Name unserer Armee ist Honvéd“, sagte er, „was auf Deutsch so viel heißt wie Heimatwehr. Damals verteidigten wir unsere Heimat gegen zwei Aggressoren: Die Rote Armee und unseren Erzfeind Rumänien.“

Diese Denkweise, die ebenso wie die Anschauungen, die bei der Gedenkfeier von B&H Hungaria vertreten werden, auf der Täter-Opfer-Umkehr beruht, führt dazu, dass den „Bürgerlichen“ nicht selten „die Falschen“ zujubeln. So befinden sich unter den BesucherInnen der Gedenkfeier in der Burg immer wieder Männer in Thor-Steinar-Kleidung. Der Hass in Ungarn ist in den letzten zwanzig Jahren seit der Wende permanent gewachsen. Hätte man dem Land bis vor einigen Jahren kultur- und erinnerungspolitisch noch unter die Arme greifen und die Kultur- und Erinnerungspolitik demokratisieren können, so wird heute der „Opfermythos“ zur staatlichen Kulturpolitik erhoben und die Eskalation der Gewalt forciert. Magdalena

Marsovszky ist Kulturwissenschaftlerin, Lehrbeauftragte an der Hochschule Fulda und Vorstandsmitglied im Villigster Forschungsforum zu Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus e.v., sowie Vorstandsmitglied der in Ungarn tätigen Bürgerrechtsbewegung für die Republik.

Auf der Uni verprügelt

  • 05.11.2012, 20:38

Österreichs Hochschulen pflegen das Image, Orte kritischer Reflexion und Toleranz zu sein. Im 20. Jahrhundert allerdings waren sie jahrzehntelang Hochburgen des Antisemitismus und der Deutschtümelei. Ein Blick auf eine verdrängte Geschichte, die nach 1945 keineswegs zu Ende war.

Österreichs Hochschulen pflegen das Image, Orte kritischer Reflexion und Toleranz zu sein. Im 20. Jahrhundert allerdings waren sie jahrzehntelang Hochburgen des Antisemitismus und der Deutschtümelei. Ein Blick auf eine verdrängte Geschichte, die nach 1945 keineswegs zu Ende war.

„Ich weiß nicht, ob ich da die richtige Ansprechpartnerin bin. Denn es war ja so, dass ich mich nur in der Jüdischen Hochschülerschaft bewegt habe. In den anderen Studierenden habe ich ja mutmaßliche Nazis oder Mitläufer gesehen“, erklärt Lucia Heilman (83) am Telefon. Zwei Stunden später öffnet sie trotzdem die Tür zu ihrer Wohnung. Sie ist eine lebhafte und aufgeschlossene Frau mit warmen Augen und einem lebenslustigen Lachen und auf dem Coverfoto dieser progress-Ausgabe zu sehen. Ihr sommersprossiges Gesicht spiegelt ihre Emotionen wider. Die Kindheit und Jugend der pensionierten Ärztin war vom Terror der Nazis gekennzeichnet. Nach der Volksschule durfte sie als Tochter einer Jüdin nicht mehr zur Schule gehen, die Wohnung ihrer Eltern wurde „arisiert“. Ihr Vater befand sich während dieser Zeit aus beruflichen Gründen in Persien und bemühte sich vergeblich, seine Frau Regina und Tochter Lucia nachzuholen. Als Lucia mit ihrer Mutter aus Wien deportiert werden sollte, hat Reinhold Duschka, ein Bergsteigerfreund des Vaters, den beiden das Leben gerettet. Er versteckte Lucia und ihre Mutter von 1939 bis zum Bombardement 1944 in seiner Werkstätte für Kunstgewerbe in Wien-Mariahilf. Nach dem Bombardement brachte er die beiden in einem kleinen Sommerhaus in Wien-Hütteldorf unter. Heilman erinnert sich daran, dass Duschka ihr Lehrbücher mitbrachte und wie wissbegierig sie war. Nach der Befreiung Österreichs holte sie die Matura nach und begann 1948 an der Universität Wien Medizin zu studieren. Dort bemerkte sie auch die antisemitische Kontinuität: „Ich erinnere mich an die Anatomievorlesungen während der Jahre 1948 bis 1950. Der damalige Professor unterrichtete die Inhalte der nationalsozialistischen ‚Rassenkunde‘ ohne diese als solche zu bezeichnen“, erzählt Lucia Heilman entrüstet. „Niemand hat das in Frage gestellt. Und auch die Bücher waren aus der Nazizeit.“ Lucia und ihre jüdischen StudienkollegInnen haben sich darüber geärgert; sie waren wütend. Auch die medizinischen Lehrbücher, wie beispielsweise der Pernkopf-Atlas, stammten noch aus der Nazizeit. Am meisten verärgert Lucia Heilman aber bis heute die Scheinheiligkeit der Bevölkerung: „Denn nach 1945 ist ja niemand mehr ein Nazi gewesen“, sagt sie stirnrunzelnd.

Gewalt an Universitäten. Linda Erker vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien erzählt, dass in den universitären Quellen der Nachkriegszeit die Zeit des Nationalsozialismus nur als „dunkle Zeit, die über uns hereingebrochen ist“ beschrieben wird. Schuldeingeständnisse seitens der Universität und Politik gab es damals keine. Dabei hatten die Deutschtümelei und der Antisemitismus an den Universitäten eine lange und überaus gewalttätige Vorgeschichte. Linda Erker und ihr Kollege Herbert Posch kramen Fotos aus den Jahren 1931 und 1933 hervor. Eines davon zeigt deutschnationale Studenten vor dem Haupteingang der Universität Wien, die die rechte Hand zum Hitlergruß heben. Dazwischen hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Juden raus“. Auf einem anderen Bild fliehen StudentInnen über Leitern aus dem ersten Stock des Anatomischen Instituts der Universität Wien. In ihren Gesichtern sind Angst und Panik zu erkennen. Posch erläutert den Kontext: „Hier müssen Studierende die Hörsäle über Leitern verlassen, weil die deutschnationalen Studierenden vor dem Ausgang rechts und links sogenannte ‚Salzergassen‘ gebildet haben. Sie haben auf die jüdischen Studierenden gewartet, um sie mit Prügelstöcken zu verdreschen.“ Der Anteil der jüdischen Studierenden lag zu dieser Zeit österreichweit bei etwa 13 Prozent. 75 Prozent davon studierten an der Universität Wien, nur zwei Prozent an der Universität Graz und nur ein Prozent an der Universität Innsbruck. Der Antisemitismus an den Universitäten Graz und Innsbruck war jedoch genauso stark wie an der Universität Wien und der Technischen Hochschule, der heutigen TU Wien. „Während der Studienzeit der 1920er- und 1930er- Jahre herrschte eine Gewalt an den Universitäten, die wir uns heute gar nicht vorstellen können“, erzählen Posch und Erker. „Schädelbasisbrüche, Knochenbrüche und existenzielle Gewalt gegenüber jüdischen und linken Studierenden standen damals an der Tagesordnung. Diese Gewalt hat sich auch im öffentlichen Raum an der Universitätsrampe zugetragen. Die Polizei hat zugeschaut und sich auf das Hausrecht des Rektors berufen. Die Universität Wien musste während dieser Zeit aufgrund der gewalttätigen Ausschreitungen sogar mehrmals im Jahr geschlossen werden.“ Manche jüdische Studierende, wie der spätere israelische Diplomat und Schriftsteller Benno Weiser Varon, erwarben in der zionistischen Selbstverteidigungsgruppe Haganah Selbstverteidigungskenntnisse, die sich an der Universität als überlebenswichtig erwiesen.

TechnikerInnen. Die Leiterin des Universitätsarchivs an der TU Wien, Juliane Mikoletzky, erzählt, dass auch an der Technischen Hochschule bis zur Zeit des Austrofaschismus wöchentlich Prügelorgien stattfanden. „Die Techniker hatten eine gewisse Affinität zu dem von den Nazis propagierten Fortschritt. Sie hofften, durch die Nazis viele technische Arbeitsplätze zu bekommen.“ An der Technischen Hochschule hatte es zunächst aber durchaus einen hohen Anteil an jüdischen Studierenden gegeben. Ihre Zahl sank jedoch im Sommersemester 1938 von 230 auf 16. Denn an allen Hochschulen und Universitäten wurden ab dem Sommersemester 1938 in der NS-Terminologie als „Volljuden“ bezeichnete Personen nicht mehr zum Studium zugelassen. Mikoletzky erwähnt, dass der Übergang von Austrofaschismus zum Nationalsozialismus an der Technischen Hochschule gesetzesmäßiger und „ziviler“ als an der Universität Wien vor sich ging. Sie vermutet, dass dieser schon länger vorbereitet worden war. Nach dem Novemberpogrom 1938 durften die sogenannten „VolljüdInnen“ die Universitäten nicht mehr betreten. Selbst der Besuch der Bibliothek wurde ihnen untersagt. Nur noch sogenannten „Mischlingen“ war bis in die 1940er- Jahre das Studium erlaubt. „Auch an der damaligen Hochschule für Bodenkultur (BOKU) hatte es nie über fünf Prozent jüdische HörerInnen gegeben. Dennoch war der Antisemitismus sehr stark und es gab auch gewalttätige Ausschreitungen“, berichtet Paulus Ebner, der im Archiv der TU arbeitet. In seiner Dissertation hat er sich mit der Hochschule für Bodenkultur als Ort der Politik von 1914 bis 1955 auseinandergesetzt. Eine Besonderheit stellte in diesem Kontext das Handeln Franz Sekeras dar, streicht er hervor. Dieser hatte sich eigenmächtig nach dem sogenannten „Anschluss“ zum „kommissarischen Leiter“ der Hochschule ernannt und verfügt, dass keine jüdischen HörerInnen mehr an der BOKU zugelassen wurden. Sekera galt als Hardliner und war bereits vor 1938 am Aufbau einer illegalen NSZelle an der Hochschule beteiligt. Nach 1945 wurde er zu zweieinhalb Jahren Kerker verurteilt und durfte nicht mehr an der BOKU unterrichten. „Die nationalsozialistischen Hardliner wurden sowohl auf der heutigen BOKU als auch der TU 1945 entlassen. Sie sind auch nicht mehr zurückgekehrt“, resümieren Ebner und Mikoletzky.

Robert Rosner. „Ich hatte in England neben der Arbeit eine Abendschulmatura absolviert und große Lücken im naturwissenschaftlichen Wissen. Aber mir haben meine Kollegen während des Chemiestudiums sehr geholfen“, erzählt Robert Rosner (88). „Bobby“ Rosner ist ein sehr aufgeschlossener Mensch, der gerne über seine Lebenserfahrungen berichtet. In seinem Arbeitszimmer befindet sich eine gut sortierte Heimbibliothek. In seiner Pension hat der Intellektuelle Politikwissenschaft studiert. Seither hat er mehrere Publikationen zur Wissenschaftsgeschichte veröffentlicht. In seiner Jugend musste Rosner mit seiner Familie vor den Nazis nach England fliehen. Dort kam er mit der EmigrantInnenorganisation Young Austria in Kontakt, die ihn stark geprägt hat. Als er mit seiner Frau nach dem Ende des Krieges nach Wien zurückkehrte, engagierte er sich in der Kommunistischen Partei und der Kommunistischen StudentInnenorganisation. 1968 trat er im Zuge des Prager Frühlings allerdings aus der KPÖ aus. Von 1947 bis 1955 studierte er Chemie an der Universität Wien. „Meine Studienkollegen wussten von meiner Lebensgeschichte als jüdischer Flüchtling und meiner politischen Einstellung. Dennoch hatte ich auch mit meinen linkskatholischen Studienkollegen ein gutes Verhältnis. Das lag daran, dass wir bei den stundenlangen Laborübungen enge Beziehungen aufgebaut haben“, resümiert er. „Ein bis zwei Studienkollegen waren gesinnungsmäßig braun geblieben. Aber sonst hatte ich das Gefühl, dass ich als gleichwertiger Studienkollege wahrgenommen wurde. Vielleicht lag das auch daran, dass ich mit den Jahrgängen 1928 und 1929 zu studieren begonnen hatte. Meine ältere Schwester hat als Lehrerin den Antisemitismus viel stärker gespürt als ich.“ Rosner erzählt, dass auch die Nazi-Professoren am Chemischen Institut 1945 entlassen wurden. „Im Keller des Chemischen Instituts hatte es bereits während der Nazizeit Widerstand gegeben. Unter anderem wurden auch jüdische Menschen versteckt. An der Physik hat es aber wesentlich schlechter ausgeschaut.“

Späte Auseinandersetzung. Im Zuge des NS-Verbotsgesetzes wurden die meisten nationalsozialistischen Professoren aus ihren Ämtern enthoben. Die Geschichte der vertriebenen Studierenden und Lehrenden wurde jedoch erst spät thematisiert. Denn nach 1945 wurde über Politik an den Universitäten nicht mehr gesprochen. Und mit der Lockerung der Gesetze kehrten nationalsozialistische Professoren im Laufe der 1950er-Jahre wieder an die Universitäten zurück. Herbert Posch war 1998 Teil des Projektes „Bildungsbiographien und Wissenstransfer, Studierende der Universität Wien vor und nach 1938“, das sich auf die Suche nach vertriebenen Studierenden und Lehrenden machte. Insgesamt 150 Personen haben sich bereit erklärt, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Unter anderem hat er auch in New York Interviews geführt. „Es wurde viel zu spät damit begonnen. Aber ich bin froh, dass wir damals dennoch angefangen und soviel Resonanz erhalten haben.“ 2009 wurde in Form eines Gedenkbuches der Universität Wien an die vorwiegend jüdischen Vertriebenen erinnert. Das Buch befindet sich im Denkmal Marpe Lanefesh am Universitätscampus Wien. Posch betreut die Online- Version des Gedenkbuchs, das laufend ergänzt wird. „Durch das Online-Gedenkbuch melden sich jene, die ihre Geschichte beisteuern wollen. Es sind Menschen wie du und ich, die von der Forschung unbeachtet geblieben sind. Und es sind nicht nur erfolgreiche Wissenschafter darunter. Auch diese Menschen dürfen nicht vergessen werden.“
 

Das Projekt der ÖH ,,Hochschulen in der NS-Zeit‘‘ startet in diesem Herbst. An mehreren Universitäten finden Lehrveranstaltungen zum Thema statt, Studierende werden wissenschaftliche Beiträge verfassen, die als Publikation veröffentlicht werden.

Mehr Infos: zeitgeschichte.oeh.ac.at

„Die Burschenschaften führen ein Rückzugsgefecht“

  • 29.09.2012, 00:56

Ist der Rechtsextremismus nichts anderes ist als Zuspitzung von konservativen Ansätzen aus der Mitte der Gesellschaft? Ein Gespräch mit dem Rechtsextremismus-Experten und Buchautor Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW).

Ist der Rechtsextremismus nichts anderes ist als Zuspitzung von konservativen Ansätzen aus der Mitte der Gesellschaft? Ein Gespräch mit dem Rechtsextremismus-Experten und Buchautor Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW).

progress: In Ihrem soeben erschienenen Buch „Der rechte Rand“ schreiben Sie, dass der Rechtsextremismus der gesellschaftlichen Mitte entspringt. Wäre ein gewöhnlicher Biertisch am Buchcover da nicht passender gewesen als ein Springerstiefel?

Heribert Schiedel: Ja, aber sowohl Titel als auch Buchcover habe ich dem Verlag überlassen. Der Verleger Heribert Steinbauer ist ein sehr engagierter Mensch. Er war ÖVP-Nationalratsabgeordneter und vertritt damit die politische und soziale Mitte, die Adressat und zugleich Gegenstand der Kritik in meinem Buch ist. Der Titel hat mir immerhin Gelegenheit geboten, gleich in der Einleitung dagegen zu polemisieren, den Rechtsextremismus als Randphänomen zu verstehen. Denn der Rechtsextremismus bezieht seine Ideen aus der Mitte der Gesellschaft, er ist in sehr vielem ein zugespitzter Konservativismus.

progress: Vielen bürgerlich-liberalen VertreterInnen der ÖVP graut es vermutlich, wenn man sie mit Rechtsextremismus konfrontiert. Dennoch hat die ÖVP im Jahr 2000 erstmals mit der FPÖ koaliert, die Sie als rechtsextrem beschreiben.

Schiedl: Ja, und deshalb ist im Buch auch immer wieder die Rede vom Tabubruch im Februar 2000. Trotzdem muss man sagen, dass die FPÖ damals schon noch eine andere war als die FPÖ heute. Ich habe die zweite Koalition zwischen der ÖVP und der FPÖ nach Knittelfeld im Jahr 2002 noch viel skandalöser gefunden als die erste. Denn da wusste die ÖVP genau, dass sie mit dem Rechtsextremismus koaliert. Die FPÖ rückt ja seit Jahren systematisch so weit nach rechts, dass sich fast automatisch ideologische, inhaltliche und personelle Berührungspunkte mit dem verfassungsfeindlichen neonazistischen Bereich ergeben. Viele Menschen – nicht nur in der ÖVP – möchten den Rechtsextremismus aber als Randphänomen sehen, weil das etwas Beruhigendes und Entlastendes für sie hat: Da ruft man dann nach Polizei und Sozialarbeit und macht aus einem gesellschaftlichen und politischen Problem eines, das mit Repression und Street Work zu lösen ist. Das ist es aber nicht.

progress: Lässt sich heute festmachen, was der FPÖ ihre Regierungsbeteiligung gebracht hat?

Schiedl: Die meisten Nachwirkungen gibt es an den Universitäten. Darauf hat sich die FPÖ konzentriert. Der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) und die Burschenschafter kämpfen vor allem gegen die so genannte Massenuniversität. Die Demokratisierung der Universität ist für sie gleichbedeutend mit ihrer „Vermassung“, und die lehnen sie vor allem in Bezug auf die Zusammensetzung der Universitäten ab – sowohl was die Geschlechter als auch die soziale Herkunft der Studierenden betrifft. Die Burschenschaften führen in Wirklichkeit seit über 100 Jahren ein Rückzugsgefecht. In ihren Männerbünden wird gelebt, was die Universität früher war: frei von Frauen und frei von Angehörigen unterer sozialer Schichten.

progress: Zumindest bei den ÖH-Wahlen verliert der RFS allerdings an Unterstützung bei den Studierenden.

Schiedl: Ja. RFS und die Rechten an den Universitäten bauen in dem Ausmaß ab, in dem die Universitäten in den 1970er-Jahren der Gesellschaft angepasst und demokratisiert wurden – Stichwort Universitätsordnungsgesetz 1975, freier Hochschulzugang und Ausweitung der Mitbestimmung. Rechtsextremismus ganz allgemein braucht ja bestimmte gesellschaftliche Voraussetzungen, um zu gedeihen: Da kommt ganz oben die Männlichkeit, eine bestimmte Art von Formiertheit, der Autoritarismus und ein Elitedenken. Deshalb sind die Rechten immer offen gegen die Massenuniversität aufgetreten, gegen den freien Hochschulzugang und für die Aufhebung der Mitbestimmung. Mit den Universitätsräten, die es seit dem Universitätsgesetz 2002 gibt, haben sie dann direkt ihre eigenen Leute an die Spitze gebracht. Wenn man Burschenschafter oder Freiheitliche heute fragt, was von ihrer Regierungsbeteiligung bleibt, nennen sie als Erstes immer diese „Reform“ der universitären Bildung.

progress: Worin sehen Sie die Unterschiede zwischen FPÖ und BZÖ?

Schiedl: Im Rassismus gibt es kaum welche. Bei der FPÖ ist der Rassismus allerdings aufgesetzt auf eine klare theoretische Fundierung, die beim BZÖ fehlt. Darum bezeichne ich das BZÖ als rechtspopulistisch und die FPÖ als rechtsextrem. Ein Unterschied zeigt sich in der Wirtschaftspolitik: Das BZÖ ist eher neoliberal, die FPÖ setzt mehr auf antikapitalistische Demagogie.

progress: Vor 15 Jahren haben 350.000 Menschen beim Lichtermeer gegen das FPÖ-Volksbegehren „Österreich zuerst“ demonstriert. Heute druckt die FPÖ ungestraft das Wort „Überfremdung“ auf Plakate und der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) bezeichnet Minarette offiziell als „artfremd“. Was hat sich da im öffentlichen Diskurs verschoben?

Schiedl: Ich bezeichne diese Verschiebung in meinem Buch als „Normalisierung“. Zunächst einmal im Sinne einer Gewöhnung, einer Abstumpfung der Öffentlichkeit. Die „Normalisierer“ schauen dagegen immer, was noch geht: Wenn sich Andreas Mölzer zum Beispiel mit Vertretern des belgischen Vlaams Belang (früher Vlaams Blok, Anm.) und der französischen Front National zusammentut, regen sich zwar ein paar Menschen auf, der große Rest aber schweigt. Dann wartet Mölzer eben ein halbes Jahr, trifft sich dann mit Neonazis usw. usf. Die Grenze wird permanent weiter nach rechts verschoben. Der Gebrauch des Wortes „Überfremdung“ ist ein gutes Beispiel für diese „Normalisierung“: 1991 begründete der Österreichische Verfassungsgerichtshof in einem Urteil die Nichtzulassung einer Neonazi-Partei zu den Nationalratswahlen damit, dass diese den Begriff „Überfremdung“ wiederholt verwendete und daher – wörtlich – „ihre verhetzerische Absicht und neonationalsozialistische Gesinnung belegt“ war. Heute prangt der Begriff auf Wahlplakaten im ganzen Land. Wenn mir 1991 jemand gesagt hätte, dass die FPÖ acht Jahre später mit „Stop der Überfremdung“ in den Wahlkampf ziehen und damit rund 27 Prozent der Wählerstimmen erreichen wird, ich hätte es einfach nicht geglaubt

Das Buch:

In „Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft“ beschreibt der Historiker Dr. Heribert Schiedel fundiert und beispielreich, was den Rechtsextremismus in Österreich ausmacht und was zum Erfolg der FPÖ geführt hat. Schiedel kennt die rechtsextreme und neonazistische Szene in Österreich und international und gewährt spannende Einblicke in ein Milieu, das alles andere als eine Randerscheinung ist.

Die kulinarische Kodifizierung des Terrors

  • 26.09.2012, 01:57

Die Behörden des deutschen Innenministeriums können sich erst nach einer Serie rechtsextremer Morde und Gewalttaten zum öffentlichen Eingeständnis durchringen, dass rechtsextremer Gewalt zu wenig Gefahrenpotential beigemessen wurde.

Die Behörden des deutschen Innenministeriums können sich erst nach einer Serie rechtsextremer Morde und Gewalttaten zum öffentlichen Eingeständnis durchringen, dass rechtsextremer Gewalt zu wenig Gefahrenpotential beigemessen wurde. Die Verstrickungen und personellen Überschneidungen von Verfassungsschutz, Polizei und Neonazis leisten dazu ihren Beitrag und behindern die Aufklärungsarbeit. So erweist sich der in die Jahre gekommene Gemeinplatz, dass auf die Behörden kein Verlass sei, wenn es um antifaschistische Arbeit geht, als krisensicher und brandaktuell. Und nicht nur das: Die Nazi-Connection beim Verfassungsschutz ist seit mindestens zehn Jahren bekannt, und wird noch immer nicht in Frage gestellt.

Strategien der Verharmlosung. Ob die Schuldeingeständnisse, Reuebekundungen und Entschädigungsankündigungen der Justiz und der Polizei mehr als bloße Lippenbekenntnisse sind, wird noch zu zeigen sein. Was jedoch von Anfang an, im schlechtesten Sinne und in besonderer Deutlichkeit, zu Tage trat, sind die Versuche, rechtsextreme Gewalt zu verharmlosen: Zwei spezifische Phänomene, die im Zusammenhang mit der Neonazi-Mordserie häufig zur Geltung kommen, verweisen auf weitaus allgemeinere gesellschaftliche Probleme als „bloß“ kriminalistische Mängel. Es ist die rassistische Rede von „Döner-Morden“, die den Opfern noch den letzten Rest an Würde und Betrauerbarkeit nimmt. Indem die Opfer dieser rassistisch motivierten Morde mit einem kulturalistisch kodifizierten Gegenstand (Döner) gewaltsam identifiziert werden, verlieren sie ihren Status als Menschen. Sie sind tot. Und Döner lassen sich nicht betrauern. In dieser leichtfertigen Rhetorik zeichnen sich bereits die Konturen einer Strategie ab, die sowohl von Rechtsextremen, als auch von denen, die vor deren Auftreten, deren Gewalt, die Augen verschließen und verstummen, angewandt wird.

Alibi. Doch das Entsetzen und die Erschrockenheit über die Details, die nach und nach ans Tageslicht geraten, sind oft vor allem eines: Ausdruck der deutschen Normalität und Zeichen der Verharmlosung der menschenverachtenden Ideologie von Neonazis, NationalistInnen und Rechtsextremer aller Couleur, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. In Österreich hingegen, wo sich die Elite der europäischen Rechten alljährlich in der Hofburg, wohl nicht nur zum Tanze, versammelt, gibt es, wie man meint, keine Probleme mit „diesen“ Rechtsextremen, sitzen sie doch domestiziert im Parlament und in anderen großen Häusern – gleich nebenan. Aber verstellt der Blick auf diese „RepräsentantInnen“ nicht gerade die Sicht auf die, die sie repräsentieren?

Faschistisch und revolutionär

  • 13.07.2012, 18:18

Eine faschistische Kleingruppe in widersprüchlichem Gewand gewinnt immer mehr Einfluss in Italien.

Eine faschistische Kleingruppe in widersprüchlichem Gewand gewinnt immer mehr Einfluss in Italien.

Im Jahr 2003 besetzte eine Gruppe von NeofaschistInnen ein Gebäude in Rom, das sie nach dem Dichter Ezra Pound, einem Verfechter Mussolinis, Casa Pound (CP) nannten. Sie berufen sich auf den italienischen Bewegungsfaschismus der 1920er-Jahre, den sie zu modernisieren versuchen – mit beunruhigendem Erfolg: Das Haus beherbergt heute über 20 italienische Familien und die Casa Pound ist mit über 2.000 eingeschriebenen Mitgliedern bereits in 14 Städten in ganz Italien vertreten. Unterstützt wird sie von ihrem intellektuellen Arm, dem Blocco Studentesco.

Weder links noch rechts. Die Einteilung des politischen Spektrums in links und rechts betrachten die NeofaschistInnen als veraltet: Weder links noch rechts, sondern „faschistisch-revolutionär“ sei die CP. Die Dinge werden selbst in die Hand genommen, Parteien und Gewalt nach außen hin abgelehnt. Im Zentrum ihres Programmes steht die Einheit der italienischen Nation und der Erhalt der Kernfamilie.

Ewiggestriges in poppigem Gewand. Ordentlichkeit und das Verbot von Waffen und Drogen innerhalb der CP sollen ein seriöses Bild vermitteln. Der Öffentlichkeit präsentiert die Casa Pound ein breites kulturelles Angebot. Rechtsrockkonzerte gehören ebenso dazu wie ein Radiosender und Theaterstücke. Außerdem wird zu Flashmobs, Demos und klassischen NGO- und Charity-Tätigkeiten aufgerufen. Ihre Bildsprache bedient sich antisemitischer Sujets, die allerdings auch aufgrund ihrer weiten Verbreitung in linken Kreisen für viele nicht unmittelbar auf rechtes Gedankengut hinweisen. In den politischen Kampagnen der CP wird neben dem „Aussaugen“ Italiens durch „Mietwucher“, „Raffgier“ und das personifizierte Böse, verkörpert von ImmobilienspekulantInnen („Vampire“), auch alles angeprangert, was die italienische Kernfamilie bedroht (Homosexuelle, FeministInnen, illegalisiert lebende MigrantInnen). Mit diesen widersprüchlichen Positionen will sich die CP in die in Mode gekommenen Grassroots-Bewegungen eingereiht wissen.

So gewaltfrei und bürgerlich sich die CP nach außen hin auch geben mag, so sehr widersprechen die Fakten dieser Selbstdarstellung. Der studentische Zweig der CP, der Blocco Studentesco, schreckt nicht vor Gewalt zurück: 2011 wurde bei Studierendenprotesten in Rom ein Demonstrationszug linker SchülerInnen und StudentInnen angegriffen. Auch der Attentäter, der im Dezember 2011 in Florenz zwei senegalesische Händler auf offener Straße erschoss und drei weitere schwer verletzte, stand in enger Verbindung zur Casa Pound. Letztere versuchten in den Tagen nach dem Mord auf ihrer Homepage ihr angekratztes Image wieder herzustellen, indem sie jede Verbindung zum Täter leugneten und diesen als irren Einzeltäter hinstellten. Gleichzeitig wird der grausame Mord in einschlägigen Internetforen und Facebookgruppen als HeldInnentat dargestellt. Dass solche Strategien des Leugnens nach wie vor aufgehen, liegt weniger am Geschick einer Organisation wie der CP, als vielmehr an der Akzeptanz rechtsextremer Ideologien in weiten Teilen Europas.

 

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