„Die Burschenschaften führen ein Rückzugsgefecht“

  • 29.09.2012, 00:56

Ist der Rechtsextremismus nichts anderes ist als Zuspitzung von konservativen Ansätzen aus der Mitte der Gesellschaft? Ein Gespräch mit dem Rechtsextremismus-Experten und Buchautor Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW).

Ist der Rechtsextremismus nichts anderes ist als Zuspitzung von konservativen Ansätzen aus der Mitte der Gesellschaft? Ein Gespräch mit dem Rechtsextremismus-Experten und Buchautor Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW).

progress: In Ihrem soeben erschienenen Buch „Der rechte Rand“ schreiben Sie, dass der Rechtsextremismus der gesellschaftlichen Mitte entspringt. Wäre ein gewöhnlicher Biertisch am Buchcover da nicht passender gewesen als ein Springerstiefel?

Heribert Schiedel: Ja, aber sowohl Titel als auch Buchcover habe ich dem Verlag überlassen. Der Verleger Heribert Steinbauer ist ein sehr engagierter Mensch. Er war ÖVP-Nationalratsabgeordneter und vertritt damit die politische und soziale Mitte, die Adressat und zugleich Gegenstand der Kritik in meinem Buch ist. Der Titel hat mir immerhin Gelegenheit geboten, gleich in der Einleitung dagegen zu polemisieren, den Rechtsextremismus als Randphänomen zu verstehen. Denn der Rechtsextremismus bezieht seine Ideen aus der Mitte der Gesellschaft, er ist in sehr vielem ein zugespitzter Konservativismus.

progress: Vielen bürgerlich-liberalen VertreterInnen der ÖVP graut es vermutlich, wenn man sie mit Rechtsextremismus konfrontiert. Dennoch hat die ÖVP im Jahr 2000 erstmals mit der FPÖ koaliert, die Sie als rechtsextrem beschreiben.

Schiedl: Ja, und deshalb ist im Buch auch immer wieder die Rede vom Tabubruch im Februar 2000. Trotzdem muss man sagen, dass die FPÖ damals schon noch eine andere war als die FPÖ heute. Ich habe die zweite Koalition zwischen der ÖVP und der FPÖ nach Knittelfeld im Jahr 2002 noch viel skandalöser gefunden als die erste. Denn da wusste die ÖVP genau, dass sie mit dem Rechtsextremismus koaliert. Die FPÖ rückt ja seit Jahren systematisch so weit nach rechts, dass sich fast automatisch ideologische, inhaltliche und personelle Berührungspunkte mit dem verfassungsfeindlichen neonazistischen Bereich ergeben. Viele Menschen – nicht nur in der ÖVP – möchten den Rechtsextremismus aber als Randphänomen sehen, weil das etwas Beruhigendes und Entlastendes für sie hat: Da ruft man dann nach Polizei und Sozialarbeit und macht aus einem gesellschaftlichen und politischen Problem eines, das mit Repression und Street Work zu lösen ist. Das ist es aber nicht.

progress: Lässt sich heute festmachen, was der FPÖ ihre Regierungsbeteiligung gebracht hat?

Schiedl: Die meisten Nachwirkungen gibt es an den Universitäten. Darauf hat sich die FPÖ konzentriert. Der Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) und die Burschenschafter kämpfen vor allem gegen die so genannte Massenuniversität. Die Demokratisierung der Universität ist für sie gleichbedeutend mit ihrer „Vermassung“, und die lehnen sie vor allem in Bezug auf die Zusammensetzung der Universitäten ab – sowohl was die Geschlechter als auch die soziale Herkunft der Studierenden betrifft. Die Burschenschaften führen in Wirklichkeit seit über 100 Jahren ein Rückzugsgefecht. In ihren Männerbünden wird gelebt, was die Universität früher war: frei von Frauen und frei von Angehörigen unterer sozialer Schichten.

progress: Zumindest bei den ÖH-Wahlen verliert der RFS allerdings an Unterstützung bei den Studierenden.

Schiedl: Ja. RFS und die Rechten an den Universitäten bauen in dem Ausmaß ab, in dem die Universitäten in den 1970er-Jahren der Gesellschaft angepasst und demokratisiert wurden – Stichwort Universitätsordnungsgesetz 1975, freier Hochschulzugang und Ausweitung der Mitbestimmung. Rechtsextremismus ganz allgemein braucht ja bestimmte gesellschaftliche Voraussetzungen, um zu gedeihen: Da kommt ganz oben die Männlichkeit, eine bestimmte Art von Formiertheit, der Autoritarismus und ein Elitedenken. Deshalb sind die Rechten immer offen gegen die Massenuniversität aufgetreten, gegen den freien Hochschulzugang und für die Aufhebung der Mitbestimmung. Mit den Universitätsräten, die es seit dem Universitätsgesetz 2002 gibt, haben sie dann direkt ihre eigenen Leute an die Spitze gebracht. Wenn man Burschenschafter oder Freiheitliche heute fragt, was von ihrer Regierungsbeteiligung bleibt, nennen sie als Erstes immer diese „Reform“ der universitären Bildung.

progress: Worin sehen Sie die Unterschiede zwischen FPÖ und BZÖ?

Schiedl: Im Rassismus gibt es kaum welche. Bei der FPÖ ist der Rassismus allerdings aufgesetzt auf eine klare theoretische Fundierung, die beim BZÖ fehlt. Darum bezeichne ich das BZÖ als rechtspopulistisch und die FPÖ als rechtsextrem. Ein Unterschied zeigt sich in der Wirtschaftspolitik: Das BZÖ ist eher neoliberal, die FPÖ setzt mehr auf antikapitalistische Demagogie.

progress: Vor 15 Jahren haben 350.000 Menschen beim Lichtermeer gegen das FPÖ-Volksbegehren „Österreich zuerst“ demonstriert. Heute druckt die FPÖ ungestraft das Wort „Überfremdung“ auf Plakate und der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) bezeichnet Minarette offiziell als „artfremd“. Was hat sich da im öffentlichen Diskurs verschoben?

Schiedl: Ich bezeichne diese Verschiebung in meinem Buch als „Normalisierung“. Zunächst einmal im Sinne einer Gewöhnung, einer Abstumpfung der Öffentlichkeit. Die „Normalisierer“ schauen dagegen immer, was noch geht: Wenn sich Andreas Mölzer zum Beispiel mit Vertretern des belgischen Vlaams Belang (früher Vlaams Blok, Anm.) und der französischen Front National zusammentut, regen sich zwar ein paar Menschen auf, der große Rest aber schweigt. Dann wartet Mölzer eben ein halbes Jahr, trifft sich dann mit Neonazis usw. usf. Die Grenze wird permanent weiter nach rechts verschoben. Der Gebrauch des Wortes „Überfremdung“ ist ein gutes Beispiel für diese „Normalisierung“: 1991 begründete der Österreichische Verfassungsgerichtshof in einem Urteil die Nichtzulassung einer Neonazi-Partei zu den Nationalratswahlen damit, dass diese den Begriff „Überfremdung“ wiederholt verwendete und daher – wörtlich – „ihre verhetzerische Absicht und neonationalsozialistische Gesinnung belegt“ war. Heute prangt der Begriff auf Wahlplakaten im ganzen Land. Wenn mir 1991 jemand gesagt hätte, dass die FPÖ acht Jahre später mit „Stop der Überfremdung“ in den Wahlkampf ziehen und damit rund 27 Prozent der Wählerstimmen erreichen wird, ich hätte es einfach nicht geglaubt

Das Buch:

In „Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft“ beschreibt der Historiker Dr. Heribert Schiedel fundiert und beispielreich, was den Rechtsextremismus in Österreich ausmacht und was zum Erfolg der FPÖ geführt hat. Schiedel kennt die rechtsextreme und neonazistische Szene in Österreich und international und gewährt spannende Einblicke in ein Milieu, das alles andere als eine Randerscheinung ist.

AutorInnen: Lisa Mayr