Rechtsextremismus

Kampf um die Straßen Wiens

  • 18.05.2014, 15:32

Am 17.5. fand eine Gegendemonstration linker Gruppierungen zum Identitärenaufmarsch in Wien statt. Es kam zu Repressionen gegenüber der Demonstierenden seitens der Polizei. Christopher Glanzl war für progress online mit Kamera dabei.

Am 17.5. fand eine Gegendemonstration linker Gruppierungen zum Identitärenaufmarsch in Wien statt. Es kam zu Repressionen gegenüber der Demonstierenden seitens der Polizei. Christopher Glanzl war für progress online mit Kamera dabei.

Gestern kam es zu einem Kampf um die Straßen Wiens.

Auf der einen Seite waren dabei antifaschistische Gruppierungen wie die OGR oder SLP.

Um 11:00 Uhr traf man sich am Christian-Broda-Platz, von wo aus die Demonstration zum Kunsthistorischen Museum starten sollte.

Während das schlechte Wetter die Fahnen oben hielt...

...probierte die Samba-Gruppe dasselbe mit der Stimmung.

Die Identitären konnten die Route über die Mariahilfer Straße (Start Westbahnhof) nicht gehen, da diese noch von der Gegendemo belegt war.

Mit Rufen wie „No border, no nation – stop immigration“ oder „Jetzt seid ihr noch tolerant – bald schon fremd im eig'nen Land“ oder einfach nur bellend...

... zogen sie über die Burggasse Richtung Volkstheater, wo die Schlusskundgebung geplant war.

Auch Presse war zahlreich vertreten und prägte das Bild um die ca. 100 Teilnehmer_innen.

Es kam zu Sitzblockaden, die von der Polizei...

... aufgelöst wurden. Es gab dabei unschöne Szenen.

Aber auch intern war der Umgang mittlerweile von Frust und Aggression geprägt.

In Folge eskalierten immer öfter kleine Situation, die solch einen Gewalteinsatz eigentlich nicht erforderlich machen.

Hier wurde die Demo zwar um die Blockade geleitet...

...trotzdem wurde von der Polizei die Straße unverhältnismäßig geräumt.

Auf der Kreuzung beim Museumsquartier/Volkstheater wartete die bislang größte Sitzblockade.

Spätestens jetzt brach das Einsatzkonzept der Polizei zusammen und erhöhter Einsatz von Gewalt sollte das kompensieren.

Pfefferspray wurde freigegeben...

... viele Demonstrant_innen festgenommen...

... und der Spray letztlich auch zahlreich eingesetzt.

Der gesamte Bereich wurde großräumig geräumt und für alle gesperrt. Auch Medienvertreter_innen wurden nicht mehr zur Demo der Identitären durch gelassen.

Die Gegendemonstration sammelte sich wieder...

... während die Lage langsam ruhiger wurde.

Im 8. Bezirk dagegen war die Lage immer noch angespannt, mittlerweile wurde auch die Hundestaffel angefordert.

Die Polizei nahm versprengte Gegendemoteilnehmer_innen fest, ...

...war dabei aggressiv und sperrte die Josefstädter Straße ohne ersichtlichen Grund für längere Zeit.

Identitäre: Connections zu Rechtsaußen

  • 17.05.2014, 19:04

Neue Rechte hin oder her, der politische und persönliche Hintergrund der österreichischen Identitären ist geprägt von Nazi-Kadern à la Gottfried Küssel. Eine politische Analyse von Joseph Maria Sedlacek* für progress online.

Neue Rechte hin oder her, der politische und persönliche Hintergrund der österreichischen Identitären ist geprägt von Nazi-Kadern à la Gottfried Küssel. Eine politische Analyse von Joseph Maria Sedlacek* für progress online.

Spätestens mit ihrer „Gegenbesetzung“ der Votivkirche im Februar 2013 haben die Identitären in Wien, zumindest in linken Kreisen, auf sich aufmerksam gemacht. Die Aktion sollte dazu dienen den wochenlangen Protest und Hungerstreik von Refugees, der sich vom Sigmund-Freud-Park in die Votivkirche verlagert hatte, möglichst medienwirksam zu stören und zu delegitimieren. „Das wäre doch gar nicht nötig gewesen.“, werden sich an dieser Stelle einige denken, sind doch die Anliegen von Geflüchteten der xenophoben Mehrheitsgesellschaft in Österreich sowieso wurscht - es ist ja nicht so als wären Krone, Österreich und Heute den Identitären nicht schon zuvorgekommen. Ein wichtiger erster Schritt in Richtung „konservativer Revolution“ wurde gesetzt.

Die nächsten Schritte folgten: Der 25-Jährige Martin S., der sich bis dahin um Zurückhaltung bemühte, trat mehr und mehr in Erscheinung. Er hielt sich im Hintergrund bis der erste mediale Gegenwind verflogen war und die identitäre Bewegung in den rechten und konservativen Kreisen Österreichs Eingang gefunden hatte. Doch wieso diese anfängliche Zurückhaltung von einer Person die seit circa einem Jahr die identitäre Bewegung im Wesentlichen nach außen repräsentiert und bei dem Versuch, die vertretenen Inhalte zu theoretisieren, federführend ist?

Neonazi-Vergangenheit verwischen

Der ausschlaggebende Grund wird sein, dass sich Martin S. über mehrere Jahre hinweg sehr aktiv in der österreichischen Neonazi-Szene betätigt hat. Er selbst gibt an, im „nationalen Lager“ politisiert worden zu sein. Aus dieser Zeit stammen unter anderem Anzeigen wegen Sachbeschädigung, Verstoß gegen das Waffengesetz und gegen das NS-Verbotsgesetz. Auch die bekannten „Kampfsportkurse“, veranstaltet aus dem Umfeld von Gottfried Küssel, dürfen in seiner Laufbahn als anständiger Neonazi natürlich nicht fehlen.

Es folgen Teilnahmen an Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen, wie zum Beispiel 2009 für den Nazihelden Walter Nowotny oder 2010 am Naziaufmarsch in Dresden. In beiden Fällen gemeinsam mit bekannten Gestalten der österreichischen Szene, wie beispielsweise Wolfgang L., der in Internet-Foren gerne mal über den Bau von Autobomben philosophiert oder Benjamin F., Sohn eines ehemaligen BVT-Ermittlers, der dadurch auffiel, dass er auf einem Truppenübungsplatz des Bundesheeres in der Steiermark mehrfach die Hand zum Hitlergruß gehoben hatte und Lieder der Wehrmacht anstimmte. Ein Verfahren gegen ihn wurde nicht eingeleitet. Auch Küssel selbst zählt zu seinen Kameraden und die Liste von Martin S. Weggefährten aus der österreichischen Neonazi-“Prominenz“ lässt sich noch lange weiterführen.

alpen-donau.info, Siegfriedskopf und Funke

Ermittlungen zu den Verantwortlichen der Neonazi-Seite alpen-donau.info, zu denen auch S. zählen soll, zogen im Jahr 2011 einige Repressionschläge gegen die rechte Szene nach sich. Mehrere Hausdurchsuchungen und Verhaftungen in ganz Österreich folgten, und es wurde ein wenig still um den damals 22-Jährigen. In der Folgezeit versuchte er mit der Gruppe Siegfriedskopf und der rechten Homepage derfunke.info mit dem stumpfen Neonazi-Image zu brechen und sich einen „intellektuellen“ Anstrich zu verpassen. Eine breite Rezeption erfuhren Martin S. „Zwischenprojekte“ allerdings nicht, etwas Neues musste her. Auf der Homepage der Identitären schreibt der Jus- und Philosopiestudent über seine Gedanken zu deren Entstehung, dass „an ein praktisches Weitermachen nach Schema F nicht zu denken war“, weil „die klassische NS-Propaganda aus der NW[Anm.: Nationaler Widerstand]-Szene am Bewusstsein des Volkes folgenlos abprallte“.

Vorbild für den vermeintlich neuen und innovativen Kurs ist der französische bloc identitaire. Selbst eine Nachfolgeorganisation der neonazistischen unité radicale, welche 2002 verboten wurde, nachdem eins ihrer Mitglieder, der damals 25-Jährige Maxime Brunerie, aus einem Karabinergewehr auf den früheren Staatspräsidenten Jacques Chirac geschossen hatte. Die Identitären in Frankreich, Deutschland und Österreich waren von Beginn an um Abgrenzung zum organisierten Neonazi-Spektrum bemüht.

Die Identitäre Bewegung ist international vernetzt. Ihr Logo ist der griechische Buchstabe Lambda, ihre Farben sind Schwarz und Gelb. Foto: Christopher Glanzl

Kalkulierte Zurückhaltung

Ohne Martin S. Dasein als Neonazi, und seine guten Kontakte in die Szene, von Anfang an als Zielscheibe zu präsentieren, versuchen die Identitären eine Schnittstelle zu finden. Eine Schnittstelle zwischen einer Mehrheit von Österreicherinnen und Österreichern, die ihre Stimmen für ÖVP und FPÖ abgeben und dem widerlichen Sumpf an Neonazis und Burschenschaftern. Dass S. sich anfänglich so zurückhielt, war also weniger dem Zufall geschuldet als ein berechneter Zug. Denn hätte er von Anfang an die führende Rolle eingenommen, die er jetzt inne hat, hätten sich die Identitären hierzulande vermutlich sang- und klanglos in die Riege der üblichen Neonazi-Kader eingereiht. Doch auch andere Mitglieder der Identitären haben entsprechende Kontakte.

Alexander M. beispielsweise, Obmann der Wiener Identitären, ist aktives Mitglied der schlagenden, deutschnationalen Burschenschaft Olympia und unter anderem regelmäßig am sogenannten „Burschibummel“ beteiligt, der jeden Mittwoch vor der Universität Wien stattfindet. Patrick L. aus Graz ist ebenfalls Burschenschafter und Obmann der Identitären in der Steiermark. Thomas S., Martins jüngerer Bruder, und Fabian R. haben einen Weg gefunden ihren „gesunden“ Patriotismus auf institutioneller Ebene auszuleben – mit der Waffe in der Hand beim Bundesheer.

Hipper Scheiss: Internet und Theorie

Im Kampf gegen das Nazi-Image scheuen die Identitären keine Mühen, um sich im Stil einer hippen Jugendbewegung, die als „weder links – noch rechts“ verstanden werden will, zu etablieren. Mittels Facebook-Accounts werden Termine zu Veranstaltungen und Treffen bekannt gegeben; auf der von L. eingesetzten Homepage www.identitaere-generation.info, versucht Martin S., zunächst unter dem Pseudonym „Julian Fosfer“, Anstöße zur Auseinandersetzung mit Theorien der neuen Rechten zu geben.

Am meisten Präsenz zeigen die  Identitären also im Internet. Direkte Aktionen gab es bis jetzt kaum und wenn, dann ohne breite Mobilisierung. Die oben erwähnte „Gegenbesetzung“ und eine schlecht besuchte Kundgebung am Wiener Ballhausplatz stehen im Kontrast zur ständigen Selbstüberhöhung der „Bewegung“. Einzig regelmäßig stattfindende „Stammtische“ und Flyeraktionen vor Schulen sollen zu breiterer Popularität verhelfen und das „Bewusstsein des Volkes“ wecken.

Für den 17. Mai ist in Wien die erste Demo angekündigt. Die neonazistische Seite freies-oesterreich.net teilt den Aufruf mit folgenden Worten: „Eine Möglichkeit für Identitäre und den Nationalen Widerstand öffentlich klar zu stellen: Der Widerstand lebt! Wir wollen in der Stadt Wien, der Bastion Europas, ein starkes Zeichen setzen und auf die Straße gehen.“

Die Abgrenzungsversuche der sich als harmlose „neurechte Bewegung“ inszenierenden Identitären laufen ins Leere, wenn gleichzeitig Neonazis zu ihren Demos aufrufen, die auffälligste Person der „Bewegung“ selbst ein, zumindest ehemaliger, Neonazi ist und ihre Antwort auf die Verschlechterung der Lebensrealitäten vieler Menschen in Europa eine nationale Abschottung ist. Auch wenn ihre Konsolidierungsbemühungen bis jetzt an Grenzen stoßen, ist es weiterhin wichtig diese Bemühungen ernst zu nehmen, weil sie Denkweisen und Stimmungen aufgreifen, die im Großteil der Gesellschaft oft etabliert sind. Als Gegenstrategie könnte es sinnvoll sein, sich aus linksradikaler Perspektive an gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen, um politische Alternativen jenseits reaktionärer Krisenlösungen aufzuzeigen und sich mit dem Gedankengut auseinanderzusetzen, das sich als „neurechts“, hipp und unverbraucht zur Schau stellt.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls in der aktuellen Malmoe Ausgabe 67

Die Nachnamen wurden in dem Artikel aus medienrechtlichen Gründen abgekürzt.

*Der Name des Autors ist der Redaktion bekannt.

 

Siehe auch: Hintergrundgespräch: Wer sind die Identitären?" mit Andreas Peham (DÖW)

 

Liberal, demokratisch, deutschnational?

  • 20.03.2014, 16:43

Immer wieder versuchen Burschenschaften, ihre Rolle während der Deutschen Revolution 1848 zu glorifizieren und ihre Beteiligung am Nationalsozialismus kleinzureden. Ein Fest am 8. Mai soll die Mythen der Burschenschaften zementieren.

Immer wieder versuchen Burschenschaften, ihre Rolle während der Deutschen Revolution 1848 zu glorifizieren und ihre Beteiligung am Nationalsozialismus kleinzureden. Ein Fest am 8. Mai soll die Mythen der Burschenschaften zementieren.

24. Jänner, Wien. Auf den Straßen demonstrieren Antifaschist_innen gegen den von der Wiener FPÖ organisierten „Akademikerball“, in der Hofburg tanzen schlagende Burschenschaftler und rechte Politiker_innen. In den darauffolgenden Tagen und Wochen wird eins dieser Ereignisse heiß diskutiert: die Demonstrationen und ihre Kollateralschäden, vor allem umgeworfene Mistkübel und eingeschlagene Fensterscheiben. Am achten Februar findet darauffolgend in Linz der „Burschenbundball“ statt. Auch hier findet eine große antifaschistische Kundgebung statt, bei der allerdings Menschen aufgrund dunkler Kleidung von Demoordner_innen vom Rest der Demonstration ausgegrenzt wurden. Angeblich, um Szenarien wie in Wien zu vermeiden. Gebracht hat diese Entsolidarisierung außer einer fragwürdigen Spaltung der Demonstration nichts: Ein Diskurs um den Auslöser der Demonstrationen blieb, wie in Wien, aus. Stattdessen reden rechte Politiker_innen von der bedeutenden liberaldemokratischen Rolle der Burschenschaften während der Revolution 1848, im gleichen Atemzug wird dann meistens auch ihre Auflösung 1938 als „Beweis“ dafür genannt, dass die deutschnationalen Männerbünde nicht rechtsextrem seien.

166 Jahre. Für den 8. Mai hat der Wiener Kooperationsring (WKR) ein „Fest der Freude“ angekündigt. Nicht um, wie im restlichen Europa, den Sieg der Alliierten über den Nationalsozialismus, sondern die misslungene deutsche Revolution von 1848 zu feiern. 166 Jahre liegt die zurück – ein runder Jahrestag ist es nicht, den der WKR von der „Forschungsgesellschaft Revolutionsjahr 1848“ unter Leitung eines Olympia-Mitglieds ausrichten lassen will. Das geplante Großereignis wird aber nicht nur von unrunden Jahreszahlen getrübt: In Österreich wurden die ersten Burschenschaften nämlich erst 1859 gegründet. Nichtsdestotrotz will der WKR sein offenbar doch angeschlagenes Image aufpolieren, indem der Mythos, Burschenschaftler hätten in Wien 1848 für liberal-demokratische Grundwerte gekämpft, gefeiert wird.

Es ist nicht das erste Mal, dass deutschnationale Burschenschaften ihren revolutionären Moment zelebrieren . Im Mai 1998 veranstalten Burschenschaftler einen „Revolutionskommers“, der ausgerechnet in der Wiener Hofburg stattfand. Neben 130 verschiedenen Kooperationen kamen auch CV-Mitglieder und, wie die Burschenschaft Aldania stolz auf ihrer Webseite berichtet, eine „Abordnung der Südtiroler Freiheitskämpfer“. Die Burschenschaftler versuchen in ihrer Beschreibung des Fests gar nicht erst, ihre großdeutschen Intentionen zu verstecken: Die Wahlen zum „ersten und einzigen gesamtdeutschen demokratisch gewählten Parlament“ seien Anlass zum Feiern. Mit „demokratisch“ ist hier ein Wahlsystem gemeint, dass nur selbstständigen, also mit einem gewissen Besitz ausgestatteten Männern das Wahlrecht verlieh, mit Parlament die Frankfurter Nationalversammlung. Die zu erwartenden Proteste gegen das „Fest der Freude“ am 8. Mai werden wohl mit ähnlichen Argumentationsmustern von Burschenschaftlern und ihren Befürworter_innen konfrontiert sein.

Akademische Legion. Zwar beteiligten sich 1848 in Wien anfänglich tatsächlich Studenten Seite an Seite mit Arbeiter_innen und Handwerker_innen an der Revolution, dennoch war deren Ziel stets die Errichtung einer großdeutschen Nation. Der Mythos einer gemeinsamen Achse von Studenten und Arbeiter_innen starb spätestens als sich die Studenten vom Kaiser bewaffnen ließen und die „akademische Legion“ gründeten. Diese bekämpfte als Teil der Wiener Nationalgarde allzu „radikaldemokratische“ Kräfte. Der Ort für den „Revolutionskommers“ 1998 war damit vielleicht doch nicht so abstrus gewählt, wie er auf den ersten Blick scheinen mag.

Wenn sich österreichische Burschenschaften heute auf ihre Rolle in der deutschen Revolution 1848 beziehen, beziehen sie sich auf die Taten von Burschenschaftlern in Deutschland. Diese verbrannten dreißig Jahre zuvor auf der Wartburg Uniformen, „undeutsche Bücher“ und Literatur jüdischer Schriftsteller_innen, um danach eine konstitutionelle Monarchie und die Wehrpflicht für Deutschland zu fordern. Heute erscheint es eher skurril, solche Forderungen unter die Banner des Liberalismus und der Demokratie zu stellen.

Wie liberal die frühen Burschenschaften tatsächlich waren, zeigt auch das Beispiel des „Arierparagraphen“, den die Wiener Burschenschaft Libertas 1878 als erste Burschenschaft im deutschsprachigen Raum einführte. Die Idee dafür stammte vom österreichischen Antisemit Georg von Schönerer, einem Mitglied der Libertas, der die Bestimmung, nur mehr „arische“ Menschen aufzunehmen, in das deutschnationale Linzer Programm einbrachte.

Mythos Auflösung. Ein weiterer Mythos, der gerne als Schutzschild vor die Burschenschaften gehalten wird, ist deren Auflösung im Nationalsozialismus. Es stimmt, dass katholische, liberale oder zionistische Verbindungen zerschlagen wurden, die deutschnationalen Burschenschaften wurden jedoch als sogenannte Kameradschaften in den nationalsozialistischen deutschen Studentenbund (NSDStB) aufgenommen. In Deutschland geschah dies 1935 auf der Wartburg, wo die Burschenschaftler ihre „alten Farben als Bekenntnis zur neuen Form im alten Geist feierlich ablegen“, wie der Burschenschaftenführer Otto Schwab es ausdrückte. Die Burschenschaften stellten eine direkte Verbindung zwischen ihrer Beteiligung an der Revolution 1848 und dem Nationalsozialismus her.

Auch die österreichischen Burschenschaftler, die zuvor im Untergrund für die verbotene NSDAP gekämpft hatten, sahen sich 1938 am Ziel ihres deutschnationalen Strebens: „Fast wollte es keiner glauben, dass das alles über Nacht zu Ende und der langersehnte Anschluss an das Reich durchgeführt sein sollte. Jeder kann sich noch an den unendlichen und dankbaren Jubel erinnern“, berichteten die Burschenschaftler der Kameradschaft Adolf Ritter von Guttenberg, die ehemalige Hausburschenschaft der Hochschule für Bodenkultur, Sylvania, in ihren „Kameradschaftsmitteilungen“. Der völkische Nationalismus und Antisemitismus der Burschenschaften war mit dem Nationalsozialismus ohne Weiters kompatibel. .

Die unrühmlichen Aktivitäten der Burschenschaftler endeten 1945 nicht. In den 1960er und 1970er Jahren wurden Proteste linker Studierender regelmäßig durch Kooperierte aufgelöst. Das „Fest der Freude“ im Mai jedenfalls scheint eine Imagekampagne zu sein – wohl nicht zuletzt, um die leeren Säle der Hofburg am nächsten Akademikerball wieder voller zu machen.

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

 

Antifaschismus ist notwendig, aber nicht ausreichend - NOWKR

  • 20.01.2014, 12:35

Das autonome Bündnis NOWKR organisiert eine der großen Demonstrationen gegen den Wiener Akademikerball. progress online hat mit Ida und Elias von NOWKR über Steine und Mauern, das Verhindern des Balls und den Kampf für die befreite Gesellschaft gesprochen.

Das autonome Bündnis NOWKR organisiert eine der großen Demonstrationen gegen den Wiener Akademikerball. progress online hat mit Ida und Elias von NOWKR über Steine und Mauern, das Verhindern des Balls und den Kampf für die befreite Gesellschaft gesprochen.

Das Interview ist der zweite Teil der progress Online-Interviewserie mit dem Thema Gegenbewegungen zum Akademikerball.

progress: Eure Demo steht unter dem Motto: „Unseren Hass den könnt ihr haben. Den Wiener Akademikerball 2014 unmöglich machen!“ Warum hasst ihr den Ball so?

NOWKR: Welche Emotion wäre denn an diesem Abend angemessener? Deutschnationale Burschenschafter und ihre Ideologie stehen der befreiten Gesellschaft konträr entgegen, für die wir einstehen. In Österreich waren sie – sogar wenn man erst nach 1945 anfängt – zum Beispiel an vielen neonazistischen Aktivitäten maßgeblich beteiligt, etwa am Südtirolterrorismus, der mehrere Menschen das Leben kostete. Auch der KZ-Überlebende und antifaschistische Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger wurde vom RFS-Aktivisten und Burschenschafter Günter Kümmel erschlagen, er war damit das erste politische Todesopfer der zweiten Republik.

Wie wollt ihr den Ball unmöglich machen?

NOWKR: Unmöglich hat hier drei Ebenen. Wir finden es unmöglich, dass dieser Ball, geschützt von der Polizei, im realpolitisch repräsentativsten Gebäude Österreichs stattfindet. Wir haben eine Vortragsreihe organisiert, um zu zeigen, welche Gründe es gibt, am 24. Jänner gegen den Ball zu demonstrieren. Dann organisieren wir eben diese Demo von Wien Mitte bis in die Innenstadt, die zeigen soll, dass viele Leute den Ball unmöglich finden. Und drittens kämpfen wir grundsätzlich für eine Gesellschaft, in der so eine Veranstaltung in dem Sinn unmöglich ist, dass entsprechendes Gedankengut einfach nicht vorkommt.

Glaubt ihr, ihr werdet Erfolg haben?

NOWKR: Langfristig sind wir sogar auf dem besten Weg, den Ball unmöglich zu machen. Vor einigen Jahren waren noch etwa 3000 Gäste auf dem Ball, letztes Jahr nur noch 700, und auch heuer läuft der Kartenverkauf wohl eher schleppend. Es werden immer weniger Burschenschafter zum Ball gehen und diejenigen, die hingehen, werden keinen leichten Zugang haben.

Die erwähnte Vortragsreihe heißt „just another brick in the wall“, ihr kommt aus dem Umfeld des kommunistischen „...ums Ganze!“-Bündnisses. Was ist dieses Ganze, und was hat der Akademikerball damit zu tun?

NOWKR: Das Ganze ist das falsche Ganze: Die kapitalistische, patriarchale, rassistische Gesellschaft, die – wie Burschenschaften – auf Ausschlussmechanismen aufbaut, auch wenn diese subtiler, vermittelter und schwerer zu durchschauen sind als ein Arierparagraph und ein Schmiss auf der Backe. Wenn wir das Ganze als eine reaktionäre Mauer sehen, in der Kapitalismus, Rassismus und Sexismus vorkommen, dann ist der Akademikerball nur ein Steinchen in dieser Mauer. Der konkrete Protest gegen diesen Stein, den Ball, ist der Antifaschismus, der wichtig ist. Es gilt aber, die ganze Mauer einzureißen, um auf den Trümmern der alten Gesellschaft die befreite zu errichten.

Mit wie vielen Menschen rechnet ihr, und welchen Umgang mit eurer Demo erwartet ihr von der Polizei?

NOWKR: Wir rechnen mit 5000 Menschen auf der Straße, davon 3000 auf unserer Demo. Die Polizei hat in der Vergangenheit ganz unterschiedlich reagiert, zweimal wurde jeder antifaschistische Protest kurzfristig verboten, in den letzten beiden Jahren konnten die Demos ungestört zu Ende gehen. Auch dieses Jahr rechnen wir nicht mit Angriffen von der Polizei. Es ist aber bemerkenswert, dass die Wiener Polizei sich extra das Versprechen abringen ließ, für die Sicherheit der Ballgäste zu sorgen. Die FPÖ, die den Ball ja offiziell organisiert, und Burschenschaften stellen sich gern als Opfer linker Gewalt dar. Mit diesem expliziten Versprechen von etwas, das neben dem Schutz der bestehenden, von uns kritisierten Gesellschaftsordnung mit der Waffe in der Hand ohnehin Aufgabe der Polizei ist, hilft sie, diesen Mythos, diese Täter-Opfer-Umkehr zu etablieren.

Mehrere andere Gruppen mobilisieren auch gegen den Ball, etwa die Kampagne „Jetzt Zeichen setzen“ und die „Offensive gegen Rechts“. Was unterscheidet Euch?

NOWKR: Geschichtlich waren die autonomen Proteste, also NOWKR, die ersten. Im Unterschied zu „Jetzt Zeichen setzen“ stehen wir für einen aktiven Antifaschismus. Wir wollen den Ball stören und nicht nur dagegen demonstrieren. Und anders als die „Offensive gegen Rechts“ versuchen wir das aus einer radikalen Gesellschaftskritik heraus. Wir verstehen uns als dezidiert antikapitalistisches Bündnis.

NOWKR organisiert eine Demonstration gegen den Akademikerball:
Treffpunkt: Wien Mitte, 17 Uhr, 24.01.2014

Der Autor studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Alle böse außer uns. Ungarns nationalistischer Umbruch

  • 02.12.2013, 20:43

Marschierende Paramilitärs, ein repressives Mediengesetz, „Zwangsarbeit“ für Arbeitslose, der Versuch, Obdachlosigkeit per Dekret abzuschaffen und zig andere bedenkliche Gesetzes- und Verfassungsänderungen sind Teil einer besorgniserregenden politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Ungarn.

Marschierende Paramilitärs, ein repressives Mediengesetz, „Zwangsarbeit“ für Arbeitslose, der Versuch, Obdachlosigkeit per Dekret abzuschaffen und zig andere bedenkliche Gesetzes- und Verfassungsänderungen sind Teil einer besorgniserregenden politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Ungarn. Nach den Wahlen 2010 inszeniert sich die ungarische Politik immer häufiger mit Folklore und geschichtlich belasteter Symbolik. Wie ein Vogel und das Trauma von einem zerbrochenen Reich den ungarischen Nationalismus stärken.

Miklós Horthy, ehemaliger ungarischer Reichsverweser und Verbündeter Adolf Hitlers, kommt in Ungarn in den letzten Jahren wieder in Mode. Anfang November dieses Jahres wurde ihm ein weiteres Andenken gesetzt: Am Szabadság Platz, vor der reformierten Kirche, inszenierte die faschistische Jobbik-Partei mit Unterstützung des rechtsextremen Pastors Lóránt Hegedüs vor etwa hundert Sympathisant_innen eine Zeremonie und enthüllte eine Statue jenes Mannes, unter dem 1920 mit einem Numerus Clausus für jüdische Student_innen das erste antisemitische Gesetz im Nachkriegseuropa eingeführt wurde. Die Einweihung der Statue ist indes nur ein weiterer Mosaikstein im Vorhaben der nationalkonservativen Fidesz-Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán, das Land nach ihren Vorstellungen zu positionieren und auszurichten: ein Ungarn ausschließlich für die Ungar_innen, gedacht als grenzüberschreitende Nation mit Rückbesinnung auf christlich-konservative Werte und Stärkung des „Magyarentums“.

 

Die Wahlen 2010 als Spiegelbild der eigenen Geschichte

Im Frühjahr 2010 erreichte der rechtskonservative Fidesz (Ungarischer Bürgerbund) 53% der Wähler_innenstimmen und regiert dank des Mehrheitswahlrechts mit einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit. Mit knapp 17 % Stimmenanteil errang die neofaschistische Jobbik („Die Besseren“/Die „Rechteren“) 12 % der Mandate und zog sieben Jahre nach ihrer Gründung erstmals ins Abgeordnetenhaus ein. Die zuvor regierenden Sozialdemokrat_innen (MSZP) wurden mit nur 19 % der Wähler_innenstimmen regelrecht von ihren Regierungsposten gejagt. Hauptgrund für dieses schlechte Abschneiden war die  berühmt gewordene „Lügenrede“ des damaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány, bei der dieser zugab, ein Budgetloch bewusst verschwiegen zu haben, um bei den Wahlen 2006 als Sieger vom Platz gehen zu können. Als vierte Partei sicherten sich noch die Grünen mit knapp 7,5 % der Stimmen ihren Verbleib in Ungarns höchster politischer Spielklasse.

Büste von Miklós Horthy (Foto: Mindenki joga)

Die Jobbik unter Parteichef Gabor Voná kündigte bereits kurz nach den Wahlen an, im Land „aufräumen zu wollen“ - wozu ihnen auch der Einsatz einer paramilitärischen und optisch an die nationalsozialistischen Pfeilkreuzler (unter ihnen wurde eine halbe Million ungarische Juden und Jüdinnen deportiert) angelehnten „Ungarischen Garde“ recht ist. Die Garde dient dazu, durch Aufmärsche und Gewalttaten Angst unter politischen Gegner_innen und gesellschaftlichen Minderheiten zu verbreiten. Ideologisches Bindeglied ist der Opfermythos rund um den Trianon-Vertrag von 1920, der zum Spielball der Politik geworden ist. Durch diesen Vertrag verlor Ungarn 2/3 seiner Staatsgebiete, der Grenzverlauf wurde von den Siegermächten ohne Einbeziehung Ungarns und der in Ungarn lebenden Menschen gezogen. Die Rückgabe der verloren Gebiete ist eine ständige Forderung der ungarischen Rechten.

Auch die Regierungspartei Fidesz ist den großungarischen Ansprüchen nicht abgeneigt und unterstreicht ihre Haltung durch eine Staatsbürger_innenschaftsreform, die auch „ungarischstämmigen“ Menschen außerhalb der Staatsgrenzen einen ungarischen Pass garantieren soll. Die Latte, um die ungarische Staatsbürgerschaft zu ergattern, ist nicht sonderlich hoch gelegt. So genügt es vorzuweisen, dass man vor 1920 oder zwischen 1938 und 1945 zumindest einen verwandten Vorfahren mit ungarischem Pass hatte. Die oftmals angesprochenen „fließenden Ungarischkenntnisse“ entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als Farce: so genügt es häufig, nur ein paar wenige Floskeln Ungarisch zu beherrschen, um an den begehrten Pass des EU-Mitgliedslandes zu gelangen.

Die Stärkung nach außen geht mit der Schaffung eines inneren Feindes einher, so hetzen Fidesz wie Jobbik seit Jahren gegen Roma, Juden und Jüdinnen, Linke sowie Liberale und seit den letzten Monaten vermehrt auch gegen Obdachlose - es muss sauber sein im Land, jegliche Zeichen eines Makels gilt es unsichtbar zu machen und aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Mit einer Verfassungsänderung schuf das ungarische Parlament 2013 die gesetzliche Grundlage dafür, dass Kommunen „obdachloses Verhalten“ per se als kriminell erklären und sanktionieren dürfen. Doch der Wandel hin zu einem speziell völkisch geprägten Nationalismus geschah nicht über Nacht.

Rechtsradikale Paramilitärs (Foto: Dieter Diskovic)

Turan Turan – rechte Ideologie und Neopaganismus

Das in weiten Teilen der ungarischen Bevölkerung verwurzelte rechte Gedankengut ist Produkt einer jahrzehntelangen Entwicklung, mitnichten kann man von einem plötzlichen „Rechtsruck“ sprechen. Selbst in der Ära des so genannten „Gulaschkommunismus“ ab 1956 versuchte sich die Regierung mit positivem Bezug auf den ungarischen Nationalismus Legitimität in der Bevölkerung zu verschaffen. Das völkische Denken ist heute in großem Ausmaß bei der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz und bei der neofaschistischen Oppositionspartei Jobbik vorhanden, jedoch selbst bei Teilen der tendenziell liberalen bis links stehenden Parteien wie der sozialdemokratischen MSZP und den Grünen anzutreffen. Das völkische Denken zeichnet sich durch einen ausschließenden Nationalismus, den Glauben an eine ethnisch-homogene Abstammungsgemeinschaft und eine Abgrenzung gegen vermeintliche innere und äußere Feinde aus.

Neben den allgegenwärtigen Bezügen auf die ungarische Nation und das Christentum hat sich in den letzten Jahren in Teilen der Bevölkerung eine Rassentheorie aus dem 19. Jahrhundert etabliert: der Turanismus. Diese Ideologie geht von einer gemeinsamen Abstammung von Ungarn, Türken, Esten, Finnen, Mongolen, Mandschuren und Jakuten aus, in manchen Auslegungen soll sich die „turanide Rasse“ gar bis Japan erstrecken. Der Turanismus, der unter anderem auch von den rechtsextremen türkischen Grauen Wölfen vertreten wird, steht in Ungarn für eine Abwendung von Westeuropa hin zu den asiatischen Ursprüngen der ungarischen Zivilisation. Auf zahlreichen völkischen Festivals feiern hunderttausende Besucher_innen ein Magyarentum, das mit der historischen Realität nur wenig zu tun hat. Unterstützt von den Abstammungslehren zweifelhafter rechter „Historiker_innen“ inszeniert man sich als wildes, edles und vor allem verfolgtes Reitervolk aus dem Osten.

Das Symbol des Turanismus ist der Turul, ein mythischer Vogel zwischen Adler und Falke, der die Magyaren von Asien nach Europa gebracht haben soll. Welche identitätsstiftende Bedeutung dieses Fabelwesen für die ungarische Rechte mittlerweile hat, zeigt der Kampf um eine 2005 errichtete Turul-Statue im 12. Budapester Gemeindebezirk. Die Figur des Turul wurde in der Zeit des Zweiten Weltkrieges von den faschistischen Pfeilkreuzlern intensiv verwendet und ist deshalb massiv vorbelastet. Dennoch ließ es sich der Bezirksvorsteher der heutigen Regierungspartei Fidesz im Jahr 2005 nicht nehmen, eine mit faschistischen Symboliken gespickte und von der damaligen links-liberalen Stadtverwaltung Budapests nicht genehmigte Turul-Statue aufzustellen. In den folgenden Jahren versuchte die Budapester Stadtregierung immer wieder, diese illegal errichtete Skulptur abreißen zu lassen, was durch Aufmärsche der paramilitärischen und rechtsextremen Ungarischen Garde wiederholt abgewehrt werden konnte. 2008 wurde die Statue sogar von Vertretern christlicher Kirchen gesegnet. 2010 war es eine der ersten Maßnahmen der neu gewählten Fidesz-Regierung, diesen mittlerweile „heiligen“ Turul durch ein eigenes Gesetz legalisieren zu lassen.

Turul (Bild: Dieter Diskovic)

Aber selbst damit nahm das Trauerspiel um das bronzene Fabeltier noch kein Ende. 2009 wollte die britische Künstlerin Liane Lang auf die antisemitische und rassistische Symbolik der Statue aufmerksam machen und fotografierte den Turul mit einer Plastikhand im Schnabel. Die Reaktion folgte nur einen Tag später: das Budapester Holocaust-Mahnmal „Schuhe am Donauufer“, das an die Ermordung ungarischer Jüdinnen und Juden durch Pfeilkreuzler erinnern soll, wurde von Unbekannten geschändet. Die bis heute nicht gefassten Täter_innen hatten blutige Schweinshaxen in die Schuhe gesteckt.

Ungarn – das „Palästina Europas“?

Die ungarische extreme Rechte ist aufgrund ihrer Gebietsforderungen an alle Nachbarländer international isoliert, die Suche nach östlichen Bündnispartnern hat also durchaus auch strategische Gründe. Die Jobbik etwa sieht den Iran als „Brudervolk“, der dort weit verbreitete Antizionismus deckt sich auch mit der eigenen Ideologie. Im ungarischen rechtsextremen Milieu sieht man sich als beständiges Opfer äußerer Einflüsse, in politischen Ansprachen stellt man sich gar als das „Palästina Europas“ dar.. Der Fidesz, zwar auch Teil der ungarischen Rechten, doch minder ausgegrenzt, stellt mit Viktor Orbán seit 2002 sogar den Vizepräsidenten der Europäischen Volkspartei und wird auch von Österreichs höchstem kirchlichen Würdenträger geschätzt. So ließ es sich Kardinal Christoph Schönborn 2012 nicht nehmen, die ungarische Regierung ob ihrer Standhaftigkeit zu den christlichen Werten zu loben (im Gegenzug wurde ihm im ungarischen Parlament das „Großkreuz für Verdienste um den Staat Ungarn“ verliehen).

Zusätzlich zu völkischem Gedankengut und Turanismus gibt es ein weiteres Element, das nur auf den ersten Blick dem stets betonten Christentum widerspricht: eine mythische Erhöhung der ungarischen Nation, die nicht selten einen neopaganistischen Charakter aufweist. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung ist der „Tempel Karpatenheimat“ in Veröce, in dem statt Gott das Magyarentum, die Stephanskrone und der Turul angebetet werden. Selbst in das Parlament hat es der Schamanismus bereits geschafft: im März 2012 wurde ein schamanisches Tanzritual zum Schutz der „Heiligen ungarischen Krone“ abgehalten. Im gleichen Jahr war bereits die neue Verfassung in Kraft getreten, der ein „nationales Glaubensbekenntnis“ vorangestellt wurde.

Bei den kommenden Wahlen im Frühjahr 2014 dürfte sich in Ungarn aber nur wenig ändern. Jüngste Umfragen sehen den Fidesz bei 45 – 50 %, wobei auch ein Wiedererlangen der parlamentarischen 2/3 Mehrheit nicht undenkbar ist. Möglich macht das auch eine Wahlrechtsreform des Fidesz, in der verschiedene Wahlbezirke zugunsten der Regierungspartei zusammengelegt wurden. Von der (liberalen) Opposition ist nicht viel zu sehen, anstatt eigene Programme zu forcieren und dadurch das Profil zu schärfen, begnügt man sich mit Anti-Orbán-Rhetorik. Das hat verheerende Auswirkungen: die sozialdemokratische MSZP stagniert bei etwa 22 %, gefolgt von der rechtsextremen Jobbik (14 %) an der dritten und dem liberalen Wahlbündnis „Gemeinsam 2014“ (8 %) an der vierten Stelle. Die restlichen Parteien, darunter die Grünen und die Demokratische Koalition (DK) des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány, können als „ferner liefen“ eingestuft werden.

Einen Wandel zu einem wirklich demokratischen Ungarn können aber nur die Ungar_innen selbst erreichen. Trotz vieler kleiner oppositioneller Initiativen, häufig außerhalb des Parteienspektrums, dürfte es bis dahin noch ein weiter Weg sein.

 

Als weiterführende Lektüre empfehlen wir:

KOOB, Andreas et al. 2013. Mit Pfeil, Kreuz und Krone. Nationalismus und autoritäre Krisenbewältigung in Ungarn. Unrast Verlag.

Dieter Diskovic (geb. 1979), lebt in Wien. Er ist Student der Kultur- und Sozialanthropologie, Sozialarbeiter und Musiker bei der Band Collapsing New People.

Gabriel Binder (geb. 1987), lebt in Wien und ist Angestellter und freier Schriftsteller.

Beide engagieren sich bei „Screaming Birds“, einer 2012 gegründeten Gruppe, die sich gesellschaftskritisch und in verschiedenen Formen politischen Themen widmet.

 

Neonazistische Umtriebe in Salzburg

  • 28.11.2013, 12:32

In den letzten Monaten kam es in Salzburg zu gewalttätigen Übergriffen und Sachbeschädigungen gegen antifaschistische Mahnmale und linke Lokale. Am 9. November, den Jahrestag des Novemberpogroms, beschädigten Neonazis die städtische Synagoge. Lina Čenić berichtet für progress online über Salzburgs rechte Szene.

In den letzten Monaten kam es in Salzburg zu gewalttätigen Übergriffen und Sachbeschädigungen gegen antifaschistische Mahnmale und linke Lokale. In der Nacht auf den 9. November, den Jahrestag des Novemberpogroms, beschädigten Neonazis die städtische Synagoge. Lina Čenić berichtet für progress online über Salzburgs rechte Szene.

In der Stadt Salzburg fallen bereits seit dem späten Sommer Naziparolen an Wänden, Schulen und linken Lokalen auf. Doch bereits zuvor existierte in der Stadt eine aktive rechte Szene, in der von manchen konsequent der Anschluss Südtirols an Österreich propagiert wird. Die Rechten schrecken dabei auch vor Gewalt nicht zurück und haben die beiden autonomen Läden – Sub und Infoladen -  der Stadt mehrmals angegriffen. Zudem kam es zu gewalttätigen Attacken gegen Bettelnde und Roma sowie zu rassistischen Übergriffen. Bei einem wurde eine Frau pakistanischer Herkunft in einem Bus niedergeschlagen. Sie erlitt dabei einen doppelten Kieferbruch. 2012 wurde das Lokal „Odins Bar“ geschlossen, weil eine Hakenkreuzfahne an der Bar hing, die von den Ermittelnden zwar nicht mehr gefunden wurde, stattdessen fanden sie aber rund 200 verbotene Lieder. Da Salzburg auch eine Universitätsstadt ist, sind auch die deutschnationalen Burschenschaften, wie zum Beispiel Germania und Gothia, präsent.

Anfang November diesen Jahres wurden die Türschlösser von zahlreichen zivilgesellschaftlichen und politischen Organisationen sowie von der einzigen in Salzburg noch existierenden Synagoge verklebt. Gerade in der Nacht von 8. auf 9. November, den 75. Jahrestag zur Erinnerung an das Novemberpogrom der Nazis, kam es zum wiederholten Mal zu Beschädigungen an der Synagoge. Auch zahlreiche Stolpersteine, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern, wurden geschändet. Während der ersten Schändungswelle, die bis zum 24. Oktober 2013 andauerte, wurden vorerst nur jene Stolpersteine beschmiert, die an jüdische Opfer der NS-Vernichtungspolitik erinnern. Viele der Schmierereien waren explizit antisemitisch und nationalsozialistisch codiert. Erst bei einer zweiten Schändungswelle waren auch Stolpersteine anderer Opfergruppen betroffen. Am vergangenen Wochenende kam es erneut zu mehreren Stolpersteinbeschmierungen.

 

Eine einzige Anzeige bei fünf Verdächtigen

Nach den Schändungen erstattete das Personenkomitee Stolpersteine eine Anzeige wegen Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinne. Auch der Verfassungsschutz wurde eingeschaltet. Für die Schmieraktionen von 31 Stolpersteinen und mehreren NS-verherrlichenden Beschmierungen an anderen Objekten gibt es nun einen geständigen zwanzigjährigen Tatverdächtigen, der bereits - unter anderem auch einschlägig - vorverurteilt ist. Doch nach einem Bericht des ORF Salzburg vom 25. Oktober 2013 waren mindestens noch vier weitere Personen an den Taten beteiligt und haben Schmiere gestanden. Hier hat sich möglicherweise eine rechtsradikale Gruppe zusammengefunden, um gemeinsam strafrechtlich relevante Hassdelikte zu begehen. Momentan ist der Verdächtige noch in Untersuchungshaft, die nächste Haftprüfungsverhandlung wird Anfang Dezember stattfinden.

Foto: Lina Cenic

Stolpersteine erneut beschädigt

Fest steht jedenfalls, dass der Verdächtige seit seiner Inhaftierung Ende Oktober nicht mehr für die neuen Schmierereien und Beschädigungen verantwortlich sein kann und dass es mehrere Täter_innen  geben muss. Dem Verdächtigen wird die öffentliche Betätigung für die Ziele der NSDAP sowie die Verherrlichung ihrer Maßnahmen und Einrichtungen zur Last gelegt. Weitere Personen, wie etwa die zwei Frauen und die beiden Männer, die Schmiere gestanden haben sollen, wurden nicht angezeigt. „Wir haben Ende Oktober den Beschuldigten ausgeforscht, er ist geständig zu einem Großteil der Taten. Seit Inhaftierung des Verdächtigen kam es wiederum zu neuen Beschädigungen an Stolpersteinen – diesmal wurde eine andere Farbe benützt. Der verdächtige Ersttäter kann ausgeschlossen werden. Jetzt wird im engsten Umfeld des Täters ermittelt. Es ist unklar, ob es parallel zu den Schmierereien, die früher begonnen haben, tatsächlich neue gibt, denn nach einigen Tagen bereits kann nicht mehr eindeutig bestimmt werden, wie lange die Farbe drauf war“, erklärt Hermann Rechberger, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in einem Telefoninterview am 14.11.13 und führt aus: „Sämtliche Beschmierungen zeigen eine Handschrift. Dennoch kann man nie ausschließen, dass andere mitbeteiligt waren. Entweder er hat tatsächlich alle Taten begangen, oder nach der Inhaftierung die Verantwortung für alle Taten übernommen, um andere zu schützen. Ob es eine Gruppe war, ist noch zu prüfen.“ 

 

Verdächtiger steht zu rechter Gesinnung

Momentan wird kein/e Graphologe/Graphologin zur Einholung eines Schriftgutachtens wegen der Schmierereien beschäftigt. Allerdings plant die Polizei eingehende Tatortbefragungen durchzuführen. Der sich in Untersuchungshaft befindende Verdächtige steht jedenfalls zu seinen Taten und seiner rechtsradikalen Einstellung. Hermann Rechberger gibt an, dass der Verdächtige bei den Beschuldigteneinvernahmen nicht verhehlt, dass das seine Überzeugung ist und er nur das schreibt, was er tatsächlich glaubt. Andere Einzuvernehmende kommen in einschlägig erkennbarer Bekleidung zu den Einvernahmen. Viele davon haben teilweise keinen Schulabschluss und keine Ausbildung. Ihrer Ansicht nach sind die Ausländer die Sündenböcke und schuld daran, dass sie keine Arbeit bekommen. Und Rechberger ergänzt, „Es gibt in Salzburg keinen Küssel [Anm.: Neonazi-Führer Gottfried Küssel], die Ideologen sind in Haft oder im Ausland. Die hier denken, die Beschäftigungspolitik und der Bau der Autobahnen - das war schon gut von Hitler.“

Von einer kriminellen Organisation geht Rechberger nicht aus: „Der §278a ist meiner persönlichen Meinung nach nicht für diese Gruppe gedacht, da will man an andere Gruppen rankommen.“ Über die Szene in Salzburg meint Rechberger: „Das gesamte Umfeld wird genau angeschaut. Der Verdächtige gehörte in den Dunstkreis der wegen Wiederbetätigung geschlossenen Bar, war jedenfalls öfter dort Bargast. In diesem Milieu begegnen einem immer die gleichen Personen.“

Foto: Lina Cenic

 

Doch die Beschädigungen der letzten Wochen sind leider nichts Neues. Denn die Rechtsradikalen in Salzburg haben in den letzten Jahren Einrichtungen, die einen anderen Diskurs prägen wollen und antifaschistische Arbeit leisten, beschädigt. Bereits 2011 wurden drei Stolpersteine herausgerissen. Damals wurde/n der/die Täter_innen nicht gefasst. Die Steine wurden  nachverlegt. Die Polizei hat damals das Problem  nicht in vollem Ausmaß erfasst und sprach von Metalldiebstahl, nicht von Wiederbetätigung“, erklärt Thomas Randisek vom Personenkomitee Stolpersteine in einem Telefoninterview vom 14. November 2013.

 

Salzburgs rechte Szene

Rechte in Salzburg schrecken auch vor körperlicher Gewalt gegenüber Bettelnden, Roma und people of colour nicht zurück. Denn Antisemitismus, Xenophobie und Verharmlosung des Nationalsozialismus sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. So lobte beispielsweise Bernd Huber, der Büroleiter des stellvertretenden ÖVP Bürger_innenmeisters Harald Preuner, den NS-Kampfflieger und Rechtsradikalen Hajo Herrmann in der Zeitung des Salzburger Kameradschaftsbundes als tadellosen Soldaten. Huber ist auch nach wie vor in der Stadtregierung beschäftigt und bezieht seinen Lohn aus öffentlichen Geldern. Sein Chef Preuner ist einer der Vorreiter im Kampf um ein bettler_innenfreies Salzburg und für die Einführung von Verbotszonen, in denen er  auch die  Sexarbeiter_innen aus dem Stadtbild entfernen möchte.

Der neueste Streich der Stadtregierung war die Erhöhung des Strafrahmens für wildes Campieren von € 350,-- auf € 10 000--. Auch diese von der SPÖ Salzburg mitgetragene Maßnahme zielt auf die Vertreibung und Kriminalisierung von Armut ab. Wenn der Landtagsmandatar Karl Schnell in seiner Funktion als FPÖ-Spitzenkandidat für die Salzburger Landtagswahlen ungestraft Naziterminologie benützt, dann ist das weder ein Patzer noch ein Versehen. In einem Presseinterview vom 14. April 2013 erklärte Schnell, dass es in gewissen Bereichen eine „Umvolkung“ geben würde. Diese Ausgrenzungspolitik und die Verwendung von Nazi-Begriffen sind ein Nährboden für Fremdenhass und die Stigmatisierung von Sündenböcken. In ganz Europa hat die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen wieder zugenommen.

 

Handlungsbedarf

Vor dem Hintergrund dieser wachsenden rechten Bewegung ist das Beziehen einer klaren Gegenposition unerlässlich. Ein Teil der aktiven Erinnerungspolitik muss es sein, Bezüge zur Gegenwart herzustellen und gemeinsam auf die Menschenrechte zu achten.

Gegen die neonazististischen Umtriebe hat sich in Salzburg auf Initiative der ÖH die Plattform gegen Rechts gegründet, die ein überparteilicher Zusammenschluss gegen Antisemitismus und Rassismus ist.

Eine Demonstration ist für den 29.11.13 angesetzt. Treffpunkt ist um 17:30 beim antifaschistischen Mahnmal am Hauptbahhof.

 

„Wer vom Rassismus nicht reden will..."

  • 31.10.2013, 19:49

Die Politikwissenschaterin Judith Goetz hat das Buch "NSU Terror. Ermittlungen am rechten Abgrund" rezensiert.

Seit der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und seine rassistisch motivierten Morde an mindestens zehn Menschen bekannt wurden, sind einige Bücher über das deutsche Neonazi-Trio erschienen. Im Vordergrund der teils sensationsorientierten Publikationen steht dabei vor allem, (biographische) Erklärungen für das rechtsextreme Engagement der Beteiligten zu liefern oder das Versagen des Verfassungsschutzes aufzuzeigen. Der kürzlich von Jasmin Siri und Imke Schmincke herausgegebene Sammelband nimmt hingegen das „Erstaunen“ der Öffentlichkeit über die Morde zum Anlass, den damit verbundenen politischen Diskurs zu analysieren. In der in vier Abschnitte unterteilten Publikation findet sich ein „Mosaik aus Zugängen und Perspektiven“, die einen facettenreichen Blick auf bislang wenig diskutierte Fragen ermöglichen. Zu den AutorInnen der teils wissenschaftlichen, teils journalistischen, aber auch lyrischen Beiträge und Interviews zählen neben ExpertInnen auch ein Mitglied des NSU-Ermittlungsausschusses und die Ehefrau eines vom NSU ermordeten Mannes.

Mehrere Beiträge richten den Blick auf gesellschaftlich- politische Kontexte, „die die Bedingungen für das Entstehen der Ereignisse bereitgestellt haben“. Manuela Bojadžijev beispielsweise zeigt auf, dass Alltagsrassismus und institutioneller Rassismus in staatlichen Apparaten wie der Polizei, in den Diskursen um die Morde verleugnet und ausgespart bleiben. In lediglich 30 der von ihr analysierten Texte aus deutschen Medien kam der Begriff Rassismus überhaupt vor. In weiteren medienanalytischen Texten werden verbreitete Bilder wie „Brauner Osten“, Geschlechterkonstruktionen oder das dominierende Extremismuskonzept umfassend in Frage gestellt. In Bezug auf letzteres wird aufgezeigt, dass es „sich in politischen und in medialen genauso wie in alltäglichen Debatten verselbstständigt“ und bereits großes „Unheil“ in den Diskussionen rund um Rechtsextremismus angerichtet hat, obwohl es erst seit wenigen Jahren diskutiert wird.

Insgesamt leistet der Sammelband einen profunden, vielseitigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit den NSU-Morden, der weit über die bisher geführten Diskussionen hinausgeht und längst notwendige Denkanstöße liefert. Da jedoch der Prozess gegen Beate Zschäpe noch nicht annähernd abgeschlossen ist, müssen auch dieses Werk und seine Erkenntnisse vorerst als Zwischenbilanz gewertet werden.

 

Imke Schmincke und Jasmin Siri (Hrg. innen) (2013): NSU-Terror. Ermittlungen am rechten Abgrund. Ereignis. Kontexte, Diskurse, Transcript-Verlag.

 

Judith Goetz studiert Politikwissenschaft im Doktorat an der Uni Wien.

 

 

 

Zwischen Alarmismus und Ignoranz

  • 25.10.2013, 23:24

Zur Rezeption des tatsächlichen und angeblichen Rechtsruckes. Ein Kommentar von Andreas Peham (DÖW) über die Reaktionen nach den letzten Nationalratswahlen.

Zur Rezeption des tatsächlichen und angeblichen Rechtsruckes. Ein Kommentar von Andreas Peham.

Aus einem lauen Nationalratswahlkampf, in dem sich weder die Medien noch die konkurrierenden politischen Kräfte für die Chronique scandaleuse der FPÖ interessierten und radikale Linke kaum mehr protestierend intervenierten, ging die parteiförmige extreme Rechte wenig überraschend als strahlende Siegerin hervor. Jedoch war ihr Erfolg nicht so groß, wie manche glauben machen wollen. Die FPÖ wurde nicht zweitstärkste Kraft und erlitt in ihrem Hauptzielgebiet Wien sogar Stimmenverluste. Gemeinsam mit dem BZÖ haben die Freiheitlichen im Vergleich zu den Wahlen 2008 bundesweit gar mehr als 100.000 Stimmen verloren. Dass sich Heinz-Christian Strache dennoch in Siegerpose wirft, gehört zu seinem politischen Geschäft. Rechtsextremismus und autoritärer Populismus brauchen Stärke, ja Unbesiegbarkeit, um erfolgreich zu sein. Ähnliches gilt für eine Medienindustrie, die ihr gutes Geschäft vor allem mit schlechten Neuigkeiten und Übertreibungen macht. Aber warum stimmten nach den Wahlen auch Linke in den Chor vom Rechtsruck ein?

Rechte Normalisierung. Sicher, dieser Rechtsruck ist durchaus österreichische und europäische Realität, aber er erschöpft sich bei Weitem nicht in Wahlerfolgen extrem rechter und autoritär-populistischer Parteien. Als gesamtgesellschaftliches Phänomen macht er vor den anderen Parteien nicht halt. Er drückt sich auf verschiedensten Ebenen aus: vom Abbau der Demokratie und des Sozialstaates über den Ausbau des Überwachungsund Sicherheitsstaates bis hin zur Flüchtlingspolitik. Die ausschließliche Fixierung auf die rechten Übertreiber_innen des herrschenden Konsens’ hilft (unfreiwillig), ihn abzusichern. Allzu oft verschweigen diejenigen den institutionellen Rassismus und „autoritären Wettbewerbsetatismus“ (Lukas Oberndorfer), die über den Rechtsextremismus reden. Zudem zeigt ein genauerer Blick, dass rechtsextreme und autoritär-populistische Parteien zuletzt nur in Schweden, Finnland, Frankreich, Kroatien, Ungarn und Griechenland merklich zulegen konnten. Und in bescheidenerem Maße als allerorts beklagt oder gefeiert eben in Österreich, wo sich die FPÖ seit 2005 wieder im Aufwind befindet.

Mehr als der Alarmismus ist hierzulande aber die Normalisierung des Rechtsextremismus zu kritisieren. Kaum jemand in Politik und Medien wagt es heute noch, die FPÖ als das zu bezeichnen, was sie ist: rechtsextrem. Dabei antwortete erst unlängst der oberösterreichische FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner auf die Frage, warum „die nationalsozialistische Ideologie für freiheitliche Funktionäre so attraktiv“ sei, dass es in der FPÖ „tatsächlich ein Problem“ gebe, dem „man sich stellen“ müsse: „Jede Partei hat einen Narrensaum. Bei uns schaut man natürlich – auch zu Recht – mit Argusaugen auf diesen Rechtsaußenrand. Ich gebe das offen zu, wir haben da ein Problem.“ Die Tatsache, dass der Rechtsruck der FPÖ unter Strache mittlerweile auch im neuen Parteiprogramm als Wiedereinführung des Bekenntnisses zur „deutschen Volksgemeinschaft“ Niederschlag gefunden hat, konnte die Bereitschaft zur inhaltlichen Kritik an den Freiheitlichen aber ebenfalls nicht vergrößern. Darin zeigt sich, wie problematisch es war, die Ablehnung der FPÖ fast ausschließlich an der Person Jörg Haiders und seinen NS-Verstrickungen festzumachen.

Enttabuisierung. Im Juni meinte der Verteidiger zweier Neonazis, die sich gerade in Salzburg vor Gericht verantworten mussten, über die Hintergründe der Fanatisierung seiner Mandanten, deren „Quelle“ sei eine „latente Ausländerfeindlichkeit“. „Wenn sie von einer legalen Partei zum Stimmenfang benutzt wird, darf man sich nicht wundern, wenn die Burschen nichts dabei finden, sie zur Schau zu tragen.“ Der Skandal hetzerischer freiheitlicher Agitation wird heute jedoch nur mehr selten offen angesprochen. SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas kritisierte jüngst an der FPÖ lediglich, dass sie „eine Risikopartei“ sei, die „Zick-Zack-Kurse“ fahre und „für nichts“ stehe. Diese Ignoranz gegenüber den politischen Inhalten der FPÖ macht es so schwer, ihre anhaltende „Ausgrenzung“ zu argumentieren. Als Argument für die Abgrenzung bleibt dann neben der Unberechenbarkeit nur die „antieuropäische“ Haltung der FPÖ. Und so hat sich die SPÖ-Spitze die, vor allem von gewerkschaftlicher Seite betriebene, Enttabuisierung der Zusammenarbeit mit der FPÖ selbst zuzuschreiben.

Weil offenbar die Wahrheit auch eine Tochter der räumlichen Distanz ist, wird die FPÖ heute nur mehr im Ausland als Problem gesehen. Zuletzt war es die Frankfurter Allgemeine Zeitung, das Flagschiff des deutschen Konservativismus, die schrieb, was in Österreich fast niemand (mehr) sagen will: Dass die FPÖ eine extrem rechte Partei „mit Personal aus der Neonazi-Szene“ ist und dass eine Mischung aus „Abstumpfung“ und „Ignoranz“ auch und vor allem der politischen Konkurrenz eine derartige Erkenntnis in Österreich verhindert. Tatsächlich wurde nach den Wahlen von Teilen der SPÖ (und ÖVP) betont, wie nahe man der FPÖ eigentlich sei. Diese bekundete Übereinstimmung in zentralen Politikbereichen ist ein weiterer Ausdruck des umfassenden Rechtsruckes und dessen Normalisierung, die in ihrer Bedeutung für die Erfolge des parteiförmigen Rechtsextremismus gar nicht überschätzt werden kann.

 

Andreas Peham ist Mitarbeiter beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widestandes (DÖW) und forscht zum Thema Rechtsextremismus.

Hoffnungslos überfrachtet

  • 28.06.2013, 16:03

Die Erwartungen an den NSU-Prozess sind vollkommen überhöht. Viele Medien konzentrieren sich seit Monaten auf das Verfahren in München und auf die Hauptangeklagte „Nazi-Braut“ Zschäpe. Doch ein Prozess kann keine gesellschaftliche Debatte über die Ursachen des Rechtsterrorismus ersetzen. Ein Kommentar zum NSU-Prozess von Felix M. Steiner und Patrick Gensing*

Die Erwartungen an den NSU-Prozess sind vollkommen überhöht. Viele Medien konzentrieren sich seit Monaten auf das Verfahren in München und auf die Hauptangeklagte „Nazi-Braut“ Zschäpe. Doch ein Prozess kann keine gesellschaftliche Debatte über die Ursachen des Rechtsterrorismus ersetzen. Ein Kommentar zum NSU-Prozess von Felix M. Steiner und Patrick Gensing*

Eigentlich taugen Medienthemen in der großen Öffentlichkeit eher zur Randnotiz. Beim NSU-Prozess ist das anders: Die Frage, wie viele JournalistInnen am Oberlandesgericht einen reservierten Sitzplatz erhalten, wurde zum Topthema in den größten Medien des Landes. Akkreditierungsverfahren und Losentscheidungen wurden erklärt, Anträge von Journalisten an das Oberlandes- sowie das Bundesverfassungsgericht als Eilmeldungen, also Breaking News, eingestuft. Dabei war das Kind zu diesem Zeitpunkt längst in den Brunnen gefallen. Bereits im Februar hatte beispielsweise der ARD-Terrorexperte Holger Schmidt auf die fatale Entscheidung des Oberlandesgerichts hingewiesen, den NSU-Prozess in einem viel zu kleinen Saal durchführen zu wollen. Schmidt erklärte, warum es durchaus möglich gewesen wäre, das Verfahren in einem größeren Saal, in einer anderen Stadt, in einem anderen Bundesland zu beginnen, so dass es keine Platzprobleme gegeben hätte. Und er appellierte, noch sei „Zeit, die nächste NSU-Panne zu verhindern“.

Erst mehrere Wochen später, Ende März, sprang die Öffentlichkeit auf das Thema an, als alles zu spät war, weil das Gericht – wie bereits abzusehen war – die gesellschaftliche Bedeutung des NSU-Prozesses unterschätzt hatte. Zudem scheint den Verantwortlichen am Oberlandesgericht nicht klar zu sein, dass die Medienlandschaft nicht mehr nur aus zwei Nachrichtenagenturen und einigen großen Sendern sowie Zeitungen besteht, sondern auch ausländische Medien und freie FachjournalistInnen vollkommen zu Recht ihren Platz einfordern. Gerade das Wissen von FachkollegInnen ist im NSU-Prozess unverzichtbar, damit die Berichterstattung eigene Rechercheansätze verfolgt und die Strukturen der Szene dargestellt werden. Denn hier liegt der Ansatz für weitere Fragen im NSU-Komplex.

So war es beispielsweise lediglich eine Randnotiz, dass das Oberlandesgericht die Terrorgruppe kurzerhand für aufgelöst erklärte, weil Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot sind und Beate Zschäpe in Haft sitzt. Es sei „naheliegend“, dass sich der NSU damit aufgelöst habe, so das Gericht. Doch lässt sich bereits jetzt, vor der Aussage der Angeklagten und ZeugInnen, mitten in der Aufklärung des Komplexes ausschließen, dass der NSU lediglich aus mehr als drei Mitgliedern bestand und möglicherweise weiter existiert? Zudem soll in dem Prozess ja gerade erst gerichtsfest bewiesen werden, dass Beate Zschäpe bei den zehn Morden Mittäterin war, also Böhnhardt und Mundlos alle Morde verübten. Dass der NSU aber möglicherweise aus mindestens einer weiteren Person bestand und von vielen UnterstützerInnen getragen wurde, ist bereits in seinem Bekennervideo zu erkennen. Dort heißt es: „Der Nationalsozialistische Untergrund ist ein Netzwerk von Kameraden.” Hätte man diese Behauptung zunächst noch mit Größenwahn abtun können, ist mittlerweile klar geworden, dass es zahlreiche weitere HelferInnen – und möglicherweise auch weitere TäterInnen – gab. Wie hat beispielsweise Beate Zschäpe überhaupt vom Tod ihrer beiden Gesinnungsgenossen nach dem Banküberfall in Eisenach im November 2011 erfahren? Zudem werden in dem Film an zwei Stellen vier Paulchen-Panther-Köpfe rund um den Schriftzug NSU gruppiert. Auch die ErmittlerInnen schlossen daher nicht aus, dass es ein weiteres Mitglied gegeben haben könnte. In internen Akten heißt es dazu: „An dieser Stelle würden auch weniger Köpfe eine symmetrische Darstellung ermöglichen, so dass die Wahl von vier Köpfen an zwei Stellen des Films auch Hinweis auf die zahlenmäßige Zusammensetzung des NSU sein könnte.“

Die Überraschung, dass Beate Zschäpe vor Gericht nicht als aggressive, hassverzerrte „Nazi-Braut“ auftritt, sondern adrett und harmlos, dominiert bislang die Berichterstattung. Doch zum einen war es eben der Umstand, dass Neonazis sich wie „Fische im Wasser“ mitten in der Gesellschaft bewegen können, weil sie genau aus jener kommen, zum anderen ist es naheliegend, dass Zschäpes Verteidiger ein möglichst seriöses Bild der Angeklagten inszenieren wollen. Im NSU-Komplex sind viele Fragen weiter offen: Welche Rolle spielten die „V-Leute“, Neonazis, die Informationen an den Staat verkaufen? Warum verdächtigte die Polizei in mehreren Bundesländern die Opfer und ihre Angehörigen? Warum wurde der Nazi-Terror in der Bundesrepublik jahrzehntelang verdrängt? Die Anklageschrift des Generalbundesanwalts umfasst 488 Seiten. Mehr als 600 ZeugInnen werden benannt, fast 400 Urkunden sollen die Anklage stützen, 22 Sachverständige werden zitiert. Fünf Angeklagte müssen sich in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht München verantworten. Allein Zschäpe werden 27 rechtlich selbstständige Handlungen gemeinschaftlich mit Böhnhardt und Mundlos vorgeworfen. Darunter werden zehn Morde und mehr als 20 versuchte Morde aufgeführt. Dazu kommen mehrere Banküberfälle, die Zschäpe als NSU-Mitglied mitgetragen haben soll, sowie die Brandstiftung in ihrer Wohnung in Zwickau, wobei sie den Tod von mehreren Menschen in Kauf genommen habe, so die Anklage.

Es geht in dieser Verhandlung um die persönliche Schuld der Angeklagten – nicht mehr und nicht weniger. „Dies ist schon viel, wenn man bedenkt, dass jahrelang die Falschen, nämlich die Familienangehörigen und enge Freunde, verdächtigt wurden“, betonen die Rechtsvertreter der Familie Tasköprü. Süleymann Tasköprü ist im Jahr 2001 mutmaßlich vom NSU in Hamburg ermordet worden.

 Ein Prozess kann keine gesellschaftliche Debatte über Alltagsrassismus und die Ursachen von Rechtsterrorismus ersetzen. Das Kapitel NSU wird auch nach einer möglichen Verurteilung von Zschäpe und weiteren Angeklagten nicht abgeschlossen sein. „Wir werden nicht aufhören nachzufragen, bis alle Verantwortlichkeiten geklärt sind“, betonen die Vertreter der Familie Tasköprü, denn: „Niemand darf sich durch eine mögliche Verurteilung der fünf Angeklagten reinwaschen.“

* Felix M. Steiner und Patrick Gensing betreiben das Blog Publikative.org. Steiner ist Mitarbeiter des Göttinger Instituts für Demokratieforschung, Gensing Autor des Buchs „Terror von rechts – die Nazi-Morde und das Versagen der Politik“.

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