Musik

Rave und Religion

  • 20.06.2017, 21:23
Familie, Gemeinschaft, Energie – allein begrifflich lassen sich Analogien von Techno und Religion wiederfinden. Wird Rave zur Ersatzreligion?

Familie, Gemeinschaft, Energie – allein begrifflich lassen sich Analogien von Techno und Religion wiederfinden. Wird Rave zur Ersatzreligion?

„Ich würde nur an einen Gott glauben, der es zu tanzen verstünde“, sagte Nietzsche. Ganz schön weise, denkt sich da die Technoide. Scheinen auf den ersten Blick religiöser Glaube und die Technoszene gegensätzliche Phänomene zu sein, kristallisieren sich jedoch bei genauerer Betrachtung einige Parallelen heraus.

Religiöse Werte verlieren hierzulande zunehmend an Wichtigkeit. Wissenschaftlich wird von einem Gestaltwandel von Religion gesprochen. Die Relevanz und gesellschaftliche Präsenz verschiedenster Arten der Vergemeinschaftungen hingegen, Subkulturen, die an moderne Wertvorstellungen anknüpfen, gewinnen an Bedeutung. Besonders interessant ist die Technoszene, da es sich keineswegs um einen flüchtigen Trend, sondern ein Phänomen handelt, das einen festen Platz in der westlichen Gesellschaft hat.

SYNERGIEN. In der modernen Gesellschaft verschwimmen zunehmend Sinnhorizonte, Indifferenz nimmt zu und Kontrastierungen werden entkräftet. Traditionelle Weltbilder erodieren und gemeinschaftlich gefasste Lebensstile zerfallen mehr und mehr. Will man Techno und Religion vergleichen, sind vor allem ihre Funktionen interessant. Der Soziologe Emile Durkheim untersucht grundlegende Formen des religiösen Lebens. Daraus leitet er unterschiedliche Funktionen von Religion ab und sieht diese als auf heutige Religionen übertragbar an. Die Hauptfunktion von Religion ist, die Welt für das Individuum zu strukturieren; ein Begriffssystem zu schaffen, mithilfe dessen die Welt vorstellbar und erklärbar ist. Außerdem prägt Religion das ethische Bewusstsein – sie lehrt die Menschen, „richtig“ zu leben.

Die Idee von Techno ist Freiheit und Spaß. Die Szene steht zwar einerseits im starken Gegensatz beispielsweise zu christlichen Moralvorstellungen, die in ihrer monotheistischen und puritanischen Beschaffenheit verantwortlich für die Regulierung alternativer kultureller Strömungen sind. Andererseits finden sich einige Parallelen. Solidarität und Zusammengehörigkeit sind sowohl in den Glaubensgemeinschaften als auch der Technoszene geteilte Überzeugungen, die von konstitutiver Kraft für die Weltanschauung der AnhängerInnen sind. Ein Kollektivgefühl, das sich als fühlbare Einheit äußert.

Ganz deutlich wird hier die Brücke zum Techno: Bei Events geht es darum, Teil eines Ganzen zu sein. Die Technoiden sprechen von „We are Family“. Insbesondere enge FreundInnenschaften fallen hier ins Gewicht, bieten sie doch Schutz, sich ausgelassen und schamlos dem Exzess hingeben zu können. Die Zugehörigkeit zur Technoszene beruht auf einer freiwilligen emotionalen Bindung der Mitglieder. Somit kann zwar von Unbeständigkeit gesprochen werden, dennoch ist in den Augenblicken der Verdichtung, beim dezidierten Ausleben des Technoiden, die Intensität von atemberaubender Stärke.

Durch Religion bewältigen wir Angst, sie hilft uns, unsere Identität zu bilden, macht den Kontakt mit dem Unbegreiflichen, dem Außergewöhnlichen möglich. Die funktionale Perspektive Durkheims wird durch Überlegungen von Franz-Xaver Kaufmann erweitert. Religionen helfen im Umgang mit Leid und damit, das Chaos der Welt durch Unterbrechungen des Alltags zu strukturieren, um so Mängel der ökonomisierten und digitalisierten Welt zu kompensieren. Überdies fungiert Religion auch als Kritik – so besteht eine Funktion doch im Aufbau von Gegenwelten wider als unmoralisch erfahrene Gesellschaftszustände.

LOVE, PEACE & UNITY. Ist die Technoszene scheinbar ein Ort des losen Zusammenkommens, des Spaßes, Exzesses, des Tanzes und Rausches, werden die von Kaufmann ermittelten Funktionen von Religion auf unterschiedliche Weise in ihr erfüllt. Insbesondere Jugendliche grenzen sich mit der Konzeption Techno von anderen Subkulturen ab und identifizieren sich mit den Gepflogenheiten der Szene. Persönliche Freiheit, die Verschiebung weiblicher und männlicher Körperbilder sowie das Spiel mit Geschlechterrollen stellen nur einige Beispiele dar, mit denen sich AnhängerInnen der Szene identifizieren.

Durch die stark repetitive, physisch wahrnehmbare Musik und die Unterstützung derartiger Empfindungen durch den Konsum von Drogen entsteht ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Im Wunsch nach Ekstase wird auch die romantizistische Tendenz der Szene deutlich. Sie ist ein Ort der Sehnsucht und Phantasie, wo die RaverInnen vor alltäglicher Verantwortung Zuflucht suchen. „Love, Peace und Unity“ lassen sich als Vorwegnahme des Paradieses begreifen. Zur Anleitung im Umgang mit Unglück bietet die Technoszene keine großen Theoriegebilde. Dennoch sprechen RaverInnen oft von ihrer „Familie“. In der Wissenschaft ist von einer „posttraditionellen Gemeinschaft“ die Rede, die nicht nur zum Hort von Zärtlichkeit wird, sondern auch praktische familiäre Funktionen übernimmt.

Nicht zuletzt zeigt sich in den Ursprüngen der Technoszene ihr Protestpotenzial. Sie steht für Toleranz, für Friedlichkeit. Mehr und mehr scheint das subkulturelle Protestpotenzial im Zuge der Kommerzialisierung abzunehmen. Nichtsdestotrotz versucht Techno auch heute noch unkonventionell, unkommerziell und anders zu sein. Der Untergrund – und das ist auch schön in Anja Schwanhäußers „Kosmonauten des Underground“ zu lesen – ist im stetigen Wandel. Das Freisein der Technoiden ist dabei oberstes Gebot.

Was geht daraus hervor? Unterschiedliche Möglichkeiten bieten sich an, Bedürfnisse nach Strukturierung, nach Kontakt mit etwas Höherem, nach Gemeinschaft zu befriedigen. Techno ist scheinbar eine davon.

Charlotte Madden studiert Soziologie und Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.

The XX – „I See You“

  • 11.05.2017, 09:00
Katja und Marie Luise haben sich The XXs "I see you" angehört.

Katja: Bei der Vorabsingle „On Hold“ musste ich mich doch sehr wundern, in welche Richtung sich The XX bewegen. Der Song klang extrem aufgesetzt nach 80er-Jahre-Synthieschnulze, vor allem durch das Vocalsample von Hall & Oates von „I Can’t Go For That (No Can Do)“ im Refrain, das mich extrem nervte. Auch inhaltlich bot der Track keinerlei Reiz, ganz im Gegenteil (ein Lovesong, der davon handelt, dass man dachte, man hätte jemanden „on hold“ – cringeworthy!). Doch zum Glück war „On Hold“ wirklich ein totaler Ausreißer und der Rest des Albums überzeugt mühelos. Die Kernkompetenz von The XX liegt einerseits im melancholischen, perfekt arrangierten Zweigesang zwischen Romy und Oliver und andererseits in den langsamen, minimalistischen Schleppbeats von Jamie. Von beidem gibt es auf dem Album mehr als genug. Ganz besonders „Say Something Loving“ hat es mir angetan. Dieses sehnsüchtige Duett zwischen zwei Liebenden, die nostalgisch in die Vergangenheit schauen und einen Funken Liebe einfordern, ist herzzerreißend schön. Die entschleunigten Sounds von The XX kann ich mir täglich anhören und es wird nicht langweilig.

Marie Luise: Mir fällt es beim Hören schwer, festzumachen, was das Neue auf „I See You“ von The XX ist. Es hat sich etwas verändert, soviel ist klar. Die Stimmung bleibt, aber musikalisch scheint vieles reicher geworden zu sein. The XX sind immer schon durch Ruhe und sensible Gefühlstexte aufgefallen. Wörter, die in einer Rezension in Kombination mit The XX aufzählbar sind: Elektronik, Soundscapes, Beatarchitektur, Stimmungen, Musikräume, Flächen. Auf ihren vorherigen Alben haben sie ihre Arrangements so gewählt, dass die Lieder live auf Bass, Gitarre und programmierter Drummachine zu spielen waren. Dieses Mal hatte der Produzent der Band, Jamie XX, der 2015 sein erstes Soloalbum („In Colour“) herausgebracht hat, viel mehr Freiheiten, an den Beats, den hier und dort unauffällig eingespielten elektronischen Strings und den Bläsern zu feilen. In den Liedern ist ein größeres Spektrum an Varianten dazugekommen, produktionstechnisch, aber auch im Gesang. Sie sind so ernst dabei, über die großen Gefühle zu singen, wie es auch Teenager sind. So ernst, wie die großen Gefühle sich auch anfühlen, wenn man verliebt ist. The XX zu hören ist schön. Es geht einem ein bisschen das Herz auf und man kann dazu großartig schmusen. Tanzen vielleicht weniger.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien, nur dieses Semester nicht.Marie Luise Lehner studiert
Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien.

Schnipo Schranke – „Rare“

  • 11.05.2017, 09:00
Katja und Marie Luise haben sich Schnipo Schrankes „Rare“ angehört.

Katja: Seit der Single „Pisse“ sind sie die deutschen Lieblinge des Feuilletons, werden gelobt von der Süddeutschen, der FAZ und im Intro: Schnipo Schranke. Das Duo bringt das neue heiße Ding, das früher etwa „freche Frauen“ genannt wurde, endlich in den rechten Rahmen. Fäkalien, Liebeskummer und Tierleichen sind die Themenschwerpunkte der Band – also sehr nah an ähnlichen Ausnahmekünstlerinnen wie Stefanie Sargnagel, aber eben auch grob vertont. „Grob“ schreibe ich, um nicht das minderwertige „rotzig“ schreiben zu müssen, da seltsamerweise immer nur Musik weiblicher Musikerinnen mit dieser Eigenschaft versehen wird. Das neue Album „Rare“ knüpft nahtlos an „Satt“ aus 2015 an. Sie klingen manchmal wütend, angepisst, gelangweilt, leicht apathisch gar, haben aber immer eine grauslich-spannende Geschichte zu erzählen. Mal gibt es eine tote Katze zum Geburtstag, mal spielt sich der ganze Song um eine trashig-lustige Wortspielerei herum ab („Pimmelreiter“) – das Intro hingegen ist eine melancholische Instrumentalnummer. Es hat sich schon einiges getan in den letzten zwei Jahren. Es wird auch erwähnt, dass sie jetzt berühmt seien und dass sich trotzdem nicht viel geändert habe. Die Reime sind immer noch so schräg und real, dass es Helge Schneider die Barthaare vor Neid weiß gefärbt hat.

Marie Luise: Schnipo Schranke sind mir das erste Mal mit dem Song „Pisse“ aufgefallen, in dem sie auf lustige Weise stereotyplos, unrein, rotzig und stark gereimt haben. Schon damals fand ich die anderen Lieder nicht so aufregend. Auf dem neuen Album ist leider auch nicht viel Spannendes passiert. Musikalisch besticht es recht wenig. Ich höre mich durch die Platte, höre auf, als das Lied „Stars“ mit „Ne Nutte spricht mich an, weil ich mich einfach nicht als Frau verkleiden kann“ beginnt. Könnte spannend werden, denke ich. Es geht dann aber hauptsächlich um das egozentrierte Leben „unserer Generation“. Das Thema ist leider genauso alt wie „unsere Generation“. Um eine ähnlich passive Haltung gegenüber dem Rest der Welt geht es in dem Lied mit dem Titel „Pimmelreiter“ mit dem Refrain „Ich bin der Pimmelreiter (…) Ich reit’ durch Pipi, Sperma und so weiter“. Es kann schon ziemlich cool sein, wenn all-female*-bands über Sekrete und Körperflüssigkeiten singen, bloß alleine reicht das halt auch nicht. Ich hab die beiden in ihrem Auftreten aber zu gern, um jetzt so schlecht über sie zu enden. Das nächste Album zum Beispiel könnte richtig gut werden, wenn sie mal was Neues ausprobieren und aus der erprobt-bewährten Komfortzone herauskommen.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Universität Wien, nur dieses Semester nicht.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie Wien.

Drugs, Violence and Rock ’n’ Roll

  • 10.05.2017, 19:08
Im Film „Gimme Danger“ ergründet Jim Jarmusch mit Iggy Pop die Geschichte von Pop`s erster Band „The Stooges“. Und kommen zum Schluss: sie waren die Grössten.

August 1970, Goose Lake International Pop Festival: Benebelt von einer Substanz, die er „für Kokain hielt“, räkelt sich Iggy Pop, Frontmann der Rock-Band "The Stooges", auf dem Boden einer Holzbühne, während die restlichen Musiker das Stück „1970“ intonieren. Pop rafft sich auf, gestikuliert wild, tanzt und stolpert schliesslich dem Publikum entgegen. Aufgebracht durch die Bühnenabsenz des Stooges-Bassisten Dave Alexander, der zu betrunken ist, um noch spielen zu können und in diesem Moment das Waterloo seiner Musikerkarriere erlebt, versucht der Sänger das Publikum aufzuwiegeln. Die Performance endet – wie so oft in der Geschichte der Stooges – in Chaos und Tumulten.

Es ist dieser Prototyp der Punkattitüde, dem der Filmemacher Jim Jarmusch zusammen mit dem Stooges-Frontmann in seiner Doku „Gimme Danger“ nachspürt. Iggy Pop erzählt in dem knapp zweistündigen Film über seine Kindheit in den 1950er Jahren, seinen musikalischen Werdegang bis zur Gründung der Stooges 1967, deren Geschichte über drei, für das gesamte Rockgenre wegweisenden Alben, das unrühmliche Ende der Band im Bierflaschenhagel eines wütenden Biker-Gang-Publikums in einer Spelunke Detroits 1974 und letztlich das Comeback 2003.r

Der Film bietet einiges an interessanten Hintergrundinfos und vermag es dabei, die kulturhistorische Verwurzlung des Phänomens Stooges in der 1960er-Jahre Gegenkulturbewegung aufzuzeigen – wenngleich die Band nie etwas mit Flower-Power am Hut hatte (Pop: „Ich habe geholfen, die 60er zu vernichten“). Leider ist die Strukturierung des Films mit schnellen Schnitten etwas chaotisch und so ist es ohne Vorwissen bisweilen schwer zu folgen.

Selbstredend ist der Film auch Werbung in eigener Sache: Es nicht verwunderlich, dass im Verlaufe des Films der viel reklamierte Titel „grösste und wirkungsmächtigste Band aller Zeiten“ beansprucht wird. Gleichsam kommt dank Pops charismatischer Persönlichkeit niemals Langweile auf und speziell für alle Fans des Punk- sowie Garage-Rock Genres ist „Gimme Danger“ absolut zu empfehlen.

Livio Hoch studiert Rechtswissenschaften an der Universität Wien, hat aber fast so viel Interessensgebiete wie das ABGB Paragrafen

 

Imany – The wrong kind of war

  • 23.02.2017, 19:15

Katja: Imany sollte man wegen ihres Nr.-1-Hits „Don’t Be So Shy“ kennen, der heuer als Remix schon die österreichischen Charts angeführt hat. Das lässt schon vermuten, dass Imanys Stimme und Songwritingqualitäten erste Sahne sind – aber für einen Superhit braucht es manchmal ein paar zusätzliche Beats und Breaks. So kann man nur hoffen, dass sie auf Albumlänge noch ein paar Fans mehr gewinnen kann, ganz allein und durch die Geschichten, die sie eher ruhig und unaufgeregt erzählt. Und tatsächlich sind die Geschichten der Kern der Songs auf „The Wrong Kind Of War“. Normalerweise finde ich Singer-Songwriter- Alben nicht so spannend, aber Imany überzeugt mich auf dieselbe Art, wie mich damals Norah Jones von sich überzeugen konnte. Es war nicht besonders cool oder edgy, diese Musik zu hören, aber muss es denn immer Gitarrenlärm oder Elektrogefriemel sein? Von der durch Imany kreierten musikalischen Atmosphäre und ihrer einlullenden Stimme kann sich selbst Feist noch was abschneiden.

Marie Luise: „The Wrong Kind of War“ ist vier Jahre nach Imanys viel gefeiertem Debütalbum „The Shape of a Broken Heart“ erschienen. Damals hat die Pariserin über 400 Konzerte gespielt und fast eine halbe Million Alben verkauft. Mit ihrer im Juli erschienenen Single „Don’t be So Shy“ war sie wochenlang Nummer eins in den französischen Charts. Imany hat zunächst als Model gearbeitet und ihre Musikkarriere viel später begonnen, als die meisten andern MusikerInnen, die derart hohe Verkaufszahlen erzielen. Auch für die Musik auf der neuen Platte hat sie sich viel Zeit genommen. Sie sagt, sie habe sehr viel geschrieben und wieder verworfen, sie sei viel gereist und habe die Lieder für „The Wrong Kind of War“ in Paris und Dakar aufgenommen. Der Sound erinnert manchmal an Tracey Chapman, manchmal an Bob Dylan. Ihre neuen Lieder sind von einer starken Melancholie durchzogen. Zu den meisten Songs gibt es schöne Videos. Imany singt über Liebe und Gefühle, ist aber auch sozialkritisch. Im ersten Song des Albums singt sie über den medialen Umgang mit Kriegsberichterstattung und Gewalt, die im Fernsehen verherrlicht werde. In „There were Tears“ singt sie „Freedomfighters, here I am, knock on my door“ und später im Song: „If there is no justice, there will be no peace“.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie.

Milliarden – Betrüger

  • 23.02.2017, 19:07

Katja: Ich hab die Band Milliarden zum ersten Mal im Radio gehört, was heutzutage bei mir selten genug vorkommt. Es war der Song „Oh Cherie“ und zu Beginn hab ich nicht wirklich auf den Text geachtet, sondern mich gefreut, mal wieder einen guten Rocksong zu hören. Meine Schwäche für deutschen Jungs*schrammelkram ist allgemein bekannt, deswegen sollte mir Milliarden zusagen. Als ich dann aber, ein paar Tage später, den Song noch einmal hörte und sich der Text in meinen Kopf bohrte, war der Zauber dahin. Da wird tatsächlich eine schlichtweg gewalttätige Beziehung verharmlost mit Zeilen wie „damit du meine Liebe spürst, tu ich dir weh“. Das geht einfach nicht, das kann ich mir unmöglich anhören. Als Marie diese Platte für die Rezensionen vorschlug, wollte ich der Band noch eine Chance geben und mir ihren Langspieler „Betrüger“ anhören. Doch es sollte noch viel schlimmer kommen. Zum Beispiel mit dem Song „Freiheit is ne Hure“. Da singt Frontman Ben Hartmann von Dingen, die er gerne wäre (Mörder, Terrorist, Denker und reich), und auch von Dingen, die er gerne hätte: Krieg, Frieden, HIV und Armani. Ja, richtig. Kein Scherz. HIV und Armani kommen tatsächlich so nebeneinander vor. Passend dazu bezeichnet er die Freiheit als Hure und sich als ihr Kind. Mehr muss ich eigentlich nicht dazu sagen. Privilegierte Lausbuben wollen „Punk“ machen.

Marie Luise: „Du reißt mir die Haare aus, ich schlag dir die Zähne ein“, sind die ersten Zeilen der Platte und genau so geht es weiter. Schon bevor ihr Debütalbum erschienen ist, haben die beiden Musiker Ben Hartmann und Johannes Aue riesige Konzertsäle gefüllt. Bei „Rock im Park“ haben sie sogar die Hauptbühne vor tausenden ZuschauerInnen eröffnet. Die Band versucht mit eingängigen Lines zu glänzen. Der Stil erinnert an Ton, Steine, Scherben, schafft es aber nicht, an das Vorbild heranzukommen und entpuppt sich als bloße Kopie von etwas, das es schon in verschiedensten Spielformen gab. Wir haben es mit Mackern zu tun. Einer der Songs auf dem Album heißt „Freiheit is ne Hure“. Auf dem Cover sind zwei abgetrennte Köpfe und gespreizte Frauenbeine zu sehen. Es ist erstaunlich, wie viel Bühne es für Männermusik gibt. Irgendwann beim Hören muss man unweigerlich an Wanda denken. „Und ohne was zu haben, habe ich Milliarden“, singt Ben. Das Album klingt nach Wohlstandspunk.

Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst und Drehbuch an der Filmakademie.

„Ich bekomme Schmerzen, wenn Leute Texte singen.“

  • 09.06.2016, 19:34
Wir sprachen am Coded Cultures mit Electric Indigo und Angélica Castelló über Alienstimmen, Schablonensongs und restriktive Clubmusik

Am diesjährigen Coded Cultures Festival bespielten die DJ und Musikerin Susanne Kirchmayr aka Electric Indigo und die Performerin und Musikerin Angélica Castelló eine ehemalige Polizeistation in Wien. Marlene Brüggemann sprach für progress mit ihnen über Alienstimmen, Schablonensongs und restriktive Clubmusik.

progress: Welche Technologie ist für die Musik die unwichtigste?
Kirchmayr: Presets (lacht).

Warum?
Kirchmayr: Presets sind eine Falle in die man gerne stolpert. Das blöde bei Presets ist, es fällt Leuten, die sich ein bisschen damit beschäftigen, sofort auf, wenn du sie verwendest. Presets sind total lame, auch wenn sie auf Platten von Michael Jackson und Pet Shop Boys zu hören sind. Das ist wie wenn du malen würdest, aber von jemanden anderen dafür die Schablonen kaufst.
Castelló: Ich finde eher der Looper, aber das ist Geschmackssache. Wenn die Technik nur als Technik verwendet wird, ist sie überflüssig. Wenn man was zu sagen hat, kann man das mit egal was sagen. Presets hab ich noch nie verwendet, weil ich keinen Computer verwende (lacht).

Würdet ihr euch als Soundkünstlerinnen_ bezeichen?
Kirchmayr: Ich für mich sicher. Ich kann keine Songs schreiben.
Castelló: Komponistin, Künstlerin, Performerin, aber Soundkünstlerin ist global.

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Was treibt euch an, neue Klänge zu entdecken?
Castelló: Für mich ist es mein Instrument, die Blockflöte, die musikalisch oft zu wenig ausgeschöpft wird. Sie ist mein Zentrum und Antrieb als Performerin. Ich versuche den Mangel meines Instruments und auch der Stimme in ein klangliches Universum zu transformieren.
Kirchmayr: Bei mir ist es ein Spieltrieb, also ein Spielen mit meinen Werkzeugen, der Hardware oder auch der Software. Was ich in den letzten Jahren gerne mache, ist ein Ausgangsmaterial möglichst vielfältig zu verfremden bzw. weiter zu prozessieren. Ich beschränke mich zum Beispiel auf eine Audioaufnahme von einem Satz, den jemand sagt und aus dem mach ich ein langes Stück Musik, das viele verschiedene Klänge hat.

Ihr beide arbeitet oft mit Sprachaufnahmen. Was fesselt euch an ihnen?
Kirchmayr: Ich studierte zwei Jahre lang Linguistik und finde Grammatik und die Bedeutungsverschiebungen, die sich durch grammatische Unterschiede ergeben können nach wie vor spannend. Diese Freude am Spielen mit Sprache findet in meiner Musik einen Niederschlag. Mit Vocals habe ich aber ein Problem. Ich mag immer die Instrumentalversion von Stücken lieber. Wegen meiner Aversion gegen Messages, habe ich aus Prinzip keine (lacht).
Castelló: Mir geht es ähnlich. Schon als Kind war ich immer die, die keine Ahnung von den Wörtern in Songs hatte, auch wenn sie auf Spanisch waren. Meine Schwester konnte immer die Songtexte von Queen oder Pink Floyd verstehen, obwohl sie nicht gut Englisch konnte. Ich dagegen bekomme Magenschmerzen, wenn Leute Texte singen. Umso mehr mag ich Sprachen, die ich nicht verstehe. Alles was die Menschen dann sagen, kann nur schön, geheimnisvoll oder magisch sein. Deswegen faszinieren mich Radio- oder versteckte Alienstimmen. Also eher die weirden Stimmen, bei denen man nicht genau weiß, ob sie von dieser Welt sind.
Kirchmayr: Sprichst du mit Aliens (lacht)?
Castelló: Ja! Durch meine Flöte (lacht).

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Macht es für euch einen Unterschied, ob ihr in einem Club, Konzertsaal oder einer ehemaligen Polizeistation Musik spielt?
Castelló: Total. Ich kann nicht ein Konzept haben und das überall spielen. Meine Medien, die Flöte, die Instrumente und auch Kassetten, sind alle low-fi. Meine Musik ist davon abhängig, wie der Raum ist und ob es eine_n Tontechniker_in gibt oder nicht. Da muss ich mich anpassen.
Kirchmayr: Während des Spielens am Coded Cultures war mir überhaupt nicht bewusst, dass ich in einer ehemaligen Polizeistation bin. Nach dem Soundcheck kam ein Mann vorbei, der ziemlich verstört war. Er meinte, 1991 hätte die Polizei ihn hier mit einem Sack über den Kopf und mit Schlägen eines Telefonbuchs auf den Hinterkopf abgeführt. Er wollte auch nach 25 Jahren nicht in den Raum hineingehen. Sonst hatte die Location aber nichts bedrohliches mehr an sich.
Castelló: Die Konzerte waren auch so laut, da führten wir schon eine Katharsis durch. Falls in der ehemaligen Polizeistation schlechte Geister waren, sind die jetzt futsch.
Kirchmayr: Prinzipiell finde ich es super, wenn man alle Arten von Räume in Beschlag nimmt. Das ist eine Aneignung von öffentlichen Raum, in die man sonst nicht ohne weiteres reinkommt. Die Umdeutung eines Ortes ist immer interessant.

Was sind Mindestansprüche an einen Veranstaltungsort?
Castelló: Ich könnte egal wo spielen, aber ich bräuchte eine_n super Tontechniker_in und eine super Musikanlage. Als Vergleich: Wenn du Profipianist_in bist, schleppst du dein Instrument nicht mit. Dann bist du auf das Instrument vor Ort angewiesen. Aber ein_e Pianist_in spielt kein Konzert auf einem Klavier, das verstimmt ist oder bei dem zwei Tasten fehlen. Bei aller Liebe zum Trash – es geht sich nicht immer aus und macht nur die Ohren kaputt.

Was braucht ihr um euch als Veranstaltungsbesucherinnen_ wohl zu fühlen?
Castelló: Einen Kühlschrank, eine gute Anlage und ein Klo.
Kirchmayr: Und ein gutes Team, die machen die Atmosphäre. Stichwort gute Anlagen: Die sind in den meisten Wiener Clubs skandalös schlecht. Den Wiener_innen reicht es, wenn es was zu trinken gibt und es richtig wrummt. Auf einer schlechten Anlage kannst du Radiomusik spielen, die sich im Frequenzspektrum der menschlichen Stirn abspielt, weil du nur eine leicht eingängige Melodie hören musst. Musik, die eine große Wucht vom Sound und den Bässe her braucht, funktioniert auf schlechten Anlagen nicht.

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Glaubt ihr zu eurer Musik wird in naher Zukunft in den Clubs getanzt?
Castelló: Ich mache Filmmusik und elektroakustische Musik, also nein. Ich bin nicht so der Clubmensch. Ich liebe Tanzen, aber ich verstehe den Beat nicht.
Kirchmayr: Mir fällt es viel schwerer Club-kompatible Musik zu machen, weil sie viel restriktiver ist. Was in den Clubs besser funktioniert, ist das Funktionale, das einfach zugänglich ist und den_r Hörer_innen schon bekannt vorkommt. Es gibt aber auch andere Musik, die komplexer, vertrackter und nicht so ganz zugänglich sind.
Castelló: Ist die auch zum Tanzen?
Kirchmayr: Ein Groove ist schon dabei. Ich rede von Dancefloormusik.
Castelló: Ich stehe auf die Latino-Rythmen. Vielleicht mach ich mal eine experimentelle Cumbia (lacht).

Ihr schaut auf eine eine 20-jährige Zeit des Musikmachens zurück und habt zahlreiche Preise und Stipendien erhalten. Legt ihr noch auf kleinen Technoparties auf oder bespielt Keller?
Kirchmayr: Die Stipendien, so wie ich eines vom Bundesministerium bekommen habe, sind keine Vermögen. Du bekommst in einem Jahr soviel wie ein_e halbwegs arrivierte_r Künstler_in für einen Auftritt. In jeder Biografie von Künstler_innen stehen Preise drinnen und wenn man keinen hat, ist das doof. Preise sind gut, wenn man darauf angewiesen ist, etwas auf den Tisch legen zu müssen.
Castelló: Das Niveau des Finanziellen ändert sich mit Preisen und Stipendien nicht. Ich bin nicht edel geworden – im Gegenteil. Die Anerkennung macht dich halt ein bisschen mehr sexy.

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

Annenmaykantereit – Wird schon irgendwie gehen

  • 05.12.2015, 18:14

KATJA: Einen kleinen Warnhinweis möchte ich vorwegschicken: Wer Probleme mit einer Reibeisenstimme à la Hafenarbeiter um fünf Uhr früh nach zehn Jägermeistern und mindestens drei Schachteln Zigaretten hat, wird sich wohl nie mit dem Sound von AnnenMayKantereit anfreunden können. Denn Henning May (ein Name wie eine Explosion!) dominiert mit seinem Gesang auf den Tracks genau genommen alles. Der Rest an Gitarre und Schlagzeug (Typ: direkt aus der Garage) kommt ebenso kantig daher, auch wenn May manchmal sein Klavier anstrengt und eine Ballade geschmettert wird. Ganz unerwartet kommt die Band aus Köln und nicht aus Hamburg, auch wenn alles nach Küste und schneidend kaltem Wind klingt. Nun darf man bei diesem Vergleich aber nicht an die Hamburger Schule denken, denn damit haben die drei nichts am Hut. Eigentlich schreit alles in einer Tour: Männlichkeit, Fäuste, Bier und Bartstoppeln. Inhaltlich ist es sehr rührselig, aber das geht im Sound total unter. Apropos Tour: Alle ihre Konzerte für 2016 sind ausverkauft, außer der Auftritt im republic in Salzburg. Liebe Salzburger*innen, das sieht komisch aus, besorgt euch schnell noch ein, zwei Karten!

MARIE LUISE: Nicht mehr ganz so neu, aber trotzdem noch in aller Munde, ist das Album dieser Band, die mit Straßenmusik angefangen hat. Ein bübisch aussehender junger Mann singt mit einer rauchigen tiefen Stimme, zu der schweißüberströmt getanzt werden kann. In der Zwischenzeit haben die drei Kölner schon mit KIZ zusammengearbeitet. Das Album „Wird schon irgendwie gehen“ läuft im Radio auf und ab, die Klickzahlen ihrer selbstgedrehten Videos vervielfachen sich und sie spielen nur noch in ausverkauften Clubs. Die deutschen Lyrics berühren hart, dazu Indie-Folk vom Feinsten. Der auf Konzerten beliebteste Titel der neuen Platte, „Oft Gefragt“, ist eine Liebeserklärung des Sängers Henning May an seinen Vater. Der reißt sich dabei musikalisch das Herz aus der Brust und reißt mich mit. Die ganze Platte macht Sinn und die Musik funktioniert durch und durch!

 

Katja Krüger ist Einzelpersonenunternehmerin und studiert Gender Studies an der Uni Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

Adele – 25

  • 05.12.2015, 18:10

KATJA: Adele – der weibliche Star, der ausnahmsweise keine Diva ist, sondern eine grundsympathische, unglamouröse und talentierte Sängerin. Nicht so profillos wie andere britische Singer/SongwriterInnen wie zum Beispiel Ed Sheeran, der es auf dieselbe Art probiert. Es ist also nicht möglich, Adele nicht zu mögen. Aber was kann ihr drittes Album, 25? Von der stimmgewaltigen, pathetischen Eröffnungsnummer „Hello“ über sehr reduzierte Klaviernummern ist die komplette Bandbreite der Melancholie abgedeckt. Zwischendurch gibt es mal eine etwas temporeichere Nummer mit Akustikgitarre und Rhythmusgeräten. Egal auf welche Art und Weise ein Song daherkommt, inhaltlich geht es um die üblichen Verdächtigen: Herzschmerz („I miss you“), Herzschmerz („Hello“) oder Herzschmerz („All I ask“). Allerdings verschwimmt das alles nicht in einem Traurigkeitsbrei, sondern behält einen eindeutigen Wiedererkennungswert. Ob das nun an den eingängigen Texten liegt („You look like a movie, you sound like a song, my god this reminds me, of when we were young”) oder an der eigenwilligen Stimmung in jedem einzelnen Song, kann und soll hier nicht geklärt werden.

MARIE LUSIE: Eine der erfolgreichsten Musikerinnen des 21. Jahrhunderts bringt eine neue Platte heraus. Das neue Album wird melancholisch. Viel steht auf dem Spiel – der Albumrelease hat sich verzögert. Ihr Album „21“ wurde 30 Millionen Mal verkauft. Ein Erfolg, der schwierig zu wiederholen ist. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass die Frau, die sich gegen aus ihrer Sicht zu niedrige Streampreise wehrt, es schaffen wird. „25“ steht nur zahlenden Hörer*innen zur Verfügung und ist nicht bei Spotify abrufbar. Der Clip zur Single „Hello“ wurde vom kanadischen Regisseur Xavier Dolan produziert. In Sepiafarben ist Adele zu sehen, wie sie in ein verlassenes Haus zurückkehrt: Lange Einstiegssequenz, sie öffnet die Augen, die Musik setzt ein. Es geht um Neuanfänge. Bekannte ProduzentInnen und SongwriterInnen haben an dem Album mitgewirkt. Der Produzent von „Hello“ hat auch schon für Beyoncé und Sia gearbeitet. Resultat ist ein auf allen Ebenen sehr geschmackvolles Album.

 

Katja Krüger ist Einzelpersonenunternehmerin und studiert Gender Studies an der Uni Wien.
Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

Schauen, was ich kann

  • 25.06.2015, 10:43

Natalie Ofenböck ist eine der beiden Stimmen des #oehwahlfahrts-Jingles und Ohrwurms „Hallo“ von Krixi, Kraxi und die Kroxn. progress hat mit ihr über Aufwecklieder, Tastatur-Klack-Geräusche und Katzenkalender gesprochen.

Natalie Ofenböck ist eine der beiden Stimmen des #oehwahlfahrts-Jingles und Ohrwurms „Hallo“ von Krixi, Kraxi und die Kroxn. progress hat mit ihr über Aufwecklieder, Tastatur-Klack-Geräusche und Katzenkalender gesprochen.

progress: Gehst du tatsächlich jeden Tag in den Prater?
Natalie Ofenböck: Nein. (lacht) Aber ich bin schon oft dort, ich wohne ja nicht weit weg. Ich mag den Prater sehr gerne, den Grünen wie auch den Wurstelprater.

Krixi, Kraxi und die Kroxn sind nicht drei Freund_innen, sondern 17 Menschen: Wie funktioniert das als Bandprojekt?
Bei der ersten CD haben wir zu zweit bzw. zu dritt Lieder geschrieben und aufgenommen. Später erst haben wir Leute eingeladen, ihnen unsere Lieder vorgestellt und dann hat jeder dazu gemacht, was er wollte oder konnte. Irgendwann waren wir dann bei 17. Aber bei keinem Lied haben alle 17 mitgemacht. Wir hatten kein einziges Konzert, wo alle dabei waren. Einmal  waren wir 16.

Du und Nino aus Wien tretet öfter zu zweit auf. Ihr habt auch die Krixi,-Kraxi-und-die-Kroxn-Lieder geschrieben. Wie kommt ihr auf so unkonventionelle Ideen wie „Hallo“ oder  „Käfer“?
Mit „Käfer“ hab ich begonnen, um Nino aufzuwecken, weil er nicht aufwachen wollte. Irgendwann dann haben wir daraus ein ganzes Lied gemacht. Und „Hallo“ war das erste Lied, das wir gemeinsam gemacht und aufgenommen haben. Das haben wir an einem traurigen Tag geschrieben.

Das Artwork zur CD „Die Gegenwart hängt uns schon lange zum Hals heraus“ hast du gemacht. Im Booklet findet man dein Zitat „Das Fröhlichste das ich je machte.“ Warum?
Weil alles so spontan passiert ist. Ich arbeite sonst ewig an Dingen und das war viel leichter. Auch weil so viele Leute dazu beigetragen haben und es so gut funktioniert hat. Wenn ich allein arbeite, dauert es ewig und ich mache ständig Verbesserungen. Bei dem Projekt haben wir ein Lied geschrieben und es am nächsten Tag aufgenommen. 

Du bist ja nicht nur bei Krixi, Kraxi und die Kroxn dabei, sondern hältst auch Lesungen, arbeitest mit Stoffen und illustrierst. Siehst du dich als interdisziplinäre Künstlerin?
Ich will einfach schauen, was ich alles kann. Oder ob ich das kann. Ich finde Zeichnen, Schreiben und das Mit-Stoffen-Arbeiten sehr ähnlich. Bei Kleidung war es so, dass es mich lange nicht interessiert hat, ob sie tragbar ist. Für mich war es eher Bildhauerei, nämlich, dass man etwas formt – nur eben am Körper. Es ging mir eher darum zu schauen, welche Formen und Farben es gibt. Das, was dabei herausgekommen ist, war dann oft nicht etwas, was man so im Alltag trägt. Bei den Sachen, die ich im Studium gemacht habe, war es mir nicht wichtig, dass es zumindest angenehm zu tragen ist, sondern, dass es eher eine Art Bild wird.

Welches Studium war das?
Das  Bachelorstudium  Mode in Hetzendorf in Wien. Zuvor habe ich ein Jahr in Antwerpen Mode studiert. 

War das für dich als Künstlerin eine Ergänzung oder eine Herausforderung?
Alle Studien, die ich begonnen habe, habe ich gemacht, um eine bestimmte Art von Lernen kennenzulernen. In Hetzendorf war es sehr zeitintensiv, weil es sehr schulisch und mit Anwesenheitspflicht war. Aber ich wollte nähen und mich mit Mode beschäftigen, auch theoretisch.

Unter kkkatzenadvent.com findet man von dir detailreiche  und  animierte  Illustrationen. Hast du an jede Kunstform  verschiedene Ansprüche?
Die Katzenzeichnungen sind eher so wie einen schnellen Text zu schreiben oder ein schnelles Lied zu machen. Aber wenn man ein Kleidungsstück macht, braucht es viel mehr Vorbereitung und Änderungen. Aber beim Zeichnen oder Schreiben passiert alles viel mehr im Moment, das ändert sich dann oft auch nicht mehr. Zumindest bei den Katzenzeichnungen oder den Texten.

Deine Texte sind manchmal sehr assoziativ, dann gibt es wieder ganz andere wie: „man muss die liebe umpolen. die liebe die zäh ist wie trockene kaugummifäden.“  Wie schreibst du?
Diese aneinandergereihten Wörter oder Assoziationsketten sind mit einer Art Rhythmus in meinem Kopf geschrieben. Das geht sehr schnell und das lass ich dann auch so. Es gibt aber natürlich andere Texte, zum Beispiel Strophen, wo man auch reimt. Ich finde man kann ganz gut mit einer Tastatur schreiben, weil das ein Klack-Geräusch macht. Das finde ich angenehm. Da kommt ein Rhythmus zustande.

Das heißt du kannst das 10-Finger-System?
Nein. So schnell bin ich auch nicht. (lacht)

Viele deiner fragmentarischen Werke, Wortspiele und Katzenskizzen publizierst du auf Facebook, Tumblr und auf deiner Webseite. Ist das Internet für dich Möglichkeit oder  Einschränkung?
Ich bin mir nicht sicher. Natürlich ist es eine Möglichkeit, dass Leute das sehen und mitbekommen, was du machst. Zum Beispiel der Katzenkalender würde ohne Internet  nicht  funktionieren. Dann ist es schon gut, aber sonst finde ich es auch ein bisschen seltsam, dass Sachen so schnell nach außen gehen können ohne einen Rahmen. Ich poste auch gar nicht so viel, weil ich mir oft auch nicht so sicher bin, ob ich das sofort teilen will.

„Fräulein Gustl“ als Buch mit Hörspiel tendiert da eher in die analoge Form.
Da wollten Lukas Lauermann, Raphael Sas, Stefan Sterzinger, Nino und ich was Fertiges in der Hand haben. Das ist was anderes als einen Text zu posten. Etwas in physischer Form zu haben, finde ich allgemein besser. Aber das ist eine Kostenfrage. Damals ging  das, weil wir einen Verlag gefunden hatten.

Kannst du uns eine Wortassoziation machen? salzlackengedächtnisse händigen mir die brühe aus. salzaugen. salzorgane. salzorganisten. salzprinz. spiegelsalz. augentracht. spitzenwerk. fliegendreck. zwirbelspeck. spielkatze. zwischenmagen. kitzelkatze. schmirgelkatze, kastenpratze. (gekürzt)

 

Marlene Brüggemann studiert Philosophie an der Universität Wien.

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