Musik

Arbeitsverweigerung als politisches Kapital

  • 15.05.2015, 21:23

Mit ihrer Single „Turn“ haben es Chili and the Whalekillers letztes Jahr auf Platz drei der isländischen Charts geschafft. Jetzt erhofft sich die isländisch-österreichische Band Wettbewerbsvorteile in Japan und Norwegen. Mit progress sprachen sie über ihr neues Album, Humor und Arbeitsverweigerung.

Mit ihrer Single „Turn“ haben es Chili and the Whalekillers letztes Jahr auf Platz drei der isländischen Charts geschafft. Jetzt erhofft sich die isländisch-österreichische Band Wettbewerbsvorteile in Japan und Norwegen. Mit progress sprachen sie über ihr neues Album, Humor und Arbeitsverweigerung.

progress: Ihr habt Alben über Weihnachten, den Zirkus und die Finanzkrise gemacht. Ist euer neues Album „a dot in the sky“ auch ein Konzeptalbum?

Chili Tomasson: Bei dem Projekt gibt es kein übergeordnetes Thema. Wir haben kurz überlegt, ob wir dem Ganzen für uns selber ein Thema geben sollen und haben über einen Piloten mit Superman-Umhang nachgedacht, der in einer alten Maschine über Erdbeerfelder fliegt. Aber im Prinzip haben sich einfach Songs angesammelt und wir haben sie zusammengestellt. Das Album deckt musikalisch sehr viele Bandbreiten ab. Wir haben zum Beispiel Akkordwechsel benutzt, die man eigentlich nicht verwenden darf, die aber trotzdem funktionieren – wie zum Beispiel bei „Industry“.

Michael Szedenik: Wir haben versucht, nicht immer nur mit Klischees zu arbeiten. Es ist toll, wenn etwas eine catchy Melodie hat und bei genauem Hinhören auch eine tolle Struktur aufweist. Das macht gute Popmusik aus, wenn sie inhaltlich und musikalisch anspruchsvoll ist und trotzdem greifbar bleibt.

Foto: Alexander Gotter

In euren Liedern verbindet ihr oft ernste Themen mit tragisch-komischen Erzählungen. Welche Rolle spielen Humor und Ironie in euren Texten?

Michael: Wenn man einfach nur kritische Songs schreibt, wirkt es oft wie ein Schuldzuweisen – so auf die Art: „Das ist falsch, das ist falsch und sowieso ist alles scheiße“. Gewisse Zustände muss man einfach mit Humor nehmen. Dann wird es als Musiker lustiger und ich glaube, die Leute merken es sich auch besser. Ich schaue mir zum Beispiel sehr gerne politisches Kabarett an.

Chili: Hagen Rether und so.

Michael: Genau. Das Programm bei manchen Kabarettisten ist sehr informativ und bleibt gut im Kopf.

Chili: Ich denke Humor ist auch insofern wichtig, weil man es sonst selbst irgendwann nicht mehr packt. Wenn man einen Song im Studio probt und ihn hunderttausendmal hört, ist es besser, sich damit nicht in eine Depression zu stürzen, sondern Spaß dabei zu haben. Aber es ist ein schwieriger Grat und Humor funktioniert für mich persönlich ab einem gewissen Punkt auch nicht mehr, wenn das Thema zu ernst wird.

Was wäre denn ein zu ernstes Thema?

Chili: Ich finde es schwierig, aus einer Außenposition über Dinge zu schreiben. Ich stehe momentan nicht in Griechenland und ich ertrinke nicht im Mittelmeer. Ich würde mir zum Beispiel über die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer keinen Humor anmaßen, da finde ich ihn fehl am Platz.

In eurem Song „Industry“ lautet eine Zeile „refusing to work is capital“. Was sind die Hintergründe zu dem Lied?

Chili: Ich bin auf das Thema Arbeitsverweigerung gestoßen und habe mir lange sehr schwer getan damit, weil ich – das ist jetzt sehr persönlich – von einer kommunistischen Seite her gekommen bin und da geht das nicht, Arbeitsverweigerung. Dann habe ich langsam begonnen, anarchistische Theorien zu verstehen, und zwar so richtig zu verstehen – im Bauch zu spüren, worum es geht. Ich habe dann nach Wörtern gesucht, um dieses Riesenthema in kompakte Lyrik zu fassen. Das Lied versucht, Arbeitsverweigerung als politisches Kapital zu behandeln. Im Prinzip ist es kläglich gescheitert, weil das Thema viel größer ist als das, aber es war kein schlechter Versuch.

Michael: Ich weiß nicht, ob man es so sehen kann. Es bleibt so oder so ein Popsong.

Chili: Das Lied selbst beginnt mit einer Szene in einer leeren Nähfabrik. Alle Menschen, die dort gearbeitet haben, haben die Fabrik verlassen, weil sie Besseres zu tun haben. Das Wichtige ist der Refrain, der musikalisch das behandelt, wo die Menschen sind, wenn sie nicht mehr arbeiten – und das ist unter Umständen ein ganz guter Ort. Die Strophen des Liedes führen immer wieder dorthin, an einen Ort, den ich mir gar nicht anmaße zu beschreiben, weil er für alle anders ist.

Foto: Alexander Gotter

Betrachtet ihr das Musikmachen als eure Arbeit?

Beide: Ja klar.

Spielt Arbeitsverweigerung für euch persönlich eine Rolle?

Michael: Wir mussten das zum Glück noch nie machen.

Chili: Auch deswegen, weil es eine Arbeit ist, die wir irrsinnig gern machen, und uns niemand dazu gezwungen hat, das so zu machen.

Michael: Weil wir selbst bestimmen und unsere Marke selbst vertreten.

Chili: Genau, wir haben das Kapital, zumindest in Gerätschaften. Wir haben zwar kein Geld, aber die Produktionsmittel sind da.

 

Flora Schausberger studiert Critical Studies an der Akademie der bildenden Künste Wien.

www.chiliandthewhalekillers.com

 

 

Wir sind bossy bitches

  • 09.12.2013, 20:09

14 Jahre hat es gedauert, bis Tegan and Sara es nach Wien geschafft haben: Vor ihrer spontanen Acoustic-Session in der Ottakringer Brauerei hat progress mit den beiden über ihr neues Album „Heartthrob“ und ihre Annäherung an die Popkultur gesprochen.

14 Jahre hat es gedauert, bis Tegan and Sara es nach Wien geschafft haben: Vor ihrer spontanen Acoustic-Session in der Ottakringer Brauerei hat progress mit den beiden über ihr neues Album „Heartthrob“ und ihre Annäherung an die Popkultur gesprochen.

progress: Wie läuft die Tour?

Tegan: Touren ist super! Wir haben eine wirklich gute Zeit. Es ist großartig, so viele neue Orte kennenzulernen. Wir waren so lange immer in denselben Ländern – nichts gegen Frankreich, Deutschland und Belgien, aber es ist schön, neue Orte zu sehen und das merkt man auch am Publikum: Es liegt eine gewisse Spannung in der Luft. Die Leute scheinen einfach glücklich zu sein, uns nach 14 Jahren endlich zu Gesicht zu kriegen. (lacht)

Draußen haben sich schon an die 200 Fans angestellt.
Sara: Ja, es ist eine super Erfahrung. Gestern hatten wir den ganzen Tag Zeit, um herumzuschlendern und alles aufzusaugen. Das ist wirklich ein großes Privileg, wenn man auf Tour ist.

Euer neues Album „Heartthrob“ ist sehr poplastig. Sara, du hast einmal gesagt, gute Popsongs müssen Herz und Seele in sich tragen und dass die Popkultur dich manchmal verrückt mache. Seid ihr euren eigenen Erwar- tungen gegenüber guter Popmusik gerecht geworden?

Tegan: Das klingt nach dir. Irgendwas Konträres und Negatives ...

Sara: (lacht) Ja, ich glaube, diese Erwartungen haben wir erfüllt. Es war ein echter Wendepunkt für mich, als ich das neue Alicia Keys-Album, auf dem „Try sleeping with a broken heart“ ist, gehört habe. Ich finde das Lied so authentisch und es transportiert ein Gefühl, das ich verstehe. Diese Idee, dass jemand buchstäblich in seiner eigenen Trauer badet, erschien mir so deprimierend. Ich glaube, das war der Moment, als Mainstream-Pop für mich erst wieder interessant wurde. Wir würden ein Pop-Album nicht auf eine andere Art und Weise machen. Wir versuchen in Bezug auf uns selbst und unser Leben immer ehrlich und offen zu sein. Mir würde die Verbindung zum Publikum fehlen, wenn wir etwas zu Überzogenes oder Zuckersüßes machen würden.  

Tegan: Wir haben in den letzten sechs Jahren mit über 15 KünstlerInnen zusammengearbeitet: aus den Genres Dance, Rock, Hip Hop und Comedy. Ich glaube, unsere Fans bleiben uns, solange Tiefe, Verletzlichkeit und Substanz in unserer Musik sind. Wir nehmen unsere alten Fans mit und es kommen neue hinzu. Bevor wir „Heartthrob“ gemacht haben, hatten wir keine Angst, unsere Fans, sondern uns als Band, zu verlieren. Wir hatten das Gefühl, in eine andere Richtung gehen zu müssen, und uns bewusst dazu entschieden, gewisse Dinge hinter uns zu lassen. Zum Beispiel das Gefühl, dass wir keine Popband sein können, nicht in den Mainstream finden und von der heteronormativen Popkultur nicht akzeptiert werden. Wir haben es einfach getan!

Kann es sein, dass ihr in „I’m not your hero“ dieses Thema behandelt? Etwas Neues auszuprobieren, auch wenn man Angst davor hat?

Sara: Mir ging es in dem Song vor allem um die queer-feministische Community, die mir sehr wichtig ist. Es geht um meine – oder unsere – Schwierigkeiten damit, unsere politischen Überzeugungen zu behalten, während wir gemerkt haben, dass unsere Ansichten nicht immer mit denen jener Leute übereinstimmen, die uns  eigentlich unterstützen sollten. Wir wurden sehr stark dafür kritisiert, mit welchen KünstlerInnen wir zusammenarbeiten und wie wir aussehen, da sich das scheinbar für manche nicht mit politischen Anliegen in Einklang bringen lässt. Das fühlt sich für mich reduzierend an. Wenn du politisch aktiv bist oder bestimmte Gruppen repräsentierst, werden Leute in der Sekunde auf dich wütend, in der du den vorgezeichneten Weg verlässt. Das kann sehr erdrückend sein, weil uns politische Inhalte immer noch sehr wichtig sind.

 

 

Tegan, in „Closer“ singst du darüber, jung und unbekümmert zu sein. Sind die Vergangenheit und Teenagerzeit wiederkehrende Themen in euren Songs?

Tegan: Auf jeden Fall. Ich staune jeden Tag darüber, wie sehr mein Verhalten jenem mit 18 oder 19 ähnelt, obwohl ich seitdem so viel erlebt habe. Auf dem Album ging es mir vor allem um Gefühle im Allgemeinen und darum, den Moment einzufangen, wenn man jemanden kennenlernt. Du wirst die Person vielleicht nie wieder treffen, aber ich mag das Hoffnungsvolle. Das geht vorbei, wenn man älter wird, dann heißt es: Ich werde nie jemanden kennenlernen, meine besten Jahre sind vorbei.

In der Vergangenheit habt ihr den Entstehungsprozess eurer Alben immer stark beeinflusst. Auf „Heartthrob“ habt ihr nun mit Pop-Größen wie Greg Kurstin zusammengearbeitet, der auch Alben für Pink und Katy Perry produziert hat. Konntet ihr den Produktionsprozess trotzdem steuern?

Sara: Eigenartigerweise war das eine der gemeinschaftlichsten Erfahrungen, die wir je im Studio hatten. Es gibt diese Vorstellung, dass einem die Kontrolle entzogen wird, sobald man auf einem Pop-Level mit gewissen Produzenten arbeitet. Ich kenne die überzeugtesten DIY-Indierock-Bands, die überhaupt nichts mit dem Produktionsprozess zu tun haben wollen, und gleichzeitig habe ich die allergrößten Popstars kennengelernt, die jedes kleine Detail mitbestimmen wollen. Bei uns ist es egal, mit wem wir zusammenarbeiten – ob das jetzt Chris Walla (Death Cab for Cutie, Anm. d. Red.) oder jemand wie Greg Kurstin ist. Wir haben die Kontrolle.

Tegan: Wir sind bossy bitches.
Sara: Sind wir das wirklich? Ich glaube, wir sind voller Energie und kreativer Ideen. Jedenfalls waren wir genauso involviert wie bei jeder anderen Platte.

 

Das Interview führten Vanessa Gaigg und Lisa Grabner.

Fotos: Johanna Rauch.

Zur Band: Die kanadische Band Tegan and Sara stieg spätestens mit ihrem vierten Album „So Jealous“ zur fixen Größe
in der Indierock-Welt auf. Die Band wurde vor allem durch ihre zahlreichen selbstproduzierten Kurzfilme auf YouTube und exzessives Touren in Amerika, Australien und Europa bekannt. Tegan and Sara arbeiteten unter anderem mit Against Me!, The Reason, David Guetta und DJ Tiesto zusammen. Mit „Heartthrob“, ihrem siebten Studioalbum, vollzogen sie eine Wendung zum Dance-Pop und veröffentlichten damit ihr bisher erfolgreichstes Album.

 

Spin the record!

  • 04.01.2013, 13:27

Turntablism at its best: Misonica zeigt dir die ersten Schritte.

Turntablism at its best: Misonica zeigt dir die ersten Schritte.

Schallplatte auf den Teller, Signale in das Mischpult, Sound aus der Anlage! Einfaches Prinzip und klingt eigentlich ganz logisch. Aber bitte wer, außer in die Jahre gekommene Hippies mit fetischhafter Attitüde, spielt noch verstaubtes Vinyl? Die jüngere Generation der Discjockeys versteckt sich hinter ihren Notebooks und drückt auf ein paar Knöpfe, während sie herumtanzen oderetwa mit den Händen klatschen. Grund genug, sich auf die Ursprünge zu besinnen, denn gerade die Schallplatte erfährt wieder ein Revival. Ein kleines Tutorial für Anfänger_innen und jene, die es noch werden wollen!

Die Basis – und ihre Funktion. Analoge DJs hantieren meist mit zwei Plattenspielern, einem Mischpult und einem Kopfhörer, sammeln runde, zumeist schwarze Scheiben aus Vinyl ihrer Lieblingslabels und Produzent_innen. Digitale DJs wiederum besitzen Programme wie Serato Scratch oder Traktor, mit denen sie Musik in Form von digitalen Daten auf so genannte Timecode- Vinylplatten spielen. Somit werden die Haptik und die Handhabung des analogen Auflegens nachempfunden, der Plattenspieler ist also im digitalen Bereich keineswegs obsolet. Dieser besitzt einen Motor, der die Vinylplatte dreht. Der Tonarm nimmt die Signale über die Nadel auf und schickt das ganze in das Mischpult. Das Mischpult ist dazu da, den Titel zu verändern, einzelne Spuren zu verstärken oder rauszunehmen. Es ist das elementare Werkzeug  der DJs, der Sound kann durch das Mischpult regelrecht gepeitscht undverzerrt oder auch zart gestreichelt werden.

Die Technik und die Praktik. Aber was genau machen denn die DJs an Knöpfen nervös herumdrehend, Platten energisch vor- undzurückschiebend, mit großen Kopfhörern an den Ohren zum Takt nickend hinter ihrem Equipment? Auf den Punkt gebracht: Sie mischen zwei Tracks ineinander, sodass der Anfang und das Ende miteinander zerfließen und verschmelzen und ein Endlos- Track entsteht.
Illustration: Christina Uhl
Match the beat. Jeder Track hat eine bestimmte Geschwindigkeit, eine gewisse Anzahl an Beats per Minute. Diese Anzahl  betonter Schläge in der Minute gilt es zu erkennen. Am besten man hört sich den Track an und zählt einfach mit der Baseline mit:  eins, zwei, drei, vier – und so weiter. Das funktioniert auch mit Klatschen ganz gut. Wenn der erste Song gespielt wird, gilt es, den  zweiten Song reinzumischen, indem man als erstes die Geschwindigkeit beider abgleicht. Das heißt, über den Kopfhörer wird nun  der neue Track gehört und angepasst. Am Plattenspieler gibt es den sogenannten Pitchfader (1, siehe Grafik oben), der den Motor  des Plattenspielers schneller oder langsamer werden lässt. Am Regler also so lang rumspielen, bis die Geschwindigkeit passt, dann noch mehrere Takte anhören, die Platte eventuell noch nachziehen oder kurz anstoppen, bis die Baseline der zwei Tracks  vollkommen übereinanderliegt. Bis man das Hörgefühl dahingehend entwickelt hat, dass das Beatmatching schnell erfolgt, braucht  es konsequente Übung!

Der Übergang und das Mischpult. Das Mischpult ist das Teil mit den vielen Knöpfen, das beim ersten Anblick wahrscheinlich   Verwirrung stiftet. Die wichtigsten Elemente des Mischpults: die Fader (2) des jeweiligen Kanals, der Bass (3), dieMitte (4), die Höhe  (5) und der Kopfhörer-Eingang mit Lautstärkenregelung, der meist mit einem Kopfhörersymbol versehen ist. An jedem Mischpult gibt es mindestens zwei Kanäle, die mit den Plattenspielern verbunden sind. Jeder Kanal hat einen Fader, der dazu da ist, den Track der Platte laut über die Anlage zu schicken. Wenn also jene Platte, die gerade laut gespielt wird, mit der Platte, die man nur über den Kopfhörer hört, synchron läuft, kann der Fader der zweiten Platte langsam hochgezogen werden, sodass nun beide Platten  gleichzeitig laufen und laut gehört werden.
Nun wird es Zeit, sich an die Regler des Basses, der Mitte oder der Höhe heranzumachen, um mit den einzelnen Spuren des Tracks zu spielen. Hier ist die künstlerische Freiheit beinahe unendlich, jeder DJ entwickelt seine eigene Art zu mischen! Beispielsweise am Bassknopf drehend, wird der Bass eines Tracks entweder verstärkt oder ganz aus dem Lied genommen, sodass nur mehr die hohenund mittleren Töne zu vernehmen sind. Je nach Mischpult gibt es auch die Möglichkeit, einen Effektüber den Sound zu legen,  vom einfachen Filter bis hin zu einem Echo.
Illustration: Christina Uhl
Das Ende. Vor allem im digitalen Bereich gibt es für Anfänger_ innen etliche Hilfestellungen. Die BPM-Zahl wird angezeigt und es existiert sogar ein Sync-Knopf, der einem das Beatmatching komplett erspart. Der Gefahr, von Ahnungslosen als Retro beschimpft zu werden, zum Trotz, kauft Platten und macht eure Übergänge selber. Es lohnt sich!

Elisabeth Falkensteiner aka Misonica www.soundcloud.com/misonica

„Liebe ist das Erstrebenswerte, Normalität ihr Schatten“

  • 06.11.2012, 01:50

Im Zuge des rampenfiber-Festivals traf Progress die Berliner Band Normal Love. Mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner sprachen die Bandmitglieder Paula P., Inka Kamp und Ben Kaan über gesellschaftliche Normen, Feminismus und natürlich über die Liebe.

Im Zuge des rampenfiber-Festivals traf Progress die Berliner Band Normal Love. Mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner sprachen die Bandmitglieder Paula P., Inka Kamp und Ben Kaan über gesellschaftliche Normen, Feminismus und natürlich über die Liebe.

progress: Normal Love, was ist für euch diese normale Liebe?

Inka Kamp: Ja, das ist doch auch die Frage. Ich finde, der Name ist so schön, weil er so offen ist. Ab dem Moment, wo man den Fokus auf die Normalität lenkt, wird es interessant. Weil das ist genau das, worüber man sonst nicht spricht. Man fragt sich, was ist die Norm, was ist normal oder normale Liebe.

progress: Wie kam es zu dem Namen Normal Love?

Inka Kamp: Er ist eine Referenz zu einem Film von Jack Smith aus den 1960er Jahren, der ebenfalls Normal Love hieß. In diesem Film ist sehr unklar, was Normalität ist.

progress: Wie kann man dem gesellschaftlichen Bild von Normalität entgegenwirken?

Pauline P: Das ist eine taktische Frage. Ich denke, man muss sich selbst fragen: Warum gibt es diese Normen, wie sehen diese aus und wie werden sie gemacht? Wer gehört zu dieser Norm und wer nicht? Manchmal ist es lustiger zu sagen, dass etwas, das nicht als eine Norm wahrgenommen wird, jetzt die Norm ist, anstatt sich selbst immer nur zu marginalisieren.

progress: Fließt das Spiel mit den Normen auch in euer Band-Konzept hinein?

Ben Kaan: Das ist einfach auch die Erfahrung, die wir jetzt mit unserem Namen gemacht haben. Ich denke, jede_r würde die eigenen Erfahrungen, die gemacht wurden, als normal setzen. Es gibt aber auch in Berlin gerade diesbezüglich einen kleinen Diskurs: Christiane Rösinger hat auch dieses Buch Liebe wird oft überbewertet herausgebracht und ist damit aufgetreten. Ich denke, Liebe mit einem Adjektiv wie normal zu paaren ist eine gewisse Provokation. Weil die Liebe ist ja gemeinhin das total Erstrebenswerte und die Normalität wird immer als ihr Schatten unter den Tisch gekehrt.
Die Leute reagieren eigentlich sehr positiv auf unseren Namen. Es ist ein Name, den jede und jeder für sich selbst interpretieren kann. Da wollen wir auch gar nicht zu viel vorgeben.

P: Das ist auch das, was interessant wird. Wenn man über Normalität spricht, wird es sehr offen. Wer kann sich damit identifizieren und wer nicht. Für uns ist dieser offene Name sehr schön.

progress: Was sind eure Einflüsse?

P: Wir haben unglaublich viele Einflüsse. Einerseits gibt es unsere Vorliebe für Discomusik und andererseits eben diese mit Indie-Elementen zu verbinden. Also so etwas wie Disco zu machen mit analogen Instrumenten, gefällt uns sehr gut. Dabei wollen wir auch unkonventionelle Songstrukturen haben wie zum Beispiel Zweigesänge, das ist sonst eher nicht so verbreitet. Aber auch feministische Bands haben uns beeinflusst.

B: Visuelle Faktoren spielen bei uns ebenso eine große Rolle. Inka, Pauline und ich haben auch viel mit Film zu tun. Wir haben beim Songwriting nicht immer nur die Musik im Kopf, sondern eben auch visuelle Elemente, die uns inspirieren. Viele Songs sind Szenen, die wir selber mit Kreuzberg, als Lebensmittelpunkt assoziieren. Das ist ja nicht nur eine musikalische Kultur, sondern da steckt das Konzept Popkultur dahinter. Gerade die beiden Ecken – elektronische Einflüsse und das, was wir analog machen, greift eben die beiden Schienen auf, wo wir uns nicht eindeutig für eine entscheiden wollen. Also auf der einen Seite die Club-Tradition mit der elektronischen Musik aus Berlin und gleichzeitig ein bisschen Kreuzberg mit seiner Kellerraumromantik und dem Punk.

P: Wir spielen auch in dem Proberaum, in dem Nina Hagen in den 1980er Jahren geprobt hat. Vielleicht gibt uns das auch ein bisschen Punk-Spirit.

progress: Ihr tretet auf queer-feministischen Festivals auf, was bedeutet Queer-Feminismus für euch?

P: Für mich war das schon immer wichtig in allen Sachen, die ich gemacht habe. Aber nicht nur Queer und Feminismus, sondern auch andere Politiken oder generell kritische Positionen zu beziehen. Feminismus ist immer essentiell gewesen für die Musik, die mir wichtig war. Ich denke nicht, dass ich in meiner eigenen Biografie einen Begriff von Musik oder Kunst von Feminismus trennen kann. Das heißt einerseits, Role-Models zu haben und sich auf eine Geschichte zu beziehen, die noch nicht so bekannt ist. Aber auch versuchen, diese sichtbar zu machen und in einer Diskussion mit anderen Frauen stehen. Das ist wichtig für die Band, auch wenn es nicht der einzige Kontext ist, in dem wir uns bewegen.

B: Soweit ich das erlebt habe, seit ich mit Pauline und Inka zusammen spiele und wir auch gemeinsam auftreten, ist Feminismus ein Begriff, den man nicht zu sehr verschlagworten sollte. Für uns ist wichtig, dass wir über diesen Zusammenhang auf Tuchfühlung gehen können mit anderen Leuten, die aktiv werden, wo wir dann wieder spielen können. Das ist so ein Ding, wo man sich einer gemeinsamen Sache verschreiben kann, ohne das endgültig zu beschreiben.

P: Ein wichtiger Aspekt für mich ist auch, dass ein großer Teil der Leute, für die ich eben Musik mache, Frauen sind. Das spielt für mich eine so große Rolle. Es gab so wichtige Frauen und ich sehe mich in einer Geschichte, einer Tradition. Ich möchte Sachen mitentscheiden, mitbestimmen und das eben auch weiter geben.

progress: Auf eurer Myspace-Seite findet man Fotos, die sehr mit Geschlechterrollen spielen, beispielsweise schminkt ihr euch gegenseitig alle mit Lippenstift, was hat es damit auf sich?

P: Bei diesem Bild ist vor allem lustig, dass nicht nur Ben, sondern auch Inka und ich normalerweise keinen Lippenstift tragen. Also sind wir alle so ein bisschen in Drag. Das fanden wir sehr lustig. Es ist ein Bild aus einem Film von Jack Smith, in dem  nur Männer das mit dem Lippenstift machen. Daraufhin dachten Inka und ich, dass wir beide auch in Drag gehen mit dem Lippenstift. Die Normalität wäre wohl, dass Männer das machen und darum machen wir das jetzt auch.

progress: Wie lässt sich eure politische Einstellung mit Party vereinbaren; ist das überhaupt notwendig?

P: Das ist sehr wichtig. Ich denke, das hat etwas mit Begehren zu tun. Es geht um Lust und darum, Sachen miteinander zu teilen. Und das geht nicht nur auf der Straße oder an der Uni, sondern auch in einem Partyraum. Das gehört zusammen.

B: Natürlich ist es eine Gratwanderung, aber wir wollen eben nicht auf diesen Unterhaltungsaspekt reduziert werden. Genauso wenig wollen wir, dass man jetzt bei all dem das vergisst, was als Stimmung oder Lust und Begehren passiert. Wie gesagt, eine Gratwanderung, aber es ist gut, dass man zwischen diesen beiden Ebenen hin und her wechseln kann. Man kennt das ja: Oft gibt es diese Metaebene nicht und dann ist es schön, auch mal unbewusst eben dort erwischt zu werden. In genau dem Moment, in dem klar ist: „Cool, ich kann also gleichzeitig tanzen und denken“. Vielleicht ist das ein bisschen arrogant. Aber darauf läuft es irgendwie hinaus, sich nicht ganz da drinnen zu verlieren aber sich schon gehen zu lassen.

Feuer und Flamme für Sprache

  • 06.11.2012, 01:31

Sookee, Quing of German Hip Hop, erzählt im Gespräch mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner von ihrer Faszination an Sprache, über Geschlechternormen und politisches Engagement.

Sookee, Quing of German Hip Hop, erzählt im Gespräch mit Marlene Brüggemann und Oona Kroisleitner von ihrer Faszination an Sprache, über Geschlechternormen und politisches Engagement.

progress: Woher kommt eigentlich dein Künstlerinnenname Sookee?

Sookee: Den hab ich in alten Graffiti-Zeiten gewählt. Ich war auf der Suche nach einem Namen, den man möglichst unterschiedlich schreiben kann. Bei Graffitis geht es ja darum, Buchstaben zu gestalten und dass es nicht immer das gleiche, sondern abwechslungsreich ist. Mein Wunsch war, unterschiedliche Schreibungen zu ermöglichen. „Sookee“ hab ich außerdem von dem Film „Die Hexen von Eastwick“ geklaut: Michelle Pfeiffer spielt dort eine Rolle, die heißt Suki. Graffiti war dann irgendwann für mich kein Thema mehr, aber der Name war da. 

progress: Wie empfindest du die Wechselwirkung von deinem akademischen Hintergrund und Hip Hop?

Sookee: Hip Hop ist eigentlich das Gegenteil von Universität, wo die Straße als Ort des Lernens inszeniert wird. Student_innenrap ist eher ein diffamierender Begriff für langweiliges unmännliches Zeug. Es ist also ein recht großes Spannungsfeld. Ich kriege oft die Rückmeldung, meine Texte wären zu schwierig und anspruchsvoll. Man kenne verschiedene Wörter nicht und die müsste man dann erst googlen. Das finde ich aber gar nicht schlimm, dafür gibt es ja so etwas wie Google. Du musst dich eben nicht erst an eine Uni setzen, um dich mit bestimmten Begriffen zu befassen. Du setzt dich hin, googlest die Scheiße und kriegst die Antwort ausgespuckt. Wenn du Bock hast, dann setzt du dich halt hin und lernst etwas dazu – oder eben nicht. Ich habe aber auch oft Workshops mit Kindern und Jugendlichen, wo ich gemerkt habe, dass das auch ein Gesprächsanlass ist.

progress: Wie sieht das aus?

Sookee: Zum Beispiel letztens in der Schule, in der ich seit drei Jahren arbeite (lacht), jetzt kommt eine Geschichte: Wir sind eine alternative Grundschule, so ein linkes Bildungsprojekt in Kreuzberg, wo die Leute von den Hausprojekten und vom Wagenplatz ihre Kinder hinschicken. Uns werden gerade die Räume gekündigt, darum haben wir uns an diese Kotti (Kottbuser Toor, Anm.) und Co. Initiative angeschlossen.  Es gab von der Initiative eine Demo, an der wir als Schule mit unseren kleinen Leuten teilgenommen haben. Im Vorfeld hab ich mit den Kindern das Positionspapier durchgenommen und eine grammatische Übung mit Lückentexten gemacht. Darin kam der Begriff „Solidarität bekunden“ vor. Ein Mädchen fragte mich: „Du sagst doch auch immer ‚Ich zeig mich solidarisch mit dem Regenbogen‘, ist das damit gemeint?“ Und da merkt man, dass es eben auch um diese Umwege geht, zu lernen. Das finde ich spannend. Ich google ja auch Sachen, die ich nicht verstehe. Letzten Endes schreibe ich meine Texte aber so wie ich will; und so kann ich das am besten. Die Uni hat mich verpflichtet, mich mit Sachen zu beschäftigen und das ist auch gut so.

progress: Du hast Gender Studies und Linguistik studiert …

Sookee: Die Studienwahl hat mich enorm politisiert, die Entscheidung für diese Fächer war total wichtig für mich. Sie hat mich verändert und noch ein Stück vorne geschubst. Das schlägt sich dann natürlich thematisch in meinen Texten nieder. Und wiederum komme ich mit den Inhalten, die ich an der Uni gelernt habe, zurück zu ihr mit meinen Vorträgen, die ich zu Gender und Pop-Kultur halte. Das ist also eine ziemlich große Wechselwirkung.

progress: Auf deinem zweiten Album findet sich der Track Qunig. Wie kam es zu diesem Konstrukt und was hat Quing für eine Bedeutung für dich?

Sookee: Quing habe ich aus der Notwendigkeit heraus entwickelt, dass ich nicht wusste, wie ich mich einordnen soll. Es gibt im Rap bestimmte Image-Angebote und Identifikationsfelder für Frauen, mit denen ich allen nicht glücklich war. Es gibt diese Schubladen, die schon vorgefertigt sind, in die Frauen reingeworfen werden: die Sisters, Bitches, Gangstagirls. Das war alles nicht meins. Da war für mich die Frage „was machst du jetzt?“ Du brauchst schon irgendwas, um dich mit einer Identität in diesem ganzen Feld auszustatten. Du brauchst irgendwas, auch für dich selbst zur Orientierung.

progress: Und wieso gerade Quing?

Sookee: Im Rap gibt es ganz royal diese Angewohnheit, sich mit King oder Queen auszustatten – auch im Namen. Es bot sich für mich an, das zu verschmelzen und die sprachliche Mitte zu wählen. Das ist eine schöne positive Irritation in Bezug auf Geschlechter und stellt meiner Meinung nach eine Öffnung her. Da war ich glücklich, dass das plötzlich durch Quing so einfach da war.

Es ist aber auch der Versuch, eine Möglichkeit für Hip-Hop-affine Leute, aber auch Leute in anderen Subkulturen, zu eröffnen einen Bezug haben, in dem sie sich wohl fühlen und ein Feld haben, in dem sie sich aufhalten können. Eine Referenz. Es geht darum, sich gegen Hierarchien und Normen zu wenden und in Frage zu stellen, wie denn alles zu sein hat. Es geht nicht nur um Antisexismus und gegen Homophobie, es geht auch um Körpernormen, Nationalität … es geht darum, sich ein bisschen im Dekonstruieren auszuprobieren. Neue Sachen für sich zu eröffnen und die Dinge nicht so hinzunehmen, wie sie halt erscheinen, sondern Gegenrealitäten zu schaffen.

progress: Und davon erzählt der Song?

Sookee: Der Track erzählt von verschiedenen Aspekten dessen. Aber auch zu sich selbst gut zu sein, sich selbst zu lieben. Du rennst halt ein ganzes Leben lang mit dir herum. Wenn dich irgendwer anderer nervt, kannst du sagen „Tschüss, ich bin raus. Alles Gute noch im Leben.“ Aber du bist ja immer da. Wenn man es schafft, sich gegen bestimmte Normen zu wehren und sich nicht mehr so sehr davon einnehmen zu lassen, ist das jedenfalls ein guter Schritt in Richtung Selbstanerkennung und bietet viel Entwicklungsfreiheit.

progress: Quing ist eine Sprachkreation von dir, auf deiner Homepage verwendest du geschlechtergerechte Sprache usw. Wie wichtig ist Sprache für dich, wie machtvoll ist sie? 

Sookee: Es ist der Wahnsinn, dass Menschen die Münder aufmachen und andere beginnen zu lachen, zu weinen oder nachzudenken. Ich finde es faszinierend, dass so etwas wie Kommunikation auf so vielen unterschiedlichen Levels stattfinden kann. Auch Gebärdensprache, ist für mich unglaublich spannend. Was Menschen alles auf die Reihe kriegen, um zu kommunizieren. Ich bin da Feuer und Flamme, ich könnte heulen. Ich stehe wie ein kleines Kind da und will davon ganz viel mitkriegen. Ich habe ein großes Vertrauen in Sprache und es ist Teil unseres sozialen Handelns, sonst würde es sich ja nicht so in unserer Realität auswirken. Ich muss manchmal darauf achten, dass ich auch nicht überreagiere, wenn Leute bestimmte Begriffe verwenden. Ich will auch keine Maulklappen verteilen. Ich fände es eben schön, wenn Menschen verstehen würden, warum mir das so wichtig ist und warum ich diese Begriffe nicht verwende. Weil ich auch nicht Teil dieser Reproduktion sein möchte, die wieder zu der Normalisierung von Konzepten und Ideologien und Menschenbildern wird. Auch was Gedanken sprachlich erfassen.

progress: Woher kommt das?

Sookee: Ich hab das schon als Kind immer gemocht, wenn Leute toll erzählen können. Meine Mutter ist eine großartige Erzählerin und sie hat nie eine Uni von innen gesehen. Der Bildungsweg wurde ihr in der DDR verbaut, weil sie nicht in der FDJ (Freie Deutsche Jugend, Anm.) war. Deswegen ist sie einfach in die Berufspraxis gegangen. Es braucht einfach keinen akademischen Background, damit Leute mit Sprache umgehen können. Ich habe das geliebt. In der Schule waren dann natürlich alle Fächer, die was mit Sprache zu tun hatten, meine liebsten. Ich habe sehr viel gelesen und geschrieben. Ich war auch immer so stolz, wenn ein Text oder ein Brief geglückt war.

progress: Du bist in der DDR geboren. Welchen Einfluss hatte der Realsozialismus auf dich?

Sookee: Meine Eltern waren in der DDR sogenannte Oppositionelle und die Kirche hat damals Leuten, die widerständig waren, einen Schutz geboten. Meine Eltern waren über die Kirche organisiert und mein Vater musste in den Knast, weil er den Dienst an der Waffe verweigert hat. Aus dieser Version des Sozialismus wollten meine Eltern dann auch fliehen vor der ganzen Repression, die dahinter stand; auch wenn es eine unglaublich traurige Geschichte ist, dass der Sozialismus an der Stelle nicht funktioniert hat. Irgendwann wurde unser Ausreiseantrag bestätigt und wir hatten 24 Stunden Zeit, das Land zu verlassen, oder mussten für immer dort bleiben. Ich war damals Zweieinhalb, ich hab nicht viel davon mitbekommen, aber das Thema schlägt sich dann natürlich im Familiengefüge nieder. Nur weil du weg bist, ist es ja noch nicht vorbei. Da hängt biografisch einfach viel zu viel dran. Darum war es auch ein hochpolitischer Teil meiner Familienbiografie, der auch mein politisches Bewusstsein relativ früh angefüttert hat. Dadurch, dass meine Eltern dann plötzlich demonstrieren gehen konnten bei der Volkszählung oder Öl-Krisen. Sie konnten dann viel öffentlicher über Politik reden, weil es machbar war und ich habe das als Kind schon mitbekommen und war auch auf relativ vielen Demos und hatte früh ein Verständnis davon, wie sich Politik anfühlt, selbst wenn man nicht Berufspolitiker_in ist. Dass der Sozialismus in der Form und an der Stelle so sehr gescheitert ist, ist halt Scheiße. Es bleibt eben noch Utopie.

progress: Wie lässt sich Politik mit Musik verbinden?

Sookee: Das klingt vielleicht ein bisschen größenwahnsinnig, aber soziale Bewegungen waren immer mit Musik begleitet. Du musst ja auch beispielsweise auf einer Demo zwischen den Redebeiträgen mal Musik spielen. Wie andere auch kulturelle Produkte wie Film oder Fotografie oder Tanz  hat Musik einen gewissen Raum, um Inhalte rauszureichen. Diese können unbedarft sein und nur von der Feierei berichten oder sich einfach inhaltlich anders ausstatten. Und damit unterstützend in einen realpolitischen Bereich eingreifen. Ich glaube Musik ist eine gute Ergänzung. Ich könnte über diese ganzen Dinge auch Bücher schreiben, aber das ist mir viel zu aufwendig und das kann ich auch nicht so gut. Diese Songs sind Versuche, das was diskursiv gerade durch die Szene oder die Gesellschaft bewegt, einzufangen und in eine Dreieinhalb-Minuten Version zu verpacken. Es sind kleine Zusammenfassungen dessen, woran ich gerade herumgrübel.

progress: Und worüber grübelst du gerade?

Sookee: Auf der nächsten Veröffentlichung wird es einen Track geben, der sich mit Intersektionalität befasst. Das klingt total theoretisch, aber ich glaube, das ist möglich.
Ein Song auf dem aktuellen Album handelt von männlicher Dominanz in vermeidlich emanzipatorischen Szenen. Gerade dieser Song ist ein Beispiel, dass Leute mit ihrer konkreten Politik eine Unterstützung erhalten durch meine Songs. Ich habe ganz viele Rückmeldungen erhalten, dass sie durch meinen Song plötzlich darüber sprechen können, dass Frauen genervt sind, immer nur protokollieren zu müssen. Wo klar ist, Jungs haben in einer linken Politik bestimmte Aufgaben und Mädchen ebenso und es gibt ein Unbehagen darüber – das wurde lange hingenommen. Da gibt es dann schon einen Einfluss.

 

 

 

Skandalisierung des Normalen

  • 30.09.2012, 22:00

Macht die jüngste „Welle“ an Coming-Outs von Musiker_innen aller Genres lediglich das voyeuristische Verlangen der Massen explizit,oder kann der Berichterstattung auch etwas Positives abgewonnen werden?

Macht die jüngste „Welle“ an Coming-Outs von Musiker_innen aller Genres lediglich das voyeuristische Verlangen der Massen explizit,oder kann der Berichterstattung auch etwas Positives abgewonnen werden?

Die besten Schlagzeilen, die Unterhaltungsmedien und Rezipient_innen gleichermaßen nähren, liefern wohl die kleinen und großen Skandale der Stars und Promis. Einblicke in deren Privatsphäre, in ihr „wirkliches“, „ungeschminktes“ Leben werden der Sensation wegen offengelegt. Und was bietet dafür besseren Stoff als die Sexualität der Stars? Im Vergleich mit der medialen Sprache der  70er-Jahre zeigt die aktuelle Berichterstattung über Coming- Outs in der Popwelt aber auch, dass heute von einer anderen Normalität ausgegangen wird.

Musik ist oft einnehmend und exzessiv und spricht gerade deshalb so viele Menschen an. Sie drängt quasi an die Öffentlichkeit. Popmusik erfüllt aufgrund dieser Eigenschaften seit jeher eine Scharnierfunktion, die Musik mit politischem Engagement, Aktionismus und Intervention verbindet. Musik ist Ausdrucksmittel und Ventil, sowohl für die Freuden des Lebens als auch für Leid, Trauer und Wut. Diese Wut bringt uns direkt in das New York der späten 1970er-Jahre – dem, wenn man so will, Entstehungsort des Punk. Weiße Mittelschicht-Kids fanden in einer schnelleren und raueren Spielweise des Rock 'n' Roll und dem körperbetonten Auftreten auf der Bühne ein provokatives Medium der Rebellion gegen die Generation ihrer Eltern und deren Vorstellungen vom richtigen Leben.

Provokation. Die Künstlerin und Sängerin Jayne County – früher unter dem Namen Wayne County als Protagonistin der New Yorker Punk-Szene der 70er-Jahre bekannt – betont in Interviews mit der Musikpresse stets den rebellischen und politischen Geist ihres Schaffens in dieser Zeit. County sieht sich in einer Pionierinnenrolle: „I was the first completely full-blown, in-your-face queen to stand up on a rock'n'roll stage and say 'I am what I am, I don't give a damn'“, so County in einem Interview mit dem Fanzine Punk Globe. Ein Blick auf den Pressespiegel ihrer Homepage zeigt die Empörung, die ihre Auftritte einst auslösten und die Angst derbürgerlichen Medien vor einer Person, die sich auf keine geschlechtliche Identität festlegen will und dies auch offen nach außen  trägt. Countys Musik wird als „Müll“ bezeichnet, der eher in den Abfalleimer gehört als auf eine Bühne. Mit ihrer provozierenden Message sollte Countys Kunst die homo- und transphoben Wertvorstellungen der Öffentlichkeit herausfordern. Sie flucht, schimpft und phantasiert.

Damit will sie vor allem vor den Kopf stoßen. Selbst beschreibt sie sich als „verrückt, vernünftig, ungeduldig“. Die Verschränkung von Kunst und politischem Aktivismus macht das eigene Leben zu einem großen Kunstwerk, so der avantgardistische Anspruch, den die Person County verkörpert. Sie selbst wurde zumRock'n'Roll-Star im Zirkus des Showbiz, zu einem  „Freak“, wie ein Artikel in The Province dazu verlautbarte: „Wayne hat seine Ausdrucksform im Rock gefunden, wo Freak Shows Teil des Normalen sind. Du hast eine Frau in einem Männerkörper, du zeigst es nach außen: Das ist Show-Business.“

Bands wie die New York Dolls, die mit ihrem crossdressing für Aufsehen sorgten, Auftritte von Iggy Pop & the Stooges, die regelmäßig im Exzess endeten, oder Patti Smith, die mit Krawatte und Sakko auf der Bühne stand und dafür bekannt wurde,konnten die Aufmerksamkeit nicht nur kommerziell nutzen. Sie alle prägten die Popwelt nachhaltig.

Privatisierung des Politischen? Wasdamals als anstößig und verpönt galt, ist heute in vielen Teilen der Popwelt bereits etabliertes Stilmittel. Von David Bowie, Prince über Madonna zu Lady Gaga – um nur einige der ganz Großen zu nennen – ist das Spiel mit Geschlechteridentitäten wichtiger Bestandteil künstlerischen Ausdrucks, begleitet von einem gar nicht so aufrührerischen Sound. Das scheint heute der Normalität zu entsprechen. Auch wenn von der Musikpresse, wie etwa dem Juice-Magazine, dem größten europäischen HipHop- Zine, das Coming-Out des R'n'B/Soul-Sängers Frank Ocean 2012 als Meilenstein bezeichnet wird. Ocean ist Mitglied des hocherfolgreichen, aber ob seiner homophoben, sexistischen und gewaltverharmlosenden Äußerungen umstrittenen Hip-Hop-Kollektivs Odd Future und gilt als das derzeit größtes Talent ineinem stark männlich geprägten, oft misogynen und homophoben Umfeld.

In eigener Sache. Auch das rege mediale Interesse am Coming-Out der Sängerin Laura Jane Grace von der Punkrockband Against Me!  galt, ähnlich wie bei Ocean, weniger der sexuellen bzw. der geschlechtlichen Identität als Teil eines künstlerischen und politischen Konzepts, sondern vielmehr der konkreten Lebensrealität von Grace als Person. Während Jayne County erst in den  jüngsten Interviews einige wenige persönliche Details verraten hat, liest sich die umfassende Reportage des Rolling Stone um Graces Coming-Out wie ein persönlicher Erlebnisbericht. Spielten sich die Interviews Countys in Clubs oder Kellerräumlichkeiten irgendwelcher Studios ab, so bittet Grace Rolling-Stone-Reporter Josh Eells zu sich nach Hause, in eine der „unpunkigsten Nachbarschaften, wie man sich vorstellen kann“, wie Eells schreibt. Diese Geste bezeichnet symptomatisch den Duktus aller Interviews und Artikel über Grace – seien sie von MTV oder dem Rolling Stone, sie vollziehen alle eine völlige Öffnung der privaten Sphäre gegenüber der Öffentlichkeit. Beim Dinner mit der Familie erzählt sie von der an ihr diagnostizierten gender dysphoria und ihren persönlichen Umgang damit. „Es war etwas sehr Verstecktes, mit dem sehr privat umgegangen wurde.”

Die erste Punk-Generation der New Yorker Szene wollte sich, im Unterschied dazu, gegen den Mainstream behaupten. Die Pioniersfunktion, von der County spricht, findet sich bei Grace nicht. Sie macht ihre transition nicht zum Gegenstand ihrer  Bühnenperformance, sondern will in erster Linie mit sich selbst ins Reine kommen. In einem Interview, das Grace für The Guardian gegeben hat, antwortet sie auf die Frage, warum sie eine derartige Strategie der völligen Offenlegung ihrer Privatsache wählte: „Es ist eine gewisse Art von Normalisierung, die man betreibt, wenn man damit so öffentlich umgeht.“

Nicht zuletzt scheint es einen pragmatischen Grund zu geben: „Wenn du so etwas wie das Rolling Stone hast, das du jemandem  geben und sagen kannst: ‚Wenn du danach noch Fragen hast, nur zu‘, ist das großartig. Besonders wenn man sonst eineinhalb Millionen Gespräche führen müsste.“ Laura Jane Grace begegnet der Öffentlichkeit anders als die_der frühe Punk. Provokation und  Exzess waren dereinst das laute Gebot der Stunde – nicht nur als politischer Stil, sondern durchaus auch als Marketing-Mittel. Pop-Musiker_innen heute wollen und können sich nicht mehr durch solche Provokationen abgrenzen. Die Normalisierung, von der Grace spricht, könnte als eine Form des politischen Kampfes gesehen werden. Kunstschaffende wie sie wollen heute gewöhnlich  sein. Und so zeigt sich auch deren Lebenswelt: normal, langweilig, gewöhnlich. Und das ist auch gut so.

Mutter Gottes, Jungfrau, werde Feministin

  • 28.09.2012, 10:00

Neonfarbene Sturmmasken wurden in den letzten Monaten zum großen Trend: Der Prozess gegen die Punkband Pussy Riot zeigt, wie in Russland mit politischem Engagement umgegangen wird und verursachte einen Aufschrei rund um den Globus.

Neonfarbene Sturmmasken wurden in den letzten Monaten zum großen Trend: Der Prozess gegen die Punkband Pussy Riot zeigt, wie in Russland mit politischem Engagement umgegangen wird und verursachte einen Aufschrei rund um den Globus.

Zwei Jahre Haft lautet das Urteil, das Richterin Marina Syrowa Mitte August über die Musikerinnen Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch verhängt hat. Die Riot Grrlz wurden durch ihre Verhaftung nach einem „Punkgebet“ in der orthodoxen Christ-Erlöser-Kathedrale im Zentrum Moskaus weltweit berühmt. „Rowdytum“und „religiöse Hetze“ lautete die Anklage gegen die drei Frauen – den wahren Grund sehen viele jedoch in der Anti-Putin-Politik der Pussy Riots: Seit Oktober 2011 war die Gruppe im Vorfeld der russischen Präsident_innenschaftswahlen aktiv und äußerte in zahlreichen Auftritten Kritik an Vladimir Putin.

Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin. „Das politische Engagement gegen Putin wächst in Russland immer stärker. Mehr und mehr junge Leute werden in der Bewegung aktiv. Sie wollen die Politik beeinflussen und faire Wahlprozesse“, erzählt Olga Vlasova von der Russischen Demokratischen Partei. Der Prozess gegen Pussy Riot ist für die 26jährige Politikwissenschafterin eine reine Machtdemonstration, die Anklage an den Haaren herbeigezogen: „Die Aktion von Pussy Riot war sehr politisch, sie hatte aber nichts mit Religion zu tun. Der Ort wurde lediglich gewählt, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erregen.“ Vlasova ist überzeugt, dass genauso wie die Hauptaussage der Aktion – Mutter Gottes, verjage Putin – auch der Prozess „ein reines Politikum“ sei.

Das Delikt „Rowdytum“ behandelt das russische Gesetz in zweierlei Hinsicht: Einerseits als Verwaltungsübertretung, wenn keine Sach- oder Personenschäden verursacht wurden – mit einem Höchststrafmaß von 15 Tagen Gefängnis; andererseits, wenn Menschen verletzt werden, oder Dinge zerstört werden, im strafrechtlichen Sinne. „Es mag sein, dass öffentlicher lautstarker Protest und provokatives Verhalten unter ‚Rowdytum‘ fallen, aber in diesem Fall ist es dennoch noch ein großer Schritt zu gewalttätigem, zerstörerischem Auftreten. Auch Blasphemie ist meiner Meinung nach etwas anderes“, meint Paula Sonnraum, die seit letztem November in Russland arbeitet und hier lieber mit geändertem Namen erwähnt sein möchte. Die Tirolerin war selbst im Gerichtssaal anwesend und verfolgte das Geschehen. „Der Prozesstag an sich ist eigentlich sehr ruhig verlaufen. Aber als ein Aufmüpfiger unter den Zuhörer_innen Kritik äußerte, wurde er letztlich unsanft aus dem Gerichtssaal gebracht“, erinnert sie sich an die Verhandlung Mitte August.

Alle Pfarrkinder kriechen zur Verbeugung. Immer mehr russische Staatsbürger_innen schließen sich derzeit wieder der orthodoxen Kirche an – Religion ist in. „Viele haben hier einen ganz anderen Zugang zu ihrem Glauben als beispielsweise in Österreich, weil dieser während der Sowjetunion lange Zeit verboten war. Ich habe mehrere Freund_innen, die sich erst im Erwachsenenalter taufen gelassen haben”, erzählt Sonnraum. Dieser Zustrom und die damit einhergehende steigende Relevanz der Kirche waren auch im Prozess gegen Pussy Riot zu spüren. „Der Kreml versucht schon lange, die Kirche für politische Zwecke zu missbrauchen, ihr Einfluss wächst in Russland immer mehr. Ich denke, auch Pussy Riot hat das verstanden und hat daher diesen bestimmten Ort für ihre Aktion gewählt“, sagt Vlasova. Putin könne die Band nicht einfach gehen lassen, weil ihre Aktion „die beiden heiligsten Institutionen in Russland“ angegriffen hat: „Den Kreml selbst und die Kirche.“ „In Russland gilt zwar die Trennung von Staat und Kirche. Letztere ist jedoch ein riesiger Machtfaktor in der Russischen Föderation. Eine enge Beziehung zwischen Kirche und Kreml kann nicht geleugnet werden“, bestätigt auch Sonnraum. Gerade die streng orthodox Gläubigen setzten sich für eine strenge Verurteilung der Sängerinnen und ein hohes Strafmaß ein.

Das Verfahren gegen die Punkband hat die russische Bevölkerung gespalten – entweder war man für oder gegen Pussy Riot. „Es gibt viele extreme Orthodoxe und das war ihre Gelegenheit, aus ihren Schatten zu treten. Ich selbst bin gläubig, aber Pussy Riot hat meiner Meinung nach im strafrechtlichen Sinn keine Gesetze gebrochen, also sollten sie auch nicht vor Gericht stehen“, so Vlasova.

Das Gespenst der Freiheit im Himmel. Während in Russland dieses Thema betreffend also keine Einigkeit herrscht, stehen im Ausland Solidaritätsbekundungen und mediales Entsetzen an der Tagesordnung. Kaum eine internationale Zeitung hat in den letzten Monaten nicht über die maskierten Gegnerinnen von Putin berichtet, in Deutschland und Österreich wurden in Kirchen Free-Pussy-Riot-Aktionen abgehalten, zahlreiche Stars und Sternchen stellen sich auf die Seite der inhaftierten Frauen. Und auch im Social-Media-Bereich haben die Proteste gegen Putin Einzug genommen: Profilbilder werden mit Sturmmasken in allen Farben des Regenbogens versehen, Liedtexte und Bilder des Pussy-Riot-Auftritts werden täglich getwittert und das Online-Spiel Angry Birds wird zu Angry Kremlins.

„Das Medienecho hat jedenfalls Einfluss auf die Situation hier, es geht nicht mehr nur um einen Prozess gegen Sängerinnen, die sich nicht adäquat verhalten haben, es ist viel mehr daraus geworden“, meint Sonnraum. Die 28-jährige sieht in den Reaktionen auf das Verfahren gegen Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch jedenfalls eine Stärkung der Regierungskritiker_innen: „Ich denke, dass der Prozess Leute motiviert, etwas zu tun, er ist ein weiterer Tropfen, in einem Fass, das bald überlaufen könnte, der Putins Gegner_innen Recht gibt und sie aufstachelt. Es ist doch ein Armutszeugnis, sich mit solchen Methoden an der Macht zu halten.“

Die Überschrift und alle folgenden Zwischenüberschriften sind Zitate aus dem „Punkgebet “, für welches Pussy Riot angeklagt und verurteilt wurde.

Der Traum vom Leben auf der Bühne

  • 13.07.2012, 18:18

Die lokale Musikszene ist im neuen Jahrtausend wieder zum Leben erwacht. Trotzdem scheintes schwierig, mit dieser Musik genug Geld zu verdienen, um davon leben zu können.

Die lokale Musikszene ist im neuen Jahrtausend wieder zum Leben erwacht. Trotzdem scheintes schwierig, mit dieser Musik genug Geld zu verdienen, um davon leben zu können.

Österreich ist in aller Welt bekannt für die großen MusikerInnen, die innerhalb seiner Grenzen geboren wurden oder gewirkt haben. So tanzte vor ein paar hundert Jahren ganz Europa zu den Klängen von Mozart und der Strauß’schen Familie. Ende des letzten Jahrtausends hatte Falco seinen großen internationalen Erfolg und der Begriff Austro-Pop war in aller Munde.
Gerne wurde und wird die österreichische Musikszene für tot erklärt, nur um sie kurz darauf als wiederauferstanden zu feiern. Die Neuen ÖsterreicherInnen werden von Ö3 in Dauerwerbesendungs-Manier gespielt und FM4 nimmt gerne österreichische Alternativbands ins Programm.

Pop ist in. Gerade in den letzten Jahren hat sich in der Musikszene einiges getan. Die sogenannten Neuen ÖsterreicherInnen entstanden durch eine Initiative von Ö3, die 2007 beschloss, Pop-, Rock- und Alternativmusik zu fördern. Der Begriff hat sich auch für eine Art von Bewegung innerhalb der österreichischen Musiklandschaft etabliert.
Begonnen hat diese Bewegung mit dem großen Erfolg Christina Stürmers im Ausland sowie mit Soundcheck, einem Bandcontest von Ö3, der einige neue Talente zu Tage befördert hat. Gleichzeitig erhöhte sich die Airplay-Zeit österreichischer Bands auf Ö3 von fünf auf neun Prozent. Bis 2011 sollen es bereits elf Prozent sein.
Nicht nur Christina Stürmer ist in allen Medien und der Werbung zu sehen. Mittlerweile sind Namen wie Luttenberger*Klug, SheSays, Mario Lang, PBH Club oder Zweitfrau nicht mehr aus der Pop-Radio-Welt wegzudenken. Der Begriff Austro-Pop kann also auch im neuen Jahrtausend mit Inhalt schmücken und ist heute nicht mehr bloß ein Ausdruck für vergangene musikalische Leistungen österreichischer Alt-KünstlerInnen. 

Die Suche nach Alternativen. Auch FM4 ließ sich den Schwung an neuen musikalischen Entdeckungen nicht entgehen. Seit Oktober 2001 betreibt der Sender eine Online-Plattform, auf der österreichische KünstlerInnen ihr Material kostenlos hochladen können. In einer wöchentlichen Sendung werden Neuigkeiten rund um die Szene veröffentlicht sowie neue MusikerInnen vorgestellt.
Auch dieses Jahr suchte der Sender wieder junge DJ*anes, die auf Festivals auflegen. Zur Bewerbung musste ein Mix-Tape mit Liedern aus dem FM4 Soundpark eingeschickt werden. Nicht nur auf Festivals sondern auch in der Sendung zum Soundpark werden die Mixes dann gespielt.
Neben der Ausstrahlung der Musik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk entstanden auch einige Initiativen von KünstlerInnen. So gründeten Bernhard Kern und Robert Stadlober zum Beispiel 2005 in Wien Siluh Records. Mittlerweile beherbergt das Label eine Handvoll österreichischer Bands. Neben Robert Stadlobers Band Gary komponieren auch andere Alternativ-MusikerInnen wie A Life, A Song, A Cigarette, Killed By 9V Batteries und Sweet Sweet Moon unter Siluh Records. 

Musikalische Armut. Trotz der Bekanntheit der Bands und der starken Unterstützung durch die heimischen Radios ist der Erfolg für viele Bandsin Österreich beschränkt. So meint Bernhard Kern von Siluh Records: „Als Musiker oder Musikerin ist es, glaube ich, schon ziemlich schwierig, auf lange Sicht Geld zu verdienen. Die bekanntesten Bands aus dem FM4 Universum können nicht davon leben.“ Außer im Fall Christina Stürmers scheint also Musik für österreichische Musikschaffende nicht für den Lebensunterhalt auszureichen.
Zwar gibt es in Österreich einige Förderungen, so zum Beispiel von der Gesellschaft zur Förderung österreichischer Musik Ges.m.b.H., die zu 100 Prozent der Vereinigung AKM (AutorInnen, KomponistInnen und VerlegerInnen) gehört. AKM ist die größte UrheberInnenrechtsgesellschaft Österreichs. Für einige KünstlerInnen ist dies aber auch eine politische Frage, denn die Freiheit der Kunst bedeutet für sie, dass Kunst allen Menschen zugänglich sein muss.
Neben dieser Form der Förderung gibt es auch Geld von verschiedenen Stellen, wie zum Beispiel aus den jeweiligen Kunsttöpfen der Städte und Gemeinden oder auch von Privatinitiativen. Der Dschungel an Fördermöglichkeiten ist gerade für junge MusikerInnen ohne Label schwer zu durchschauen.
Bernhard Kern sieht aber noch ein anderes Problem: „Für viele Bands ist es auch Bequemlichkeit, die spielen eben ihre fünf Gigs bei den FM4 Festivals und den Rest des Jahres müssen sie sowieso in ‚echten‘ Jobs arbeiten. Nach dem Ende des Studiums ist dann oft die Karriere zu Ende.“ Seiner Meinung nach können auch österreichische Bands in ihrer jeweiligen Nische außerhalb von Österreich Bekanntheit erlangen, dies ist aber ein langwieriger und anstrengender Prozess mit vielen Kleinstauftritten. Und so bleibt der Traum vom Leben auf der Bühne meist genau das: Ein Traum. 
 

Internet macht Musik interessant

  • 13.07.2012, 18:18

Im Rahmen ihres Konzertes in Lissabon hat progress die amerikanische Gitarristin Kaki King getroffen und mit ihr im Kaffeehaus über ihre Musik und die digitale Evolution gesprochen.

Im Rahmen ihres Konzertes in Lissabon hat progress die amerikanische Gitarristin Kaki King getroffen und mit ihr im Kaffeehaus über ihre Musik und die digitale Evolution gesprochen.

progress: Die Dreharbeiten zum Buch „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier finden hier gerade statt. Es handelt von einem Lehrer, der sein geordnetes Leben hinter sich lässt, um in eine neue Stadt zu reisen. Hast du das Gefühl, dass es als Künstlerin möglich ist, aus dem Alltag auszubrechen und alte Gewohnheiten zu durchbrechen?

Kaki King: Ja, manchmal kann es das sein. Ich glaube, viele Leute glorifizieren das - und das sollten sie auch. Ich meine, ich führe kein gewöhnliches Leben. Aber ich finde nicht, dass ich so anders oder einzigartig bin. Ich muss trotzdem noch alltägliche Dinge erledigen. Aber vielleicht mache ich das alles auch schon so lange, dass es sich normal anfühlt.

Das weitaus wichtigste Instrument in deiner Musik ist die Gitarre. In „Second Brain“ singst du: „Are we to have another century of the guitar when the best instrument in the world is still the piano...“. Warum hast du dich für die Gitarre entschieden?

Ich finde zwar, dass das Klavier das beste Instrument ist, weil es übersichtlicher und einfacher aufgebaut ist. Das ist auch der Grund, wieso MusikerInnen eher auf dem Klavier komponieren und nicht auf der Gitarre. Jedoch ist es mit dem Klavier schwieriger, auf Reisen zu gehen. Die Gitarre ist viel praktischer.

Auf „Junior“, deinem aktuellen Album, singst du von deinen kommunistischen FreundInnen. Gibt es die wirklich?

Ja klar! Ich war für fünf Minuten Kommunistin.

Wieso nicht länger?

Weil es definitiv eine gescheiterte Ideologie ist.

Hast du irgendwelche Erfahrungen mit kommunistischen Gruppen gemacht?

Irgendwann erreichen wir mal den Punkt, wo wir uns fragen: Hey, das Leben ist so unfair, was würde es fair machen? Lasst uns alle gleich sein! Und dann triffst du diese Freaks auf der Uni, die meinen, sie sind ernsthafte Hardcore-KommunistInnen. Die glauben, die nächste Revolution steht vor der Tür. Einmal nur erwähnte ich in deren Gegenwart, dass ich eine kommunistische Webseite gelesen hatte, und sie sagten gleich: „Komm mit uns, denn du bist eine von uns!“

Und bist du jemals zu einem Treffen gegangen?

Nein, auf keinen Fall. Mein Gott, nein.

Die Diskussion rund um den Schutz von künstlerischem Eigentum ist in den letzten Monaten durch gesetzliche Maßnahmen wie SOPA (Stop Online Piracy Act) in den USA und ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) in der EU neu entfacht. Wie findest du es, wenn Leute deine Musik frei downloaden und sharen?

Das Internet ist Teil der Evolution geworden, des kollektiven Bewusstseins. Es ist nicht mächtig, weil es eine Person kontrolliert, sondern weil wir alle Teil davon sind. Das zu bekämpfen, ist eine ganz schlechte Idee. Und das bedeutet nicht, wenig Geld zu verdienen. Es gibt Wege, deine Information zu schützen. Aber wenn du sagst, ich werde das nicht tun, weil ich nicht will, dass Leute das hören, wenn du alleine gegen diese Welle ankämpfst, ist das dumm. Das ist einfach ein neuer Weg, Wissen zu teilen. Ich denke nicht, dass man das stoppen sollte. Manchmal kommen Leute zu mir und sagen, dass sie alle meine Alben haben, und sie haben sie nicht gekauft, sondern runtergeladen und nicht dafür bezahlt.

Macht dich das wütend?

Nein, denn sie sind zur Show gekommen. Ich sehne mich nicht nach den Tagen, als man haufenweise Geld gemacht hat und von den Major Labels bezahlt wurde, um auf Tour zu gehen. Das gab es einmal, aber diese Zeit ist vorbei. Internet macht Musik wirklich interessant. Und ich liebe das: Leute können von Musik leben und sie verkaufen und gratis ins Internet stellen und auf Tour gehen. Mein Vater war früher immer dieser besondere Typ mit der coolen Musiksammlung, der zuhause immer Platten aufgelegt hat. Heute können wir alle derjenige mit der Wahnsinns-Musikkollektion auf dem iPod sein.

Gibt es andere Wege, Musik zu „schützen“, als mit Gesetzesentwürfen wie etwa SOPA, PIPA (Protect IP Act) und ACTA?

Dieser Gesetzesentwurf (Anm. der Red.: SOPA) ist wirklich verrückt. Es gibt keinen Weg, das zu überwachen, aber das ist ja das Schöne daran. Außer du bist die Regierung und blockierst die Website. Aber wenn Musik eingeschränkt wird, wird am nächsten Tag die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Das ist eine krasse Entwicklung. Ich möchte nicht Teil einer solchen Welt sein.

Was sind deine Pläne für die nächste Zeit?

Ich arbeite an einem Album. Irgendwas mit Sologitarren. Wird aber noch dauern. Ich habe mir im letzten Jahr ein bisschen freigenommen, und jetzt fang ich wieder mit der Arbeit an. We'll see!

Zur Person

Die amerikanische Musikerin Kaki King (geb. 1979) wurde durch ihre experimentelle Spieltechnik auf der Gitarre bekannt. King hat bereits mit Musikgrößen wie Dave Grohl, Tegan and Sara und Timbaland zusammengearbeitet und für Sean Penns preisgekrönten Film „Into the Wild“ den Soundtrack komponiert. 2006 schaffte sie es als einzige Frau in die Liste „The New Guitar Gods“ des Rolling Stones. Seit 2003 hat sie sieben Alben veröffentlicht, darunter ihr jüngstes Werk „Junior“, das auf Rounder Records erschienen ist.

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