Musik

„Mit ich trau’ mich nicht komm’ ich nicht weit“

  • 16.03.2015, 13:57

Die Wiener Rap- und Slamkünstlerin spielt nicht nur gerne mit Sprache, sondern auch mit Rollen. Je nach Lust und Laune tritt sie als kritische Yasmo oder glamouröse Miss Lead auf. „Kein Platz für Zweifel“ ist ihr aktuelles Album. Mit 15 stand sie zum ersten Mal auf der Bühne. Vier Jahre später slammte sich Yasmin Hafedh als erste Frau ins Finale der österreichischen Poetry-Slam-Meisterschaften. Im Interview mit progress diskutiert die 24-Jährige über Gleichberechtigung in einer Männerdomäne, Zweifel an der eigenen Karriere und die politische Dimension ihrer Musik.

Graz: Ein Glitzern im dunklen Treppenhaus der Jazzbar Stockwerk. Eine zierliche, junge Frau mit goldenem Haarschmuck steigt schwungvoll die Treppen hinauf. Yasmo? Nein, heute eindeutig Miss Lead! Die Wiener Rap- und Slamkünstlerin spielt nicht nur gerne mit Sprache, sondern auch mit Rollenklischees. Je nach Lust und Laune tritt sie als kritische Yasmo oder glamouröse Miss Lead auf. „Kein Platz für Zweifel“ ist ihr aktuelles Album.

Mit 15 stand sie zum ersten Mal auf der Bühne. Vier Jahre später slammte sich Yasmin Hafedh, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, als erste Frau ins Finale der österreichischen Poetry-Slam-Meisterschaften. Im Interview mit progress diskutiert die 24-Jährige über Gleichberechtigung in einer Männerdomäne, Zweifel an der eigenen Karriere und die politische Dimension ihrer Musik.

progress: In „Kein Platz für Zweifel“ singst du „mit ich trau’ mich nicht komm’ ich nicht weit“. Was ist die Intention dahinter?

Yasmo: Die Idee dahinter ist, Zweifeln und Unsicherheiten mit Dreistigkeit zu begegnen. Es soll ein Arschttritt sein, aber auch zeigen, dass Motivation und Mut zusammengehören. Mit dem Lied will ich dem berühmten „Nein, ich trau’ mich nicht“ entgegentreten.

Bei einem deiner ersten Hip-Hop Battles bist du nach fünf Minuten gegangen, weil du Angst bekommen hast. Wie hast du das Gefühl überwunden?

Mit 14 habe ich, inspiriert von Schiller, begonnen mit Sprache zu spielen und angefangen Rap zu hören. Bei meinem zweiten Hip-Hop Freestyle waren viele große Männer mit Kappen und breiten Schultern, die pure Aggression ausgestrahlt haben. Ich wollte mir das anschauen wie eine Museumsausstellung, bin aber gleich wieder gegangen. Beim Slam sind die Poeten nicht mit ausgestreckten Ellbogen unterwegs. Zu rappen habe ich später im kleinen Kreis begonnen, unter zehn Männern, die respektvoll waren und aus der linken Szene gekommen sind. Ich war immer die einzige Frau und alle anderen erwachsen. Das Rappen im geschützten Raum hat mir geholfen heute mit herausgestreckter Brust Hip-Hoppern zu sagen, dass ich ihr Dissen und Batteln einfach scheiße finde.

Wo und wie bist du als Frau in der Männerdomäne Hip-Hop auf Widerstand gestoßen?

Immer wieder sind kiffende Typen Backstage, die mich fragen wessen Freundin ich sei. Da antworte ich, dass ich die Headlinerin bin und denke mir nur: „Fick dich!“ Als mich ein Typ auf ein Getränk einladen wollte und ich ablehnte, sagte er: „Mädel, das ist ja schön und gut was du machst, aber Rap ist immer noch Männersache.“ Dieses Denken spiegelt sich in der Szene wieder. In Österreich gibt es nur drei bekannte Frauen, die rappen: Mieze Medusa, Nora MC und ich.

Foto: Andreas Eymannsberger

Gewisse Verhaltensweisen werden Frauen von klein auf anerzogen. War das in deiner Familie auch der Fall? 

Ich bin in einer fortschrittlichen Familie aufgewachsen. Meine Mutter war selbstständig und ist das, was man vermutlich unter einer „starken Frau“ versteht. Obwohl mein Papa in Indonesien, einem noch viel patriarchalischerem Land als Österreich, aufgewachsen ist, hat er wohl schnell gelernt, dass er auch kochen und putzen muss (lacht). Feminismus habe ich erst viel später von außen kennen gelernt. Ich habe mich ehrlich gesagt zuvor nie gewundert, warum so wenige Frauen auf der Bühne stehen.

Wie nimmst du feministische Bestrebungen in Österreich wahr?

In Österreich gibt es Feminismus, aber wie überall auf der Welt nur in kleinen Szenen. Gleichberechtigung fängt nicht mit 24 in einem Interview an, sondern bei der Erziehung. Von Anfang an wird man in eine Schublade gesteckt, in der man bleibt, bis man beginnt alleine zu denken und an der Uni „Gender Studies“-Vorlesungen besucht.

Du engagierst dich auch gegen Rechts, richtig?

Meine antifaschistische Einstellung äußert sich in meinen Texten und ich trete bei Soli-Konzerten auf. Ich gehe auf Demos und kann sagen, dass die Repression in Wien ein Wahnsinn ist. Die Wiener Bevölkerung zahlt ihre Steuern für die Hypo und die Polizei, der Rest von Österreich nur für die Hypo (lacht). Bedachter Protest und Widerstand sind unglaublich wichtig, aber es darf nicht zu einem plumpen Phrasengedresche werden. Demonstrieren ist ein politischer Akt, dabei muss man so handeln, wie man es von politischen Vertreter_innen erwartet.

Mal trittst du als politische, kritische Yasmo auf, dann wieder als arrogante, glamouröse Miss Lead. Woher kommen diese Rollen?

Generell schlüpft man die ganze Zeit in Rollen. Rede ich mit meiner Mama, bin ich in einer Rolle und rede ich mit dir, bin ich in einer Rolle. Alle zusammen machen einen wie Puzzleteile zu einem Ganzen. Bei Auftritten wechsel ich gerne zwischen beiden Charakteren, da kann es auch zu einem Outfitwechsel kommen.

Entscheidet man sich für diese Rollen immer selbst oder wird man teilweise hineingedrängt?

Ich lass mich nicht in eine Schublade stecken: Ich, Yasmin Hafedh, bin politisch, antisexistisch, ein bisschen links, nachdenkend und lese gerne Bücher. Das alles ist in Yasmo stark zu spüren. Ich bin aber auch hin und wieder grantig und will unhöflich sein. Dafür ist Miss Lead da. Außerdem ist diese Figur praktisch, wenn ich etwas Dummes anstelle. Ich kann ihr die Schuld daran geben (lacht).

In „Kunst y’all“ rappst du: „Frag nicht ob ich davon leben kann, ich leb’ dafür“ und, dass du „Kultur ohne Industrie“ leistest. Wie schiebt man seine Unsicherheiten beiseite um seine Träume zu verwirklichen?

Ich stecke viel Zeit in unbezahlte Kulturarbeit. Poetry Slam wird der „Untergrundkultur“ zugerechnet, weil man eben nicht im Burgtheater auftritt. Kunst ist aber etwas wert, weil ich für einen Auftritt meine Zeit hergebe. Das wird in Österreich leider oft vergessen. Zurzeit kann ich von meinem Traum leben, wenn es nicht mehr funktioniert, gehe ich halt kellnern. Es gibt einen Unterschied zwischen „einen Job machen“ und „einen Beruf haben“. Bei einem Beruf glaubt man, dafür berufen zu sein. Einen Traum kann man schwer halb leben. Neben einem 9-to-5-Job, den du für die Miete brauchst, ist es schwer, mitten in der Nacht Ideen aufzuschreiben.

 

 

Sara Noémie Plassnig studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz.

  

Raus aus der Indie-Blase

  • 29.06.2014, 19:38

Böser Hip Hop vs. idealisierter Indie-Rock: Solche Dichotomien bieten die Bühne für internalisierte Kackscheisze. Das Verlernen dieser Vorurteile ist mühsam und dauert – ein Erfahrungsbericht.

Böser Hip Hop vs. idealisierter Indie-Rock: Solche Dichotomien bieten die Bühne für internalisierte Kackscheisze. Das Verlernen dieser Vorurteile ist mühsam und dauert – ein Erfahrungsbericht.

Mit 15 wusste ich das Übel aller Musikgenres genau zu benennen. Eigentlich waren es mehrere Übel. Unter dem Eindruck von trashigem Billigtechno aus den Handys halbstarker Typen an der Bushaltestelle und dem zu sehr nach Plastik klingenden Versuch David Guettas, House zu produzieren, kam es mir wie eine Beschimpfung vor, diese beiden Genres als Musik zu bezeichnen. Die Zeit und der Berliner Clubkosmos lehrten mich, dass sowohl Techno als auch House tatsächlich sehr magische Genres sind. Und Gitarrenrocktypen, die mir erzählen, dass komplett digital produzierte Musik keine „echte Musik“ sei, denken vermutlich auch, lesbischer Sex sei kein „richtiger Sex“. Just saying.

Problematische Genres? Vorurteile hegte ich allerdings auch gegenüber dem Hip Hop. Deutschsprachiger Hip Hop – mit oder ohne Migrationshintergrund – war explizit gewaltverherrlichend, materialistisch, rassistisch, antisemitisch, heterosexistisch und misogyn besetzt. Die Kollegen aus den USA hinterließen bei mir keinen besseren Eindruck, zumal sie in ihren Musikvideos mit Waffen, Geld, Autos und auf Objekte männlichheterosexuellen Begehrens reduzierten Frauen um sich warfen. Hip Hop war nicht mein Genre. Hip Hop war das Genre des Pöbels. Klassismus-Alarm hoch zwanzig.

Wenn Hip Hop gut war, dann war er in der Regel von weißen Interpreten wie Fettes Brot, Deichkind oder den Beastie Boys. Ein Paradebeispiel erfolgreicher Kulturaneignung: Erst klauen sie People of Color ihr Genre, eigentlich für von Rassismus Unterdrückte als Empowerment erdacht, dann werden sie auch noch als diejenigen vermarktet, die es endlich richtig machen. Genannt werden muss an dieser Stelle auch Casper, der keinen sonderlich nennenswerten Flow zu bieten hat und es textlich nicht über Kalendersprüche und Zitat-Collagen hinausschafft.

Die Annahme, dass ein Genre pauschal problematisch sei, macht all die ohnehin schon marginalisierten Subgenres wie Queer Rap oder Conscious Rap sowie Rapperinnen* unsichtbar. Die Annahme, dass People of Color grundsätzlich nicht in der Lage seien, politisch korrekte Musik zu machen, ist dazu noch rassistisch. Die Entstehungsgeschichte und Subversion des Hip Hops werden durch solche Vorurteile gänzlich ausradiert.

R’n’B warf ich seinerzeit in den gleichen Topf und dachte, er sei Hip Hop mit einem Hauch Kitsch. Auf Partys waren wir Indiekids uns darüber einig, dass Hip-Hop und R’n’B schon allein aus politischen Gründen uncool seien. Dass ich mit 13 eine sehr intensive Hip Hop- und R’n’B-Phase hatte, verschwieg ich und machte dies zu einem weiteren Anlass für pubertären Selbsthass. Dass ich manchmal heimlich die Pussycat Dolls hörte, erzählte ich natürlich auch nicht.

Ignorante Indiekids. Und das war nicht mal der Gipfel meiner Ignoranz als Indiekid. Das Nonplusultra stellte für mich das scheinbar perfekte Genre Indie-Rock dar. Die Videos waren artsy, ironisch und gaben einem_r beim Rezipieren die Illusion des Intellekts. Ich bildete mir ein, dass Indie-Rock ein Safe Space sei. Gar nicht so überraschend platzte auch diese Blase. Konstruierte Dichotomien, wie sie zwischen Indie-Rock und Hip Hop vorherrschen, blockierten jahrelang meinen eignen Spaß. Nach und nach grub ich die Kackscheisze der Indiewelt aus oder wurde Zeugin des Grabens anderer Leute.

Misogyne Texte zum Beispiel gibt es in der Rockmusik eine Menge. Einen kleinen Einblick verschaffen Blogs wie MisogynicLyricsThatArentRap.tumblr.com. Mit dabei sind zum Beispiel Alt-J, Pink Floyd, Interpol, The Kooks und The Offspring. Viele sind Indie-Darlings, darunter auch weibliche. Kate Nash ist zwar als Feministin sehr populär, hat aber auf bisher allen ihrer drei Alben sexistische Songs vorzuweisen. Ihr Problem heißt Girl Hate und ist auch als internalisierte Misogynie bekannt. In „We Get On“ („Made of bricks“, 2007) betreibt sie Slut Shaming und feindet eine Frau an, weil die sich ihren Schwarm schnappt. Von ihrer sonst so angepriesenen Sisterhood bleibt nicht viel übrig.

Mittlerweile habe ich meine Musiksammlung um viele tolle Female Artists unterschiedlicher Genres erweitert. Dazu musste ich in erster Linie feststellen, dass meine alte Musik sehr typendominiert war. Dann bewies ich mir selbst, dass es unglaublich viele Künstlerinnen gibt, die mir entgangen waren. Auch in diesem Punkt könnte ich noch viel weiter graben, soviel ist gewiss.

Immer nur Typenmusik. Auf einer Indie-Party rief ich neulich zum Beispiel nach dem fünften Song über The Killers hinweg einer Freundin zu: „Ey, die spielen ja nur Typenmusik hier!“ Zwischendurch schallten zwar auch weibliche Gesänge durch den Raum – wäre auch ziemlich peinlich für die DJDudes, wenn sie die Größen The Knife oder M.I.A. geleugnet hätten – aber nicht-weiße, nicht-männliche Künstler_innen machten insgesamt nur einen Bruchteil der Playlist aus. Je mehr ich mich mit Problematiken des Indie-Rocks beschäftige, desto mehr frage ich mich, woher ich als Jugendliche Anhaltspunkte nahm, mich als nicht-weiße, dicke Frau in dieser Szene repräsentiert zu fühlen.

All das hätte ich gerne schon mit 15 gewusst. Das tat ich aber nicht, weil Musikzeitschriften nicht gerade die richtigen Vermittler sind. Wie wenig (sichtbaren) Raum für Frauen* es im Rock gab und gibt, ist großteils in Vergessenheit geraten. Schaue ich mir die Popkulturzeitschrift Spex an, so sind in der Regel Typen auf dem Cover – und sind es doch mal Frauen (ohne Sternchen, sic!), dann nur normierte Schönheiten wie eine weiße Lana del Rey. Coole Blätter wie das Missy Magazine gab es damals noch nicht. Damals, damals.

Dem Irrglauben, dass weiße Typen die Pioniere für alles – Musik, Kunst, Literatur, alles eben – waren, folgte ich lange. Und mit der Erkenntnis, dass dies nicht so ist, bin ich, so traurig es ist, immer noch in der Unterzahl. Die Cover-Landschaft der Kulturzeitschriften hat sich nicht geändert. Musik bekommt erst dann den Stempel „gute Musik“, wenn sie viele Typen in der Fangemeinde hat – „Mädchenmusik“ ist nach wie vor ein sehr stark negativ konnotierter Begriff. Und mit dem Begriff Riot Grrrl können immer noch zu wenige etwas anfangen.

 

Hengameh Yaghoobifarah studiert Medienkulturwissenschaft an der Universität Freiburg. Sie bloggt unter teariffic.de und twittert als @sassyheng.
Foto: Serge Melki

Bis zum Atlantik und noch viel weiter

  • 23.05.2014, 16:29

Der Musiker Matthias Frey alias Sweet Sweet Moon wurde mit einem Youtube-Hit weltweit bekannt. Am Boden geblieben ist er dennoch – an einem Vormittag hat er uns zum Bocciaspiel eingeladen und uns dabei Geschichten aus seinem abenteuerlichen Leben als Musiker erzählt.

 

Der Musiker Matthias Frey alias Sweet Sweet Moon wurde mit einem Youtube-Hit weltweit bekannt. Am Boden geblieben ist er dennoch – an einem Vormittag hat er uns zum Bocciaspiel eingeladen und dabei Geschichten aus seinem abenteuerlichen Leben als Musiker erzählt.

Ein junger Mann mit blondem Pilzkopf kommt uns auf einem Retro-Rad entgegengefahren. Er trägt ein weißes Champion-T-Shirt, wie man es noch aus den 90ern kennt, eine ausgebeulte Jeans, Wanderschuhe und einen dichten Bart. In seiner rechten Hand hält er einen kleinen Holzkoffer: „Ich hab’ die Bocciakugeln von meiner Mitbewohnerin mitgebracht, dachte wir könnten eine Runde spielen“, sagt er und grinst. Matthias Frey, Jahrgang 1988, ist viel unterwegs, aber heute hat er sich Zeit genommen, um uns Geschichten von seinen Reisen zu erzählen. Davon gibt es einige. Vor ein paar Monaten war Sweet Sweet Moon mit seinem Kollegen, dem Chellisten Lukas, auf Tour in Italien. Dafür haben sich die zwei jungen Männer einen alten VW-Bus ausgeliehen, der alle paar Kilometer eine Panne hatte: „Wir wurden dauernd von der Polizei angehalten, weil wir nicht schneller als 50 fahren konnten“, erzählt Frey amüsiert. Ein anderes Mal mussten sie mitten in Sizilien an einem Hang den Bus stehen lassen, weil er die Steigung nicht mehr schaffte. Die beiden haben dann einfach ihre Instrumente gepackt und sind die restliche Strecke zum Veranstaltungsort zu Fuß gegangen. Frey packt Lebkuchen aus und bietet sie uns an – ein Mitbringsel aus Basel, wo er erst kürzlich war. „Mir gefällt das langsame Reisen, es ist zwar anstrengend, aber man sieht und erlebt einfach viel mehr.“ Eilig hat es der niederösterreichische Sänger und Geiger offenbar nicht. Bekanntlich hat man ja auch die besten Einfälle, wenn man einfach entspannt. Womöglich hat Sweet Sweet Moon deswegen so viele ausgefallene Ideen. Die braucht man heute definitiv, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu lenken. Sweet Sweet Moon ist das gelungen.

Fuck the Atlantic Ocean. 2011 landete er einen Youtube-Hit mit über 650.000 Klicks. In dem Video sieht man ihn und Lukas mit Violine und Chello auf der Rahlstiege im 6. Wiener Gemeindebezirk ein Konzert spielen. Gefilmt wurde das ganze vom Wiener Filmteam They shoot Music. Dass das Video plötzlich viral ging, war für sie überraschend. Noch viel erstaunlicher war, dass die meisten Klicks, laut Youtube-Statistik, unerklärlicherweise von Mittzwanzigern aus Chile und Argentinien kamen. Gemeinsam beschlossen sie, der Sache auf den Grund zu gehen und den Atlantik zu überqueren, um herauszufinden, warum es dort zum großen Erfolg kam. They shoot Music hatten außerdem die Idee, einen Dokumentarfilm über die Reise zu machen, also sammelten sie über eine Kickstarter-Aktion Geld und beantragten Kulturförderungen, um das Projekt zu finanzieren. 2013 flogen die Musiker nach Lateinamerika und kamen mit dem Film „Fuck the Atlantic Ocean“, in dem die ausgefallenen Konzerte auf der Reise dokumentiert wurden, zurück. Die Doku feierte Anfang März auf der Poolinale, dem Festival für Musikfilm, Premiere und ist nach wie vor auf einigen österreichischen Filmfesten und in Kinos zu sehen. Auf die Frage, ob sie letztendlich herausfinden konnten, wieso das Video gerade in Südamerika so beliebt war, zuckt Frey nur mit den Schultern: „Die Leute sind ja letztendlich doch überall gleich.“ Also bloßer Zufall? Frey nickt.

Geräuschkulissen. Matthias Frey gibt nicht unbedingt die Antworten, die man sich von einem Künstler erwartet. Anzugeben, das scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren. Anstatt über vermeintlich große Dinge zu reden, erzählt er lieber von den Kleinigkeiten des Alltags, zum Beispiel von seiner Arbeit in der Oper, wo er als Orchesterwart tätig ist. Frey setzt sich manchmal in die Orchesterproben und hört den MusikerInnen dabei zu, wie sie die Stücke des Impressionisten Claude Debussy spielen. Manchmal nimmt er das chaotische Einspielen der MusikerInnen oder die Geräusche der BalletttänzerInnen, wenn ihre Füße graziös auf dem Boden landen, auch auf. Die Aufnahmen arrangiert Frey dann im Studio und macht daraus spannende Geräuschkulissen. Die Liebe und Faszination für die klassische Musik scheint immer schon Teil seines Lebens gewesen zu sein: Bei der Arbeit in der Oper, in seiner Kindheit in der Musikschule, im Studium der Musikwissenschaft, aber auch während der Zeit beim Bundesheer, wo er seinen Chellisten „am Schießstand“ kennengelernt hat, wie Frey mit verzogener Mine erzählt. „Begegnet sind wir uns bei der Heereskapelle. Da haben wir gemeinsam Strauß-Walzer für Heinz Fischer am Nationalfeiertag und Märsche für die Offiziere gespielt.“ Militärisch klingt der Sound, den Sweet Sweet Moon macht, zwar nicht, aber der klassische Einschlag ist dafür sofort erkennbar: Er macht Musik, die man sich zusammen mit seinen Eltern auf der Couch anhören kann, ohne ihnen erklären zu müssen, wieso dieser Krach gut sein soll. In einer Zeit, die von epileptisch-hysterischen Klangwelten à la Skrillex geprägt ist, ist das die Ausnahme.

Es ist vor allem die manchmal fast schreiende, emotionsgeladene Stimme von Frey, die einen Kontrast zu den sonst glatten, schön arrangierten Streichakkorden bietet. Sein Gesang zeigt sich oft in Form von unbestimmbaren Lauten, die ganz natürlich aus Freys Mund herauszupurzeln scheinen. Alle Texte von Sweet Sweet Moon werden improvisiert und variieren von Konzert zu Konzert: „Bei dem einen Youtube-Video fragten mich die Leute oft nach den Lyrics, aber es gibt keine, zumindest keine sinnvollen, vielleicht sollt’ ich ihnen das mal sagen“, sagt Frey lachend. Der Gesang und die spontanen Texte sind vielleicht auch der einzige Hinweis darauf, dass er nicht nur Klassik hört, sondern eigentlich aus einem noisigen, punkigen Umfeld kommt, was sich auch mit Blick auf sein Label Siluh Records erahnen lässt. „Ich hab’ schon in der Schulzeit in einer Fun-Punk-Band gespielt. Wir waren einmal in Malaysien und Singapur auf Tour unterwegs. In Singapur wollte mich die Polizei mitnehmen. Die sind extra gekommen, um alle Leute, die zu jung für das Konzert waren, abzuführen. Irgendwie hab’ ich mich dann aber doch reingeschlichen“, erzählt er grinsend.

Boccia und Elektrobeats. Inzwischen sind wir aufgestanden, um Boccia zu spielen. Matthias sucht eine Stelle aus, wo sich der Kies „besonders gut“ zum Spielen eignet. Er kramt einen uralten tragbaren Kassettenrecorder mit eingebauten Lautsprechern aus seiner Tasche, stellt ihn auf den Boden und drückt auf Play. Experimentelle Elektrobeats dringen dumpf aus den Boxen. Er schmeißt die rote Kugel, auch „Schweinchen“ genannt, nach vorne und erklärt die Spielregeln. Konzentriert wirft er eine Metallkugel nach der anderen, vom Fotografen lässt er sich dabei nicht im Geringsten stören.

Man kann sich nur schwer vorstellen, dass den – aus einem kleinen Ort in der Nähe von Hollabrunn stammenden – Singer-Songwriter etwas aus der Ruhe bringen kann. Aber der Schein trügt: Frey ist zwar ein ruhiger Typ, aber er liebt die Ekstase. Zumindest in der Musik und bei Konzerten. Ihn stört es etwa, wenn das Publikum bei Auftritten zu verklemmt ist. Das sei vor allem hier in Österreich oft so, sagt er. Deswegen hat er zur Zeit ein Faible für arabische Musik und schaut sich Videos von Konzerten, etwa von der kultigen ägyptischen Sängerin Umm Kulthum auf Youtube, an: „Die spielte vor tausenden Leuten mit einem riesigen Orchester, die Leute applaudierten und schrien. Die grölten dann auf einmal alle los, weil sie die Bedeutung der Töne einfach verstanden haben. Das ist eigentlich richtig punkig, so wie früher im Jazz eben.“ Die Begeisterung in Matthias Freys Stimme ist deutlich hörbar. Das Publikum aus sich herauszulocken, das sei die Aufgabe der MusikerInnen, meint er. Überhaupt scheint ihm die klare Rollenaufteilung bei Auftritten wichtig zu sein: „Ich spiele eigentlich gar nicht so gerne auf der Straße, das ist oft so aufdringlich, die Leute wissen nicht, wie sie darauf reagieren sollen. Ich spiele lieber in großen Theatern oder Kirchen. Da sind die Rollen klarer.“

 

Matthias Frey hat mit 5:1 das kurze Bocciaspiel klar gewonnen. Es ist der erste Moment heute, in dem er ein bisschen stolz wirkt: „Ich hab das zwar erst einmal gespielt, aber ich kann das richtig gut“, stellt er zufrieden fest. Wir verabschieden uns und er macht sich auf den Weg in die Oper. In den nächsten Tagen wird er nicht erreichbar sein, fügt er noch schnell hinzu, bevor er sich auf sein Rad schwingt und davonfährt. Er sei irgendwo in den Bergen. Wahrscheinlich kommt er mit einer Menge ausgefallener Ideen und Lebkuchenherzen wieder zurück.

Mehr zu Sweet Sweet Moon: http://sweetsweetmoon.bandcamp.com/

(das "eine" Video findet ihr hier: https://www.youtube.com/watch?v=lFpFUhQfBfo)

 

Fotos:  Christopher Glanzl

 

Do it yourself! Grrrls on Stage

  • 07.04.2014, 11:02

„Frauen sind die Groupies, die Unterstützerinnen, oder maximal die Sängerinnen – das ist das gängige Bild von Rock Musik.“, so Sara Paloni von pink noise, dem Verein für feministische popkulturelle Aktivitäten, im Interview mit den beiden Radiomoderatoren Max beRunner und Mike Miller. Um mit diesem Stereotyp aufzuräumen, wird heuer bereits zum vierten Mal das pink noise Girls Rock Camp veranstaltet.

Frauen sind die Groupies, die Unterstützerinnen, oder maximal die Sängerinnen – das ist das gängige Bild von Rock Musik.“, so Sara Paloni von pink noise, dem Verein für feministische popkulturelle Aktivitäten, im Interview mit den beiden Radiomoderatoren Max beRunner und Mike Miller. Um mit diesem Stereotyp aufzuräumen, wird heuer bereits zum vierten Mal das pink noise Girls Rock Camp veranstaltet.

Unter dem Motto „Grrrls on Stage – Mädchen übernehmen die Bühne“ findet auch heuer wieder das pink noise Girls Rock Camp statt. Mädchen und junge Frauen im Alter von 14 bis 21 Jahren haben in den Sommerferien eine Woche lang die Möglichkeit, Instrumentenkurse zu erhalten und an Bandproben teilzunehmen. Zusätzlich werden verschiedene Workshops zu den Themen Songwriting, Konzertorganisation und Bühnenauftritte angeboten. Ziel ist es, andere musikbegeisterte Jugendliche kennenzulernen, eine Band zu gründen, gemeinsam Songs zu schreiben und sich selbstsicher auf der Bühne zu bewegen – unabhängig von individuellen Vorkenntnissen. 

Sara Paloni im Interview.

„Der zentrale Punkt ist: Do it yourself! Nimm die Gitarre in die Hand oder setz dich mal hinters Schlagzeug“, so Sara Paloni über die Intention des Camps. 

Um die Woche abzurunden, werden auch noch Filmabende veranstaltet, Selbstverteidigungskurse angeboten und vieles mehr.

Im Interview erzählt Sara Paloni auch, dass Rock Musik im Kontext des Girls Rock Camp weniger das Genre als mehr eine Einstellung oder Haltung bezeichnet. Die Teilnehmerinnen haben unterschiedliche Vorstellungen und Wünsche – von Indie bis Elektronik oder Hip Hop – auf die auch versucht wird, individuell einzugehen.

 

Wer sich dafür interessiert, am pink noise Girls Rock Camp teilzunehmen: Es findet heuer vom 17. bis zum 23. August im Alten Schlachthof in Hollabrunn in Niederösterreich statt. Mehr Infos dazu findet man auf www.girlsrock.at oder auf www.pinknoise.or.at

Max beRunner und Mike Miller sind die Moderatoren der „The Public Snake Show“ auf „Radio Helsinki – Freies Radio Graz“. In ihrer Radiosendung legen die beiden ganz stark den Fokus auf die Welt der heimischen Musikszene. Mehr Infos dazu findet man auf www.facebook.com/PublicSnakeShow oder auf www.helsinki.at .

Sara Paloni und die beiden Moderatoren Max beRunner und Mike Miller.

Reichhaltigkeit ist etwas Schönes

  • 13.03.2014, 19:08

 

Das Wiener Elektropop-Duo Konea Ra weiß, wie man das Publikum überzeugt: mit verspieltem Sound und opulenter Ästhetik.

Wer Konea Ra das erste Mal hört, mag vielleicht überrascht sein, dass es sich hier um ein Popduo aus Österreich handelt. Das liegt wohl an dem Vorurteil, dass österreichischer Pop immer etwas verspätet und verstaubt sei. Oder daran, dass man ihren Sound eher mit düster-glamourösen skandinavischen Klängen à la Fever Ray in Verbindung bringt. Eines steht jedenfalls fest: Konea Ra machen Musik am Puls der Zeit. Das merkt man nicht nur an ihren vielfältigen musikalischen Einflüssen, die von Neo Soul bis Hip Hop reichen, sondern auch an der starken visuellen Komponente, die sie pflegen.

progress: 2012 habt ihr euer Debütalbum „Pray for Sun“ herausgebracht. Ihr habt aber beide schon vor Konea Ra Musik gemacht. Wie kam es zu eurer Kollaboration?

Stephanie Zamanga: Wir haben uns bei einer ReleaseParty von Karl Möstls Label Defusion Records kennen gelernt, da sind wir beide aufgetreten. Ich als Sängerin bei Señor Torpedo und Matthias als Mangara. Matthias hat sich eineinhalb Jahre danach bei mir gemeldet und gefragt, ob wir einmal gemeinsam Musik machen wollen.

Matthias Cermak: Genau. Nach meinem Soloalbum wollte ich etwas ganz Neues machen und war auf der Suche nach Leuten, mit denen ich gemeinsam Musik machen kann. Ich habe viele verschiedene MusikerInnen ins Studio eingeladen und Stephi ist gleich mit super Ideen gekommen. Daraus entstand dann Konea Ra.

Ihr wart dann 2012 gleich als Duo auf Tour in Mexiko. Wie kam es dazu, dass ihr so schnell nach der Bandgründung gleich so weit weg aufgetreten seid?

Stephanie: Wir hatten soeben unser Album released und damit die Aufmerksamkeit von Flo Launisch geweckt, er ist einer der Visual Artists von Luma.Launisch. Matthias: Flo ist auch Teil des sound:frameFestivals und die haben Vienna Visuals kreiert, ein Projekt, in dem es darum geht, in verschiedene Länder zu reisen und Wien zu präsentieren – da war normalerweise immer ein DJ dabei. Für Mexiko (Festival In- ternacional Cervantino) war jedoch eine Band gefragt. Flo hat uns dann mitgenommen. Aus einem einzelnen Gig ist eine ganze Tour geworden, das war sehr cool.

Euer Sound hat eine düstere, melancholische und gleichzeitig eine sehr kraftvolle, glamouröse Seite. Musikalisch seid ihr schwer einzuordnen. Ihr wurdet mal mit The Knife verglichen. Passt der Vergleich für euch?

Stephanie: Ich sehe das als Kompliment.

Matthias: Die sind unglaublich cool, aber ich finde sie klingen gar nicht wie wir. Inzwischen ist das ja Kunstmusik, so nervöser Elektrosound. Vielleicht klingen wir eher wie Fever Ray (Anm. der Red.: Soloprojekt der Sängerin von The Knife).

Ihr legt sehr viel Wert auf eine visuelle Ästhetik – kann man nicht auch eure Musik als Kunstmusik bezeichnen?

Matthias: Nein, wir haben ja noch immer einen starken Song-Bezug, es ist noch immer irgendwie Popmusik.

Wieso ist die visuelle Komponente eurer Musik wichtig?

Matthias: Ich denke, wenn man so viel Liebe in die Musik steckt und dann mit den gleichen Kleidern, die man während der Arbeit anhatte, auf die Bühne geht, passt das nicht zusammen. In der Musik steckt viel Arbeit –  die Leute sollen das auch bei den Auftritten spüren und sehen können.

Im Jänner habt ihr die 2-Track 7'' „Switching Lanes“ released. Die Platte habt ihr bei Duzzdownsan veröffentlicht, einem Independant-Label, das man eher mit Hip Hop als mit Elektropop in Verbindung bringt. Und dann gibt’s da noch die Zusammenarbeit mit DJ Phekt. Wie kam es dazu? Und was verbindet euch mit Rap?

Stephanie: Die Einflüsse von Hip Hop waren für uns immer gegeben. Ich denke, sie fließen auch sehr stark in unsere Musik ein. Wir versuchen nicht uns von Rap fernzuhalten. Phekt wurde damals auch auf die MexikoTour eingeladen, da haben wir dann gemeinsam den Song „Oh Vienna“ produziert (ein Remake des UltravoxKlassikers) und danach die Single „Boy“. Bei beiden Songs hat er mitgewirkt und die Cuts gemacht. So haben wir ihn kennengelernt und mittlerweile sind wir ein Dreamteam, es harmoniert einfach zwischen uns.

Matthias: Die Frage ist hier auch, was Rap überhaupt sein soll. Wenn du damit die Musik meinst, dann sind wir sehr nahe dran. Ich habe früher viel Trip Hop und Hip Hop gehört und Stephi hat einen starken Soul-Bezug. Bei uns ist es auch so, dass uns unterschiedliche Genres aus unterschiedlichen Zeiten beeinflussen. Heute ist es ja nicht mehr so, dass man nur einen Sound hört. Früher hat einer nur West Coast oder Public Enemy gehört, heute hören die Leute gleichzeitig Indie und Electronic. Stephi weiß immer Bescheid, was gerade neu und cool ist und daran orientieren wir uns auch. Sie legt ja nebenbei auch auf. Lustigerweise ist es bei uns nicht so, dass der Produzent auflegt – ich habe da keine Ahnung (lacht).

An welchem Sound orientiert ihr euch denn?

Stephanie: Meine ursprünglichen Einflüsse sind Soul und Neo Soul zum Beispiel Erykah Badu, Mary J. Blige aber auch Sade. Jetzt sind es eben die, die Soul und elektronische Musik vereinen, so wie etwa James Blake, Jessy Lanza oder auch Little Dragon.

Und wer inspiriert dich beim Produzieren?

Matthias: Zum Beispiel Shlohmo, Flying Lotus oder Emika – die ist auch ganz wichtig für uns. Bei ihr ist es einfach toll, dass sie den Mut hat schöne, glatte Songs zu schreiben, dabei aber auch total deep ist. Reichhaltigkeit in der Musik ist etwas Schönes. Es ist gut, wenn man nicht nur in eine Richtung geht, sondern auch nach rechts und links schaut.

Was sind eure weiteren Pläne?

Stephanie: Zur Zeit arbeiten wir im Studio an der Fertigstellung unseres zweiten Albums – im Mai ist die Veröffentlichung geplant. Das nächste Konzert werden wir am 26. März beim sound:frame-Festival spielen. Gemeinsam mit Luma.Launisch und DJ Phekt. Da freuen wir uns schon riesig darauf!

 

Das Interview führte Simone Grössing.

Ein ausgeprägter Mangel an Perfektionismus

  • 13.03.2014, 18:17

Judith Holofernes ist ab April mit ihrem neuen Soloalbum „Ein leichtes Schwert“ auf Tour. Mit progress sprach sie über ihren musikalischen Neubeginn nach Wir sind Helden.

Judith Holofernes ist ab April mit ihrem neuen Soloalbum „Ein leichtes Schwert“ auf Tour. Mit progress sprach sie über ihren musikalischen Neubeginn nach Wir sind Helden.

progress: Du bist nun wieder solo als Judith Holo­fernes unterwegs. Sieht so aus, als hättest du die schwere Flotte Wir sind Helden verlassen...

Judith Holofernes: Auf einem kleinem Ruderboot hab ich mich vom Acker gemacht {lacht).

Wie wichtig ist dir dein Kurswechsel als Musikerin?

Ich als Fan finde es toll, wenn sich Leute verändern. Für mich hat das keinen hohen Selbstwert, wenn jemand 30 Jahre lang in derselben Band ist und immer das Gleiche macht. Ich selbst hing sehr an meiner Band Wir sind Helden und wenn das nicht so gewesen wäre, hätten wir sicher fünf Jahre früher aufgehört. Mit zwei Kindern waren die Helden doch ein Himmelfahrtskommando. Ich bin froh, dass ich einen Weg gefunden habe, überhaupt noch Musik machen zu können.

Nach Wir sind Helden wurde es sehr ruhig um deine Person. An „Ein leichtes Schwert" hast du fast heim­lich gearbeitet. Wie kam es zu dem Entschluss die Platte nicht groß anzukündigen?

Ich hatte gar nicht vor eine Platte zu machen. Ich habe nur irgendwann bemerkt, dass ich das eigent­lich gerade tue. Ich habe niemandem davon erzählt, außer meinem Mann Pola und meinen Freunden. Auch auf meinem Blog hab' ich erst sehr spät kleine Zeichen gegeben. Das war ein Segen, weil ich bis zum Schluss ein Gefühl von Freiheit hatte. Niemand wartet auf irgendetwas. Das hatte ich das letzte Mal bevor es Wir sind Helden gab.

Auf deiner letzten Platte hast du in dem Song „Die Träume anderer Leute" noch gesungen: „Wenn die Träume so tief fliegen/weil sie zum Schweben zu viel wiegen". Deine neuen Songs klingen hingegen viel unbeschwerter. Hast du mit dem Soloprojekt die Leichtigkeit wieder gefunden?

„Die Träume anderer Leute" trifft total die damalige Situation. Wenn man die Geschichte von Wir sind Helden erzählt, ist sie wie ein Märchen und das dann loszulassen braucht Mut. Ich finde die Band immer noch toll und trotzdem will ich das nicht mehr machen. Die Energie, die nach Wir sind Helden frei­gesetzt wurde, ist nun in dieser Platte und es freut mich, dass sie wie die letzten drei Jahre meines Lebens klingen.

A propos Mut, viele deiner Texte, zum Beispiel in „Pechmarie" oder „Liebe Teil 2", beschreiben den schwierigen Alltag mit Kind. In „Nichtsnutz" zeigst du, dass man auch mal nichts zu machen braucht. Ist Müßiggang für dich manchmal eine Mutprobe?

Ich finde das Thema Müßiggang total wertvoll, weil ich es wichtig finde, sich mit dem - in Deutschland würde man sagen - preußischen Arbeitsethos ausei­nander zu setzen. Unsere Gesellschaft definiert sich sehr über das, was man macht und schafft.

Einige Lieder haben einen sehr selbstironischen Touch, obwohl sie sich eher um ernstere Themen drehen. Ist Ironie deine Methode, den Dingen ihre einschüchternde Größe zu nehmen?

Das ist gewissermaßen der Blick, den ich auf die Welt habe. Ich nehme viele Sachen mit Humor. Aber nicht, um mich von ihnen zu distanzieren. Ich glaube der Humor kommt einfach mit einem liebevollen Blick. Das können dann schon schwere Themen sein, weil es ist nicht so einfach ein Mensch zu sein. Wir sind alle niedlich und es ist auch etwas Lustiges in der Art, wie wir uns abstrampeln und dem, was dabei alles schiefgeht. Ich als Fan mag es am liebsten, wenn das Ernste und das Humorvolle zusammenkommen. Wenn ich in der ersten Strophe des Liedes lache und in der dritten weine, dann ist das Lied für mich perfekt. Dann ist das Menschsein auf den Punkt gebracht.

In einem Interview hast du erwähnt, dass in deiner neuen Band Frauen dabei sind. Warum ist dir das wichtig?

In erster Linie hat das musikalische Gründe, weil auf der Platte sehr viele Backingvocals drauf sind, die mir wichtig waren. Unsere Vorbilder dafür waren Dolly Parton oder die Backingsängerinnen von Bob Marley. Ich wollte, dass das so klingt. Nach 20 Jahren, in denen man immer seine eigenen Ba­ckingvocals singt und dann auf der Bühne die Jungs „AURELIE!" brüllen hört, habe ich mir überlegt, wie das wohl mit Frauen klingen würde. Auf der anderen Seite finde ich es auch einfach super Frauen in der Band zu haben. Mein Beruf ist sehr männ­lich geprägt. Ich war jahrelang mit 18 Männern im Tourbus unterwegs. Jetzt habe ich ein Frauenma­nagement und die letzten Heldenjahre hatten wir eine technische Leiterin, der testosteronigste Job am Platz. Ein bisschen mehr Frauen in meinem Umfeld, das tut mir schon gut - allein schon, weil mir ab und zu jemand sagt, dass ich mir die Haare kämmen könnte (lacht).

Musikalisch sind die Lieder sehr unterschiedlich. Von Indie Rock und Pop bis Country und Folk lässt sich darin einiges finden.

Und Afrobeat. Und Blues. Im Prinzip bin ich meinen ganz persönlichen Vorlieben nachgegangen: von Alternative-Country über Zydeko bis hin zu afrika­nischer Musik. Jetzt wo ich alleine unterwegs bin, mach ich eben jeden Quatsch, der mir so einfällt. Auf „Ein leichtes Schwert" sind viele verschiede­ne Musikstile zu hören, aber sie haben alle eine gemeinsame Wurzel und das ist ein ausgeprägter Mangel an Perfektionismus.

 

www.judithholofernes.com

Konzert: 9.4. Wien, Arena

Wien ist alles

  • 09.12.2013, 20:50

Thees Uhlmann schreibt gerne Songs über Städte. Diesmal war Wien dran. Im Interview verriet er uns, wie es dazu kam und welchen österreichischen Act er gerne mit Lady Gaga zusammen auf Tour schicken würde.

Thees Uhlmann schreibt gerne Songs über Städte. Diesmal war Wien dran. Im Interview verriet er uns, wie es dazu kam und welchen österreichischen Act er gerne mit Lady Gaga zusammen auf Tour schicken würde.

An einem verregneten Abend haben wir den sympathischen Thees Uhlmann im Rahmen seines Konzerts in Wien getroffen. Wie das mit (Indie-) Rockern oft so ist, begann das Gespräch mit dem ehemaligen Tomte- Sänger beim Thema Bier: „Wieso gibt’s kein Ottakringer im Kühlschrank?“, fragt der leicht überdrehte Thees, der sich gut gelaunt dann aber gleich mit der Alternative in Dosenform anzufreunden weiß. Im von Plakaten vollgekleisterten, lauschigen Backstageraum der Arena, erzählt Thees dann mehr über seine Wienaufenthalte und seinen Bezug zu Österreich.

progress: Hi Thees, dir wurden heute sicher schon ganz viele Fragen über dein Verhältnis zu Wien gestellt. Oder?

Thees Uhlmann: Eigentlich werde ich zu Wien gar nicht so viel gefragt. Ich würde gern öfter über Wien reden, das ist interessanter, als über meine Musik zu reden.

Du bist oft in Wien. Warum eigentlich?

Thees: Zum Beispiel weil ich hier noch als Tourist durch die Gegend gehen kann. Es gibt zwei legendäre Stunden, die ich mit meiner Tochter im Museumsquartier lachend und rutschend auf den Plastikteilen verbracht habe. Ich bin hier auch gerne mit meinen Homies unterwegs, zum Beispiel mit David Schalko. Und natürlich ist es auch die Psyche der Stadt, die schön ist.

Wie ist die denn so?

Thees: Hedonistisch und depressiv.

Auf deinem aktuellen Album gibt es auch einen Song über Wien: „Zerschmettert in Stücke, im Frieden der Nacht“. Er handelt vom Flakturm, wo heute das Haus des Meeres zu finden ist. Wie kam es dazu?

Thees: Ich habe schon über Detroit, New York, Hamburg und Paris geschrieben. Es kommt mir einfach immer wieder in den Sinn, über Städte zu singen. Das hat für mich eine gewisse Tradition. Diesmal war Wien fällig, weil ich oft hier bin und ich in Wien wahnsinnig gute Freunde habe. Es ist eine gute Landschaft, über die man schreibenkann, vor allem weil sich Deutschland und Österreich in vielen Dingen ein bisschen ähnlich sind – und dann doch überhaupt nicht. Das mit den Flaktürmen ist mir eingefallen, weil auf dem Turm beim Haus des Meeres ja „Smashed into pieces in the still of the night“ geschrieben steht und das für mich einfach riesige Kunst ist. Es beschreibt die Macht des Krieges in wenigen Worten. Mir haben mittlerweile sogar einige Wiener geschrieben, dass sie schon tausendmal daran vorbeigegangen sind und ihnen der Spruch nie aufgefallen ist. Das ist eine Form von „Heimatblindheit“, die auch ich von mir und Hamburg kenne. Fremden fallen Dinge auf, an denen man selbst tagtäglich blind vorbeigeht. Das finde ich spannend.

Willst du mit dem Lied auch die österreichische Gesellschaft und ihre Mentalität kritisieren? Eine Zeile darin lautet nämlich: „Ich wäre so gerne ein Schaf, ein Schaf in deiner Herde, doch es gibt keinen Schäfer, der über uns wacht.“

Thees: Ich hab da schon ein bisschen in Geschichtsbüchern herumgekramt, als ich den Song geschrieben habe. Ich bin dabei über einen Satz gestolpert, der lautet: „Wien ist nichts und der Kaiser ist alles.“ Das ist für mich ein total verrückter Satz. Er sagt ja, dass das kollektive Schicksal einer Stadt weniger wert ist als irgendein Mann mit weißer Perücke. Ich dachte mir, dass man das umdrehen muss, denn eine Gesellschaft ist immer mehr wert als ein Einzelschicksal. Aber grundsätzlich wollte ich damit nichts kritisieren. Ich möchte als Künstler gar nicht bewerten. Mir steht das auch nicht zu, finde ich. Wien ist eine geile Stadt, das ist eigentlich die einzige Message des Songs. Als Künstler habe ich kein Interesse an großen politischen Aussagen.

In deinen Songs finden sich immer wieder historische Referenzen und Jahreszahlen, so etwa auch in deiner aktuellen Single „Am 7. März“. Du interessierst dich sehr für Geschichte, oder?

Thees: Ja, schon. Aber es geht mir um etwas anderes. Mich interessiert, wie man auf Ideen und Erfindungen kommt, die die ganze Welt verändern. Das passiert einfach oft beiläufig mitten in der Nacht, wie zum Beispiel bei der Erfindung der Cornflakes.

Also ist das eher ein Stilmittel?

Thees: Kann man so sagen.

Dein aktuelles Album klingt mit dem orchestralen Singer-Songwriter-Soundsehr zeitgemäß. Die Produktion erinnert ein bisschen an Caspers „Hinterland“. Welche Platten haben dich während des Aufnehmens inspiriert?

Thees: Kann ich nicht sagen, denn es spielt für meine Musik keine große Rolle, was ich höre. Wenn ich ein Album aufnehme, lese ich eher und suche nach guten Zitaten. Ich hab nur bei einem Song gesagt, dass ich ein ähnliches Keyboard wie bei einem Marteria-Song haben möchte (lacht und macht das Geräusch nach). Tobias (Anm. d. Red.: Thees' Gitarrist) und ich haben in unserem Leben einfach schon so wahnsinnig viel Musik gehört. Wenn ich Musik schreibe, ist mein Hirn deswegen schon zu voll. Ich muss dafür nicht auch noch die neue Daft Punk hören. Klar, man saugt immer auch auf und klaut Elemente von anderen. Auf meiner Platte wird es etwa immer drei Sachen geben, die ich von Kanye West geklaut habe – ich bin einfach Kanye-Fan. Man hört manchmal etwas und fühlt sich inspiriert, etwas Ähnliches zu schreiben. Ich schätze Kanyes Offenheit und Melancholie sehr.

Auf deinem letzten Album gab es noch zwei Nummern mit Casper. Wieso gab’s diesmal keine Features und bist du derzeit noch in andere Projekte involviert?

Thees: Ich wüsste jetzt gar nicht mit wem und wie und nein – manchmal träume ich davon Sänger einer Punkband zu sein (lacht). Aber dafür bleibt neben meiner Tochter und meinem Solo-Projekt einfach keine Zeit.

Verfolgst du eigentlich die österreichische Musikszene?

Thees: Mein Homie Max Perner bringt jetzt bald eine Garish-Platte raus – da bin ich schon neugierig, was das wird, und zur Zeit finde ich auch Koenig Leopold ziemlich spannend. Wenn Lady Gaga das sehen würde, was die machen, die würde die einfach mitnehmen und sagen: „Guys you’re coming with me on tour.“ Das ist wahnsinnig cool, diese Einstellung, die die haben. So auf „Alter, wir wollen nicht nach Tokyo. Wir wollen auch nicht nach New York. Wir stehen im Wald und singen so, dass es keiner verstehen kann“. Das gefällt mir.

Das Interview führte Simone Grössing.

Foto: Alexander Gotter.

 

Mic statt Aktenkoffer

  • 21.10.2013, 15:31

Enge Jeans, schlichtes blaues Shirt und bedachte Antworten: Der 26-jährige Österreicher Gerard wirkt nicht wie der typische Rapper. Mit seinem neuen Album „Blausicht“ erobert er im Moment die deutschsprachige Rapszene und gibt ihr neue Maßstäbe.

Enge Jeans, schlichtes blaues Shirt und bedachte Antworten: Der 26-jährige Österreicher Gerard wirkt nicht wie der typische Rapper. Mit seinem neuen Album „Blausicht“ erobert er im Moment die deutschsprachige Rapszene und gibt ihr neue Maßstäbe.

progress: Die „Generation Maybe“- Thematik zieht sich wie ein roter Faden durch dein Album „Blausicht“. Folgendes Zitat stammt vom Journalisten Oliver Jeges: „Wir 20- bis 30-Jährigen sind eine Generation ohne Eigenschaften. Gut ausgebildet, aber ohne Plan, ohne Mut, ohne Biss. Weil alles möglich ist, sind alle heillos überfordert.“ Was würdest du ihm entgegnen?

Gerard: Ich tue mir recht schwer, wenn ich als Generationssprecher gesehen werde. Ich sage immer, dass ich von mir, meinem Umfeld und meinen Freunden rede. Da trifft das auf jeden Fall auf einige zu, weil viele Freunde gerade mit dem Studium fertig werden. Die überlegen jetzt, ob sie vielleicht noch etwas studieren oder einen Master im Ausland machen sollen. Für mich ist Studium ein Graubereich: Du bist zwar kein Schüler mehr, musst aber gleichzeitig noch keine Steuern oder Sozialversicherung zahlen.

Du hast einmal gesagt, du probierst das mit dem professionellen Musikmachen auch stellvertretend für die Leute aus, die sich noch nicht trauen, das zu tun, was sie wirklich wollen. Wann wusstest du, was du wirklich willst?

Eigentlich ab dem Moment, wo es keine andere Möglichkeit mehr gegeben hat. Ich habe nach meinem Jus-Studium noch das Gerichtsjahr gemacht und da einfach gemerkt, was ein echter Job an Energie und Zeit frisst. Wenn du jeden Tag um acht dort sein musst und um halb vier heimkommst, hast du nicht mehr den Nerv, dass du noch kreativ tätig bist. Ich wusste einfach, entweder mache ich eine normale Arbeit oder eben Musik. Ich wollte ja schon immer Musik machen, aber bisher war nie in Aussicht, dass man davon leben kann.

Du warst der Tour-Support des Berliner Rappers Prinz Pi. Hat diese Erfahrung deine Entscheidung einfacher gemacht? Zu welchem Zeitpunkt im Studium ist die gefallen?

Die Pi-Tour ist etwa in das letzte dreiviertel Jahr meines Studiums gefallen und war ein halbes Jahr immer an den Wochenenden. Das war dann schon Hardcore: Ich bin teilweise erst um sieben Uhr mit dem Nachtzug aus Berlin gekommen und hatte um neun am Morgen eine Prüfung. In der Prüfungszeit blieben nur drei Tage Zeit zum Lernen, wo du sonst sechs oder sieben hast. Körperlich und psychisch hätte ich das nicht länger geschafft. Aber ich habe auf der Tour jedenfalls gemerkt, dass die auch nur mit Wasser kochen, das ermutigt einen. Wenn es der schafft, warum sollte ich das nicht schaffen?

Eine juristische Laufbahn kommt für dich nicht in Betracht?

Beim Gerichtsjahr habe ich einfach gemerkt, dass ich da nicht mit ganzem Elan dabei war. Ich habe viele Schlampigkeitsfehler gemacht. Die Richterin dachte, dass ich völlig verloren bin. Die wusste, dass ich eigentlich etwas ganz anderes verfolge. Wenn ich eine juristische Laufbahn eingeschlagen hätte, wäre ich untergegangen. Aber ich hoffe, dass ich das auch nie muss.

Hat dir dein Studium dann etwas gebracht?

Auf jeden Fall. Es war auch nicht so, dass es mich überhaupt nicht interessiert hat. Sonst könnte man das nicht sechs Jahre lang durchziehen. Und ich habe dadurch Sitzfleisch und Disziplin erlangt. Ich habe durch das Studium gelernt, strukturiert zu sein, und viel über Zeitmanagement erfahren. Ich bin kein „Künstler-Künstler“, der Termine verpennt. Und auch Selbstbewusstsein habe ich bekommen. Als ich bei meiner ersten Jus-Prüfung die riesige Anzahl der Bücher gesehen habe, habe ich mich gefragt: Wie soll das denn gehen? Aber dann sitzt man einfach längere Zeit an etwas und auf einmal hast du den Dreh heraus.

Deine Texte wirken auf den ersten Blick melancholisch, doch auf den zweiten erkennt man das Optimistische daran. Zudem formulierst du Zeilen oft so, dass man sowohl ein „ich“, als auch ein „wir“ einfügen könnte. Das macht sie für die HörerInnen interessant. Machst du das bewusst?

Ich versuche Tracks und Konzepte so zu gestalten, dass man etwas hineininterpretieren kann. Auch wenn ich selbst Musik höre, gefällt mir das bei Songs immer sehr gut. Auf „Verschwommen“ gibt es so ein Element, wo ich den Namen Nora nenne, ein anderer aber stattdessen vielleicht Lisa im Kopf hört. Bezüglich des Zweifels: Der Song „Standby“ ist etwa nicht auf dem Album, weil er noch viel zu orientierungslos war. Ich finde, dass das Album positiv ist. Sogar auf dem Track „Nichts“, wo es um den Tod einer Freundin geht, gibt es ein optimistisches Element, wenn ich rappe: „Das Drama von damals ist heute nicht der Rede wert.“ Also blöd gesagt: Wenn du noch gewartet hättest, würdest du heute darüber lachen.

Hinter dem Track „Wie neu“ steckt eine Kritik an der österreichischen Freunderlwirtschaft. Gegen wen richtet sich der Song und bist du eigentlich ein politischer Mensch?

Politisch … – es geht so. Ich habe mir schon immer die Wahlkonfrontationen angesehen und überlege mir genau, wen ich wähle. Ich lese mir auch Wahlprogramme durch. Aber der Track bezieht sich nicht nur auf Parteipolitik. Er richtet sich auch gegen veraltete Strukturen und das nicht nur in Österreich. Ich habe einfach das Gefühl, dass ganz allgemein viele alte Dogmen existieren. Das kann man auch auf die Major Labels ummünzen. Wenn man einen Jungen mit Visionen ranlassen und ein bisschen riskieren würde, würde vieles besser laufen.

Auf „Manchmal“ und „Lissabon“ rappst du über sehr persönliche Dinge wie etwa das Thema Beziehung. Gibt es da eine Grenze für dich, wie viel Persönliches du in einem Track niederschreibst?

Eigentlich nicht. Im Endeffekt halte ich sie sehr allgemein. Ich werde oft gefragt, ob ich mich nicht angreifbar mache. Aber selbst wenn du darüber rappst, dass dich die Frau verlassen hat, hat das jeder in einem gewissen Alter schon erlebt. Das heißt jetzt nicht, dass du als Mensch schlecht bist (lacht). Auch wenn etwas extrem persönlich wirkt, kannst du als Künstler stets selbst bestimmen, wie viel davon wahr ist.

Versuchst du mit den elektronischen Einflüssen auf deiner Platte, Deutschrap auch für die breitere Masse zu öffnen?

Ja, das war eigentlich immer so geplant, wobei das jetzt so strategisch klingt. Mir ist das völlig egal, ob man unsere Musik noch als Hip Hop sieht oder nicht. Ich höre auch oft, dass es Indie oder Pop sei. Ich persönlich finde, dass es voll Hip Hop ist, sonst würde es wohl auch keine Referenzen auf Leute wie Hudson Mohawke geben. Der kommt ja auch ursprünglich aus dem Rap.

 

Die Autoren studieren Rechtswissenschaften und Sozioökonomie in Wien.

Beyoncé – „Lemonade“

  • 21.06.2016, 19:30

Marie Luise: Beyoncés neues Album, zu dem es einen abendfüllenden Begleitfilm gibt, handelt von Wut. Unter anderem lassen sich Anspielungen auf Jay Zs außereheliche Affären herauslesen. Worum es aber viel stärker geht, ist eine hochpolitische Wut. Das Video zu „Formation“ wurde am Vorabend der Super Bowl in den U.S.-amerikanischen Medien heiß diskutiert. Es geht um rassistische Polizeigewalt und zeigt Beyoncé, wie sie auf einem Streifenwagen sitzt, der langsam untergeht. Die Polizei zeigte sich weitgehend empört, viele Polizist*innen weigerten sich, bei Beyoncés Konzerten den Security Service zu übernehmen. Weiße Republikaner*innen gaben öffentlich kund, dass eine Musikerin, die sich so polizeikritisch äußert, keinen Platz bei der Super Bowl haben sollte. In ihrer Performance auf dem Mega-Event bezog sich die Künstlerin dann mittels Kleidung auf die Black Panthers und durch die Choreographie (die Tänzerinnen waren in Form eines X aufgestellt) auf den Schwarzen Bürgerrechtskämpfer Malcolm X. In ihrem neuen Album thematisiert Beyoncé darüber hinaus Themen wie Feminismus und #Blacklivesmatter. In einer Szene zitiert sie Pipilotti Rists Videoperformance „Ever is over all“, in der die Künstlerin mit einem Stock die Fensterscheiben parkender Autos zerschlägt. Ein großartig notwendiges Gesamtkunstwerk!

Katja: Beyoncés neues Album hat mich kalt erwischt. Es kam so plötzlich und so heftig wie selten etwas in der Musikbranche. Nach ihrem Video zu „Formation“ konnte doch unmöglich etwas nachgeschoben werden, das noch krasser einschlägt? Doch. Es klingt absolut unglaubwürdig, dass ein Konzeptalbum über Ehebruch das politischste Statement des Jahres hervorbringt, aber „Lemonade“ ist genau das. Bei Beyoncé ist das Politische privat und das Private politisch, mit Leib und Seele. Wäre es ein Album ohne dazugehörigen einstündigen Film gewesen, wäre die ganze Sache ein bisschen fad geworden, aber deswegen heißt es ja „eine Vision haben“. Als Musikerin und Künstlerin hat sich Beyoncé etwas dabei gedacht, beides gemeinsam über HBO zu zeigen und dann online zu stellen. Schließlich spielt die ökonomische Komponente der sinkenden Plattenverkäufe eine gigantische Rolle in allen Entscheidungen der Frau, die sich „black Bill Gates in the making“ auf die Fahnen schreibt. Für mich ist dies ein absoluter Meilenstein der Musikgeschichte, der besser ausgedacht, realisiert und perfektioniert gar nicht sein könnte.

Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.

Sia – „This is acting“

  • 21.06.2016, 19:10

Marie Luise: Die Hit-Produzentin und Sängerin Sia komponiert nicht nur für sich selbst, sondern auch für viele andere große Stars. Aus ihrer Feder stammen unter anderem „Pretty Hurts“, das Beyoncé, und „Diamonds“, das Rihanna singt. Sia wurde in letzter Zeit aber auch an vielen Türen abgewiesen. Songs, die eigentlich für andere geschrieben worden sind, holt Sia jetzt aus dem Papierkorb und macht daraus ein Album. Sie selbst sagt, dass die Platte „This is acting“ heißt, weil sie für die Songs in andere Rollen schlüpft. Für sich hätte sie solche Songs nie geschrieben, sagt sie. Zur schon erschienenen Single „Alive“, die auf diesem Album vertreten sein wird, gibt es ein Video, in dem das kleine Mädchen mit Pagenkopfperücke, wie wir es schon aus anderen Videos kennen, zu sehen ist und in einer leeren Lagerhalle Karate macht. Für diesen Song hat Sia mit FKA Twigs zusammengearbeitet. So heterogen wie die Sänger*innen, für die Sia geschrieben hat, ist auch das neue Album. Entstanden ist eine wilde Mischung, in der ab und zu „das ist für Rihanna“ oder „das ist für Beyoncé“ herauszuhören ist. Sia selbst sagt gegenüber dem Rolling Stone, frühere Erfolge wie „Titanum“ und „Wild ones“ fände sie „incredibly, incredibly cheesy“. Persönlich kann ich auch mit dem glattpolierten Hochglanzpop von Sia nicht so viel anfangen. Umso länger ich Sia allerdings zuhöre, um so mehr freunde ich mich mit dem Schauspielen an. Ist da nicht irgendwo ein Augenzwinkern zwischen uns, jetzt wo wir beide wissen, dass wir nur so tun als ob?

Katja: Sia ist die derzeit interessanteste Künstlerin auf dem Markt des Mainstreampops. Ihre Performances und Videos mit Maddie Ziegler – der 14-jähigen Tänzerin – sind jetzt schon legendär. Sia ist keine 08/15-Singer- Songwriterin, die an der Gitarre oder am Klavier sitzt und uns von ihrem Leben erzählt. Alles an ihr schreit POP – oder schreit der Pop aus ihr? Das Markenzeichen ihrer Songs ist eine bombastische Fragilität. Thematisch wendet sie sich gerne mental healthissues zu und hat mit „Elastic Heart“ eine beeindruckende Depressionshymne geschaffen.

Ein Popstar möchte sie aber nicht sein, deshalb schreibt sie auch lieber Songs für andere stimmgewaltige Sänger*innen. Dass manches Material abgelehnt wird, kann passieren, dafür gibt es B-Seiten-Alben wie dieses hier. Wer jetzt aber glaubt, dass hier mindere Qualität geboten wird, irrt. Ein Jahrtausendsong wie „Chandelier“ ist auf dem Album nicht zu finden, zugegeben. Jeder halbfertige Song von Sia ist jedoch besser als 90 Prozent aller Sounds, die sonst auf CD gepresst werden.

Marie Luise Lehner studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Katja Krüger-Schöller studiert Gender Studies an der Uni Wien.

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