Film

Loose yourself to dance

  • 21.06.2017, 17:46
Der Verein zur Förderung Kritischer Theater-, Film- und Medienwissenschaft (KritTFM) hat ein neues Buch herausgebracht: Dieses Mal, wie der Titel bereits verrät, mit dem Schwerpunkt „Tanz im Film“.

Der Verein zur Förderung Kritischer Theater-, Film- und Medienwissenschaft (KritTFM) hat ein neues Buch herausgebracht: Dieses Mal, wie der Titel bereits verrät, mit dem Schwerpunkt „Tanz im Film“.

In 18 Artikeln und 265 Seiten werden Tanzfilme oder Tanzarten, die im Mainstream gelandet sind, gesellschaftskritisch demaskiert und politisch analysiert. Die Autor_innen versprechen eine Auseinandersetzung mit „Schwierigem und Uneindeutigem“ in Tanzfilmen und legen Zeugnisse ab, wie Tanz nicht nur plumpes und ästhetisierendes Element in der Kinematografie ist, sondern tief mit der Gesellschaft und den politischen Begebenheiten verwoben ist. Euch erwarten vertiefende Texte über Macht- und Gewaltstrukturen, Realitätskritik, Körperlichkeit und Sehnsucht nach dem Utopischen in Tanzfilmen. Von Saturday Night Fever, Footlose zu West-Side-Story und den Step-up-Filmen, weiter zu Flamenco-Sequenzen bis zum indischen Tanzkino und vieles mehr.

Aus irgendeinem Grund habe ich mir beim Lesen des Titels gewünscht, dass es zumindest einen Artikel gibt, der die aktuellen Barbie-Ballett-ichmuss- gleich-kotzen-Filme auseinanderreißt, was leider nicht der Fall war. Kinder-Tanz-Filme, die zu Hauf vorzufinden sind, haben in diesem Buch leider keinen Platz gefunden.

Die Herausgeber_innen erzählen, dass sie in ihre wissenschaftliche Arbeitsweise einen Praxisteil eingebaut haben, was sehr untypisch und interessant ist. Ich hätte das unfassbar gern gesehen und vielleicht sogar mitgemacht.

Sarah Binder, Sarah Kanawin, Simon Sailer, Florian Wagner (Hg.): Tanz im Film. Das Politische in der Bewegung.
Verbrecher Verlag 2017, 265 Seiten, 19,90 Euro.

Carmela Migliozzi studiert Germanistik und Romanistik auf Lehramt an der Universität Wien.

Reden wir Tacheles: Claude Lanzmann

  • 20.06.2017, 18:15
Claude Lanzmann war auf Einladung des Filmclub Tacheles zu Besuch in Wien. Erzählt hat er vieles. Wir haben beim Filmclub nachgefragt, wie es dazu kam.

Claude Lanzmann war auf Einladung des Filmclub Tacheles zu Besuch in Wien. Erzählt hat er vieles. Wir haben beim Filmclub nachgefragt, wie es dazu kam.

Seit dem Sommersemester 2017 gibt es den Filmclub Tacheles an der Universität Wien. Bei einer Veranstaltungsreihe dieses Semester zeigte man Lanzmanns Israel-Trilogie. Höhepunkt war ein Vortrag von Claude Lanzmann selbst im vollbesetzten Audimax.

Lanzmann – ein polarisierender Charakter, einerseits bekannt durch seine Filme, andererseits durch seine schriftstellerischen Tätigkeiten, vor allem als Herausgeber von Les Temps Modernes, zusammen mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Wie kam es nun dazu, dass Lanzmann einen Vortrag im Wiener Audimax hielt? „Die Mutter eines Filmclub- Mitglieds hat den Vorschlag gebracht, was zunächst belächelt wurde. Ein Telefonat und eine E-Mail später hatten wir dann seine Einwilligung, was uns sehr verblüfft hat. Von diesem Zeitpunkt an war es für uns von höchster Wichtigkeit, dem Regisseur selbst Raum zu geben, sich zu seinen Filmen zu äußern“, erklärt ein Mitglied des Filmclubs.

Der Filmclub Tacheles ist eine Initiative von antifaschistischen Student_innen verschiedener geistesund kulturwissenschaftlicher Disziplinen, die Filme zu den Themen Judentum, Israel und Antisemitismus zeigen wollen. Primäre Intention zur Gründung war der Wunsch, Lanzmanns Hauptwerk vorzuführen. „Die meisten Studis wissen um die Filme, aber finden nie die passende Gelegenheit, sich diese anzuschauen“, meint eine Aktivistin des Filmclubs. Gezeigt wurde die Israel-Trilogie: Diese umfasst Pourquoi Israël, in dem es um die ersten Jahre des Staates Israel geht; Shoah, Lanzmanns wohl bekanntestes, 9½-stündiges Meisterwerk; und Tsahal, der um das israelische Heer zentriert ist. Insgesamt sind das 18 Stunden und 41 Minuten, die dieses Semester an vier Nachmittagen an der Universität Wien über die Leinwand liefen, wobei Shoah in zwei Etappen zu je zirka fünf Stunden gezeigt wurde.

Lanzmanns Filme sind voller Interviews und vermitteln authentische Eindrücke von Zeitzeug_innen in den 1970ern. Es fühlt sich zynisch an, in diesem Kontext den Begriff authentisch zu verwenden – Lanzmanns Werk ist zweifelsohne echt, reale Abbilder des Unvorstellbaren beziehungsweise Unzeigbaren. Shoah gilt bis heute als die erfolgreichste, umfassendste und auch erfassendste filmische Auseinandersetzung mit dem Genozid an den Jüdinnen und Juden im zwanzigsten Jahrhundert. Es wäre nicht möglich, seine Filme an dieser Stelle ausreichend zu beschreiben – um zu verstehen, muss man sehen. „Was fundamental ist, lässt sich nicht zerteilen. Kein Warum, aber auch keine Antwort darauf, warum das Warum zurückgewiesen wird – aus Angst, dieser Obszönität zu verfallen“, so Lanzmann im Vorwort zum 2011 erschienenen Buch zu Shoah.

An einem Freitagabend im März füllte sich also das Audimax der Hauptuniversität mit Studierenden und Interessierten jeden Alters. Spannung lag in der Luft, als der 91-jährige Lanzmann den Saal betrat, gestützt auf einen Gehstock, begleitet von einer grandiosen Dolmetscherin. Lanzmann ist Franzose, und trotz seiner Deutschkenntnisse bevorzugt er seine Muttersprache – bewundernswert ist die Dolmetscherin, da Lanzmann keine Rücksicht nimmt. Man merkt, er hat schon oft diese Episoden aus seinem Leben erzählt, der Vortrag ist also ein Zuhören und Warten, ein Hin und Her zwischen jeweils 15 Minuten Französisch und Deutsch. Lanzmann erzählt von seinen Erfahrungen mit dem israelischen Militär, rund um den Dreh von Tsahal, von seinem neuen Film Vier Schwestern, der noch immer vom Material von Shoah zehrt. Auch über den Entstehungsprozess rund um seinen Film und einzelne Episoden mit seinen InterviewpartnerInnen wird gesprochen. Er verweist oft auf seine 2010 erschienene Autobiografie Der Patagonische Hase, in welcher er ebenso episodisch wie bei der Lecture im Audimax aus seinem Leben erzählt. Wer also mehr über die Entstehungsgeschichte seiner Werke erfahren möchte, ist mit seiner Autobiografie gut beraten. Darin führt er auch aus, dass er DolmetscherInnen gewohnt sei, die einen Lauf von einer halben Stunde Länge mit Notizen übersetzen können, was seine fordernde Erzählweise im Audimax erklärt. Lanzmann als Popstar unter den ErzählerInnen: Am Ende des Vortrags gab es Standing Ovations, gefolgt von Signier-Session, Selfies und langer Schlange am Merch-Tisch.

Ebenso dankbar wie der Filmclub Tacheles für die Zusage Lanzmanns waren wahrscheinlich auch alle Anwesenden über die Möglichkeit, Lanzmann einmal live zu erleben. Und auch der Filmclub Tacheles ist motiviert für mehr. Im Juni veranstaltete man ein Balagan am Campus mit Filmscreening und Party. Außerdem beginnen gerade Kooperationen mit Gruppen an anderen österreichischen und deutschen Universitäten.

Den Vortrag kann man sich unter diesem Link ansehen.
Der Filmclub Tacheles: https://www.facebook.com/ filmclubtacheles

Franziska Schwarz studiert viele Dinge an der Universität Wien, unter anderem Publizistik

„Fuck White Tears“

  • 13.05.2017, 13:48
Ein Film, der eigentlich nicht existieren kann. Interview mit der Filmemacherin Annelie Boros.

„Ich denke, du solltest diese Frage dir selbst stellen. Ich kann sie nicht für dich beantworten.“ Kopfschütteln. Kurze Pause. „Aber ich bin mir sicher, dass ich nicht fähig wäre in deine Welt zu kommen, um einen Film über dein Leben zu machen.“ Die südafrikanische Dozentin, Aktivistin und Filmemacherin Zethu Matebeni beantwortet die Frage der deutschen, weißen Filmemacherin Annelie Boros sehr ehrlich: Was die Dozentin denn davon halte, dass sie als Weiße einen Film über die Studierendenproteste in Südafrika macht? Die Antwort Matebenis ist nur ein Beispiel der Kritik, mit der die junge Filmemacherin in Südafrika konfrontiert war. Boros wurde gezwungen, sich mit ihrem „white privilege“ auseinanderzusetzen und gleichzeitig Protagonistin ihres eigenen Films zu werden. Auf dem diesjährigen Ethnocineca-Filmfestival erhielt sie dafür den „Ethnocineca Students Shorts Award“. progress sprach mit ihr über ihre Erfahrungen.

Du bist nach Südafrika gefahren, um einen Film über die dortigen Studierendenproteste zu machen. Von mehreren deiner Protagonist*innen kommt die Kritik, dass diese „Art von Geschichten nicht von weißen Menschen erzählt werden sollten“. Wieso wolltest du gerade diese Geschichte erzählen?
Ich studiere in München Dokumentarfilm, Regie und Fernsehjournalismus. Den Film machte ich im Rahmen eines Seminars. Die Universität wählt jedes Mal ein Land aus. In diesem Fall Südafrika. Als ich angefangen habe zu recherchieren, bin ich auf die Studierendenproteste gestoßen, auf eine junge Generation Südafrikas, die Anfang der 1990er geboren wurde, also nach der Freilassung Nelson Mandelas und seiner Ernennung zum Präsidenten. Diese Generation wird auch „Born Frees“ genannt. Es ist eine Generation, die angeblich frei ist und die gleichen Rechte wie Weiße haben sollte. Das Problem ist allerdings, dass sie diese Freiheit nicht wirklich erfahren. Viele sind täglich mit Gewalt konfrontiert, wohnen mit ihrer Familie auf engstem Raum, merken wie Weiße bei der Job- und Wohnungssuche bevorzugt werden. Sie sind tagtäglich mit Rassismus konfrontiert. Wenn man angeblich frei ist, das aber nicht so erlebt, ist es klar, dass die Frustration steigt. Schließlich hat man nur dieses eine Leben, diese eine Jugend, um Bildung zu erlangen, um zur Schule, zur Uni zu gehen.

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Wie kam es dann zu diesen Protesten und wie entwickelten sie sich weiter?
Die Studierendenproteste gehen schon länger, aber es gab mehrere Kampagnen, die sich parallel entwickelten. In meinem Film behandle ich den Beginn der Kampagne #RhodesMustFall. Rhodes war ein großer Kolonialherr, dessen Statuen noch in ganz Südafrika stehen. Das ist so, als ob man in Deutschland die Hitler-Statuen nicht abgerissen hätte. Darüber wurde noch nicht genug geredet, die Verarbeitungsprozesse in der Gesellschaft sind noch nicht vorangeschritten. Daher ging es los mit #RhodesMustFall, das entwickelte sich zu #ZumaMustFall und dann eben #FeesMustFall. Die Proteste stellten sich gegen die Regierung, gegen den Präsidenten und gegen Studiengebühren, um Gleichheit durch freie Bildung zu ermöglichen.

Weißt du, wie die Situation heute ausschaut?
Die Proteste gibt es nach wie vor. Das Problem ist in keinster Weise gelöst. Aber mein persönlicher Eindruck ist, dass deutlich mehr über die bestehenden Probleme gesprochen wird. Gleichzeitig geht es jedoch oft um die Frage, wie weit man für die Aufmerksamkeit eines Protestes gehen darf. Es wird viel über Gewalt gesprochen, die von den Demonstrierenden ausgeht und da bleiben die Inhalte manchmal auf der Strecke.

Letztendlich stehen nicht die Studierendenprostete im Fokus deines Films, sondern wie die Menschen dir begegnen. Wann hast du für dich entschieden, dass du nicht die Studierendenproteste, sondern dich in das Zentrum des Films stellst?
Das war tatsächlich die erste Demonstration. Wir sind in Südafrika angekommen und es gab eine große Demonstration anlässlich der „State of the Nation Adress“ – also der großen Ansprache des Präsidenten zur Lage der Nation. Zu diesem Anlass gibt es jährlich große Demonstrationen. Es ist fast schon eine Tradition, dass die Gegner des Präsidenten auf die Straße gehen. Dort haben wir nach Studierenden gesucht, die auch demonstrierten. Als wir die Studierenden fanden, wurden wir angegriffen dafür, dass wir als Weiße mit der Kamera auf sie zeigen und sie – nach Wortlaut eines Protagonisten – zu Tiere degradieren, auf sie runterschauen, nur um eine gute Geschichte zu bekommen. Das war die erste Konfrontation. Ich nahm das sehr ernst und mir war sofort klar, dass ich keinen Film mehr über die Studierendenproteste dort machen kann, wenn ich von den Studierenden gesagt bekomme, dass das unmöglich ist, was ich hier mache. Danach gab es eine kleine Krise bei mir. Ich bin zum Entschluss gekommen, das Konzept zu ändern: Nicht mehr die Studierenden stehen im Fokus, sondern meine Erfahrung und damit auch ich als Protagonistin.

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Aber du sagst selber „Fuck White Tears ist ein Film über einen Film, den ich nicht machen kann, weil ich weiß bin“, trotzdem gibt es ihn.
Für mich ist es immer noch ein großes Paradox, dass es den Film gibt, weil es genau so ist, wie du sagst: Es ist ein Film, den ich nicht machen kann und trotzdem existiert er. Auch im Schnittraum war es für mich noch wochenlang eine große Schwierigkeit, dass ich Leute am Bildschirm sehe, die mir sagen, dass ich den Film nicht machen darf. Natürlich war das schwierig und natürlich habe ich darunter gelitten. Aber ich bin ganz froh darüber, da durchgegangen zu sein. Mir haben auch Freunde erzählt, dass sie sich die ganze Nacht gestritten haben, nachdem sie den Film sahen. Das ist meine Legitimation: Ich hoffe, dass die Diskussionen und die Erkenntnisse, die die Zuschauer in Europa, aber auch die weißen Zuschauer in Südafrika haben, es wert sind, diesen Film gemacht zu haben.

Eine Kritik im Film an dich als europäische, weiße Filmemacherin war auch, dass du nach Südafrika kommst, dir die Geschichte holst und dann nicht mehr zurückkommst. Lief der Film auch in Südafrika? Hast du ihn auch deinen Protagonist*innen gezeigt? Wie war die Reaktion?
Für mich ist das Zurückkommen, wie es die Protagonisten genannt haben, kein persönliches Zurückkommen. Ich glaube, dass es mehr um die Frage geht, was ich danach für sie mache. Am Ende des Films kommt die Aussage, dass ich mit meiner Botschaft zu anderen Weißen gehen, ihnen erzählen soll, was ich gelernt habe – in der Hoffnung, dass auch sie etwas lernen. Trotzdem versuche ich, den Film in Südafrika zu zeigen. Zethu Matebeni hat ihn zweimal in ihrer Klasse gezeigt. Wahrscheinlich hat sie ihn danach auseinandergenommen, aber es wird auch irgendetwas drinnen sein, von dem die Menschen etwas mitnehmen können.

Du sagst, dass du froh über die Erfahrung bist. Hat „Fuck White Tears“ auch deine Arbeit, deinen Zugang zum Filmemachen verändert?
Auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, ganz viel mitgenommen zu haben, auch für aktuelle Projekte. Gerade arbeite ich mit einer Freundin, die unter Depressionen leidet, an einem Film zu eben diesem Thema: Depressionen. Durch „Fuck White Tears“ habe ich gelernt, dass ich nicht einfach einen Film über jemanden machen kann, sondern es viel wichtiger ist, einen Film mit jemanden zu machen. Ich wusste das zwar in der Theorie, aber konnte es nicht umsetzen. Beim Film über Depressionen stelle ich mir die gleiche Frage: Darf ich als „Gesunde“ einen Film über „Kranke“ machen und wenn ja, wie?

Der Film „Fuck White Tears“ ist online auf dem Vimeo Channel des Seminars Close Up der HFF München und auf dem Dok.network Afrika YouTube Channel verfügbar.

 

Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.


 

Muslime als die neuen Juden

  • 11.05.2017, 09:00
Diesen März wurde der Dokumentarfilm Islamophobie österreichischer Prägung, der bereits im vergangenen Jahr Premiere feierte, im Wiener UCI-Kino gezeigt.

Diesen März wurde der Dokumentarfilm Islamophobie österreichischer Prägung, der bereits im vergangenen Jahr Premiere feierte, im Wiener UCI-Kino gezeigt. Der Andrang zur dritten Vorstellung war überraschend groß, der Saal an einem Montagabend fast ausverkauft. Der Film von Regisseur Sinan Ertugrul hat den Anspruch, Islamfeindlichkeit in Österreich zu problematisieren. Während auf der einen Seite rassistische Angriffe in den letzten Jahren nachweislich zunehmen, muss sich der Film auf der anderen Seite die Frage gefallen lassen, ob es ihm im Kern um den Schutz von Individuen, oder um den Schutz der Religion geht.

In mehreren ExpertInneninterviews wird betont, dass man Diskriminierung und Angriffe auf Einzelne thematisieren möchte. Verschiedene Beispiele von Diskriminierung werden den Plot hindurch auch immer wieder aufgegriffen. Allerdings präsentiert der Film durchgehend Personen, die dem politischen Islam das Wort reden. Einer der befragten Experten, Universitätsprofessor Rüdiger Lohlker, verkehrt Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Dialektik der Aufklärung und versucht diese als Beweis anzuführen, weshalb die Aufklärung per se schlecht sei. Er übergeht dabei schamlos die Dialektik, die bereits im Titel des Buches betont wird.

Auch einige persönliche Beispiele von Islamophobie, die im Film angerissen werden, nehmen der zu Anfang naiv geäußerten Behauptung, es ginge um den Schutz von Individuen, die Glaubwürdigkeit. Es wird suggeriert, das Eintreten gegen sexuelle Gewalt an Frauen in islamischen Ländern sei „koloniales Denken“. Oder dass es bereits rassistisch sei, wenn die Sportlehrerin muslimische Schülerinnen auch an Ramadan auffordert, genügend Wasser zu trinken. Ein eindringliches Motiv, das zum Ende des Filmes mehrmals Erwähnung findet, ist der Vergleich von MuslimInnen und Juden/Jüdinnen in den 1930er Jahren. Dabei wird „Charlie Hebdo“, die französische Satirezeitschrift, die vor zwei Jahren Ziel eines islamistischen Terroranschlags wurde, indirekt zum neuen „Völkischen Beobachter“ erklärt, der es auf Muslime abgesehen habe. Mehrere der im Film interviewten ExpertInnen bezeichnen Religionskritik als eindeutig rassistisch und damit als illegitim. Das ist schade, denn es bekräftigt zum einen das Bild von Religion als quasi-natürlicher Zugehörigkeit, zum anderen stellt es säkulare und reformerische Kräfte ins Abseits.

Anna Grellmeer studiert im Master Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Drugs, Violence and Rock ’n’ Roll

  • 10.05.2017, 19:08
Im Film „Gimme Danger“ ergründet Jim Jarmusch mit Iggy Pop die Geschichte von Pop`s erster Band „The Stooges“. Und kommen zum Schluss: sie waren die Grössten.

August 1970, Goose Lake International Pop Festival: Benebelt von einer Substanz, die er „für Kokain hielt“, räkelt sich Iggy Pop, Frontmann der Rock-Band "The Stooges", auf dem Boden einer Holzbühne, während die restlichen Musiker das Stück „1970“ intonieren. Pop rafft sich auf, gestikuliert wild, tanzt und stolpert schliesslich dem Publikum entgegen. Aufgebracht durch die Bühnenabsenz des Stooges-Bassisten Dave Alexander, der zu betrunken ist, um noch spielen zu können und in diesem Moment das Waterloo seiner Musikerkarriere erlebt, versucht der Sänger das Publikum aufzuwiegeln. Die Performance endet – wie so oft in der Geschichte der Stooges – in Chaos und Tumulten.

Es ist dieser Prototyp der Punkattitüde, dem der Filmemacher Jim Jarmusch zusammen mit dem Stooges-Frontmann in seiner Doku „Gimme Danger“ nachspürt. Iggy Pop erzählt in dem knapp zweistündigen Film über seine Kindheit in den 1950er Jahren, seinen musikalischen Werdegang bis zur Gründung der Stooges 1967, deren Geschichte über drei, für das gesamte Rockgenre wegweisenden Alben, das unrühmliche Ende der Band im Bierflaschenhagel eines wütenden Biker-Gang-Publikums in einer Spelunke Detroits 1974 und letztlich das Comeback 2003.r

Der Film bietet einiges an interessanten Hintergrundinfos und vermag es dabei, die kulturhistorische Verwurzlung des Phänomens Stooges in der 1960er-Jahre Gegenkulturbewegung aufzuzeigen – wenngleich die Band nie etwas mit Flower-Power am Hut hatte (Pop: „Ich habe geholfen, die 60er zu vernichten“). Leider ist die Strukturierung des Films mit schnellen Schnitten etwas chaotisch und so ist es ohne Vorwissen bisweilen schwer zu folgen.

Selbstredend ist der Film auch Werbung in eigener Sache: Es nicht verwunderlich, dass im Verlaufe des Films der viel reklamierte Titel „grösste und wirkungsmächtigste Band aller Zeiten“ beansprucht wird. Gleichsam kommt dank Pops charismatischer Persönlichkeit niemals Langweile auf und speziell für alle Fans des Punk- sowie Garage-Rock Genres ist „Gimme Danger“ absolut zu empfehlen.

Livio Hoch studiert Rechtswissenschaften an der Universität Wien, hat aber fast so viel Interessensgebiete wie das ABGB Paragrafen

 

Coming-of-Age ohne Coming-out

  • 26.04.2017, 15:02

Eine Schule im südlichen Niederösterreich, in der Homophobie so gut wie nicht existent ist und lesbische Sexualität offen gelebt werden kann, ist der primäre Handlungsort des Films Siebzehn von Monja Art. Die Regisseurin und Drehbuchautorin wollte explizit keinen „Coming-out“-Film abliefern. Vielmehr ging es ihr darum, einen Film über Sehnsucht jenseits geschlechtsspezifischen Begehrens zu machen.

Damit ist auch bereits die Fragestellung für diese Rezension vorformuliert: Soll die Kulturindustrie eine bessere Welt zeigen oder versuchen, die traurige Realität so gut es geht einzufangen? Siebzehn entscheidet sich für ersteres, wobei zumindest in der visualisierten Gedankenwelt von Hauptfigur Paula (Elisabeth Wabitsch) die Existenz homophober Bedrohungsszenarien aufblitzt. Ohne diese kurze Sequenz, in der sie befürchtet, von den MitschülerInnen wegen eines gleichgeschlechtlichen Kusses gemobbt zu werden, müsste man dem Film wohl tatsächlich die Verharmlosung der herrschenden Verhältnisse vorwerfen. So aber schleicht sich über die Tagtraumsequenzen die Realität in den Film, während die sonstige Spielhandlung eher einem Traum gleichkommt. Ein Traum, der in den schönsten Bildern gezeichnet wird und an Emotionen andockt, die nicht nur Jugendlichen, sondern allen RezipientInnen nachvollziehbar sein dürften: Sehnsucht, Verliebtheit, Enttäuschung, Zurückweisung und Eifersucht treiben die Handlung voran.

Die Erzählstrategie jenseits des „Comingout“-Films, für die sich Monja Art entschieden hat, ist dabei durchaus legitim und lässt hoffen, dass der Film seine Wirkung beim Zielpublikum nicht verfehlt. Siebzehn würde auch als TV-Serie gut funktionieren und nicht nur über Paula sondern auch über die vielen exzellent gezeichneten Nebenfiguren möchte man eigentlich noch viel mehr erfahren.

Siebzehn (Ö 2017) ist ab 28. April im Kino.

Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien.

Mehr als eine Autopanne.

  • 06.04.2017, 18:14
Kurzfilme sind immer so eine Sache. Sind sie gut, wünscht man sich es dauerte länger, sind sie schlecht, fragt man sich ehrlich wie lange einem 20 Minuten erscheinen können.

Kurzfilme sind immer so eine Sache. Sind sie gut, wünscht man sich es dauerte länger, sind sie schlecht, fragt man sich ehrlich wie lange einem 20 Minuten erscheinen können.

„Die Überstellung“ von Regisseur Michael Grudsky findet dagegen die genau richtige Länge.

Irgendwo im Nirgendwo in der Wüste Negev steht Abu Sharif vor seiner letzten Überstellung bis seine Haftstrafe in zwei Wochen abgebüßt ist. Der junge Befehlshaber Erez versucht streng die Disziplin durchzusetzen, die seine untergebenen Soldaten vermissen lassen und eher kommod mit den Regeln und den Gefangenen umgehen.

Der Produzentin Nina Poschinski gelang es, Drehgenehmigungen in einem israelischen Gefängnis und in der Wüste Negev zu bekommen, was sich in der bemerkenswertenCinemateographie widerspiegelt. Im Niemandsland der Wüste taucht eine Festung der Überwachung auf, die abgelöst wird von bombastischen Weitwinkelaufnahmen der Wüste auf der Fahrt in Abu Sharifs letzten Gefängnisaufenthalt Megiddo. Als dann plötzlich der Wagen einen Motorschaden hat, geraten die Soldaten in eine Ausnahmesituation. Abu Sharif ist Automechaniker, darf aber laut Erez weder seine Handschellen ablegen noch den Wagen berühren. Es scheint Erez einziger Halt, in einer aus den Fugen geratenen Situation streng nach Vorschrift vorzugehen. Erst als der Fahrer durch sein Asthma in eine lebensbedrohliche Situation zu kommen droht, lässt Erez es zu, Hilfe von dem Mann anzunehmen, von dem er nur Schaden erwartet. Abu Sharif hilft und schafft so einen kurzen Moment der Kameraderie auf der Weiterfahrt. Es wird über Autos und Zigaretten geredet und gelacht. Der normale tägliche Wahnsinn dringt jedoch über das Radio ein, das einen Terroranschlag in Ashkelon meldet, der Heimatort eines der Soldaten, der panisch seine Freundin anruft. Die Rollen sind wieder klar verteilt und alles was bleibt, ist Schweigen.

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Es ist die Unmöglichkeit von Freundschaft und Frieden in einer ausweglosen Situation, die den Nahostkonflikt im kleinen Rahmen der Autofahrt spiegelt. Die Schuldfrage bleibt nicht unbeantwortet: Es ist der Terrorismus der Feinde Israels, die eine Normalität verhindert. Die Fronten sind wieder geklärt, hier ein (ehemaliges) Mitglied einer islamistischen Gruppe, dort Soldaten, die ihren Dienst tun und doch nicht ihre Liebsten zu schützen vermögen, wenn Terrorist*innen attackieren.

Bemerkenswert war auch eine Frage des Moderators im Publikumsgespräch. Der Film sei ja durchaus kritisch gegenüber Israel (der Regisseur merkte hier an, dass er dies nicht so sehe), ob dieser dann überhaupt in Israel zum Beispiel im Rahmen eines Festivals zeigen könne. Hier zeigt sich ein Bild von Israel, dass selbst vor der Kulturszene nicht Halt macht: Israel lasse keine Kritik an seiner Politik zu. Der Regisseur musste den Moderator erst darauf hinweisen, dass es in Israel keine Zensur gibt und durchaus noch viel kritischere Filme in Israel gezeigt werden.

Die Überstellung, DE 2017 | Hebr. mit dt. UT |23 Minuten

Anne Marie Faisst schreibt (nicht) ihre Masterarbeit in Internationale Entwicklung sondern stattdessen Filmkritiken von der #Diagonale17 in Graz.

„Klitoris? Wir haben das nicht verwendet“

  • 22.11.2016, 14:44
In welchem Alter und zu welcher Gelegenheit wurdest du dir deiner eigenen Klitoris bewusst? Um diese zwei Fragen dreht sich der Kurzfilm „Clitorissima“, der im Rahmen des Transition-Festivals gezeigt wurde. progress sprach mit der queeren Filmemacherin Gia Balestra.

In welchem Alter und zu welcher Gelegenheit wurdest du dir deiner eigenen Klitoris bewusst? Um diese zwei Fragen dreht sich der Kurzfilm „Clitorissima“, der im Rahmen des Transition-Festivals gezeigt wurde. progress sprach mit der queeren Filmemacherin Gia Balestra.

„Noch eine Geschichte! Bitte!“, ruft Gia Balestra laut und leicht flehend in den dunkeln Kinosaal im Wiener Schikaneder. Sie macht gerade den Rolls Royce unter den Vibratoren zum Testen bereit. Hie und da hört man Gekichere. Noch vor einigen Minuten lief ihr Kurzfilm „Clitorissima“ auf der Leinwand. Jetzt gibt es die Möglichkeit sich im geschützten Rahmen unter Frauen*, Trans* und Inter*-Personen auszutauschen – über die eigene Erinnerung an die erste „Clitoris Awareness“.

In welchem Alter und zu welcher Gelegenheit wurdest du dir deiner eigenen Klitoris bewusst? Balestra konfrontierte zuerst ihre weiblichen Familienmitglieder mit diesen zwei Fragen. Danach Personen, die sie auf Events zum Thema Sexualität, interviewte. Und jetzt das Publikum im Schikaneder. Eine Hand streckt sich im Kinosaal: „Ich war vier und dachte, dass ich dieses Gefühl erfunden habe. Es war so schön. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass mir niemand zuvor davon erzählt hat.“ Das Gekichere schlägt in freudiges Lachen um. Gemeinsam wird die Klitoris zelebriert. Genau das will Gia Balestra erreichen.

Die gebürtige Italienerin vereint viele Facetten in sich. Selbst- und Fremdzuschreibungen: Sie ist Überlebende einer Vergewaltigung. Laut ihrer jüngeren Schwester sei sie eine „Kinderklitorisausbildnerin“. Ihren Künstlerinnen-Name „Vulvah Van Klitt“ entwickelte sie als persönlichen „Comic Relief“. Nach dem ganzen Drama, brauchte sie etwas worüber sie lachen konnte. Laut Freund*innen aus Italien ist sie besessen von der Klitoris. Sie selber bestätigt das ganz selbstbewusst: „Yes! I am obsessed!“. Kurzum: Ein außergewöhnliches Gespräch mit einer außergewöhnlichen Person.

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progress: Angestoßen wurde deine Auseinandersetzung mit der Klitoris durch einen Vorfall mit deiner Schwester bzw. mit ihrer Tochter Virginia, die sich mit drei Jahren ihrer Klitoris bewusst geworden ist. Kannst du erzählen was damals, vor zwanzig Jahren, passiert ist?
Gia Balestra: Ich kann dir die Szene genau schildern: Sommerzeit in Bassano del Grappa, ein kleines Dorf in der Nähe von Venedig. Wir sitzen im Garten. Meine Schwester nähert sich mir. Sie flüstert in mein Ohr: „Gia, hast du Virginia die Klitoris gezeigt?“ Virginia begann ihren Körper zu erforschen und meine Schwester zeigte mit den Finger auf mich. Sie flippte aus. Ich flippte aus. Ich musste Italien verlassen und zog nach Berlin. Ich brauchte 16 Jahre, um meine Schwester zu konfrontieren und stellte ihr immer wieder verschiedene Fragen, unter anderem: Wieso ich? Als ersten Grund nannte sie mir, dass ich im Haus war. Als ich mich mit der Antwort unzufrieden zeigte, sagte sie mir, dass es nur ein Scherz war. Ich fragte, was das für ein schlechter und böser Scherz sein soll. Und dann kam die richtige Antwort: Weil ich immer über Sex rede. Es ist jedoch das „Ich“ als Überlebende einer Vergewaltigung, die über Sex spricht. Ich musste vor Anwält*innen und Richter*innen über meine Sexualität sprechen, über das was passierte.

Nach dieser Erfahrung hast du beschlossen deinen weiblichen Familienmitgliedern zwei Fragen zu stellen: In welchem Alter und zu welcher Gelegenheit wurdest du dir deiner Klitoris bewusst? Wie reagierte deine Familie?
Sie waren total gewillt mir davon zu erzählen. Als ich meine Mutter interviewte, begann ihre Alzheimer. Das war nicht einfach für mich, ich hab gezittert und konnte ihr nur die Frage mit dem Alter stellen. Ich war nicht fähig weiter zu gehen. Als Kind erzählte mir meine Mutter, dass Kinder keinen Orgasmus haben können. Erst, wenn sie 18 sind, wären sie dazu fähig. Eine falsche Erzählung, die ich jedoch 100%ig akzeptierte. Ich hatte keine Zweifel daran. Meine Schwester erzählte mir, dass sie ihre erste „clitoris awareness“ mit 16 hatte. Danach ging sie in die Bibliothek und las alles darüber. Auch bei meinen anderen Schwestern und meine Cousinen war es mit 17. Das ist so spät. Das alles ist wohl mit ein Grund, wieso meine Schwester es nicht verstanden hat, als ihre kleine Tochter mit drei begann ihren Körper zu erforschen.

Danach hast du entschieden, diese zwei Fragen auf unterschiedlichen Sex- und Erotik-Veranstaltungen in Berlin zu stellen. Aus diesen Interviews besteht der Film „Clitorissima“. Gab es einen Unterschied zwischen den Generationen, was die Reaktionen anging?
Ich denke schon, ja. Viele Personen zwischen 20 und 30 geben schnell eine Antwort, teilen ihre Erfahrungen. Manche ältere Frauen sagten „Klitoris? Wir haben das nicht verwendet“. Als hätten sie gar keine Klitoris.

Kannst du von ein oder zwei Geschichten aus deinen Interviews erzählen, die dir als besonders interessant oder lustig hängen geblieben sind?
Da gab es die Geschichte von zwei Zwillingsschwestern, die in einem Stockbett schliefen. Die Schwester, die im unteren Bett lag, hatte keine Privatsphäre, um zu masturbieren, während die Schwester, die oben schlief, machen konnte, was sie wollte. Die Beiden teilen nun diese Geschichte miteinander. Das fand ich ziemlich spannend. Oder eine andere Person hatte ihre erste „clitoris awareness“ mit einer Aprikose, die wohl irgendwie zum Gleitmittel wurde. Das ist sehr süß.

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Die Filmvorstellung und die anschließende Diskussion im Rahmen vom Transition-Festival war für Frauen*, Trans* und Intersex*-Personen. Was willst du diesen Personen mitgeben?
Verwendet den Begriff „clitoris awareness“! Es wird nicht darüber gesprochen, aber die meisten Frauen wissen sofort, was ich mit diesem Begriff meine. Manche sagten mir sogar, dass sie sich immer schon ihrer Klitoris bewusst waren. Die Glücklichen! Bei mir war es mit 19. Wenn ich vor Männern den Begriff „clitoris awareness“ verwende, schauen sie mich an als wäre ich eine Idiotin. Männer haben ihren Penis seit ihrer Geburt vor sich. Sie wissen, wenn du den Penis berührst, dann fühlst du etwas. Bei Mädchen ist es nicht so. Ich denke mir oft, dass als ich klein war und meinen Körper entdeckte, ein Kindermädchen mich auf irgendeine Art und Weise bestraft haben muss. Es ist nur eine Vermutung. Aber wie kann ich sonst 19 Jahre lang meine Klitoris vergessen? Als ich sechs Jahre alt war, ging ich öfters reiten. Nicht auf einem Pony, sondern auf einem riesigen Pferd. Aber nichts ist passiert!

Stichwort Erziehung: Dein Film richtet sich auch an Mütter. Wie sollten Mütter mit ihren Töchtern über die Klitoris sprechen?
Sie sollen sagen: Clitoooriissssiimmaaaa! Es soll wie eine Party klingen! Clitoooriissssiimmaaaa! Mit Animationen und netten Bildern kann das Thema anschaulich gemacht werden. Es wäre auch schön, wenn Mädchen bereits in der Vorschule gemeinsam darüber sprechen, sich ihre Klitoris gemeinsam anschauen, damit sie ihren Körper kennenlernen. Das ist jedoch undenkbar. Wir haben immer noch eine Mauer im Kopf, wenn es um die weibliche Sexualität geht.

Wieso existiert diese Mauer deiner Meinung nach immer noch?
Ich glaube, es ist ein Cocktail von Werten aus einer patriarchalen Gesellschaft mit einem Hauch von Katholizismus, der dir einredet, dass dein Körper dreckig ist, der Teufel ist. Natürlich ist das auch bei anderen Religionen so. Egal ob im Islam oder im Buddhismus, der genau so eine sexistische Religion ist. Die Gesellschaft ist sexistisch. Das ändert sich nur langsam.

 

Valentine Auer arbeitet als freie Journalistin in Wien.

Venceremos! Kubanische Wochenschauen – frisch restauriert

  • 19.11.2016, 21:27
Die Viennale zeigte im Rahmen eines mehrteiligen Spezialprogramms kubanische Wochenschauen von 1960-1970.

Die Viennale zeigte im Rahmen eines mehrteiligen Spezialprogramms kubanische Wochenschauen von 1960-1970.

Die von Maria Giovanna Vagenas kuratierte Spezialprogramm „Das rebellische Bild“ machte eine Auswahl kubanischer „Noticieros“, die in den Jahren nach der Revolution in kubanischen Kinos vor dem Hauptfilm zu sehen waren, erstmals einem internationalen Publikum zugänglich. Es handelt sich dabei um filmische Dokumente von großer zeithistorischer Relevanz, die erst kürzlich aufwendig restauriert und damit dem Verschwinden aus dem audiovisuellen Gedächtnis entrissen wurden.

Nach der Flucht des von CIA und US-amerikanischen Mafiosi unterstützten Diktators Fulgencio Batista 1959 war die Gründung des Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematográficos (ICAIC) eines der ersten großen kulturpolitischen Projekte der neuen sozialistischen Regierung. Ab 1960 wurden dann die „Noticieros“ produziert, die sich aus jeweils mehreren Beiträgen unterschiedlicher Länge zusammensetzen und mit dem Zeitgeschehen in Kuba und darüber hinaus befassen.

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Kontinuierlich thematisiert werden etwa der Vietnamkrieg, Rassismus in den USA und die Bürgerrechtsbewegung. Auch die Entstehung des Che Guevara Mythos wird anhand der Wochenschauen nachverfolgbar. Freilich sind die Noticieros nicht gerade arm an repräsentativen Skurrilitäten: Fidel Castro bei der Entenjagd mit Nikita Chruschtschow oder bei der Zuckerrohrernte gemeinsam mit den vietnamesischen GenossInnen. Der zum Gegenbesuch gesandte kubanische Repräsentant sitzt wiederum inm Socken auf dem Boden in Ho Chi Mhins Haus, während letzterer gemütlich in einem Couchsessel weilt und wohlwollend auf den kubanischen Genossen herabblickt.

Die Noticieros sind sowohl in zeitgeschichtlicher Hinsicht als auch was ihre Formsprache und den Einsatz von Musik betrifft sehenswert. Für damalige Verhältnisse schnell geschnitten und mit Grafiken, Animationen und ungewöhnlichen Kameraperspektiven arbeitend, sind sie mit heutigen Sehgewohnheiten überraschend kompatibel. Für das kubanische Publikum der 1960er Jahre waren die Noticieros eine der wenigen Gelegenheiten, englischsprachige Popmusik zu hören, mit der insbesondere Beiträge über progressive politische Bewegungen in den USA untermalt wurden. Im kubanischen Radio wurde damals keine englischsprachige Musik gespielt, was dazu führte, dass der Soundtrack zum westlichen 1968 den KubanerInnen nicht durch Radio und Fernsehen sondern über den Umweg der Kinowochenschauen zugänglich gemacht wurde.

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Erst 1990 endete die Produktion „Noticieros“ angesichts der Krise der realsozialistischen Staaten – nicht zuletzt der Sowjetunion –, die das seit Jahrzehnten mit scharfen US-Sanktionen konfrontierte Kuba ökonomisch besonders hart traf. Fast 20 Jahre später wurden die Noticieros als Nationalerbe Kubas in die Liste des UNESCO Weltdokumentenerbe eingetragen. Diese 2009 getroffene Entscheidung trug sicher dazu bei, dass sich das französische Institut National de l'audiovisuel des sich bereits in sehr schlechtem Zustand befindlichen Archivmaterials annahm und die Bestände in Kooperation mit dem Kubanischen Filminstitut digital zu restaurieren begann. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen – zumindest die Jahrgänge 1960 bis 1970 konnten aber auf der diesjährigen Viennale dank der hochwertigen Restaurierung in High Definition gezeigt werden.

Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien.

Metallica verursacht Redaktionskrise

  • 25.10.2016, 14:34
Ein iranischer Exil-Radiosender in San Francisco, dessen Werbewert durch einen Besuch der Rockband Metallica signifikant gesteigert wird, ist Schauplatz des Films „Radio Dreams“.

Ein iranischer Exil-Radiosender in San Francisco, dessen Werbewert durch einen Besuch der Rockband Metallica signifikant gesteigert wird, ist Schauplatz des Films „Radio Dreams“.

Würden die ProtagonistInnen den Namen der Stadt nicht erwähnen und wären die Straßen nicht so charakteristisch steil, könnte auch jede andere amerikanische Großstadt Ort der Handlung sein. Auf klischeebehaftete Establishing Shots wird verzichtet und gesprochen wird fast ausschließlich Farsi.

Im Zentrum der Handlung steht der zumeist als Mister Royani adressierte Chefredakteur des kleinen Senders. Der Film begleitet ihn durch jenen turbulenten Tag, als Metallica sich ankündigten, um auf Radio Pars mit der afghanischen Rockband „Kabul Dreams“ zu jammen. Die prominenten Gäste, die sehr lange auf sich warten lassen, stellen durch ihren großen Namen und die damit verbundene Attraktivität für WerbekundInnen den Sendebetrieb auf den Kopf.

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Nebenbei wird Mister Royani in einer Interview-Sequenz nicht nur als Radiochef, sondern auch als reichlich einsamer Exilliterat gezeichnet. Sein Englisch reicht aus, um die Fragen des Interviewers zu verstehen – nicht jedoch, um sie seinen eigenen Ansprüchen gerecht werdend zu beantworten. Der Übersetzer scheint mit der Komplexität der Antworten überfordert zu sein. Als Mister Royani aus purer Verzweiflung dann doch versucht, auf englisch zu antworten, bringt er nur gestammelte Wortfetzen hervor, die mindestens genauso platt klingen wie die verunglückten Übersetzungsversuche. Die Szene ist zugleich hochkomisch und tieftraurig.

Nachdem Mister Royani an jenem schicksalshaften Tag aus kommerziellen Gründen bereits einen Experten für die Körperenthaarung iranischer Frauen interviewen musste, kündigt sich ein weiterer skurril anmutender Gast an. Die amtierende „Miss Iran USA“ scheint die Gunst der Stunde nutzen zu wollen, um im Schatten von Metallica etwas Fame abzugreifen.

Im Live-Gespräch mit Mister Royani stellt sie sich nicht nur als intelligent und wortgewandt heraus, sondern auch als Poetin, die gerne eines ihrer Gedichte vorgetragen hätte. Gefangen in seiner eigenen Frustration verweigert ihr Mister Royani diesen Wunsch und bricht das Interview ab.

„Radio Dreams“ ist ein Film, der sich nicht recht entscheiden mag, ob er Drama, Komödie oder skurrile Posse sein möchte. Er zeichnet seine ProtagonistInnen als Witzfiguren, schafft es aber dennoch Empathie mit ihnen zu wecken. Genau das macht den Film kurzweilig und sehenswert – auch für Menschen, die mit Metallica nicht viel anfangen können.

Florian Wagner studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien.

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