Film

„Wir müssen es tun”

  • 24.10.2012, 17:12

Die Holocaust-Überlebenden Leo Bretholz und Bluma Shapiro erzählen ihre Geschichte an Schulen in Baltimore. Im Film See you soon again werden sie dabei begleitet.

See you soon again. Eine Filmrezension.

 „I am over-holocausted“, sagt der Holocaust-Überlebende Leo Bretholz in einer Szene des Films See you soon again. „Aber wir müssen es tun, um an die Opfer zu erinnern“, antwortet der ehemalige Wiener einer Schülerin in einer anderen Szene auf die Frage, ob er es nicht manchmal leid ist, davon zu erzählen. Leo lebt in Baltimore, wo er und weitere Mitglieder der Übelebendengemeinde seit Jahren an Schulen gehen, um ihre Geschichten mit den SchülerInnen zu teilen. Lukas Stepanik und Bernadette Wegenstein begleiten ihn und Bluma Shapiro auf ihrer unermüdlichen Reise durch die unterschiedlichsten Schulen und ZuhörerInnenkreise. Nicht ihre Geschichten, sondern die Personen selbst und ihr Umgang mit der Vergangenheit stehen im Mittelpunkt des Films. So erleben die ZuseherInnen ihre Höhen und Tiefen hautnah mit. Vor allem bei Leo, der sehr temperamentvoll auf Fragen reagieren kann, wenn er sich nicht verstanden fühlt, dennoch aber an anderer Stelle mit viel Witz und Charme seine Geschichte übermittelt. Abgerundet wird dies durch die gebürtige Polin Bluma, die eher gefasst wirkt und ganz klar das Ziel verfolgt, „wenigstens ein Kind zu erreichen“. Bei ihr zeigt sich zudem ein Generationenkonflikt innerhalb der Überlebendengemeinde. Ihre Großnichte Livia streitet sich fast mit ihr darüber, ob auch Kinder und Enkelkinder der Überlebenden zur Überlebendengemeinde gehören oder nicht  und stellt klar, dass auch die nachfolgende Generation der Überlebenden traumatisiert ist.
Damit werden im Film verschiedene Aspekte und Reaktionen auf die Holocaust-Überlebenden beleuchtet.

See you soon again ist ein klug inszenierter, liebevoller und glaubhafter Cinéma-Vérité-Film, der durch seine Mischung aus Humor und überzeugender Ernsthaftigkeit zum Lachen wie auch zum Nachdenken anregt und somit einen bittersüßen Nachgeschmack hinterlässt. Auch wenn geschichtliche Aspekte nicht im Mittelpunkt stehen, werden sie den ZuseherInnen doch nähergebracht. Insbesondere von Leo. Wenn er etwa über seine letzte Fahrt am 25. Oktober 1938 in Wien mit der 5er Straßenbahn Richtung Westbahnhof berichtet, werden die langfristigen Auswirkungen der Juden- und Jüdinnenvefolgung realer als es jedes Geschichtsbuch darzustellen vermag.

SEE YOU SOON AGAIN
Lukas Stepanik/Bernadette Wegenstein, A/USA 2012, OmU, DCP, 79 min.

Zum Trailer des Films, zur Webseite und zu den Spielterminen.

Glück im Unglück

  • 13.07.2012, 18:18

Das Wiener Filmmuseum würdigt mit seinem Jänner-Schwerpunkt Dino Risi und die Commedia all’italiana eine Lebenseinstellung, die das Unglück der Welt nicht relativiert, sich davon aber auch nicht verrückt machen lässt. Eine Analyse.

Das Wiener Filmmuseum würdigt mit seinem Jänner-Schwerpunkt Dino Risi und die Commedia all’italiana eine Lebenseinstellung, die das Unglück der Welt nicht relativiert, sich davon aber auch nicht verrückt machen lässt. Eine Analyse.

Das Filmmuseum in Wien wurde im Jänner gestürmt. Beinahe vor jeder Vorführung spielten sich an der Kassa hektische Szenen ab. Die Karten waren viel zu schnell weg, die sich drängenden BesucherInnen wurden ersucht, doch bitte Reservierungen vorzunehmen. Was zog die Menschen an? Diese Frage kann auf den ersten Blick leicht beantwortet werden: Der Filmschwerpunkt Dino Risi und die Commedia all’italiana schaffte es, das Publikum zu unterhalten, zu belustigen und zu begeistern. Italienischer Film von den späten 1950er Jahren bis tief hinein in die 1970er. Es gab Vorführungen, in denen die ZuseherInnen durchgehende 120 Minuten nicht zur Ruhe kamen. Szene für Szene folgte ein Gag dem nächsten, die Leinwand wurde zur Dirigentin eines Lachkonzerts. Am Ende konnten sich einige das Lachen sogar dann nicht verkneifen, wenn es in Wirklichkeit keinen Grund dafür gab. 

Die dramatische Wende. Das Fröhliche und Lustige stand bei den Filmen aber immer nur scheinbar im Vordergrund. Bei nicht wenigen scheint es, als ob der Humor beim Publikum Blockaden abtragen soll, um empfänglich für die eigentliche, tiefere Botschaft zu machen. „Risis Filme zeigen meist eine Fröhlichkeit, die sich ins Dramatische verkehrt“, schreibt der Spiegel mit Recht. Das Fröhliche fällt dann dem Dramatischen in Form des Lebens mit all seinen Unzulänglichkeiten zum Opfer.
Warum aber reißen sich Scharen von Menschen darum, vierzig bis sechzig Jahre alte Filme zu sehen, in denen lockerer Spaß zum Drama wird? Was für eine Aktualität tragen diese alten Streifen in sich, die die ZuseherInnen zu fesseln vermag? Diese Fragen führen uns zum zweiten, genaueren Blick: Auf diesen zweiten Blick ist die Frage nach dem Erfolg des Jänner-Schwerpunkts des Filmmuseums nicht mehr ganz so einfach zu beantworten. Womöglich ist es an dieser Stelle wichtig zu wissen, dass der 2008 in Rom verstorbene Risi nicht nur Regisseur und Drehbuchautor, sondern auch Psychiater war.
Ein Psychiater, der mit seinen Filmen darstellt, dass kleines Glück oft gar nicht so klein und auch in einer unglücklichen Welt möglich, ja notwendig ist. Risi zeigt, dass es vielleicht im falschen Leben tatsächlich kein richtiges gibt, aber dass wir uns davon besser nicht verrückt machen lassen sollten. 

Intensives Leben. Risi zeichnet das Bild eines Nachkriegs-Italiens mit all seinen Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten. Er nimmt die ganz großen Themen seiner Zeit ins Visier: Es geht um die Kluft zwischen (zumeist) durchtrieben und sinister dargestellten Bourgeoises und den Besitzlosen, um Korruption, Verbrechen, den Faschismus und seine (ungenügende) Bewältigung und den rapiden wirtschaftlichen Aufschwung jener Jahre. Und sehr oft handeln die Filme ganz einfach von den Beziehungen zwischen Mann und Frau in einem patriarchalen Italien, das so klare Geschlechterrollen vorgab, dass ihnen letztlich niemand entsprechen konnte.
Aber zwischen all diesen Brüchen, Widersprüchen und Ungerechtigkeiten tauchen in Risis Filmen Menschen auf, die darum kämpfen, ihren Stolz nicht zu verlieren und ihre Rolle zu finden. Sie sehen die Ungerechtigkeit und die eigene Unzulänglichkeit, aber sie sehen auch, dass es keinen Sinn hat, auf das Gesehene mit Hass zu reagieren. Risi macht aus dem Leben mit all seinen Baustellen eine eigene Ästhetik des Seins, die von den ProtagonistInnen laut und lebendig und oft genug auch rabiat gelebt wird. Dabei werden alle Italien-Klischees bedient, für die die Italiener und Italienerinnen so weit über ihre Staatsgrenzen hinaus bekannt und beliebt sind. Kurz: Der Drang zum intensiven Leben.  
Natürlich geht das nicht immer gut. Viele der Film-Charaktere sind zum Scheitern verurteilt. Sie scheitern direkt vor den Augen des Publikums, werden dabei für Verhältnisse bestraft, für die sie nichts können. Aber Risis Verdienst ist es, genau an diesem Punkt des Scheiterns zu zeigen, dass nicht alles verloren ist. Die hätten es auch irgendwie schaffen können, ein Schlupfloch finden können, das es in Italien immer gibt – die Frage lautet nur wo. Ein paar dieser Schlupflöcher hat das Filmmuseum mit seinem Risi-Schwerpunkt nach Österreich geholt. Das ist schön, denn wir können sie gut brauchen.

 

 

Seiten