Film

Dem bedrohten österreichischen Film ein Festival

  • 30.03.2014, 13:34

In Graz fand vom 18. bis 23. März die Diagonale 2014 statt. Innerhalb von sechs Ta-gen wurden 200 Filme gespielt – größtenteils österreichische. Diese sehen die Film-schaffenden nun bedroht.

In Graz fand vom 18. bis 23. März die Diagonale 2014 statt. Innerhalb von sechs Ta-gen wurden 200 Filme gespielt – größtenteils österreichische. Diese sehen die Film-schaffenden nun bedroht.

Einmal im Jahr ist Österreich im Film-Fieber. Heimische Produktionen werden bei der Diagonale in Graz präsentiert und im Anschluss wird oft mit den RegisseurInnen diskutiert. Von 500 eingereichten Werken werden 200 präsentiert, 25.000 BesucherInnen strömen in die Kinosäle. Die Filmindustrie zeigt sich stolz auf die „nationalen sowie internationalen Erfolge“ des kleinen Österreichs. Jener „Exportschlager“ droht nun „unverschuldet“ wegzufallen, wie die Filmschaffenden in einem für die Diagonale gemachten Protestvideo warnen. Der Hintergrund: Der größte Auftraggeber ORF will ein Drittel seiner Aufträge im heimischen Film kürzen. Damit wären 1.500 Arbeitsplätze vernichtet und SteuerzahlerInnen müssten für die anfallenden Sozialkosten von 25 Millionen Euro aufkommen. Das sei beinahe die Summe, die dem ORF aufgrund der Streichung der Gebührenrefundierung fehlt. „Blunzendeppat“, nennt Kabarettist und Schauspieler Lukas Resetarits dieses Vorgehen und sieht ORF und Regierung in der Verantwortung. Mehr dazu im Protest-Video.

Quo vadis österreichischer Film?

Rezensionen

Unsere Redakteure waren bei der Diagonale vor Ort. Nachfolgend drei kurze Rezensionen. Die Filme „Der letzte Tanz“ und „Und in der Mitte, da sind wir“ wurden ausführlicher rezensiert.

Das finstere Tal

Zwei Stunden, in denen man sich nicht zu atmen traut. Garantierte Spannung und Action. Gedreht in den Alpen im Stil eines Western, Tobias Moretti und der Brite Sam Riley, der putzig am Tirolerischen scheitert. Teuer produziert und ein Aushängeschild des österreichischen Films.

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Der Fotograf vor der Kamera

Dokumentation über Erich Lessing (*1923), einer der bedeutendsten europäischen Reportage-FotografInnen der Nachkriegszeit. Bekannt in Österreich vor allem für das Foto von Leopold Figl mit dem unterzeichneten Staatsvertrag. Der Film begleitet Lessing in seinem Alltag und nimmt sich Zeit für Details. Oder: Er ist zu lang. Interessant für Geschichte-LiebhaberInnen und Fotografie-Begeisterte.

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Bad Fucking

Wirkt anfangs mehr als beschaulich, dieser Kurort namens Bad Fucking. Es dauert jedoch nicht lange, bis die Lage eskaliert. Oder eher die Lagen: quasi jedeR BewohnerIn des Dorfes ist involviert, als kaum eine Todsünde ausgelassen wird. Ist es eigentlich Zufall, dass Michael Ostrowski nicht weit ist, wenn es ein Inferno gibt?

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Das UCI Annenhofkino diente als Spielstätte der Diagonale. Ebenso: KIZ Royal, das Schubert- und Rechbaukino

Die Diagonale in Zahlen

Von 1993 bis 1995 wurde die Diagonale in Salzburg abgehalten. Seit 1998 ist sie in Graz beheimatet. Im Jahr 2015 wird sie von 17. bis 22. März wieder unter der Leitung von Intendantin Barbara Pichler stattfinden.

  • Filme: ca. 200
  • BesucherInnen: ca. 25.000
  • Spielstätten: 4
  • 16 Preiskategorien

 

Gerald Rumpf und Christoph Schattleitner studieren „Journalismus und PR“ an der FH Joanneum in Graz.

 

 

Bewegte Zugehörigkeiten

  • 07.03.2014, 12:21

Warum sie Goethe die Worte im Mund umdreht und neue Perspektiven auf Migration sowohl in Europa als auch in den USA dringend nötig sind, erklärt die Dokumentarfilmerin und Gründerin von „with wings and roots“, Christina Antonakos-Wallace, im Interview.

Zwei Kurzfilme wurden im Rahmen des kollaborativen Multimediaprojekts „with wings and roots“ bereits veröffentlicht, noch heuer folgen eine abendfüllende Doku und eine interaktive Website. Dabei entsteht eine umfassende transnationale Sammlung von Geschichten, die sichtbar macht, wie die sogenannte „zweite Generation von Migrant_innen“ in Berlin und New York auf vielfältige Weise Zugehörigkeit neu denkt und lebt – allen Herausforderungen zum Trotz.

progress: Goethe schrieb: Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“ Du hast für den Titel eures Projekts „with wings and roots“ die Reihenfolge der Wurzeln und der Flügel geändert. Warum?

Christina Antonakos-Wallace: Für mich war es wichtig, die Visionen und die Kreativität, die viele Kinder von Migrant_innen aus ihren multiplen Lebenswelten schöpfen, in den Vordergrund zu stellen. Aus meiner Sicht werden diese nämlich kaum thematisiert, wenn über Migration gesprochen und geschrieben wird. Deshalb stehen die Flügel für mich an erster Stelle. Ich sehe auch die Gefahr, dass der Begriff „Wurzeln“ leicht in Zusammenhang mit fixen Ideen von Kultur und Identitäten instrumentalisiert werden kann. Angesichts des Drucks sich zu assimilieren, müssen viele Menschen in der Diaspora zugleich aber auch hart dafür kämpfen, mit ihrem kulturellen Erbe verbunden zu bleiben. Auch die Verbindung der Menschen zu ihren Communities und Familien, oder was auch immer den Menschen Kraft und ein gewisses Fundament gibt, soll deshalb honoriert werden.

Einer der Kurzfilme, die im Rahmen des Projekts entstanden sind, trägt den Titel „Where are you FROM from?“ Was steckt hinter diesem Titel?

Diese Frage, woher man „wirklich“ kommt, ist so gängig, so alltäglich und spiegelt dabei besonders, wie eng Zugehörigkeit in unserer Gesellschaft noch immer definiert wird. Daran, dass viele Kinder von Migrant_innen diese Frage täglich mehrmals beantworten müssen, kristallisiert sich ihr Dilemma, wenn es um das Gefühl geht, willkommen zu sein. Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung und jener vieler Freund_innen sagen, dass diese Frage gnadenlos ist, auch wenn sie an der Oberfläche so einfach erscheint und sehr ehrlich gemeint sein kann. Aber wenn diese Frage, woher du „wirklich“ kommst, die erste ist und du sie immer und immer wieder beantworten musst, in deiner eigenen Stadt, wenn im Grunde der einzige Ort, den du nennen kannst, „hier“ ist, und dann fragen die Leute ein zweites und ein dritte Mal nach, dann ist das eine sehr problematische Frage. Es ist dann keine Wahl mehr, dich mit deiner Identität auseinander zu setzen, wenn dir konstant auf subtile Art und Weise gesagt wird, dass du nicht dazugehörst. Außerdem mag ich die Ironie, die gewissermaßen in der Frage steckt, weil „Where are you from from“ im Grunde ja ein grammatikalisch inkorrekter Satz ist.

Davon, dass diese Frage ständig widerkehrt, erzählen sowohl ProtagonistInnen in Berlin als auch in New York. Gleichzeitig werden im Rahmen des Projekts auch Unterschiede zwischen der Situation in den beiden Ländern greifbar.

Alleine dass in Deutschland über alle Generationen von Migrant_innen nach wie vor als Migrant_innen gesprochen wird, ist ein großer Unterschied. In den USA beobachtet man meist innerhalb von einer Generation den Übergang von der Bezeichnung als Migrant_in zur Bezeichnung als Amerikaner_in, wenn auch in Zusammenhang mit einer rassifizierten Kategorisierung, zum Beispiel als „Asian-American“. Das ist auch keine großartige Situation, weil du zwar Amerikaner_in wirst, in vielen Fällen aber eine spezielle, nämlich diskriminierte Art von Amerikaner_in. Trotzdem ist der Unterschied von Bedeutung. Es wird in Deutschland auch oft auf sehr generalisierende Weise über Migrant_innen gesprochen, als würden sie alle die gleichen Erfahrungen machen und mit den gleichen Problemen kämpfen. Das ist irreführend: Während manche Migrant_innen sehr gebildet und wohlhabend sind, gehören andere zur Arbeiter_innenklasse, sie decken das gesamte soziale Spektrum ab.

In Deutschland gibt es auch diesen starken Fokus auf Integration. Dazu denke ich mir: Diese jungen Leute sind hier aufgewachsen. Was heißt, sie sind nicht integriert? Diese Leute sind Teil der Gesellschaft, sie sind diese Gesellschaft! Und wenn Integration mit wirtschaftlichen oder bildungsbezogenen Errungenschaften gleichgesetzt wird, müssen wir fragen, welche strukturellen Barrieren es hier gibt. Viele Menschen, die seit Langem hier leben, werden systematisch ausgeschlossen – vor allem durch ein Schulsystem, das Machtverhältnisse stark reproduziert. Darüber wird aber kaum gesprochen. Und schließlich wird auch darüber, dass sich Deutschland selbst in einem Wandlungsprozess befindet, so wie sich alle Länder ständig verändern, nicht nachgedacht. Stattdessen hält man an einer essenzialisierenden Version der Geschichte fest und denkt, dass Deutschland vor 200 Jahren tatsächlich „deutsch“ war.

Welche Rolle spielt das Bild von den USA als Nation der MigrantInnen in diesem Zusammenhang?

Natürlich macht es einen Unterschied, dass diese Auseinandersetzungen in den USA schon deutlich länger im Gange sind und aus meiner Sicht haben sich Migrant_innen dort über die Generationen mehr institutionelle Macht angeeignet. Dennoch halte ich das Bild von den USA als Nation der Migrant_innen für irreführend. Es blendet eine gewaltsame Geschichte aus, in der immer umstritten war, wer hier leben und bleiben darf und wer nicht, wer Zugang zur Staatsbürgerschaft hat und wer nicht. Wir wollen auch keinesfalls die USA als Modell oder Vorbild präsentieren. Heute leben in den USA mindestens 11 Millionen undokumentierte Migrant_innen, viele von ihnen seit Jahrzehnten. Im Fall von Tania, die in unserem Film vorkommt, seit 26 Jahren. Erst heuer hat sie erstmals eine temporäre Arbeitserlaubnis bekommen.

In Deutschland und Österreich ist der Diskurs über Migration stark problemzentriert. Gerade die zweite Generation wird häufig mit Begriffen wie Bildungsdefizit und Identitätskrise assoziiert. Inwiefern geht „with wings and roots“ einen anderen Weg?

Ich starte von einem völlig anderen Punkt, wenn ich den Menschen Fragen stelle, weil sie Einsichten und Wissen haben, und nicht, weil ich denke, dass sie ein Problem haben. Es wird dann möglich über ihre Erfahrungen als gesellschaftliche Problematiken statt als persönliche Probleme zu sprechen. Als ich angefangen habe, an diesem Projekt zu arbeiten, habe ich W.E.B. Du Bois „The Soul of Black Folk“ gelesen. Anfang des 20. Jahrhunderts schrieb er darüber, dass das „negro problem“ in den USA in aller Munde war. Und mir ist klar geworden, dass ich heute genau die gleiche Sprache höre, wenn es um das „Integrationsproblem“ und das „Migrationsproblem“ geht – als wären sich alle einig, dass wir es mit einem Problem zu tun haben. Das Problem scheinen dann nicht Diskriminierung oder die Ungleichheit von Bildungschancen zu sein, Migration an sich wird zum Problem erklärt.

Ich denke, es ist knifflig, was wir mit diesem Projekt versuchen, weil wir versuchen über die Stärke und das Wissen von jungen Menschen mit Migrationsgeschichte zu sprechen.  Zugleich wollen wir auch die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, thematisieren. Wie kann man denn auch über ihre Stärke sprechen, ohne ihre Kämpfe zu thematisieren? Wir haben aber auch das Feedback bekommen, dass der Kurzfilm „Where are you FROM from“ zu negativ sei. Das gibt mir zu denken, weil es unser Ziel ist, nicht nur über die Tragödien und die Kämpfe zu sprechen, sondern auch die Handlungsmacht der Leute zu zeigen, wie sie Lösungen finden, neue Begriffe eines Zuhause und der Zugehörigkeit schaffen. Der abendfüllende Film, den wir gerade fertigstellen, wird auch die Kreativität der ProtagonistInnen stärker hervorstreichen, weil er mehr von ihrem Alltagsleben zeigt und nicht nur aus Interviews besteht. Dennoch, einen Mittelweg zwischen einem kritischen und einem optimistischen Blick zu finden, ist eine der größten Herausforderungen dieses Projekts.

Inwiefern ist „with wings and roots“ auch eine Sammlung von Familiengeschichten? Wenn es um Zugehörigkeit geht, können schließlich auch Familien- oder Generationenkonflikte eine wichtige Rolle spielen.

Manche Leute teilen mehr von ihrer Familiengeschichte, andere weniger – zum Beispiel, weil ihre Familie keinen legalen Aufenthaltsstatus hat. Auch Traumata können eine Rolle spielen. Mir ist es wichtig, die ProtagonistInnen selbst bestimmen zu lassen, wo sie eine Grenze ziehen. Außerdem denke ich, dass Generationskonflikte in Zusammenhang mit Migration sehr oft im Mainstream-Kino behandelt und teils auch missbraucht werden. Ich wollte etwas Neues machen, weshalb mich die Beziehung der jungen Menschen zur Gesellschaft mehr interessiert hat. Aber Familien können durchaus eine große Rolle spielen und es geht mir nicht darum, das zu ignorieren oder zu verschweigen – auch nicht, dass es Konflikte gibt. Manche erzählen sehr offen davon. Ich möchte auch keinesfalls Communities glorifizieren, weil es durchaus auch oft interne Konflikte rund um bestimmte Traditionen gibt, die eine gewaltsame und bedrückende Dynamik haben können. Jede Kultur hat solche Traditionen.

Warum hast du dich entschieden, einen Film über junge Menschen zu machen?

Das hat viel mit meiner eigenen Geschichte und meinen eigenen Erfahrungen zu tun. Ich wollte einen Film über meine AltersgenossInnen machen, über die Themen, die ich als Fragen meiner Generation sehe. Ich erzähle zwar nicht meine eigene Geschichte, aber ich werfe einen Blick auf Erfahrungen, mit denen ich mich persönlich verbunden fühle. Und natürlich betrifft einen die Frage nach einem neuen und kreativen Verständnis von Zugehörigkeit auf andere Weise, wenn man jung ist, als wenn man 50 ist.

 

Das Interview führte Anna Ellmer.

Zu ihrem Artikel über "with wings and roots": http://www.progress-online.at/artikel/%E2%80%9Ewarum-reden-sie-%C3%BCber...

 

Für weitere Informationen über „with wings and roots“:

http://withwingsandrootsfilm.com/

Der Kurzfilm „Where are you From from?“ / „Wo kommst du ‚wirklich’ her?“ wird vom FWU – Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht vertrieben: http://www.fwu-shop.de/politische-bildung/wo-kommst-du-wirklich-her-wher...

Der Kurzfilm „Article of Faith“ – ein Portrait des in Brooklyn lebenden Aktivisten Sonny Singh – ist hier verfügbar: http://www.youtube.com/watch?v=BWic5hPZfS4

„With wings and roots“ ist ein offenes und stets wachsendes, kollaboratives Projekt. Wer selbst daran mitarbeiten möchte, seine eigene Geschichte erzählen möchte, ein Film-Screening oder eine Workshop organisieren oder sich auf andere Art beteiligen möchte, ist herzlich dazu eingeladen über Facebook und oder die Website mit dem Team in Kontakt treten.

 

 

 

Lampedusa: Endstation oder Neuanfang?

  • 07.05.2015, 22:29

Das Rauschen der Wellen, das Zwitschern der Vögel und das Ticken der Uhren – eine Geräuschkulisse, die nicht sofort erahnen lässt, auf welcher Insel das Publikum sich befindet. Das verrät nur der Filmtitel selbst: Lampedusa. Eine Insel, die von faszinierenden Landschaften und erschütternden Schicksalen gezeichnet ist. Jedoch ist „Lampedusa“, der bei der Diagonale seine Premiere feierte, kein Film über Grenzkontrollen, Kriegsflüchtlinge und Mittelmeersterben. Diese die Medien und Welt bewegenden Themen lässt Peter Schreiner, der für Drehbuch, Regie und Schnitt verantwortlich ist, nur ansatzweise in den Geschichten seiner ProtagonistInnen aufflammen. Vielmehr stellt er in seinem Film essentielle Fragen des Lebens. Es geht um Angst, Sinn und Tod.

„Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin. Es war nass. Mir war kalt. Drinnen und draußen“, erzählt Giulia, eine ältere Frau aus Norditalien. Sie hat als wohlhabende Touristin die Insel bereist und ist in der ersten Nacht ihres Aufenthaltes ausgeraubt worden. Heute ist sie von einer schweren Krankheit gezeichnet. „Es ist Krieg. Die Stadt ist zerstört. Niemand will dort bleiben“, erzählt ein junger Mann aus Somalia, dem die Flucht vor dem Bürgerkrieg gelungen ist. Heute ist er Filmemacher und Journalist in Rom. Und dann wäre da noch ein Bootsbauer aus Lampedusa, der gemeinsam mit seiner Frau die Touristin Giulia bei sich zu Hause aufgenommen und gepflegt hat. Diese drei Menschen, deren Lebensgeschichten unterschiedlicher nicht sein könnten, begegnen einander in Schreiners Erzählung aus Lampedusa. Sie sind zurückgekehrt, um ihre Geschichte zu erzählen, sie philosophieren über das Leben. Und fragen sich letztendlich: Was kann der Mensch alles ertragen, wie lange und warum?

VOM LEBEN GEZEICHNET. Die detailreichen Nahaufnahmen und tiefgründigen Monologe vermitteln in 130 Minuten das Gefühl, als würde die Zeit auf dieser Insel stillstehen. Dabei ergeben die schwarz-weißen Bilder der Kamera und die bunten Erzählungen der ProtagonistInnen eine Symbiose. Der Schnitt spiegelt die gesamte landschaftliche Schönheit der Insel – der Stacheldrahtzaun mahnend im Hintergrund – wider. Der Film kommt gänzlich ohne Musik aus und setzt stattdessen auf authentische Umweltgeräusche. Die Präsenz des Meeres zieht sich durch den gesamten Film hindurch und steht stellvertretend für die unendlichen Weiten der Möglichkeiten und unerfüllten Wünsche des Lebens. Die schwarz-weiße Kulisse ist unaufdringlich, genauso wie die Geschichten der ProtagonistInnen, die zu keinen Helden avancieren, sondern vom Leben gezeichnete Menschen sind. Die Frage, warum Peter Schreiner ausgerechnet die Insel Lampedusa als Schauplatz für seine Erzählung wählt – ohne darauf einzugehen, wofür sie in den letzten Jahren trauriges Wahrzeichen geworden ist – bleibt unbeantwortet. Vor diesem Hintergrund fällt es nicht leicht, die täglich durch die Medien kursierenden Bilder beiseite zu schieben und sich auf Schreiners Perspektivenwechsel einzulassen.

„Lampedusa“
Regie: Peter Schreiner
130 Minuten
Trailer

 

Sandra Schieder studiert Journalismus und Public Relations an der FH JOANNEUM in Graz.

 

Das Programm und die BesucherInnen machen dann das Festival zu dem was es ist.

  • 03.02.2014, 13:15

In Wiener Neustadt fand heuer vom 28.-30 November zum dritten Mal das Frontale Film-Festival statt. Gezeigt wurden auch dieses Jahr wieder eine feine Auswahl an Kurz-, Spiel, aber auch Handyfilmen. Veranstalterin des Festivals ist die Jugendplattform Megafon. Progress hat mit dem den Wettberwerbsjury Mitgliedern Reinhard Astleithner und Jan Hestmann über das kleine aber erfolgreiche Festival gesprochen.

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In Wiener Neustadt fand heuer vom 28.-30 November zum dritten Mal das Frontale Film-Festival statt. Gezeigt wurden auch dieses Jahr wieder eine feine Auswahl an Kurz-, Spiel, aber auch Handyfilmen. Veranstalterin des Festivals ist die Jugendplattform Megafon. Progress hat mit dem den Wettberwerbsjury Mitgliedern Reinhard Astleithner und Jan Hestmann über das kleine aber erfolgreiche Festival gesprochen.

progress: Das Frontale Film-Festival fand heuer bereits zum dritten Mal statt? Was war die ursprüngliche Motivation dahinter, das Festival ins Leben zu rufen?

Reinhard Astleithner: Die Film- und Medienkultur in der Region kam immer ein wenig zu kurz. Abgesehen von privaten Einrichtungen und dem Zentralkino war es schwer, Filme abseits des Mainstreams zu sehen. Unsere eigene Kinoleidenschaft hat es dann fast zur Pflicht gemacht, die FRONTALE ins Leben zu rufen.

Jan Hestmann: Mit der Frontale wollen wir ein junges Kulturprojekt wachsen lassen, an dem sich kreative und filmbegeisterte Menschen beteiligen und austauschen können. Wir wollen ein breites, junges und jung gebliebenes Publikum ansprechen und Filmkultur erlebbar machen. Letztes Jahr hat das neue Kulturzentrum SUB aufgemacht. Da haben wir gleich gemeinsame Sache gemacht.

progress: Wie hebt sich das Frontale-Filmfestival von anderen ab? Was ist das Besondere an diesem Festival?

Reinhard: Das Feedback der letzten Jahre hat unsere Absicht bestätigt. Wir sind ein herzliches Festival, auf dem die ZuseherInnen auf die FilmemacherInnen treffen und in familiärem Setting diskutieren, konsumieren und reflektieren. Die Mischung aus Spiel-, Kurz- und Handyfilmen, die Couchgespräche und die Workshops bringen eine Vielseitigkeit ins Programm, die man anderswo vielleicht so nicht geboten bekommt. Dazu kam dieses Jahr dann auch die Live-Vertonung des Stummfilmklassikers NOSFERATU (1922), die man so noch nirgendwo gesehen oder gehört hat.

progress: Beim Frontale-Filmfestival können auch Handybeiträge eingereicht werden. Sind das eher Laienbeiträge? Wie heben sich solche Beiträge von anderen ab?

Reinhard: Im Handyfilmprogramm sieht man die Versatilität des Mediums wie in keinem anderen. Von willkürlichen Aufnahmen eines Plastiksackerls im Wind, bis hin zu Green Screen Produktionen haben wir dieses Jahr wieder gestaunt, gelacht und geklatscht. Der Gewinnerfilm steht in seiner Bildästhetik und Dramaturgie vielen der Lang- und Kurzfilme in nichts nach.

Jan: Tendenziell sind diese Filme von Laien, was toll ist. Filmemachen wird immer einfacher und billiger. Bei aller Nostalgie für Analogfilm, hat die Digitalisierung das Filmemachen niederschwelliger gemacht. Der Handyfilm ist die Konsequenz daraus. Das Handy wird zum Selbstermächtigungsinstrument für FilmemacherInnen ohne Budget. Gleichzeitig bringt es eine ganz eigene und interessante Ästhetik mit sich. Und man muss kreativ sein, um mit einem Handy einen guten Film zu machen.

progress: Gibt es Themen denen ihr euch am Festival besonders widmen wollt?

Reinhard: Qualitätsbewusstsein und die Auseinandersetzung mit dem Medium sind unser Antrieb. Das Programm und die BesucherInnen machen dann das Festival zu dem was es ist.

Jan: Letztes Jahr hatten wir ein Couchgespräch mit JungschauspielerInnen. Da schwingt das Thema Präkarisierung im Kunst- und Kulturbereich mit. Dieses Jahr gab es mit dem Screening von „Oh yeah, she performs!“ und mit der Tricky Women-Schiene einen Schwerpunkt auf Feminismus. Die Schwerpunkte sollen gemeinsam mit dem Publikum diskutiert werden können, gerne auch kontrovers. Da wollen wir uns nicht zu stark eingrenzen.

progress: Ihr bietet neben den Filmen auch ein umfangreiches Rahmenprogramm an. Unter anderem auch Workshops z.T. Drehbuchschreiben. Wollt ihr vor allem jene ansprechen die daran interessiert sind selbst Filme zu machen?

Reinhard: Bei uns ist grundsätzlich jede/r willkommen. Darum saßen in den Workshops auch Leute, die keine Vorkenntnisse hatten neben BesucherInnen, die schon einige Bücher zum Thema gelesen hatten. Aus dem Feedback der Workshopleiterinnen war herauszuhören, dass genau diese Mischung die Workshops spannend und zugänglich gemacht haben.

Jan: Da sind wir wieder bei der Selbstermächtigung. Wir wollen Menschen das Handwerk beibringen. Das Equipment, etwa das Handy, haben sie ja bereits eingesteckt. Das Festival ist deshalb aber nicht nur für FilmemacherInnen, sondern genauso für ein Publikum, das wir aber auch stets einladen, in den Diskurs einzusteigen.

progress: Was waren für euch die Highlights des diesjährigen Frontale-Filmfestivals?

Reinhard: Während unserer "Warm-Up Tour" besuchten wir das Triebwerk Wiener Neustadt mit dem Dokumentarfilm SKATEISTAN. Darin sieht man eine Skateschule in Afghanistan und ihre positiven Auswirkungen in dem durch Krieg gebeutelten Land. Und plötzlich kam das CARITAS Haus Neudörfl mit 25, zum Teil afghanischen, jugendlichen Asylbewerbern zu Besuch. Das anschließende Gespräch über den Film und die Auseinandersetzung mit der Migrationsthematik aus erster Hand war magisch. Beim Festival brachte das Gespräch mit Joseph Lorenz, Schauspieler in PARADIES: HOFFNUNG, einen interessanten Einblick in die Arbeitsweise eines der größten Filmexporte unseres Landes.

Jan: Bei der außergewöhnlichen Live-Vertonung von Nosferatu hatte ich das Gefühl, es passiert gerade etwas, das ich so bald nicht mehr erleben darf. Schließlich hat mich die Videobotschaft eines jungen ukrainischen Filmemachers begeistert, der einen globalkritischen Stop-Motion-Film eingereicht hatte, mit wenigen Mitteln aber dafür umso stärkerer Aussagekraft.

Zu den Personen:

Reinhard Astleithner (Juryvorsitzender)

studierte Drehbuch an der Filmakademie Wien und ist Betriebsleiter im English Cinema Haydn. Freischaffender Filmemacher und Fotograf. Zeigte im Rahmen der "Wien-Aktion", gemeinsam mit dem BMUKK, über 3000 Schulklassen einen Blick hinter die Kulissen eines Kinobetriebs.            

Jan Hestmann

Von der Wiener Neustädter Comedienbande zum Freien Radio Helsinki in Graz. Schließlich in Wien gelandet, in der Filmredaktion von The Gap und der Programmkoordination von Radio Orange. Ansonsten Globalgeschichte-Student und bei eigenen Filmprojekten für Doomsday Films vor und hinter der Kamera.

 

Das Interview führte Georg Sattelberger.

Eine Weltreise in Graz: Die Diagonale 2013

  • 23.04.2013, 15:19

Auch wenn die Diagonale ein Festival des Österreichischen Films ist, bereist man beim Besuch der Veranstaltung die ganze Welt und unbekannte Lebenswelten. Aurora Orso berichtet von der Stimmung im Aufbruch.

Auch wenn die Diagonale ein Festival des Österreichischen Films ist, bereist man beim Besuch der Veranstaltung die ganze Welt und unbekannte Lebenswelten. Aurora Orso berichtet von der Stimmung.

Auf der Diagonale, die dieses Jahr vom 12. bis 17. März  stattfand, war zum ersten Mal die gesamte „Paradies"-Trilogie von Ulrich Seidl als Gesamtwerk zu sehen. Wie die Titel suggerieren, handeln sie von Liebe, Glaube und Hoffnung. Provokant und intelligent folgt Seidl seinen ProtagonistInnen in höchst intime Sphären. Mit dem Lob, das er für die Filme erntet, ist er auf der Diagonale gut aufgehoben.
Das Engagement und den Anspruch, zum Denken anzuregen, ist erfrischend und wird von vielen FilmemacherInnen der Diagonale geteilt. Ein gutes Beispiel hierfür ist der junge Regisseur der Dokumentation Jakarta Dissorder, Ascan Breuer. Hautnah berichtet er über Slumsiedlungen, die einem gigantischen Wohnbauprojekt weichen sollen.
Während Politiker mit leeren Versprechungen um sich werfen, müssen sich Menschen in den Slums von Jakarta täglich ihrer prekären Realität stellen. Während der Wahlkämpfe werden Stimmen „gekauft“, bloß um danach weiter zu wüten und zu vertreiben.
Die BewohnerInnen, deren Existenz durch das brutale Überfahren in Frage gestellt wird, sind ratlos.
Zwei Frauen, die den Bürgern und Bürgerinnen der jungen indonesischen Demokratie ihre Macht als WählerInnen klar machen möchten, stehen im Mittelpunkt der Erzählung.
Sie setzen einen „politischen Vertrag“ auf und machen sich gemeinsam mit SympathisantInnen aus den ärmsten Vierteln und gefolgt von einer Kamera auf die Suche nach 1,5 Millionen UnterstützerInnen. Gefordert wird Gerechtigkeit. Die 1,5 Millionen Wählerstimmen dieser UnterstützerInnen werden demjenigen zugesagt, der den „politischen Vertrag“ unterschreibt.
Die Publikumsgespräche erfreuen sich großer Beliebtheit.Eine Frau erhebt sich erregt „Dieser Film hat mich sehr berührt. Ich bin selbst aus Indonesien und wohne in Österreich. Wir haben hier in Graz einen indonesischen Verein gegründet.“
Im Vergleich zum Vorjahr durfte sich das Festival mit 21 Österreichpremieren über einen BesucherInnenanstieg von etwa 1.000 Personen freuen.
Der Zuspruch kann sich mit einer Vielzahl an anwesenden RegisseurInnen erklären, welche sich nach etlichen Filmen den Fragen des Publikums stellen. 38 Uraufführungen und 21 Österreich-Premieren standen auf dem Programm. Die Diagonale wird dem Österreichischen Film gerecht, welcher dieses Jahr durch seine Reflektion und Einfühlsamkeit beeindruckt. „Der Glanz des Tages“ wurde von der Jury zum besten österreichischen Spielfilm 2013 gekürt.

Trickreiche Frauen vernetzen sich

  • 18.03.2013, 14:36

Das diesjährige Tricky Women Festival fand vom 7. bis 10. März in Wien statt. Aurora Orso besuchte das Frauentrickfilmfestival und sammelte Eindrücke.

Das diesjährige Tricky Women Festival fand vom 7. bis 10. März in Wien statt. Aurora Orso besuchte das Frauentrickfilmfestival und sammelte Eindrücke.

Hasserfüllte Blicke der Dorfbewohner treffen die junge Frau wie Dolchstiche, wütende Augen wie die wilder Tiere funkeln sie aus der Dunkelheit an. Immer noch schallen die Schreie des verstoßenen Kindes in ihren Ohren.  Düster, beklemmend und technisch eindrucksvoll ist der diesjährige Preisträgerinnenfilm des tricky women Festivals. „Sonst fürchte ich mich immer bei Gruselfilmen und jetzt habe ich selbst einen gedreht“, gluckst die Filmemacherin Julia Ocker etwas verlegen bei der Preisverleihung. Das Publikum lacht erleichtert nach der Vorführung ihres Filmes Kellerkind, welcher die dunkle Seite des Mutterseins beleuchtet. Sie sei überrascht gewesen, dass ihre Abschlussarbeit dem Publikum so unheimlich vorkam. „Wenn ich den Film sehe, sehe ich vor allem die Dinge, die ich hätte besser machen können. Aber ich glaube, das geht den meisten Filmschaffenden so.“ Weitere Preise gingen an „Der Allergietest" von Mariola Brillowska, „Achill" von Gudrun Krebitz und „Vérité Věříté Vanité" von Theresa Gregor.

Tricky Women, das Frauentrickfilmfestival, welches von 7. bis 10. März und dieses Jahr zum ersten Mal im Haydnkino stattfand, macht es sich zum Ziel, „ein Forum zum Austausch und  zur Förderung der Trickfilmszene zu bilden“, wie eine Mitarbeiterin des Festivals sagt. Die Bandbreite der Werke reicht von der tragikomischen Realität eines einsam lebenden Mannes, der sich von allerlei Insekten sexuell angezogen fühlt, über experimentelle Filme, bis hin zur rührenden Geschichte eines Kükenmädchens, das fliegen lernen möchte.  „Highly educational“ Zeichentrickfilme mit dem Ziel, sexuelle Tabus aufzuzeigen und mit einer natürlichen Leichtigkeit auch noch zum Lachen bringen kommen aus der Serie „Teat Beat of Sex” von Signe Baumane, einem Jurymitglied. Sie schafft es, in ihren Filmen traurige Wahrheiten unserer Gesellschaft auf einfühlsame und humorvolle Art zu verarbeiten. Die meisten der gezeigten Filme können sich mit Ähnlichem rühmen. Ebenso vielfältig wie die Themen sind auch die Techniken: von Zeichentrick über stop motion bis zu 3D ist alles dabei. Um das Programm abzurunden, wurden Workshops und kostenlose Mini-Seminare angeboten.
Von ihren Kolleginnen und dem Festival begeistert zeigt sich Lourdes Villagómez, ebenfalls Jurymitglied:  „Seit Jahren möchte ich hier herkommen und ich bin sehr froh, endlich persönlich dabei zu sein. Es ist großartig.“ Die Animationskünstlerin, Regisseurin, Lehrerin, Programmiererin und Produzentin war für die Auswahl des Programmabschnitts Spot on Mexico and Spain verantwortlich und war außerhalb des Wettbewerbs auch mit ihrem Werk „Syndrome de Line Blanca“ vertreten. Der  Film geht auf sehr kreative und humorvolle Art mit dem Druck zu heiraten und eine Familie zu gründen um.

Sie schwärmt außerdem von der freundschaftlichen Atmosphäre. Bei „gemischten" Festivals gehe es viel offensichtlicher um professionelles Networking und um Geschäfte. Hier schwinge auch eine persönliche Ebene mit.
Allerdings sei die Zuwendung durch das österreichische Publikum ausbaufähig. „Ich finde es schade, dass die Leute in Wien kaum wahrnehmen, was für eine einzigartige Veranstaltung hier stattfindet.“ Tricky Women ist weltweit das einzige Festival, welches sich speziell dem weiblichen Trickfilmschaffen widmet. An der Qualität und am Charme des Festivals kann das mangelnde Interesse wohl nicht liegen. Die Eintrittspreise von neun beziehungsweise acht Euro könnten ein Grund dafür sein. Die diesjährigen Teilnehmerinnen nehmen neben der Inspiration aus den gesehenen Filmen und den geschlossenen Freundinnenschaften auch neue Projekte mit. Villagómez freut sich auf das baldige Entstehen einer Plattform mit Tipps, Erfahrungsberichten und Vernetzungsmöglichkeiten für die Finanzierung von Animationsfilmen in Blogform und ist fest entschlossen, das Festival nicht zum letzten Mal besucht zu haben.

Mit Pornobildern zur Ausmusterung

  • 04.01.2013, 11:29

Die Filmemacherin Ulrike Böhnisch setzt sich in ihrem Film „Çürük – The Pink Report“ mit einem in der Türkei verpönten Thema auseinander - der Homosexualität im türkischen Militär. Im progress-Interview spricht sie über ihren neuen Film.

Die Filmemacherin Ulrike Böhnisch (26) setzt sich in ihrem Film „Çürük – The Pink Report“ mit einem in der Türkei verpönten Thema auseinander - der Homosexualität im türkischen Militär. Die Kosmopolitin wurde in Leipzig geboren, hat in Potsdam Medienwissenschaft studiert und in Südamerika gelebt. Von 2008 bis 2009 hat sie ein Austauschjahr in Istanbul verbracht. Momentan lebt sie in Frankreich und studiert Kulturvermittlung. Im progress-Interview spricht Ulrike Böhnisch über ihren neuen Film.

progress: Was war für Dich der Auslöser einen Film über die Situation von Homosexuellen beim türkischen Militär zu drehen?

Ulrike Böhnisch: Da kamen mehrere Sachen zusammen. Ich musste an der Filmschule in Istanbul Projekte entwickeln und habe nach einem Thema gesucht. Über einen Freund habe ich von der Ausmusterung Homosexueller im türkischen Militär erfahren. Der meinte: „Ja weißt du, wenn die sich ausmustern lassen, dann müssen die Pornofotos von sich zeigen.“ Zunächst dachte ich mir, dass das doch total absurd wäre. Doch dann habe ich mich dazu entschlossen in meinem Umfeld nachzufragen. Aber immer wenn ich Fragen stellte, reagierten alle sehr betreten und meinten nur „Pst“ – ganz nach dem Motto: Was fällt dir ein in der Öffentlichkeit das zu thematisieren. Das hat mich dann neugierig gemacht.

Hinzu kam, dass ich in einer gefährlichen Ecke von Istanbul gelebt habe. Dort befindet sich ein Strich mit Transsexuellen, der natürlich auch Freier anlockt. Eines Tages wurden dann zwei Freundinnen von mir fast vergewaltigt. Sie haben zwar versucht zur Polizei zu gehen, doch die Polizisten meinten nur: „Wurdet ihr denn nicht richtig vergewaltigt? Na dann kommt doch mal wieder, wenn ihr richtig vergewaltigt worden seid.“ Und auch von meinem Freundeskreis kam dann die Reaktion, dass die beiden ja selber schuld wären, da sie ohne Mann in der Nacht auf die Straße gegangen wären. Das hat mich natürlich sehr wütend gemacht. Insofern hatte ich mit der schwulen und lesbischen Community sowie mit den KurdInnen ein gemeinsames Feindbild: den türkischen Macho. Das war dann der Auslöser für den Film, der das Männerbild in der Türkei in Frage stellt.

progress: Wie würdest Du klischeehaft den türkischen Mann beschreiben?

Böhnisch: Ich kann zumindest sagen, was er nach den Aussagen meiner Protagonisten nicht ist. Der türkische Mann ist derjenige, der aktiv ist. Darin besteht der Unterschied zwischen Mann oder nicht Mann. Das ist für mich natürlich absurd, da ein Mann, der mit einem anderen Mann Sex hat, natürlich schwul ist. In der Türkei wird dies aber nicht so verstanden. Und das führt dann dazu, dass Vergewaltigungen an Schwulen damit gerechtfertigt werden. Das ergibt letztendlich einen Teufelskreis mit enormen Auswirkungen. Denn durch diese Definition von Mann und nicht Mann wird festgelegt, wer schwul ist, wer vergewaltigt werden kann - bzw. von wem dieser vergewaltigt werden kann - und letztendlich, wie stolz der andere dann auch noch darauf ist. Und da steckt natürlich meine Kritik drin, dass da etwas falsch läuft.

progress: Stimmt es, dass Homosexuelle keinen Militärdienst leisten müssen?

Böhnisch: Der Militärdienst ist für alle Türken obligatorisch und dauert zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Um den Militärdienst zu vermeiden, gibt es drei Möglichkeiten: die Ausmusterung - die man auch im Film sieht-, die Totalverweigerung, auf die Gefängnisstrafe steht und es gibt auch die Möglichkeit, dass man sich nach einem zwei- oder dreijährigem Auslandsaufenthalt mit einem Betrag von 10.000 Euro vom Militärdienst freikaufen kann. Die Ausmusterung kann man als schwuler Mann machen, da Homosexualität beim türkischen Militär als Krankheit angesehen wird.

Jene, die sich offiziell als Homosexuelle vom Militärdienst befreien lassen wollen, müssen einen Antrag auf eine psychologische Untersuchung stellen. Dann bekommen sie einen Termin bei einem Psychologen zu einer Gesprächsrunde. Meine Protagonisten erzählten mir, dass sie dort ein Haus zeichnen mussten. Anhand des Hauses hat dann der Psychiater abgewogen, ob die Personen homosexuell sind. In einigen Fällen ist es dann so, dass zusätzliche Untersuchungen durchgeführt werden. Bei diesen Untersuchungen fordert der Psychologe, dass die Männer Fotos bringen müssen. Den Beteiligten ist dann natürlich sofort klar, um was es geht: nämlich um pornografische Bilder. In diesen Bildern muss derjenige zeigen, dass er penetriert wird und quasi der Passive ist. Und außerdem muss auf den Bildern seine Erregung sowie Freude im Gesicht zu sehen sein. Das ist das, was mir von den Betroffenen erzählt wurde. Ich habe auch gehört, dass diese Untersuchungen in der letzten Zeit seltener gemacht wurden. Aber es gibt keine offiziellen Zahlen darüber. Es gibt auch noch eine andere Untersuchung. Bei dieser wird der Anus auf Analverkehr untersucht. Das ist aber absurd, da der Anus ja ein Schließmuskel ist.

progress: Warum wurden drei Protagonisten anonym gefilmt? Hatten sie Angst vor gesellschaftlichen Repressionen?

Böhnisch: An einer Stelle im Film wird ganz klar gesagt, dass die Protagonisten nicht wegen ihrer Homosexualität anonym gefilmt wurden. Denn die Türkei ist das einzige laizistische muslimische Land und nach dem türkischem Gesetz ist Homosexualität keine Straftat. Das Problem besteht jedoch darin, dass es Artikel gibt, die Kritik am Staat und Militär unter Strafe stellen. Das sind die Artikel 301 und 318 (Anm: siehe Links von Amnesty). Mit diesen Artikeln schafft es der türkische Staat jede Kritik im Keim zu ersticken. Und die Artikel sorgen dafür, dass sehr viele KurdInnen, JournalistInnen, KünstlerInnen, FreidenkerInnen usw. im Gefängnis sitzen. Die Artikel sind auch der Grund, weshalb die Protagonisten im Film darauf bestanden hatten anonym gefilmt zu werden. Aber sicher ist es in der Türkei nicht einfach als Homosexueller zu leben. In Istanbul gibt es zwar ein paar Stadtviertel, wo Homosexuelle einfacher leben können. Aber es ist sicher um einiges schwieriger beispielsweise in Ostanatolien schwul, lesbisch, transsexuell oder bisexuell zu sein.

progress: Hattest Du während der Dreharbeiten auch persönliche Probleme mit den türkischen Geschlechterrollen?

Böhnisch: Natürlich habe ich auf der Straße Blicke bekommen und mich in manchen Situationen unwohl gefühlt. Was die Türken aber unglaublich gut hinkriegen, ist damit gewissermaßen auch zu spielen. Was die Dreharbeiten betrifft, so kann ich folgende Episode erzählen: Ein Mann mit einer Kamera ist automatisch in der Türkei ein Kameramann. Dann kommen alle Kinder angerannt und fragen, von welchem Fernsehkanal er denn sei. Eine Frau, die mit einer Kamera auf der Straße steht, ist „nur“ eine Frau mit einer Kamera. Das heißt, wenn man beim Drehen kein Aufsehen erregen will, so ist es eine sehr gute Strategie einfach nur ein Mädchen hinter eine Kamera zu stellen.

Und es gab eine Situation, wo ich am Busbahnhof von Istanbul eine Drehgenehmigung gebraucht hätte. Und ich bin dann zum Chef von diesem Busbahnhof gegangen und hab dann mit meinem Türkisch gesagt: „Ich bin Studentin aus Deutschland. Und in Deutschland ist das so, dass die Soldaten einfach nur in den Zug steigen. Aber in der Türkei da wird gefeiert und gesungen. Die Soldaten bekommen so viel Respekt. Das ist eine so schöne Tradition, die bei uns verloren gegangen ist. Und deshalb würde ich hier gerne filmen.“ Und das haben sie mir abgekauft und mir deshalb erlaubt dort zu drehen.

progress: Der Film darf aber in der Türkei nicht gezeigt werden?

Böhnisch: Zum Schutz unserer Protagonisten haben wir ihnen versprochen den Film in der Türkei nicht zu zeigen. Und das war die Prämisse, an die wir uns gehalten haben. Wir fangen demnächst auch mit Video-on-Demand an. Auch da war für uns klar, dass dieser Film für die Türkei gesperrt werden wird. Ich weiß nicht, was die türkische Zensur zu dem Film sagen würde. Aber wir haben den Film sowohl von einem deutschen als auch einem türkischen Anwalt prüfen lassen. Beide haben uns bestätigt, dass die Erfahrungen zu hundert Prozent persönliche Erfahrungen sind und deshalb nicht unter die Artikel 301 und 318 fallen. Wobei das natürlich immer Auslegungssache des jeweiligen türkischen Richters ist.

progress: Wie war die Reaktion der türkisch-migrantischen Community?

Böhnisch: Meistens höre ich glücklicherweise Lob. Das ist natürlich für eine Filmemacherin schön zu hören. Ich muss aber dazu sagen, dass diejenigen, die den Film sehen sollten nicht diejenigen sind, die Geld für eine Karte ausgeben. Kritik gab es jedoch dahin gehend, dass ich mich als deutsche Frau mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Auch während der Filmvorführung beim Sercavan wurde ich kritisiert. Da hörte ich, dass der Film doch sehr polarisierend sei. Und dass ein Film doch von Türken bzw. Inländern und nicht von Ausländern gemacht werden sollte. Ich kann diesen Kommentar akzeptieren. Und natürlich habe ich meine eigene Sichtweise. Ich sehe allerdings nicht, wieso meine Sichtweise besser oder schlechter sein sollte als eine andere.

Mir war aber von Anfang an bewusst, dass der Film für ein ausländisches Publikum gedreht wird und dass er eine Plattform für dieses Thema außerhalb der Türkei bieten soll. Deshalb kam es mir zugute, dass die Protagonisten bereit waren Englisch zu reden. Und daher habe ich auch mit Basics begonnen. Diese wären für TürkInnen mit einem Vorwissen nicht notwendig gewesen. Ich denke aber, dass FilmemacherInnen das Recht haben sollten, selbstständig das Thema, den Ort und den Zeitpunkt ihrer Filme zu bestimmen. Diesbezüglich ist es traurig, dass in der Türkei Gesetze herrschen, die das verbieten.

Der Trailer zum Film:

Weiterführende Links:

http://www.curuk-film.de

http://www.ulrikeboehnisch.com

Sercavan Film-Festival 2012

Ab Jänner wird „Çürük – The Pink Report“ auf Independent Movies on demand verfügbar sein.

Informationen zu Artikel 301 („Herabwürdigung des Türkentums“) und 318 („Distanzierung des Volkes vom Militär“).

 

Wer zufrieden ist, ist tot

  • 17.12.2012, 12:55

Regisseur Richard Wilhelmer und Hauptdarsteller Robert Stadlober erklären, warum ihr Film „Adams Ende“ ein guter Anfang ist.

Regisseur Richard Wilhelmer und Hauptdarsteller Robert Stadlober erklären, warum ihr Film „Adams Ende“ ein guter Anfang ist.

Robert Stadlober ist die große Bühne gewöhnt: Berlinale, Burgtheater und Auftritte mit seiner Band Gary. Aber nicht die Bühne macht den Star – sogar in der alten Sparkasse in Wels steht er im Rampenlicht. An der Seite seines Freundes und Regisseurs Richard Wilhelmer plaudert und scherzt er in einem kleinen Vorführsaal am International Youth Media Festival (YOUKI) vor jungem Welser Publikum über Wilhelmers Debutfilm „Adams Ende“. Den beiden macht das sichtlich Spaß.

progress: Viele junge Leute hier am Festival kennen die Probleme, die Adam und die anderen Protagonisten in eurem Film erleben: Ein Job, der einen nicht ausfüllt und eine Beziehung, die ein wenig eingeschlafen ist. Spiegelt der Film eigene Erlebnisse wider, Richard?

Wilhelmer: Der Grund, aus dem ich mich in meinem ersten Spielfilm gerade dieses Themas angenommen habe, war, dass die Recherche im Grunde genommen schon gemacht war. Es ist kein autobiographischer Film, aber er beinhaltet natürlich autobiographische Versatzstücke, an denen ich mich orientiert habe. Das ist ja das Schöne: Guerillaartig wohin zu gehen und etwas zu drehen, was man dort ähnlich im wirklichen Leben erlebt hat. Der Lebenssituation der Protagonisten bin ich aber durchaus schon entwachsen…

progress: Sind das nicht ziemliche Luxusprobleme, die im Film beschrieben werden?

Wilhelmer: Klar. Der Film spielt in Berlin. Die Stadt ist irgendwie symbolisch für diese Schwierigkeiten: Man kann sich hier entweder zu Tode feiern und an der Vielzahl seiner Möglichkeiten scheitern oder etwas draus machen. Adams Ende beschreibt die zweite Variante, wo der Protagonist nicht fähig ist, Entscheidungen zu treffen und zufrieden zu sein, mit dem was er hat. Am Ende zerstört er alles – gewollt oder ungewollt.

progress: Seid ihr denn zufrieden?

Stadlober: (lacht) Wenn man zufrieden ist mit dem, was man hat, dann hat man seinen Sarg…

Wilhelmer: (lacht auch) Dann ist man Jesus!

Stadlober: Im Ernst: Zufriedenheit hat zumindest für mich etwas mit Tod zu tun. Wer zufrieden ist, ist angekommen – in irgendeinem Loch. Nie zufrieden sein ist glaube ich eine sehr gute Lebenshaltung. Aber sagen wir mal so: Die relativ irrationalen Verwirrungen der Adoleszenz haben ein wenig nachgelassen, und es sind zumindest bestimmte Entscheidungen nicht mehr so schwierig, weil man sie schon öfter falsch getroffen hat.

progress: Macht das Alter weiser?

Stadlober: Ja wahnsinnig, es macht unglaublich weise – ich mit meinen 30 Jahren. Vorher dachte ich immer, ich muss alles ausprobieren. Jetzt bin ich 30 und sogar die Leute am Amt sprechen mich mit „Sie“ an.

Wilhelmer: Ich bin noch nicht mal 30. Zu mir kann man noch „Du“ sagen!

progress: Adams Ende streift einige Genres: Zuerst ist es ein klassisches Beziehungsdrama, dann artet es in einen Psychothriller aus. Ist das massentauglich?

Wilhelmer: Einige Sponsoren hätten sicher von Beginn an gesagt, dass das komplett wahnsinnig ist. Wir hatten halt keine.

Stadlober: Ich glaube, es ist im deutschsprachigen Film nicht gerade Usus, so etwas zu machen: In der Regel muss alles sehr nachvollziehbar sein, was bei Adams Ende nicht immer der Fall ist. Bei einer Publikumsdiskussion hat uns mal jemand drauf festgenagelt, ob sich der Protagonist das Ende nur eingebildet hat oder ob das so wirklich so passiert ist. Da kann man echt nur antworten: „Denken Sie sich´s doch selbst aus!“

progress: In „Adams Ende“ gibt es einige Stellen, in denen mitschwingt, dass Homosexualität immer noch ein Tabuthema ist.

Wilhelmer: Im Film bleibt das eher unausgesprochen. Der Protagonist Adam fühlt sich zu seinem Freund Conrad vielleicht ein wenig hingezogen, hat aber starke Berührungsängste. Und das ist tatsächlich etwas, was oft Homophobie beschreibt – auch in vielen anderen Filmen.

Stadlober: Homophobie gibt es immer noch sehr stark. Gerade in der linksliberalen Szene, in der ich mich auch bewege, finde ich es erschreckend, wie sehr Männer Angst vor Nähe zu anderen Männern haben. Und auch wie sehr Homophobie als komische Form von Humor benutzt wird. Das Schimpfwort „Schwuchtel“ oder „Homo“ ist heute glaube ich noch salonfähiger als vor 15 Jahren. Ich weiß nicht, wie oft ich in Berlin von irgendwelchen Leuten im Hipster-Outfit als Schwuchtel beschimpft werde.

progress: Wenn das im offenen Berlin so ist, wie ist es dann im konservativeren Wien?

Stadlober: Man merkt das in Österreich auf jeden Fall schlimmer als in Deutschland. Die Schwulenszene in Wien ist so versteckt. In Berlin ist alles viel offener. Ich habe in Wien auch Bekannte, die dezidiert homophob sind, obwohl sie wissen, dass es falsch ist. Aber das ist vielleicht irgendein katholischer Schwachsinn, die Angst vor dem eigenen Glied.

progress: Ihr seid auch beide hauptsächlich in Berlin tätig. Gefällt es euch in Wien nicht?

Wilhelmer: Naja, Berlin ist ein guter Nährboden für kreative Projekte, weil es – zumindest früher – sehr billig war. Deshalb sind sehr viele Leute zugereist: Weil sie sich die Mieten leisten konnten, weil sie sich das Essen leisten konnten. Es war ein Sammelort für Leute, die willig waren, allen möglichen Blödsinn mitzumachen. Von diesem Ruf lebt die Stadt noch immer. Und aus allem möglichen Blödsinn entstehen irgendwann ernsthafte Projekte.

Stadlober: Als junger Mensch aus der österreichischen Provinz gibt es nur zwei Möglichkeiten: Eine ist die sehr mutige und wahrscheinlich auch die richtigere: Nämlich das Land zu verlassen. Die andere, halbseidene ist, dass man nach Wien geht. Das kann auch super sein, nur dass man meistens in den gleichen Strukturen hängen bleibt wie zu Hause. Da sitzt man dann halt zwischen Autos und Straßenbahnen, statt zwischen Feldern und Ställen.

progress: Wie habt ihr beide euch eigentlich kennengelernt?

Stadlober: Über Alec Empire [Anm.Red.: von der Band Atari Teenage Riot], einen gemeinsamen Freund von uns. Er hat ein Treffen organisiert und da haben wir festgestellt, dass wir beide aus der Obersteiermark kommen. Auch dass ich drei Jahre in Wien über Richards Freundin gewohnt habe. Und dass er in Berlin eine Wohnung gehabt hat, die Wand an Wand mit meiner alten Wohnung dort lag. Getroffen haben wir uns nie.

Wilhelmer: Wir sind fast unser ganzes Leben aneinander vorbeigelaufen. In einer sehr rotweinlastigen Nacht haben wir dann Pläne geschmiedet für mögliche zukünftige Projekte.

progress: Der Film ist also im Rausch entstanden?

Wilhelmer: Nein „Adams Ende“ ist nicht im Rausch entstanden. Da kannten wir uns schon.

Stadlober: Die Freundschaft ist im Rausch entstanden, aber hat sich nüchtern bewährt.
Vor drei Jahren haben wir den Kurzfilm „The Golden Foretaste of Heaven“ gemacht. Vor dem Screening bei der Diagonale sind wir in einem Beisl gesessen und Richard hat gesagt, er würde gerne einen Langspielfilm drehen. Dann hat er in sehr kurzer Zeit ein Drehbuch geschrieben und wir haben das ganze relativ schnell auf die Beine gestellt.

Progress: Auch finanziell? Wie sah das Budget aus?

Stadlober: Grandios…

Wilhelmer: Ich wollte sehr bewusst keine Fördermittel für den Film, um Narrenfreiheit zu genießen. Dadurch hatten wir halt auch kein Geld: Robert und ich haben unser Taschengeld zusammengelegt; jeder hat 1000 Euro zum Budget gegeben. Eine kleine Förderung von 3000 Euro haben wir dann doch noch bekommen und verbraten. Das heißt wir hatten ein Gesamtbudget von 5000 Euro. Dadurch waren wir auf den „Goodwill“ der Beteiligten angewiesen: Leute, die uns Kameras geben, die ohne Bezahlung mitarbeiten. Das soll aber durchaus kein Konzept für die Zukunft sein, weil diese Art von Selbstausbeutung auf lange Sicht nicht produktiv ist.

Stadlober: In Deutschland ist es so, dass du große Förderungen bekommst, sobald du einen Fernsehsender mit im Boot hast. Hast du einen Sender im Boot, dann hast du definitiv jemanden, der dir in alles reinreden darf. Ohne Fördermittel kann man also viel freier arbeiten.

„Oh Yeah, She Performs“

  • 16.11.2012, 12:37

„Oh Yeah, She Performs“. Eine Filmrezension.

„Oh Yeah, She Performs“. Eine Filmrezension.

„Nicht voyeuristisch, sondern gefühlvoll“ wirft Miriam Unger  in ihrem neuen Film „Oh Yeah, She Performs“   einen Blick hinter und vor die Bühne des Lebens von Clara Luzia, Luise Pop, Gustav und Teresa Rotschopf, vier österreichische Ausnahmemusikerinnen mit einer unbeirrbaren „Do it yourself“-Attitüde. Gezeigt  wird keine verklärte Romanze des KünstlerInnendaseins, sondern dessen Realität mit all seinen emotionalen und finanziellen Schwierigkeiten; mit langwierigen Soundproben und dem Nachdenken über den Seelenstrip, der da auf der Bühne hingelegt wird.

„Wir sind am Tun gewachsen”, beschreibt Vera von Luise Pop den Karriereweg ihrer Band, bestehend aus mehreren Frontfrauen und einem Mann.
Zwei Jahre lang begleitet Unger diese vier außergewöhnlichen  Frauen, bei ihrem Tun und Wachsen. Eine Reise, welche uns unter anderem durch die Schwangerschaft von Gustav führt, die Entwicklung Theresa Rotschopfs zur Solokünstlerin zeigt und uns die Möglichkeit gibt, mit Clara Luzia im Gras zu sitzen und ihr beim Erzählen von Geschichten aus ihrer Schulzeit zu lauschen. Der Blick der Regisseurin ist intim, die Musikerinnen scheinen sich während der Gespräche wohl zu fühlen und lassen sich bereitwillig bei ihrem Schaffen über die Schulter schauen. Ihr Film, sagt Unger, ist „ein Film über das Arbeiten“. Das Private sollte nur im Zusammenhang mit der Arbeit der Künstlerinnen geschehen. Diese gelungene Mischung lässt auf wunderbare Art beim Publikum das Gefühl des Mittendrinseins entstehen.

„Oh Yeah, She Performs“ erzählt die Geschichte von vier bemerkenswerten Frauen, die ihrer Leidenschaft und Überzeugung folgen und sich dabei gegen die immer noch Männer dominierte Musikbranche auflehnen. Was Miriam Unger mit dem ihrem Film, strotzend vor starken Frauen hinter und vor der Kamera erreichen möchte? Natürlich vor allem den Bekanntheitsgrad der Musikerinnen steigern.  „Aber auch, dass die Kraft dieses Filmes als Funke auf kommende Generationen übergeht und dazu ermutigt, Eigeninitiative zu zeigen. Er ist gesungene Zivilcourage und ein Symbol zum Lautwerden“.

„Oh Yeah, She Performs“ ist seit 9. November österreichweit im Kino.

Offizielle Webseite zum Film

Trailer zum Film:

 

„Kein Platz für Yom Hashoah"

  • 24.10.2012, 17:35

See you soon again ist ein Film über die Holocaust-Überlebenden Leo Bretholz und Bluma Shapiro, die unermüdlich an Baltimore´s Schulen ihre Geschichten erzählen. Lisa Zeller erzählte die Filmemacherin Bernadette Wegenstein im progress-Interview über den Film, die Überlebenden in Baltimore und Hierarchien in der österreichischen Kultur.

See you soon again ist ein Film über die Holocaust-Überlebenden Leo Bretholz und Bluma Shapiro, die unermüdlich an Baltimore´s Schulen ihre Geschichten erzählen. Lisa Zeller erzählte die Filmemacherin Bernadette Wegenstein im progress-Interview über den Film, die Überlebenden in Baltimore und Hierarchien in der österreichischen Kultur.

Es ist Samstagnachmittag in Baltimore. Bernadette Wegenstein ist gerade zurück von einem Filmfestival in Boston, wo sie ihren aktuellen Film „See you soon again“ vorgestellt hat. Im Laufe unseres Gesprächs wird die Professorin und Filmemacherin zwei Mal angerufen. Einmal von einer Studentin, die sie zurückrufen wird. Das andere Mal muss sie den Anruf wirklich annehmen, denn: „Es geht um einen wichtigen Shoot nächste Woche“. Während wir über den aktuellen Film reden, ist sie schon längst mitten in der Arbeit für ihren nächsten.

progress: Sie publizieren viel im Bereich Körpermodifikation und Brustkrebs sowie deren Repräsentation in den Medien. Wie kamen Sie dann zum Film See you soon again?

Bernadette Wegenstein: Es kam eigentlich durch mein Interesses am Leo und durch die Kooperation mit Lukas Stepanik. Ich hab den Leo kennengelernt, weil ich Professorin an der Johns Hopkins in Baltimore bin. Ich bin dort hingezogen und hab damals für das erste Semester an der neuen Uni geplant, einen historischen Kurs über Holocaustfilme zu unterrichten. In dem Zusammenhang hat mir mein Nachbar erzählt: „Da gibt’s ja hier einen sehr berühmten legendären Holocaustüberlebenden und der ist wie Sie aus Wien.“ Den hab ich dann angerufen, sein Buch gelesen und irgendwie hat mich das sehr berührt. Davon hab ich dem Lukas Stepanik erzählt, der sowieso filmisch Interesse am Holocaust hat und dann haben wir das zusammengestellt. Das sind oft sehr biografische Zufälle, die natürlich auch zu allem Möglichen führen.

progress: Es gibt in Baltimore 100 Überlebende, die an Schulen gehen. Warum gerade Leo und Bluma?

Wegenstein: Viele wollen gar nicht gefilmt werden. Begleitet haben wir ungefähr fünf Überlebende, aber die anderen nie so weit wie Leo. Das hat sich während des Drehs ergeben. Leo ist für einen Cinéma Vérité-Film das perfekte Sujet. Man hat die Kamera ja sozusagen „in the face“ und er hat das total vergessen. Bluma ist eigentlich erst später in den Film hineingekommen. Wir haben mehrere Charaktere versucht zu entwickeln, aber dann hat es einfach unglaublich gepasst mit dem Leo. Seine Art ist so ein Auf und Ab und rein von den dramaturgischen Motiven hat es eine Balance gebraucht zu diesem Rhythmus. Da war die Bluma einfach eine ideale Counterfigur. Den anderen hab ich DVDs gemacht, damit sie sich auch sehen können.

progress: Leo scheint im Film mehr Rampenlicht zuzukommen als Bluma…

Wegenstein: Es ist schon klar, dass die Bluma im Film neben ihm steht. Das haben wir dann im Laufe des Schnitts und der Dramaturgie erst entschieden. Es ist so, dass diese Details des Überlebens und das Wie in seiner Geschichte viel klarer sind. Aber Bluma lassen wir zwei Mal ihre Geschichte anfangen und dann weitererzählen. Sie ist sozusagen elliptisch aufgebaut. Ihre Geschichte ist eben nicht so klar ersichtlich und das ist schade, da geb ich Ihnen recht. Aber die Geschichte der Bluma wird auf der US- als auch auf der österreichischen Seite des Films genau erklärt.

Außerdem ist Cinéma Vérité sozusagen dieser Anspruch, dass man die Wahrheit findet in der Realität, dass man die dann so darstellt, wie sie auch gewesen ist. Aber man braucht natürlich dazu eine Art von Filtersubjekt, über das diese Wahrheit irgendwie ausgeführt wird. Und dieses Subjekt bin natürlich ich, bzw. mein Ko-Regisseur Lukas. Ich würde auch sagen, dass der Film sozusagen eine Liebeserklärung an Leo ist, weil wir ihn so faszinierend gefunden haben durch seinen Charme und seinen Witz. Jedes Mal, wenn ich den Film sehe, hab ich auch noch das Gefühl, dass ich total fasziniert, aber auch sehr bewegt bin von diesem Mann und das ist in dem Film ausgedrückt. Insofern ist das durchaus eine subjektive Auswahl.

progress: Liegt das vielleicht daran, dass Sie selbst aus Wien sind?

Wegenstein: Das liegt sicherlich daran, dass ich aus Wien bin, doch es gibt viele Wiener Juden hier. Aber mich fasziniert am Leo auch dieses eine Ereignis in seinem Leben: diese Schuld, die er auch fühlt, dass er Wien als Erster verlassen hat und dass seine Schwester und seine Mutter da nicht rausgekommen sind. Daran denkt er zurück in allen möglichen Wegen. Also er ist total „obsessed“, ein richtig neurotischer traumatisierter Mensch und mich faszinieren solche Menschen. Ich frage mich, was ist so einem Menschen passiert? Wie ist er da hingekommen?

progress: Was haben Sie persönlich bei dieser Arbeit dazugelernt?

Wegenstein: Was ich gelernt hab, ist, dass es für so traumatisierte Menschen wie Leo und Bluma in Wahrheit keine Heilung gibt. Es gibt historische Wunden und Sachen, wie die Sklaverei, den Holocaust oder den Genozid im Sudan oder Darfur oder auch der Krieg, den die USA gegen den Islam führt, wovon man sich jahrhundertelang nicht erholt. Das sind Emotionen, die man auch gar nicht nachvollziehen kann. All das hat extrem lange Nachwirkungen. Das hab ich mir irgendwie anders vorgestellt. Ich hab schon gedacht, dass ein Holocaust-Überlebender, der schon seit mehreren Jahren umhergeht und das erzählt, das sozusagen schon bewältigt hat. Aber das ist nicht so. Das hab ich eben auch ganz bewusst in dem Film gezeigt, dass es auf diese offenen Wunden keine Antwort gibt und es keinen Sinn macht, diese zu vergleichen, weil da nix rauskommt.

Was ich auch gesehen habe, ist, dass sich Leo kleines Wiener Shtetl (jüdisches Wort für Dorf, Anmerkung) aufgebaut hat, wie er es in Wien auf der Mazzo-Insel zurückgelassen hat. Ich glaube, dass das viele Migranten, inklusive meiner selbst, machen. Nach 13 Jahren, die ich jetzt in den USA lebe, perpetuiere ich eben trotzdem gewisse Dinge, die ich aus der Kindheit hab. Man nimmt sich überall hin mit, egal wo man ist, also ob man nach Amerika geht, oder ob man, Gott bewahre, in einen Zug gesteckt wird nach Auschwitz. Man ist immer mit sich selbst und das sieht man halt auch beim Leo oder etwa bei Blumas Großnichte, Livia, die in Colorado studiert. Sie hat mir erzählt, sie beginnt dort ein neues Leben und ein Studium und all das – und dann hat sich rausgestellt, dass sie dort Kurse über Holocaust-Traumata belegt. Sie nimmt sich den Holocaust eben dorthin mit. Das wird vergessen und das ist glaub ich in Österreich auch nicht ganz bewusst, wenn ich gefragt werde: „Warum können wir den Holocaust nicht einfach vergessen und diese Geschichte nicht irgendwie ausklammern?“

progress: Es ist schon bezeichnend, dass Sie das in Österreich gefragt werden…

Wegenstein: Genau und aus amerikanischer Sicht kann man das nicht ausklammern, denn hier gibt es nicht eine Geschichte. Hier gibt’s diese ganzen „communities“, die Afro-Amerikaner, die Juden und die Christen. Natürlich gibt’s Minderheiten, aber die werden extrem ernst genommen, auch legislativ. Das kann man ja überhaupt nicht vergleichen. Man hat eine völlig andere Gesetzesgrundlage, die reflektiert, wie man über Zugehörigkeiten, über Beruf und über solche Sachen denkt, also wer sozusagen das Recht hat, einen Namen zu tragen und all das. Hier kann man hingehen und sagen „I want to be called `Bloody Idiot´“. Das ist vielleicht nicht so leicht, aber man würde das durchkriegen auf dem Standesamt, wenn man das Gefühl hat, man ist so und so will man sein. Dadurch ist es so eine blöde Frage, ob wir den Holocaust vergessen wollen. Ich mein, was soll das bitte? Das geht einfach gar nicht aus dieser hiesigen Sicht. Man muss deswegen auch nicht übersentimental sein. Natürlich hat das nichts mit einem persönlich zu tun und niemand sollte einen dessen beschuldigen, aber das heißt nicht, dass man sich nicht anschaut, was auf österreichischem Grund und Boden passiert ist.

progress: Wie spürt man den Einfluss der survivor community auf Baltimore selbst?

Wegenstein: Den spürt man insofern, dass alle Schüler in Baltimore mindestens einen Holocaust Überlebenden in der Schule kennenlernen. Also dafür, dass es nicht Österreich ist, ist es beachtlich, dass man die jüdische Gemeinde hier so ernst nimmt und dass das eben zum Allwissen gehört. Das spürt man auch.

Außerdem gibt es den Holocaust-Rememberance Day, Yom Hashoah, im April. Der ist hier allen ein Begriff und das ist für mich auch das beste Beweisstück, das ich immer gerne angeführt habe vor Österreichern, die gesagt haben: „Naja, aber man hat den Holocaust ja auch nicht vergessen!“, aber es geht ja nicht darum!

progress: Worum geht es dann?

Wegenstein: Es geht darum, was die Institutionen damit machen. Der Yom Hashoah Remembrance Day ist hier relativ institutionalisiert. Das heißt, dass es eben wie ein Feiertag auch gefeiert wird in mehreren Ländern weltweit. In Österreich ein unbekannter Tag! Da wird er erstens nicht gefeiert und zweitens weiß auch niemand, was das soll und das find ich schon arg, muss ich sagen. Ich versteh das nicht! Das heißt ja nicht, dass man hingehen muss, aber wenn Weihnachten ist, weiß auch jeder, was das ist!

Aber so ist die Kultur: Die Kultur zeigt sich dann eben immer auch aus hierarchischer Sicht und die Hierarchie in der österreichischen Kultur und Wien ist ja eine katholische, da ist sozusagen kein Platz für Yom Hashoah.

progress: Was wird Ihr nächster Film behandeln?

Wegenstein: Jetzt mache ich gerade einen Film über Brustkrebs und Körpermodifikation.

 

Eine Rezension zum Film See you soon again findet ihr hier

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